Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 24. Juni 2011 - 8 A 1250/03

bei uns veröffentlicht am24.06.2011

Tenor

Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 20. Januar 2003 – […] - und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte ist befugt, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung von Gebühren für die Lieferung von Wasser und die Abnahme von Schmutzwasser durch den Beklagten.

2

Am 3. Mai 2002 gab der Zweckverband Radegast seine Trinkwassergebührensatzung (TWGS) vom 29. April 2002 und seine Schmutzwassergebührensatzung vom 29. April 2002 (SWGS) am 3. Mai 2002 bekannt. Der Gebührenpflichtige wurde in § 5 Abs. 1 TWGS bzw. § 6 Abs. 1 SWGS wie folgt bestimmt:

3

Gebührenpflichtig ist der Eigentümer des Grundstücks. Besteht ein Erbbaurecht, so ist an Stelle des Eigentümers der Erbbauberechtigte gebührenpflichtig. Ist der Eigentümer des Grundstückes nicht zu ermitteln, so ist Gebührenschuldner jeder zur Nutzung des Grundstücks Berechtigte, der die jeweilige Schmutzwasserentsorgungsanlage in Anspruch nimmt.

4

Die Klägerin ist Eigentümerin eines in Nessow, A-Straße belegenden Grundstücks. Auf Grundlage der genannten Satzungen setzte der Beklagte für dieses Grundstück gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 20. Januar 2003 für das Jahr 2002 Gebühren in Höhe von 316,01 € für Trinkwasser (Bezeichnung: W) und 739,70 € für Schmutzwasser (Bezeichnung: K) fest.

5

Dagegen erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, dass die Satzung ungültig und nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sei, ohne dies näher auszuführen. Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 -zugestellt am 4. April 2003 - zurück. Zur Begründung legte er u. a. dar, dass der Zweckverband Radegast erst in Jahre 2002 eine den Anforderungen an das Kostendeckungsprinzip genügende Kalkulation erstellt habe. Verluste der Vorjahre seien binnen drei Jahre abzubauen. Dies erkläre die Gebührensteigerungen. Verluste der Druckrohrleitung Ratzeburg seien aber unberücksichtigt geblieben.

6

Die Klägerin hat am 4. Mai 2003 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie in einem am 15. Juni 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz aus: Der Zweckverband Radegast sei nicht wirksam gegründet worden, weil die schleswig-holsteinische Stadt Ratzeburg an ihm beteiligt gewesen sei. Dazu hätte es eines Staatsvertrages zwischen den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein bedurft. Die Gebührensatzungen seien nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Die Mitglieder der Verbandsversammlung seien nicht rechtzeitig informiert worden und hätten keine ausreichende Gelegenheit gehabt, Einsicht in die Beschlussunterlagen zu nehmen. Bei der Kalkulation hätten die Kosten für Baumaßnahmen für die Stadt Ratzeburg herausgerechnet werden müssen. Dies sei nicht geschehen. Insbesondere sei nicht die Kosten der Druckrohrleitung nach Ratzeburg herausgerechnet worden.

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Die Klägerin beantragt,

8

den Gebührenbescheid des Beklagten vom 20. Januar 2003 […] und dessen Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist er zunächst auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides und trägt unter Hinweis auf zwei Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Schwerin (4 B 396/02 und 4 B 31/03) weiter vor: Der Zweckverband Radegast sei ordnungsgemäß gegründet worden. Die Abwassergebührensatzung sei ordnungsgemäß erlassen worden. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sei zu unbestimmt, um näheres ausführen zu können. Bei der Kalkulation seien Verlustvorträge drei Jahre rückwirkend berücksichtigt worden. Der Gebührenschuldner sei in den Satzungen auch nicht zu eng definiert. Weitere vom KAG M-V ins Auge gefasste Fallkonstellationen kämen im Verbandsgebiet nicht vor; in nahezu allen Fällen seinen Grundstückeigentümer und Grundsteuerpflichtige personengleich. Bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit seien die Regelungen unbedenklich.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Kalkulationsunterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Gebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Die dem Bescheid zugrunde liegenden Satzungen sind nichtig, da der Gebührenpflichtige unzureichend bestimmt war.

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1. Allerdings sind entgegen der Auffassung der Klägerin die Satzungen formell zutreffend zustande gekommen bzw. eventuelle Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich:

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a) Nach den vorliegenden Unterlagen ist die Beschlussfassung in der Verbandesversammlung ordnungsgemäß gewesen. Es ist insbesondere nicht gerügt worden, dass ein Mitglied der Verbandsversammlung die Beschlussunterlagen nicht (rechtzeitig) erhalten hat. Dies wird von der Klägerin auch nicht substantiiert dargelegt, so dass das Gericht diesem nicht weiter nachgehen muss.

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b) Zudem ist das Gericht - dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (OVG M-V) folgend - der Auffassung, dass bei Verfahrensfehlern nicht einheitlich die Schlussfolgerung der Nichtigkeit einer Satzung gezogen werden darf, sondern es nach der Art und dem Gewicht des Fehlers zu differenzieren gilt. Gemäß § 5 Abs. 5 der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV MV) - die Vorschrift ist nach § 154 KV M-V auch auf Zweckverbände anzuwenden - ist eine solche Differenzierung nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift dient dem Zweck, eine unbegrenzte Geltendmachung von Verfahrensverstößen und Formvorschriftverstößen nicht zuzulassen, sondern entsprechende Rügefristen einzuführen, um nach deren Ablauf Rechtssicherheit zu gewährleisten.

17

- Vgl. OVG M-V, Urt. v. 29. Mai 2002 - 4 K 18/00 -, juris nur LS 2 = NordÖR 2002, 480-481.

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Eine - hier unterstellte - nicht rechtzeitige Übersendung der Beschlussunterlagen würde nur zur Nichtigkeit der Satzung führen können, wenn ein Mitglied der Verbandsversammlung sich außerstande gesehen hätte, zu entscheiden und dies in dieser Sitzung gerügt hätte. Dies ist hier nicht der Fall. Weiter wäre zu bedenken, ob eine Verletzung dieser Verfahrensvorschrift (§§ 29 Abs. 3, 154 KV M-V in Verbindung mit der Geschäftsordnung der Verbandsversammlung) unter dem Gesichtspunkt der Klagebefugnis (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) von der Klägerin überhaupt gerügt werden könnte, da die genannten Bestimmungen nicht ihrem Schutz dienen, sondern dem Schutz der Mitglieder der Verbandsversammlung.

19

c) Darüber hinaus ist die Klägerin mit diesem Vortrag ausgeschlossen. Sie hat den - angeblichen - Verstoß gegen Verfahrensbestimmungen erst im Klageverfahren nach Ablauf der Jahresfrist des § 5 Abs. 5 KV M-V ausreichend konkretisiert. Die Satzungen sind am 3. Mai 2002 bekannt gemacht worden. Der Schriftsatz mit dem diesbezüglichen Vortrag ist aber erst am 15. Juni 2003 bei Gericht eingegangen.

20

2. Die Satzungen sind aber in materieller Hinsicht zu beanstanden.

21

a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 sowohl des früher als auch des derzeitig gültigen Kommunalabgabengesetzes (KAG M-V) muss in der Abgabensatzung der Kreis der Abgabenschuldner angegeben sein. Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 KAG M-V (alte und neue Fassung) ist bei den sog. Hausgebühren (unter anderem bei der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung) Gebührenschuldner, wer nach den grundsteuerrechtlichen Vorschriften Schuldner der Grundsteuer ist oder sein würde, wenn das Grundstück nicht von der Grundsteuer befreit wäre. Damit ist § 10 Abs. 1 des Grundsteuergesetzes (GrStG) zu beachten. Damit ist Gebührenschuldner nach den gesetzlichen Vorgaben entgegen der im Tatbestand zitierten Bestimmungen in den Satzungen nicht nur der Eigentümer (oder der Erbbauberechtigte) des (angeschlossenen) Grundstücks. Für die Bestimmung als Gebührenschuldner ist nicht nur das juristische Eigentum maßgebend, sondern auch das wirtschaftliche Eigentum (siehe auch § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung [AO]). Dazu gehören nicht nur die auch in der Satzungsbestimmung genannten Erbbauberechtigten, sondern etwa bei Vorliegenden der zivilrechtlichen Voraussetzungen (Wahrscheinlichkeit der Ausübung des Ankaufrechtes) der Mieter (Käufer) eines Mietkaufvertrages.

22

Vgl. näher FG Düsseldorf, Urt. v. 23. Mai 2005 - 11 K 3234/03 BG -; Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, 9. Aufl. 2006, § 10 Rn. 2

23

Des Weiteren kann bei ungeklärten Vermögensverhältnissen, bei Ansprüchen nach dem Gesetz für offene Vermögensfragen sowie bei nicht erteilter staatlicher Genehmigung zum Eigentumsübergang der Nutzer bzw. Verwalter Schuldner der Grundsteuer sein (Troll/Eisele, ebenda mwN). Auch bei bestimmten Sonderkulturen und gärtnerischen Nutzungsteilen (z. B. Baumschulen) ist unter Berücksichtigung bewertungsrechtlicher Vorschriften der durch intensive Nutzung des Pächters entstehende Mehrwert dem Pächter zuzurechnen. Der Pächter ist in diesen Fällen Schuldner der Grundsteuer und damit Gebührenschuldner. Jedenfalls in Ausnahmefällen kann bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft der Pächter als Schuldner in Betracht kommen.

24

Vgl. im Einzelnen Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar, 2. Aufl. 1995, § 10 Rn. 5.

25

bb) Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die vom Zweckverband Radegast gewählte Satzungsformulierung nicht alle denkbaren Fälle der von § 6 Abs. 4 Satz 2 KAG M-V zwingend vorgesehenen Gebührenschuldner erfasst. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz der Typengerechtigkeit verweist, findet dieser bei der Bestimmung des abgabenrechtlichen Schuldners keine Anwendung, sondern ist beim Gebührenmaßstab zu berücksichtigen. Denn die Typengerechtigkeit spielt insbesondere bei der Wahl des Maßstabs im Rahmen des Gleichheitssatzes eine Rolle. Sie sagt aus, ob und in welchem Umfang abweichende (atypische) Fallgestaltungen bei der Wahl des Maßstabs zu berücksichtigen sind oder vernachlässigt werden können, ohne dass vom Gesetz dazu nähere Vorgaben gemacht werden.

26

Vgl. näher zum Gebührenrecht: Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern (Stand: Mai 2009), § 4 Rn. 8.8 mwN.

27

Bei der Bestimmung des Kreises der Gebührenschuldner ist hingegen der Kreis durch das Gesetz – wie dargestellt – abschließend vorgegeben, so dass für den Gesichtspunkt der Typengerechtigkeit kein Raum ist.

28

Das Gericht weist vorsorglich darauf hin, dass § 6 Abs. 1 SWGS vom 22. November 2010 gleichfalls nichtig sein dürfte.

29

3. Im Übrigen wird der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass der Zweckverband Radegast und damit seine Organe (und der Verstandsvorsteher) auch im Hinblick auf die Heilungsvorschriften der §§ 170a und 170b KV M-V rechtlich existent sind. Spätestens mit Ausscheiden der Stadt Ratzeburg und der deshalb geänderten Verbandssatzung bedarf es auch keiner Klärung mehr, ob und mit welchen Rechtsfolgen die Stadt Ratzeburg Mitglied des Zweckverbandes sein durfte. Darüber hinaus wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 15. Mai 2003 – 4 B 396/02 - verwiesen.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 42


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

Grundsteuergesetz - GrStG 1973 | § 10 Steuerschuldner


(1) Schuldner der Grundsteuer ist derjenige, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Grundsteuerwerts zugerechnet ist. (2) Ist der Steuergegenstand mehreren Personen zugerechnet, so sind sie Gesamtschuldner.

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Schuldner der Grundsteuer ist derjenige, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Grundsteuerwerts zugerechnet ist.

(2) Ist der Steuergegenstand mehreren Personen zugerechnet, so sind sie Gesamtschuldner.