Amtsgericht Gummersbach Beschluss, 15. Okt. 2014 - 81 Ds-922 Js 2198/14-326/14
Gericht
Tenor
Der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten hat die Staatskasse zu tragen.
1
Gründe
2Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat – nämlich der ihm in der Anklage vorgeworfenen - hinreichend verdächtig erscheint, die Verurteilung des Angeschuldigten auf der Grundlage der Anklage mithin wahrscheinlich ist.
3Diese Voraussetzung ist indes nicht erfüllt.
4Die Anklage wirft dem Angeschuldigten vor, am 24.01.2014 in F. durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung anderer Personen verursacht zu haben (§§ 229, 230 StGB).
5Er habe am Tattag gegen 18:30 Uhr mit einem Pkw unter anderem die Bundesautobahn 0 in Richtung I. befahren. Infolge Unachtsamkeit sei er auf das vor ihm abbremsende Fahrzeug des Zeugen L. aufgefahren. Durch die Wucht des Aufpralls sei das Fahrzeug des Zeugen auf das Fahrzeug des Zeugen T. geschoben worden. Dadurch habe der Angeschuldigte einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem die Zeugen L., T. sowie die Zeugen T., E. und T. J. und A. E. leicht verletzt worden seien. Bei Beachtung der im Straßenverkehr notwendigen Sorgfalt habe er den Unfall vermeiden können.
6Der Angeschuldigte hat den Tatvorwurf bestritten. Er hat sich dahingehend eingelassen, er habe mit dem von ihm geführten PKW die A 0 mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 km/h auf der linken Spur befahren. Es sei wenig Verkehr und die Sicht sei frei gewesen. Er sei mit voller Aufmerksamkeit gefahren, ohne abgelenkt zu werden. Beim Zufahren auf eine Bergkuppe in einer lang gezogenen Rechtskurve habe der Verkehr auf der rechten Fahrspur gestoppt bzw. begonnen sich zu stauen. Er, der Angeschuldigte, habe deshalb begonnen, sein Fahrzeug zu verlangsamen, obwohl die linke Spur frei gewesen sei. In dieser Situation sei plötzlich ein PKW, nämlich der von dem Zeugen L. gesteuerte PKW, in einigem Abstand vor dem Angeschuldigten sehr langsam (etwa Schrittgeschwindigkeit) aus dem Stand auf die Spur des Angeschuldigten gefahren. Dies sei erfolgt, ohne einen Blinker zu setzen. Auch sei keine Warnblinkanlage eingeschaltet worden. Als der Angeschuldigte das Ausscheren des PKW bemerkt habe, habe er sofort eine Vollbremsung vollzogen. Der Bremsweg habe jedoch nicht ausgereicht, um ein Auffahren zu verhindern. So sei es zum Aufprall gekommen. Für den Angeschuldigten sei der beginnende Rückstau auf der rechten Spur aufgrund der örtlichen Verhältnisse erst zu einem sehr späten Zeitpunkt einsehbar gewesen. Er habe sofort mit der Verlangsamung seines PKW begonnen, um seine Geschwindigkeit an die neue Verkehrssituation anzupassen. Auf die von ihm befahrene Fahrspur – welche aus seiner Perspektive noch frei gewesen sei – sei der PKW des Zeugen L. plötzlich mit extrem langsamer Geschwindigkeit gezogen. Er, der Angeschuldigte, habe sofort mit einer Vollbremsung begonnen.
7Nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens erscheint der Angeschuldigte einer Straftat nicht hinreichend verdächtig. Dabei kann dahinstehen, dass der von der Staatsanwaltschaft angenommene Sorgfaltspflichtverstoß in der Anklageschrift nicht näher konkretisiert ist (In der Anklageschrift heißt es, der Angeschuldigte sei unachtsam gewesen. In der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 24.09.2014 heißt es, der Angeschuldigte sei mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren.). Denn der Sachverhalt ist nicht ausermittelt. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen ist die Einlassung des Angeschuldigten, der Zeuge L. habe einen plötzlichen, für den Angeschuldigten überraschenden, Spurwechsel bei sehr langsamer Geschwindigkeit vorgenommen, aufgrund dessen der dem Angeschuldigten zur Verfügung stehende Bremsweg derart verkürzt worden sei, dass dieser trotz unmittelbar eingeleiteter Vollbremsung die Kollision der Fahrzeuge nicht habe vermeiden können, nicht widerlegbar. Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 24.09.2014 darauf verweist, der vom Angeschuldigten behauptete plötzliche Spurwechsel werde von keinem Zeugen bestätigt, ist zu bemerken, dass ein Spurwechsel des Zeugen L. sowohl von diesem selbst (Bl. 00 der Akte) als auch von dem Zeugen E. J. (Bl. 00 der Akte) bestätigt wurde. Zutreffend ist insoweit, dass die beiden Zeugen keinen plötzlichen Spurwechsel geschildert haben, der für den Angeschuldigten überraschend gewesen sein könnte. Vor dem Hintergrund, dass die Zeugen nicht polizeilich vernommen worden sind sondern sich lediglich schriftlich über Äußerungsbögen geäußert haben, wäre indessen eine Nachvernehmung dieser Zeugen sowie der weiteren Zeugen T. J. und T. J. zu der Einlassung des Angeklagten erforderlich gewesen, insbesondere zu den Fragen, wie weit der Zeuge L. nach hinten auf die linke Spur blicken konnte, als er den Spurwechsel vollzogen hat, wie kurz vor der Kollision der Spurwechsel erfolgt ist und mit welcher Geschwindigkeit dieser erfolgte.. Die Staatsanwaltschaft hat nach Hinweis des Gerichts auf die bestehenden Bedenken und den nicht ausermittelten Sachverhalt (Bl. 00 der Akte) von den erforderlichen Nachvernehmungen abgesehen. Hiernach war die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts nach Aktenlage abzulehnen.
8Es bestand für das erkennende Gericht auch keine Rechtspflicht nach § 202 StPO, durch eigene (umfangreiche) Ermittlungen im Zwischenverfahren die Grundlage für den hinreichenden Tatverdacht erst noch zu schaffen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes stehen Ermittlungen im Zwischenverfahren im Ermessen des Gerichts. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den in § 202 StPO benannten Beweiserhebungen um solche zur einzelnen Ergänzung oder Überprüfung eines im Ermittlungsverfahren grundsätzlich bereits aufgeklärten Sachverhalts handelt. Für Ermittlungen nach § 202 StPO ist dann kein Raum, wenn erst durch eine Ermittlungsanordnung des Gerichts ein hinreichender Tatverdacht geschaffen werden muss (vgl. LG Köln – Beschluss vom 16. November 2011- 110 Qs 19/11).
9Das Gericht ist nämlich nicht der „Libero der Anklagebehörde“ (KK-Schneider, 7. Aufl. 2013, § 202 StPO Rn. 3; LG Köln – 111 Qs 497/09)
10Im Zwischenverfahren kommen eingedenk der strukturellen Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht nur einzelne ergänzende richterlich veranlasste Beweiserhebungen in Betracht. Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung des von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Anklagevorwurfs sind gesetzlich nicht vorgesehen (KK-Schneider, 7. Aufl. 2013, § 202 StPO Rn. 2; OLG Karlsruhe wistra 2004, 276, 279; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2009, 88; OLG Celle StV 2012, 456, 457; LG Berlin NStZ 2003, 504 mit Anm Lilie NStZ 2003, 568; Meyer-Goßner, § 202 Rn 1; Stuckenberg LR Rn 3; Radtke/Hohmann/Reinhart Rn 1; Eisenberg JZ 2011, 672; Beulke Rn 355). Gleichermaßen unstatthaft sind umfangreiche Beweisaufnahmen wie etwa die Vernehmung zentraler Zeugen zur Vorabklärung der Belastbarkeit ihrer Angaben; hierin läge ein von Rechts wegen nicht vorgesehener Vorgriff auf die Hauptverhandlung (Paeffgen SK StPO Rn. 3; Stuckenberg LR Rn 2).
11Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.
moreResultsText
Annotations
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 und die fahrlässige Körperverletzung nach § 229 werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Stirbt die verletzte Person, so geht bei vorsätzlicher Körperverletzung das Antragsrecht nach § 77 Abs. 2 auf die Angehörigen über.
(2) Ist die Tat gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts.
Bevor das Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet, kann es zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.