Verwaltungsgericht Regensburg Beschluss, 29. Jan. 2014 - 5 S 14.30057

bei uns veröffentlicht am29.01.2014

Gericht

Verwaltungsgericht Regensburg

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine Abschiebungsanordnung in einem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).

Der am ...1988 geborene Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge sierra-leonischer Staatsangehöriger. Er reiste am 28.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 19.2.2013 einen Asylantrag stellte. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 1.10.2013 gab der Antragsteller an, bereits im August 2011 nach Italien gekommen zu sein. Dort habe er sich ein Jahr und neun Monate aufgehalten. In Italien habe er Asyl beantragt. Zunächst habe er eine negative Entscheidung über seinen Antrag erhalten. Dann habe er bei Gericht geklagt und habe einen positiven Bescheid erhalten. Diesen Bescheid habe er im Dezember 2012 bekommen. In Italien habe er einen Aufenthaltstitel (Permesso di soggiono) gehabt, der ein Jahr lang gültig gewesen sei. Italien habe er verlassen, weil man dort die Durchführung einer notwendigen Operation abgelehnt habe.

Dem Bundesamt legte der Antragsteller zahlreiche ärztliche Untersuchungsberichte vor, die unter anderem folgende Diagnosen enthalten:

- Einsteifende Coxarthrose rechts

- Verdacht auf Hüftkopfnekrose links

- Atypische Veränderungen im proximalen Femurschaft beidseits

- Chronisches Schmerzsyndrom durch Fehlstellung

- Posttraumatische Belastungsstörung mit massiven Schlafstörungen

- Angstneurose mit Panikstörung

- Skelettdeformitäten, extrem schmale Hüften und Thorax.

Aufgrund der physikalischen und röntgenneurologischen Untersuchung wurde seitens der orthopädischen Fachklinik Schwarzach (Drs. ... und ...) die klare Indikation zur Hüft-TEP-Inplantation auf der rechten Seite gesehen.

Aufgrund eines EURODAC-Treffers stellte das Bundesamt am 15.10.2013 ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Mit Schreiben vom 24.10.2013 erklärte sich das Ministero del Ínterno in Übereinstimmung mit Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 (ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1 ff. - im Folgenden: Dublin-II-VO) bereit, den Antragsteller wieder aufzunehmen.

Mit Bescheid vom 17.12.2013, der am 15.1.2014 gemäß § 4 Abs. 2 VwZG zur Post gegeben wurde, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig ist (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 2). Aufgrund des in Italien gestellten Asylantrags sei Italien gemäß Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei die italienische Gesundheitsfürsorge grundsätzlich für alle Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seien, gewährleistet. Auch soweit es um die Behandlung von psychischen bzw. traumatisierten Erkrankungen gehe, sei die ärztliche Versorgung in Italien sichergestellt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen.

Am 22.1.2014 ließ der Antragsteller Klage erheben, die unter dem Az. RN 5 K 14.30058 geführt wird. Zugleich beantragte er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.

Bei einer Rückführung nach Italien habe der Antragsteller mit einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung zu rechnen, weshalb eine Rückführung auszuscheiden habe. Er verweist insoweit auf verschiedene Auskünfte, Stellungnahmen und Gerichtsentscheidungen. Insbesondere das Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. habe zutreffend herausgearbeitet, dass das Asylverfahren in Italien an systematischen Mängeln leide (VG Frankfurt a. M. vom 9.7.2013, Az. 7 K 560/11.F.A ). Das Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. habe sich mit dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 2.4.2013 (ZAR 2013, 336 - ... ... und andere gegen die Niederlande und Italien) kritisch auseinandergesetzt und herausgearbeitet, dass diese Entscheidung trotz des negativen Ausgangs für die dortigen Beschwerdeführer gewissermaßen als „Schuss vor den Bug“ für die italienischen Behörden gewertet werden müsse. Die Quintessenz der Entscheidung laute, dass die Republik Italien mit einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte rechnen müsse und dass auch EU-Mitgliedstaaten, die Asylsuchende im Rahmen der Dublin-II-Regeln nach Italien abschieben, eine entsprechende Verurteilung wegen eines Bruchs der europäischen Menschenrechtskonvention drohe.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 17.12.2013 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat bislang noch keinen Antrag gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf das den Antragsteller betreffende Aktengeheft des Bundesamtes, das dem Gericht vorgelegen hat, Bezug genommen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.

Grundsätzlich kann das Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn der Sofortvollzug eines Verwaltungsaktes durch Gesetz angeordnet ist, wie dies vorliegend der Fall ist (vgl. §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 75 Satz 1 AsylVfG). Seit dem 6.9.2013 gilt dies auch für nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG angeordnete Abschiebungen. Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind in derartigen Fällen nach § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung zu stellen.

Vorliegend hat das Bundesamt die Anordnung der Abschiebung nach Italien auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützt. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Da die italienischen Behörden mit Schreiben vom 24.10.2013 ihre Zuständigkeit nach Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO erklärt haben und sich zur Übernahme des Antragstellers bereit erklärt haben, steht jedenfalls fest, dass die Abschiebung nach Italien - als EU-Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat im Sinne des § 26 a AsylVfG - durchgeführt werden kann.

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass für die Frage der Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags hier noch allein die Dublin-II-VO maßgeblich ist. Zwar trat die Dublin-III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 ff.) als Nachfolgeregelung bereits im Juli 2013 in Kraft. Allerdings finden die Zuständigkeitskriterien der Dublin-II-VO nach Art. 49 Abs. 2 Dublin-III-VO auf Asylanträge, die vor dem 1.1.2014 gestellt worden sind, weiterhin Anwendung.

Dabei kann zunächst dahinstehen, ob Italien tatsächlich nach der Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ausschlaggebend ist allein, dass Italien sich bereit erklärt hat, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Bei den Zuständigkeitsvorschriften in der Dublin-II-VO handelt es sich nämlich um reine zwischenstaatliche Regelungen, die grundsätzlich keine subjektiven Rechte von Asylbewerbern begründen, wonach das Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt werden muss (VG Regensburg vom 18.7.2013, Az. RN 5 K 13.30027 ; VG Regensburg vom 18.7.2013, Az. RN 5 K 13.30029 ; VG Trier vom 30.5.2012, Az. 5 K 967/11.TR m. w. N.). Deshalb kann ein Asylbewerber aus der Dublin-II-VO im Regelfall kein subjektives Recht herleiten, wonach sein Asylantrag tatsächlich im zuständigen Mitgliedstaat der EU geprüft wird. Die Dublin-II-VO geht nämlich davon aus, dass alle EU-Mitgliedstaaten ein gleichwertiges Asylrecht besitzen und damit einen gleichwertigen Schutz bieten.

Dem trägt die Regelung des § 34 a AsylVfG Rechnung, wonach die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat oder in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ohne materielle Prüfung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags erfolgen soll. Grundlage des gemeinsamen europäischen Asylsystems ist auch hier die Vermutung, dass das Asylverfahren und die Aufnahme der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat im Einklang steht mit den Anforderungen der Charta der Grundrechte der EU, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Konzept der normativen Vergewisserung).

Eine Ausnahme in Bezug auf die Gewährung subjektiver Rechte durch die zwischenstaatlichen Zuständigkeitsregelungen muss nach Auffassung des Gerichts allerdings im Rahmen des den Mitgliedstaaten zustehenden Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO gelten. Danach kann jeder Mitgliedstaat den von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin-II-VO festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Zwar kann Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht als uneingeschränkte Öffnungsklausel zur Durchsetzung individueller Ansprüche betrachtet werden. Gleichwohl dient die Vorschrift der Durchsetzung eines den Geboten der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union genügenden Asylverfahrens. Liegen daher im Einzelfall humanitäre Gründe vor oder ist - wie dies der Europäische Gerichtshof formuliert (EuGH vom 21.12.2011, verbundene Rs. C 411/10 und C 393/10, NVwZ 2012, 417) - ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im Zielstaat der Abschiebung systematische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Asylbewerbers im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren, so ist eine Durchbrechung des Konzepts der normativen Vergewisserung geboten. Liegen daher besondere humanitäre Gründe vor, so hat der Ausländer im Einzelfall ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung, welches sich im Falle einer ihm drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Zielstaat seiner Abschiebung dahingehend auf Null reduzieren kann, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Ausübung des ihr nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eingeräumten Selbsteintrittsrechts verpflichtet ist (vgl. auch: VG Potsdam vom 14.11.2013, Az. 6 L 787/13.A ; VG Berlin vom 27.11.2013, Az. 33 L 500.13 A ; VG Ansbach vom 18.9.2013, Az. AN 2 K 13.30675 ).

Zu prüfen ist demnach, ob die Mindeststandards bei der Behandlung von Asylbewerbern im Allgemeinen eingehalten werden. Fehlleistungen im Einzelfall stellen das Konzept der normativen Vergewisserung nicht in Frage. Erst wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im nach der Dublin-II-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat grundlegende, systembedingte Mängel aufweisen, die gleichsam zwangsläufig eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber befürchten lassen, ist ein Abweichen von den Bestimmungen der Dublin-II-VO mit der Folge geboten, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihrem Selbsteintrittsrechten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen muss. Mit anderen Worten muss in derartigen Fällen in der Bundesrepublik Deutschland ein Asylverfahren durchgeführt werden und die Abschiebung in den die Mindeststandards nicht einhaltenden Mitgliedsstaat ist unzulässig.

Nach Auffassung des Gerichts sind derzeit in Italien keine systematischen Mängel im eben beschriebenen Sinn festzustellen.

Die Situation von Migranten in Italien wird im Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011, veröffentlicht von Pro-Asyl und im gemeinsamen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von Juss-Buss, Norwegen „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien“, Mai 2011, veröffentlicht von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe als äußerst dramatisch geschildert. Insbesondere aufgrund dieser Berichte haben verschiedene Gerichte in der Vergangenheit eine Überstellung von Flüchtlingen nach Italien als unzulässig angesehen und Abschiebungen nach Italien im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ausgesetzt (vgl. nur: VG Meinigen vom 21.9.2011, Az. 8 E 20262/11Me ; VG Stuttgart vom 1.8.2011, Az. A 6 K 2577/11 ; VG Düsseldorf vom 29.7.2011, Az. 21 L 1127/11.A ; VG Augsburg vom 8.7.2011, Az. Au 6 S 11.30229 ; VG Köln vom 1.6.2011, Az. 14 L 564/11.A ; VG Braunschweig vom 9.5.2011, Az. 7 B 58/11 ; VG Regensburg vom 12.7.2011, Az. RN 9 E 11.30232 ).

Aus Sicht des entscheidenden Einzelrichters ist jedoch die sich aus den oben zitierten Berichten ergebende Einschätzung, dass die Situation in Italien im Hinblick auf die Versorgung von Asylbewerbern mit Unterkunft, Verpflegung und mit medizinischen Leistungen dem europäischen Mindeststandard nicht entspricht, aufgrund neuerer Berichte des Auswärtigen Amtes (AA) und insbesondere des UNHCR überholt. Grundaussagen der beiden oben zitierten Berichte war, dass den italienischen Behörden aufgrund der großen Anzahl von Asylbewerbern die Situation „über den Kopf gewachsen“ war und sie nicht in der Lage waren, Asylbewerbern in ausreichendem Maße die notwendige Versorgung mit Unterkunft etc. zukommen zu lassen. Zentraler systematischer Mangel war die unzureichende Kapazität an Unterkünften. Unterkünfte waren und sind die Basis für die Abdeckung der Grundbedürfnisse der Asylbewerber wie Nahrung oder persönliche Hygiene. Sie sind auch für den Zugang zur medizinischen Versorgung von großer Bedeutung. Die Berichte beruhen allerdings auf Erhebungen im Zeitraum September bis Dezember 2010. Die dort dargestellte Situation ist nunmehr jedoch überholt. Nach aktuellen dem Gericht vorliegenden Auskünften des Auswärtigen Amtes und des UNHCR hat sich die Situation in Italien wie folgt entwickelt:

Durch die sehr hohen Immigrationszahlen und Asylanträge (10.860) in der ersten Jahreshälfte 2011 („Notstand Nord-Afrika“) ist das Asylsystem Italiens vorübergehend unter Druck geraten (doppelte Antragsquote gegenüber Vorjahreszeitraum). Deshalb konnte die Verfahrensdauer vielfach nicht eingehalten werden und die Aufnahmezentren waren überbelegt. Mittlerweile hat sich die Situation jedoch mit nachlassendem Zustrom und der verbesserten Koordinierung der Unterbringung durch das Innenministerium und den Zivilschutz wieder reguliert (AA vom 9.12.2011 an VG Braunschweig; AA vom 29.11.2011 an VG Darmstadt). Das Aufnahmesystem in Italien wurde in den letzten Jahren verbessert und erst kürzlich um einen Notfallaufnahmeplan (verwaltet von der Abteilung für Zivilschutz) ergänzt, der eingeführt wurde, um auf die Migrationsbewerbungen aus Nord-Afrika seit Januar 2011 zu reagieren (UNHCR vom 24.4.2012 an VG Braunschweig). Das Aufnahmesystem umfasst derzeit Aufnahmezentren für Asylsuchende (CARA), Aufnahmezentren für Migranten (CDA), lokale Projekte im Rahmen des Schutzsystems für Asylsuchende und Flüchtlinge (SPRAR) und Zentren in sog. „großstädtischen Gebieten“ (UNHCR vom 24.42012 an VG Braunschweig). Asylbewerber werden derzeit praktisch vollständig untergebracht und versorgt, da die Aufnahmekapazitäten vorhanden sind. Während des Asylverfahrens haben die Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung, Verpflegung, medizinische Versorgung, psychologische Hilfe und Dolmetscher. Finanzielle Hilfe ist allerdings nur für den Fall vorgesehen, dass alle Plätze in den Aufnahmezentren belegt sind. Diese Möglichkeit wurde bisher nicht umgesetzt. Nach Italien zurückgeführten Personen wird eine Unterkunft zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. das Asylverfahren noch weiter geführt wird. Allerdings stellen viele Rückkehrer, da sie nicht in Italien bleiben wollen, keinen Asyl- oder Schutzantrag, weshalb ihnen die staatlichen Aufnahmezentren und andere Leistungen nicht offen stehen (AA vom 29.11.2011 an VG Darmstadt; AA vom 9.12.2011 an VG Braunschweig; AA vom 11.7.2012 an VG Freiburg). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass aufgrund der dem Gericht vorliegenden Berichte davon auszugehen ist, dass Italien Asylbewerbern in ausreichendem Maß Unterkünfte zur Verfügung stellen und damit einhergehend auch deren Grundbedürfnisse nach Nahrung etc. decken kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein formeller Asylantrag gestellt worden ist. Wird dagegen kein Asylantrag gestellt, so ist die sich daraus ergebende Situation für den Ausländer nicht durch die Verfahrensregelungen des italienischen Asylverfahrens verursacht. Es ist vielmehr allein dem Drittstaatsangehörigen anzulasten, wenn er sich bewusst außerhalb des geltenden Asylsystems in Italien aufhält.

Nach alledem vermag das Gericht keine durchgreifenden Anhaltspunkte für systematische Mängel bezüglich des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Italien zu erkennen. Insbesondere lassen sich systematische Mängel auch nicht durch das von J. G. (Flüchtlingsorganisation borderline-europe) erstellte Gutachten vom Dezember 2012 „Zur Lage von Asylsuchenden und Dublin-Rückkehrern“ (abgedruckt in: Asylmagazin 2013, 26), welches im Auftrag des Verwaltungsgerichts Braunschweig erstellt worden ist, herleiten. Das Gutachten beschäftigt sich in erster Linie mit den Aufnahmebedingungen, der Sicherung des Lebensunterhaltes und der Gesundheitsfürsorge der Asylsuchenden in Italien. Mit dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 6.2.2013, Az. 17 L 150/13.A ) anerkennt auch das entscheidende Gericht, dass die Aufnahmebedingungen in Italien Mängel aufweisen. Insbesondere die durch überlastete Aufnahmeeinrichtungen bestehende Gefahr der Obdachlosigkeit, die etwa durch das vorzitierte Gutachten von J. G. geschildert wird, ist vor dem Hintergrund der Art. 13 Abs. 2 und 14 der Richtlinie 2009/9/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31 vom 6.2.2003, S. 18) durchaus prekär. Allerdings ist das Gericht mit dem Verwaltungsgericht Düsseldorf der Auffassung, dass es sich bei den im Gutachten von J. G. aufgelisteten Missständen nicht um solche handelt, die einen systematischen Mangel charakterisieren. Es handelt sich nicht um strukturelle landesweite Missstände, die eine individuelle Gefährdung eines jeden einzelnen oder einer nennenswerten Anzahl von Asylbewerbern im Falle der Abschiebung nach Italien begründen und von den italienischen Behörden tatenlos hingenommen werden. Eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung herbeiführende beachtliche Unterschreitung der von dem Unionsrecht vorgesehenen Mindestanforderungen kann deshalb nicht ausgemacht werden.

Bestätigt wird dies durch eine neuere Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.1.2013 (Gz. 508-9-516.80/47560). Darin ist ausgeführt, dass nach Erkenntnissen der Botschaft derzeit alle Asylbewerber/Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden können. Gegebenenfalls gebe es lokale/regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügend Plätze vorhanden. Es sei nicht davon auszugehen, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssten. Auch könne in der Praxis nicht davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig durch Betteln und Prostitution sichern müssten. Auch seien die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften nicht dergestalt, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Im Regelfall oder gar überwiegend sei nicht davon auszugehen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien bzw. Rückkehrer nach der Dublin-II-VO nach Italien dort unter Verhältnissen leben müssten, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (Betteln, Leben auf der Straße etc.) bezeichnen könne. Hierbei handele es sich um Einzelfälle.

Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Situation in Italien dergestalt ist, dass ausnahmsweise ein Abweichen von der Regelung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG gerechtfertigt wäre.

Dass die derzeitigen Verhältnisse in Italien die Bundesrepublik Deutschland zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichten könnten, ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsteller zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 2.4.2013 (ZAR 2013, 336 - ... ... und andere gegen die Niederlande und Italien). Mit dem Verwaltungsgericht Ansbach (Beschluss vom 18.9.2013, Az. AN 2 K 13.30675 ) vermag der zur Entscheidung berufene Einzelrichter insbesondere die Interpretation dieser Entscheidung durch das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. in der vom Antragsteller zitierten Entscheidung vom 9.7.2013 (Az. 7 K 560/11 ) nicht nachzuvollziehen. Das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. zieht aus der Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofes den Schluss, dass die Republik Italien aufgrund der dortigen Verhältnisse mit ihrer Verurteilung durch den Gerichtshof wegen eines Bruches von Art. 3 EMRG rechnen müsse, was auch für EU-Mitgliedstaaten gelte, die Asylsuchende im Rahmen der Dublin-II-Regeln nach Italien abschieben. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat dazu ausgeführt, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in Ansehung der von ihm zitierten, weit gespannten Auskunftslage Ausführungen zur Bewertung der Verhältnisse in Italien gemacht. Sodann habe er ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe im dortigen Verfahren nicht nachgewiesen, dass sie im Falle einer Rückführung nach Italien einer ernsthaften und unmittelbar drohenden Gefahr ausgesetzt wäre, in materieller, physischer oder psychischer Hinsicht in eine Notlage zu geraten, die ausreichend gravierend sei, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Im Ergebnis gelange der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte somit zur Einschätzung, dass das Asylverfahren in Italien zwar gewisse Mängel aufweise, dass diese jedoch nicht so gravierend seien, als dass insgesamt von systembedingten Mängeln ausgegangen werden könne, die ein Abweichen vom Konzept der normativen Vergewisserung rechtfertigen könnten. Dieser Interpretation schließt sich Gericht vollumfänglich an.

Eine Abweichung vom Konzept der normativen Vergewisserung war somit mangels feststellbarer systembedingter Mängel des italienischen Asylverfahrens nicht geboten.

Das Bundesamt hat darüber hinaus das ihm im Rahmen der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eingeräumte Ermessen im Hinblick auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Antragstellers fehlerfrei ausgeübt. Es hat eingehend geprüft, ob eine Überstellung des Antragstellers nach Italien aufgrund der bei ihm diagnostizierten Krankheiten aus humanitären Gründen unterbleiben sollte. Es ist dabei in nicht zu beanstandender Weise zum Ergebnis gelangt, dass der Antragsteller in Italien nicht befürchten muss, keine medizinische Versorgung zu erhalten. Die Gesundheitsfürsorge sei in Italien grundsätzlich für alle Ausländer gewährleistet, die - wie der Antragsteller - im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind. Erforderlich sei eine Anmeldung beim Servizio Sanitario Nationale, die dann zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und bei Spezialisten oder zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtige.

Diese Einschätzung stimmt mit der dem Gericht bekannten Auskunftslage überein. Danach können sich alle Ausländer beim Servizio Sanitario Nazionale melden und registrieren lassen. Dafür benötigen sie ihren Aufenthaltstitel, ihre Steuernummer, die sie bei der Agenzia delle Entrate erhalten, sowie eine feste Adresse. Selbst wenn kein fester Wohnsitz besteht, kann über Sammeladressen bei der Caritas eine entsprechende Anmeldung erreicht werden. Mit der Registrierung haben alle Zugang zu einem Allgemeinarzt und kostenloser Behandlung. Überweisungen an Spezialisten bzw. Fachärzte werden kostenlos übernommen. Eine ärztliche Versorgung ist im Allgemeinen auch gewährleistet, soweit es um die Behandlung von psychischen bzw. traumatischen Erkrankungen geht. Eine kostenfreie medizinische Versorgung steht auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (vgl. dazu: AA an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.1.2013, Gz. 508-9-516.80/47560).

Das Bundesamt ist somit bei der Ausübung seines Ermessens im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen und es hat eine in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Ermessensausübung, die ohnehin seitens des Gerichts nur in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO überprüft werden kann, vorgenommen. Es gelangte zum Ergebnis, dass vom Selbsteintrittsrecht kein Gebrauch gemacht werde, weil der Antragsteller auch in Italien die notwendige medizinische Betreuung erhalten könne.

Nach alledem wird die Hauptsacheklage voraussichtlich keinen Erfolg haben, weshalb der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen war.

Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.

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Verwaltungsgericht Regensburg Gerichtsbescheid, 27. Okt. 2015 - RN 5 K 14.30058

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(2) Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein. Im Übrigen gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt nachzuweisen. Der Tag der Aufgabe zur Post ist in den Akten zu vermerken.

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg

RN 5 K 14.30058

Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Kläger -

bevollmächtigt: Rechtsanwältin I. G.-St. E2S2, M2.-str. ..., München

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Rothenburger Str. 29, Zirndorf

- Beklagte -

beteiligt:

Regierung von Niederbayern als Vertreter des öffentlichen Interesses, Postfach, Landshut

wegen Abschiebungsanordnung (Italien)

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg, 5. Kammer, durch den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Hohmann als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung

am 27. Oktober 2015

folgenden

Gerichtsbescheid:

I.

Das Verfahren wird eingestellt soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens beantragt hat und soweit sich die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheids vom 17.12.2013 gerichtet hat.

II.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV.

Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Ursprünglich wendete sich der Kläger gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), der die Feststellung enthält, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Insoweit beantragte der Kläger zunächst die Bescheidsaufhebung sowie die Verpflichtung des Bundesamts zur Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Ferner begehrte er die Aufhebung der im Bescheid enthaltenen Abschiebungsanordnung nach Italien.

Der am 20.11.1988 geborene Kläger, ein sierra-leonischer Staatsangehöriger, reiste am 28.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 19.2.2013 seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragte. Er gab an, bereits im August 2011 nach Italien gekommen zu sein. Dort habe er sich ein Jahr und neun Monate aufgehalten. In Italien habe er sogar einen Aufenthaltstitel (Permesso di soggiorno) gehabt, der ein Jahr lang gültig gewesen sei. Er habe Italien verlassen, weil man dort die Durchführung einer notwendigen Operation abgelehnt habe.

Am 15.10.2013 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Dublin-Il-VO (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003, ABI. L 50 vom 25.2.2003, S. 1 ff.) an Italien. Mit Schreiben vom 24.10.2013 erklärte sich das Ministero delflntemo in Übereinstimmung mit Art. 16 Abs. 2 Dublin-ll-VO bereit, den Kläger wieder aufzunehmen.

Auf Nachfrage des Gerichts hat das Bundesamt mit Schreiben vom 5.8.2014 mitgeteilt, dass der Kläger bereits am 6.3.2014 nach Italien überstellt worden ist. Zum Nachweis hat das Bundesamt eine entsprechende Bestätigung der zuständigen Ausländerbehörde vorgelegt.

Daraufhin hat das Gericht mit Schreiben an die Beteiligten vom 12.8.2014 den Erlass eines Gerichtsbescheides angekündigt. Aufgrund der durchgeführten Abschiebung des Klägers sei die Klage wohl unzulässig geworden, da keine ladungsfähige Anschrift des Klägers bekannt sei und sich der Bescheid wohl auch erledigt habe.

Zum Erlass eines Gerichtsbescheids kam es jedoch zunächst nicht, da die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 24.9.2014 mitgeteilt hat, dass der Kläger zwischenzeitlich erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Er befinde sich wieder in der Gemeinschaftsunterkunft, die er bereits vor seiner Abschiebung bewohnt habe. Der angegriffene Bescheid vom 17.12.2013 sei aufzuheben, da die im Bescheid enthaltene Abschiebungsanordnung durch die erfolgte Rücküberstellung des Klägers nach Italien „verbraucht“ sei. Vor einer erneuten Rücküberstellung sei eine erneute Abschiebungsanordnung zu erlassen und ein erneutes Wiederaufnahmeverfahren nach der nunmehr geltenden Dublin-lll-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013, ABI. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 ff.) durchzuführen.

Mit Schreiben vom 30.10.2014 hat das Bundesamt mitgeteilt, dass auch aus Sicht der Beklagten der Abschiebungsanordnung keine praktische Bedeutung mehr zukomme, da diese aufgrund der bereits vollzogenen Abschiebung „überholt“ sei. Um eine erneute Überstellung nach Italien zu erreichen, müsse erneut an diesen Mitgliedsstaat herangetreten werden.

Mit am 7.11.2014 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 6.11.2014 hat der Kläger seine Klage insoweit zurückgenommen, als die Verpflichtung beantragt war, ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Er beantrage nunmehr nur noch die Aufhebung der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids. Soweit ursprünglich die Aufhebung der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheids vom 17.12.2013 beantragt gewesen sei, werde der Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Mit Schriftsatz vom 10.11.2014, bei Gericht eingegangen am 13.11.2014, hat das Bundesamt der Teilerledigungserklärung zugestimmt.

Mit Bescheid vom 17.12.2013 stellte das Bundesamt daraufhin fest, dass der Asylantrag unzulässig sei (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 2). Italien sei gemäß Art. 16 Abs. 2 Dublin-ll-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-ll-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei eine ärztliche Versorgung des Klägers in Italien sichergestellt. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Dieser Bescheid wurde gemäß § 4 Abs. 2 VwZG am15.1.2014 als Einschreiben zur Post gegeben.

Klage erheben. Das Asylverfahren in Italien leide an Systemmängeln, weshalb eine Abschiebung dorthin zu unterbleiben habe. In Italien drohe dem Kläger eine massive Unterversorgung hinsichtlich seiner Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, der Unterbringung und der medizinischen Versorgung.

Der Kläger beantragte zunächst schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.12.2013 zu verpflichten, das Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.

Die Beklagte beantragte unter Bezugnahme auf die Gründe des angegriffenen Bescheides,

die Klage abzuweisen.

Einen mit Klageerhebung gestellten Eilrechtsschutzantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung hat das Gericht mit Beschluss vom 29.1.2014 (Az. RN 5 S 14.30057) abgelehnt. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Inhalt dieses Beschlusses Bezug genommen.

Ferner hat das Bundesamt dem Gericht eine Aufgriffsakte vorgelegt, aus der sich Folgendes ergibt:

Am 10.12.2014 hat das Bundesamt gegenüber den italienischen Behörden ein erneutes Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1d) Dublin-lll-VO gestellt. Eine Reaktion der italienischen Behörden auf dieses Ersuchen erfolgte nicht.

Am 11.12.2014 ist beim Bundesamt ein Schreiben der für den Kläger zuständigen Ausländerbehörde eingegangen, aus dem hervorgeht, dass sich der Kläger bereits seit dem 4.12.2014 in Untersuchungshaft in der JVA München/Stadelheim befinde. Daraufhin hat das Bundesamt dem italienischen Ministero deirinterno am 13.1.2015 mitgeteilt, dass eine Überstellung des Klägers derzeit nicht möglich sei, da er inhaftiert sei. Die Überstellung werde bis spätestens 24.12.2015 gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-lll-VO erfolgen.

Mit Bescheid vom 26.1.2015 ordnete das Bundesamt erneut die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Dieser Bescheid wurde dem Kläger persönlich am 28.1.2015 in der JVA Stadelheim zugestellt. Der Bescheid wurde vom Kläger nicht angegriffen.

Am 8.6.2015 hat die Klägerbevollmächtigte gegenüber dem Verwaltungsgericht mitgeteilt, dass sich der Kläger seit dem 5.6.2015 im sogenannten „Kirchenasyl“ in der Pfarrei St. Joseph in Tutzing befinde.

Am 2.7.2015 ließ der Kläger einen Ambulanzbrief des Benedictus Krankenhauses Tutzing vom 18.6.2015 vorlegen. Darin werden folgende Diagnosen gestellt:

- Ankylosierende posttraumatische Coxarthrose des rechten Hüftgelenkes mit begleitender Beinverkürzung.

- Verdacht auf Plexusschädigung rechtes Bein.

In der Zusammenschau bestehe beim Kläger eine relative Notfall-Indikation zur operativen Intervention, ein weiter verbessernder Spontanverlauf im Sinne einer Spontan-Arthrodese sei bis auf weiteres nicht zu erwarten. Bei regelrechtem Heilungsverlauf nach Implantation der Hüftendoprothese sei 3 bis 6 Monate postoperativ das Leistungsbild einer vollschichtigen Arbeitsfähigkeit für leichte und mittlere körperliche Tätigkeiten zu erwarten, die noch resultierende Einschränkung werde voraussichtlich aus der verbleibenden Plexus-Restschädigung bestehen.

Aus einer weiteren fachärztlichen Bescheinigung des Benedictus Krankenhauses Tutzing vom 3.7.2015 ergibt sich, dass eine operative Versorgung der Hüftgelenkschädigung des Klägers für den 7.7.2015 geplant sei. Für den unmittelbaren postoperativen Behandlungszeitraum bis zur Entfernung des Nahtmaterials nach ca. 10 Tagen sei eine stationäre Behandlung mit begleitender Schmerzmedikation erforderlich. Anschließend erfolge eine zunehmende Mobilisation bis nach voraussichtlich 6 Wochen der Patient ohne Unterarmstützen laufen könne und die volle Mobilisation aufnehme. Eine vollschichtige Arbeitsfähigkeit für leichte bis mittlere Tätigkeiten werde voraussichtlich 3 Monate postoperativ erreicht. Im Anschluss an den stationären Aufenthalt sei noch eine Rehabilitationsmaßnahme für 2 bis 3 Wochen sinnvoll, so dass bei unkompliziertem Heilungsverlauf mit einer Reisefähigkeit 6 Wochen postoperativ zu rechnen sei.

Die Klägerseite ist der Auffassung, dass eine Rücküberstellung des Klägers nach Italien nicht (mehr) möglich sei. Der Kläger sei zwar inhaftiert gewesen, weshalb die Rücküberstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 Dublin-lll-VO auf höchstens 1 Jahr verlängert werden könne. Aus dem Gebrauch des Wortes „kann“ ergebe sich, dass das Bundesamt insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen habe. Bei der Jahresfrist handele es sich um eine Höchstfrist und nicht um eine festgeschriebene automatische Verlängerung. Die Beklagte habe weder hinsichtlich des „ob“ noch hinsichtlich der Dauer der Verlängerung dieser Frist eine Ermessensentscheidung getroffen, so dass dieser Ermessensausfall nicht korrigiert werden könne. Der Umstand, dass sich der Kläger zwischenzeitlich im Kirchenasyl befinde führe im Übrigen nicht dazu, dass er „flüchtig“ sei, was eine Verlängerung der Rücküberstellungsfrist auf 18 Monate ermögliche. Der Kläger habe die Anschrift des Kirchenasyls den zuständigen Behörden gemeldet, weshalb er nicht als „flüchtig“ angesehen werden könne.

Hinzu komme, dass der Kläger aufgrund der erst durchgeführten Hüftgelenksoperation nicht reisefähig sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im Hauptsache- und Eilrechtsschutzverfahren sowie auf die Akten des Bundesamtes, die dem Gericht vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, konnte das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, § 84 Abs. 1 VwGO.

1. Soweit die Klage zurückgenommen worden ist (Antrag zur Verpflichtung des Bundesamts zur Durchführung eines Asylverfahrens) war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO findet darüber hinaus analoge Anwendung, soweit das Verfahren in der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet worden ist, was vorliegend in Bezug auf die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheids vom 17.12.2013 geschehen ist. Auch insoweit war das Verfahren somit einzustellen.

2. Das ausschließlich noch streitgegenständliche Begehren, die Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts vom 17.12.2013 aufzuheben, ist als Anfechtungsklage zulässig. Diese ist jedoch unbegründet.

Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Anfechtungsklage die zutreffende Klageart gegen einen Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass ein Asylverfahren unzulässig ist. Eine Klage auf Verpflichtung zur Durchführung eines Asylverfahrens - wie vom Kläger ursprünglich beantragt - bzw. auf Verpflichtung zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist dagegen unzulässig, da mit der Aufhebung des Bescheids die Beklagte kraft Gesetzes verpflichtet ist, das Asylverfahren fortzuführen. Außerdem ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestaltet ist, wenn das Gericht durchentscheiden müsste (vgl. nur: BayVGH vom 28.2.2014, BayVBI 2014, 628; OVG Hamburg vom 2.2.2015, AuAS 2015, 103 m. w. N.).

Die Anfechtungsklage ist unbegründet, da die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Alt. 2 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, rechtmäßig ist. Grundlage für die rechtliche Prüfung durch das Gericht ist somit das seit dem 24.10.2015 geltende AsylG (vgl. dazu das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.2015, BGBl Teil I Nr. 40 vom 23.10.2015, S. 1722 ff.). Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Entscheidung des Bundesamts ist somit § 27a AsylG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

a) Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamts war Italien zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da die italienischen Behörden mit Schreiben vom 24.10.2013 ihre Zuständigkeit nach Art. 16 Abs. 2 der sog. Dublin-ll-VO (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003, ABI. L50 vom 25.2.2003, Seiten 1 ff) ihre Zuständigkeit erklärt haben und sich zur Übernahme des Klägers bereit erklärt haben. Zwar trat die Dublin-lll-VO als Nachfolgeregelung bereits im Juli 2013 in Kraft. Allerdings fanden die Zuständigkeitskriterien der Dublin-ll-VO nach Art. 49 Abs. 2 Dublin-lll-VO zur damaligen Zeit noch Anwendung, da der Asylantrag vor dem 1.1,2014 gestellt worden ist.

b) Die streitgegenständliche Anordnung hat sich auch nicht durch die Überstellung des Klägers nach Italien am 6.3.2014 erledigt. Zwar hat die streitentscheidende Kammer in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, dass sich durch eine vollzogene Abschiebung auch der Ausspruch des Bundesamts, wonach das Asylverfahren unzulässig ist, erledigt. Die Zuständigkeit des aufnehmenden Mitgliedstaates sei aufgrund der Rückführung endgültig eingetreten und eine Änderung dieser Rechtsfolge sei gemeinschaftsrechtlich gar nicht mehr zulässig (VG Regensburg vom 18.7.2013, Az. RN 5 K 13.30027 und RN 5RN 5 K 13.30029 unter Übernahme der Rechtsprechung der 11. Kammer des VG Ansbach, Urteile vom 25.11.2010, Az. AN 11 K 10.30388 und vom 13.10.2010, Az. AN 11 K 10.30314 sowie Az. AN 11 K 10.30315 ).

Mit Blick auf die Regelungen der nunmehr geltenden Dublin-lll-VO dürfte diese Einschätzung nicht mehr haltbar sein. Dort ist in Art. 29 Abs. 3 ausdrücklich bestimmt, dass in den Fällen, in denen eine Person irrtümlich überstellt oder einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer Überstellungsentscheidung nach Vollzug der Überstellung stattgegeben wird, der Mitgliedsstaat, der die Überstellung durchgeführt hat, die Person unverzüglich wieder aufnimmt. Hieraus folgt, dass sich eine Klage gegen die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig mit der Rückführung nicht erledigt und eine Überprüfung der Entscheidung des Bundesamts,

auch dann noch möglich sein muss, wenn der Ausländer bereits in den (vermeintlich) zuständigen Mitgliedsstaat überstellt worden ist. Zwar enthält die Dublin-ll-VO keine dem Art. 29 Abs. 3 Dublin-lll-VO entsprechende Regelung. Gleichwohl ist der nunmehr geltenden Regelung, bei der es sich um eine reine zwischenstaatliche Zuständigkeitsregelung handelt, der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass der europäische Verordnungsgeber davon ausgeht, dass eine Überprüfung der nationalen „Unzuständigkeitsentscheidung“ auch noch nach Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedstaat möglich sein muss (vgl. VG Trier vom 27.5.2015, Az. 5 K 1176/14.TR Rn. 22).

c) Die Zuständigkeit Italiens blieb auch erhalten, nachdem der Kläger erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Zu diesem Zeitpunkt galt bereits die Dublin-lll-VO. Da die italienischen Behörden dem Kläger bereits einmal einen Aufenthaltstitel erteilt haben, oblag ihnen nach wie vor die Prüfung des Asylantrags gemäß Art. 19 Abs. 1 Dublin-lll-VO. Zwar war zu diesem Zeitpunkt eine erneute Rücküberstellung nach Italien noch nicht möglich, da eine Rücküberstellung die Einleitung eines erneuten Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahrens voraussetzt.

Vorliegend hat das Bundesamt ein entsprechendes Wiederaufnahmeverfahren auch fristgemäß eingeleitet und die Rücküberstellungsfrist ist noch nicht abgelaufen, weshalb die streitgegenständliche Entscheidung nach wie vor rechtmäßig ist. Erst wenn nämlich eine Überstellung nach Italien nicht mehr möglich ist, geht nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-lll-VO die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland über.

Hier war Italien nach Art. 18 Abs. 1d) Dublin-lll-VO verpflichtet, den Kläger wieder aufzunehmen. Da das Bundesamt gemäß Art. 24 Abs. 2 Dublin-lll-VO eine erneute Abfrage über das Eurodac-System durchgeführt hat, war das Wiederaufnahmegesuch innerhalb von 2 Monaten nach dem Erhalt der Eurodac-Treffermeldung den italienischen Behörden zu unterbreiten. Dies ist vorliegend geschehen; denn die Eurodac-Treffermeldung datiert ausweislich der Akten des Bundesamts vom 5.12.2014. Das Übernahmeersuchen an Italien wurde bereits am 10.12.2014 gestellt.

Nachdem die italienischen Behörden auf dieses Gesuch nicht innerhalb der gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin-lll-VO geltenden Frist von 2 Wochen geantwortet haben, war gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-lll-VO davon auszugehen, dass die italienischen Behörden dem Wiederaufnahmegesuch mit Ablauf des 24.12.2015 stattgegeben haben.

Somit begann die Rücküberstellungsfrist, die grundsätzlich gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin-lll-VO 6 Monate beträgt, am 25.12.2014.

Allerdings war eine Verlängerung der Rücküberstellungsfrist möglich, da die Überstellung aufgrund einer Inhaftierung des Klägers zunächst nicht möglich war, was dem Bundesamt seitens der zuständigen Ausländerbehörde mitgeteilt worden ist.

Wegen dieser Inhaftierung konnte das Bundesamt grundsätzlich die Rücküberstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-lll-VO auf höchstens 1 Jahr verlängern.

Soweit der Kläger diesbezüglich meint, das Bundesamt habe in Bezug auf die Fristverlängerung eine Ermessenentscheidung zu treffen und etwaige Ermessensdefizite würden sich zu seinen Gunsten auswirken, so ist zunächst zu bemerken, dass die Dublin-lll-VO grundsätzlich nur subjektive Rechte der Mitgliedsstaaten begründet, nicht aber der einzelnen Asylbewerber. Insbesondere sind aus dem Ablauf von Fristen keine subjektiven Rechte abzuleiten (vgl. Günther in: Beck-OK AusIR, § 27a AsylVfG, Rn. 29 f.). Subjektive Rechte eines Klägers können deshalb erst dann entstehen, wenn entweder eine unangemessen lange Verfahrensdauer verstrichen ist (vgi. EUGH vom 21.12.2011, Rs. C-411/10 Rn. 108) oder wenn in dem übernehmenden Staat systemische Mängel bestehen (EUGH vom 10.12.2013, NVwZ 2014, 208; BVerwG vom 19.3.2014, NVwZ2014, 1039).

Die Fristverlängerung gegenüber den italienischen Behörden ist hier seitens des Bundesamts ordnungsgemäß erfolgt. Aus Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-lll-VO, wonach die Frist „verlängert werden kann“ folgt, dass eine Fristverlängerung eine Absprache zwischen den beteiligten Mitgliedsstaaten erfordert. Andernfalls hätte der Verordnungsgeber formuliert, dass „sich die Frist verlängert“. Angesichts der Wortwahl ist deshalb davon auszugehen, dass es einer einvernehmlichen Regelung zwischen der ersuchenden und dem ersuchten Mitgliedsstaat bedarf. Eine solche Vereinbarung kann ausdrücklich oder - wie vorliegend - dadurch konkludent getroffen werden, dass der ersuchende Mitgliedsstaat den ersuchten Mitgliedsstaat vor Ablauf der regulären 6-monatigen Frist über die Gründe der Verzögerung informiert, eine Fristverlängerung geltend macht und der ersuchte Mitgliedsstaat hierauf schweigt (VG Hamburg vom 15.3.2012, Az. 10 A 227/11 Rn. 21 unter Hinweis auf Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 27a, Rn. 261 f.).

Zum Schutz der Grundrechte der einzelnen Asylbewerber ist es der Beklagten aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer verwehrt, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat der an sich unzuständige Mitgliedsstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 Dublin-ll-VO (jetzt: Art. 17 Abs. 1 Dublin-lll-VO) selbst prüfen (EUGH vom 21.12.2011, Rs. C-411/10 Rn. 108). Anhaltspunkte dafür, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäische Gerichtshof nicht gegeben. Aus Sicht des erkennenden Gerichts kann eine überlange Verfahrensdauer aber jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn die in der Dublin-lll-VO geregelten Fristen - wie dies vorliegend der Fall ist - noch nicht ausgeschöpft sind.

Ferner geht der zur Entscheidung berufene Einzelrichter nach wie vor davon aus, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien keine systemischen Mängel aufweisen, die dazu führen müssten, dass die Beklagte gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-lll-VO eine Überprüfung des Asylantrags vornehmen müsste. Nach der aktuellen Auskunftslage muss davon ausgegangen werden, dass Asylbewerbern im Falle ihrer Rücküberstellung nach Italien keine menschenunwürdige Behandlung droht. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Mindeststandards bei der Behandlung von Asylbewerbern in Italien schon im Allgemeinen nicht eingehalten werden.

Die Situation von Migranten in Italien wird im Bericht von M. Bethke und D. Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011, veröffentlicht von ProAsyl und im gemeinsamen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von Juss-Buss (Norwegen) „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien“, Mai 2011 (veröffentlicht von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe) als äußerst dramatisch geschildert. Insbesondere aufgrund dieser Berichte haben verschiedene Gerichte in der Vergangenheit eine Überstellung von Flüchtlingen nach Italien als unzulässig angesehen und Abschiebungen nach Italien im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ausgesetzt (vgl. nur: VG Meiningen vom 21.9.2011, Az. 8 E 20262/11Me ; VG Stuttgart vom 1.8.2011, Az. A 6 K 2577/11 ; VG Düsseldorf vom 29.7.2011, Az. 21 L 1127/11.A ; VG Augsburg vom 8.7.2011, Az. Au 6 S 11.30229 ; VG Köln vom 1.6.2011, Az. 14 L 564/11.A ; VG Braunschweig vom 9.5.2011, Az. 7 B 58/11 ; VG Regensburg vom 12.7.2011, Az. RN 9 E 11.30232 ).

Aus Sicht des entscheidenden Einzelrichters ist jedoch die sich aus den oben zitierten Berichten ergebende Einschätzung, dass die Situation in Italien im Hinblick auf die Versorgung von Asylbewerbern mit Unterkunft, Verpflegung und mit medizinischen Leistungen dem europäischen Mindeststandard nicht entspricht, aufgrund neuerer Berichte des Auswärtigen Amtes und insbesondere des UNHCR überholt. Grundaussagen der beiden oben zitierten Berichte war, dass den italienischen Behörden aufgrund der großen Anzahl von Asylbewerbern die Situation „über den Kopf gewachsen“ war und sie nicht in der Lage waren, Asylbewerbern in ausreichendem Maße die notwendige Versorgung mit Unterkunft etc. zukommen zu lassen. Zentraler systemischer Mangel war danach die unzureichende Kapazität an Unterkünften. Unterkünfte waren und sind die Basis für die Abdeckung der Grundbedürfnisse der Asylbewerber wie Nahrung oder persönliche Hygiene. Sie sind auch für den Zugang zur medizinischen Versorgung von großer Bedeutung. Die Berichte beruhen allerdings auf Erhebungen im Zeitraum September bis Dezember 2010. Die dort dargestellte Situation ist nunmehr jedoch überholt. Nach aktuellen dem Gericht vorliegenden Auskünften des Auswärtigen Amtes und des UNHCR hat sich die Situation in Italien wie folgt entwickelt:

Durch die sehr hohen Immigrationszahlen und Asylanträge (10.860) in der ersten Jahreshälfte 2011 („Notstand Nord-Afrika“) ist das Asylsystem Italiens vorübergehend unter Druck geraten (doppelte Antragsquote gegenüber Vorjahreszeitraum). Deshalb konnte die Verfahrensdauer vielfach nicht eingehalten werden und die Aufnahmezentren waren überbelegt. Mittlerweile hat sich die Situation jedoch mit nachlassendem Zustrom und der verbesserten Koordinierung der Unterbringung durch das Innenministerium und den Zivilschutz wieder reguliert (AA vom 9.12.2011 an VG Braunschweig; AA vom 29.11.2011 an VG Darmstadt). Das Aufnahmesystem in Italien wurde in den letzten Jahren verbessert und erst kürzlich um einen Notfallaufnahmeplan (verwaltet von der Abteilung für Zivilschutz) ergänzt, der eingeführt wurde, um auf die Migrationsbewegungen aus Nord-Afrika seit Januar 2011 zu reagieren (UNHCR vom 24.4.2012 an VG Braunschweig). Das Aufnahmesystem umfasst derzeit Aufnahmezentren für Asylsuchende (CARA), Aufnahmezentren für Migranten (CDA), lokale Projekte im Rahmen des Schutzsystems für Asylsuchende und Flüchtlinge (SPRAR) und Zentren in sogenannten „großstädtischen Gebieten“ (UNHCR vom 24.42012 an VG Braunschweig). Asylbewerber werden derzeit praktisch vollständig untergebracht und versorgt, da die Aufnahmekapazitäten vorhanden sind. Während des Asylverfahrens haben die Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung, Verpflegung, medizinische Versorgung, psychologische Hilfe und Dolmetscher. Finanzielle Hilfe ist allerdings nur für den Fall vorgesehen, dass alle Plätze in den Aufnahmezentren belegt sind. Diese Möglichkeit wurde bisher nicht umgesetzt. Nach Italien zurückgeführten Personen wird eine Unterkunft zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. das Asylverfahren noch weiter geführt wird. Allerdings stellen viele Rückkehrer, da sie nicht in Italien bleiben wollen, keinen Asyl- oder Schutzantrag, weshalb ihnen die staatlichen Aufnahmezentren und andere Leistungen nicht offen stehen (AA vom 29.11.2011 an VG Darmstadt; AA vom 9.12.2011 an VG Braunschweig; AA vom 11.7.2012 an VG Freiburg). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass aufgrund der dem Gericht vorliegenden Berichte davon auszugehen ist, dass Italien Asylbewerbern in ausreichendem Maß Unterkünfte zur Verfügung stellen und damit einhergehend auch deren Grundbedürfnisse nach Nahrung etc. decken kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein formeller Asylantrag gestellt worden ist. Wird dagegen kein Asylantrag gestellt, so ist die sich daraus ergebende Situation für den Ausländer nicht durch die Verfahrensregelungen des italienischen Asylverfahrens verursacht. Es ist vielmehr allein dem Drittstaatsangehörigen anzulasten, wenn er sich bewusst außerhalb des geltenden Asylsystems in Italien aufhält.

Nach alledem vermag das Gericht keine durchgreifenden Anhaltspunkte für systemische Mängel bezüglich des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Italien zu erkennen. Insbesondere lassen sich systemische Mängel auch nicht durch das von J. Gleitze (Flüchtlingsorganisation borderline-europe) erstellte Gutachten vom Dezember 2012 „Zur Lage von Asylsuchenden und Dublin-Rückkehrern“ (abgedruckt in: Asylmagazin 2013, 26), welches im Auftrag des Verwaltungsgerichts Braunschweig erstellt worden ist, herleiten. Das Gutachten beschäftigt sich in erster Linie mit den Aufnahmebedingungen, der Sicherung des Lebensunterhaltes und der Gesundheitsfürsorge der Asylsuchenden in Italien. Mit dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Beschluss vom 6.2.2013, Az. 17 L 150/13.A ) anerkennt auch das entscheidende Gericht, dass die Aufnahmebedingungen in Italien Mängel aufweisen. Insbesondere die durch überlastete Aufnahmeeinrichtungen bestehende Gefahr der Obdachlosigkeit, die etwa durch das vorzitierte Gutachten von J. Gleitze geschildert wird, ist vor dem Hintergrund der Art. 13 Abs. 2 und 14 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABI. L 31 vom 6.2.2003, S. 18) durchaus prekär. Allerdings ist das Gericht mit dem Verwaltungsgericht Düsseldorf der Auffassung, dass es sich bei den im Gutachten von J. Gleitze aufgelisteten Missständen nicht um solche handelt, die einen systemischen Mangel charakterisieren. Es handelt sich nicht um strukturelle landesweite Missstände, die eine individuelle Gefährdung eines jeden einzelnen oder einer nennenswerten Anzahl von Asylbewerbern im Falle der Abschiebung nach Italien begründen und von den italienischen Behörden tatenlos hingenommen werden. Eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung herbeiführende beachtliche Unterschreitung der von dem Unionsrecht vorgesehenen Mindestanforderungen kann deshalb nicht ausgemacht werden.

Bestätigt wird dies durch eine neuere Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.1.2013 (Gz. 508-9516.80/47560). Darin ist ausgeführt, dass nach Erkenntnissen der Botschaft derzeit alle Asylbewerber/Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden können. Gegebenenfalls gebe es lokale/regionale Überbelegungen, Italienweit seien aber genügend Plätze vorhanden. Es sei nicht davon auszugehen, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssten. Auch könne in der Praxis nicht davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig durch Betteln und Prostitution sichern müssten. Auch seien die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften nicht dergestalt, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Im Regelfall oder gar überwiegend sei nicht davon auszugehen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien bzw. Rückkehrer nach der Dublin-ll-VO nach Italien dort unter Verhältnissen leben müssten, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (Betteln, Leben auf der Straße etc.) bezeichnen könne. Hierbei handele es sich um Einzelfälle.

Ferner vermag auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien zu erkennen. Nach dessen Rechtsprechung steht Art. 3 EMRK der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien im Rahmen des Dublin-Systems regelmäßig nicht entgegen. Dies gelte unter Berücksichtigung der zahlreichen Berichte von Nichtregierungsorganisationen auch für besonders schutzbedürftige Personengruppen, wie etwa Alleinerziehende mit Kleinkindern oder traumatisierte Personen (EGMR vom 2.4.2013, ZAR 2013, 336) sowie auch für Asylbewerber mit einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer somatoformen Schmerzstörung (EGMR vom 18.6.2013, ZAR 2013, 338). In der erstgenannten Entscheidung hat der Gerichtshof ferner ausgeführt, allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse der Beschwerdeführerin im dortigen Verfahren durch eine Rückführung nach Italien bedeutend geschmälert würden, sei nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Allerdings verlangt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 4.11.2014 (ASYLMAGAZIN 12/2014, S. 424 f.) für die Abschiebung von Familien mit Kleinkindern, dass eine individuelle Garantie vor der Abschiebung vorliegen muss, dass die Familie gemeinsam untergebracht wird und eine dem Alter der Kinder angemessene Betreuung vorhanden ist. Ebenso verlangt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 17.9.2014, (Az. 2 BvR 732/14 ), dass - sofern belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen im Zielstaat der Abschiebung bestehen - diesen durch die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde angemessen Rechnung zu tragen ist. Jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 Dublin-lll-VO) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren sei in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhalte. Zu diesem besonders geschützten Personenkreis gehört der alleinstehende Kläger nicht.

Die medizinische Versorgung in Italien erscheint ebenso gesichert. Die Gesundheitsversorgung in Italien ist grundsätzlich für alle Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, gewährleistet. Alle Ausländer müssen sich aber bei der Servizio Sanitanö Nazionale melden und registrieren lassen. Dafür benötigen sie einen Aufenthaltstitel, deren Codice Viscale sowie eine feste Adresse, wobei die Selbstauskunft für eine Adresse ausreicht. Die Caritas bietet darüber hinaus Sammeladressen für Personen an, die keinen festen Wohnsitz haben, diesen jedoch für alle bürokratischen und Verwaltungsangelegenheiten benötigen. Dementsprechend muss davon ausgegangen werden, dass in Italien ohne weiteres eine Nachbehandlung der beim Kläger durchgeführten Hüftgelenksoperation möglich ist.

Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Situation in Italien dergestalt ist, dass die Beklagte in Anwendung des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-lll-VO ausnahmsweise prüfen müsste, ob ein anderer Staat oder sie selbst zur Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig ist (vgl. auch die Beschlüsse der entscheidenden Kammer vom 6.3.2014, RN 5 S 14.30209 sowie vom 29.1.2014, Az. RN 5 S 14.30057 . Die dargestellte Einschätzung der Situation in Italien wird von der überwiegenden Rspr. geteilt. Vgl. statt vieler: OVG NRW vom 24.4.2015, Az. 14 A 2356/12.A und vom 26.5.2015, Az. 19 A 581/14.A ; Nds OVG vom 27.5.2014, Az. 2 LA 308/13 , BayVGH vom 28.2.2014, BayVBI 2014, 628; VGH BW vom 16.4.2014, InfAusIR 2014, 293; OVG Rheinland-Pfalz vom 21.2.2014, Az. 10 A 10656/13 ; OVG Berlin-Bbg vom 17.6.2013, Az. OVG 7 S 33.13 ; VG Hannover vom 29.9.2015, Az. 13 B 4725/15 ; VG Gelsenkirchen vom 11.8.2015, Az. 7a L 1680/15.A ; VG Augsburg vom 3.12.2014, Az. Au 7 S 14.50321 ; VG Würzburg vom 3,2.3014, Az. W 6 S 14.30079 ; VG Düsseldorf vom 31.3.2014, Az. 13 L 119/14.A ; VG Wiesbaden vom 6.3.2014, Az. 5 L 191/14.WI.A ; a. A.: VG Gießen vom 25.11.2013, Az. 1 K 844/11.GI.A ). Bestätigt wird diese Einschätzung durch eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13.1.2015 (No. 51428/10), mit der eine Klage eines jungen, gesunden Mannes gegen seine Überstellung nach Italien abgewiesen worden ist.

Nach alledem ist die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Regelung derzeit nicht zu beanstanden.

Soweit der Kläger im Verfahren geltend macht, er sei aufgrund der erst im Juli 2015 erfolgten Hüftgelenksoperation reiseunfähig, so spielt dies im vorliegenden Verfahren keine Rolle. Streitgegenständlich ist hier allein der Ausspruch des Bundesamtes, wonach das Asylverfahren unzulässig ist. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse können allenfalls einer nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu erlassenden Abschiebungsanordnung entgegenstehen, denn die genannte Vorschrift bestimmt, dass die Abschiebungsanordnung erst dann erfolgen darf, wenn feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebung muss daher nicht nur rechtlich möglich sein, sondern sie muss auch tatsächlich durchführbar sein. Andernfalls ist die Abschiebung auszusetzen (Duldung). Liegen somit Duldungsgründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, so ist die Abschiebung unmöglich und kann auch im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht durchgeführt werden. Im Rahmen dieser Vorschrift sind folglich inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu überprüfen. Somit wird deutlich, dass eine mögliche Reiseunfähigkeit des Klägers im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides keine Rolle spielt, sondern ausschließlich im Rahmen der Prüfung der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die derzeit gültige Abschiebungsanordnung vom 26.1.2015 wurde seitens des Klägers jedoch nicht angefochten und ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO, soweit die Klage zurückgenommen worden ist.

Soweit der Rechtsstreit dagegen übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, folgt die Kostenentscheidung aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Das Gericht hat danach nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Diesbezüglich war zu berücksichtigen, dass bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses (Rückführung des Klägers nach Italien) die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids nicht zu beanstanden war, was das Gericht bereits ausführlich im Eilrechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO(Beschluss vom 29.1.2014, Az. RN 5 S 14.30057) dargestellt hat. Insoweit wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen.

Soweit dagegen eine streitige Entscheidung erfolgt ist, beruht die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 1 VwGO.

5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 ff. ZPO.

6. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Rechtsmittelbelehrung

Soweit das Verfahren eingestellt worden ist (Ziffer I), ist der Gerichtsbescheid unanfechtbar, § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO, § 80 AsylVfG.

Im Übrigen steht den Beteiligten gegen diesen Gerichtsbescheid die Berufung zu, wenn sie von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg schriftlich zu stellen (Haidplatz 1, 93047 Regensburg oder Postfach 110165, 93014 Regensburg).

Der Antrag muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Anstelle der Zulassung der Berufung können die Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg - Adresse wie oben - schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle mündliche Verhandlung beantragen.

Wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt. Dem Antrag eines Beteiligten sollen jeweils 4 Abschriften beigefügt werden.

Hinweis auf Vertretungszwang: Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich alle Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt bereits für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird, die aber noch beim Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder die anderen in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; Einzelheiten ergeben sich aus § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

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Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, im Asylverfahren des Klägers das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben und das Asylverfahren durchzuführen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen ihm noch nicht bekannt gegebenen Bescheid der Beklagten über die Unzulässigkeit des von ihm gestellten Asylantrags und erstrebt seine Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zumindest aber die sachliche Bearbeitung seines Asylantrags.

2

Am 25. August 2010 stellte der Kläger bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 5. August 2010 bei der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen als Asylbewerber erfasst worden war.

3

Bei der Asylbeantragung gab er an, somalischer Staatsangehörigkeit und am ... in ... geboren zu sein, wo er auch gelebt habe; er gehöre der Volksgruppe der ... an und sei islamischer Religionszugehörigkeit. Er habe einen Reisepass besessen, wisse aber aufgrund des Krieges nicht, wo dieser sich befinde. Am ... habe er religiös die Ehe geschlossen, wisse aber nicht, wo sich seine Ehefrau aufhalte. Er sei Vater eines ... geborenen Sohnes, der bei der Mutter lebe. Er habe 8 Jahre lang die Schule besucht und den Beruf eines Technikers erlernt. In diesem Beruf habe er auch gearbeitet. Insoweit legte er einen Dienstausweis von ... vor.

4

Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 15. September 2010 trug der Kläger vor, dass er am 16. Juli 2010 Mogadischu verlassen habe und in einem Kraftfahrzeug Richtung Nairobi gefahren sei, wo er am 25. Juli 2010 angekommen sei. Von dort sei er mit Emirate Airline über Dubai nach Frankfurt geflogen, wo er am 5. August 2010 morgens gegen 6 Uhr angekommen sei. Auf Nachfrage, wieso im Dezember 2009 seine Fingerabdrücke in Ungarn aufgenommen worden seien, erklärte der Kläger dann, dass er Mogadischu am 25. Oktober 2010 mit einem LKW verlassen habe, sieben Tags unterwegs gewesen sei und am 20. November 2011 mit einer türkischen Fluggesellschaft nach Rumänien geflogen sei. Von dort sei er zu Fuß nach Ungarn gelangt, wo er sich ca. sieben Monate aufgehalten habe. Er habe dort einen Asylantrag gestellt und Dokumente, aber keine Unterkunft und keine Unterstützung erhalten. Er habe nicht arbeiten können und auf der Straße gelebt. In Ungarn sei er mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden. Unterlagen über den Aufenthalt in Ungarn besitze er nicht. Schließlich sei er mit einem Bus nach Gießen gefahren, wo er am 5. August angekommen sei. Er sei Radiotechniker und habe bei einem für Mogadischu und Umgebung zuständigen Sender gearbeitet. Sein Vater habe als Soldat für ... gearbeitet und sei im Januar 2009 von Al-Shabab-Leuten umgebracht worden. Außerdem seien Mitarbeiter seines Senders ermordet worden, so dass er große Angst gehabt habe, ebenfalls umgebracht zu werden. Als er zusammen mit anderen Personen vor den Al-Shabab-Leuten weggelaufen sei, sei er gefallen und habe sich eine Verletzung zugezogen, die mit drei Stichen habe genäht werden müssen. Er sei telefonisch bedroht worden. Deshalb habe er Somalia verlassen.

5

Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Oktober 2010 machte der Kläger dann geltend, dass Deutschland verpflichtet sei, den Selbsteintritt zu erklären und das Asylverfahren sachlich durchzuführen Der Kläger sei psychisch schwer krank, seitdem er in Ungarn mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden sei, sei er traumatisiert. Ferner reichte er ein Attest des Univ.-Prof. Dr. med. ... vom 16. Dezember 2010 zu den Akten, in dem es heißt, dass der sehr ängstlich wirkende Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide. Außerdem reichte der Kläger ein Schriftstück der Organisation Reporter ohne Grenzen vom 8. März 2011 zu den Akten, in dem es heißt, dass der vom Kläger genannter Sender 2009 vier Mitarbeiter, darunter den ehemaligen Direktor, durch Morde der islamistischen Gruppe Al Shabaab verloren habe. Ferner legte er eine ärztliche Stellungnahme des Vereins zur Unterstützung traumatisierter Patienten vom 15. April 2011 vor, die ebenfalls eine PTBS attestiert.

6

Auf entsprechendes Übernahmeersuchen der Beklagten stimmte Ungarn unter dem 25 Mai 2011 einer Überstellung des Klägers nach Ungarn zu und führte aus, dass der am 18. Dezember 2009 gestellte Asylantrag des Klägers zwar abgelehnt, ihm aber vorübergehender Schutz (beneficiary of temporary protection) zugebilligt worden sei.

7

Mit bislang allerdings nicht an den Kläger übermitteltem Bescheid vom 26. Mai 2011 entschied die Beklagte alsdann, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insoweit müsse Ungarn die vom Kläger geltend gemachten psychischen Probleme prüfen, zumal es dem Kläger bereits subsidiären Rechtsschutz gewährt habe. Außerdem heißt es in dem bislang nicht bekannt gegeben Bescheid, dass die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet werde.

8

Am 14. Juli 2011 hat der Kläger alsdann Klage erhoben und darauf hingewiesen, dass er sich bis auf weiteres wegen einer PTBS in stationärer Behandlung im Pfalzklinikum Klingenmünster aufhalte und nicht reisefähig sei. Insoweit verwies er auf eine fachärztliche Bescheinigung der genannten Klinik.

9

Mit Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - untersagte die erkennende Kammer der Beklagten auf Antrag des Klägers alsdann, einstweilen seine Rücküberstellung nach Ungarn zu betreiben. Zur Begründung des Beschlusses ist ausgeführt, dass der Kläger sich aufgrund der ärztlich attestierten Reise- und Transportunfähigkeit auf ein im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigendes inlandsbezogenen Abschiebungshindernis berufen könne.

10

Zur weiteren Klagebegründung macht der Kläger geltend, dass er ungeachtet dessen, dass er zwischenzeitlich aus der Klinik entlassen worden sei, weiterhin reise- und transportunfähig sei. Wegen der PTBS sei er zwischenzeitlich in Behandlung einer psychotherapeutischen Praxis; insoweit verweist er auf ein Attest des Dr. phil. ... vom 9. Dezember 2011. Des Weiteren verweist er auf eine nervenärztliche Stellungnahme der Dr. med. ... vom 2. Mai 2012. Ferner trägt der Kläger vor, dass das Übernahmeersuchen nach Ungarn nicht innerhalb von drei Monaten und damit verspätet gestellt worden sei und die Beklagte deshalb zu einem Selbsteintritt verpflichtet sei.

11

Ferner macht der Kläger geltend, dass berücksichtigt werden müsse, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Überstellung aus Österreich nach Ungarn gestoppt habe, weil Flüchtlinge dort nach Rückkehr bis zu einem Jahr inhaftiert würden. Von daher habe er einen Anspruch aus Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte. Als Sachverständige zu den gravierenden Mängeln im Asylverfahren in Ungarn solle Frau Marion Bayer gehört werden, die unter dem Titel "Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit" für ProAsyl einen umfangreichen Bericht zu den dortigen Verhältnissen erstellt habe, den er zu den Akten reichte. Im Übrigen habe der UNHCR in einem Bericht vom 24. April 2012 erhebliche Kritik an der Behandlung von Asylbewerbern in Ungarn geübt.

12

Im Hinblick auf das geltend gemachte Asylbergehren beruft der Kläger sich auf eine weitere zu den Akten gereichte Stellungnahme des Vereins Reporter ohne Grenzen vom 10. Oktober 2011, in der ausgeführt wird, dass die Situation in Somalia für den Kläger als ehemaligen Mitarbeiter der Radiostation ... sehr kritisch sei.

13

In der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat der Kläger die ihm eingeräumte Möglichkeit, sich ergänzend zum Klagebegehren zu äußern, genutzt und ausführliche Angaben zur Sache gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Angaben wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Beklagte unter Aufhebung des bislang nicht zugestellten Bescheides vom 26. Mai 2011 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, die Flüchtlingseigenschaft festzustellen und festzustellen, dass im Hinblick auf seine Person in Bezug auf eine Abschiebung nach Somalia die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis Abs. 5 bzw. Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,

16

hilfsweise,

17

die Beklagte zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

18

Die in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertretene Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers schriftsätzlich entgegengetreten und bittet,

19

die Klage abzuweisen.

20

Sie ist der Auffassung, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn aufgrund der Bestimmungen der Art. 16 Abs. 1e, 20 der Dublin-II-VO nicht fristgebunden sei. Im Übrigen korrespondiere das Selbsteintrittsrecht eines EU-Mitgliedstaates nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO nicht mit subjektiven Rechten eines Asylbewerbers. Außerdem erfülle Ungarn gegenüber asylbeantragenden Ausländern die europarechtlich vorgegebenen Mindeststandards. Diese Einschätzung widerspreche nicht dem Urteil des EUGH vom 21. Dezember 2011 - C-441/10.N.S. -, denn vereinzelte Ausreißer in der Behandlung einzelner Asylbewerber könnten kein allgemeines Selbsteintrittsrecht begründen. Insoweit müsse auch gesehen werden, dass der österreichische Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - ausgeführt habe, dass eine Überstellung von Asylbewerbern nach Ungarn möglich sei.

21

Die Kammer hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 den Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2012. Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die auf Blatt 178 ff. der Prozessakte aufgelisteten Unterlagen zu den Verhältnissen in Somalia lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

23

Die Klage, über die das Gericht trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - entscheiden kann, ist unzulässig, soweit der Kläger eine Aufhebung des bislang noch nicht bekanntgegebenen Bescheids vom 26. Mai 2011 erstrebt, denn dieser lediglich bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 und 5 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - bislang nicht wirksam geworden, weil er dem Kläger (noch) nicht bekannt gegeben worden ist. Soll ein Asylantrag - wie hier - nach § 27 a AsylVfG abgelehnt werden, erfolgt die Bekanntgabe der Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG durch Zustellung an den Ausländer selbst, § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG. Wird der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten, soll diesem ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Vorliegend fehlt es bislang an einer derartigen Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten an den Kläger. Dass diesem der in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten enthaltene Bescheid auf dem Wege der Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten in die Verwaltungsvorgänge bekannt geworden sind, stellt keine wirksame Bekanntgabe im Sinne der vorgenannten Vorschriften dar, da es schon an der erforderlichen Zustellung gegenüber dem Kläger selbst fehlt. Dieser Mangel wird auch nicht etwa durch § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - geheilt, da die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, dass die Behörde eine Zustellung vornehmen wollte (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 6. Januar 2010 - 7 L 319/09.A -, juris, mit weiteren Nachweisen). Ein solcher Zustellungs-/Bekanntgabewille der Beklagten ist hier nicht erkennbar, so dass der bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid allenfalls als noch unverbindlicher Entwurf eines Bescheides angesehen werden kann und daher für eine Aufhebung durch das Gericht kein Raum ist.

II.

24

Soweit die Klage im Hauptantrag des Weiteren auf Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bzw. von Abschiebungsverboten gerichtet ist, ist sie unter Berücksichtigung des § 75 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - als Verpflichtungsklage in der Form der so genannten Untätigkeitsklage zulässig, denn der Kläger kann im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, möglicherweise einen Anspruch auf gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der begehrten Entscheidungen zu haben.

25

Die Klage ist indessen bereits deshalb nicht begründet, weil für einen gerichtlichen Verpflichtungsausspruch vorliegend unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Besonderheiten kein Raum ist. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz steht nämlich der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Asylantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte, solange - wie vorliegend - noch keine Verwaltungsentscheidung über den Asylantrag ergangen ist.

26

Zwar sind auch im Bereich des Asylrechts die Verwaltungsgerichte bei einer Verpflichtungsklage grundsätzlich gehalten, die Sache spruchreif zu machen und das Verfahren nicht an die Behörde zurückzuverweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, juris). Dies gilt indessen in den Fällen, in denen ein Asylbewerber erstmals einen Asylantrag gestellt hat, nur dann, wenn bereits eine behördliche Entscheidung über das Asylbegehren ergangen ist. Ist hingegen noch keine behördliche Entscheidung ergangen, so würde eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung der Sache und zum Durchentscheiden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29 a und 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle der Bundesamtsentscheidung und gegebenenfalls eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) nicht aussprechen. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Abs. 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes völlig widerspricht (vgl. zu alledem: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264/94 -, juris). Von daher kommt ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts bei einer Asylverpflichtungsklage nur in Betracht, wenn der Kläger mit seinem erstmals in Deutschland gestellten Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebenen ist (vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, a.a.O.).

27

Demnach ist - anders als im Falle eines Asylfolgeantrags im Sinne des § 71 AsylVfG (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2000 - 9 B 426/00 -, juris) - in den Fällen der Nichtbescheidung eines ersten Asylantrags eines Asylbewerbers kein Raum für eine Untätigkeitsklage dahingehend, dass die Beklagte zur Asylanerkennung sowie Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder von Abschiebungsverboten verpflichtet werden könnte (vgl. zur diesbezüglichen Problematik auch VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris).

28

Demnach kann die Klage hinsichtlich des Hauptantrags keinen Erfolg haben.

III.

29

Der Hilfsantrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihr so genanntes Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - auszuüben, ist zulässig.

30

Dabei kann der Kläger sein diesbezügliches Begehren als Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage geltend machen, denn die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts stellt einen Verwaltungsakt dar. Insoweit macht sich die Kammer die nachfolgenden Ausführungen des VG Osnabrück in dessen Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris zu Eigen, in denen es heißt:

31

"Die Kammer geht davon aus, dass eine Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO gegenüber dem von ihr betroffenen Asylbewerber Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG entfaltet. Zwar geht die Kammer mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Juli 1965, - BVerwG IV C 82.63 -, BVerwGE 21, 352 [353]) davon aus, dass die von einer höheren Behörde (heute in dem Rahmen des § 3 Abs. 2 VwVfG) getroffene Auswahl einer von mehreren zuständigen nachgeordneten Behörden für eine gewisse Angelegenheit deswegen nicht als Regelung anzusehen ist, weil sie nicht unmittelbar gegen den Bürger gerichtet ist, sondern sich innerhalb des Behördenaufbaus hält (anderer Ansicht Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Auflage, § 3 Tz. 4.2) und eine derartige Zuständigkeitsbestimmung deshalb (heute) gemäß § 44 a VwGO weder einer isolierten Anfechtung noch einer isolierten Verpflichtung zugänglich ist. Anders ist dies nach Auffassung der Kammer jedoch dann, wenn in einem transnationalen Verhältnis eine gemeinsame Fachaufsichtsbehörde zu einer Bestimmung der zuständigen Behörde fehlt. In einem solchen Fall folgt die Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG für den Kläger aus der selbständigen Bedeutung der Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union neben dem eigentlichen Verwaltungsverfahren der Asylanerkennung. Die vorliegend streitige Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union unterwirft den Asylsuchenden der institutionellen- und Verfahrensautonomie des jeweiligen Mitgliedsstaates: Die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts - hier der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (vom 29. April 2004, Abl. Nr. L 204, Seite 12; berichtigt ABl. 2005 Nr. L 204 Seite 25) - erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sind mangels einer unionsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995, Rs. C-312/93 [Peterbroeck, Van Campenhout & Cie SCS gegen Belgischer Staat], Slg. 1995, I- 4599 [Randnummer 12]; EuGH, Urteil vom 11. September 2003, Rs. C-13/01 [Safalero Srl gegen Prefetto di Genova], Slg. 2003, I-8679, [Randnummer 49]). Unterschiedlich ausgestaltete nationale Verfahrensordnungen vermögen daher auch zu einer unterschiedlichen Rechtsdurchsetzung des Unionsrechts zu führen; dies rechtfertigt es, der Bestimmung eines anderen Mitgliedsstaates der Union gegenüber dem Asylsuchenden auch eine Regelungswirkung zuzuerkennen.

32

Der Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage beziehungsweise dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers steht § 44 a VwGO nicht entgegen. § 44 a Satz 2 VwGO lässt selbständige Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen zu, die vollstreckt werden können. Der Begriff der Vollstreckung ist hierbei weit auszulegen (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Februar 2010, - 5 LB 20/09 -, Juris). Unzweifelhaft ist die Bestimmung Italiens als für das Asylverfahren zuständigem Staat in Verbindung mit der Abschiebungsandrohung einer Vollstreckungshandlung fähig; eine solche war bereits für den 23.08.2010 vorgesehen gewesen."

33

Diese Ausführungen sind zur Überzeugung des Gerichts auf das vorliegende Verfahren, in dem eine Überstellung des Klägers nach Ungarn im Raum steht, übertragbar.

34

Des Weiteren kann der Kläger geltend machen, möglicherweise durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts in eigenen Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO zu sein.

35

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Absatz 1 der Norm einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Vorliegend ist die Beklagte ohne Ausübung dieses Selbsteintrittsrechts für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht zuständig, denn aus Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO ergibt sich eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylantrags. Nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO ist nämlich für die Bestimmung des für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellt hat. Da der Kläger eigenen Bekundungen zufolge jedoch im Bereich der Europäischen Union erstmals einen Asylantrag in Ungarn gestellt und Ungarn dies unter dem 25 Mai 2011 auch bestätigt und seine Zuständigkeit bejaht hat, ist Deutschland für die Bearbeitung des vom Kläger gestellten Asylantrags bislang nicht zuständig.

36

Die Beklagte ist auch nicht nach den Bestimmungen des Kapitels III der Dublin II-VO zuständig geworden. Dies bedarf keiner weitergehenden Erörterung, denn es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass sich im Falle des Klägers aus einem Artikel dieses Kapitels der genannten Verordnung eine Zuständigkeit der Beklagten ergeben könnte.

37

Demnach ist Ungarn gemäß Art. 16 Abs. 1 e Dublin II-VO gehalten, den Kläger wieder aufzunehmen, nachdem es den Asylantrag des Klägers abgelehnt hat und dieser sich unerlaubt in Deutschland und damit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält. Dabei hat gemäß Art. 20 Abs. 1 d Dublin II-VO die Überstellung des Klägers nach Ungarn nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten zu erfolgen, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend sind zwar seit der Übernahmeerklärung Ungarns mehr als sechs Monate verstrichen. Da die Kammer indessen in ihrem Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO einstweilen eine Überstellung des Klägers nach Ungarn untersagt hat, was faktisch einer aufschiebenden Wirkung im Sinne einer Vollzugshinderung gleichkommt, hat derzeit eine sich aus dieser Bestimmung ergebende Überstellungsfrist noch nicht zu laufen begonnen (vgl. hierzu Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009- C 19/08 - und Beschluss des Hessischen VGH vom 23. August 2011 - 2 A 1863/10.Z.A -, beide veröffentlicht bei juris), so dass Deutschland auch nicht infolge Fristablaufs zuständiger Staat für die Bearbeitung des Asylantrags des Klägers geworden ist.

38

Von daher liegt ein Asylverfahren vor, auf das grundsätzlich das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Anwendung finden kann.

39

Dabei kann der Kläger auch geltend machen, durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein.

40

Zwar richten sich die Vorschriften der Dublin II-VO als zwischenstaatliche Regeln vorrangig an die Mitgliedstaaten und begründen regelmäßig keine subjektiven Rechte von Asylbewerbern (vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Bd. 3, B2, § 27a Rdnr. 26, Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Bd. 2, I, § 27a Rdnr. 25). Insoweit kann auch Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO grundsätzlich nicht als Öffnungsklausel zur Durchsetzung individueller Ansprüche interpretiert werden (vgl. Hailbronner, a.a.O. Rdnrn. 60 ff.).

41

Allerdings ist das Gericht der Überzeugung, dass Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dann subjektiv-rechtlichen Charakter haben und einen Anspruch des Klägers begründen kann, wenn in dem für das Verfahren zuständigen Mitgliedstaat die Durchführung eines den Geboten der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vom 12. Dezember 2007, ABl. Nr. C 303 Seite 1) genügenden Asylverfahrens nicht hinreichend gewährleistet ist (vgl. Vorlagebeschluss des OVG Nordrhein-Westfalen an den Europäischen Gerichtshof vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris und VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris; s.a. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf).

42

Da Letzteres bei überschlägiger Prüfung in Bezug auf Ungarn nicht von vornherein ausgeschlossen ist, sind die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllt, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags auf Verpflichtung der Beklagten zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts zulässig ist.

43

Ferner ist ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2010 gestellten Antrags auf Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nicht erkennbar und die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO verstrichen, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags zulässig ist.

44

Sie ist auch in der Sache begründet; der Kläger hat einen Anspruch dahingehend, dass die Beklagte verpflichtet ist, das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben, so dass sie gemäß Satz 2 dieser Vorschrift zu dem zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.

45

Zwar liegt die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts, wie sich aus dem Wort "kann" ergibt, grundsätzlich im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaats. Dieses Ermessen ist indessen zur Überzeugung des Gerichts vorliegend auf Null dahingehend reduziert, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Selbsteintrittsrecht auszuüben, weil der Kläger in Ungarn - dem für sein Asylverfahren grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaat - kein ordnungsgemäßes Verfahren zu erwarten hat.

46

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Dezember.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris, ausgeführt, dass Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Im Einzelnen heißt es in diesem Urteil:

47

"75. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C-31/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).

48

76. Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.

49

77. Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).

50

78. Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

51

79. Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.

52

80. Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

53

81. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.

54

82. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.

55

83. Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.

56

84. Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.

57

85. Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.

58

86. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar."

59

Unter Zugrundelegung dieser grundsätzlichen Anforderungen zur Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts ist das Gericht der Überzeugung, dass im Fall des Klägers die im Urteil des Europäische Gerichtshofs dargelegte Vermutung widerlegt ist, wonach in Ungarn grundsätzlich ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet ist, weil mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass seine weitere Behandlung nach einer Überstellung nach Ungarn dort nicht in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

60

Dies folgt zwar nicht aus dem vom Kläger zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. September 2011 (Beschwerde-Nr. 10816/10 -, http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/viewhbkm.asp?sessionId=78728660&skin=hudoc-en&action=html&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=92442&highlight=lokpo), denn dieses Urteil betrifft einen anderen Sachverhalt und ist von daher nicht einschlägig. In dem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass Ungarn durch eine mehrmonatige Inhaftierung zweier Asylbewerber gegen Art. 5 Abs. 1, Buchstabe f der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat, wonach jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit hat und "die Freiheit nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf bei rechtmäßige Festnahme oder rechtmäßiger Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist". Allerdings betrifft die Entscheidung zwei Fälle von Asylbewerbern, die in Ungarn während der laufenden (ersten) Asylverfahren inhaftiert waren. Von daher enthält das Urteil keine Aussage dazu, wie Personen, denen - wie dem Kläger, s. insoweit die Mitteilung der ungarischen Behörde [Blatt 116 der Verwaltungsakte]) - nach Abschluss des in Ungarn betriebenen Asylverfahrens ein Status "beneficiary of temporary protection" (menedékes) (vgl. hierzu http://www.miracle-comenius.org/fileadmin/miracle-project/Minority_Hungary.pdf) zuerkannt wurde, im Falle einer Rückkehr nach Ungarn behandelt werden.

61

Allerdings ist das Gericht unter Berücksichtigung der ihm ansonsten vorliegenden übrigen Erkenntnisquellen der Überzeugung, dass dem schwerkranken Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen des Dublin II-Verfahrens eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta drohen wird und in seinem Fall die dargestellte Vermutungsregelung wiederlegt ist.

62

Der Leiter des österreichischen Büros des UNHCR, dem als namhafter UN-Organisation bei der Lagebeurteilung erhebliches Gewicht zukommt, hat in einer Stellungnahme vom 3. Februar 2012 an den österreichischen Asylgerichtshof ausgeführt, dass Asylsuchende, die - wie der Kläger - aufgrund der Dublin II-Verordnung nach Ungarn rücküberstellt werden, unmittelbar nach ihrer Überstellung nach Ungarn regelmäßig eine Abschiebungsverfügung erhalten und darauf basierend in der Regel inhaftiert werden (vgl. http://www.ecoi.net/file_upload/90_1328611178_unhcr-2012-02-03-coi-hu-update.pdf; s. auch österreichischer Asylgerichtshof, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - S4 422020-1/2011 -, http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=AsylGH&Dokumentnummer=ASYLGHT_20111027_S4_422_020_1_2011_00), so dass viel dafür spricht, dass Ungarn Art. 18 der Richtlinie 2005/85/EG nicht beachtet, der bestimmt, dass die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam nehmen, weil sie ein Asylbewerber ist.

63

Eine derartige Praxis wird letztlich auch durch eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 9. November 2011 - 508-9-516.80/46875 - an das Verwaltungsgericht Regensburg im dortigen Verfahren RO 4 K 11.30204 bestätigt. Dort ist nämlich ausgeführt, dass der dortige Kläger nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn im Dublin-II-Verfahren zunächst in Györ und anschließend in Nyírbátor in Gewahrsam genommen worden sei und sich Asylbewerber in der zuletzt genannten Gewahrsamseinrichtung täglich (nur) eine Stunde frei bewegen könnten.

64

Derartige Praktiken werden außerdem in dem vom Kläger vorgelegten Bericht "Flüchtlinge in Ungarn: zwischen Obdachlosigkeit und Haft" (vgl. http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2012/Ungarnbericht_3_2012_Web.pdf) und dem von ihm ebenfalls vorgelegten Bericht des ungarischen Helsinki-Komitee (HHC) bestätigt. Insoweit hat die Kammer keine Zweifel, dass die Angaben in den Berichten glaubhaft sind, so dass keine Veranlassung bestand, insoweit in eine Beweisaufnahme einzutreten. Soweit das Auswärtige Amt in der bereits zitierten Auskunft vom 9. November 2011 angibt, aus eigener Kenntnis keine Aussage über die Glaubwürdigkeit des Berichts des HHC treffen zu können, ist diese Angabe nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der in dem Bericht enthaltenen Ausführungen zu widerlegen, zumal das Auswärtige Amt in dieser Auskunft darlegt, dass Asylbewerber in Hafteinrichtungen untergebracht wurden und Anwälte des HCC Zugang zu Anstalten haben, in denen Asylbewerber untergebracht sind, und damit letztlich die Ausführungen des Berichts bestätigt.

65

Ferner berücksichtigt die Kammer, dass der UNHCR in seinem neuesten Bericht zur Situation von Asylsuchenden in Ungarn vom 24. April 2012 (vgl. http://www.unhcr.de/home/artikel/fb7213ec516ae34a4677150a85e35ed3/bericht-zur-situation-von-asylsuchenden-in-ungarn.html) unter Darlegung von Einzelheiten von Besorgnis erregenden Entwicklungen spricht und Verbesserungen als dringend erforderlich ansieht. Wenn er in diesem Bericht zwar abschließend die Schritte Ungarns zur Verbesserung der Situation begrüßt, so rechtfertigt dies angesichts seiner vorherigen Ausführungen gleichwohl nicht die Schlussfolgerung, dass die aufgezeigten Missstände beseitigt und in Zukunft nicht mehr zu befürchten seien.

66

Von daher ist das Gericht der Überzeugung, dass dem Kläger im Falle einer Überstellung nach Ungarn eine längerfristige Inhaftierung droht, die für ihn jedenfalls deshalb eine unmenschliche Behandlung darstellt, weil er zur Überzeugung des Gerichts, wie durch zahlreiche medizinische und psychologische Stellungnahmen belegt wird, an erheblichen gesundheitlichen, insbesondere psychischen Beeinträchtigungen leidet, die im Übrigen auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor Gericht deutlich erkennbar waren (vgl. zu Rückkehrgefahren bei derartigen Personen auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf unter der dortigen Nr. 5.3 auf Seite 13 ff.).

67

Soweit die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des österreichischen Asylgerichtshofs vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - die Auffassung vertritt, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn zumutbar sei, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Der Asylgerichtshof hat in seiner Entscheidung nämlich ausgeführt, dass bei dem dortigen Beschwerdeführer keine konkreten auf ihn bezogenen Umstände vorlägen, die gerade in seinem Fall eine Bedrohung oder Gefährdung im Falle seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen ließen. Von daher ist die Entscheidung auf das Verfahren des Klägers nicht übertragbar, da bei ihm aufgrund seiner massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen besondere Umstände vorliegen.

68

Besteht aber somit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass der Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn eine unmenschliche Behandlung erfahren wird, so hat er einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte, so dass die Klage insoweit Erfolg hat.

69

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

70

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.

(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.