Strafprozessrecht: Umbeiordnung auf einen anderen Pflichtverteidiger
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Das LG Ingolstadt hat in seiner Verfügung vom 23.08.2017 (1 KLs 383 Js 228567/16) folgendes entschieden:
Tenor:
Die Bestellung von Rechtsanwalt Bruno F als Pflichtverteidiger wird zurückgenommen. An seiner Stelle wird Rechtsanwalt Ingo W als neuer Pflichtverteidiger bestellt.
Gründe
Der Angeschuldigte befindet sich seit 01.11.2016 in Untersuchungshaft. Anlässlich der Haftbefehlseröffnung wurde ihm durch den Ermittlungsrichter gem. § 140 Abs. I Nr. 4 StPO Rechtsanwalt F als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem er die Auswahl in das Ermessen des Gerichts gestellt hatte. Rechtsanwalt F beantragte am 02.11.2016 Akteneinsicht und erklärte, sein Mandant würde derzeit auf sein Anraten hin keine Angaben zur Sache machen. Am 03.11.2016 wurde durch die Staatsanwaltschaft Akteneinsicht bis BI. 39 d.A. gewährt.
Mit undatiertem Schreiben - eingegangen bei der Staatsanwaltschaft am 08.11.2016 - bat der Angeschuldigte persönlich um den Besuch der Kriminalpolizei zum Zwecke seiner Vernehmung, da er Angaben im Rahmen des § 31 BtMG machen wolle. Daraufhin fand am 15.11.2016 eine erste polizeiliche Beschuldigtenvernehmung ohne Beisein des Pflichtverteidigers statt. Es folgten weitere Vernehmungen am 16.12.2016, 29.12.2016, 08.02.2017 und zuletzt 18.07.2017.
Mit Schreiben vom 03.01.2017 beantragte der Angeschuldigte erstmals, den Pflichtverteidiger Rechtsanwalt F zu entbinden und Rechtsanwalt W; als neuen Pflichtverteidiger zu bestellen. Zur Begründung trug er vor, er fühle sich durch Rechtsanwalt F nicht gut vertreten, weil dieser weder bei den polizeilichen Vernehmungen anwesend gewesen sei noch ihn zuvor zu einem beratenden Gespräch aufgesucht hätte. Nachdem der Angeschuldigte seinen Antrag mit Schreiben vom 15.02.2017 wiederholt hatte, nahm Rechtsanwalt F mit Schriftsatz vom 24.02.2017 hierzu ausführlich Stellung. Er trug u.a. vor, den Angeschuldigten am 17.11. und 21.12.2016 persönlich zu mehrstündigen Gesprächen in der JVA aufgesucht zu haben und darüber hinaus zahlreiche Fragen schriftlich beantwortet zu haben. Von den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen sei er weder durch den Angeschuldigten noch durch die Polizei informiert worden. Der Angeschuldigte habe ihm auch zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass er eine Teilnahme des Pflichtverteidigers an den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen bzw. eine vorherige Information durch diesen wünsche.
Mit Schreiben vom 08.03.2017 - eingegangen bei der Staatsanwaltschaft am 13.04.2017 - beantragte der Angeschuldigte erneut die Auswechslung des Pflichtverteidigers. Nach einem persönliChen Gespräch mit Rechtsanwalt F. hege er keine Hoffnung mehr auf eine ordnungsgemäße Vertretung. Dieser habe ihn beschuldigt, gegenüber der Staatsanwaltschaft gelogen zu haben. Er befürchte deshalb, dass Rechtsanwalt F einen persönlichen Groll gegen ihn hege.
In seiner Stellungnahme vom 04.05.2017 erklärte der Pflichtverteidiger hierzu, er hätte seit 21.12.2016 keinen Brief mehr von dem Angeschuldigten erhalten. Bei seinem letzten Besuch in der JVA zu einem halbstündigen Gespräch habe er diesem gegenüber geäußert, seine lügenhaften Erklärungen gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Verwunderung zur Kenntnis genommen zu haben. Den Vorwurf der Lüge habe der Angeschuldigte bestritten. Abschließend sei vereinbart worden, dass künftig Besuche des Pflichtverteidigers in der JVA nur noch auf schriftlichen Wunsch des Angeschuldigten oder nach Akteneinsicht stattfinden würden; ansonsten würden schriftliche Fragen ebenso beantwortet werden.
Daraufhin lehnte das Amtsgericht München - Ermittlungsrichter - den Antrag des Angeschuldigten auf Austausch des Pflichtverteidigers mit Beschluss vom 22.05.2017 ab, weil eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht dargetan sei. Mit Schreiben vom 29.05.2017 an die Ermittlungsrichterin gab der Angeschuldigte seinem Wunsch Ausdruck, sich vor Gericht selbst zu vertreten, weil das Verhältnis zwischen ihm und Rechtsanwalt F. erschüttert sei.
Nachdem der Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom 28.04.2017 mitgeteilt hatte, keine Stellungnahme zur Haftprüfung nach § 121 StPO abgeben zu können, weil er bislang die Akten nur bis Bl. 39 erhalten hätte, wurde ihm am 03.05.2017 durch die Staatsanwaltschaft Akteneinsicht gewährt. Mit Abschlussverfügung vom 25.07.2017 erhielt er nochmals vollständige Akteneinsicht.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München I vom 25.07.2017 ging am 27.07.2017 bei dem Landgericht Ingolstadt ein und wurde dem Angeschuldigten sowie dem Pflichtverteidiger am 0l.bzw. 02.08.2017 zugestellt. Am 03.08.2017 wurde dem Angeschuldigten durch die I. Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt ein neuer Haftbefehl nach Anklage eröffnet. Der Pflichtverteidiger war an einer Teilnahme aufgrund der kurzfristigen Terminierung verhindert.
Mit Schriftsatz vom 11.08.2017 hat Rechtsanwalt W namens und im Aufrag des Angeschuldigten nochmals beantragt, Rechtsanwalt F als Pflichtverteidiger zu entlassen und ihn selbst beizuordnen. Zur Begründung trägt er vor, das Vertrauensverhältnis sei unrettbar zerstört. Rechtsanwalt F habe den Angeschuldigten seit Monaten nicht mehr in der Haft besucht. Trotz dessen expliziter schriftlicher Bitten habe er an keiner der bislang sechs polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen teilgenommen. Ebenso habe eine Aufklärung zu den SS 63, 64 StGB durch den bisherigen Pflichtverteidiger nicht stattgefunden. Das letzte persönliche Gespräch habe in einem Streit geendet.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit Verfügung vom 17.08.2017 gegen eine Auswechslung des Pflichtverteidigers.
Mit Stellungnahme vom 18.08.2017 hat Rechtsanwalt F. erklärt, bei dem letzten persönlichen Gespräch mit dem Angeschuldigten wäre vereinbart worden, dass dieser seinen Besuchswunsch schriftlich äußere. Eine entsprechende Mitteilung des Angeschuldigten sei bis dato nicht eingegangen. Der Angeschuldigte habe auch zu keinem Zeitpunkt um die Teilnahme an polizeilichen Vernehmungsterminen gebeten. Uber die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63, 64 StGB sei er sowohl mündlich als auch schriftlich aufgeklärt worden. Hinsichtlich des Inhalts des letzten Gesprächs vom 10.03.2017 wurde auf die Stellungnahme vom 04.05.2017 verwiesen.
Dem Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel war zu entsprechen.
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist dann entsprechend § 143 StPO aus wichtigem Grund zurückzunehmen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert ist, und deshalb die Besorgnis besteht, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Dies ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen. Die ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses muss dieser substantiiert darlegen. Lediglich pauschale, nicht näher belegte Vorwürfe gegen den Verteidiger rechtfertigen dessen Entpflichtung nicht.
Zwar geht der Vorwurf des Angeschuldigten, der Pflichtverteidiger habe entgegen seinem Wunsch nicht an den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen teilgenommen bzw. ihn davor nicht beraten, in Leere. Rechtsanwalt F hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, er hätte keine Kenntnis von Ort und Zeit der Beschuldigtenvernehmungen gehabt und wäre davor von dem Angeschuldigten auch nicht um Rat gefragt worden. Für die Richtigkeit dieses Vorbringens spricht auch, dass der Pflichtverteidiger zunächst gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt hat, sein Mandant würde auf sein Anraten hin keine Angaben machen, und die erste polizeiliche Beschuldigtenvernehmung vom 15.11.2016 erst auf den von dem Angeschuldigten persönlich geäußerten Wunsch hin erfolgt ist.
Dennoch ist die Sorge des Angeschuldigten berechtigt, dass Rechtsanwalt F der Aufgabe, sich für ihn und seine Belange einzusetzen, nicht mehr gerecht werde. Denn dieser hat ihn seit dem 10.03.2017 über einen Zeitraum von mehr als fünf Monaten nicht mehr in der JVA besucht.
Es ist allgemein anerkannt, dass der fehlende Besuch eines Pflichtverteidigers über einen längeren Zeitraum in der Untersuchungshaft das fehlende Vertrauen des Beschuldigten zu dem beigeordneten Verteidiger rechtfertigt und deshalb einen wichtigen Grund für die Entpflichtung darstellt. Daran ändert auch die bei dem letzten persönlichen Gespräch zwischen Pflichtverteidiger und Angeschuldigtem getroffene Vereinbarung nichts. Obwohl sich sein Mandant bereits fast sechs Monate in Untersuchungshaft befand, hatte der Verteidiger zum Zeitpunkt dieses Gesprächs Akteneinsicht lediglich bis Bl. 39 erhalten, sein Wissen über den Gang des Ermittlungsverfahrens befand sich auf dem Stand vom 03.11.2016. Insbesondere war ihm der Inhalt der bis dahin stattgefundenen vier polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen nicht bekannt. Hiervon erhielt er erst mit der von der Staatsanwaltschaft am 03.05.2017 bewilligten Akteneinsicht Kenntnis. Doch während dem Angeschuldigten im Haftbefehl vom 01. 11. 2016 eine Tat mit 6 kg Cannabis zur Last gelegt worden war, standen nunmehr fünf Taten mit insgesamt 20 kg im Raum. Angesichts des im Vergleich mit dem Stand zum Zeitpunkt des Gesprächs vom 10.03.2017 veränderten Sachverhalts und der erheblichen Straferwartung wäre ein nochmaliger Besuch des Angeschuldigten in der Haft auch ohne dessen ausdrücklich geäußerten Wunsch für eine ordnungsgemäße Verteidigung zwingend erforderlich gewesen, zumal zwischen Pflichtverteidiger und Angeschuldigtem laut Vortrag von Rechtsanwalt F im Schriftsatz vom 04.05.2017 vereinbart worden war, weitere Besuche würden entweder auf schriftlichen Wunsch des Angeschuldigten oder nach AkteneinSicht erfolgen.
Aus Sicht eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten ist damit die Besorgnis gerechtfertigt, die Verteidigung könne objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden.
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Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter
- 1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder - 2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.
(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.
(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens einschließlich eines Verfahrens nach den §§ 423 oder 460.
(2) Die Bestellung kann aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. In den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 5 gilt dies nur, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen wird. Beruht der Freiheitsentzug in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 5 auf einem Haftbefehl gemäß § 127b Absatz 2, § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, soll die Bestellung mit der Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls, spätestens zum Schluss der Hauptverhandlung, aufgehoben werden. In den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 soll die Bestellung mit dem Ende der Vorführung aufgehoben werden, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird.
(3) Beschlüsse nach Absatz 2 sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.