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Die Klage ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
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Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - vom 05.04.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der - bestandskräftigen - Ausweisungsverfügung vom 01.10.1997.
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Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Eine Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG setzt somit voraus, dass die Ausweisungsverfügung vom 01.10.1997 rechtswidrig war. Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung ist hier, da die Ausweisungsverfügung unanfechtbar ist, der Zeitpunkt des Eintritts ihrer Unanfechtbarkeit (05.11.1997; vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 14.12.2005, Az.: 3 Bs 79/05, Juris).
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Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297), die ihrerseits auf der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 29.04.2004 (Rs. C - 482/01 und C 493/01 -, Orfanopoulos und Oliveri, DVBl. 2004, 876) beruht, kann die Ausweisungsverfügung vom 01.10.1997 nur rechtswidrig gewesen sein, wenn dem Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 zustand. Der angefochtene Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - vom 05.04.2005 geht davon aus, dass dem Kläger zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eine aufenthaltsrechtliche Rechtsposition nach Art. 7 S. 1 ARB 1/80 zustand. Hiervon gehen die Beteiligten auch weiterhin übereinstimmend aus. Nach der oben bezeichneten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 durfte der Kläger danach nur auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gemäß den §§ 45, 46 AuslG ausgewiesen werden. § 47 AuslG schied danach als Rechtsgrundlage aus. Tatsächlich ist der Kläger aber, wie aus der Verfügung vom 01.10.1997 bzw. aus dem Schreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart an die Bevollmächtigten des Klägers vom 16.09.1997 hervorgeht, allein auf der Grundlage des § 47 AuslG ausgewiesen worden. Eine Ermessensentscheidung nach den §§ 45, 46 AuslG lässt sich der Begründung des Bescheids bzw. dem als Begründung ergänzend heranzuziehenden Schreiben vom 16.09.1997 nicht, auch nicht hilfsweise entnehmen. Die im Bescheid vom 01.10.1997 getroffenen weiteren Regelungen bezüglich einer dem Kläger zu erteilenden Duldung stellen nicht die vom Gesetz geforderte Ermessensentscheidung gemäß den §§ 45, 46 AuslG dar, sondern stellen Regelungen außerhalb der eigentlichen Ausweisungsentscheidung dar, wie sich aus dem Aufbau der Verfügung vom 01.10.1997 ohne weiteres ergibt. Die sich danach ergebende Rechtswidrigkeit der Ausweisung wird nicht dadurch beseitigt, dass der Kläger der damals vom Regierungspräsidium Stuttgart vorgeschlagenen Verfahrensweise, wie sie sich aus dem Bescheid vom 01.10.1997 ergibt, ausdrücklich zugestimmt hat (vgl. Schreiben des Bevollmächtigten vom 24.09.1997 an das Regierungspräsidium Stuttgart). Ob die damals gegebene Zustimmung den nunmehr geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung ausschließt, weil dieser Anspruch gegen Treu und Glauben verstoßen würde, kann vorliegend dahingestellt bleiben, denn das Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs ergibt sich bereits aus den nachstehenden Erwägungen.
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Die Pflicht der Ausländerbehörde, die bestandskräftige Ausweisungsverfügung vom 01.10.1997 im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG zu überprüfen und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 (a.a.O.) und damit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29.04.2004 (a.a.O.) Rechnung zu tragen, bedeutet nicht, dass der Beklagte die Ausweisungsverfügung aufheben musste. Vielmehr braucht sich die gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG erforderliche Prüfung nur darauf zu erstrecken, ob der Beklagte die Ausweisung seinerzeit auch dann verfügt hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass über die Frage der Ausweisung eine Ermessensentscheidung zu treffen sei. Sofern der Beklagte bei der vorzunehmenden Prüfung unter Berücksichtigung sämtlicher wesentlicher Umstände in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass er den Kläger auch im Wege einer Ermessensentscheidung ausgewiesen hätte, und wenn der Beklagte die entsprechenden Ermessenserwägungen darlegt, ist der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29.04.204 und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 hinreichend Rechnung getragen. Dem Beklagten ist es dann nicht verwehrt, das ihm durch § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG eingeräumte Ermessen im Ergebnis so zu betätigen, dass er die Ausweisungsverfügung vom 01.10.1997 bestehen lässt (vgl. hierzu Hamburgisches OVG, a.a.O., m.w.N.).
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Die angefochtene Entscheidung vom 05.04.2005 genügt den vorstehenden Anforderungen und ist daher rechtlich nicht zu beanstanden. In der Begründung der Entscheidung hat die Ausländerbehörde sinngemäß ausgeführt, dass sie die Ausweisungsentscheidung vom 01.10.1997 auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 als Ermessensentscheidung erlassen hätte. Die Begründung der Entscheidung vom 05.04.2005 enthält auch in zwar sehr knapper, jedoch ausreichender Weise die Ermessenserwägungen, die die Ausländerbehörde unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 und unter Zugrundelegung der damals bestehenden Sachlage angestellt hätte. Die Begründung des Bescheids vom 05.04.2005 lässt erkennen, dass die Behörde, bezogen auf den damaligen Zeitpunkt, bei ihrer Ermessensentscheidung sämtliche entscheidungsrelevanten Umstände berücksichtigt hat und die erforderliche Interessenabwägung zutreffend vorgenommen hat. Zutreffend ist die Behörde von einer evidenten Wiederholungsgefahr im Falle des Klägers (aus damaliger Sicht) ausgegangen. Zutreffend hat die Behörde ausgeführt, dass angesichts der bestehenden konkreten Wiederholungsgefahr der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in den staatlichen Schutz der Familie aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK erforderlich war.
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Die Aufrechterhaltung der Ausweisung vom 01.10.1997 verstößt mit der gegebenen Begründung und unter den zum Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft der Ausweisung gegebenen Umständen nicht gegen europäisches Recht, insbesondere nicht gegen die dem Kläger zustehende Rechtsposition nach dem ARB 1/80. Denn der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29.04.2004 - Orfanopoulos und Oliveri - ausgeführt, dass Art. 39 EG und die Richtlinie 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegensteht, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt. Diesen europarechtlichen Anforderungen ist aber mit der im Bescheid vom 05.04.2005 enthaltenen Ermessensentscheidung hinreichend Rechnung getragen.
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Unter Berücksichtigung der obigen Ausführung ergibt sich auch kein Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung, weil das Ermessen der Ausländerbehörde angesichts der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles auf Null reduziert wäre. Eine derartige Reduktion des Ermessens ist dann zu bejahen, wenn ein Aufrechterhalten des ursprünglichen Verwaltungsaktes schlechthin unerträglich wäre bzw. für den Betroffenen unzumutbare Folgen hätte. Eine Ermessensreduzierung auf Null kann sich ferner in den Fällen der Selbstbindung ergeben, wenn auch in anderen Fällen einem Antrag auf Rücknahme stattgegeben worden ist und Art. 3 GG die Gleichbehandlung verlangt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 48 RdNr. 81-83). Schließlich kann sich ein Rechtsanspruch auf Rücknahme auf der Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Effizienzgebotes ergeben, wenn andernfalls die Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht vereitelt oder übermäßig erschwert würde (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 02.02.2006, Az.: 6 K 524/05; zum gemeinschaftsrechtlichen Effizienzgebot vgl. Kenntner in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 79 RdNr. 26 m.w.N.).
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Zunächst ist die Aufrechterhaltung der Ausweisung vom 01.10.1997 nicht schlechthin unerträglich bzw. für den Kläger mit unzumutbaren Folgen verbunden. Dies ergibt sich schon daraus, dass nach den obigen Ausführungen der Kläger unter Beachtung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29.04.2004 und des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.2004 ermessensfehlerfrei hätte ausgewiesen werden können. Außerdem steht dem Kläger die Möglichkeit der Befristung der Wirkungen der Ausweisung zur Verfügung, ohne dass es darauf ankäme, dass eine Befristung gegenwärtig noch nicht ausgesprochen ist. Letzteres hat der Kläger selbst zu verantworten, weil er, nachdem das Klageverfahren wegen Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit Beschluss vom 08.01.2003 zum Ruhen gebracht worden ist, der Ausländerbehörde nicht die für eine begründete Befristungsentscheidung erforderlichen Auskünfte gegeben hat. Über die Entwicklung des Klägers ist, seitdem er das Bundesgebiet im Jahr 1999 verlassen hat, nur bekannt, dass er in der Türkei seinen Wehrdienst abgeleistet und in der Türkei eine türkischstämmige niederländische Staatsangehörige geheiratet hat. Über die Entwicklung des Klägers im Zeitraum seit Ende 2000 liegen keine Erkenntnisse vor.
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Eine Selbstbindung der Ausländerbehörde liegt nicht vor. Es besteht im Bereich des Regierungspräsidiums Stuttgart ersichtlich keine Verwaltungspraxis, bestandskräftige Ausweisungen gegen Unionsbürger oder gegen türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, welche auf der Grundlage einer Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG oder einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 AuslG verfügt worden sind, zurückzunehmen.
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Ein Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung ergibt sich auch nicht aus dem Gemeinschaftsrecht (vgl. hierzu im Einzelnen VG Karlsruhe, a.a.O.. Ein derartiger Anspruch kann insbesondere nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 13.01.2004 - Rs. C 453/00 - Kühne und Heitz -, EuGRZ 2004, 67) entnommen werden. Aus dieser Entscheidung ergibt sich vielmehr, dass die Rechtssicherheit zu den im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört und die nach Ablauf angemessener Klagefristen oder Erschöpfung des Rechtswegs eingetretene Bestandskraft zur Rechtssicherheit beiträgt. Daher verlangt das Gemeinschaftsrecht nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Allerdings besteht unter den in der genannten Entscheidung des EuGH genannten Voraussetzungen nach dem in Art. 10 EG verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit eine Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, ihre Entscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen. Die Behörde muss anhand der Ergebnisse dieser Überprüfung entscheiden, inwieweit sie verpflichtet ist, die in Rede stehende Entscheidung zurückzunehmen.
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Mit der Entscheidung, die Ausweisung vom 01.10.1997 nicht zurückzunehmen, hat das Regierungspräsidium Stuttgart nicht gegen die europarechtlichen Anforderungen, wie sie durch die oben genannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aufgestellt worden sind, verstoßen. Sie hat vielmehr - wie oben ausgeführt -, der vom Europäischen Gerichtshof vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts Rechnung getragen und anhand dieser Überprüfung entschieden, inwieweit sie verpflichtet war, die Ausweisungsentscheidung zurückzunehmen. Eine weitergehende Verpflichtung ergab sich allein aus dem Gemeinschaftsrecht nicht.
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Die Klage hat auch mit dem hilfsweise gestellten Antrag keinen Erfolg. Der erkennende Einzelrichter legt den Klageantrag dahingehend aus, dass er auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zum Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung gerichtet ist. Zwischen den Beteiligten geht es nicht darum, ob überhaupt eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung auszusprechen ist. Denn die Ausländerbehörde war und ist grundsätzlich bereit, über den Befristungsantrag des Klägers sachlich zu entscheiden, wenn bestimmte Unterlagen vorgelegt werden (vgl. die Stellungnahme des Regierungspräsidiums Stuttgart - Bezirksstelle für Asyl - vom 18.04.2005 im Klageverfahren). Es bestand daher auch kein Anlass, den Beklagten wegen Untätigkeit zu einer Entscheidung über den Befristungsantrag (unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts) zu verpflichten. Ein Anspruch auf Befristung der Wirkung der Ausweisung auf den gegenwärtigen Zeitpunkt besteht nach der gegenwärtigen Erkenntnislage jedenfalls nicht. Die Entwicklung des Klägers seit Verfügung der Ausweisung am 01.10.1997 gibt - soweit sie bekannt ist - keinen Anlass für die beantragte Befristung der Wirkungen der Ausweisung. Die Behörde hat in ihrem Schriftsatz vom 25.10.2001 zutreffend darauf hingewiesen, dass sich derzeit „insbesondere eine Prognose, ab welchem Zeitpunkt der Ausweisungszweck erreicht ist und eine Wiederholungsgefahr entfallen wird, nicht bestimmen“ lässt. An dieser Sachlage hat sich seither nichts geändert, weil - wie oben bereits ausgeführt - zuverlässige Informationen über die weitere Entwicklung des Klägers nicht vorliegen. Es gibt auch keine Erkenntnisse über besondere, schutzwürdige Bindungen des Klägers im Bundesgebiet.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.
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