Amtsgericht Kempten (Allgäu) Beschluss, 08. Mai 2015 - IK 666/13

bei uns veröffentlicht am08.05.2015

Tenor

Der sofortigen Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss vom 23.02.2015 (Bl. 129/131 d. A.) wird nicht abgeholfen, §§ 6 Abs. 1 InsO, 572 Abs. 1 ZPO.

Gründe

Der Schuldnerin wurde die Wohnung durch den ehemaligen Vermieter F. wegen Eigenbedarf zum 31.12.2014 gekündigt. Sie hat bei Mietbeginn eine Kaution i. H. v. EUR 700,00 geleistet, die mittlerweile vom ehemaligen Vermieter abgerechnet und am 09.02.2015 in voller Höhe auf das Insolvenzanderkonto ausgekehrt wurde, nachdem der Treuhänder mit Schreiben vom 11.02.2014 gegenüber dem Vermieter F. die Enthaftungserklärung gem. § 109 I InsO abgegeben und diesen aufgefordert hatte, eine hinterlegte Mietkaution bei Beendigung des Mietverhältnisses ausschließlich auf das Insolvenzanderkonto auszukehren.

Am 20.12.2014 hat die Schuldnerin mit ihrer aktuellen Vermieterin, Frau M., einen Mietvertrag geschlossen. Bei Anmietung der neuen Wohnung zum 01.01.2015 hatte die Schuldnerin wiederum eine Kaution i. H. v. EUR 700,00 zu leisten, die ihr darlehensweise von den Eheleuten R. zur Verfügung gestellt wurde. Aus dem neu geschlossenen Mietvertrag ergibt sich, dass der Mieter berechtigt ist, die Kaution in drei gleichen monatlichen Teilleistungen zu erbringen, die erste Teilleistung ist bei Beginn des Mietverhältnisses fällig, die folgenden Raten jeweils mit den nächsten monatlichen Mietzahlungen (die gem. dem Mietvertrag jeweils am 3. Werktag des Monats zu entrichten sind).

Mit Schreiben vom 08.01.2015 hat die Schuldnerin beantragt, das hinterlegte Kautionsguthaben i. H. v. EUR 700,00 zzgl. Zinsen freizugeben. Hilfsweise hat sie beantragt, die Kaution zum Zwecke der Hinterlegung der Kaution bei der aktuellen Vermieterin M. aufgrund des am 20.12.2014 abgeschlossenen Mietvertrags freizugeben, um den Bestand des neuen Wohnungsmietverhältnisses nicht zu gefährden. Antragsbegründend hat die Schuldnerin in den Schriftsätzen vom 08.01.2015 (Bl. 104/122 d. A.) und 18.02.2015 (Bl. 126/128 d. A.) vorgetragen, auf diese Schriftsätze wird verwiesen.

Der Treuhänder ist dem Antrag mit Schreiben vom 20.01.2015 (Bl. 123/124 d. A.) entgegengetreten; auf diesen Schriftsatz wird ebenfalls Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 23.02.2015 (Bl. 129/131 d. A.) wurde der Antrag vom Insolvenzgericht zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass zwar nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nach § 109 I InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Wohnraummietverhältnisses wieder auf die Schuldnerin übergegangen sei und eine Parallelität zwischen Enthaftungserklärung nach § 109 I InsO und Freigabeerklärung nach § 35 II InsO gegeben sei, jedoch sei Massezugehörigkeit des Anspruchs auf Rückzahlung der Mietkaution gegeben, da der Anspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei.

Mit Schriftsatz vom 11.03.2015 (Bl. 133/134 d. A.) hat die Schuldnerin Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 27.03.2015 (Bl. 136/138 d. A.), korrigiert mit Schriftsatz vom 30.03.2015 (Bl. 139/140 d. A.) begründet.

Es wird vorgetragen, dass die Enthaftungserklärung nach § 109 I InsO eine umfassende freigabeähnliche Wirkung habe und die Verpflichtung der Schuldnerin, eine Mietsicherheit zu leisten, ihren Rechtsgrund in dem Mietvertrag vom 31.01.2012 mit dem damaligen Vermieter F. habe. Aus dieser Hinterlegung resultiere der Kautionsrückgabeanspruch bei Beendigung des Mietverhältnisses. Mit der Freigabeerklärung habe der Treuhänder deutlich gemacht, dass zukünftig aus dem zwischen der Schuldnerin und dem Vermieter geschlossenen Mietvertrag weder die Masse verpflichtet sein solle noch die Masse Rechte daraus herleite. Das Mietverhältnis werde allein zwischen der Schuldnerin und dem Vermieter fortgesetzt, so dass eine freiwerdende Kaution ebenso wie Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen (BGH, Urteil vom 22.02.2014, IX ZR 136/13) dem Schuldner zustünden.

Weiter trägt er vor, dass es zwar richtig sei, dass der Schuldnerin mietvertraglich eingeräumt worden sei, die notwendige Kaution für die Anmietung der neuen Wohnung in drei Raten zu entrichten, die neue Vermieterin M. hätte sich jedoch nicht auf ein Mietverhältnis mit der Schuldnerin eingelassen, wenn die Kaution nicht durch die Eheleute R. sicher- und zur Verfügung gestellt worden wäre. Auch zu einer Kautionsleistung in drei Monatsraten wäre die Schuldnerin nicht in der Lage gewesen, da ihr ansonsten die notwendigen Mittel zum Bestreiten ihres täglichen Bedarfs nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten. Auf den Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 27.03.2015 nebst Korrektur vom 30.03.2015 wird im Übrigen Bezug genommen.

Der Treuhänder hat mit Schriftsatz vom 21.04.2015 (Bl. 148/151 d. A.) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er trägt vor, dass durch die wirksame Enthaftungserklärung nach § 109 I InsO keine Freigabe des Mietverhältnisses aus dem Insolvenzbeschlag erfolgt sei, da diese Erklärung dem ehemaligen Vermieter und nicht der Schuldnerin gegenüber abgegeben worden sei und allenfalls eine Parallelität zwischen der Enthaftungserklärung nach § 109 I InsO und der Freigabeerklärung nach § 35 II InsO zu sehen sei, so dass auch die Enthaftungserklärung nur für die Zukunft abgegeben werden könne und alle bei Insolvenzeröffnung und vor Wirksamwerden der Enthaftungserklärung vorhandenen Vermögenswerte in die Insolvenzmasse fielen. Die Rückgewähr der Kaution sei lediglich für die Dauer des Mietverhältnisses aufschiebend bedingt, was bedeute, dass hinsichtlich der Kaution der Insolvenzbeschlag aufrechterhalten bleibe, auch wenn eine Auszahlung erst nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung vorgenommen werde.

Der BGH erkenne in seinem Urteil vom 22.05.2014 - IX ZR 136/13 - lediglich darauf, dass Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen aus einem Zeitraum nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung dem Schuldner zustünden. Der Anspruch auf Rückgewähr der Kaution bestand jedoch bereits bei Verfahrenseröffnung und entstand zeitlich vor dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung, so dass er weiterhin massezugehörig sei.

Nach der Entscheidung des BGH vom 02.12.2010 - IX ZB 120/10 - können die massezugehörigen Kautionsrückerstattungsansprüche der Masse nicht wieder entzogen werden, auch nicht zur Hinterlegung einer Kaution bei Beginn des neuen Mietverhältnisses. Im Übrigen hätte die Schuldnerin ohnehin bei Beginn des neuen Mietverhältnisses ein Privatdarlehen zur Entrichtung der Mietkaution aufnehmen müssen, da die rückerstattete Mietkaution vom vormaligen Vermieter erst am 09.02.2015 und damit nach Beginn des neuen Mietverhältnisses zur Auszahlung gelangte. Es ergebe sich somit kein Unterschied, auch wenn die Rückerstattung an die Schuldnerin erfolgt wäre. Im Übrigen hätte die Schuldnerin bereits gleich nach Kenntniserlangung von der bevorstehenden Beendigung des Mietverhältnisses aus ihrem unpfändbaren Vermögen Ansparungen für die Hinterlegung einer Kaution für ein neues Mietverhältnis vornehmen können.

Hierzu führt die sachbearbeitende Rechtspflegerin noch folgendes aus:

Üblicherweise wird zwischen den Parteien eines Wohnraummietvertrages vereinbart, dass der Mieter bei Mietbeginn eine Mietsicherheit (Kaution) zu leisten hat. Solange das Mietverhältnis besteht, hat der Mieter ein Anwartschaftsrecht am Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution. Dieses Anwartschaftsrecht ist zugunsten der Schuldnerin bereits vor Insolvenzeröffnung (29.11.2013) entstanden. Der Rückzahlungsanspruch steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Mietvertrag endet und der Vermieter die Mietsicherheit nicht oder nicht vollständig verbraucht. Der Rückzahlungsanspruch hängt somit von einer aufschiebenden Bedingung ab. Das Anwartschaftsrecht auf den Rückzahlungsanspruch ist wie der Anspruch auf Rückzahlung der nicht verbrauchten Mietkaution pfändbar, also damit grundsätzlich massezugehörig nach § 35 InsO. Es handelt sich beim Rückzahlungsanspruch bei Mietende also NICHT um Neuerwerb.

Nach Insolvenzeröffnung hat der Treuhänder dem Vermieter gegenüber die Enthaftungserklärung nach § 109 I InsO abgegeben. Ansprüche des Vermieters aus dem Mietverhältnis können nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung also nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Durch die wirksame Enthaftungserklärung wird das Mietverhältnis nicht beendet, sondern mit dem Schuldner fortgesetzt.

Bislang ist höchstrichterlich nicht entschieden, ob die Erklärung gem. § 109 I InsO als Freigabe des gesamten Mietverhältnisses und damit auch des Rückforderungsanspruchs auf die Mietkaution zu werten ist. Nunmehr hat der BGH in seiner Entscheidung vom 22.05.2014 entschieden, dass die Enthaftungserklärung dazu führt, dass im Insolvenzverfahren der Mieter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mietvertragsverhältnis zurückerhält. Der BGH wies in der Begründung seiner Entscheidung auf die Parallelität zur Freigeabeerklärung nach § 35 II InsO hin. Dementsprechend habe die Enthaftungserkärung die Überleitung eines Vertragsverhältnisses auf den Schuldner zur Folge, auch wenn die Erklärung kraft Gesetzes gegenüber dem Vermieter und nicht dem Schuldner abgegeben werde. Grundsätzlich betreffe die freigabeähnliche Erklärung das Vertragsverhältnis im Ganzen. Mit der Freigabe sei die allgemeine Überleitung des Vertragsverhältnisses von der Masse auf den Schuldner verbunden.

Die Frage, ob auch der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution unter die allgemeine Überleitung des Mietverhältnisses auf den Schuldner fällt oder ob der Anspruch weiterhin bei der Masse verbleibt, weil er bereits vor Insolvenzeröffnung entstanden ist, hat der BGH offen gelassen.

Die sachbearbeitende Rechtspflegerin schließt sich hier den Ausführungen, die in InsbürO 9/2014, S. 392 ff. abgedruckt sind, an.

Bei der Freigabe nach § 35 II InsO verbleiben die Altforderungen des Schuldners aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung in der Masse. Die Überführung eines bisher massezugehörigen, dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Rechts bzw. Vertragsverhältnisses in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners tritt bei einer Freigabe nur für die Zukunft ein. Nachdem der BGH bezüglich Enthaftungserklärung und Freigabeerklärung gem. § 35 II InsO eine Parallelität sieht, verbleibt der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution, der bereits vor Insolvenzeröffnung entstanden ist, in der Masse. Zudem hat der Treuhänder in der Enthaftungserklärung vom 11.02.2014 den Vermieter F. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Mietkaution bei Beendigung des Mietverhältnisses mit schuldbefreiender Wirkung ausschließlich an das Insolvenzanderkonto auszukehren ist. Der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution bleibt also massezugehörig.

Den Ausführungen in InsbürO ist weiter auch zu entnehmen, dass vertreten wird, dass der Schuldner im Wege eines Vollstreckungsschutzantrags gem. § 4 InsO i. V. m.. § 765 a ZPO an das Insolvenzgericht erreichen könne, dass der Insolvenzverwalter die Kaution an den Schuldner herauszugeben hat, soweit dieser sie für die Anmietung einer neuen Wohnung benötigt. Der BGH lehnt dies jedoch ab, weil § 765 a ZPO es nicht ermögliche, der Masse kraft Gesetzes ausdrücklich zugewiesene Gegenstände wieder zu entziehen. § 765 a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besondere Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Die Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Anzuwenden ist § 765 a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubgers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Der BGH lässt sogar den Umstand, dass ein Schuldner infolge der Zwangsvollstreckung Sozialhilfe beantragen muss, für eine Anwendung des § 765 a ZPO nicht ausreichen.

Im Übrigen werde die Mietkaution aus dem beendeten Mietvertrag regelmäßig für einen neuen Mietvertrag viel zu spät frei. So liegt der Fall auch hier. Ausweislich des vom Treuhänder vorgelegten Kontoauszugs wurde die Kaution erst am 09.02.2015 auf das Insolvenzanderkonto ausgekehrt. Wie die Schuldnerin vorträgt, war die Kaution für das neue Mietverhältnis bereits zu Beginn des neuen Mietverhältnisses Anfang Januar komplett zu leisten. Die Schuldnerin hätte also, wie der Treuhänder vorträgt, ohnehin einen Privatkredit für die Stellung der Mietkaution aufnehmen müssen. Eine Herausgabe der vereinnahmten Mietkaution zur Rückzahlung des Privatdarlehens kommt nicht in Betracht. Es hat bei der angegriffenen Entscheidung zu verbleiben.

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Insolvenzordnung - InsO | § 6 Sofortige Beschwerde


(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginn

Insolvenzordnung - InsO | § 4 Anwendbarkeit der Zivilprozeßordnung


Für das Insolvenzverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. § 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen

Insolvenzordnung - InsO | § 35 Begriff der Insolvenzmasse


(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). (2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsi

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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13

bei uns veröffentlicht am 22.05.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 136/13 Verkündet am: 22. Mai 2014 Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

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(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.

(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.

(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 136/13 Verkündet am:
22. Mai 2014
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters oder
Treuhänders hinsichtlich der Wohnung des Schuldners erlangt der Mieter die Verwaltungs
- und Verfügungsbefugnis über das Mitvertragsverhältnis zurück. Dem Insolvenzverwalter
oder Treuhänder fehlt die Prozessführungsbefugnis, gegen den Vermieter
Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen an
die Masse für einen Zeitraum nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung geltend
zu machen.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 - IX ZR 136/13 - LG Berlin
AG Berlin-Lichtenberg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin
Möhring

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin vom 24. Mai 2013 und das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 12. September 2012 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin wurde mit Eröffnung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des K. (künftig: Schuldner) am 11. August 2009 zur Treuhänderin bestellt. Der Schuldner bewohnte eine von der Beklagten angemietete Wohnung in Berlin. Mit Schreiben vom 26. August 2009 an die Beklagte gab die Klägerin die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ab.
2
Die Klägerin begehrt Auszahlung eines Betriebskostenguthabens für den Abrechnungszeitraum 2010 in Höhe von 754,11 €, welches die Beklagte mit Schreiben vom 12. September 2011 der Klägerin mitgeteilt, aber an den Schuldner ausgekehrt hat.
3
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Abweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision ist begründet und führt zur Klageabweisung.

I.


5
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Klägerin sei zur Geltendmachung des Guthabenanspruchs befugt, weil dieser in die Masse falle. Die Enthaftungserklärung ändere hieran nichts. Diese habe nur zur Folge, dass Ansprüche , die nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Frist fällig werden , nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Durch die Erklärung werde der Mietvertrag jedoch nicht beendet, sondern vom Schuldner fortgesetzt. Die Regelung diene der Enthaftung der Masse für Ansprüche aus dem Mietverhältnis, denen sie sonst nach § 108 Abs. 1 InsO ausgesetzt wäre. Aus der Enthaftung folge aber keine Freigabe des Mietverhältnisses. Die Verwaltungs - und Verfügungsbefugnis über das Mietverhältnis falle nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nicht an den Schuldner zurück. Wie ein Kautionsrückzahlungsanspruch falle auch ein Anspruch auf ein nach Eröffnung entstandenes Betriebskostenguthaben in die Masse.

II.


6
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Klage ist bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch die Prozessführungsbefugnis.
7
Das Schreiben der Klägerin vom 26. August 2009, mit dem sie hinsichtlich der vom Schuldner bei der Beklagten angemieteten Wohnung die Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgab, hat zur Folge, dass nach Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses wieder auf den Schuldner überging.
8
1. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über, im vereinfachten Insolvenzverfahren gemäß § 313 Abs. 1, § 80 Abs. 1 InsO auf den Treuhänder. Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. § 108 Abs. 1 InsO verdrängt insoweit § 103 Abs. 1 InsO (BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - IX ZR 185/06, BGHZ 173, 116 Rn. 9), in der Insolvenz des Vermieters unter der Voraussetzung, dass die Mietsache im Zeit- punkt der Eröffnung bereits an den Mieter übergeben war (BGH, Urteil vom 5. Juli 2007, aaO Rn. 13 ff).
9
Der Verwalter hat das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO. Handelt es sich jedoch um die Wohnung des Schuldners, steht dem Verwalter nur die Möglichkeit der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Verfügung. Gibt der Verwalter die Enthaftungserklärung ab, verbleibt es bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO bei dem Fortbestehen des Mietverhältnisses mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - IX ZR 29/11, ZIP 2012, 784 Rn. 10). Nach Ablauf der Frist können jedoch gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO Ansprüche, die nach diesem Zeitpunkt fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden.
10
2. Die Frage, welche Auswirkungen die Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Frist für das betroffene Wohnraummietverhältnis hat, ist umstritten. Im Wesentlichen werden drei Meinungen vertreten.
11
a) Nach einer Auffassung beschränkt sich die Bedeutung der Enthaftungserklärung darauf, dass die Masse für die nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht mehr hafte. Das Mietverhältnis unterliege aber weiterhin dem Insolvenzbeschlag. Dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder komme weiterhin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses zu. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO lasse die Rechtswirkungen des § 80 Abs. 1 InsO (gegebenenfalls iVm § 313 Abs. 1 InsO) unberührt (Uhlenbruck/Wegener, InsO, 13. Aufl., § 109 Rn. 21 ff; Jaeger/Jacoby, InsO, § 109 Rn. 57, 70 f; Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 109 Rn. 22; Eckert, NZM 2006, 803, 806; Flatow, NZM 2011, 607, 610; Cymutta, WuM 2008, 441, 443).
12
b) Nach anderer Auffassung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach Ablauf der Frist vollständig auf den Schuldner über (HK-InsO/ Marotzke, 6. Aufl. § 109 Rn. 16; Pape, NZM 2004, 401, 410 f; FK-InsO/ Wegener, 7. Aufl., § 109 Rn. 16; MünchKomm-InsO/Eckert, 3. Aufl., § 109 Rn. 54; BK-InsO/Goetsch, 2007, § 109 Rn. 10).
13
c) Nach einer dritten Ansicht fällt zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner zurück. Einzelne Forderungen aus dem Mietvertrag , wie diejenige auf Rückzahlung der Kaution, seien aber als Neuerwerb des Schuldners der Masse zuzuordnen (Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, 2007, § 109 Rn. 20; HmbKomm-InsO/Ahrendt, 4. Aufl., § 109 Rn. 22; GrafSchlicker /Breitenbücher, InsO, 3. Aufl., § 109 Rn. 12; Hain, ZInsO 2007, 192, 197; Heinze, ZInsO 2010, 1073).
14
3. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage bisher offen gelassen (BGH, Urteil vom 9. Mai 2012 - VIII ZR 327/11, NJW 2012, 2270 Rn. 32). Sie ist dahin zu entscheiden, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner übergeht (vgl. jetzt schon BGH, Urteil vom 9. April 2014 - VIII ZR 107/13, zVb).
15
a) Der Wortlaut der Vorschrift, der auf die Geltendmachung im Insolvenzverfahren abstellt, könnte zwar dafür sprechen, dass die Enthaftungserklärung nur Folgen für Passivansprüche hat, die der Vermieter nicht mehr gegen die Masse, sondern nur noch gegen den Schuldner persönlich geltend machen kann. Die Enthaftungserklärung tritt jedoch an die Stelle der Kündigung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO. Durch die Kündigung des Mietverhältnisses wird die Verbindung zur Masse für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist vollständig gelöst. Dies spricht dafür, Entsprechendes für die Enthaftungserklärung anzunehmen (BGH, Urteil vom 9. April 2014, aaO Rn. 14).
16
Durch die Enthaftungserklärung wird der Mietvertrag nicht beendet, er wird, sofern keine anderweitigen Beendigungsgründe eintreten, zwischen Schuldner und Vermieter fortgesetzt (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012, aaO Rn. 10 mwN; Amtliche Begründung zu § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, BT-Drucks. 14/5680 S. 27 zu Nr. 11). Der Mieter erhält dadurch die Möglichkeit, durch die Übernahme der Mietzahlung und der Nebenkostenvorauszahlung aus seinem freien Vermögen die Wohnung zu behalten (BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 - IX ZR 84/07, ZIP 2008, 1736 Rn. 22).
17
b) Bliebe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters im Übrigen für das Mietverhältnis bestehen, hätte dies für die Masse erhebliche Nachteile. Ansprüche des Mieters gegen den Vermieter, etwa auf Mängelbeseitigung , Schadensersatz oder Minderung des Mietzinses, müssten vom Verwalter oder Treuhänder auf Kosten der Masse geltend gemacht werden. Die Erklärungen des Vermieters könnten umgekehrt nur dem Verwalter oder Treuhänder gegenüber abgegeben werden, der sie an den Schuldner weiterleiten müsste (Abmahnungen, Kündigung, Mieterhöhungsverlangen, Betriebskostenabrechnung ). Prozesse müssten für den Schuldner auf Kosten der Masse geführt werden , ohne dass dem für die Masse Vorteile gegenüberstünden. Zudem könnte sich infolge des besonderen Aufwands des Verwalters dessen Vergütung durch Zuschläge gemäß § 3 Abs. 1 InsVV zum Nachteil der Masse erhöhen.
18
c) Für den Schuldner wäre es äußerst unpraktikabel, wenn er Erklärungen gegenüber dem Vermieter nicht selbst, sondern nur durch den Verwalter mit dessen Einverständnis abgeben könnte. Eine eigene Kündigungserklärung durch den Mieter wäre bei fortbestehender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters unwirksam. Der Verwalter selbst könnte aber nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Kündigungserklärung überhaupt nicht abgeben. Eine derartige Bindung des Schuldners an den Mietvertrag kann nicht angenommen werden. Deswegen wird selbst von der Meinung, die das Verwaltungs- und Verfügungsrecht weiterhin beim Verwalter sieht, eine Kündigungsmöglichkeit bejaht. Hierfür wird etwa eine Einschränkung der Verwaltungsbefugnis des Verwalters hinsichtlich der Kündigung (Uhlenbruck/Wegener, aaO Rn. 21) angenommen oder ein Zusammenwirken zwischen Verwalter und Schuldner zu einer gemeinsamen Kündigung für notwendig erachtet (MünchKomm-InsO/Eckert, aaO Rn. 55).
19
d) Für den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung spricht auch der Schutz des Vermieters. Diesem dürfen bestehende Aufrechnungsmöglichkeiten nicht dadurch entzogen werden, dass die nach § 387 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der Ansprüche durch die Enthaftungserklärung aufgelöst wird. Könnte der Vermieter danach entstehende Ansprüche nur gegen den Schuldner geltend machen, während gegen ihn gerichtete neue Ansprüche aus dem Mietvertrag der Masse zuständen, hätte er wegen der Unzulässigkeit der Aufrechnung Nachteile hinzunehmen, die mit dem Wesen des an sich unverändert fortgesetzten Mietvertrages nicht vereinbar wären. Selbst wenn man § 404 BGB entsprechend anwenden würde, stände einer Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO entgegen.
20
e) Im Ergebnis kann nichts anderes gelten als bei einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO.
21
aa) Nach dieser Vorschrift muss der Insolvenzverwalter hinsichtlich einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners in jedem Fall erklären, ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei der Schaffung dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber an § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO orientiert (BT-Drucks. 16/3227 S. 17 zu Nr. 12; BAG, ZIP 2014, 339 Rn. 21).
22
Zu § 35 Abs. 2 InsO hat der Senat bereits entschieden, dass sich die Freigabe auf das Vermögen des Schuldner erstreckt, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 19). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft im Unterschied zur echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten. Die Freigabe verwirklicht sich mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner. Die Erklärung zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leitet die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners um (BGH, aaO Rn. 19). Der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zur Freigabe auch von Vertragsverhältnissen hat in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hinreichend Ausdruck gefunden (BGH, aaO Rn. 21 f).
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bb) Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bei Einführung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Gesetzgeber zwar nicht die in § 109 Abs. 1 ge- regelten Fristen in Bezug genommen, weshalb solche bei der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht einzuhalten sind (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 23 ff; BAG, ZIP 2014, 339 Rn. 21). Die Bezugnahme macht aber deutlich, dass auch die freigabeähnliche Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO das Vertragsverhältnis als Ganzes betrifft. Auch § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO regelt, wie § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, an sich nur, ob Ansprüche aus der selbständigen Tätigkeit "im Insolvenzverfahren" geltend gemacht werden können. Auch hier betrifft der Wortlaut also lediglich Ansprüche gegen die Masse. Ansprüche aus freigegebenen Vertragsverhältnissen können jedoch bei § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO nur vom Schuldner geltend gemacht werden. Mit der Freigabeerklärung ist die allgemeine Überleitung des Vertragsverhältnisses von der Masse auf den Schuldner verbunden. Nur dies ermöglicht eine klare Abgrenzung der die Masse und der den Schuldner treffenden, aus der selbständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten (BGH, aaO Rn. 27).
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Auch die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO muss wie die Regelung in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO eine solche Überleitung des Mietverhältnisses von der Masse auf den Schuldner zur Folge haben, weil nur so den Belangen der Beteiligten angemessen Rechnung getragen und in der gebotenen Klarheit der rechtliche Rahmen für die Fortsetzung des Mietverhältnisses geschaffen werden kann. Nur so können, wie bei § 35 Abs. 2 InsO, die zahlreichen Zweifelsfragen geklärt werden, die sich andernfalls aus dem unklaren Wortlaut der Regelung ergeben würden.
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cc) Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist allerdings , anders als die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO, nicht gegenüber dem Schuldner abzugeben, sondern gegenüber dem Vermieter. Dies erklärt sich zum einen daraus, dass dessen Rechte gegen die Masse nach § 108 Abs. 1 InsO beschränkt werden, zum anderen aus dem Umstand, dass die Person des Vermieters bekannt ist. Ihm gegenüber kann die Erklärung abgegeben werden. Daneben ist der Schuldner zu informieren (MünchKommInsO /Eckert, aaO Rn. 50).
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Eine derartige Erklärung gegenüber allen Vertragspartnern des Schuldners bei einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO ist dagegen nicht möglich , weil regelmäßig nicht alle Vertragspartner feststellbar sein werden, zumal sich die Freigabe auch auf künftige Verträge bezieht. Deshalb genügt hier eine Erklärung gegenüber dem Schuldner, die allerdings gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO dem Gericht gegenüber anzuzeigen und nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO von diesem öffentlich bekannt zu machen ist. Die Wirksamkeit der Freigabe tritt zwar schon mit der Erklärung gegenüber dem Schuldner ein. Durch die anschließende Veröffentlichung der Freigabeerklärung werden die Gläubiger und der Geschäftsverkehr jedoch informiert, so dass bei Verfahrensbeteiligten und Dritten keine Unklarheiten im Zusammenhang mit den durch den Schuldner im Rahmen der selbständigen Tätigkeit und den freigegebenen Vertragsverhältnissen abgegebenen Erklärungen auftreten (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 24). Eines solchen besonderen Schutzes durch öffentliche Bekanntmachung bedarf es bei § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht.
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dd) Der Umstand, dass den Schuldner nach der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO eine Abführungspflicht an die Masse nach dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO trifft (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. Juni 2013 - IX ZB 38/10, WM 2013, 1612 Rn. 20; Urteil vom 13. März 2014 - IX ZR 43/12, WM 2014, 751 Rn. 17), steht einer Gleichbehandlung der Regelungen hinsichtlich ihrer freigabeähnlichen Wirkungen nicht entgegen. Die Abführungspflicht im laufenden Insolvenzverfahren besteht nur, soweit der Schuldner mit seiner Tätigkeit tatsächlich Gewinn erzielt. Sie ist der Höhe nach gemäß dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO beschränkt (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2013, aaO Rn. 11 ff). Es soll damit verhindert werden, dass er besser gestellt ist als ein unselbständig tätiger Schuldner, dessen pfändbares Einkommen in die Masse fällt. Bei der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO bedarf es eines solchen Ausgleichsmechanismusses nicht, weil aus dem Mietvertrag für den Schuldner als Mieter kein Gewinn zu erzielen ist. Selbständige und Unselbständige sind zudem gleichermaßen betroffen.
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ee) Durch die freigabeähnliche Wirkung der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und den dadurch bewirkten Übergang der Verwaltungs - und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses auf den Schuldner geht den Gläubigern keine Haftungsmasse verloren. Die Forderungen des Vermieters muss der Schuldner aus seinem insolvenzfreien Vermögen befriedigen, auf das die Gläubiger auch außerhalb des Insolvenzverfahrens keinen Zugriff hätten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 - IX ZR 84/07, ZIP 2008, 1736 Rn. 22).
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ff) Ob die Entstehung oder Realisierung eines dem Schuldner aus dem Mietverhältnis zustehenden Anspruchs, etwa auf Auszahlung eines Nebenkostenguthabens , als Neuerwerb in die Masse fällt und vom Schuldner an den Verwalter abgeführt werden muss, ist im vorliegenden Prozess des Verwalters gegen den Vermieter nicht entscheidungserheblich und kann offen bleiben.
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Der Senat weist aber auf folgendes hin:
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(1) Bezieht der Schuldner Arbeitslosengeld II, ist ein Erstattungsanspruch aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung des Vermieters unpfändbar, weil die entsprechende Rückzahlung gemäß § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 SGB II nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II (früher § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II) die Leistungen des Folgemonats an den Hilfeempfänger mindert. Wäre in diesem Fall die Pfändung zulässig, würde sie nach dem Gesetz zu Lasten öffentlicher Mittel erfolgen, die dem Leistungsbezieher das Existenzminimum sichern. Da hiernach der Anspruch unpfändbar ist, fällt er gemäß § 36 Abs. 1 InsO auch nicht in die Masse (BSGE 112, 85 Rn. 16 ff; BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - IX ZR 310/12, NJW 2013, 2819 Rn. 8).
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(2) Im Übrigen ist allerdings anerkannt, dass zu dem nach Verfahrenseröffnung begründeten Neuerwerb nicht nur das pfändbare Arbeitseinkommen gehört, sondern auch Gegenstände, die mit insolvenzfreien Mitteln erworben wurden, ebenso der Erlös beim Verkauf einer unpfändbaren Sache. Gleiches gilt für das aus dem unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens angesparte Vermögen (BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - IX ZB 247/11, ZIP 2013, 2112 Rn. 8 mwN). Hinsichtlich dieser als Neuerwerb zur Masse gehörenden Gegenstände besteht für Insolvenzgläubiger das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Der Verwalter oder Treuhänder kann aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses gemäß § 148 Abs. 2 InsO die Herausgabe der Gegenstände oder die Abtretung derartiger Forderungen verlangen.
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(3) Das gilt indessen nicht bei freigegebenen Gegenständen. Wird eine Forderung freigegeben, fällt ein mit deren Beitreibung erzieltes Vermögen nicht gemäß § 35 InsO in die Masse (BGH, Urteil vom 21. April 2005 - IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32, 37 unter III).

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(4) Ist nicht ein einzelner Gegenstand freigegeben, sondern die selbständige Tätigkeit des Schuldners, können die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, auf die ab diesem Zeitpunkt durch die selbständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist dagegen die Vollstreckung gemäß § 89 InsO in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 28). Eine Herausgabevollstreckung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders aus § 148 Abs. 2 InsO ist hinsichtlich solcher Gegenstände nicht möglich (BGH, Urteil vom 13. März 2014 - IX ZR 43/12, WM 2014, 741 Rn. 12 f).
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(5) Wegen der Parallelität der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO mit der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt es nahe, dass für das von der Enthaftungserklärung betroffene Mietverhältnis dieselben Grundsätze Anwendung finden, die bei der Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten.
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gg) Der Gesetzgeber ist allerdings möglicherweise davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution in die Masse falle, weil er bereits vor Verfahrenseröffnung entstanden sei. Dieser Anspruch könne jedoch vom Insolvenzverwalter erst nach Beendigung des Mietverhältnisses geltend gemacht werden (BT-Drucks. 14/5680 S. 27 zu Nr. 11). Ob dabei die Auswirkungen der Enthaftungserklärung auf den Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution ausreichend bedacht worden sind, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Offenbar ist aber davon ausgegangen worden, dass es bei diesem Anspruch der Masse trotz der Enthaftungserklärung des Verwalters verbleiben würde. Ein zwingender Umkehrschluss, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus diesem Grund beim Insolvenzverwalter verbleiben sollte , ergibt sich aber aus diesen Annahmen der Gesetzesbegründung nicht.
Kayser Vill RinBGH Lohmann ist erkrankt und kann nicht unterschreiben Kayser
Pape Möhring

Vorinstanzen:
AG Berlin-Lichtenberg, Entscheidung vom 12.09.2012 - 11 C 113/12 -
LG Berlin, Entscheidung vom 24.05.2013 - 63 S 627/12 -

(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

Für das Insolvenzverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. § 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.