Urteils-Kommentar zu Verwaltungsgericht Gera Urteil, 15. März 2024 - 5 K 704/23 Ge von Dirk Streifler

bei uns veröffentlicht am13.07.2024

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

EnglischDeutsch

Zusammenfassung und Urteilsbesprechung

Sachverhalt: Das Verwaltungsgericht Gera befasste sich mit der Klage einer Soloselbständigen, die eine Änderung des Schlussbescheides zur Billigkeitsleistung des Bundes in Form einer Corona-Überbrückungshilfe ("Neustarthilfe") begehrte. Die Klägerin hatte aufgrund eines Abrechnungsfehlers durch ihren Steuerberater einen niedrigeren Betrag als ursprünglich bewilligt erhalten. Konkret wurde in der Endabrechnung der ausgezahlte Förderbetrag als Umsatz angegeben, was zu einer Rückforderung von 1.018,65 Euro führte.

Kernaussage des Urteils: Das Gericht entschied, dass Abrechnungsfehler, die in der Sphäre des Fördermittelantragstellers liegen, grundsätzlich nicht zu einer Verpflichtung der Behörde führen, den Schlussbescheid zu ändern. Eine Ausnahme kann nur in besonderen Fällen gemacht werden, die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelt wurden. Die Klägerin konnte in ihrem Fall jedoch keine solchen besonderen Umstände darlegen.

 

Entscheidungsgründe

1. Fehlerhafte Endabrechnung: Die Klägerin gab an, dass ihr Steuerberater versehentlich den ausgezahlten Förderbetrag als Umsatz eingetragen hatte. Dieser Fehler wurde erst nach Erlass des Schlussbescheides bemerkt. Die Beklagte, die Thüringer Aufbaubank, lehnte eine Korrektur des Bescheides ab und verwies auf die Verantwortung des Steuerberaters.

2. Vertrauen auf sachkundige Dritte: Das Gericht bestätigte, dass die Verwaltungspraxis der Thüringer Aufbaubank korrekt war, die Angaben des Steuerberaters der Klägerin ohne tiefgehende Prüfung zu akzeptieren. Dies ist in Massenverfahren wie der Neustarthilfe notwendig, um den Verwaltungsaufwand in vertretbaren Grenzen zu halten.

3. Keine offensichtliche Rechtswidrigkeit: Der Schlussbescheid wurde auf Grundlage der eingereichten und bestätigten Daten erstellt. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass der Fehler so offensichtlich war, dass die Behörde ihn hätte bemerken müssen.

4. Ermessensentscheidung: Die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 ThürVwVfG liegt im Ermessen der Behörde. Eine Ermessensreduktion auf Null liegt nur vor, wenn die Aufrechterhaltung des Bescheides "schlechthin unerträglich" wäre. Dies ist in Fällen gegeben, in denen z.B. ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliegt oder die Behörde sich treuwidrig verhält. Solche Umstände lagen hier nicht vor.

5. Haftung des Steuerberaters: Das Gericht verwies die Klägerin auf mögliche Haftungsansprüche gegen ihren Steuerberater, der den Abrechnungsfehler verursacht hatte.

 

Urteil: Die Klage wurde abgewiesen, da der Schlussbescheid formell und materiell rechtmäßig war und keine Rechtsverletzung der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses vorlag. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Bedeutung für die Praxis: Dieses Urteil verdeutlicht die Bedeutung der korrekten Dateneingabe durch Steuerberater und die Grenzen der behördlichen Nachprüfungspflicht in Massenverfahren. Die Verantwortung für Abrechnungsfehler liegt primär beim Antragsteller und dessen Berater. Eine Korrektur des Schlussbescheides kann nur in Ausnahmefällen verlangt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine Ermessensreduktion auf Null rechtfertigen.

 

Fazit

Für Rechtsanwälte bedeutet dieses Urteil, dass bei der Beratung von Mandanten zur Beantragung und Abrechnung von Fördermitteln besonderes Augenmerk auf die Sorgfaltspflicht gelegt werden muss. Fehler durch Berater können zu erheblichen finanziellen Nachteilen führen, die nicht ohne Weiteres durch eine Korrektur der Bescheide kompensiert werden können. Rechtsmittel gegen solche Bescheide sind nur erfolgreich, wenn klar ersichtlich ist, dass die Behörde ihre Ermessensspielräume falsch genutzt hat oder ein grober Verstoß gegen geltendes Recht vorliegt.

Show what you know!
Artikel schreiben

Artikel zu passenden Rechtsgebieten

Artikel zu Verwaltungsrecht

Rückforderung von Corona-Soforthilfen: Rechtliche Aspekte und Handlungsempfehlungen für Betroffene

30.04.2024

Rückforderung von Corona-Soforthilfen Die Rückforderung von Corona-Soforthilfen hat in jüngster Zeit verstärkt die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, insbesondere im Zusammenhang mit rechtlichen Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit solcher

Bundesverfassungsgericht stärkt Recht auf faire Verfahren: Klare Vorgaben für Wiederaufnahme nach EMRK-Verstoß

07.02.2024

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in einem heute veröffentlichten Beschluss einer rechtskräftig verurteilten Frau teilweise stattgegeben, die gegen die Ablehnung einer Wiederaufnahme ihres Strafverfahrens geklagt hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte zuvor eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgestellt. Die Beschwerdeführerin war wegen Mordes an ihrem Ehemann zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ein Richter, der auch am Urteil gegen den ehemaligen Lebensgefährten der Frau beteiligt war, wirkte ebenfalls an ihrem Verfahren mit. Nach der Feststellung des EGMR, dass dies einen Konventionsverstoß darstellte, beantragte die Frau die Wiederaufnahme ihres Verfahrens. Dies wurde vom Landgericht abgelehnt, und das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde zurück, da die Frau nicht darlegen konnte, dass das Urteil auf dem Konventionsverstoß beruhte. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das Oberlandesgericht den Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin verletzte. Die Anforderungen an die Darlegung des Konventionsverstoßes seien unerfüllbar und unzumutbar. Das Gericht verkenne, dass der Konventionsverstoß nicht nur einen möglicherweise voreingenommenen Richter betraf, sondern bereits dessen Einflussnahme im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin. Die Sache wurde an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die aufgestellten Anforderungen seien sachlich nicht gerechtfertigt und dürften nicht zu einer generellen Ausschließung von Wiederaufnahmen führen, wenn ein Konventionsverstoß festgestellt wurde. Dies würde einen Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen schaffen, die aus einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter resultieren.

EuGH: Geldbußen nach Datenschutz-Grundverordnung

06.12.2023

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass Geldbußen nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nur bei schuldhaftem Verstoß gegen die Verordnung verhängt werden können, sei es vorsätzlich oder fahrlässig. Die Schuldhaftigkeit gilt auch für juristische Personen, und die Höhe der Geldbuße für Unternehmen richtet sich nach dem weltweiten Jahresumsatz. Die Entscheidung schafft Klarheit in Bezug auf die Verantwortlichkeit, gemeinsame Verantwortlichkeit und die Berechnung von Geldbußen im Rahmen der DSGVO. Dirk Streifler – Streifler&Kollegen – Rechtsanwälte Berlin

Analyse der Untersagung einer Pro-Palästina-Versammlung in Frankfurt am Main

29.11.2023

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel hat eine für Samstagnachmittag geplante pro-palästinensische Versammlung mit dem Titel "Ein Freies Palästina" in Frankfurt am Main untersagt. Die Entscheidung basierte auf Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit, insbesondere aufgrund von vorangegangenen Vorfällen bei ähnlichen Versammlungen. Der VGH Kassel bestätigte die Untersagung in einer Eilentscheidung am selben Tag. Die Begründung umfasste die Befürchtung von gewalttätigen Auseinandersetzungen, strafbaren Handlungen und israelfeindlichen Äußerungen. Die Entscheidung wird auch vor dem Hintergrund eines Hamas-Angriffs auf Israel und eines Betätigungsverbots für die Hamas in Deutschland betrachtet. In anderen deutschen Städten gab es unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen zu Pro-Palästina-Versammlungen. Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin
Verwaltungsrecht

VG Hannover: Impfschaden nach Corona-Impfung ist kein Dienstunfall

02.03.2023

Der Antrag einer Lehrerin auf Anerkennung erlittener Impfschäden als  Dienstunfall wurde abgewiesen (VG Hannover, Urteil vom 24.11.2022, Az.: 2 A 460/22). Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin