Onlinekommentar zu § 15b InsO
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Insolvenzordnung - InsO | § 15b Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung; Verjährung
(1) Die nach § 15a Absatz 1 Satz 1 antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person dürfen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen. Dies gilt nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.
(2) Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, gelten vorbehaltlich des Absatzes 3 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Im Rahmen des für eine rechtzeitige Antragstellung maßgeblichen Zeitraums nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 gilt dies nur, solange die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben. Zahlungen, die im Zeitraum zwischen der Stellung des Antrags und der Eröffnung des Verfahrens geleistet werden, gelten auch dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn diese mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden.
(3) Ist der nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt verstrichen und hat der Antragspflichtige keinen Antrag gestellt, sind Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.
(4) Werden entgegen Absatz 1 Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet. Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens. Soweit die Erstattung oder der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der juristischen Person erforderlich ist, wird die Pflicht nicht dadurch ausgeschlossen, dass dieselben in Befolgung eines Beschlusses eines Organs der juristischen Person gehandelt haben. Ein Verzicht der juristischen Person auf Erstattungs- oder Ersatzansprüche oder ein Vergleich der juristischen Person über diese Ansprüche ist unwirksam. Dies gilt nicht, wenn der Erstattungs- oder Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Erstattungs- oder Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder wenn ein Insolvenzverwalter für die juristische Person handelt.
(5) Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 gelten auch für Zahlungen an Personen, die an der juristischen Person beteiligt sind, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar. Satz 1 ist auf Genossenschaften nicht anwendbar.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch für die nach § 15a Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 zur Stellung des Antrags verpflichteten organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter.
(7) Die Ansprüche aufgrund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren. Besteht zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine Börsennotierung, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren.
(8) Eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten liegt nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 oder der Überschuldung nach § 19 und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a nachkommen. Wird entgegen der Verpflichtung nach § 15a ein Insolvenzantrag verspätet gestellt, gilt dies nur für die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung fällig werdenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet und ist dies auf eine Pflichtverletzung der Antragspflichtigen zurückzuführen, gelten die Sätze 1 und 2 nicht.
I. Historie und Zweck der Norm
Der § 15b InsO wurde zusammen mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) zum Januar 2021 in die Insolvenzordnung eingefügt. Sinn und Zweck des SanInsFoG ist im Allgemeinen die Neuregelung der Insolvenzantragspflicht ab dem 1.1.2021.
Der § 15b InsO ersetzt die spezialgesetzlichen Regelungen der § 64 S. 1 GmbHG, § 92 II AktG, §§ 130a, 177a HGB, § 99 GenG a.F. und führt diese inhaltlich rechtsformunabhängig in einer Norm zusammen.
Der Gesetzgeber reagierte hiermit auf die hohen Haftungsrisiken, denen ein Geschäftsführer im Falle drohender Insolvenz gegenübertritt. Zweck der Norm ist jedoch weiterhin vor allem die bestmögliche Wahrung der Gläubigerinteressen. Dies soll insbesondere damit erreicht werden, dass eine mögliche Sanierung der Gesellschaft nicht durch zu strenge Haftungsregelungen für die Geschäftsführer unmöglich gemacht wird.
II. Regelungsinhalt
1. Ausgangslage
Wie bisher beispielsweise in § 64 GmbHG a.F. geregelt war, darf der Geschäftsführer einer Gesellschaft nach Eintritt eines Insolvenzgrundes (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit) grundsätzlich keinerlei Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen mehr leisten (§ 15b Abs. 1 S. 1 InsO). Dies gilt nach Abs. 1 S. 2 jedoch nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Gesellschafters vereinbar sind.
Zahlungen in diesem Sinne sind auch wie unter der alten Rechtslage nicht nur Geldleistungen, sondern auch andere Vermögensabflüsse (Begr. RegE, BT-Drs. 19/24181, 194; Gehrlein DB 2020, 2393; Hodgson NZI-Beilage 2021, 85).
2. Ausnahmetatbestände
Ausdifferenzierungen dazu, was mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Gesellschafters vereinbar ist, befinden sich in den Absätzen 2 und 3.
Hierin findet sich im Wesentlichen eine Erweiterung der bisherigen, von der Rechtsprechung weiter konkretisierten Ausnahmetatbestände. Während der BGH früher einen strengen Maßstab an die Privilegierung der Zahlung ansetzte (so auch Hodgson NZI-Beilage 2021, 85, 86) und nur solche Zahlungen als privilegiert ansah, welche die Gesellschaft vor dem sofortigen Zusammenbruch bewahren sollten (z.B. Zahlungen für Wasser-, Strom- und Heizungskosten; vgl. BGH NZI 2008, 126 Rn. 6), werden mit dem § 15b Abs. 2 InsO nunmehr weit mehr Vermögensabflüsse zugelassen.
Privilegiert sind demnach grundsätzlich alle Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen.
Der Begriff des ordnungsgemäßen Geschäftsganges in Absatz 2 wurde aus dem § 2 I Nr. 1 COVInsAG übernommen, sodass von einer gleichlaufenden Auslegung ausgegangen werden kann (so auch Hodgson NZI-Beilage 2021, 85, 86). Insbesondere Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, gehören hiernach zu den privilegierten Zahlungen. Der Begriff ist jedoch offen für weitere Anwendungsbereiche. Wie auch bei § 2 Abs. 2 Nr. 1 COVInsAG kann davon ausgegangen werden, dass alle jene Zahlungen privilegiert sind, die einen hinreichenden Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb des Schuldners haben (§ 2 I Nr. 1 COVInsAG BeckOK GmbHG/Mätzig, § 64 Rn. 53 a). Ob sich die Geeignetheit der Zahlung zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes objektiv oder subjektiv aus der Sicht des Geschäftsführers bestimmt, ist jedoch strittig (Hodgson NZI-Beilage 2021, 85, 86).
Diese Privilegierung gilt jedoch vorbehaltlich zu Absatz 3 der Norm, wonach Zahlungen dann nicht mehr als mit der notwendigen Sorgfalt vereinbar gelten, wenn der nach § 15a Abs. 1 S. 1 und 2 InsO für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt verstrichen ist und der Antragspflichtige keinen Antrag gestellt hat. Mit dieser Regelung wird insbesondere von der bisherigen Rechtsprechung unter anderem zur fortdauernden Privilegierung von Zahlungen an Sozialversicherungsträger oder Finanzbehörden abgewichen (Brinkmann ZIP 2020, 2361, 2366).
Die dadurch entstehenden Haftungsrisiken sollen mithilfe von § 15b VIII InsO gemindert werden. Hiernach wird die Massesicherungspflicht des Geschäftsführers bei drohender Insolvenz gegenüber der Pflicht zur Begleichung von Steuerschulden als vorrangig angesehen. Eine etwaige Pflichtenkollision beim Geschäftsführer soll hiermit aufgehoben werden. In der Literatur wird weiterhin diskutiert, ob diese Regelung womöglich analog auf die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen anwendbar ist (dafür Hodgson NZI-Beilage 2021, 85, 86; dagegen Baumert NZG 2021, 443, 449).
Voraussetzung für die Privilegierung der Zahlung ist also, dass der von § 15a Abs. 1 S. 1 und 2 vorgegebene Zeitraum eingehalten wird, und zusätzlich, dass der Antragspflichtige nach § 15b Abs. 2 S. 2 „Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ betreibt. Die Zahlung muss also im Zusammenhang mit einer angestrebten Sanierung oder der Vorbereitung der Insolvenzantragsstellung vorgenommen werden (Hodgson NZI-Beilage 2021, 85, 86).
Des Weiteren gelten Zahlungen, die im Zeitraum zwischen der Stellung des Antrags und der Eröffnung des Verfahrens geleistet werden, auch dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn diese mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden (§ 15b Abs. 2 S. 3 InsO).
3. Haftungsumfang
Die Klärung der Streitfrage um den Haftungsumfang befindet sich in Absatz 4. Während in der Vergangenheit der BGH von einer kumulierten Ersatzpflicht ausgegangen war (was der Wortlaut des § 64 GmbHG a.F. auch nahelegte; Hodgson NZI-Beilage 2021, 85, 87), reduziert sich die Pflicht zur Erstattung der vorgenommenen Zahlungen im Falle des Schadenseintritts bei der Gläubigerschaft nun ausdrücklich auf den konkret bezifferbaren Schaden, wenn dieser geringer ist als die vorgenommene Zahlung. Dies lässt darauf schließen, dass sich die ehemalige Ersatzpflicht nunmehr in einen Schadensersatzanspruch gewandelt hat, sodass ein etwaiger Anspruch gegen den Zahlungspflichtigen wohl auch von einer D&O-Versicherung abgedeckt wäre (so Brinkmann ZIP 2020, 2361, 2367; Göb/Nebel NZI 2021, 17, 18). Dem Geschäftsführer obliegt es jedoch weiterhin den Beweis für die (geringere) Höhe des Schadens zu führen.
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