Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 05. Jan. 2012 - 8 A 2256/05

bei uns veröffentlicht am05.01.2012

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Gebührenbescheid des Beklagten.

2

Sie ist Eigentümerin einer Appartementanlage […]. Mit Bescheid vom 4. August 2005 setzte die Beklagte für den Zeitraum vom 1. August 2004 bis 31. Juli 2005 - gestützt auf die damals gültigen Gebührensatzungen Wasser und Abwasser vom 11. Juni 2003 des Zweckverbandes Wismar - Gebühren in Höhe von insgesamt 2.284,63 € fest. Bei der Festsetzung der Grundgebühr berücksichtigte er u. a. 9 Wohneinheiten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen.

3

Dagegen erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, dass sie nach dem Bescheid Grundgebühren in Höhe von insgesamt 1.041,28 € zu zahlen habe, diese stelle Preissteigerungen von 800 % dar. Zudem seien die Appartements nicht größer als ein Zimmer, die jährlich in den Ferienzeiten maximal nur vier Monate belegt seien.

4

Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21. September 2005 – der Klägerin zugestellt am 24. September 2005 - zurück. In der Begründung führte er u. a. aus: Die Grundgebühren seien nicht nur Gegenleistungen für einen Zähler, sondern dienten auch der teilweisen Deckung der verbrauchsunabhängigen Kosten, also Vorhaltekosten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Einrichtung. Dieser Gebührenteil werde auch erhoben, wenn nur zeitweise Wasser verbraucht bzw. Schmutzwasser entsorgt werde.

5

Die Klägerin hat am 21. Oktober 2005 Klage erhoben. Zu deren Begründung verweist sie auf die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVB Wasser) vom 20. Juni 1980 (BGBl. I, S. 750, 1067). Danach spiele es keine Rolle, wie viele Appartements Wasser entnähmen, so dass die Erhebung von Grundgebühren nach Wohneinheiten keine Grundlage habe. Die Satzung sei wegen Verstoßes gegen die AVB Wasser nichtig. Im Übrigen sei nach einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Dezember 2001 – 23 B 01.1017 - (BayVBl. 2002, S. 635 = juris) bei einer Erhebung der Grundgebühr nach der Zahl der Wohneinheiten zusätzlich nach deren Größe zu differenzieren.

6

Die Klägerin beantragt,

7

den Gebührenbescheid vom 4. August 2005 des Beklagten in Gestalt von dessen des Widerspruchsbescheid vom 21. September 2005 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung verweist er zunächst auf den Inhalt seiner Bescheide und macht in einem am 10. Januar 2012 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ergänzende Ausführungen zur Frage der Zulässigkeit rückwirkender Inkraftsetzungen von Satzungsrecht.

11

Der Zweckverband Wismar hat nach Klagerhebung seine Gebührensatzungen Wasser und Schmutzwasser (GS-W bzw. GS-SW) überarbeitet und neugefasst. Die entsprechenden Änderungssatzungen vom 3. März 2010 (mit Rückwirkung zum 1. Januar 2006) und 1. Dezember 2010 (mit Rückwirkung zum 1. Januar 2004) sind gemeinsam am 3. Dezember 2010 in der Ostseezeitung (Wismarer Zeitung) veröffentlicht worden.

12

§ 2 Abs. 1 GS-W bzw. Abs. 5 GS-SW lauten nunmehr:

13

Gebührenmaßstab für die Grundgebühr [GS-SW: der Benutzungsgebühr A] ist [GS-W: grundsätzlich] die Anzahl der Wohneinheiten (WE) auf dem Grundstück.

14

Als eine Wohneinheit gelten:

15

- jede Wohnung, unabhängig von ihrer Größe,

16

- jeder Bungalow, jedes Boots- oder Ferienhaus,

17

- bei gewerblichen Beherbergungsbetrieben und anderen Einrichtungen, die in Gebührensatzung Schmutzwasser 6 vergleichbarer Weise Betten vorhalten, wie z.B. Sanatorien oder Krankenhäuser, je angefangene 4 Betten,

18

- je 4 Stellplätze auf Campingplätzen bzw. 4 Liegeplätze in Sportboothäfen.

19

Wohnung im Sinne dieser Satzung ist jeder überwiegend Wohnzwecken (auch zur Feriennutzung) dienende umschlossene Raum oder jede Wohnzwecken (bzw. Feriennutzung) dienende Einheit von umschlossenen Räumen, die von anderen Wohnungen und fremden Räumen baulich abgeschlossen ist und über einen eigenen Zugang unmittelbar vom Freien, von einem Treppenraum, Flur oder anderem Vorraum verfügt. Bei Wohngebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen bedarf es der baulichen Abgeschlossenheit und der besonderen Zugangsmöglichkeit nicht.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Beiakten sowie der Beiakte 3 zum Verfahren 8 A 1653/06 (Kalkulationsunterlagen) verwiesen.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Gebührenbescheid und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid des Beklagten sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Die den Bescheiden zugrunde liegende Gebührensatzungen in den nunmehr geltenden Fassungen vom 1. Dezember 2010 sind nicht zu beanstanden (I.) und im vorliegenden Fall zutreffend angewandt worden (II).

22

I. Maßgebend sind die Gebührensatzungen Wasser und Schmutzwasser (GS-W/GS-SW) vom 3. März 2010 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 1. Dezember 2010.

23

1. Die Frage, ob das Rechtstaatsprinzip und der Vertrauensgrundsatz es gestatten, eine Gebührensatzung mit einer nochmals weiter zurückreichenden Rückwirkungsklausel zu versehen, als zunächst angeordnet, (hier: 1. Januar 2004 statt 1. Januar 2006) bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung. Da die beiden Änderungssatzungen am selben Tag (3. Dezember 2010) veröffentlicht worden sind, konnte ein Vertrauenstatbestand hinsichtlich einer weiter zurückreichenden Inkraftsetzung der Gebührensatzungen nicht entstehen. Maßgebend sind damit beide Gebührensatzungen in der am 1. Dezember 2010 veröffentlichten Fassung mit Rückwirkung zum 1. Januar 2004, so dass der hier streitgegenständliche Zeitraum von der Rückwirkung erfasst wird.

24

2. Diese Satzungen entsprechen nach Auffassung des Gerichts auch den Vorgaben höherrangigen Rechts und insbesondere dem Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (KAG M-V). Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Maßstäbe der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVB Wasser) vom 20. Juni 1980 (BGBl. I, S. 750, 1067) nicht maßgebend. Denn diese Bestimmungen gelten nur im Fall einer (auch nur bei der Wasserversorgung möglichen) privatrechtlichen Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Gebührenschuldner und dem kommunalen Aufgabenträger. Indessen hat im vorliegenden Fall der Zweckverband Wismar eine öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Gebührenschuldverhältnisses gewählt, in der insbesondere die Bestimmungen in §§ 5 ff. KAG M-V gelten.

25

a) Die Satzungen enthalten nunmehr eine den Vorgaben des § 6 Abs. 4 Satz 2 KAG M-V entsprechende Regelungen hinsichtlich der Gebührenschuldner, indem sie in § 5 Abs. 1 Satz 1 GS-W und § 7 Abs. 1 Satz 1 GS-SW bestimmen, dass Gebührenschuldner ist, wer im jeweiligen Erhebungszeitraum nach den grundsteuerlichen Vorschriften Schuldner der Grundsteuer ist oder sein würde, wenn das Grundstück nicht von der Grundsteuer befreit wäre.

26

Vgl. zum Gebührenschuldner bei sog. Hausgebühren VG Schwerin, Urt. v. 11. August 2011 – 8 A 1250/03 –, juris Rn. 21 ff.

27

bb) Soweit die Klägerin weiter geltend macht, dass die Grundgebühr zu hoch bemessen sei, weil die von ihr betriebenen Ferienappartements in der Größe eines Zimmers nicht ganzjährig genutzt würden, folgt das Gericht nicht dieser Auffassung. Grundgebühren sind nach § 6 Abs. 3 Satz 4 KAG M-V ausdrücklich zugelassen. Sie müssen dem Gleichheitssatz und dem Äquivalenzprinzip entsprechen und dürfen insbesondere höchstens die Vorhaltekosten umfassen.

28

Vgl. näher Siemers, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V (Stand: August 2010), § 6 Erl. 7.2.3; ausführlich Forst, KStZ 2001, 141 (148 ff. mwN).

29

Die Grundgebühr ist Entgelt für die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft und kann daher neben der Abschreibung des Anlagekapitals (vgl. § 6 Abs. 2a KAG M-V) und der (angemessenen) Verzinsung des aufgewandten Kapitals (§ 6 Abs. 2 KAG M-V) auch die Personalkosten und notwendige Sachkosten umfassen.

30

Vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht (SächsOVG), Urt. v. 29. November 2001 – 5 D 25/00 -, juris Rn. 94 mwN; Siemers, ebenda, § 6 Erl. 7.2.3.1 mwN.; ausführlich aus betriebswirtschaftlicher Sicht Forst, KStZ 2001, 141 (149 f. mwN).

31

Dass der Zweckverband Wismar unzulässig weitere als die genannten Kosten bei der Bestimmung der Höhe der Grundgebühren berücksichtigt hat, ist im vorliegenden Verfahren weder vorgetragen noch sonst zu ersehen.

32

cc) Der weitere Einwand der Klägerin, bei der Bemessung der Grundgebühren nach Wohneinheiten hätte die nur zeitweise Vermietung der Ferienappartements berücksichtigt werden müssen, greift nach Auffassung des Gerichts gleichfalls nicht durch. Die Bemessung der Grundgebühr nach Wohneinheiten ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Bei einem – wie im Gebiet des Zweckverbandes Wismar – weitgehend homogenen Abrechnungsgebiet, kann ein einheitlicher (Wahrscheinlichkeits-)Maßstab wie derjenige nach Wohneinheiten gewählt werden.

33

Vgl. OVG für das Land Schleswig-Holstein (OVG S-H), Urt. v. 22. September 1994 – 2 L 93/93 -, juris Rn. 29 ff. mwN; Forst, KStZ 2001, 141 (153); Siemers, ebenda, § 6 Erl. 7.2.3.1.

34

Die in ihm eingestellten Fixkosten fallen nicht nur zu Ferienzeiten, sondern ganzjährig an. Wenn die Erhebung der Grundgebühr nur nach Wohneinheiten im Ergebnis auch dazu führt, dass der Bezieher geringerer Wassermengen durchschnittlich höhere Gebühren pro Kubikmeter Wasser zahlen muss, führt dies zu keiner ungerechtfertigten Gleichbehandlung. Die Wasserver- und Schmutzwasserentsorgung muss ganzjährig sichergestellt sein, so dass die Belastung mit den anteiligen ganzjährigen Vorsorgekosten gerechtfertigt ist.

35

Vgl. BVerwG, Beschl. v. 12. August 1981 – 8 B 20.81 –, juris, LS 1 und Rn. 4 dem folgend Forst, KStZ 2001, 141 (156 mwN).

36

Das von der Klägerin herangezogene Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) vom 6. Dezember 2001 – 23 B01.1017, 23 B 01.1018 - (juris) steht dem nicht entgegen. Dort ging es offenbar um eine größere Gemeinde (Gars am Inn), die laut eigenen Angaben bzw. wikipedia.de heute 3.758 Einwohner und 235 Gewerbebetriebe hat. Nach dem Inhalt des Urteils des BayVGH konnte die beklagte Gemeinde nicht belegen, dass deren Struktur im Wesentlichen homogen ist (Rn. 24). Im Übrigen ist auch der BayVGH der Auffassung, dass bei Wohneinheiten im Versorgungsgebiet von annähernd gleicher Größe keine weiteren Differenzierungen des Wohnungseinheitsmaßstabs erforderlich sind.

37

Das Versorgungsgebiet des Zweckverbandes Wismar ist nach den Erkenntnissen des Gerichts im Wesentlichen dörflich-ländlich strukturiert, so dass weitere Differenzierungen bei der Erhebung der Grundgebühr nicht erforderlich sind. Es ist nichts dazu vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass es Wohneinheiten in größerer Anzahl im Verbandsgebiet gibt, die erheblich von der durchschnittlichen Größe einer Wohnung abweicht.

38

II. Die nach allem rechtmäßigen Gebührensatzungen sind im vorliegenden Fall zutreffend angewandt worden. Unzutreffend ermittelte Wassermengen und/oder weitere fehlerhafte Grundlagen der Veranlagung hat die Klägerin auch nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.

39

III. […]

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 24. Juni 2011 - 8 A 1250/03

bei uns veröffentlicht am 24.06.2011

Tenor Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 20. Januar 2003 – […] - und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 werden aufgehoben. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig.
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Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 28. Aug. 2012 - 8 A 1191/08

bei uns veröffentlicht am 28.08.2012

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Der Kläger ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 20. Januar 2003 – […] - und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung von Gebühren für die Lieferung von Wasser und die Abnahme von Schmutzwasser durch den Beklagten.

2

Am 3. Mai 2002 gab der Zweckverband Radegast seine Trinkwassergebührensatzung (TWGS) vom 29. April 2002 und seine Schmutzwassergebührensatzung vom 29. April 2002 (SWGS) am 3. Mai 2002 bekannt. Der Gebührenpflichtige wurde in § 5 Abs. 1 TWGS bzw. § 6 Abs. 1 SWGS wie folgt bestimmt:

3

Gebührenpflichtig ist der Eigentümer des Grundstücks. Besteht ein Erbbaurecht, so ist an Stelle des Eigentümers der Erbbauberechtigte gebührenpflichtig. Ist der Eigentümer des Grundstückes nicht zu ermitteln, so ist Gebührenschuldner jeder zur Nutzung des Grundstücks Berechtigte, der die jeweilige Schmutzwasserentsorgungsanlage in Anspruch nimmt.

4

Die Klägerin ist Eigentümerin eines in Nessow, A-Straße belegenden Grundstücks. Auf Grundlage der genannten Satzungen setzte der Beklagte für dieses Grundstück gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 20. Januar 2003 für das Jahr 2002 Gebühren in Höhe von 316,01 € für Trinkwasser (Bezeichnung: W) und 739,70 € für Schmutzwasser (Bezeichnung: K) fest.

5

Dagegen erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, dass die Satzung ungültig und nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sei, ohne dies näher auszuführen. Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 -zugestellt am 4. April 2003 - zurück. Zur Begründung legte er u. a. dar, dass der Zweckverband Radegast erst in Jahre 2002 eine den Anforderungen an das Kostendeckungsprinzip genügende Kalkulation erstellt habe. Verluste der Vorjahre seien binnen drei Jahre abzubauen. Dies erkläre die Gebührensteigerungen. Verluste der Druckrohrleitung Ratzeburg seien aber unberücksichtigt geblieben.

6

Die Klägerin hat am 4. Mai 2003 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie in einem am 15. Juni 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz aus: Der Zweckverband Radegast sei nicht wirksam gegründet worden, weil die schleswig-holsteinische Stadt Ratzeburg an ihm beteiligt gewesen sei. Dazu hätte es eines Staatsvertrages zwischen den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein bedurft. Die Gebührensatzungen seien nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Die Mitglieder der Verbandsversammlung seien nicht rechtzeitig informiert worden und hätten keine ausreichende Gelegenheit gehabt, Einsicht in die Beschlussunterlagen zu nehmen. Bei der Kalkulation hätten die Kosten für Baumaßnahmen für die Stadt Ratzeburg herausgerechnet werden müssen. Dies sei nicht geschehen. Insbesondere sei nicht die Kosten der Druckrohrleitung nach Ratzeburg herausgerechnet worden.

7

Die Klägerin beantragt,

8

den Gebührenbescheid des Beklagten vom 20. Januar 2003 […] und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 aufzuheben.

9

Der Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung verweist er zunächst auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides und trägt unter Hinweis auf zwei Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Schwerin (4 B 396/02 und 4 B 31/03) weiter vor: Der Zweckverband Radegast sei ordnungsgemäß gegründet worden. Die Abwassergebührensatzung sei ordnungsgemäß erlassen worden. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sei zu unbestimmt, um näheres ausführen zu können. Bei der Kalkulation seien Verlustvorträge drei Jahre rückwirkend berücksichtigt worden. Der Gebührenschuldner sei in den Satzungen auch nicht zu eng definiert. Weitere vom KAG M-V ins Auge gefasste Fallkonstellationen kämen im Verbandsgebiet nicht vor; in nahezu allen Fällen seinen Grundstückeigentümer und Grundsteuerpflichtige personengleich. Bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit seien die Regelungen unbedenklich.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Kalkulationsunterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Gebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Die dem Bescheid zugrunde liegenden Satzungen sind nichtig, da der Gebührenpflichtige unzureichend bestimmt war.

14

1. Allerdings sind entgegen der Auffassung der Klägerin die Satzungen formell zutreffend zustande gekommen bzw. eventuelle Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich:

15

a) Nach den vorliegenden Unterlagen ist die Beschlussfassung in der Verbandesversammlung ordnungsgemäß gewesen. Es ist insbesondere nicht gerügt worden, dass ein Mitglied der Verbandsversammlung die Beschlussunterlagen nicht (rechtzeitig) erhalten hat. Dies wird von der Klägerin auch nicht substantiiert dargelegt, so dass das Gericht diesem nicht weiter nachgehen muss.

16

b) Zudem ist das Gericht - dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (OVG M-V) folgend - der Auffassung, dass bei Verfahrensfehlern nicht einheitlich die Schlussfolgerung der Nichtigkeit einer Satzung gezogen werden darf, sondern es nach der Art und dem Gewicht des Fehlers zu differenzieren gilt. Gemäß § 5 Abs. 5 der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV MV) - die Vorschrift ist nach § 154 KV M-V auch auf Zweckverbände anzuwenden - ist eine solche Differenzierung nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift dient dem Zweck, eine unbegrenzte Geltendmachung von Verfahrensverstößen und Formvorschriftverstößen nicht zuzulassen, sondern entsprechende Rügefristen einzuführen, um nach deren Ablauf Rechtssicherheit zu gewährleisten.

17

- Vgl. OVG M-V, Urt. v. 29. Mai 2002 - 4 K 18/00 -, juris nur LS 2 = NordÖR 2002, 480-481.

18

Eine - hier unterstellte - nicht rechtzeitige Übersendung der Beschlussunterlagen würde nur zur Nichtigkeit der Satzung führen können, wenn ein Mitglied der Verbandsversammlung sich außerstande gesehen hätte, zu entscheiden und dies in dieser Sitzung gerügt hätte. Dies ist hier nicht der Fall. Weiter wäre zu bedenken, ob eine Verletzung dieser Verfahrensvorschrift (§§ 29 Abs. 3, 154 KV M-V in Verbindung mit der Geschäftsordnung der Verbandsversammlung) unter dem Gesichtspunkt der Klagebefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) von der Klägerin überhaupt gerügt werden könnte, da die genannten Bestimmungen nicht ihrem Schutz dienen, sondern dem Schutz der Mitglieder der Verbandsversammlung.

19

c) Darüber hinaus ist die Klägerin mit diesem Vortrag ausgeschlossen. Sie hat den - angeblichen - Verstoß gegen Verfahrensbestimmungen erst im Klageverfahren nach Ablauf der Jahresfrist des § 5 Abs. 5 KV M-V ausreichend konkretisiert. Die Satzungen sind am 3. Mai 2002 bekannt gemacht worden. Der Schriftsatz mit dem diesbezüglichen Vortrag ist aber erst am 15. Juni 2003 bei Gericht eingegangen.

20

2. Die Satzungen sind aber in materieller Hinsicht zu beanstanden.

21

a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 sowohl des früher als auch des derzeitig gültigen Kommunalabgabengesetzes (KAG M-V) muss in der Abgabensatzung der Kreis der Abgabenschuldner angegeben sein. Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 KAG M-V (alte und neue Fassung) ist bei den sog. Hausgebühren (unter anderem bei der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung) Gebührenschuldner, wer nach den grundsteuerrechtlichen Vorschriften Schuldner der Grundsteuer ist oder sein würde, wenn das Grundstück nicht von der Grundsteuer befreit wäre. Damit ist § 10 Abs. 1 des Grundsteuergesetzes (GrStG) zu beachten. Damit ist Gebührenschuldner nach den gesetzlichen Vorgaben entgegen der im Tatbestand zitierten Bestimmungen in den Satzungen nicht nur der Eigentümer (oder der Erbbauberechtigte) des (angeschlossenen) Grundstücks. Für die Bestimmung als Gebührenschuldner ist nicht nur das juristische Eigentum maßgebend, sondern auch das wirtschaftliche Eigentum (siehe auch § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung [AO]). Dazu gehören nicht nur die auch in der Satzungsbestimmung genannten Erbbauberechtigten, sondern etwa bei Vorliegenden der zivilrechtlichen Voraussetzungen (Wahrscheinlichkeit der Ausübung des Ankaufrechtes) der Mieter (Käufer) eines Mietkaufvertrages.

22

Vgl. näher FG Düsseldorf, Urt. v. 23. Mai 2005 - 11 K 3234/03 BG -; Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, 9. Aufl. 2006, § 10 Rn. 2

23

Des Weiteren kann bei ungeklärten Vermögensverhältnissen, bei Ansprüchen nach dem Gesetz für offene Vermögensfragen sowie bei nicht erteilter staatlicher Genehmigung zum Eigentumsübergang der Nutzer bzw. Verwalter Schuldner der Grundsteuer sein (Troll/Eisele, ebenda mwN). Auch bei bestimmten Sonderkulturen und gärtnerischen Nutzungsteilen (z. B. Baumschulen) ist unter Berücksichtigung bewertungsrechtlicher Vorschriften der durch intensive Nutzung des Pächters entstehende Mehrwert dem Pächter zuzurechnen. Der Pächter ist in diesen Fällen Schuldner der Grundsteuer und damit Gebührenschuldner. Jedenfalls in Ausnahmefällen kann bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft der Pächter als Schuldner in Betracht kommen.

24

Vgl. im Einzelnen Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar, 2. Aufl. 1995, § 10 Rn. 5.

25

bb) Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die vom Zweckverband Radegast gewählte Satzungsformulierung nicht alle denkbaren Fälle der von § 6 Abs. 4 Satz 2 KAG M-V zwingend vorgesehenen Gebührenschuldner erfasst. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz der Typengerechtigkeit verweist, findet dieser bei der Bestimmung des abgabenrechtlichen Schuldners keine Anwendung, sondern ist beim Gebührenmaßstab zu berücksichtigen. Denn die Typengerechtigkeit spielt insbesondere bei der Wahl des Maßstabs im Rahmen des Gleichheitssatzes eine Rolle. Sie sagt aus, ob und in welchem Umfang abweichende (atypische) Fallgestaltungen bei der Wahl des Maßstabs zu berücksichtigen sind oder vernachlässigt werden können, ohne dass vom Gesetz dazu nähere Vorgaben gemacht werden.

26

Vgl. näher zum Gebührenrecht: Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (Stand: Mai 2009), § 4 Rn. 8.8 mwN.

27

Bei der Bestimmung des Kreises der Gebührenschuldner ist hingegen der Kreis durch das Gesetz – wie dargestellt – abschließend vorgegeben, so dass für den Gesichtspunkt der Typengerechtigkeit kein Raum ist.

28

Das Gericht weist vorsorglich darauf hin, dass § 6 Abs. 1 SWGS vom 22. November 2010 gleichfalls nichtig sein dürfte.

29

3. Im Übrigen wird der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass der Zweckverband Radegast und damit seine Organe (und der Verstandsvorsteher) auch im Hinblick auf die Heilungsvorschriften der §§ 170a und 170b KV M-V rechtlich existent sind. Spätestens mit Ausscheiden der Stadt Ratzeburg und der deshalb geänderten Verbandssatzung bedarf es auch keiner Klärung mehr, ob und mit welchen Rechtsfolgen die Stadt Ratzeburg Mitglied des Zweckverbandes sein durfte. Darüber hinaus wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 15. Mai 2003 – 4 B 396/02 - verwiesen.