Landgericht Kempten (Allgäu) Beschluss, 14. Okt. 2015 - 43 T 713/15

bei uns veröffentlicht am14.10.2015

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 23.02.2015 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt EUR 700,00.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 23.02.2015 hat das Amtsgericht als Insolvenzgericht den Antrag der Schuldnerin vom 08.01.2015 auf Freigabe des beim vormaligen Vermieter ... aufgrund des Mietvertrages vom 31.01.2012 hinterlegten Kautionsguthabens in Höhe von EUR 700,00 zuzüglich Zinsen zurückgewiesen. Dabei hat es berücksichtigt, dass der Treuhänder am 11.02.2014 die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 InsO abgegeben hatte, so dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses auf die Schuldnerin übergegangen war.

Im Hinblick auf die Streitfrage, wem der Kautionsrückzahlungsanspruch nach der Enthaftungserklärung zuzuordnen ist, hat das Amtsgericht im Beschluss über die Nichtabhilfe vom 08.05.2015 ausführlich dargelegt, dass der Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution trotz Enthaftungserklärung massezugehörig bleibt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die genannten Beschlüsse (Blatt 129 f., Blatt 152-157 d. A.) Bezug genommen.

Nachdem das Amtsgericht der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Schuldnerin vom 11.03.2015 nicht abgeholfen und sie dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt hat, wurde das Verfahren dem Gesamtspruchkörper übertragen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

2. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht. Zur Begründung und zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird zunächst auf den zutreffenden Inhalt des ausführlich begründeten amtsgerichtlichen Beschlusses über die Nichtabhilfe vom 08.05.2015 Bezug genommen.

Die Frage der Auswirkung der Enthaftungserklärung des Verwalters zur Mietwohnung des Schuldners nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO auf die Massezugehörigkeit des Rückzahlungsanspruchs der Mietkaution ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Sie wurde vom BGH - zuletzt in der Entscheidung vom 09.10.2014 - IX ZA 20/14 - bisher nicht beantwortet und in der Entscheidung vom 09.04.2014 - VIII ZR 107/13 - ausdrücklich offen gelassen.

Allerdings wird in dieser Entscheidung ausgeführt, dass der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen ist, dass die Mietkaution (bzw. der bedingte Rückgewähranspruch) in die Masse fällt (so auch in der Entscheidung vom 22.05.2014 - IX ZR 136/13).

Mit der Enthaftungserklärung gem. § 109 Abs. 1 S. 2 InsO wollte der Gesetzgeber verhindern, dass das private Mietverhältnis des Schuldners vom Verwalter gekündigt wird, um die Kaution zur Masse zu ziehen. Da das Mietverhältnis nicht beendet wird, ist der Rückzahlungsanspruch nicht fällig und kann vom Verwalter nicht zur Masse gezogen werden, solange das Mietverhältnis besteht (Bundestagsdrucksache 14/5680, Seite 27 zu Nr. 11).

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Anspruch vom Insolvenzverwalter nach Beendigung des Mietverhältnisses geltend gemacht werden kann. Dafür spricht auch, dass dem Mieter mit Leistung der Mietkaution ein Anwartschaftsrecht zusteht am Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution. Dieser Rückzahlungsanspruch steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Mietvertrag endet und der Vermieter die Mietsicherheit nicht oder nicht vollständig verbraucht. Dieses Anwartschaftsrecht ist pfändbar und damit grundsätzlich Teil der Insolvenzmasse gem. § 35 InsO.

Auch wenn man die Enthaftungserklärung mit der Freigabe gem. § 35 Abs. 2 S. 1 InsO vergleicht, führt dies zu keinem anderen Schluss. Auch bei der Freigabeerklärung verbleiben die Altforderungen des Schuldners aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung in der Masse. Die Überführung eines bislang massezugehörigen, dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Rechts bzw. Vertragsverhältnisses in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners tritt auch bei einer Freigabe nur für die Zukunft ein.

Es handelt sich daher bei dem Kautionsrückzahlungsanspruch nicht um eine künftige Forderung und bei seiner Auszahlung auch nicht um einen Neuerwerb. Er entstand bereits mit Zahlung der Kaution als Anwartschaftsrecht am Anspruch auf Rückzahlung der Mietkaution, der unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass der Mietvertrag endet und der Vermieter die Mietsicherheit nicht oder vollständig verbraucht. Trotz Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mietvertragsverhältnis auf den Mieter verbleibt dieser Anspruch daher bei der Masse.

3. Danach war aber die Beschwerde der Schuldnerin mit der Kostenfolge aus § 4 InsO, § 97 ZPO zurückzuweisen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens entspricht dem Wert der Kaution.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, nachdem die gegenständliche Rechtsfrage bisher höchstrichterlich nicht entschieden wurde.

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(1) Ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, kann der Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung kündigen; die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Ist Gegenstand des Mietverhältnisses die Wohnung des Schuldners, so tritt an die Stelle der Kündigung das Recht des Insolvenzverwalters zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Kündigt der Verwalter nach Satz 1 oder gibt er die Erklärung nach Satz 2 ab, so kann der andere Teil wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses oder wegen der Folgen der Erklärung als Insolvenzgläubiger Schadenersatz verlangen.

(2) Waren dem Schuldner der unbewegliche Gegenstand oder die Räume zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens noch nicht überlassen, so kann sowohl der Verwalter als auch der andere Teil vom Vertrag zurücktreten. Tritt der Verwalter zurück, so kann der andere Teil wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses als Insolvenzgläubiger Schadenersatz verlangen. Jeder Teil hat dem anderen auf dessen Verlangen binnen zwei Wochen zu erklären, ob er vom Vertrag zurücktreten will; unterläßt er dies, so verliert er das Rücktrittsrecht.

(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).

(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.

(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.

Für das Insolvenzverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. § 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)