Geschwindigkeitsüberschreitung: Gericht muss Tatvorsatz auch bei Kenntnis begründen

bei uns veröffentlicht am13.10.2015

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für Familien- und Erbrecht

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Zusammenfassung des Autors
Das Gericht muss bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung ein vorsätzliches Handeln des Fahrers auch dann darlegen, wenn der Betroffene die Geschwindigkeitsbegrenzung kennt.
Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg im Fall eines Autofahrers hin. Dieser war in erster Instanz wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Das OLG hat die Entscheidung abgeändert. Es hat den Betroffenen nur wegen eines fahrlässigen Verstoßes schuldig gesprochen und die Geldbuße reduziert.

Das Amtsgericht habe die Annahme des Tatvorsatzes allein mit der Einlassung des Betroffenen begründet, „die Strecke, an der gemessen wurde, häufig zu befahren“ und die Geschwindigkeitsbegrenzung zu kennen, weshalb er „auf seine Geschwindigkeit geachtet“ und sein Fahrzeug habe „ausrollen“ bzw. „auslaufen lassen“. Es habe sich damit nicht in der gebotenen Weise mit den alle Vorsatzformen charakterisierenden Vorsatzelementen auseinandergesetzt. Denn den Feststellungen des Amtsgerichts sei nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Umstände oder Indizien der Betroffene die ihm angelastete Überschreitung der ihm zwar bekannten Geschwindigkeitsbeschränkung auch tatsächlich positiv erkannt bzw. sich über sie „bewusst hinweggesetzt“ oder die Überschreitung auch nur billigend in Kauf genommen haben muss. Unabhängig vom Fehlen sich aufdrängender, weil regelmäßig unmittelbar beweiserheblicher oder doch wenigstens im Einzelfall indiziell aussagekräftiger Feststellungen, etwa zur konkreten Fahrbahnbeschaffenheit und zum Streckenverlauf sowie zur konkreten Beschilderung einschließlich einer etwaigen räumlichen Staffelung der Beschränkung oder weiterer besonderer Hinweisschilder (z.B. auf Gefahrenlagen), ist für den Senat damit nicht nachvollziehbar, weshalb das Amtsgericht allein aufgrund der vorgenannten Äußerungen des Betroffenen zu der Überzeugung gelangt ist, wonach „aufgrund dieser Umstände […] ausgeschlossen“ sei, „dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf mangelnder Sorgfalt oder einem Versehen beruht“. Die Verurteilung wegen Vorsatzes sei daher aufzuheben.


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

OLG Bamberg, Urteil vom 24.3.15, (Az.: 3 Ss OWi 294/15).


Die Annahme vorsätzlichen Handelns bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung bedarf auch dann nachvollziehbarer Darlegungen im Urteil, wenn der Betroffene den Streckenabschnitt häufig befährt und die Geschwindigkeitsbegrenzung kennt.


Sachverhalt:

Das AG hat den Betr. wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h zu einer Geldbuße von 240 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25IIa 1 StVG angeordnet. Nach den Feststellungen befuhr der seine Fahrereigenschaft einräumende, jedoch die Richtigkeit der Messung bestreitende Betr. am 09.06.2014 mit einem Pkw eine Ortsverbindungsstraße, wobei er sich über die auf dem befahrenen Streckenabschnitt angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h „bewusst hinweg“ setzte. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das OLG hat das Rechtsmittel mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass es den Betr. nur wegen eines fahrlässigen Verstoßes schuldig gesprochen und die Geldbuße reduziert hat.


Gründe:

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79I 1 Nr. 2 OWiG statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde hat mit Ausnahme der Schuldform und der Höhe der gegen den Betr. festgesetzten Geldbuße keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben. Der Senat nimmt insoweit zur näheren Begründung auf die zutreffenden Ausführungen der GenStA Bezug.

Demgegenüber konnte der Schuldspruch, worauf die Rechtsbeschwerde - wenn auch im Rahmen ihrer den Anforderungen nach den §§ 349II StPO i. V. m. 79 III 1 OWiG an die zulässige Ausführung einer Verfahrensrüge insgesamt nicht genügenden Darlegungen - zutreffend hinweist, keinen Bestand haben, soweit das AG von einer vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung ausgeht.

Das AG hat die Annahme des Tatvorsatzes allein mit der Einlassung des Betr. begründet, „die Strecke, an der gemessen wurde, häufig zu befahren“ und die Geschwindigkeitsbegrenzung zu kennen, weshalb er „auf seine Geschwindigkeit geachtet“ und sein Fahrzeug habe „ausrollen“ bzw. „auslaufen lassen“. Es hat sich damit nicht in der gebotenen Weise mit den alle Vorsatzformen charakterisierenden immanenten kognitiven und hier vor allem voluntativen Vorsatzelementen auseinander gesetzt. Denn den Feststellungen des AG ist nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Umstände oder Indizien der Betr. die ihm angelastete Überschreitung der ihm zwar bekannten Geschwindigkeitsbeschränkung auch tatsächlich positiv erkannt bzw. sich über sie „bewusst hinweg“ gesetzt oder die Überschreitung auch nur billigend in Kauf genommen haben muss.

Unabhängig vom Fehlen sich aufdrängender, weil regelmäßig unmittelbar beweiserheblicher oder doch wenigstens im Einzelfall indiziell aussagekräftiger Feststellungen, etwa zur konkreten Fahrbahnbeschaffenheit und zum Streckenverlauf sowie zur konkreten Beschilderung einschließlich einer etwaigen räumlichen Staffelung der Beschränkung oder weiterer besonderer Hinweisschilder , ist für den Senat damit nicht nachvollziehbar, weshalb das AG allein aufgrund der vorgenannten Äußerungen des Betr. zu der Überzeugung gelangt ist, wonach „aufgrund dieser Umstände […] ausgeschlossen“ sei, „dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf mangelnder Sorgfalt oder einen Versehen beruht“.

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden , so dass es einer Zurückverweisung an das AG nicht bedarf.

Im Hinblick auf den Schuldspruch ist nicht erkennbar, dass weitere relevante Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen werden können, welche die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise hinreichend rechtfertigen könnten.

Auch wegen des Rechtsfolgenausspruchs ist eine Zurückverweisung entbehrlich.

Nach den Feststellungen wurden gegen den Betr. wegen dreier jeweils im Jahre 2013 begangener Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb geschlossener Ortschaften um 19 km/h , 27 km/h und 31 km/h Geldbußen in Höhe von 70 Euro, 80 Euro und 120 Euro festgesetzt. Rechtskraft der zugrundeliegenden Bußgeldentscheidungen vom 16.01.2014, 21.11.2013 und 29.10.2013 trat jeweils erst am 17.03.2014, mithin keine drei Monate vor dem hier verfahrensgegenständlichen neuen und einschlägigen Verstoß ein. Angesichts dieser schon vom AG zutreffend als bußgelderhöhend gewerteten Vorahndungen in auffällig dichter zeitlicher Abfolge erscheint dem Senat für die ‚nur‘ fahrlässige Tatbestandsverwirklichung - entsprechend der schon im Bußgeldbescheid vom 07.07.2014 festgesetzten Geldbuße - die Verdoppelung des an sich nach lfd. Nr. 11.3.5 der Tab. 1c zum BKat verwirkten Regelsatzes von 80 Euro, mithin die Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 160 Euro als gerechtfertigt und angemessen.

Die Festsetzung des einmonatigen Regelfahrverbots wegen des vom AG rechtsfehlerfrei angenommenen beharrlichen Pflichtenverstoßes in einem Regelfall i. S. v. § 25 I 1 2. Alt. StVG i. V. m. § 4II 2 BKatV entspricht § 4II 1 BKatV i. V. m. i. V. m. lfd. Nr. 11.3.5 der Tab. 1c zum BKat. Gründe, hiervon ausnahmsweise abzuweichen, oder Anhaltspunkte für die Annahme, der Zweck des Fahrverbots könnte mit einer weiter erhöhten Geldbuße allein erreicht werden, sind nicht ersichtlich. [...]
 

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7 Gesetze werden in diesem Text zitiert

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(1) Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger, die auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt werden sollen, müssen von der zuständigen Behörde (Zulassungsbehörde) zum Verkehr zugelassen sein. Die Zulassung erfolgt auf Antrag des Verfügungsberechtigten des Fahrzeugs bei Vorliegen einer Betriebserlaubnis, Einzelgenehmigung oder EG-Typgenehmigung durch Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens.

(2) Als Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes gelten Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.

(3) Keine Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes sind Landfahrzeuge, die durch Muskelkraft fortbewegt werden und mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb mit einer Nenndauerleistung von höchstens 0,25 kW ausgestattet sind, dessen Unterstützung sich mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit progressiv verringert und

1.
beim Erreichen einer Geschwindigkeit von 25 km/h oder früher,
2.
wenn der Fahrer im Treten einhält,
unterbrochen wird. Satz 1 gilt auch dann, soweit die in Satz 1 bezeichneten Fahrzeuge zusätzlich über eine elektromotorische Anfahr- oder Schiebehilfe verfügen, die eine Beschleunigung des Fahrzeuges auf eine Geschwindigkeit von bis zu 6 km/h, auch ohne gleichzeitiges Treten des Fahrers, ermöglicht. Für Fahrzeuge im Sinne der Sätze 1 und 2 sind die Vorschriften über Fahrräder anzuwenden.

(1) Eine Ordnungswidrigkeit ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zuläßt.

(2) Eine mit Geldbuße bedrohte Handlung ist eine rechtswidrige Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes im Sinne des Absatzes 1 verwirklicht, auch wenn sie nicht vorwerfbar begangen ist.

(1) Die Verwarnung muss mit einem Hinweis auf die Verkehrszuwiderhandlung verbunden sein.

(2) Bei unbedeutenden Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes kommt eine Verwarnung ohne Verwarnungsgeld in Betracht.

(3) Das Verwarnungsgeld wird in Höhe von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 35, 40, 45, 50 und 55 Euro erhoben.

(4) Bei Fußgängern soll das Verwarnungsgeld in der Regel 5 Euro, bei Radfahrern in der Regel 15 Euro betragen, sofern der Bußgeldkatalog nichts anderes bestimmt.

(5) Ist im Bußgeldkatalog ein Regelsatz für das Verwarnungsgeld von mehr als 20 Euro vorgesehen, so kann er bei offenkundig außergewöhnlich schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen bis auf 20 Euro ermäßigt werden.

(6) Hat der Betroffene durch dieselbe Handlung mehrere geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen, für die jeweils eine Verwarnung mit Verwarnungsgeld in Betracht kommt, so wird nur ein Verwarnungsgeld, und zwar das höchste der in Betracht kommenden Verwarnungsgelder, erhoben.

(7) Hat der Betroffene durch mehrere Handlungen geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen oder gegen dieselbe Vorschrift mehrfach verstoßen, so sind die einzelnen Verstöße getrennt zu verwarnen.

(8) In den Fällen der Absätze 6 und 7 ist jedoch zu prüfen, ob die Handlung oder die Handlungen insgesamt noch geringfügig sind.

(1) Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Absatz 1, § 24a Absatz 1 bis 3 und § 24c Absatz 1 und 2 des Straßenverkehrsgesetzes, die in der Anlage zu dieser Verordnung (Bußgeldkatalog – BKat) aufgeführt sind, ist eine Geldbuße nach den dort bestimmten Beträgen festzusetzen. Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes, bei denen im Bußgeldkatalog ein Regelsatz von bis zu 55 Euro bestimmt ist, ist ein entsprechendes Verwarnungsgeld zu erheben.

(2) Die im Bußgeldkatalog bestimmten Beträge sind Regelsätze. Sie gehen von gewöhnlichen Tatumständen sowie in Abschnitt I des Bußgeldkatalogs von fahrlässiger und in Abschnitt II des Bußgeldkatalogs von vorsätzlicher Begehung aus.