Gewaltenschutzverfahren: „Stinkefinger“ nicht bewiesen

bei uns veröffentlicht am25.03.2015

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für Familien- und Erbrecht

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Zusammenfassung des Autors
Ein Ordnungsgeld kann das Gericht nur verhängen, wenn der Antragsteller die in Frage stehende Beleidigung zur Überzeugung des Gerichts nachweisen kann.
Mit dem Zeigen eines sog. „Stinkefingers“ verstößt ein Antragsgegner gegen die im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens eingegangene Verpflichtung, jegliche Kontaktaufnahme zum Antragsteller zu unterlassen. Ein Ordnungsgeld kann das Gericht für einen derartigen Verstoß allerdings nur verhängen, wenn der Antragsteller die in Frage stehende Beleidigung zur Überzeugung des Gerichts nachweisen kann.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden. Die beiden Verfahrensbeteiligten, zwei erwachsene Männer, wohnen in etwa gegenüberliegenden Häusern in einer Straße. Nach einer anfänglichen Bekanntschaft entstand zwischen ihnen ein nachbarschaftlicher Konflikt. Im Jahre 2011 führten beide ein Gewaltschutzverfahren. Darin verpflichtete sich der Antragsgegner im Rahmen eines Vergleichs, eine Kontaktaufnahme zum Antragsteller zu unterlassen. In der Folgezeit behauptete der Antragsteller wiederholt, dass der Antragsgegner der Verpflichtung zuwiderhandle. Wenn er, der Antragsteller, sein Haus verlasse, müsse er Beleidigungen des Antragsgegners ertragen. Dieser würde ihm u.a. durch sein geöffnetes Fenster die Faust mit dem nach oben gestreckten Mittelfinger, den sog. „Stinkefinger“, zeigen.

Ein deswegen auf Antrag des Antragstellers vom Familiengericht Ende 2011 verhängtes Ordnungsgeld von 100 EUR nahm der Antragsgegner hin. Ein zweiter Ordnungsgeldantrag hatte mangels hinreichend genau bezeichneter Verstöße keinen Erfolg. Auf einen dritten Antrag, den der Antragsteller mit Mitte 2013 begangenen Zuwiderhandlungen begründete, verhängte das Familiengericht ein Ordnungsgeld von 500 EUR. Diesen Beschluss hat der Antragsgegner mit der Beschwerde angefochten und geltend gemacht, die ihm zur Last gelegten Verstöße nicht begangen zu haben.

Die Beschwerde hatte Erfolg. Die Richter am OLG haben den Ordnungsgeldbeschluss nach der persönlichen Anhörung der Beteiligten aufgehoben. Die in Frage stehenden Beleidigungen habe der Antragsteller, so der Senat, nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen können. Sie seien nach der Anhörung der Beteiligten zwar überwiegend wahrscheinlich. Das genüge aber nicht, um im Vollstreckungsverfahren ein Ordnungsgeld zu verhängen.

Neutrale Beweismittel seien nicht vorhanden. Aus der persönlichen Anhörung der Beteiligten ergäben sich konträre Schilderungen. Es möge zwar eher unwahrscheinlich sein, dass der Antragsteller Handbewegungen des Antragsgegners beim Zigarettenrauchen als „Stinkefinger“ missverstanden habe. Mit der für das Verhängen eines Ordnungsgelds notwendigen vollen Überzeugung des Gerichts könne es aber auch nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gelte für die Möglichkeit, dass die Vorwürfe des Antragstellers bewusst unwahr seien, um dem missliebigen Nachbarn zu schaden. Dass zu einem derartigen Zweck eigens die Gerichte bemüht würden, sei ein in der Gerichtspraxis nicht gänzlich unbekanntes Phänomen.


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

OLG Hamm, Beschluss vom 30.6.2014, (Az.: 14 WF 39/14).

Mit dem Zeichen eines sog. "Stinkefingers" verstößt ein Antragsgegner gegen die im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens eingegangene Verpflichtung, jegliche Kontaktaufnahme zum Antragsteller zu unterlassen. Ein Ordnungsgeld kann das Gericht für einen derartigen Verstoß nur dann verhängen, wenn der Antragsteller die in Frage stehende Beleidigung zur Überzeugung des Gerichts nachweisen kann.


Gründe:

Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Vollstreckungsschuldner und Antragsgegner die ihm vorgeworfenen Verstöße gegen den Vergleich vom 13.7.2011 in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum Mitte 2013 tatsächlich begangen hat.

Für diese Feststellung ist im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens - anders als es durch die Erwähnung einer „eidesstattlichen Versicherung“ in dem Androhungsbeschluss vom 24.8.2011 nahegelegt werden könnte - das Beweismaß des Vollbeweises erforderlich , also die aufgrund förmlicher Beweisaufnahme gewonnene volle Überzeugung des Gerichts im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, und nicht nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit wie beim Beweismaß der Glaubhaftigkeit.

Die für eine volle Überzeugungsbildung regelmäßig notwendigen förmlichen Beweismittel hat der Vollstreckungsgläubiger und Antragsteller für die behaupteten Vorfälle nicht anzutreten vermocht. Vielmehr stehen sich seine eigenen Behauptungen und das Bestreiten der Vorwürfe durch den Antragsgegner schlicht gegenüber. Letzteres kann entgegen dem Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts auch nicht als unzureichend bzw. zu pauschal und deswegen unbeachtlich angesehen werden. Im Beschwerdeverfahren sind beide Beteiligten persönlich angehört worden. Dabei hat der Antragsgegner geschildert, dem Antragsteller bei keiner Gelegenheit den sog. „Stinkefinger“, also eine Faust mit nach oben gestrecktem Mittelfinger, entgegengehalten zu haben. Der Antragsteller könne hier jeweils das Halten einer Zigarette zwischen nach oben gestrecktem Zeige- und Mittelfinger missverstanden haben. Auch habe er den Antragsteller nicht angeschrien oder gerufen. Etwaige Mundbewegungen, wie sie auch dem Anwalt des Antragstellers beim Vorbeigehen an ihm bereits aufgefallen seien, könnten daraus resultieren, dass er zeitweise „Selbstgespräche“ halte. Ob die Richtigkeit dieser Schilderung unwahrscheinlicher sein mag als die Richtigkeit des Vortrages des Antragstellers, kann aufgrund der obigen Ausführungen zum Beweismaß dahingestellt bleiben. Denn die Darstellung des Antragsgegners ist jedenfalls nicht in so hohem Maße lebensfremd, dass sie allenfalls theoretische und damit unbeachtliche Zweifel am Vortrag des Antragstellers begründen könnte. Selbst die Erwägung, warum der Antragsteller bereits jahrelang die Mühen und Kosten eines Gerichtsverfahrens auf sich nehmen sollte, nur um dem Antragsgegner durch unwahre Vorwürfe zu schaden, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil auch derartige Verhaltensweisen in der gerichtlichen Praxis nicht gänzlich unbekannt sind.
 

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Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Detmold vom 11.10.2013 abgeändert.

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Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen nach einem Verfahrenswert von 500 € zu tragen.


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