Strafrecht: Strafvereitelung durch Unterlassen

published on 30/01/2018 11:55
Strafrecht: Strafvereitelung durch Unterlassen
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Die unberechtigte Verweigerung des Zeugnisses kann zur Strafbarkeit wegen Strafvereitelung durch Unterlassen führen, weil der Zeuge Garant für die staatliche Strafrechtspflege ist – BSP Rechtsanwälte – Anwälte für Strafrecht Berlin

 

Dies folgt aus seiner besonderen strafprozessualen Pflichtenstellung. Für die Abwendung des Vereitelungserfolgs muss einstehen, wer von Rechts wegen dazu berufen ist, an der Strafverfolgung mitzuwirken, also in irgendeiner Weise dafür zu sorgen oder dazu beizutragen, dass Straftäter nach Maßgabe des geltenden Rechts ihrer Bestrafung oder sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen zugeführt werden 

Dies ist bei einem Zeugen der Fall, der sich nicht auf gesetzliche Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechte oder eine Notstandssituation berufen kann. Zwar befinden sich Zeugen nicht in einer institutionellen Stellung als Garant und ihnen ist eine Verantwortung für die Sanktionierung von Rechtsbrechern auch nicht durch eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift übertragen. Der Zeuge ist aber gleichwohl nicht bloße Privatperson, die eine solche Garantenstellung nicht trifft. Vielmehr ist er einerseits verpflichtet, überhaupt eine Aussage zu machen, wenn kein gesetzlicher Weigerungsgrund vorliegt. Außerdem ist er auch verpflichtet, seine Angaben wahrheitsgemäß und vollständig auszusagen. Die Pflicht zur Aussage beinhaltet also in dem Fall, dass der Zeuge Belastendes bekunden kann, automatisch die Pflicht, (im Rahmen seiner Zeugenstellung) an der Sanktionierung des Angeklagten mitzuwirken. Genauso trifft den Zeugen, der Entlastendes bekunden kann, damit automatisch die Pflicht, zu der Entlastung des Angeklagten und mithin zu einer milderen Bestrafung bzw. zu dessen Straffreiheit beizutragen.

Das OLG Hamm hat in seinem Beschluss vom 09.11.2017 – (4 RVs 127/17) folgendes entschieden:

Die unberechtigte Verweigerung des Zeugnisses kann zur Strafbarkeit wegen Strafvereitelung durch Unterlassen führen, weil der Zeuge in dieser Eigenschaft Garant für die staatliche Strafrechtspflege ist, was aus seiner besonderen strafprozessualen Pflichtenstellung folgt.

Tenor:

Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.

Gründe

Das Amtsgericht Coesfeld hat gegen den Angeklagten wegen Strafvereitelung eine Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Münster mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Coesfeld gegen X in der dortigen Hauptverhandlung vom 03.09.2015 als Zeuge vernommen. X wurde seinerzeit vorgeworfen, zusammen mit dem Angeklagten eine Cannabis-Indoorplantage betrieben zu haben. Der Angeklagte war bereits Ende 2014 wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden. Im Rahmen seiner Zeugenaussage gab der Angeklagte nach Belehrung über seine Rechte und Pflichten an, dass nicht X, sondern ein anderer Mittäter zusammen mit ihm die Plantage betrieben habe. Die Mitteilung des Namens dieses Mittäters verweigerte der Angeklagte aus angeblicher Angst vor Repressalien gegen sich und seine Familie. Auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berief sich der Angeklagte seinerzeit nicht. X wurde schließlich freigesprochen. Eine Strafverfolgung gegen den unbekannten Mittäter konnte bisher – was dem Angeklagten bewusst war – nicht eingeleitet werden. Weder im Nachgang zum Strafverfahren gegen X noch in dem hiesigen Verfahren hat der Angeklagte den Namen des Mittäters preisgegeben. Dass der Angeklagte oder seine Familie tatsächlich Bedrohungen seitens des unbekannten Mittäters ausgesetzt gewesen seien, verneinte das Landgericht. Rechtlich wertete das Landgericht das Verhalten des Angeklagten als Strafvereitelung durch Unterlassen. Den Angeklagten habe als Zeuge in dem Verfahren gegen X eine Garantenstellung für die staatliche Strafrechtspflege getroffen.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er meint, er sei als Zeuge nicht Garant für die staatliche Strafrechtspflege gewesen. Auch hält er die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe für rechtsfehlerhaft.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechtsmittels gem. § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist offensichtlich unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

Näherer Erörterung bedarf nur die Frage, ob den Angeklagten eine die Unterlassensstrafbarkeit begründende Garantenstellung traf.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die unberechtigte Verweigerung des Zeugnisses zur Strafbarkeit wegen Strafvereitelung durch Unterlassen führen kann, weil der Zeuge in dieser Eigenschaft Garant für die staatliche Strafrechtspflege ist, was aus seiner besonderen strafprozessualen Pflichtenstellung folge.

Die Gegenauffassung verneint eine solche Garantenpflicht. Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens sei nach § 13 StGB eine Garantenpflicht, die sich konkret auf das Rechtsgut der Strafvereitelung beziehen müsse und dieses Rechtsgut sei die staatliche Strafrechtspflege. Eine Garantenpflicht könne daher nur solche Personen treffen, denen das Recht die Aufgabe zuweise, an der Strafverfolgung konkret mitzuwirken und in irgendeiner Weise dazu beizutragen, dass Straftäter einer Sanktion zugeführt werden. Die Pflicht zur Aussage folge aber aus einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht. Durch die Aussagepflicht solle in erster Linie ermöglicht werden, grundsätzlich in gerichtlichen Verfahren Beweis über Tatsachen erheben zu können. Ansonsten würde der Bürger aufgrund seiner Stellung als Zeuge im Strafverfahren gleichermaßen in die strafrechtliche Verantwortung genommen, wie ein von Gesetzes wegen zur Strafverfolgung ausdrücklich Berufener. Die Zeugenpflichten sollten nicht allein sanktionierende, sondern ganz generell richtige Entscheidungen absichern helfen. Sie dienten also ganz allgemein der prozessförmigen Ermittlung des Sachverhalts. Im Zivilprozess sei anerkannt, dass den schweigenden Zeugen gerade keine Garantenpflicht zugunsten der davon in ihrem Vermögen betroffenen Partei treffe. Insbesondere sei der Zeuge nicht vergleichbar einem Sonderverantwortlichen, wie etwa einem Polizisten oder Staatsanwalt. Eine besondere Verantwortung für die Strafverfolgung habe er zu keiner Zeit selbst gewählt oder übernommen. Eine besondere Pflichtenstellung liege nur in der allgemeinen Pflicht zur Kooperation. Auch bedürfe es einer strafrechtlichen Sanktionierung des Zeugen in solchen Fällen nicht. Es genüge das Instrumentarium des § 70 StPO.

Der Senat teilt die oben geschilderte obergerichtliche Auffassung. Für die Abwendung des Vereitelungserfolgs muss einstehen, wer von Rechts wegen dazu berufen ist, an der Strafverfolgung mitzuwirken, also in irgendeiner Weise dafür zu sorgen oder dazu beizutragen, dass Straftäter nach Maßgabe des geltenden Rechts ihrer Bestrafung oder sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen zugeführt werden. Das ist bei einem Zeugen, der sich – wie hier – nicht auf gesetzliche Zeugnis – oder Auskunftsverweigerungsrechte oder eine Notstandssituation berufen kann, der Fall. Zwar befinden sich Zeugen nicht in einer institutionellen Stellung als Garant und ihnen ist eine Verantwortung für die Sanktionierung von Rechtsbrechern auch nicht durch eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift übertragen. Der Zeuge ist aber gleichwohl nicht bloße Privatperson, die eine solche Garantenstellung nicht trifft. Der Zeuge ist vielmehr einerseits verpflichtet, überhaupt eine Aussage zu machen, wenn kein gesetzlicher Weigerungsgrund vorliegt. Darüber hinaus ist er auch verpflichtet, seine Angaben wahrheitsgemäß und vollständig auszusagen. Die Pflicht zur Aussage beinhaltet also in dem Fall, dass der Zeuge Belastendes bekunden kann, automatisch die Pflicht, an der Sanktionierung des Angeklagten mitzuwirken. Genauso trifft den Zeugen, der Entlastendes bekunden kann, damit automatisch die Pflicht, zu der Entlastung des Angeklagten und mithin zu einer milderen Bestrafung bzw. zu dessen Straffreiheit beizutragen. Die Materie des pflichtwidrig nicht aussagenden Zeugen ist auch nicht abschließend in § 70 StPO geregelt. Dieser hat keine Sperrwirkung. Vielmehr geht es in § 70 StPO um die Erzwingung der Aussage- und Eidespflicht, also letztlich um ein Druckmittel, die Aussage doch noch herbeizuführen. Bei § 258 StGB geht es hingegen um die repressive Ahndung eines eingetretenen Vereitelungserfolgs.

Im vorliegenden Fall liegt nach Auffassung des Senats neben der gesetzlich begründeten Garantenstellung allerdings auch eine Garantenstellung aus der tatsächlichen Herbeiführung einer Gefahrenlage vor. Wer durch sein Verhalten die nahe Gefahr des Eintritts eines strafrechtlich missbilligen Erfolges herbeiführt, ist rechtlich gehalten, den Eintritt dieses Erfolges zu verhindern. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde im Hinblick hierauf sogar eine Unterlassenstrafbarkeit durch Unterlassen der Offenbarung von Zeugenwissen auch ungefragt für möglich gehalten. Durch die erstmalige Angabe in der Hauptverhandlung, es habe zwar einen Mittäter gegeben, dieses sei aber nicht der dortige Angeklagte X sondern ein Dritter, bei gleichzeitiger Weigerung, diesen zu benennen, unter Berufung auf die nicht verifizierbare Möglichkeit von „Repressalien“, hat der Angeklagte die Gefahr erhöht, dass eben dieser Dritte wegen der Betäubungsmittelstraftat nicht bestraft werden kann. Die Pflichtwidrigkeit dieses Verhaltens ergibt sich daraus, dass Gründe für ein Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht nicht vorlagen, der Angeklagte also einer Aussagepflicht unterlag. Jedenfalls in dem Augenblick, als der Angeklagte dann im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung – so die Feststellungen des Landgerichts – trotz weiteren Nachfragens und offensichtlich fehlender weiterer Erkenntnisquellen für die Strafverfolgungsbehörden an seiner Weigerung, den Dritten zu benennen, festgehalten hat, hat er sich der Strafvereitelung durch Unterlassen schuldig gemacht. Er war spätestens zu diesem Zeitpunkt verpflichtet, die in seinem Wissen liegenden Kenntnisse zu offenbaren. Einen Grund, warum dies – wie der Angeklagte meint - allenfalls dann gelten soll, wenn zunächst versucht wurde, mit den Mitteln des § 70 StPO auf den Angeklagten einzuwirken, sieht der Senat nicht. Hätte der Angeklagte einem solchen Druck widerstanden und wäre bei seiner Nichtaussage geblieben, so wäre dies allenfalls ein strafzumessungsrelevanter Umstand, weil er das Maß der Pflichtwidrigkeit erhöht hätte.

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(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

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(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so werden dem Zeugen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt.

(2) Auch kann zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft angeordnet werden, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug, auch nicht über die Zeit von sechs Monaten hinaus.

(3) Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Richter im Vorverfahren sowie dem beauftragten und ersuchten Richter zu.

(4) Sind die Maßregeln erschöpft, so können sie in demselben oder in einem anderen Verfahren, das dieselbe Tat zum Gegenstand hat, nicht wiederholt werden.

(1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer absichtlich oder wissentlich die Vollstreckung einer gegen einen anderen verhängten Strafe oder Maßnahme ganz oder zum Teil vereitelt.

(3) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Vortat angedrohte Strafe.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) Wegen Strafvereitelung wird nicht bestraft, wer durch die Tat zugleich ganz oder zum Teil vereiteln will, daß er selbst bestraft oder einer Maßnahme unterworfen wird oder daß eine gegen ihn verhängte Strafe oder Maßnahme vollstreckt wird.

(6) Wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht, ist straffrei.

(1) Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so werden dem Zeugen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt.

(2) Auch kann zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft angeordnet werden, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug, auch nicht über die Zeit von sechs Monaten hinaus.

(3) Die Befugnis zu diesen Maßregeln steht auch dem Richter im Vorverfahren sowie dem beauftragten und ersuchten Richter zu.

(4) Sind die Maßregeln erschöpft, so können sie in demselben oder in einem anderen Verfahren, das dieselbe Tat zum Gegenstand hat, nicht wiederholt werden.