Amtsgericht Köln Beschluss, 27. Jan. 2016 - 612 AR 3/16 (526 Ds 724/15/102 Js 9/15)
Tenor
ist der durch den Wahlverteidiger gestellte Antrag des Angeklagten vom 06.01.2016, den Richter am Amtsgericht D r . W. wegen Besorgnis der Befangenheit in dieser Sache von der Ausübung des Richteramts auszuschließen, begründet.
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G r ü n d e :
2Der zulässige Ablehnungsantrag ist gemäß § 24 Abs. 2 StPO begründet.
3Nach § 24 Abs. 2 StPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiges Misstrauen ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dabei kommt es zwar auf den Standpunkt des Ablehnenden an, nicht aber auf seinen subjektiven Eindruck und ggf. unzutreffende Vorstellungen vom Sachverhalt. Maßgebend sind vielmehr die Sichtweise eines vernünftigen Ablehnenden und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann. Der Ablehnende muss daher Gründe für sein Befangenheitsgesuch vorbringen, die jedem besonnenen unbeteiligten Dritten unmittelbar einleuchten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 24 Rn. 8 m.w.Nachw.). Die Gründe sind grundsätzlich glaubhaft zu machen (§ 26 Abs. 2 StPO).
4Der Angeklagte stützt seinen Befangenheitsantrag auf die beharrliche und aus seiner Sicht nicht nachvollziehbare Weigerung des abgelehnten Richters in der Hauptverhandlung vom 06.01.2016, den Pflichtverteidiger zu entpflichten und ihm statt dessen seinen Wahlverteidiger beizuordnen.
5Die richterliche Verhaltensweise ist aus der Sicht des Angeklagten tatsächlich dazu geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Pflichtverteidiger nach der erstmaligen gerichtlichen Zurückweisung des Umbestellungsantrags eingeräumt hat, den Angeklagten trotz der bereits am 23.10.2015 erfolgten Beiordnung – also über einen Zeitraum von etwa 2 ½ Monaten – nicht in der JVA Köln zu einem Mandantengespräch und zur Vorbereitung der Verteidigung aufgesucht zu haben, sondern ihn in der Hauptverhandlung zum ersten Mal zu sehen. Das in einer Verhandlungsunterbrechung geführte erstmalige Mandantengespräch ist letztlich erfolglos geblieben. Der Pflichtverteidiger hat ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärt, eine Einigung über die Verteidigungsstrategie habe nicht erzielt werden können, und sodann eine Verfahrenseinstellung gemäߠ § 153a StPO angeregt. Den daraufhin vom Wahlverteidiger erneut gestellten Umbestellungsantrag hat der abgelehnte Richter mit der Begründung zurückgewiesen, eine Umpflichtung komme auch unter den neuerlichen Gesichtspunkten nicht in Betracht; das Gericht halte den Angeklagten für ordnungsgemäß verteidigt. Diese Begründung leidet ersichtlich daran, dass sie auf die dargelegten Erklärungen des Pflichtverteidigers nicht eingeht. Es ist anerkannt, dass die Untätigkeit eines bestellten Verteidigers, insbesondere die fehlende Kontaktaufnahme zum Mandanten, einen Widerruf der Beiordnung rechtfertigen kann (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2011, 48 f.; Meyer-Goßner, StPO, § 143 Rn. 4). Hier kam hinzu, dass auch das erstmalige Mandantengespräch in der Verhandlungsunterbrechung keine Einigung über die Verteidigungsstrategie erbracht hatte. In dieser Situation die Verteidigung mit einer pauschalen Begründung weiterhin für ordnungsgemäß zu erklären, kann beim Angeklagten in nachvollziehbarer Weise den Eindruck erwecken, das Gericht wolle an der einmal getroffenen Verteidigerbestellung „um jeden Preis“ festhalten. Ob das wirklich die Absicht des abgelehnten Richters war, ist für die Begründetheit des Befangenheitsgesuchs unerheblich.
6Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 28 Abs. 1 StPO).
7Köln, 27. Januar 2016
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(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.
(1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. Das Gericht kann dem Antragsteller aufgeben, ein in der Hauptverhandlung angebrachtes Ablehnungsgesuch innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich zu begründen.
(2) Der Ablehnungsgrund und in den Fällen des § 25 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens sind glaubhaft zu machen. Der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden.
(3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern.
(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,
- 1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen, - 2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, - 3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen, - 4.
Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen, - 5.
sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben, - 6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder - 7.
an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.
(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.
(4) § 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.
(1) Der Beschluß, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, ist nicht anfechtbar.
(2) Gegen den Beschluß, durch den die Ablehnung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird, ist sofortige Beschwerde zulässig. Betrifft die Entscheidung einen erkennenden Richter, so kann sie nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden.