Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. zu tragen. Die Beigeladene zu 1. trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt den Erlass einer (Teil-) Beseitigungsanordnung gegenüber ihrer Nachbarin bezüglich einer von dieser errichteten Gabionenwand.

Das Begehr bezieht sich auf die Grundstücke FlNr. 1454 und FlNr. 1454/4, jeweils Gemarkung H. (i.F.: Vorhabengrundstück). Die Klägerin ist Eigentümerin des nordwestlich angrenzenden Flurstücks 1452/1, Gemarkung H. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 69 „Zwischen D.str. – G.str. – N.str. – G.-K.-Str.“ und im Geltungsbereich einer gemeindlichen Einfriedungssatzung und einer Baumschutzverordnung. Der Bebauungsplan Nr. 69 regelt in Ziff. B 7 Folgendes:

Einfriedungen. Art und Material: Einfriedungen zu öffentlichen Verkehrsflächen sind als Holzlattenzäune auszuführen; zwischen den einzelnen Grundstücken nur als hinterpflanzte Maschendrahtzäune. Die Höhe der Einfriedungen wird mit 1,2 m festgesetzt. Dies gilt nicht für Hecken.

Die Beigeladene zu 1. errichtete die Gabionenwand in einer Höhe von 1,80 m (auf der weit überwiegenden Länge) bis 2,40 m (in dem Grundstücksbereich, an den ein klägerischer Carport grenzt, vgl. die Niederschrift über den Augenschein und Bl. 23ff. d. Behördenakts – i.F.: BA –). Der klägerische Carport, der sich an eine Garage anschließt, ist – die Photovoltaikpaneele eingeschlossen, die als Decke fungieren – 2,80 m hoch; die Gesamtlänge von Garagenwand und Carport auf dem klägerischen Grundstück beträgt ca. 15 m.

Unter dem 7. Dezember 2017 beantragte der Klägerbevollmächtigte beim Landratsamt München (i.F.: Landratsamt) bauaufsichtliches Einschreiten in Form einer Beseitigungsanordnung. Die genehmigte Höhe der Gabionenwand von 1,80 m werde teils um 50 cm überschritten. Dies stelle nicht nur eine Missachtung der Genehmigung dar, sondern enthalte auch einen Verstoß gegen die textliche Festsetzung Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 sowie gegen Abstandsflächenrecht; das Ermessen der Behörde sei auf Null reduziert.

Die Behördenakte enthält einen Aktenvermerk des zuständigen Sachbearbeiters vom 14. März 2018 (Bl. 23 d. BA). Danach sei der Klägerbevollmächtigte telefonisch darüber informiert worden, dass gegen die Gabionenwand nicht eingeschritten werde. Grund sei, dass auch die Grenzgarage der Klägerin mit dem angebauten Carport die Abstandsflächen verletze, da die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 9 BayBO nicht eingehalten würden. Somit lägen wechselseitige Abstandsflächenverletzungen vor, wobei die Gabionenwand nur im Bereich der klägerischen Grenzbebauung über 2 m hoch sei. Ansonsten halte sie die genehmigte Höhe von 1,80 m ein. Ein Einschreiten sei deswegen nicht angezeigt, ein entsprechender klägerischer Anspruch nicht gegeben.

Daraufhin erhob der Klägerbevollmächtigte für die Klägerin am 26. März 2018 Klage. Er beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, gegen den Eigentümer des Vorhabengrundstücks eine Beseitigungsanordnung zu erlassen, in der dieser verpflichtet wird, die Gabionenwand insoweit zu beseitigen, als sie eine Höhe von 1,20 m übersteigt.

Die Bauherren hätten die Befreiung, die im Übrigen im Verfahren M 9 K 17.5750 beklagt sei, ignoriert und die Gabionenwand wesentlich höher errichtet. An einigen Stellen erreiche die Mauer eine Höhe von 2,50 m. Dies stelle nicht nur eine Missachtung der Genehmigung dar, sondern enthalte auch einen Verstoß gegen die textliche Festsetzung Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 sowie gegen Abstandsflächenrecht; Art. 6 Abs. 9 Satz 3 Nr. 3 BayBO werde nicht erfüllt. Die Wand verhindere eine ordnungsgemäße Belichtung, Belüftung und Besonnung des klägerischen Grundstücks. Hierbei sei auch zu beachten, dass die Klägerin an ihrer Grundstücksgrenze eine Reihe von Solaranlagen aufgebaut habe, die auf Sonneneinstrahlung angewiesen seien; die Mauer verursache einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden. Das Landratsamt sei auf den klägerischen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten hin und auch auf wiederholtes Nachfassen nicht tätig geworden, weswegen Untätigkeitsklage geboten sei. Es handele sich nicht um eine genehmigungsfreie bauliche Anlage, da die Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO nicht mehr gewahrt würden. Es hätte eine vollständige Baugenehmigung gemäß Art. 68 BayBO erlassen werden müssen. Das Vorhandensein einer Genehmigung spiele im Übrigen keine Rolle, der Tatbestand des Art. 76 Satz 1 BayBO liege aufgrund des materiellen Verstoßes gegen Art. 6 BayBO vor. Wegen der deutlichen Nachbarrechtsverletzung sei das behördliche Ermessen auf Null reduziert; eine teilweise Beseitigungsanordnung sei verhältnismäßig, was sich insbesondere auch aus dem bewussten Verstoß gegen Abstandsflächenrecht ergebe. Der Rückbau einer Gabionenwand sei auch unproblematisch möglich. Es könne auch nicht eingewandt werden, dass sich die Klägerin selbst durch ihre auf ihrem Grundstück errichteten Anlagen fehlerhaft verhalte: Dort befinde sich nur eine Garage und im Anschluss Anlagen, auf denen Solaranlagen montiert seien. Über Letztere sei bereits ein Prozess geführt worden (M 9 K 14.5052), der Rückbau auf das festgestellte zulässige Maß erfolgt. Der jetzige Bestand falle unter Genehmigungsfreiheitstatbestände. Die an die Garage angebaute Anlage sei kein Carport und kein Gebäude, da keine Bedachung vorhanden sei, es handele sich lediglich um aufliegende Solarzellen, die mit einer Bedachung nicht verglichen werden könnten. Die angebaute Anlage löse für sich also keinerlei Abstandsflächenrelevanz aus; sämtliche Anlagen auf dem klägerischen Grundstück seien deswegen zulässigerweise errichtet worden. Der ehemalige Bauherr (Bauträger P.) habe zudem im Jahr 2016 einen Bauantrag bei der Gemeinde eingereicht mit einer Mauer in Höhe von 2,35 m. Die Nachbarin und jetzige Klägerin habe damals die Unterschrift verweigert, die Genehmigung sei abgelehnt worden; dem damaligen Bauherren sei also klar gewesen, dass eine Mauer mit einer derartigen Höhe nicht genehmigungsfähig sei und die Gemeinde widersprechen würde. Auf dem Nachbargrundstück befänden sich zudem zahlreiche weitere Bauvorhaben, die rechtlich unzulässig seien, wie z.B. abstandsflächenrelevante Gauben. Es sei festzuhalten, dass der Bauherr sämtliche behördlichen Vorgaben bewusst überschreite; insofern sei jede Verhältnismäßigkeitsprüfung fehl am Platz.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Verpflichtungsklage sei unbegründet, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erlass der begehrten Beseitigungsanordnung. Soweit die Gabionenwand eine Höhe von 2,00 m nicht überschreite, stehe der Klägerin kein Anspruch zu, da kein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften vorliege (Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO). Auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht könne eine Rechtsverletzung insoweit nicht geltend gemacht werden. Die erteilte Befreiung beziehe sich auf eine nicht nachbarschützende Bebauungsplanregelung. Soweit die Gabionenwand eine Höhe von 2,00 m überschreite, widerspreche sie zwar den Abstandsflächenvorschriften; aufgrund der vorhandenen Grenzgebäude auf dem Nachbargrundstück sei ein bauaufsichtliches Einschreiten nach pflichtgemäßem Ermessen aber nicht angezeigt. Auf dem klägerischen Grundstück befinde sich im Anschluss an die ca. 8,75 m lange Garage eine Überdachung, die eine Länge von 6,80 m aufweise. Es handele sich bei Letzterem um ein Gebäude, das nach Angaben der Nachbarschaft auch regelmäßig zu Aufenthaltszwecken genutzt werde. Nur in diesen Bereichen überschreite die Gabionenwand eine Höhe von 2,00 m. Auch befänden sich weitere klägerische Nebengebäude und mehrere Solarpaneele an der Grenze, die Maximallänge zulässiger Grenzbebauung werde überschritten. Die Klägerin könne sich nach alledem nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht auf eine Verletzung von Abstandsflächenrecht berufen. Schließlich sei der Aussage des Klägerbevollmächtigten zu widersprechen, dass der Rückbauanordnung vom 27. Oktober 2014 nachgekommen worden sei (streitgegenständlich im Verfahren M 9 K 14.5052); wie bei einer Ortseinsicht vom 12. April 2018 festgestellt worden sei, seien u.a. die Solarpaneele an der südöstlichen Fassade des Hauptgebäudes, die Paneele am Balkon und ein Teil der Paneele entlang der Zufahrt entgegen der Beseitigungsanordnung nicht beseitigt worden.

Die Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 2. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins am 6. Juni 2018. Auf die Augenscheinfeststellungen in der Niederschrift über den Augenschein wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogenen Behördenakten in den Verfahren M 9 K 17.5750, M 9 K 18.1526 und M 9 K 14.5052, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2018.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Verpflichtung des Beklagten, die begehrte (Teil-) Beseitigungsanordnung zu erlassen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Dies gilt unabhängig davon, dass der Tatbestand von Art. 76 Satz 1 BayBO erfüllt ist: Die Gabionenwand als Anlage in diesem Sinne ist – den nicht drittschützenden Charakter der Verfahrensvorschriften außen vor gelassen – formell illegal, da sie ohne die erforderliche Befreiung errichtet wurde. Der Fall einer Überschreitung der mittels Befreiung festgelegten Maße ist dem Fall einer gänzlich fehlenden Befreiung insoweit gleichzustellen (vgl. BayVGH, U.v. 1.7.2005 – 25 B 01.2747 – juris; a.A. Simon/Busse, BayBO, Stand: 128. EL Dezember 2017, Art. 75 Rn. 39). Die i.S.v. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO „geschlossene“ Gabionenwand in dieser Form verstößt im Bereich der Elemente, die höher als 2 m errichtet wurden, auch gegen die nachbarschützenden Regelungen in Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO, auf eine „mittlere Höhe“ der gesamten Mauer darf nicht abgestellt werden (Simon/Busse, BayBO, Stand: 128. EL Dezember 2017, Art. 6 Rn. 599).

Wie das Gericht aber – mit Bezug auf die ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – wiederholt entschieden hat, ist das Vorliegen des Tatbestands der Befugnisnorm (im Fall der Nachbarklage: Verstoß gegen drittschützende Vorschrift) zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (vgl. nur VG München, U.v. 12.7.2017 – M 9 K 16.3039 – juris; U.v. 6.7.2016 – M 9 K 15.1939 – juris, jeweils m.w.N.): Die Verletzung in nachbarschützenden Rechten ist nur eine erste Voraussetzung dafür, als Nachbar die Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde erzwingen zu können, gegen eine Anlage einzuschreiten (statt aller BayVGH, B.v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris). Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist nur dann gegeben, wenn zum Verstoß gegen eine drittschützende Vorschrift besonders qualifizierte Beeinträchtigungen der nachbarlichen Rechtsstellung treten, namentlich, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind und die Abwägung der Beeinträchtigung des Nachbarn mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Überwiegen der Interessen des Nachbarn ergibt (statt aller BayVGH, B.v. 20.4.2010 – 9 ZB 08.319 – juris; B.v. 18.6.2008 – 9 ZB 07.497 – juris; VG München, U.v. 25.3.2015 – M 9 K 14.3343 – juris).

Vorliegend ist eine derartige besonders qualifizierte Beeinträchtigung der Klägerrechte nicht ansatzweise erkennbar. An der gemeinsamen Grundstücksgrenze befinden sich auf der Klägerseite im Bereich der Elemente, die 2,00 m überschreiten, eine Garage und ein Carport mit höheren Abmessungen. Eine Beeinträchtigung der Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts ist somit nicht ersichtlich (vgl. auch BayVGH, B.v. 18.6.2008 – 9 ZB 07.497 – juris Rn. 5f., VG München, U.v. 13.10.2015 – M 1 K 15.2563 – juris Rn. 22). Der geltend gemachte Anspruch scheitert bereits hier.

Unabhängig davon und selbständig tragend kann die Klägerin eine (Teil-) Beseitigung auch deswegen nicht verlangen, weil ein wechselseitiger Abstandsflächenverstoß gegeben ist. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, kann ein Nachbar einen Abstandsflächenverstoß nicht rügen (wobei die genaue systematische Einordnung des Grundsatzes von Treu und Glauben in das bauordnungsrechtliche Prüfprogramm unerheblich ist, vgl. BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 2 ZB 14.2605 – juris), wenn er selbst Art. 6 BayBO verletzt, wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichwertig sind und wenn das Bauvorhaben nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führt (vgl. BayVGH, a.a.O.).

Vorliegend wurde jeweils gegen Art. 6 BayBO verstoßen, die Verstöße sind in etwa gleichwertig – bzw. der klägerische Verstoß ist sogar massiver, da die Mauer nach Feststellungen des Landratsamtes und des Gerichts im Augenschein nur am angebauten Carport eine Höhe von 2,40 m erreicht und dann schnell auf 1,80 m abstuft (vgl. Bl. 24 d. BA und Niederschrift über den Augenschein), wohingegen der Carport ca. 2,80 m hoch ist. Es ist auch kein schlechthin untragbarer, als Missstand zu qualifizierender Zustand gegeben; eine Gefängnishofatmosphäre o.Ä. kommt bei einer Mauer, die weit überwiegend hinter den bauordnungsrechtlich gesetzlich zugelassenen 2,00 m zurückbleibt und nur im Bereich eines grenzständigen Anbaus höher auskragt, nicht in Betracht.

Dass der Carport bzw. der Anbau an die Garage – wie der Bevollmächtigte vorträgt – kein Gebäude im Sinne von Art. 2 Abs. 2 BayBO sei, sondern nur „Träger“ der Solaranlagen und damit abstandsflächenrechtlich „neutral“, ist nicht nachvollziehbar. Gebäude sind nach Art. 2 Abs. 2 BayBO selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können; wie die Überdeckung beschaffen sein muss, ist nicht vorgegeben, sie kann also auch aus Photovoltaikpaneelen bestehen (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 16.7.1992 – 2 B 91.737 – BeckRS 1992, 10688 zur Gebäudequalität eines reinen Vordaches: „Das Vordach stellt ein Gebäude im Sinne von Art. 2 Abs. 2 BayBO und damit eine bauliche Anlage nach Art. 2 Abs. 1 BayBO dar, weil es eine bestimmte Bodenfläche ständig vor Witterungseinflüssen schützt und auch von Menschen betreten werden kann“). Weiter zeigt Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 BayBO gerade, dass Solaranlagen nur dann privilegiert sind, wenn sie „gebäudeunabhängig“ sind (dazu Molodovsky u.a., BayBO, Stand: 37. Update 11/17, Art. 6 Rn. 283; vgl. auch Art. 57 Abs. 1 Nr. 3 lit. a sublit. aa BayBO und Dirnberger, Das Abstandsflächenrecht in Bayern, 3. Auflage 2015, Rn. 305).

Dazu schließlich, dass der Beseitigungsanordnung vom 27. Oktober 2014 (Bl. 14ff. d. Gerichtsakts im Verfahren M 9 K 14.5052) nicht nachgekommen wurde, wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landratsamtes verwiesen. Diesbezüglich laufen gegenwärtig Vollstreckungsverfahren wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen (vgl. Bl. 403f. d. BA „Anfragen/Beschwerden/Sonstiges“, Az. 7.1.1 – 0080/12/BK).

Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, ist nicht erkennbar.

Ein zwar nicht ausdrücklich geltend gemachter, aber im Vornahmeantrag als „Minus“ stets enthaltener Anspruch auf (erstmalige) Verbescheidung besteht nicht. Ihm fehlte es bereits am Rechtsschutzbedürfnis, da das Gericht entsprechend seiner Verpflichtung, den Antrag selbst spruchreif zu machen und grundsätzlich selbst abschließend zu entscheiden, ob der behauptete Anspruch in der Sache besteht, bereits alle Aspekte geprüft hat (Eyermann, 14. Aufl. 2014, VwGO § 75 Rn. 3; vgl. auch Wittmann: Die verwaltungsgerichtliche Untätigkeitsklage in der gerichtlichen Praxis, JuS 2017, 842). Zudem hat der Beklagte den Klägerbevollmächtigten vor Erhebung der Klage telefonisch über den eigenen Rechtsstandpunkt in Kenntnis gesetzt, einen Aktenvermerk darüber gefertigt und sich zudem in der Klageerwiderung zu allen Punkten verhalten; ein völliges Schweigen der Behörde liegt also gerade nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. – die Anwohnergemeinschaft stellt eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts dar, §§ 705ff. BGB – der Klägerin aufzuerlegen hätte nicht der Billigkeit entsprochen, da sich die Beigeladene nicht mittels Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben hat. Die Beigeladene zu 2. hat demgegenüber einen Antrag gestellt. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.

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Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine ihren Nachbarn erteilte Befreiung.

Die Befreiung bezieht sich auf die Grundstücke FlNr. 1454 und FlNr. 1454/4, jeweils Gemarkung H. (i.F.: Vorhabengrundstück). Die Klägerin ist Eigentümerin des nordwestlich angrenzenden Flurstücks 1452/1, Gemarkung H. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 69 „Zwischen D.str. – G.str. – N.str. – G.-K.-Str.“ und im Geltungsbereich einer gemeindlichen Einfriedungssatzung und einer Baumschutzverordnung. Der Bebauungsplan Nr. 69 regelt in Ziff. B 7 Folgendes:

Einfriedungen. Art und Material: Einfriedungen zu öffentlichen Verkehrsflächen sind als Holzlattenzäune auszuführen; zwischen den einzelnen Grundstücken nur als hinterpflanzte Maschendrahtzäune. Die Höhe der Einfriedungen wird mit 1,2 m festgesetzt. Dies gilt nicht für Hecken.

Unter dem 1. Oktober 2017 richtete die beigeladene Anwohnergemeinschaft R. einen Antrag „auf Baugenehmigung eines Gartenzauns“ (Bl. 1ff. d. Behördenakts der Beklagten – i.F.: BA-Bekl. –) an die Beigeladene. Im Anschreiben (Bl. 8 d. BA-Bekl.) wurde Folgendes ausgeführt: „Wir stellen diesen Antrag gemeinsam als Anwohnergemeinschaft, da es bisher zu keiner Einigung zwischen dem Bauträger P. und C. & W. P. gekommen ist. […] Es ist uns bewusst, dass dieses Bauvorhaben eine ausdrückliche Genehmigung vonseiten des Gemeinderates bedarf.“

Mit Beschluss des Bau- und Umweltausschusses vom 9. November 2017, ausgefertigt am 14. November 2017 (Bl. 19f. d. BA-Bekl.), wurde dem als Antrag auf isolierte Befreiung behandelten Begehr zugestimmt. Zur Begründung wird ausgeführt: „Der Bau- und Umweltausschuss hat in seiner Sitzung vom 14. Juli 2016 eine Gabione auf dem gleichen Grundstück mit einer Höhe von 2,00 m abgelehnt. … [Zustimmung zum jetzigen Antrag mit 11:0…] …aufgrund eines besonderen und aktenkundigen Härtefalles des nördlich angrenzenden Nachbargrundstückes“

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. November 2017, Az. 6022-BV-72/17 (i.F.: Befreiung) wurde eine Befreiung von der Festsetzung Ziffer B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 für die Errichtung eines Sichtschutzzaunes in Form einer Gabionenwand auf dem Vorhabengrundstück mit einer maximalen Höhe von 1,80 m entlang der nördlichen Grundstücksgrenze zur FlNr. 1452/1 erteilt.

Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Beklagte sei für die Entscheidung zuständig, da es sich um ein verfahrensfreies Vorhaben nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO handele. Die Verfahrensfreiheit entbinde aber nicht von der Einhaltung der an die Anlage zu stellenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, Art. 55 Abs. 2 BayBO. Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 der Beklagten, die eine Maximalhöhe von 1,20 m für Einfriedungen wie die streitgegenständliche vorschreibe, sei eine solche Vorschrift, weswegen es einer Befreiung bedürfe. Diese habe nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt werden dürfen, da Grundzüge der Planung nicht berührt seien und die Abweichung städtebaulich vertretbar sei. Die Abweichung sei unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar, eine Verletzung öffentlich-rechtlich zu schützender Nachbarrechte nicht erkennbar.

Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob unter dem 8. Dezember 2017 Klage gegen diesen Bescheid.

Er beantragt,

den Bescheid aufzuheben.

Die erteilte isolierte Befreiungsgenehmigung sei rechtswidrig. Im Tatsächlichen sei festzuhalten, dass die Gabionenwand vor Erteilung der Genehmigung komplett errichtet worden sei. Sie sei 60 m lang und unterschiedlich hoch, an der Einmündung zur Zufahrt bspw. 1,80 m, an der Stelle, an der das Haus der Klägerin stehe, dagegen ca. 2,30 m. Rechtlich sei bereits die Zuständigkeit der Beklagten zweifelhaft, da zwar eine Höhe von lediglich 1,80 m beantragt, die Mauer aber über 2 m hoch ausgeführt worden sei; es sei daher zweifelhaft, ob Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO überhaupt greife. Materiell lägen die Befreiungsvoraussetzungen nicht vor. Durch die Gabionenwand werde ein Grundzug der Planung berührt. Die Regelung zeige deutlich, dass die Beklagte besonderen Wert auf das Erscheinungsbild der Abgrenzungen zwischen den Grundstücken lege. Eine 60 m lange massive Mauer erinnere an eine Gefängnismauer, ein derart massives Bauwerk habe durch die Festsetzung gerade verhindert werden sollen. Die Abweichung sei auch städtebaulich nicht vertretbar; durch die massive Mauer werde ein vollkommen anderer Gebietseindruck vermittelt, sie habe in einem Wohngebiet nichts verloren. Auch seien die nachbarlichen Interessen nicht gewürdigt worden, dem Bescheid fehle jegliche Begründung dafür, warum die Befreiung überhaupt erteilt worden sei. Die Nachbarn vertrauten aber grundsätzlich darauf, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans eingehalten würden. Dieses Vertrauen dürfe nur im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses enttäuscht werden, das vorliegend nicht erkennbar sei. Die Mauer zeitigte auch bei Einhaltung der genehmigten Höhe von 1,80 m eine erhebliche Verschattungswirkung. Hinter der Mauer seien weder Anpflanzungen möglich noch könne der gestattete Betrieb von Solaranlagen weitergeführt werden. Zwar bestünden Abwehrrechte bei Befreiungen von nicht drittschützenden Vorschriften grundsätzlich nur bei Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme; dies gelte allerdings gerade nicht, wenn die Befreiung dafür sorge, dass sich der Gebietscharakter ändere, d.h. wenn Quantität in Qualität umschlage. Die Beklagte vergesse, dass die Wand 60 m lang sei, dies sei vollkommen gebietsfremd. Die Wand sei ein absoluter Solitär, der die Wohnbebauung verfremde und den Gebietscharakter zerstöre; insofern sei Nachbarschutz durchaus gegeben.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte sei für die Erteilung der Genehmigung zuständig. Maßgeblich sei nur das beantragte Vorhaben; nach Art. 63 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO i.V.m. Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO sei die Beklagte bei verfahrensfreien Bauvorhaben für die Entscheidung zuständig. Der Bescheid verletze die Klägerin nicht in eigenen Rechten. Es könne dahinstehen, ob der Bescheid objektiv rechtswidrig sei, wobei Grundzüge der Planung bei Abweichungen von gestalterischen Festsetzungen regelmäßig nicht berührt würden. Hinsichtlich des Nachbarschutzes sei festzuhalten, dass von einer nicht nachbarschützenden Vorschrift befreit worden sei; ein damit allein möglicher Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht erkennbar. Dies folge daraus, dass die Klägerin mit einer Einfriedung in einer Höhe von 1,20 m schon nach Bebauungsplan habe rechnen müssen, weiter daraus, dass eine 1,80 m hohe Gabionenwand keine Abstandsflächen auslöse, vgl. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO. Halte ein Bauvorhaben die Abstandsflächen ein oder sei privilegiert, so sei darüber hinaus für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr. Besondere Umstände wie eine erdrückende Wirkung seien nicht erkennbar; die Gabionenwand verstoße im Wohngebiet schließlich auch nicht gegen den Gebietscharakter. Ein Begründungsdefizit bestehe angesichts von Art. 68 Abs. 2 Satz 2 BayBO, der auf Abweichungsentscheidungen entsprechend anzuwenden sei, nicht; der Bescheid führe aus, dass nachbarliche Interessen gewürdigt worden seien, mehr sei nicht veranlasst gewesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins am 6. Juni 2018. Auf die Augenscheinfeststellungen in der Niederschrift über den Augenschein wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogenen Behördenakten in den Verfahren M 9 K 17.5750 und M 9 K 18.1526, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2018.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die angegriffene Befreiung verletzt die Klägerin nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Befreiung kann nur dann Erfolg haben, wenn diese Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Befreiung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (vgl. VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris für die Anfechtung einer Baugenehmigung).

Vorab ist klarzustellen, dass eine etwaige Unzuständigkeit der Beklagten keine derartigen drittschützenden Positionen betrifft. Unabhängig davon ist die Beklagte für die Erteilung der Befreiung nach Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO, Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO zuständig: Es kommt nur auf die beantragten Inhalte an – Höhe von 1,80 m und damit unter 2 m –, die dann auch Grundlage der Prüfung und der Entscheidung sind; dementsprechend geht es im Rahmen einer Drittanfechtung auch „nur“ um eine etwaige Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids (vorliegend: Befreiung) und nicht um die Rechtswidrigkeit „des ausgeführten Bauvorhabens“.

Eine Verletzung in drittschützenden Vorschriften ist weiter auch weder unter den Aspekten des Gebietserhaltungs- oder des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs bzw. einer etwaigen Gebietsunverträglichkeit gegeben (1.) noch im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (2.).

1. Wenn der Klägerbevollmächtigte ausführt, dass sich der Nachbarschutz vorliegend deshalb nicht isoliert nach dem Gebot der Rücksichtnahme richte, weil die Befreiung dafür sorge, dass sich der Gebietscharakter ändere bzw. weil Quantität in Qualität umschlage, so ist dieser Vortrag nicht nachvollziehbar. Im Rahmen der Erteilung von Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB richtet sich die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Nachbarklage danach, ob von nachbarschützenden oder von nicht nachbarschützenden Vorschriften befreit wird. Die vorgebrachten Schlagworte – mit denen wohl eine Verletzung des Gebietserhaltungs- oder des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs bzw. eine etwaige Gebietsunverträglichkeit geltend gemacht werden sollen – vermögen nicht, darzulegen, wieso vorliegend von einer nachbarschützenden Vorschrift befreit worden sein soll. Nur dann würde bspw. die städtebauliche Vertretbarkeit der Befreiungsentscheidung als Tatbestandsmerkmal eine Rolle spielen.

Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 als alleiniger Gegenstand der Befreiung – die gemeindliche Einfriedungssatzung spielt keine Rolle, vgl. § 1 Einfriedungssatzung: „Diese Satzungen gilt für Einfriedungen […], außer im Bebauungsplan sind eigene Festsetzungen über Einfriedungen enthalten“ – lautet:

Einfriedungen. Art und Material: Einfriedungen zu öffentlichen Verkehrsflächen sind als Holzlattenzäune auszuführen; zwischen den einzelnen Grundstücken nur als hinterpflanzte Maschendrahtzäune. Die Höhe der Einfriedungen wird mit 1,2 m festgesetzt. Dies gilt nicht für Hecken.

Diese Regelung ist weder eine Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung – regelmäßig drittschützend und relevant für einen etwaigen Gebietserhaltungsanspruch – noch ist eine Mauer in einer Höhe von 1,80 m generell gebietsunverträglich. Das festgesetzte Allgemeine Wohngebiet (WA) dient auch gegenwärtig, d.h. nach Ausführung des Vorhabens, noch vorwiegend dem Wohnen, weswegen § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 1 BauNVO als etwaig betroffene drittschützende Vorschrift nicht verletzt ist/sind. Schließlich schlägt auch nicht „Quantität in Qualität um“: Mit dieser Floskel soll vermutlich auf eine Verletzung von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO – Tatbestandsmerkmal „Umfang“ – und damit auf eine Verletzung des sog. Gebietsprägungserhaltungsanspruchs angespielt werden (dazu BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86/01 – juris; VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris). Dafür wäre erforderlich, dass die Größe/Höhe der baulichen Anlage die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung – vgl. den Standort von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO im 1. Abschnitt der BauNVO – erfasst und beeinflusst, dass also aufgrund der Dimensionierung der Anlage eine neue Art der baulichen Nutzung in das Gebiet hineingetragen wird. Ein Wohnhaus mit einer 1,80 m-Mauer bleibt aber genauso ein Wohnhaus wie ein Wohnhaus mit einer Einfriedung in Höhe von nur 1,20 m.

Die Nennung von Schlagworten ist nach alledem nicht zielführend. Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 ist vielmehr schlicht als örtliche Bauvorschrift einzuordnen, die auch in einen Bebauungsplan aufgenommen werden kann, Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO i. V. m. § 9 Abs. 4 BauGB. Örtliche Bauvorschriften sind grundsätzlich nicht drittschützend (statt aller BayVGH, B.v. 22.2.2017 – 15 CS 16.1883 – juris; B.v. 29.8.2006 – 15 CS 06.1943 – juris; Simon/Busse, BayBO, Stand: 128. EL Dezember 2017, Art. 81 Rn. 314). Ihnen kommt nur dann drittschützende Wirkung zu, wenn die Gemeinde einer solchen Festsetzung eine entsprechende Wirkung geben wollte. Im Rahmen der Ermittlung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall ist maßgeblich, ob die Regelung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus bauordnungsrechtlichen Gründen getroffen wurde oder ob sie (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich zu dienen bestimmt ist (Simon/Busse, a.a.O., Art. 81 Rn. 317).

Vorliegend steht die Festsetzung nach einer Zusammenschau der Bebauungsplanregelungen und nach den Inhalten der Bebauungsplanbegründung ausschließlich im Dienst des städtebaulich gewünschten Konzepts der Beklagten, den Gartenstadtcharakter des Gebiets zu erhalten. Sie hat nicht das Ziel, einen nachbarlichen Interessenausgleich herzustellen. Günstige Auswirkungen der Festsetzung auf die Nachbargrundstücke – die durchaus vorhanden sein können – reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus (vgl. zum Ganzen auch BayVGH, B.v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris; VG Augsburg, U.v. 9.2.2017 – Au 5 K 16.1042 – juris; VG Bayreuth, U.v. 3.6.2015 – B 2 K 14.564 – juris).

Nach alledem ist Ziff. B 7 des Bebauungsplans als nicht drittschützende Vorschrift anzusehen. Der Nachbarschutz im Rahmen der Anfechtung einer Befreiung von dieser Vorschrift richtet sich somit ausschließlich nach dem Gebot der Rücksichtnahme.

2. Die Befreiung verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme, vorliegend herzuleiten aus § 31 Abs. 2 BauGB, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, insbesondere nicht unter dem Aspekt eines Abstandsflächenverstoßes.

Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Genehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Begünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständiger und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass den Vorgaben des landesrechtlichen Abstandsflächenrechts diesbezüglich ohnehin nur insofern Bedeutung zukommt, als dass ein Vorhaben, das Art. 6 BayBO gerecht wird, im Regelfall bezüglich der Aspekte Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht rücksichtslos ist (BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris) – sog. prima-facie-Wirkung. Einen der Klägerin günstigen Gegenschluss, wonach ein Vorhaben, das die Abstandsflächen verletzt, auch rücksichtslos wäre, gibt es dagegen nicht (statt aller VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris m.w.N.).

Das in der Befreiungsentscheidung festgelegte Vorhaben wahrt die Abstandsflächen. Eine Mauerhöhe von 1,80 m ist abstandsflächenrechtlich privilegiert (Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO); die Einschränkung des Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO gilt für Einfriedungen nicht. Die oben dargelegte Indizwirkung ist somit gegeben. Ein abweichender Sonderfall ist nicht auszumachen; v.a. kommt auch eine sog. abriegelnde Wirkung bei einer Höhe von 1,80 m nicht in Betracht.

Sonstige Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme sind nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen – die Anwohnergemeinschaft stellt eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts dar, §§ 705ff. BGB – den Klägern aufzuerlegen hätte nicht der Billigkeit entsprochen, da sich die Beigeladene nicht mittels Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben hat. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, der ihm die Beseitigung von Teilen einer von ihm errichteten Solaranlage aufgibt. Diese befindet sich auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, das im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 69 der Beigeladenen liegt und im Eigentum der Mutter des Klägers steht. Der Bebauungsplan setzt für das hier betroffene Grundstück den Gebietscharakter allgemeines Wohngebiet und für den als Zufahrt genutzten Grundstücksteil eine private, befestigte Freifläche mit wasser- und luftdurchlässigem Belag fest.

Die umfangreiche Solaranlage besteht zunächst aus einer gebäudeunabhängigen Installation in den Randbereichen des als Zufahrt genutzten Grundstücksteils, die teils auf beweglichen Ständern montiert und teils fest angebracht ist. Weitere Anlageteile befinden sich auf dem Dach einer südöstlich des Hauptgebäudes gelegenen Garage, auf dem Dach des Hauptgebäudes, eines Wohnhauses, sowie an der südöstlichen und südwestlichen Fassade des Hauptgebäudes. Schließlich befinden sich zusätzliche Solarmodule auf Nebengebäuden im Gartenbereich und auf einer Holzkonstruktion vor der Garage.

Entlang des schmalen, als Zufahrt genutzten Grundstücksteils befinden sich zunächst angrenzend an das Grundstück FlNr. … zwanzig Paneele einer Breite von 98 cm und einer Höhe von 163 cm. Die Module sind derart auf Ständern angebracht, dass die Unterkante in einer Höhe von 80 cm zu liegen kommt. In Richtung von der Straße weg daran anschließend folgen weitere vier Paneele, die auf einem Wagen schräg gestellt sind. Nach einer kurzen Lücke folgt an dieser Grundstücksgrenze ein Solarfeld aus zwölf Paneelen, die an der Geländeoberfläche beginnend auf einem Wagen montiert und schräg gestellt sind. Diese Anlage hat eine Höhe in der Senkrechten von 3,10 m. Daran anschließend befinden sich weitere, lose stehende Paneele. Auf der anderen Seite des als Einfahrt genutzten Grundstückteils befinden sich an der Grenze zum Grundstück FlNr. … weitere zwölf Paneele, von denen sieben 50 cm über der Geländeroberfläche angebracht sind. Die restlichen fünf Paneele haben eine Gesamthöhe von 1,80 m. Daran anschließend befinden sich auch auf dieser Seite drei weitere lose stehende Paneele. Ein weiterer Anlagenteil befindet sich auf der südöstlich des Hauptgebäudes stehenden Garage und einem angebauten Freisitz. Das Dach ist dort vollständig mit Solarmodulen flach belegt. Außerdem sind an der Nordostseite des Garagengebäudes Solarmodule aufgeständert angebracht. Diese Aufständerung besteht aus zwei Reihen von je fünf Modulen. Weiterhin ist das gesamte Dach des Hauptgebäudes, eines Wohnhauses, mit Solarmodulen belegt. Über den gesamten First ragt eine Reihe Paneele hinaus, die an die südwestliche Dachfläche anschließt und zur nordöstlichen Dachfläche hin abgestützt ist. An der Südostseite des Hauptgebäudes befinden sich siebzehn Solarmodule, die schräg zur Hauswand angebracht sind und nahezu die gesamte Giebelseite des Hauses verdecken. In der untersten Reihe steht die Installation über die Südecke des Gebäudes über. An der Südwestseite des Hauptgebäudes sind neun Paneele schräggestellt am Balkon angebracht, die den Balkon vollständig verdecken, und sieben Paneele auf dem Balkon vor den Fenstern installiert. Weitere Solarmodule sind auf zwei Nebengebäuden angebracht, die sich im nordwestlichen Bereich des Grundstücks befinden sowie auf einer Holzkonstruktion mit einer Länge von 5 m und einer Breite, die der Garagenbreite entspricht, vor der genannten Garage in Richtung der Grundstückseinfahrt.

Das Landratsamt München teilte dem Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2014 mit, dass der Erlass von Beseitigungsanordnungen hinsichtlich der Solaranlagen beabsichtigt sei, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger machte darauf u.a. geltend, die mit der Anlage gewonnene elektrische Energie werde jedenfalls zum überwiegenden Teil nicht in das öffentliche Netz eingespeist, sondern diene der weitgehend autarken Versorgung des Hauses auf dem Grundstück. Eine selbständige gewerbliche Anlage liege damit nicht vor.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2014 gab das Landratsamt München dem Kläger auf, innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Unanfechtbarkeit des Bescheids

  • 1.die Fotovoltaik-Anlagen entlang der Zufahrt an der Grundstücksgrenze zu beseitigen und die Nutzung der Zufahrt zum Aufstellen und Abstellen von Fotovoltaik-Anlagen zu unterlassen,

  • 2.die obere der beiden Modulreihen der gegenüber der Einfahrtseite auf dem Dach der Garagen aufgeständerten Modulreihen zu beseitigen,

  • 3.sämtliche aufgeständerte, über den First hinausragende Solarmodule auf dem Dach des Hauptgebäudes zu beseitigen,

  • 4.neun der insgesamt siebzehn an der südöstlichen Fassade des Hauptgebäudes angebrachten Solarmodule zu beseitigen,

  • 5.die an der südwestlichen Fassade des Hauptgebäudes am Balkongeländer befestigten Solarmodule zu beseitigen, sowie

  • 6.die nach 1. bis 5. zu beseitigenden Solarmodule bis drei Monate nach Unanfechtbarkeit des Bescheids vollständig vom Grundstück zu entfernen.

Außerdem drohte das Landratsamt unter Ziffer 8. des Bescheids Zwangsgelder für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnungen zu 1. bis 6. an und verpflichtete weiterhin die Grundstückseigentümerin unter Ziffer 7. des Bescheids zur Duldung und drohte diesbezüglich unter Ziffer 9. ein Zwangsgeld an. Dem Kläger wurden unter Ziffer 10. die Kosten des Bescheids auferlegt und unter Ziffer 11. eine Gebühr von 150,00 Euro sowie Auslagen von 4,64 Euro festgesetzt.

Begründet wurde der Bescheid mit der baurechtlichen Unzulässigkeit der betroffenen Anlagen. Die Anlage entlang der Zufahrt sei genehmigungsbedürftig, jedoch ohne Genehmigung errichtet worden. Sie sei auch materiell rechtswidrig, da sie weder als nicht störender Gewerbebetrieb noch als untergeordnete Nebenanlage genehmigungsfähig sei. Neben der Beseitigung sei auch die Unterbindung zukünftiger ähnlicher Nutzungen am genannten Ort erforderlich, da der Kläger seine Anlagen laufend verändere und bereits Ersatzgestaltungen angekündigt habe. Die Beseitigung entspreche pflichtgemäßem Ermessen; u.a. bestünden im Baugebiet zwar auch andere Fotovoltaik-Anlagen, diese seien flächenmäßig jedoch deutlich untergeordnet.

Auch die Anlagen auf den Dach- und Fassadenflächen stünden in Widerspruch zu den Anforderungen des materiellen Baurechts. Ihnen stünden bereits die Festsetzungen des Bebauungsplans entgegen, in denen lediglich einzelne Nebenanlagen ausdrücklich zugelassen seien, was andere Nebenanlagen ausschließe. Jedenfalls fehle es an der für die Zulässigkeit von Nebenanlagen nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO erforderlichen baulichen Unterordnung. Auf der mit flach angebrachten Modulen bereits vollständig bedeckten Garage betreffe dies die aufgeständerten Module, auf dem ebenfalls im Übrigen mit liegenden Modulen bedeckten Dach des Hauptgebäudes die am First aufgeständerten Anlagen. An der Südostfassade sei die Grenze der baulichen Unterordnung durch die Anzahl der Module und die eine hervortretende Wirkung erzeugende Art der Montage überschritten. An der Südwestfassade entstehe ein solcher hervortretender Eindruck durch die Anbringung am Balkongeländer, die zudem nicht als Anbringung an einer Außenwandfläche betrachtet werden könne. Pflichtgemäßem Ermessen entspreche eine Teilbeseitigung, die zu einer Rückführung auf das Maß einer baulich untergeordneten Anlage führe.

Mit der am 27. November 2014 durch seinen Bevollmächtigten erhobenen Klage erstrebt der Kläger der Sache nach die Aufhebung des Bescheids vom 27. Oktober 2014. Er beantragt zuletzt durch seinen Bevollmächtigten, den Bescheid des Beklagten in Nrn. 1. bis 6., 8., 10. bis 11. aufzuheben.

Er lässt vortragen, die streitgegenständliche Solaranlage sei bereits im Jahr 2009 errichtet worden. Sie genieße nun Bestandsschutz. Im Übrigen stehe die Anlage in Einklang mit den bau- und ordnungsrechtlichen Vorschriften.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins am 29. April 2015. Auf die Feststellungen in der Niederschrift vom gleichen Tag wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der übrigen Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger wird durch den angegriffenen Verwaltungsakt nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2014 ist rechtmäßig, soweit er hier angegriffen ist.

Dies gilt zunächst hinsichtlich der unter Ziffer 1. des Bescheides ausgesprochenen Beseitigungsanordnung bezüglich der Anlage entlang der Grundstückszufahrt.

Rechtsgrundlage ist insoweit Art. 76 Satz 1 der Bayerischen Bauordnung (BayBO). Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

Die von Ziffer 1. des Bescheids betroffene Anlage ist hier zunächst formell baurechtswidrig, da sie ohne die nach Art. 55 Abs. 1 BayBO erforderliche Baugenehmigung errichtet wurden. Die Anlage ist insoweit nicht verfahrensfrei nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 3a bb BayBO, da sie eine Gesamtlänge von 9 m erheblich überschreitet. Die Anlage ist jedoch auch materiell baurechtswidrig und damit auch nicht genehmigungsfähig. Sie ist an diesem Standort zunächst deswegen unzulässig, weil sie sich außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen befindet. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO dürfen Gebäude und Gebäudeteile eine festgesetzte Baugrenze nicht überschreiten. Baugrenzen gelten auch für sonstige bauliche Anlagen (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.2001 - 4 C 1/01 - NVwZ 2002, 90). Ein Anspruch auf ausnahmsweise Zulassung nach § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO besteht nicht. Unabhängig von der Lage außerhalb der Baugrenzen liegt nämlich keine nach § 14 Abs. 1 BauNVO zulässige Nebenanlage vor. Es handelt sich vorliegend um keine baulich untergeordnete Nebenanlage.

Untergeordnete Nebenanlagen i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO müssen auch räumlich-gegenständlich untergeordnet sein. An einer erkennbaren räumlich-gegenständlichen - und damit auch optischen - Unterordnung fehlt es, wenn die Nebenanlage wegen ihrer Abmessungen als der Hauptanlage gleichwertig erscheint oder diese gar optisch verdrängt, mit anderen Worten: Wenn sie den Eindruck einer dienenden Funktion gegenüber der Hauptanlage gar nicht erst aufkommen lässt (BVerwG, U.v. 18.2.1983 - 4 C 18.18 - BVerwGE 67, 23).

So liegt es hier. Die Anlage entlang der Grundstückgrenze erreicht eine Länge von über 30 m und eine Höhe von stellenweise über 3 m; über weite Strecken ist sie mehr als 2 m hoch. Dem Gesamteindruck nach erscheint die Anlage dem Wohnhaus, der dem Hauptzweck Wohnen dienenden Anlage auf dem Grundstück, als in räumlich-gegenständlicher Hinsicht wenigstens gleichwertig. Aus diesen Gründen ist die Anlage als Nebenanlage auch unabhängig von ihrer Lage außerhalb der Baugrenzen nicht zulässig. Fehler bei der zur Beseitigungsanordnung führenden Ermessensausübung sind nicht ersichtlich.

Auch das weitergehende Gebot, die Nutzung des als Zufahrt dienenden Grundstücksteils zur Aufstellung oder Lagerung von Solaranlagen zu unterlassen, ist rechtmäßig. Es kann auf die Generalklausel des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO gestützt werden. Nach dieser Vorschrift können die Bauaufsichtsbehörden die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen sicherzustellen. Ein vorbeugendes Unterlassungsgebot kann dann eine erforderliche Maßnahme sein, wenn sich die Gefahr eines rechtswidrigen Zustands konkret abzeichnet.

Dies ist hier der Fall. Es besteht die konkrete Gefahr, dass der Kläger nach Beseitigung der derzeit bestehenden Anlagen wieder Solarmodule im Bereich der Zufahrt installiert. Aus der beigezogenen Verwaltungsakte ergibt sich nämlich, dass in der Vergangenheit gerade in diesem Bereich mehrfach Änderungen vorgenommen wurden und dass der Kläger seine Anlage beständig ausgebaut hat. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, er könne kaum auf einzelne Solarmodule verzichten, da diese alle notwendig seien, um eine ausreichende Energieversorgung des Hauses sicherzustellen.

Auch die in den Ziffern 2. bis 5. des angegriffenen Bescheids angeordnete Beseitigung von Teilen des auf der Garage bzw. an und auf dem Wohnhaus angebrachten Solaranlage konnte rechtmäßig verfügt werden. Rechtsgrundlage ist auch hier Art. 76 Satz 1 BayBO. Die Anlage auf der Garage und an bzw. auf dem Hauptgebäude steht in Widerspruch zu öffentlichen-rechtlichen Vorschriften. Auch sie muss sich im oben dargestellten Sinne räumlich-gegenständlich unterordnen, um als Nebenanlage zur Wohnnutzung nach § 14 Abs. 1 BauNVO zulässig zu sein.

Dies ist nicht der Fall. Vielmehr dominieren die installierten Solarmodule das Bild des Hauptgebäudes und der Garage. Schon die Menge der installierten Paneele ist für ein Gebäude dieses Ausmaßes außerordentlich groß. So sind die gesamten Dachflächen und große Teile der Südostfassade von Modulen verdeckt. Die hervortretende Wirkung wird dadurch gesteigert, dass die Anlage an zahlreichen Stellen so installiert ist, dass sie die Konturen des eigentlichen Baukörpers verdeckt oder in den Hintergrund treten lässt. Dies betrifft insbesondere die über dem First aufgeständerten Solarmodule, die am Balkon angebrachten und dessen Geländer völlig verdeckenden Module, die Module an der Südostfassade, die in einem Winkel von der Wand abstehen und zudem teilweise die östliche Gebäudeecke verdecken, sowie die auf voller Garagenbreite auf der Garage in zwei Reihen aufgeständerten Module. Der Beklagte hat insoweit sein Ermessen rechtmäßig ausgeübt, indem er die Beseitigung einzelner besonders hervortretender Anlageteile angeordnet hat, die zusammen mit der mengenmäßigen Reduzierung die Anlage auf ein untergeordnetes Maß zurückführt.

Auch die in Ziffer 6. des Bescheides angeordnete Entfernung der abgebauten Solarmodule vom Grundstück kann sich auf Art. 76 Satz 1 BayBO als Ermächtigungsgrundlage stützen. Diese umfasst auch die Entfernung des bei der Beseitigung einer baulichen Anlage anfallenden Materials vom Grundstück (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.1997 - 27 B 95.2273 - juris Rn. 18). Sie ist auch rechtmäßig, da insbesondere durch die Lagerung der zahlreichen zu beseitigenden Module auf dem Grundstück wieder baurechtswidrige Zustände geschaffen würden. Eine Lagerung in diesem Umfang ist in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässig.

Auch die Rechtmäßigkeit der unter Ziffer 8. des Bescheids erfolgten Androhung von Zwangsgeldern begegnet keinen Bedenken. Die mit der Androhung bestimmte Frist von zwei bzw. drei Monaten genügt den Anforderungen des Art. 36 Abs. 1 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Sie lässt dem Kläger ausreichend Zeit, seinen Verpflichtungen aus dem Bescheid nachzukommen. Die Höhe des angedrohten Zwangsgelds hält sich im Rahmend des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG. Anhaltspunkte, dass das wirtschaftliche Interesse des Klägers ermessensfehlerhaft geschätzt worden wäre, bestehen nicht.

Auch hinsichtlich des Kostenausspruchs in den Ziffern 10. und 11. ist der angegriffene Bescheid rechtmäßig. Die festgesetzte Gebühr von 150,00 Euro hält sich im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 BayKG i.V.m. dem Kostenverzeichnis, Ziffer 2.I.1/1.45.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, § 709 Satz 1 und 2, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine ihren Nachbarn erteilte Befreiung.

Die Befreiung bezieht sich auf die Grundstücke FlNr. 1454 und FlNr. 1454/4, jeweils Gemarkung H. (i.F.: Vorhabengrundstück). Die Klägerin ist Eigentümerin des nordwestlich angrenzenden Flurstücks 1452/1, Gemarkung H. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 69 „Zwischen D.str. – G.str. – N.str. – G.-K.-Str.“ und im Geltungsbereich einer gemeindlichen Einfriedungssatzung und einer Baumschutzverordnung. Der Bebauungsplan Nr. 69 regelt in Ziff. B 7 Folgendes:

Einfriedungen. Art und Material: Einfriedungen zu öffentlichen Verkehrsflächen sind als Holzlattenzäune auszuführen; zwischen den einzelnen Grundstücken nur als hinterpflanzte Maschendrahtzäune. Die Höhe der Einfriedungen wird mit 1,2 m festgesetzt. Dies gilt nicht für Hecken.

Unter dem 1. Oktober 2017 richtete die beigeladene Anwohnergemeinschaft R. einen Antrag „auf Baugenehmigung eines Gartenzauns“ (Bl. 1ff. d. Behördenakts der Beklagten – i.F.: BA-Bekl. –) an die Beigeladene. Im Anschreiben (Bl. 8 d. BA-Bekl.) wurde Folgendes ausgeführt: „Wir stellen diesen Antrag gemeinsam als Anwohnergemeinschaft, da es bisher zu keiner Einigung zwischen dem Bauträger P. und C. & W. P. gekommen ist. […] Es ist uns bewusst, dass dieses Bauvorhaben eine ausdrückliche Genehmigung vonseiten des Gemeinderates bedarf.“

Mit Beschluss des Bau- und Umweltausschusses vom 9. November 2017, ausgefertigt am 14. November 2017 (Bl. 19f. d. BA-Bekl.), wurde dem als Antrag auf isolierte Befreiung behandelten Begehr zugestimmt. Zur Begründung wird ausgeführt: „Der Bau- und Umweltausschuss hat in seiner Sitzung vom 14. Juli 2016 eine Gabione auf dem gleichen Grundstück mit einer Höhe von 2,00 m abgelehnt. … [Zustimmung zum jetzigen Antrag mit 11:0…] …aufgrund eines besonderen und aktenkundigen Härtefalles des nördlich angrenzenden Nachbargrundstückes“

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14. November 2017, Az. 6022-BV-72/17 (i.F.: Befreiung) wurde eine Befreiung von der Festsetzung Ziffer B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 für die Errichtung eines Sichtschutzzaunes in Form einer Gabionenwand auf dem Vorhabengrundstück mit einer maximalen Höhe von 1,80 m entlang der nördlichen Grundstücksgrenze zur FlNr. 1452/1 erteilt.

Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Beklagte sei für die Entscheidung zuständig, da es sich um ein verfahrensfreies Vorhaben nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO handele. Die Verfahrensfreiheit entbinde aber nicht von der Einhaltung der an die Anlage zu stellenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, Art. 55 Abs. 2 BayBO. Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 der Beklagten, die eine Maximalhöhe von 1,20 m für Einfriedungen wie die streitgegenständliche vorschreibe, sei eine solche Vorschrift, weswegen es einer Befreiung bedürfe. Diese habe nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt werden dürfen, da Grundzüge der Planung nicht berührt seien und die Abweichung städtebaulich vertretbar sei. Die Abweichung sei unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar, eine Verletzung öffentlich-rechtlich zu schützender Nachbarrechte nicht erkennbar.

Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob unter dem 8. Dezember 2017 Klage gegen diesen Bescheid.

Er beantragt,

den Bescheid aufzuheben.

Die erteilte isolierte Befreiungsgenehmigung sei rechtswidrig. Im Tatsächlichen sei festzuhalten, dass die Gabionenwand vor Erteilung der Genehmigung komplett errichtet worden sei. Sie sei 60 m lang und unterschiedlich hoch, an der Einmündung zur Zufahrt bspw. 1,80 m, an der Stelle, an der das Haus der Klägerin stehe, dagegen ca. 2,30 m. Rechtlich sei bereits die Zuständigkeit der Beklagten zweifelhaft, da zwar eine Höhe von lediglich 1,80 m beantragt, die Mauer aber über 2 m hoch ausgeführt worden sei; es sei daher zweifelhaft, ob Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO überhaupt greife. Materiell lägen die Befreiungsvoraussetzungen nicht vor. Durch die Gabionenwand werde ein Grundzug der Planung berührt. Die Regelung zeige deutlich, dass die Beklagte besonderen Wert auf das Erscheinungsbild der Abgrenzungen zwischen den Grundstücken lege. Eine 60 m lange massive Mauer erinnere an eine Gefängnismauer, ein derart massives Bauwerk habe durch die Festsetzung gerade verhindert werden sollen. Die Abweichung sei auch städtebaulich nicht vertretbar; durch die massive Mauer werde ein vollkommen anderer Gebietseindruck vermittelt, sie habe in einem Wohngebiet nichts verloren. Auch seien die nachbarlichen Interessen nicht gewürdigt worden, dem Bescheid fehle jegliche Begründung dafür, warum die Befreiung überhaupt erteilt worden sei. Die Nachbarn vertrauten aber grundsätzlich darauf, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans eingehalten würden. Dieses Vertrauen dürfe nur im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses enttäuscht werden, das vorliegend nicht erkennbar sei. Die Mauer zeitigte auch bei Einhaltung der genehmigten Höhe von 1,80 m eine erhebliche Verschattungswirkung. Hinter der Mauer seien weder Anpflanzungen möglich noch könne der gestattete Betrieb von Solaranlagen weitergeführt werden. Zwar bestünden Abwehrrechte bei Befreiungen von nicht drittschützenden Vorschriften grundsätzlich nur bei Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme; dies gelte allerdings gerade nicht, wenn die Befreiung dafür sorge, dass sich der Gebietscharakter ändere, d.h. wenn Quantität in Qualität umschlage. Die Beklagte vergesse, dass die Wand 60 m lang sei, dies sei vollkommen gebietsfremd. Die Wand sei ein absoluter Solitär, der die Wohnbebauung verfremde und den Gebietscharakter zerstöre; insofern sei Nachbarschutz durchaus gegeben.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte sei für die Erteilung der Genehmigung zuständig. Maßgeblich sei nur das beantragte Vorhaben; nach Art. 63 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO i.V.m. Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO sei die Beklagte bei verfahrensfreien Bauvorhaben für die Entscheidung zuständig. Der Bescheid verletze die Klägerin nicht in eigenen Rechten. Es könne dahinstehen, ob der Bescheid objektiv rechtswidrig sei, wobei Grundzüge der Planung bei Abweichungen von gestalterischen Festsetzungen regelmäßig nicht berührt würden. Hinsichtlich des Nachbarschutzes sei festzuhalten, dass von einer nicht nachbarschützenden Vorschrift befreit worden sei; ein damit allein möglicher Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht erkennbar. Dies folge daraus, dass die Klägerin mit einer Einfriedung in einer Höhe von 1,20 m schon nach Bebauungsplan habe rechnen müssen, weiter daraus, dass eine 1,80 m hohe Gabionenwand keine Abstandsflächen auslöse, vgl. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO. Halte ein Bauvorhaben die Abstandsflächen ein oder sei privilegiert, so sei darüber hinaus für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr. Besondere Umstände wie eine erdrückende Wirkung seien nicht erkennbar; die Gabionenwand verstoße im Wohngebiet schließlich auch nicht gegen den Gebietscharakter. Ein Begründungsdefizit bestehe angesichts von Art. 68 Abs. 2 Satz 2 BayBO, der auf Abweichungsentscheidungen entsprechend anzuwenden sei, nicht; der Bescheid führe aus, dass nachbarliche Interessen gewürdigt worden seien, mehr sei nicht veranlasst gewesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins am 6. Juni 2018. Auf die Augenscheinfeststellungen in der Niederschrift über den Augenschein wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogenen Behördenakten in den Verfahren M 9 K 17.5750 und M 9 K 18.1526, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2018.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die angegriffene Befreiung verletzt die Klägerin nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Befreiung kann nur dann Erfolg haben, wenn diese Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Befreiung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (vgl. VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris für die Anfechtung einer Baugenehmigung).

Vorab ist klarzustellen, dass eine etwaige Unzuständigkeit der Beklagten keine derartigen drittschützenden Positionen betrifft. Unabhängig davon ist die Beklagte für die Erteilung der Befreiung nach Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayBO, Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO zuständig: Es kommt nur auf die beantragten Inhalte an – Höhe von 1,80 m und damit unter 2 m –, die dann auch Grundlage der Prüfung und der Entscheidung sind; dementsprechend geht es im Rahmen einer Drittanfechtung auch „nur“ um eine etwaige Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids (vorliegend: Befreiung) und nicht um die Rechtswidrigkeit „des ausgeführten Bauvorhabens“.

Eine Verletzung in drittschützenden Vorschriften ist weiter auch weder unter den Aspekten des Gebietserhaltungs- oder des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs bzw. einer etwaigen Gebietsunverträglichkeit gegeben (1.) noch im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme (2.).

1. Wenn der Klägerbevollmächtigte ausführt, dass sich der Nachbarschutz vorliegend deshalb nicht isoliert nach dem Gebot der Rücksichtnahme richte, weil die Befreiung dafür sorge, dass sich der Gebietscharakter ändere bzw. weil Quantität in Qualität umschlage, so ist dieser Vortrag nicht nachvollziehbar. Im Rahmen der Erteilung von Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB richtet sich die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Nachbarklage danach, ob von nachbarschützenden oder von nicht nachbarschützenden Vorschriften befreit wird. Die vorgebrachten Schlagworte – mit denen wohl eine Verletzung des Gebietserhaltungs- oder des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs bzw. eine etwaige Gebietsunverträglichkeit geltend gemacht werden sollen – vermögen nicht, darzulegen, wieso vorliegend von einer nachbarschützenden Vorschrift befreit worden sein soll. Nur dann würde bspw. die städtebauliche Vertretbarkeit der Befreiungsentscheidung als Tatbestandsmerkmal eine Rolle spielen.

Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 als alleiniger Gegenstand der Befreiung – die gemeindliche Einfriedungssatzung spielt keine Rolle, vgl. § 1 Einfriedungssatzung: „Diese Satzungen gilt für Einfriedungen […], außer im Bebauungsplan sind eigene Festsetzungen über Einfriedungen enthalten“ – lautet:

Einfriedungen. Art und Material: Einfriedungen zu öffentlichen Verkehrsflächen sind als Holzlattenzäune auszuführen; zwischen den einzelnen Grundstücken nur als hinterpflanzte Maschendrahtzäune. Die Höhe der Einfriedungen wird mit 1,2 m festgesetzt. Dies gilt nicht für Hecken.

Diese Regelung ist weder eine Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung – regelmäßig drittschützend und relevant für einen etwaigen Gebietserhaltungsanspruch – noch ist eine Mauer in einer Höhe von 1,80 m generell gebietsunverträglich. Das festgesetzte Allgemeine Wohngebiet (WA) dient auch gegenwärtig, d.h. nach Ausführung des Vorhabens, noch vorwiegend dem Wohnen, weswegen § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 1 BauNVO als etwaig betroffene drittschützende Vorschrift nicht verletzt ist/sind. Schließlich schlägt auch nicht „Quantität in Qualität um“: Mit dieser Floskel soll vermutlich auf eine Verletzung von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO – Tatbestandsmerkmal „Umfang“ – und damit auf eine Verletzung des sog. Gebietsprägungserhaltungsanspruchs angespielt werden (dazu BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86/01 – juris; VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris). Dafür wäre erforderlich, dass die Größe/Höhe der baulichen Anlage die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung – vgl. den Standort von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO im 1. Abschnitt der BauNVO – erfasst und beeinflusst, dass also aufgrund der Dimensionierung der Anlage eine neue Art der baulichen Nutzung in das Gebiet hineingetragen wird. Ein Wohnhaus mit einer 1,80 m-Mauer bleibt aber genauso ein Wohnhaus wie ein Wohnhaus mit einer Einfriedung in Höhe von nur 1,20 m.

Die Nennung von Schlagworten ist nach alledem nicht zielführend. Ziff. B 7 des Bebauungsplans Nr. 69 ist vielmehr schlicht als örtliche Bauvorschrift einzuordnen, die auch in einen Bebauungsplan aufgenommen werden kann, Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO i. V. m. § 9 Abs. 4 BauGB. Örtliche Bauvorschriften sind grundsätzlich nicht drittschützend (statt aller BayVGH, B.v. 22.2.2017 – 15 CS 16.1883 – juris; B.v. 29.8.2006 – 15 CS 06.1943 – juris; Simon/Busse, BayBO, Stand: 128. EL Dezember 2017, Art. 81 Rn. 314). Ihnen kommt nur dann drittschützende Wirkung zu, wenn die Gemeinde einer solchen Festsetzung eine entsprechende Wirkung geben wollte. Im Rahmen der Ermittlung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall ist maßgeblich, ob die Regelung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus bauordnungsrechtlichen Gründen getroffen wurde oder ob sie (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich zu dienen bestimmt ist (Simon/Busse, a.a.O., Art. 81 Rn. 317).

Vorliegend steht die Festsetzung nach einer Zusammenschau der Bebauungsplanregelungen und nach den Inhalten der Bebauungsplanbegründung ausschließlich im Dienst des städtebaulich gewünschten Konzepts der Beklagten, den Gartenstadtcharakter des Gebiets zu erhalten. Sie hat nicht das Ziel, einen nachbarlichen Interessenausgleich herzustellen. Günstige Auswirkungen der Festsetzung auf die Nachbargrundstücke – die durchaus vorhanden sein können – reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus (vgl. zum Ganzen auch BayVGH, B.v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris; VG Augsburg, U.v. 9.2.2017 – Au 5 K 16.1042 – juris; VG Bayreuth, U.v. 3.6.2015 – B 2 K 14.564 – juris).

Nach alledem ist Ziff. B 7 des Bebauungsplans als nicht drittschützende Vorschrift anzusehen. Der Nachbarschutz im Rahmen der Anfechtung einer Befreiung von dieser Vorschrift richtet sich somit ausschließlich nach dem Gebot der Rücksichtnahme.

2. Die Befreiung verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme, vorliegend herzuleiten aus § 31 Abs. 2 BauGB, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, insbesondere nicht unter dem Aspekt eines Abstandsflächenverstoßes.

Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Genehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Begünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständiger und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass den Vorgaben des landesrechtlichen Abstandsflächenrechts diesbezüglich ohnehin nur insofern Bedeutung zukommt, als dass ein Vorhaben, das Art. 6 BayBO gerecht wird, im Regelfall bezüglich der Aspekte Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht rücksichtslos ist (BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris) – sog. prima-facie-Wirkung. Einen der Klägerin günstigen Gegenschluss, wonach ein Vorhaben, das die Abstandsflächen verletzt, auch rücksichtslos wäre, gibt es dagegen nicht (statt aller VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris m.w.N.).

Das in der Befreiungsentscheidung festgelegte Vorhaben wahrt die Abstandsflächen. Eine Mauerhöhe von 1,80 m ist abstandsflächenrechtlich privilegiert (Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO); die Einschränkung des Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO gilt für Einfriedungen nicht. Die oben dargelegte Indizwirkung ist somit gegeben. Ein abweichender Sonderfall ist nicht auszumachen; v.a. kommt auch eine sog. abriegelnde Wirkung bei einer Höhe von 1,80 m nicht in Betracht.

Sonstige Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme sind nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen – die Anwohnergemeinschaft stellt eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts dar, §§ 705ff. BGB – den Klägern aufzuerlegen hätte nicht der Billigkeit entsprochen, da sich die Beigeladene nicht mittels Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben hat. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, der ihm die Beseitigung von Teilen einer von ihm errichteten Solaranlage aufgibt. Diese befindet sich auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, das im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 69 der Beigeladenen liegt und im Eigentum der Mutter des Klägers steht. Der Bebauungsplan setzt für das hier betroffene Grundstück den Gebietscharakter allgemeines Wohngebiet und für den als Zufahrt genutzten Grundstücksteil eine private, befestigte Freifläche mit wasser- und luftdurchlässigem Belag fest.

Die umfangreiche Solaranlage besteht zunächst aus einer gebäudeunabhängigen Installation in den Randbereichen des als Zufahrt genutzten Grundstücksteils, die teils auf beweglichen Ständern montiert und teils fest angebracht ist. Weitere Anlageteile befinden sich auf dem Dach einer südöstlich des Hauptgebäudes gelegenen Garage, auf dem Dach des Hauptgebäudes, eines Wohnhauses, sowie an der südöstlichen und südwestlichen Fassade des Hauptgebäudes. Schließlich befinden sich zusätzliche Solarmodule auf Nebengebäuden im Gartenbereich und auf einer Holzkonstruktion vor der Garage.

Entlang des schmalen, als Zufahrt genutzten Grundstücksteils befinden sich zunächst angrenzend an das Grundstück FlNr. … zwanzig Paneele einer Breite von 98 cm und einer Höhe von 163 cm. Die Module sind derart auf Ständern angebracht, dass die Unterkante in einer Höhe von 80 cm zu liegen kommt. In Richtung von der Straße weg daran anschließend folgen weitere vier Paneele, die auf einem Wagen schräg gestellt sind. Nach einer kurzen Lücke folgt an dieser Grundstücksgrenze ein Solarfeld aus zwölf Paneelen, die an der Geländeoberfläche beginnend auf einem Wagen montiert und schräg gestellt sind. Diese Anlage hat eine Höhe in der Senkrechten von 3,10 m. Daran anschließend befinden sich weitere, lose stehende Paneele. Auf der anderen Seite des als Einfahrt genutzten Grundstückteils befinden sich an der Grenze zum Grundstück FlNr. … weitere zwölf Paneele, von denen sieben 50 cm über der Geländeroberfläche angebracht sind. Die restlichen fünf Paneele haben eine Gesamthöhe von 1,80 m. Daran anschließend befinden sich auch auf dieser Seite drei weitere lose stehende Paneele. Ein weiterer Anlagenteil befindet sich auf der südöstlich des Hauptgebäudes stehenden Garage und einem angebauten Freisitz. Das Dach ist dort vollständig mit Solarmodulen flach belegt. Außerdem sind an der Nordostseite des Garagengebäudes Solarmodule aufgeständert angebracht. Diese Aufständerung besteht aus zwei Reihen von je fünf Modulen. Weiterhin ist das gesamte Dach des Hauptgebäudes, eines Wohnhauses, mit Solarmodulen belegt. Über den gesamten First ragt eine Reihe Paneele hinaus, die an die südwestliche Dachfläche anschließt und zur nordöstlichen Dachfläche hin abgestützt ist. An der Südostseite des Hauptgebäudes befinden sich siebzehn Solarmodule, die schräg zur Hauswand angebracht sind und nahezu die gesamte Giebelseite des Hauses verdecken. In der untersten Reihe steht die Installation über die Südecke des Gebäudes über. An der Südwestseite des Hauptgebäudes sind neun Paneele schräggestellt am Balkon angebracht, die den Balkon vollständig verdecken, und sieben Paneele auf dem Balkon vor den Fenstern installiert. Weitere Solarmodule sind auf zwei Nebengebäuden angebracht, die sich im nordwestlichen Bereich des Grundstücks befinden sowie auf einer Holzkonstruktion mit einer Länge von 5 m und einer Breite, die der Garagenbreite entspricht, vor der genannten Garage in Richtung der Grundstückseinfahrt.

Das Landratsamt München teilte dem Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2014 mit, dass der Erlass von Beseitigungsanordnungen hinsichtlich der Solaranlagen beabsichtigt sei, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger machte darauf u.a. geltend, die mit der Anlage gewonnene elektrische Energie werde jedenfalls zum überwiegenden Teil nicht in das öffentliche Netz eingespeist, sondern diene der weitgehend autarken Versorgung des Hauses auf dem Grundstück. Eine selbständige gewerbliche Anlage liege damit nicht vor.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2014 gab das Landratsamt München dem Kläger auf, innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Unanfechtbarkeit des Bescheids

  • 1.die Fotovoltaik-Anlagen entlang der Zufahrt an der Grundstücksgrenze zu beseitigen und die Nutzung der Zufahrt zum Aufstellen und Abstellen von Fotovoltaik-Anlagen zu unterlassen,

  • 2.die obere der beiden Modulreihen der gegenüber der Einfahrtseite auf dem Dach der Garagen aufgeständerten Modulreihen zu beseitigen,

  • 3.sämtliche aufgeständerte, über den First hinausragende Solarmodule auf dem Dach des Hauptgebäudes zu beseitigen,

  • 4.neun der insgesamt siebzehn an der südöstlichen Fassade des Hauptgebäudes angebrachten Solarmodule zu beseitigen,

  • 5.die an der südwestlichen Fassade des Hauptgebäudes am Balkongeländer befestigten Solarmodule zu beseitigen, sowie

  • 6.die nach 1. bis 5. zu beseitigenden Solarmodule bis drei Monate nach Unanfechtbarkeit des Bescheids vollständig vom Grundstück zu entfernen.

Außerdem drohte das Landratsamt unter Ziffer 8. des Bescheids Zwangsgelder für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnungen zu 1. bis 6. an und verpflichtete weiterhin die Grundstückseigentümerin unter Ziffer 7. des Bescheids zur Duldung und drohte diesbezüglich unter Ziffer 9. ein Zwangsgeld an. Dem Kläger wurden unter Ziffer 10. die Kosten des Bescheids auferlegt und unter Ziffer 11. eine Gebühr von 150,00 Euro sowie Auslagen von 4,64 Euro festgesetzt.

Begründet wurde der Bescheid mit der baurechtlichen Unzulässigkeit der betroffenen Anlagen. Die Anlage entlang der Zufahrt sei genehmigungsbedürftig, jedoch ohne Genehmigung errichtet worden. Sie sei auch materiell rechtswidrig, da sie weder als nicht störender Gewerbebetrieb noch als untergeordnete Nebenanlage genehmigungsfähig sei. Neben der Beseitigung sei auch die Unterbindung zukünftiger ähnlicher Nutzungen am genannten Ort erforderlich, da der Kläger seine Anlagen laufend verändere und bereits Ersatzgestaltungen angekündigt habe. Die Beseitigung entspreche pflichtgemäßem Ermessen; u.a. bestünden im Baugebiet zwar auch andere Fotovoltaik-Anlagen, diese seien flächenmäßig jedoch deutlich untergeordnet.

Auch die Anlagen auf den Dach- und Fassadenflächen stünden in Widerspruch zu den Anforderungen des materiellen Baurechts. Ihnen stünden bereits die Festsetzungen des Bebauungsplans entgegen, in denen lediglich einzelne Nebenanlagen ausdrücklich zugelassen seien, was andere Nebenanlagen ausschließe. Jedenfalls fehle es an der für die Zulässigkeit von Nebenanlagen nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO erforderlichen baulichen Unterordnung. Auf der mit flach angebrachten Modulen bereits vollständig bedeckten Garage betreffe dies die aufgeständerten Module, auf dem ebenfalls im Übrigen mit liegenden Modulen bedeckten Dach des Hauptgebäudes die am First aufgeständerten Anlagen. An der Südostfassade sei die Grenze der baulichen Unterordnung durch die Anzahl der Module und die eine hervortretende Wirkung erzeugende Art der Montage überschritten. An der Südwestfassade entstehe ein solcher hervortretender Eindruck durch die Anbringung am Balkongeländer, die zudem nicht als Anbringung an einer Außenwandfläche betrachtet werden könne. Pflichtgemäßem Ermessen entspreche eine Teilbeseitigung, die zu einer Rückführung auf das Maß einer baulich untergeordneten Anlage führe.

Mit der am 27. November 2014 durch seinen Bevollmächtigten erhobenen Klage erstrebt der Kläger der Sache nach die Aufhebung des Bescheids vom 27. Oktober 2014. Er beantragt zuletzt durch seinen Bevollmächtigten, den Bescheid des Beklagten in Nrn. 1. bis 6., 8., 10. bis 11. aufzuheben.

Er lässt vortragen, die streitgegenständliche Solaranlage sei bereits im Jahr 2009 errichtet worden. Sie genieße nun Bestandsschutz. Im Übrigen stehe die Anlage in Einklang mit den bau- und ordnungsrechtlichen Vorschriften.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins am 29. April 2015. Auf die Feststellungen in der Niederschrift vom gleichen Tag wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der übrigen Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger wird durch den angegriffenen Verwaltungsakt nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2014 ist rechtmäßig, soweit er hier angegriffen ist.

Dies gilt zunächst hinsichtlich der unter Ziffer 1. des Bescheides ausgesprochenen Beseitigungsanordnung bezüglich der Anlage entlang der Grundstückszufahrt.

Rechtsgrundlage ist insoweit Art. 76 Satz 1 der Bayerischen Bauordnung (BayBO). Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

Die von Ziffer 1. des Bescheids betroffene Anlage ist hier zunächst formell baurechtswidrig, da sie ohne die nach Art. 55 Abs. 1 BayBO erforderliche Baugenehmigung errichtet wurden. Die Anlage ist insoweit nicht verfahrensfrei nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 3a bb BayBO, da sie eine Gesamtlänge von 9 m erheblich überschreitet. Die Anlage ist jedoch auch materiell baurechtswidrig und damit auch nicht genehmigungsfähig. Sie ist an diesem Standort zunächst deswegen unzulässig, weil sie sich außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen befindet. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO dürfen Gebäude und Gebäudeteile eine festgesetzte Baugrenze nicht überschreiten. Baugrenzen gelten auch für sonstige bauliche Anlagen (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.2001 - 4 C 1/01 - NVwZ 2002, 90). Ein Anspruch auf ausnahmsweise Zulassung nach § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO besteht nicht. Unabhängig von der Lage außerhalb der Baugrenzen liegt nämlich keine nach § 14 Abs. 1 BauNVO zulässige Nebenanlage vor. Es handelt sich vorliegend um keine baulich untergeordnete Nebenanlage.

Untergeordnete Nebenanlagen i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO müssen auch räumlich-gegenständlich untergeordnet sein. An einer erkennbaren räumlich-gegenständlichen - und damit auch optischen - Unterordnung fehlt es, wenn die Nebenanlage wegen ihrer Abmessungen als der Hauptanlage gleichwertig erscheint oder diese gar optisch verdrängt, mit anderen Worten: Wenn sie den Eindruck einer dienenden Funktion gegenüber der Hauptanlage gar nicht erst aufkommen lässt (BVerwG, U.v. 18.2.1983 - 4 C 18.18 - BVerwGE 67, 23).

So liegt es hier. Die Anlage entlang der Grundstückgrenze erreicht eine Länge von über 30 m und eine Höhe von stellenweise über 3 m; über weite Strecken ist sie mehr als 2 m hoch. Dem Gesamteindruck nach erscheint die Anlage dem Wohnhaus, der dem Hauptzweck Wohnen dienenden Anlage auf dem Grundstück, als in räumlich-gegenständlicher Hinsicht wenigstens gleichwertig. Aus diesen Gründen ist die Anlage als Nebenanlage auch unabhängig von ihrer Lage außerhalb der Baugrenzen nicht zulässig. Fehler bei der zur Beseitigungsanordnung führenden Ermessensausübung sind nicht ersichtlich.

Auch das weitergehende Gebot, die Nutzung des als Zufahrt dienenden Grundstücksteils zur Aufstellung oder Lagerung von Solaranlagen zu unterlassen, ist rechtmäßig. Es kann auf die Generalklausel des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO gestützt werden. Nach dieser Vorschrift können die Bauaufsichtsbehörden die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen sicherzustellen. Ein vorbeugendes Unterlassungsgebot kann dann eine erforderliche Maßnahme sein, wenn sich die Gefahr eines rechtswidrigen Zustands konkret abzeichnet.

Dies ist hier der Fall. Es besteht die konkrete Gefahr, dass der Kläger nach Beseitigung der derzeit bestehenden Anlagen wieder Solarmodule im Bereich der Zufahrt installiert. Aus der beigezogenen Verwaltungsakte ergibt sich nämlich, dass in der Vergangenheit gerade in diesem Bereich mehrfach Änderungen vorgenommen wurden und dass der Kläger seine Anlage beständig ausgebaut hat. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, er könne kaum auf einzelne Solarmodule verzichten, da diese alle notwendig seien, um eine ausreichende Energieversorgung des Hauses sicherzustellen.

Auch die in den Ziffern 2. bis 5. des angegriffenen Bescheids angeordnete Beseitigung von Teilen des auf der Garage bzw. an und auf dem Wohnhaus angebrachten Solaranlage konnte rechtmäßig verfügt werden. Rechtsgrundlage ist auch hier Art. 76 Satz 1 BayBO. Die Anlage auf der Garage und an bzw. auf dem Hauptgebäude steht in Widerspruch zu öffentlichen-rechtlichen Vorschriften. Auch sie muss sich im oben dargestellten Sinne räumlich-gegenständlich unterordnen, um als Nebenanlage zur Wohnnutzung nach § 14 Abs. 1 BauNVO zulässig zu sein.

Dies ist nicht der Fall. Vielmehr dominieren die installierten Solarmodule das Bild des Hauptgebäudes und der Garage. Schon die Menge der installierten Paneele ist für ein Gebäude dieses Ausmaßes außerordentlich groß. So sind die gesamten Dachflächen und große Teile der Südostfassade von Modulen verdeckt. Die hervortretende Wirkung wird dadurch gesteigert, dass die Anlage an zahlreichen Stellen so installiert ist, dass sie die Konturen des eigentlichen Baukörpers verdeckt oder in den Hintergrund treten lässt. Dies betrifft insbesondere die über dem First aufgeständerten Solarmodule, die am Balkon angebrachten und dessen Geländer völlig verdeckenden Module, die Module an der Südostfassade, die in einem Winkel von der Wand abstehen und zudem teilweise die östliche Gebäudeecke verdecken, sowie die auf voller Garagenbreite auf der Garage in zwei Reihen aufgeständerten Module. Der Beklagte hat insoweit sein Ermessen rechtmäßig ausgeübt, indem er die Beseitigung einzelner besonders hervortretender Anlageteile angeordnet hat, die zusammen mit der mengenmäßigen Reduzierung die Anlage auf ein untergeordnetes Maß zurückführt.

Auch die in Ziffer 6. des Bescheides angeordnete Entfernung der abgebauten Solarmodule vom Grundstück kann sich auf Art. 76 Satz 1 BayBO als Ermächtigungsgrundlage stützen. Diese umfasst auch die Entfernung des bei der Beseitigung einer baulichen Anlage anfallenden Materials vom Grundstück (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.1997 - 27 B 95.2273 - juris Rn. 18). Sie ist auch rechtmäßig, da insbesondere durch die Lagerung der zahlreichen zu beseitigenden Module auf dem Grundstück wieder baurechtswidrige Zustände geschaffen würden. Eine Lagerung in diesem Umfang ist in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässig.

Auch die Rechtmäßigkeit der unter Ziffer 8. des Bescheids erfolgten Androhung von Zwangsgeldern begegnet keinen Bedenken. Die mit der Androhung bestimmte Frist von zwei bzw. drei Monaten genügt den Anforderungen des Art. 36 Abs. 1 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Sie lässt dem Kläger ausreichend Zeit, seinen Verpflichtungen aus dem Bescheid nachzukommen. Die Höhe des angedrohten Zwangsgelds hält sich im Rahmend des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG. Anhaltspunkte, dass das wirtschaftliche Interesse des Klägers ermessensfehlerhaft geschätzt worden wäre, bestehen nicht.

Auch hinsichtlich des Kostenausspruchs in den Ziffern 10. und 11. ist der angegriffene Bescheid rechtmäßig. Die festgesetzte Gebühr von 150,00 Euro hält sich im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 BayKG i.V.m. dem Kostenverzeichnis, Ziffer 2.I.1/1.45.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, § 709 Satz 1 und 2, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zum bauaufsichtlichen Einschreiten gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) und 2). Im Parallelverfahren mit dem Az. M 9 K 16.5051 wendet sich die Klägerin gegen eine den Beigeladenen zu 1) und 2) erteilte Baugenehmigung.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf den Tatbestand des Urteils vom selben Tag zwischen denselben Beteiligten im Verfahren Az. M 9 K 16.5051 Bezug genommen.

Unter dem 29. März 2016 wandte sich der Klägerbevollmächtigte mit einem Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten an das Landratsamt.

Mit am 12. Juli 2016 eingegangener Klage wurde der Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gerichtlich geltend gemacht. Die Klägerin lässt beantragen,

I. Der Beklagte wird verpflichtet, bezüglich der Höhe des Gebäudes auf dem Grundstück mit der Fl.-Nr. 1885/3, Gemarkung Peiß, insoweit eine Teilbaubeseitigung zu erlassen, bis die im Teilbebauungs- und Baulinienplan vom 7.12.1957 vorgesehene Höhe erreicht wird.

II. Der Beklagte wird verpflichtet, bezüglich der Terrasse auf dem Grundstück mit der Fl.-Nr. 1885/3, Gemarkung Peiß, die zu nahe an das Grundstück der Klägerin gebaut wurde, insoweit eine Teilbaubeseitigung zu erlassen, bis die gesetzlich vorgesehenen Abstandsflächen eingehalten sind.

III. Der Beklagte wird verpflichtet, die Nutzung der Wohnungen auf dem Grundstück mit der Fl.-Nr. 1885/3, Gemarkung Peiß als Ferienwohnungen zu untersagen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die gemäß Art. 6 Abs. 1 und 5 BayBO einzuhaltende Mindestabstandsfläche von 3 m durch die Abgrabung und die Errichtung der Terrasse zum Grundstück der Klägerin hin nicht eingehalten werde. Die Klägerin sei der Ansicht, bei der Terrasse handele es sich um eine Anlage, von der Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen i.S.v. Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO, da sie in vergleichbarer Weise zu Beeinträchtigungen ihres Wohnfriedens führen könne. Die Klägerin sei des Weiteren der Meinung, Ferienwohnungen unterfielen nicht dem Begriff der „sonstigen nicht störenden Gewerbebetriebe“ i.S.v. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und eine ausnahmsweise Zulassung der Nutzung des Untergeschosses als vermietbare Ferienwohnung im allgemeinen Wohngebiet sei daher nicht möglich. Die ausnahmsweise Zulassung sei außerdem nicht ermessensgerecht erfolgt, da hierdurch nachbarschützende Belange der Klägerin in erheblicher Weise tangiert würden. Die Klägerin sei außerdem der Ansicht, der Bescheid vom 13. Oktober 2016 verletze sie in nachbarschützenden Vorschriften und sei daher rechtswidrig. Außerdem stehe ihr ein Anspruch auf Teilbaubeseitigung bezüglich der Terrasse gem. Art. 76 S. 1 BayBO und ein Anspruch auf Nutzungsuntersagung bzgl. der Nutzung als vermietbare Ferienwohnung gem. Art. 76 S. 2 BayBO zu. Außerdem betrage die Traufhöhe der Doppelhaushälfte der Beigeladenen 7,88 m und überschreite damit die zulässige Höhe des geltenden Teilbebauungs- und Baulinienplans von maximal 5,80 m. Aufgrund der erdrückenden Wirkung, bedingt durch die Höhe des Gebäudes, sei die Klägerin in ihrem nachbarschützenden Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Schließlich stehe ihr insoweit auch ein Anspruch auf Teilbeseitigung zu.

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass Art. 6 BayBO als Norm des Bauordnungsrechts nicht zum Prüfprogramm des im Rahmen des Bescheides vom 13. Oktober 2016 durchzuführenden vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gem. Art. 59 BayBO gehöre. Eine Abweichung von den gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen sei weder beantragt, noch mit dem Bescheid vom 13. Oktober 2016 erteilt worden. Der Bescheid verletze damit auch nicht etwaige bauordnungsrechtlich geschützte Nachbarrechte. Darüber hinaus handele es sich bei der Terrasse nicht um eine Anlage, von der Wirkungen wie von Gebäuden ausgingen i.S.v. Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO, da sie sich nicht oberirdisch auswirke, also insbesondere die Belichtung und Belüftung des klägerischen Anwesens nicht eingeschränkt werde und auch keine Einblickmöglichkeiten in das Grundstück der Klägerin eingeräumt würden.

Die genehmigte Ferienwohnungsnutzung unterfalle entweder dem Begriff des „Beherbergungsgewerbes“ i.S.v. § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO, oder aber jedenfalls dem Begriff des „sonstigen nicht störenden Gewerbebetriebs“ i.S.v. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Die Nutzungsform als Ferienwohnung sei hinsichtlich ihrer Auswirkungen mit der Wohnnutzung vergleichbar und nach ihrer konkreten Art nicht geeignet, das Wohnen bzw. die Wohnruhe im Wohngebiet in stärkerer Weise zu stören.

Die Klage hinsichtlich der Verpflichtung auf Teilbaubeseitigung aufgrund Überschreitens der im geltenden Teilbebauungs- und Baulinienplan festgesetzten Traufhöhe sei bereits unzulässig, da die Klägerin durch Unterschreiben der Bauvorlage dem Bauvorhaben und damit der Befreiung von der Festsetzung zugestimmt habe. Die in Ziff. 2.1.6 des Bescheides vom 28. Juni 2013 festgesetzte Traufhöhe von 6,10 m sei auch eingehalten worden. Eine Überschreitung der genehmigten Höhe habe nicht stattgefunden.

Das Gericht hat am 12. Juli 2017 Beweis über die örtlichen Verhältnisse durch Einnahme eines Augenscheins erhoben und anschließend die mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der bei dem Augenschein getroffenen Feststellungen sowie des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Verfahren Az. M 9 K 16.5051 und auf die Behördenakten einschließlich der Bauvorlagen und des einfachen Bebauungsplans Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. auf Erlass der beantragten Teilbeseitigungsanordnungen und der Nutzungsuntersagung, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, Art. 76 BayBO.

Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch Erlass einer (Teil-) Beseitigungsanordnung und/ oder einer Nutzungsuntersagung kann sich auf Art. 76 Satz 1 bzw. Satz 2 BayBO stützen. Art. 76 Satz 1 BayBO bestimmt, dass die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen kann, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Art. 76 Satz 2 BayBO gibt die Befugnis für eine Nutzungsuntersagung, wenn Anlagen im Widerspruch zu öfentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Beide Vorschriften stellen es in das pflichtgemäße Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, ob sie gegen eine Anlage vorgeht, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein Dritter ein Einschreiten der Behörde soll erzwingen können. Ein Anspruch der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten im hier bestehenden Dreiecksverhältnis zwischen Behörde, Nachbar und Bauherren setzt deshalb zum einen voraus, dass die Klägerin als Nachbarin durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist, ein Einschreiten ihrerseits also die einzig verbleibende ermessensgerechte Entscheidung darstellt (VG München, U.v. 25.3.2015 – M 9 K 14.3343 – juris Rn. 35). Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, haben die Kläger nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B.v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 11).

Für alle drei geltend gemachten Streitgegenstände – Teilbeseitigungsanordnung bezüglich der Gebäudehöhe, d.h. Rückbauverfügung bis zur im Bebauungsplan geregelten Höhe (nachfolgend 1.), Teilbeseitigungsanordnung bezüglich der Terrasse, d.h. bis diese die Abstandsflächen zur Klägerin einhält (nachfolgend 2.) und Nutzungsuntersagung bezüglich der Ferienwohnung im Kellergeschoss des Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) und 2) (nachfolgend unter 3.) – fehlt es bereits an der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung für Teilbeseitigungsanordnung bzw. Nutzungsuntersagung, weil in keinem Fall ein Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften vorliegt.

1. Bezüglich der Wandhöhe des Doppelhauses der Beigeladenen zu 1) und 2) liegt kein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften vor.

Das gilt schon deshalb, weil Voraussetzung einer auch teilweisen Beseitigungsanordnung neben der sog. materiellen Illegalität oder Baurechtswidrigkeit auch die sog. formelle Illegalität oder Baurechtswidrigkeit ist. Das bedeutet, dass bereits der Umstand, dass ein Vorhaben genehmigt ist, tatbestandlich einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form einer Beseitigungsanordnung entfallen lässt. Hier ist das Vorhaben mit einer Befreiung hinsichtlich der Überschreitung der im einfachen Bebauungsplan festgesetzten Wandhöhe (6,60 m statt 6,10 m bzw. die entsprechenden Traufhöhen 6,30 m statt 5,80 m) mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. Juni 2013 genehmigt. Die im parallelen Verfahren Az. M 9 K 16.5051 streitgegenständliche Änderungsbaugenehmigung mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 regelt die Höhenentwicklung überhaupt nicht, weder im Bescheid noch in den Bauvorlagen ist diesbezüglich etwas dargestellt noch gar genehmigt. Daher bleibt es bezüglich der Höhenentwicklung beim Genehmigungsstand, den der bestandskräftige Bescheid vom 28. Juni 2013 regelt.

Zwar legalisiert die Baugenehmigung das Vorhaben nur insoweit, als sie eine Regelung trifft, d.h. mit anderen Worten wäre das Vorhaben dann nicht mehr formell legal, wenn es die genehmigte Wandhöhe von 6,60 m überschreiten würde. Diese Frage ist aber für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich. Denn der Klägerbevollmächtigte hat diesbezüglich ausdrücklich beantragt, „insoweit eine Teilbaubeseitigung zu erlassen, bis die im Teilbebauungs- und Baulinienplan vom 7.12.1957 vorgesehene Höhe erreicht wird“. Dieser Antrag ist aber zwingend unbegründet wegen der Feststellungsbzw. Regelungswirkung der bestandskräftigen Baugenehmigung mit Bescheid vom 28. Juni 2013. Denn in dieser Baugenehmigung wird eben eine Befreiung von der im einfachen Bebauungsplan festgesetzten Wandhöhe genehmigt; da die Klägerin den damaligen Bescheid nicht angefochten hat, ist dieser bestandskräftig geworden. Selbst wenn also die Befreiung nicht rechtmäßig gewesen sein sollte, wofür aber nichts spricht, ist sie nicht mehr angreifbar; die Anordnung eines Rückbaus auf die in dem einfachen Bebauungsplan festgesetzte Wandhöhe ist damit ausgeschlossen. Sinnvoll wäre es allenfalls gewesen, den Rückbau auf die mit der Baugenehmigung vom 28. Juni 2013 genehmigte Wandhöhe zu beantragen, falls Anhaltspunkte bestehen, dass höher gebaut wurde. Das wurde für die Klägerin aber gerade nicht beantragt. Der ausdrückliche Antrag kann auch nicht entsprechend ausgelegt werden (§ 88 VwGO), zumal er von einem Rechtsanwalt gestellt wurde.

Unabhängig davon ist aber auch kein Verstoß gegen die in der Baugenehmigung festgelegte Höhenentwicklung gegeben. In der Baugenehmigung vom 28. Juni 2013 ist eine Befreiung erteilt für eine Wandhöhe von 6,60 m (vgl. Nr. 2.1.6 dieses Bescheids: Traufhöhe von 6,10 m = 6,60 m Wandhöhe gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). In den genehmigten Bauvorlagen, die sich bei den vorgelegten Behördenakten befinden, ist die zeichnerische Darstellung (im Wege einer Tektur bzw. einer Roteintragung) genau entsprechend dieser erteilten Befreiung eingetragen. Das Vorhaben ist auch entsprechend der genehmigten Höhenentwicklung gebaut worden. Das ergibt sich aus sämtlichen Baukontrollen (insbesondere vom 25.05.2015 – Baukontrollakt Bl. 4 mit Fotos Bl. 5 – 11 der Behördenakten – BA) und darauf beruhenden Stellungnahmen des Landratsamts (insbesondere vom 09.06.2015 – Baukontrollakt Bl. 12 BA), die im Tatbestand des Urteils im parallelen Verfahren Az. M 9 K 16.5051 dargestellt sind und auf die Bezug genommen wird. Zwar ist die Wandhöhe auf der Grundstücksseite zur Klägerin (in den Bauvorlagen der bestandskräftigen Baugenehmigung vom 28.06.2013 die Ansicht Süd) im Bereich des Quergiebels 7,95 m, mit Aufbau 8,10 m, das begründet aber keinen Verstoß gegen die Baugenehmigung. Denn erstens ändert der Quergiebel nicht die Wandhöhe, weil er im Verhältnis zur gesamten seitlichen Breite des Gebäudes nur untergeordnet ist. Zweitens ist diese Höhenentwicklung – auch die des Quergiebels – in den genehmigten Bauvorlagen genau so eingetragen und damit ebenfalls in dieser Höhe genehmigt.

Schließlich würde selbst eine Höhenüberschreitung nicht zu einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten führen, weil eine Höhenüberschreitung nicht drittschützend ist und eine sog. erdrückende Wirkung nicht vorliegt.

Sollte sich das Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in den aus der näheren Umgebung ableitbaren Rahmen einfügen, würde das der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Denn das Maß der baulichen Nutzung im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB entfaltet „für sich gesehen“ keine nachbarschützende Wirkung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25.01.2013 - 15 ZB 13.68 - juris Rn. 4 m.w.N.; Jäde/Dirnberger, BauGB, 8. Auflage 2017, § 29 Rdnr. 65 m.w.N.), weil das Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich nur der städtebaulichen Ordnung, nicht aber auch dem Schutz des Nachbarn dient. Das bedeutet, dass allein der Umstand, dass das Maß der Nutzung des Vorhabens nicht der Eigenart der näheren Umgebung entspricht, aus sich heraus keine Verletzung von nachbarlichen Rechten ergibt und damit auch nicht Grundlage für einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sein kann. Vielmehr gewährt § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB Nachbarschutz nur im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme (BVerwG, U.v. 4.7.1980 - IV C 101/77 - NJW 1981, 139 = BayVBl 1981, 119; B.v. 19.10.1995 - 4 B 215.95 - BRS 57, 219 = NVwZ 1996, 888). Das Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung ist nur dann verletzt, wenn die Bebauung sich in einer Gesamtschau als den Nachbarn gegenüber unzumutbar erweist. Wann dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Abwägung im Einzelfall zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage des Einzelfalles zuzumuten ist, beurteilt werden (grundlegend: BVerwG, U.v. 25.2.1977 - 4 C 22/75 - BVerwGE 52, 122 = BayVBl 1977, 639). Bezogen speziell auf das Maß der baulichen Nutzung ist eine Bebauung insbesondere dann rücksichtslos, wenn sie eine „erdrückende“ Wirkung auslöst.

Eine solche geht entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten vom Vorhaben nicht aus. Es hält, so wie es genehmigt ist, komplett die landesrechtlich verlangten Abstandsflächen ein, was sich aus den genehmigten Bauvorlagen ergibt. Anders als in Bezug auf die Abgrabung/ unterirdische Terrasse (dazu sogleich) ist das für das Gebäude selbst von der Klägerin auch nicht bestritten. Das genügt für sich genommen zwar nicht in jedem Fall, um das Gebot der Rücksichtnahme zu erfüllen, es spricht jedoch regelmäßig indiziell dafür, dass eine „erdrückende Wirkung“ nicht eintritt (BVerwG, B.v. 11.1.1999 - 4 B 128.98 - NVwZ 1999, 879 = BRS 62 Nr. 102; BayVGH, B.v. 15.3.2011 - 15 CS 11.9 - juris Rn. 32; B.v. 15.9.2008 - 15 CS 08.2123 – juris Rn. 5). Für ein Abweichen von der beschriebenen Regelwirkung ist weder etwas ersichtlich noch irgendetwas vorgebracht; die Klage behauptet hierzu nur das Vorliegen einer „erdrückenden“ Wirkung, ohne irgendwie zu spezifizieren, worin diese liegen soll und verweist darauf, dass der Dachausbau in Richtung des Grundstücks der Klägerin erfolgt. Beides genügt nicht, um entgegen der Indizwirkung der Einhaltung der Abstandsflächen gleichwohl einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu begründen. Auch der gerichtliche Augenschein hat nichts ergeben, was auch nur im Ansatz dafür spricht, dass ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme trotz eingehaltener Abstandsflächen gegeben sein könnte.

2. Auch bezüglich der Terrasse, hinsichtlich derer die Klägerin eine Teilbeseitigungsanordnung insoweit verlangt, bis diese die Abstandsflächen zur Klägerin einhält, liegt kein Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften vor. Zwar steht dem nicht die Regelungs- und Feststellungswirkung der Baugenehmigung vom 13. Oktober 2016 entgegen, weil diese keine Regelungen zu den Abstandsflächen trifft (vgl. im Einzelnen das Urteil vom selben Tag in der Verwaltungsstreitsache Az. M 9 K 16.5051, dort Seite 10 und Seite 11 oben). Jedoch sind die Abstandsflächen nicht verletzt; auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil vom selben Tag in der Verwaltungsstreitsache Az. M 9 K 16.5051, dort Seite 11 unter 1.2 bis Seite 12 oben wird Bezug genommen. Daher ist von vorneherein kein Raum für die verlangte Teilbeseitigung.

3. Schließlich steht auch die Nutzung der Ferienwohnung im Kellergeschoss des Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) und 2) nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so dass die insofern verlangte Nutzungsuntersagung nicht verfügt werden darf. Die Nutzung der Einheit im Kellergeschoss als Ferienwohnung ist sowohl mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 genehmigt, mithin formell rechtmäßig, als auch materiell rechtmäßig; beides ergibt sich aus den entsprechenden Ausführungen im Urteil vom selben Tag in der parallelen Verwaltungsstreitsache Az. M 9 K 16.5051, dort Seite 12 – 17, auf die Bezug genommen wird. Da diese Nutzung damit sowohl formell als auch materiell legal ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass eine Nutzungsuntersagung schon bei nur formeller Legalität ausscheiden würde.

Weil hinsichtlich aller Anträge bereits jeweils der Tatbestand für das verlangte bauaufsichtliche Einschreiten nicht gegeben ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass in keinem der Fälle Gründe für eine Ermessensreduzierung auf Null ersichtlich wären.

Nach alledem wird die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Absatz 1 VwGO abgewiesen; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen diese billigerweise jeweils selbst, da sie keine Anträge gestellt und sich dadurch auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, § 154 Abs. 3 Hs. 1 sowie § 162 Absatz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren von der Beklagten bauaufsichtliches Einschreiten gegen einen Schwarzbau der Beigeladenen.

Die Kläger sind Eigentümer der nordwestlich des Grundstücks der Beigeladenen gelegenen FlNr. ... Der streitgegenständliche Schwarzbau, der nach der Baukontrolle der Beklagten (Bl. 43 des Behördenakts) eine Höhe von ca. 2,80 m - gemessen ab dem Nachbarsockel - und inklusive Dachüberstand eine Länge von ca. 14,50 m aufweist, befindet sich in der nordöstlichen Ecke des Beigeladenengrundstücks (FlNr. ...). Er erstreckt sich über die gesamte gemeinsame Grundstücksgrenze zur FlNr. ... und grenzt mit seiner östlichen Stirnseite an die FlNr. ... An der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu FlNr. ... weist er noch eine Ausdehnung von 1,32 m auf, zu der noch ein Dachüberstand von 1,45 m hinzutritt.

Die Kläger beantragten bei der Beklagten am 6. Februar 2015 bauaufsichtliches Einschreiten bzw. einen rechtsmittelfähigen Bescheid.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom ... April 2015 (Az. ...) ab.

Ein öffentliches Interesse an einem Einschreiten könne nicht erkannt werden, weil die grenzständigen Anlagen bereits seit Jahrzehnten geduldet würden und auf benachbarten Anlagen (FlNr. ...) längere grenzständige Anlagen stünden. Es müssten für eine (Teil-) Beseitigungsanordnung gravierende Verletzungen nachbarschützender Vorschriften und ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen festzustellen sein. Die Grenzbebauung zum klägerischen Grundstück habe eine Länge von ca. 1,32 m (Grenzgebäude) + ca. 1,45 m (Dachüberstand), insgesamt ca. 2,90 m bei einer Höhe von ca. 2,80 m. Die zu FlNr. ... und ... grenzständigen Gebäude würden nach Augenschein als Holzlager, Abstellplatz und Werkraum/Werkstatt - nach Aussagen der Beigeladenen und ihres Ehemanns ausschließlich privat - genutzt. Letztere hätten ausweislich von Luftbildern aus 2001, 2006 und 2013 bereits damals Bestand gehabt. Die Kläger hätten zudem selbst, wie der Ortstermin ergeben habe, an der Grenze zu der Beigeladenen ein Nebengebäude mit einer Länge von ca. 3 m bei einer Höhe von ca. 2,75 m ab Sockel. Somit tangiere die klägerische Grenzbebauung die gemeinsame Grundstücksgrenze mindestens im gleichen Umfang wie die Bebauung der Beigeladenen. Nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO dürften Gebäude ohne Aufenthaltsräume je Grundstücksgrenze 9 m betragen; wenn auch die Gesamtlänge 15 m nicht überschreiten dürfe, so ergebe sich daraus doch, dass jeder Nachbar eine Grenzbebauungslänge von bis zu 9 m hinzunehmen habe. Die Nachbarn auf FlNr. ..., deren Grenze vollständig verbaut sei, hätten eine schriftliche Erklärung abgegeben, wonach sie mit dem Grenzbau der Beigeladenen vollstens einverstanden seien und keine Einwände hätten.

Die Bevollmächtigte der Kläger hat am 15. Mai 2015 Klage gegen den Bescheid erhoben. Sie beantragt:

1. Der Bescheid der Beklagten vom ...4.2015 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, bauaufsichtlich gegen die Eigentümerin des Grundstücks mit der Flurnummer ... (...) einzuschreiten.

Der 15-18 m lange Grenzanbau sei mehrfach gerügt worden, sowohl durch die Kläger als auch durch die Voreigentümerin des klägerischen Grundstücks. Der Grenzanbau werde als Werkstatt genutzt, es würden u. a. Schweißarbeiten und damit lärmende Arbeiten durchgeführt. Der Grenzanbau sei nicht genehmigt und nicht genehmigungsfähig. Er werde nicht seit Jahren geduldet, die Kläger hätten vielmehr von Anfang an deutlich gemacht, dass sie mit dem Grenzanbau nicht einverstanden seien. Auch die Voreigentümerin habe den Grenzanbau gegenüber der Beklagten mehrfach gerügt. Zunächst habe es sich bei dem Grenzanbau nur um eine überdachte Unterstellmöglichkeit gehandelt. Diese sei im Folgenden nicht nur erweitert, sondern zu einem verschlossenen, gemauerten Gebäude mit Fenstern ertüchtigt worden inklusive Verputz und Estrich. Auch das Dach sei mit Pfeilern ausgestattet und erneuert worden. Es möge zutreffen, dass sich die Verpflichtung zum bauaufsichtlichen Einschreiten nicht allein aus einem Verstoß gegen die nachbarschützende Vorschrift ergebe, hier gingen vom Grenzanbau aber auch erhebliche Belästigungen aus.

Die Beklagte beantragt,

die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Im Rahmen der Ermessensabwägung seien öffentliche Interessen nicht erkennbar, da die Grenzbauten vom Straßenraum aus nicht erkennbar seien und somit Fragen der Gestaltung des Straßen- und Ortsbildes nicht aufgeworfen seien. Der Nachbar sei über das Maß von 9 m hinaus nicht zu schützen; die Regelung zur Gesamtlänge von 15 m sei nicht nachbarschützend, da der Nachbar durch Grenzbauten an Seiten, die nicht an sein Grundstück angrenzen, typischerweise tatsächlich nicht betroffen sei. Im Übrigen sei die Erteilung einer Abweichung denkbar, da die hauptbetroffenen Nachbarn mit der Grenzbebauung einverstanden seien

Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragt,

die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Der seit ca. 35 Jahren bestehende, sich nicht auf die gesamte gemeinsame Grundstücksgrenze beziehende Grenzanbau sei lediglich in den bereits bestehenden Dimensionen renoviert bzw. saniert worden. Es seien keine „Räumlichkeiten“ geschaffen worden. Es handele sich weiterhin lediglich um Stauräume, die bereits vor der Renovierung existent gewesen seien. Diese hätten stets Wände und ein Dach gehabt, es seien nunmehr lediglich die Materialien ausgetauscht worden. Gegenüber der Beigeladenen hätten die Kläger nie die Beseitigung des Grenzanbaus gefordert. Bis zur Klage habe ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis bestanden. Die Beigeladene habe in Absprache mit den Klägern einen anderen ca. 9 m langen Grenzanbau entfernt, um diesen die Errichtung eines gemauerten Gartenhäuschens samt Gabionenzaun zu ermöglichen; daraus ergebe sich, dass die gemeinsame Grundstücksgrenze größtenteils durch klägerische Bebauung und nicht durch Bauten der Beigeladenen bebaut sei. Der Grenzanbau werde hauptsächlich als Unterstellmöglichkeit genutzt; in ihm werde keine Werkstatt betrieben, sondern lediglich privat anfallende Arbeiten durchgeführt; die Beigeladene und ihr Ehemann seien ganztags berufstätig und könnten allein aus diesem Grund keinen gewerblichen Betrieb führen; „Lärm“ verursachende Arbeiten würde zu Zeiten ausgeführt, die nicht störend seien. Schweißarbeiten seien vom Rechtsvorgänger der Beigeladenen, deren Onkel, für Privatzwecke durchgeführt worden; dieser sei jedoch im August 2011 gestorben, seither seien keine Schweißarbeiten mehr durchgeführt worden. Der Grenzanbau sei durch die Renovierung optisch aufgewertet worden und betreffe nur einen kleinen Teil der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Die Bestätigung vom 15.8.2015 zeige, dass die übrigen Nachbarn durch den Grenzanbau keinerlei Einschränkungen empfänden. Die gesamte nördliche Grenzbebauung habe eine Länge von nur 14,5 m.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die Behördenakte, insbesondere auf das Protokoll des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 2016.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. auf Erlass einer Beseitigungsanordnung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch Erlass einer Beseitigungsanordnung kann sich auf Art. 76 Satz 1 BayBO stützen. Art. 76 Satz 1 BayBO bestimmt, dass die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen kann, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Art. 76 Satz 1 BayBO stellt es demnach in das pflichtgemäße Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, ob sie gegen eine Anlage vorgeht, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein Dritter ein Einschreiten der Behörde erzwingen können soll. Ein Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten im hier bestehenden Dreiecksverhältnis zwischen Behörde, Nachbar und Bauherr setzt deshalb zum einen voraus, dass die Kläger als Nachbarn durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt sind, zum anderen, dass das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist, ein Einschreiten ihrerseits also die einzig verbleibende ermessensgerechte Entscheidung darstellt (VG München, U. v. 25.3.2015 - M 9 K 14.3343 - juris Rn. 35). Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, haben die Kläger nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B. v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11).

Zwar werden die Kläger vorliegend durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten tangiert (1.), das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, ob sie einzuschreiten gedenkt oder nicht, ist aber nicht auf Null reduziert (2.).

1. Die Kläger werden durch den Schwarzbau der Beigeladenen in Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO, die Drittschutz vermitteln, verletzt. Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmen, dass vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen freizuhalten sind, deren Tiefe 1 H, mindestens jedoch 3 m, zu betragen hat und die auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen. Vorliegend wirft der grenzständige Bau davon abweichend auf einer Länge von bis zu 2,90 m Abstandsflächen auf das Grundstück der Beigeladenen.

Zwar wird, worauf die Beklagte hinweist, mit guten Argumenten vertreten, dass die Kläger in einer Konstellation wie der vorliegenden schon nicht in nachbarschützenden Vorschriften verletzt sind. Diese Ansicht stützt sich darauf, dass nur der Nachbar tatsächlich in den genannten Vorschriften verletzt ist, an dessen eigener Grundstücksgrenze die Privilegierungsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO, bei dessen Vorliegen kraft Gesetzes kein Abstandsflächenverstoß mehr gegeben ist, nicht eingehalten werden; Gleiches gelte dann auch für die Gesamtlänge von 15 m nach Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO (Molodovsky/Famers, BayBO, Stand 31. Update 03/16, Art. 6 Rn. 257 und 281; VGH BW, B. v. 2.2.2009 - 3 S 2875/08 - juris Rn. 2ff. mit Verweis auf st.Rspr.). Damit wären die Kläger vorliegend nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt - womit es bereits an der ersten Voraussetzung eines etwaigen Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten fehlen würde -, weil der Anbau an ihrer eigenen Grundstücksgrenze mit eine Gesamtlänge von bis zu 2,90 m die Maximallänge von 9 m bei weitem unterschreitet.

Mit der wohl herrschenden Ansicht wird man aber dem Nachbarn, der von dem streitgegenständlichen Grenzanbau an seiner Grundstücksgrenze zumindest auch betroffen ist, zugestehen müssen, gleichsam „abstrakt“ die Einhaltung der Voraussetzungen des gesetzlichen Privilegierungstatbestands des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO - sollten die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten erfüllt sein - einfordern zu können. Liegen dessen Voraussetzungen nicht vor, so ist auch bei dem Nachbar ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO gegeben, dem gegenüber das Bauwerk an sich die 9 m-Grenze unterschreitet (OVG RhPf, B. v. 26.7.2004 - 8 B 11477/04 - juris; Simon/Busse, BayBO, Stand 122. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 602; zum 16 m-Privileg: BayVGH, B. v. 17.4.2000 - GrS 1/1999, 14 B 9714 B 97.2901 - juris Rn. 20; U. v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 - juris Rn. 36f.). Vorliegend sind die Kläger an ihrer Grundstücksgrenze im Ausmaß von maximal 2,90 m - wobei der darin eingerechnete Dachüberstand von 1,45 m aber wohl keine abstandsflächenrechtlichen Wirkungen entfaltet (Simon/Busse, BayBO, Stand 122. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 425) - von dem mindestens 14,50 m langen grenzständigen Schwarzbau zumindest auch betroffen. Damit sind sie nach dieser Auffassung, der sich die Kammer anschließt, in ihren Nachbarrechten verletzt, da die Voraussetzungen des gesetzlichen Privilegierungstatbestandes - bezogen auf die Grundstücksgrenze der Beigeladenen - nicht eingehalten sind.

2. Die Verletzung in nachbarschützenden Rechten ist aber nach dem oben Gesagten nur eine erste Voraussetzung dafür, als Nachbar die Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde erzwingen zu können, gegen eine Anlage einzuschreiten (BayVGH, B. v. 25.9.2013 - 14 ZB 12.2033 - juris Rn. 16). Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sind nur dann gegeben, wenn zum Verstoß gegen eine drittschützende Vorschrift besonders qualifizierte Beeinträchtigungen der nachbarlichen Rechtsstellung treten, namentlich, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind und die Abwägung der Beeinträchtigung des Nachbarn mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Überwiegen der Interessen des Nachbarn ergibt (BayVGH, B. v. 20.4.2010 - 9 ZB 08.319 - juris Rn. 3; B. v. 18.6.2008 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 4; VG München, U. v. 25.3.2015 - M 9 K 14.3343 - juris Rn. 34).

Vorliegend ist keine Ermessensreduzierung auf Null gegeben, da keine unzumutbaren Belästigungen vorliegen und kein deutliches Überwiegen der Klägerinteressen gegeben ist.

An der gemeinsamen Grundstücksgrenze befinden sich auf Klägerseite ein Nebengebäude und eine Gabionenwand. Eine nennenswerte Beeinträchtigung in den Belangen Belichtung, Belüftung und Besonnung wäre deswegen von vorn herein schwer zu begründen (BayVGH, B. v. 18.6.2008 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 5f., VG München, U. v. 13.10.2015 - M 1 K 15.2563 - juris Rn. 22). Hinzu kommt, dass der streitgegenständliche Grenzbau die Kläger nur an einer Ecke ihres Grundstücks minimal tangiert: Der vor den grenzständigen Schuppen tretende Dachüberstand von 1,45 m entfaltet nach Ansicht der Kammer keine abstandsflächenrechtlichen Wirkungen (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand 122. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 425), weswegen der Grenzbau nur 1,32 m an der gemeinsamen Grundstücksgrenze verläuft. Selbst bei Einrechnung des Dachüberstands ergäben sich keine gewichtigen Auswirkungen hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung.

Auch das klägerische Argument, in dem Schuppen befinde sich eine Werkstatt, in der Schweißarbeiten und andere lärmende Tätigkeiten ausgeführt würden, verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Ein gewerblicher Charakter wurde diesbezüglich vonseiten der Beigeladenen von Anfang bestritten. Der Augenschein bestätigte, dass die Werkstatt weder in ihren Dimensionen noch hinsichtlich der verwendeten Gerätschaften über eine reine Privatnutzung hinausgeht. Bezüglich der Schweißarbeiten erklärte die Beigeladene - insoweit unwidersprochen -, diese seien nur früher durch ihren Onkel ausgeführt worden. Dieser sei aber bereits 2011 verstorben. Dementsprechend war in der mündlichen Verhandlung nur noch von Kompressorgeräuschen die Rede. Der Ehemann der Beigeladenen führte dazu aus, dass er den Kompressor benötige, um die Reifen der familiären Kraftfahrzeuge zu wechseln. Substantiierter Vortrag dazu, dass bzw. inwiefern diese und andere Geräusche über das hinzunehmende Maß privater Garten- und sonstiger Arbeiten hinausgehen, unterblieb (BayVGH, B. v. 18.6.2008 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 5). Der Eindruck, dass keine unzumutbaren Belästigungen gegeben sind, wird dadurch bestätigt, dass die durch den Grenzbau hauptsächlich tangierten Nachbarn auf FlNr. ... und FlNr. ... eine Erklärung abgegeben haben, wonach dieser sie in keiner Weise beeinträchtige, insbesondere keine gravierenden Lärmbelästigungen vorlägen (Bl. 76 des Gerichtsakts). Für das Gericht sind keine unzumutbaren und schwerwiegenden Beeinträchtigungen auf Klägerseite erkennbar.

Auch der lange Zeitraum von 35 Jahren, in dem der Grenzbau in diesen Dimensionen bereits existiert, spricht gegen von ihm ausgehende unzumutbare Beeinträchtigungen (VG München, U. v. 13.10.2015 - M 1 K 15.2563 - juris Rn. 22). Zwar hat die Bevollmächtigte der Kläger in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich bereits die Voreigentümerin des klägerischen Grundstücks 1997 bei der Beklagten über den Grenzbau beschwert habe. In dem in der mündlichen Verhandlung dazu vorgelegten Schriftstück, das ein handschriftliches Protokoll einer auf diese Beschwerde hin erfolgten Baukontrolle der Beklagten enthielt, war aber nur von einem Grenzbau von 4 m² die Rede. Das Gericht geht davon aus, dass damit der mittlerweile abgebrochene Grenzbau im Nordwesten des Grundstücks der Beigeladenen gemeint war, dessen Grundfläche - anders als die des nun streitgegenständlichen Grenzbaus - wohl ca. 4 m² betrug. Diesen hatte die Beigeladene beseitigt, um den Klägern die Errichtung ihres grenzständigen Nebengebäudes zu ermöglichen und die abstandsflächenrechtliche Situation zu verbessern. All das ist aber von vorn herein irrelevant, da die Voreigentümerin nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gehalten gewesen wären, ihr Begehr nachdrücklicher zu verfolgen, um die von der Kammer angenommene Indizwirkung zu entkräften. Eine - nachgewiesene - Rüge bis zum nun anhängigen Verfahren der Rechtsnachfolger reicht für ein nachdrückliches Bemühen, einen Schwarzbau bekämpfen zu wollen, keinesfalls aus (BayVGH, B. v. 8.1.2014 - 15 ZB 12.1236 - juris Rn. 5; B. v. 21.3.2012 - 14 ZB 11.2148 - juris Rn. 12).

Auch die Ertüchtigung des Schuppens durch die neu aufgemauerten Seitenwände verändert die Situation für die Kläger nicht nachteilig. Es ist im Gegenteil eher davon auszugehen, dass eine massivere Außenwand etwaige Geräusche sogar stärker abmildert. Den Klägern ist es vorliegend zudem ohne weiteres möglich und zumutbar, Beeinträchtigungen nach § 1004 BGB zivilrechtlich geltend zu machen (BayVGH, B. v. 25.9.2013 - 14 ZB 12.2033 - Rn. 20), was einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ebenfalls entgegensteht. Ein deutliches Überwiegen ihrer Interessen ist nicht gegeben.

Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Nachbar lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B. v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten weist aber keine Ermessensfehler auf, da er u. a. mit der eigenen grenzständigen Bebauung der Kläger argumentiert, auf die Erklärung der haupttangierten Nachbarn abstellt und auch den langen Bestand des Grenzanbaus ins Feld führt. Deshalb besteht auch kein - als Minus im Vornahmeantrag enthaltener und damit ebenfalls geltend gemachter - Anspruch auf Neuverbescheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch ihre Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben, weswegen es der Billigkeit entspricht, ihre außergerichtlichen Kosten den Klägern aufzuerlegen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 7.500 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,-- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

M 9 K 14.3343

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 25. März 2015

9. Kammer

Sachgebiets-Nr. 920

Hauptpunkte: Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten; Ermessensreduzierung auf Null (bejaht); Nachbargebäude mit erdrückender Wirkung; Beseitigungsanordnung

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

1. ...

2. ...

zu 1. und 2. wohnhaft: P.-Straße ... a, ...

- Kläger -

zu 1. und 2. bevollmächtigt:

Rechtsanwälte ...

gegen

Stadt Ingolstadt, Bauordnungsamt,

vertreten durch den Oberbürgermeister, Spitalstr. 3, 85049 Ingolstadt

- Beklagte -

beigeladen:

1. ...

2. ...

zu 1. und 2. wohnhaft: P. Str. ...

wegen Bauaufsicht Fl. Nr. .../17 (...)

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 9. Kammer, durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., den ehrenamtlichen Richter ..., den ehrenamtlichen Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2015 am 25. März 2015 folgendes

Urteil:

I.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom ... Juli 2014 verpflichtet, über den Antrag der Kläger vom ... April 2014 auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen das Einfamilienhaus mit Doppelgarage auf dem Grundstück Fl. Nr. ... /17 (Gemarkung ... ) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klagepartei und die Beklagte jeweils die Hälfte. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2014, mit dem diese ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Bebauung auf dem Grundstück Fl. Nr. .../17 der Gemarkung ... abgelehnt hat.

Die Kläger sind Eigentümer einer Doppelhaushälfte auf dem Grundstück Fl. Nr. .../134, P. Straße ... a, Gemarkung ... in ... Sie wenden sich gegen das Einfamilienhaus mit Doppelgarage der Beigeladenen auf dem südlich zu den Klägern angrenzenden Grundstück Fl. Nr. .../17. Dieses Vorhaben wurde mit Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom ... September 2010 auf der Grundlage des Bebauungsplans Nr. ... „A. ...“ vom Dezember 2002, der für das Baugebiet ein reines Wohngebiet festsetzte, bauaufsichtlich genehmigt. Entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans hält das Wohnhaus der Beigeladenen an der nördlichen Grundstücksgrenze zu den Klägern einen Abstand von 3 Metern ein und weist die maximal mögliche Wandhöhe bei zwei Geschossen von 6,60 m auf. Bezugspunkt für alle Höhen ist die mittlere Straßenhinterkante der P. Straße.

Das natürliche Gelände liegt nach dem Plan im Süden 1,18 m und im Norden 1,34 m niedriger als das geplante Gelände. Die beiden Grundstücke sind durch eine Befestigungsmauer getrennt, die 1,30 m hoch ist und als Stützmauer dient. Das Gebäude hat ein Zeltdach; die Höhe beträgt ab der festgesetzten Geländehöhe 8,70 Meter.

Etwa einen Monat nach Beginn der Bauarbeiten (Baubeginnanzeige vom ... Oktober 2010) reichten die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht auf Aufhebung der Baugenehmigung ein (Verfahren M 9 K 10.5794). Wegen der weiter voran schreitenden Bauarbeiten beantragten die Kläger mit Schriftsatz vom 11. März 2011 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (Verfahren M 9 SN 11.1306). Am 20. Juli 2011 nahm das Gericht in beiden Verfahren einen Augenschein ein und verhandelte zur Sache. Dabei wies es darauf hin, dass der Bebauungsplan abwägungsfehlerhaft sei und das Bauvorhaben eine verschattende Wirkung habe. Auf die Niederschrift vom 20. Juli 2011 wird Bezug genommen.

Am 22. Juli 2011 teilte die Beklagte den Beigeladenen mit, dass angesichts des Gerichtstermins am 20. Juli 2011, bei dem die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht bestätigt worden sei, keine weiteren Arbeiten an den Außenanlagen und am Äußeren des Gebäudes ausgeführt werden dürften, die zu einer Verfestigung der Situation führen könnten.

Mit Schreiben vom gleichen Tag wies der Bevollmächtigte der Kläger die Beigeladenen auf die vom Gericht geäußerte Rechtsmeinung und darauf hin, dass eine Schaffung baurechtskonformer Zustände nur durch eine deutliche Verringerung der Wandhöhe bzw. durch ein Zurücksetzen der nördlichen Hauswand möglich sei. Gleichzeitig forderte er die Beigeladenen zur Zustimmung zu Vergleichsverhandlungen und zur Einstellung aller weiteren Bauarbeiten auf.

Nachdem das vom Gericht angeregte Mediationsverfahren nicht zustande kam, hob die erkennende Kammer mit Urteil vom 26. Oktober 2011 auf die Nachbarklage der Kläger den Bescheid der Beklagten vom ... September 2010 auf. In den Gründen des Urteils wurde ausgeführt, dass der Bebauungsplan wegen eines Abwägungsmangels unwirksam sei und auch eine Zulässigkeit des Bauvorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht in Betracht komme, weil sich das Vorhaben nicht in die Umgebung mit den deutlich tiefer liegenden Geländehöhen einfüge und der unmittelbaren Nachbarschaft gegenüber wegen seiner optisch bedrängenden Wirkung unzumutbar und rücksichtslos sei. Das Bauvorhaben habe eine einriegelnde Wirkung und verstoße durch sein Erscheinungsbild als 10 Meter hohes wandartiges Gebäude und wegen der permanenten und gravierenden Verschattung des tiefer liegenden Grundstücks der Kläger gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme.

Mit Schreiben vom ... Juni 2012, eingegangen bei der Beklagten am ... Juni 2012 zeigten die Beigeladenen die Nutzungsaufnahme des Wohnhauses (Einzugstermin: ... Januar 2012) an.

Der von der Beklagten gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (1 ZB 11.2781) vom 20. März 2014 abgelehnt, da keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestünden.

Mit Schreiben vom ... April 2014 beantragte der Bevollmächtigte der Kläger bei der Beklagten gegenüber den Beigeladenen hinsichtlich des errichteten Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage eine Beseitigungsanordnung zu erlassen und mit sofortiger Wirkung die Nutzung dieser baulichen Anlagen zu untersagen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Ermessen der Beklagten aufgrund der Aufhebung der Baugenehmigung durch das Verwaltungsgericht auf Null reduziert sei. Zugunsten der Beigeladenen bestünde kein Vertrauensschutz. Diese hätten auf eigenes Risiko gebaut und sich seit der Klageerhebung gegen die Baugenehmigung über drei Jahre darauf einstellen können, dass die Baugenehmigung aufgehoben werden könnte. Umgekehrt bestehe zulasten der Kläger durch das Vorhaben eine gravierende Nachbarrechtsverletzung.

Mit Schreiben vom ... Juni 2014 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass sie gegen die Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen nicht bauaufsichtlich einschreiten werde. Es liege kein Fall einer Ermessenreduzierung auf Null vor. Eine Beseitigungsanordnung sei, egal ob sie das ganze Gebäude oder nur einen Teil davon betreffe, unverhältnismäßig.

Mit Schreiben vom ... Juli 2014 teilte der Bevollmächtigte der Kläger mit, dass der Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten aufrechterhalten werde und bat um den Erlass eines Ablehnungsbescheides.

Am ... Juli 2014 erließ die Beklagte einen Bescheid, mit dem das bauaufsichtliche Einschreiten gegen das von den Beigeladenen errichtete Einfamilienhaus mit Doppelgarage abgelehnt wurde.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei der Ausübung des Ermessens unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das mildeste Mittel zu wählen sei. Eine vollständige oder auch teilweise Beseitigung sei unverhältnismäßig. Da vom Wohnhaus der Beigeladenen nach Osten und Westen theoretisch die bisher fehlenden Abstandsflächen übernommen werden könnten, könnte für die nördliche, zu den Klägern hin einzuhaltende Abstandsfläche das Schmalseitenprivileg mit H/2 angewandt werden. Bei einer Wandhöhe von 6,60 Metern ergäbe sich demnach eine Abstandsfläche H/2 von 3,30 Metern. Um diese einhalten zu können, müsste die Gebäudehöhe wegen des Grenzabstandes von 3 Metern um 0,60 Meter reduziert werden. Allerdings würde sich bei Ausnutzung der maximal zulässigen Dachneigung von 35° die Firsthöhe von derzeit 8,65 Meter auf 9,90 Meter erhöhen. Damit sei auch eine Teilbeseitigung unverhältnismäßig, weil sich die Situation für die Kläger nicht merklich verbessern würde. Auch wenn das Wohnhaus der Kläger durch das Wohnhaus der Beigeladenen verschattet werde, sei dies für die Kläger noch nicht unzumutbar, da ein Lichteinfallswinkel von 45° eingehalten werde. In diesem Fall gehe die Rechtsprechung von zumutbaren Wohnverhältnissen aus. Daher sei keine Ermessenreduzierung auf Null gegeben, zumal innerhalb eines bebauten innerstädtischen Wohngebiets seitens der Betroffenen immer damit gerechnet werden müsse, dass Nachbargrundstücke durch Ausnutzung des gesetzliche vorgegebenen Rahmens bebaut würden und es dadurch zu einer Verschattung von Grundstücken ober Wohnräumen komme. Eine unzumutbare Verschattung zulasten der Kläger werde bestritten.

Auch im Hinblick auf die behauptete Einsichtsmöglichkeit bestehe keine Unzumutbarkeit, zumal der vorgeschriebene Mindestabstand von 3 Metern zur Grundstücksgrenze eingehalten werde. Ein Anspruch auf Beseitigung allein aufgrund der Einsichtsmöglichkeit des Nachbarn bestehe nicht. Auch eine Nutzungsuntersagung sei unverhältnismäßig, da das Wohnhaus der Beigeladenen für diese den alleinigen Mittelpunkt ihrer privaten Existenz darstelle.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 1. August 2014 ließen die Kläger Klage erheben und folgende Anträge stellen:

1. Der Bescheid der Beklagten vom ... 7.2014 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Beigeladenen im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens aufzugeben, das von ihnen auf dem Grundstück Fl. Nr. .../17 der Gemarkung ... errichtete Einfamilienhaus mit Doppelgarage zu beseitigen und bis dahin die Nutzung der vorbezeichneten baulichen Anlage zu untersagen.

3. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, gegenüber den Beigeladenen hinsichtlich des von ihnen auf dem Grundstück Fl. Nr. .../17 der Gemarkung ... errichteten Einfamilienwohnhaus mit Doppelgarage nach pflichtgemäßen Ermessen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts bauaufsichtlich einzuschreiten.

Zur Begründung wurde vorgetragen, es bestehe eine Ermessensreduzierung auf Null bzgl. eines Einschreitens, da andernfalls das die Baugenehmigung aufhebende Urteil vom 26. Oktober 2011 umgangen würde. Der Rechtsschutz der von dem rücksichtslosen Bauvorhaben betroffenen Nachbarn dürfe sich nicht in der Aufhebung der Genehmigung erschöpfen, wenn der baurechts- und nachbarrechtswidrige Zustand dann weiterhin Bestand haben würde. Zugunsten der beigeladenen Nachbarn greife auch kein Vertrauensschutz, da diese gewarnt gewesen seien und auf eigenes Risiko weiter gebaut hätten.

Der strenge Maßstab bzgl. einer Pflicht der Bauaufsichtsbehörde zum Einschreiten gelte gerade nicht bei der Aufhebung einer Baugenehmigung anlässlich einer Nachbarklage. Zumindest hinsichtlich des Entschließungsermessens sei eine Pflicht zum Einschreiten gegeben. Dies gelte gerade dann, wenn die Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens festgestellt worden sei, da dies die schwerste Form der Nachbarrechtsverletzung darstelle. Aus diesem Grund könne die Beklagte auch keine Verkürzung der Frage auf die Einhaltung der Abstandsflächen vornehmen, da die Rücksichtslosigkeit eines Bauvorhabens auch bei Einhaltung der Abstandsflächen gegeben sein könne.

Eine mögliche finanzielle Belastung der Bauherren stehe dem nicht entgegen, da sich diese nicht auf Vertrauensschutz berufen könnten. Im vorliegenden Fall verdichte sich das Ermessen der Beklagten aufgrund der besonderen Umstände zu einer vollständigen Beseitigung. Dies treffe die Beigeladenen auch nicht unverhältnismäßig, da auf ihrem Grundstück dennoch eine - dann nachbarverträgliche - Wohnbebauung möglich bleibe. Die Kläger hätten auch einen Anspruch auf die Anordnung einer Nutzungsuntersagung, da aufgrund des massiven und höherliegenden Gebäudekörpers eine extreme Einsehbarkeit des Wohnhauses der Kläger bestehe.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 26. September 2014

Klageabweisung.

Zur Begründung nahm sie dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie den Verfahren M 9 K 10.5795 und M 9 SN 11.1306 sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25. März 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf erneute Verbescheidung ihres Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten vom ... April 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Insoweit ist die Ablehnung auf bauaufsichtliches Einschreiten im Bescheid vom ... Juli 2014 rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO). Soweit die Beseitigung des gesamten Wohnhauses sowie die Nutzungsuntersagung beantragt worden ist, war die Klage dagegen abzuweisen.

1. Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert worden sind und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Ist die Anlage also formell (d. h. ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet) und materiell rechtswidrig und können auch nicht durch Genehmigung rechtmäßige Zustände hergestellt werden, so ist die Bauaufsichtsbehörde befugt, in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (Art. 40 BayVwVfG) deren Beseitigung zu verfügen.

a) Das Gebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen ist formell rechtswidrig. Die Baugenehmigung vom ... September 2010 wurde mit bestandskräftigem Urteil der erkennenden Kammer vom 26. Oktober 2011 im Verfahren M 9 K 10.5794 aufgehoben. Eine Baugenehmigung existiert damit nicht.

b) Das bereits errichtete Gebäude ist auch materiell rechtswidrig. Insoweit wird auf die Gründe des zwischen den gleichen Beteiligten ergangenen o.a. Urteils Bezug genommen.

c) Auf andere Weise können rechtmäßige Zustände für das bestehende Wohnhaus in seiner jetzigen Gestalt nicht hergestellt werden.

2. Macht ein Dritter gegenüber der Bauaufsichtsbehörde geltend, durch eine Anlage in seinen Rechten verletzt zu sein, so hat er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie auf Art und Weise des Einschreitens. Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Januar 2014, Art. 76 Rn. 486 ff. m. w. N.; vgl. auch BayVGH, B. v. 8.3.2007 - 1 ZB 06.898 - juris Rn. 11, 14). Als bauaufsichtliche Maßnahmen kommen insoweit der Erlass einer Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO und/oder einer Nutzungsuntersagungsverfügung nach Art. 76 Satz 2 BayBO in Betracht. Ein Anspruch des Nachbarn auf Erlass einer Beseitigungsanordnung ergibt sich nur dann, wenn im Einzelfall das Ermessen auf Null reduziert ist.

Dies ist hier der Fall. Sowohl in Bezug auf das Entschließungsermessen wie auch die Ausübung des Auswahlermessens ist davon auszugehen, dass nur ein teilweiser Rückbau des Wohnhauses der Beigeladenen als einzig ermessensfehlerfreie Entscheidung in Betracht kommt.

a) Maßgebend für eine Ermessensreduzierung auf Null ist die Schwere der Nachbarrechtsverletzung. Eine solche ist in jedem Fall gegeben, wenn die von der rechtswidrigen Nutzung ausgehenden Beeinträchtigungen einen erheblichen Grad erreichen und die Abwägung der Beeinträchtigung des Nachbarn mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der Interessen des Nachbarn ergibt. Für die Entscheidung von Bedeutung müssen sowohl die Intensität als auch Konkretheit der Drittverletzung sein (BayVGH, U. v. 14.10.1999 - 2 B 95.4182 - juris). Es bedarf also einer Abwägung zwischen der Schwere des Verstoßes und den Folgen einer Beseitigung auf Seiten des Bauherrn einerseits und der Schwere der Nachbarrechtsverletzung auf Seiten des Dritten andererseits. Sollte die Nachbarrechtsverletzung in ihrer Intensität deutlich überwiegen, dann hat der Dritte einen Anspruch auf Erlass einer Beseitigungsanordnung. In diesem Fall schrumpft das den Bauaufsichtsbehörden zustehende Ermessen dann zugunsten des betroffenen Grundstücksnachbarn zu einer grundsätzlichen Pflicht zum Einschreiten.

In Ausnahmefällen kann sich dieser Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu einem Rechtsanspruch verdichten, nämlich dann, wenn nur eine rechtmäßige Entscheidung in Betracht kommt, also wenn das Ermessen auf Null reduziert ist (Geiger in Birkl, Praxishandbuch des Bauplanungs- und Immissionsschutzrechts, Rn. E 333). Dies ist dann der Fall, wenn jede andere Entscheidung mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre.

b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Ermessen zum Einschreiten vorliegend auf Null reduziert. Die Kläger sehen sich nicht nur einer geringfügigen Nachbarrechtsverletzung ausgesetzt, sondern sind mit einem massiven Gebäudekörper in unmittelbarer Nähe zu ihrem Grundstück, das die eigene Bebauung massiv überragt, konfrontiert. Bei der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme infolge einer bedrängenden und erdrückenden Wirkung des Baukörpers und die davon ausgehende permanente und massive Verschattung handelt es sich um eine massive Form der Nachbarrechtsverletzung.

Auch in der Gesamtschau der Umstände ist es den Klägern nicht zuzumuten, den Status quo dauerhaft hinzunehmen. Dabei ist auch von Belang, dass sich die Kläger frühzeitig um die Wahrung ihrer Rechte gekümmert haben und auch die Beigeladenen - wenngleich in diesem Zeitpunkt der Rohbau schon fast fertig gestellt war, nach der mündlichen Verhandlung in Verfahren M 9 K 10.5794 auf die Risiken einer Fortsetzung der Bautätigkeit hingewiesen haben. Den Beigeladenen ist zwar zugute zu halten, dass sie auf der Grundlage einer Baugenehmigung mit dem Bau begonnen hatten, dies kann aber nicht zulasten der Kläger gehen.

Spätestens mit den Ergebnissen des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2011 hätte sich den Beigeladenen aufdrängen müssen, dass von ihrem Vorhaben eine rücksichtslose Belastung des klägerischen Anwesens ausgeht und die Baugenehmigung möglicherweise keinen Bestand hat. Dennoch wurde das Vorhaben von den Beigeladenen - trotz einer schriftlichen Aufforderung durch die Beklagte vom ... Juli 2011, keine weiteren Arbeiten auszuführen (Bl. ... BA) - von ihnen zügig fertiggestellt.

c) Die Beklagte hat diese Aspekte, insbesondere die bereits gerichtlich festgestellte Schwere der Nachbarrechtsverletzung in ihrer Entscheidung unberücksichtigt gelassen, indem sie vorrangig auf die Frage der ausreichenden Belichtung abgestellt hat und ist insoweit in ihrer Entscheidung einem Ermessensdefizit unterlegen (§ 113 Abs. 5 Satz 2, § 114 VwGO, Art. 76 Satz 1 und 2 BayBO, Art. 40 BayVwVfG).

3. Die von der Beklagten erneut zu treffende Entscheidung über das weitere bauaufsichtliche Vorgehen bleibt jedoch aufgrund des offenen, wenn auch intendierten Auswahlermessens im Rahmen des Art. 76 BayBO nur einem Verbescheidungsausspruch entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers zugänglich; von einer Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf eine vollständige Beseitigung der baulichen Anlage kann unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als ultima ratio bauaufsichtlichen Handelns nicht ausgegangen werden.

a) Die Kammer ist in der vorliegenden Konstellation allerdings bei sachgerechter Abwägung und Gewichtung der gegenläufigen Interessen der Kläger und der Beigeladenen der Auffassung, dass nur eine teilweise Beseitigung ermessensgerecht sein kann. Die Beklagte hat in ihrer Entscheidung also festzustellen, auf welche Maße das Vorhaben zurückzubauen ist.

Als Richtgröße zur Verringerung der vom Wohnhaus der Beigeladenen ausgehenden erdrückenden Wirkung hält die Kammer nach den Eindrücken des Augenscheins hier die Einhaltung von H/2 ab der natürlichen Geländeoberkante an der Nordseite des Anwesens der Beigeladenen zum Klägergrundstück hin für sachgerecht. Bezugspunkt ist dabei die Geländeroberfläche des Nachbargrundstücks und nicht des Baugrundstücks, da dieses gerade infolge der massiven Auffüllungen zur abriegelnden Wirkung des auf ihm errichteten Baukörpers beigetragen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, dass bei der Frage der Abstandsflächen generell von der natürlichen Geländeoberfläche auszugehen ist (Dirnberger, Das Abstandsflächenrecht in Bayern, 3. Auflage 2015, Rn. 140). Aufschüttungen und Abgrabungen verändern - auch wenn sie rechtmäßig im Zuge des Bauvorhabens vorgenommen werden - die natürliche Geländeoberfläche nicht. Die Wandhöhe könnte nach etwa drei Metern wieder auf eine Höhe von 1 H ansteigen. Bei einem solchen Rücksprung ließe sich eine Art Dachterrasse schaffen. Dadurch wäre zugunsten der Kläger die massive Erscheinung des Anwesens der Beigeladenen mit seiner massiven Wandhöhe, die wie bereits im Urteil vom 26. Oktober 2011 ausgeführt, durch die Dachform noch verstärkt wird, soweit abgemildert werden, dass eine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Kläger nicht mehr anzunehmen wäre. Umgekehrt ist für die Beigeladenen eine unter den gegebenen Umständen noch größtmögliche Nutzung ihres Hauses möglich.

Denkbar ist, diesen Rücksprung erst ab der auf Höhe des Klägergrundstücks gelegenen Gebäudehälfte beginnen zu lassen, da die westliche Gebäudeseite weiter vom Klägergrundstück entfernt liegt und von dieser demzufolge keine so massive Wirkung ausgeht.

b) Soweit die Kläger unter Ziffer 2 ihrer Klage die Anordnung der vollständigen Beseitigung bzw. Nutzungsuntersagung beantragt haben, können sie damit nicht durchdringen und war die Klage abzuweisen. Zum einen kann mittels des beschriebenen Vorgehens ein Zustand erreicht werden, bei dem für die Kläger durch die Bebauung auf dem Nachbargrundstück keine rücksichtslose Belastung mehr ausgeht, zum anderen ist bei der Frage der Nutzungsuntersagung zu berücksichtigen, dass eine Untersagung der Nutzung für die Beigeladenen, die ihr Wohnhaus künftig weiter, wenn auch nicht mehr in der ursprünglichen Form, nutzen könnten und umgekehrt die Kläger eine Nutzung des Nachbarhauses weiter hinzunehmen haben, nicht sachgerecht wäre.

4. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 VwGO im Hilfsantrag stattzugeben. Die hälftige Kostenteilung entspricht vorliegend dem Verhältnis zwischen Obsiegen und Unterliegen, da seitens der Kläger insbesondere zu berücksichtigen ist, dass sie mit ihrem Antrag auf vollständige Beseitigung und sofortiger Nutzungsuntersagung nicht durchdringen konnten und damit in einem wesentlichen Punkt unterlegen sind.

Die Kostenentscheidung für die Beigeladenen ergibt sich aus § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entsprach es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen haben.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf Euro 7.500,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG -).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

M 1 K 15.2563

Im Namen des Volkes

Urteil

Verkündet am 13. Oktober 2015

(§§ 116 Abs. 1, 117 Abs. 6 VwGO)

1. Kammer

..., Urkundsbeamter des Bayerischen Verwaltungsgerichts München

Sachgebiets-Nr. 920

Hauptpunkte:

Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen Garage

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Klägerin -

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

gegen

...

vertreten durch: Landratsamt E., A.-Sch.-Platz ..., E.

- Beklagter -

beigeladen: ...

bevollmächtigt: Rechtsanwalt ...

wegen bauaufsichtlichen Einschreitens gegen Garage, FlNr. 2708/2 Gem. ...

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 1. Kammer, durch die Präsidentin des Verwaltungsgerichts ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., die ehrenamtliche Richterin ..., die ehrenamtliche Richterin von ... aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 13. Oktober 2015

folgendes Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine Garage auf dem Grundstück ihres beigeladenen Bruders.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 2689 Gemarkung ..., das auf der nördlichen Grundstückshälfte mit einem Wohnhaus und an der südwestlichen Grundstücksecke mit einem erhöht stehenden Gartenhaus bebaut ist.

Mit Bescheid vom ... August 1994 erteilte das Landratsamt E. dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem westlich an das klägerische Grundstück angrenzenden Grundstück FlNr. 2708/2. Die Garage sollte östlich an das Wohnhaus und direkt an die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut werden. Mit Bescheid vom ... April 1995 wurde die Baugenehmigung dahin geändert, dass der gesamte Baukörper 3 m nach Westen verschoben und von der gemeinsamen Grundstücksgrenze abgerückt wurde. Die Fertigstellung des Gebäudes wurde am 18. Dezember 2000 angezeigt.

Mit Schreiben vom 14. Juli 2014 teilte die Klägerin dem Landratsamt mit, das vom Beigeladenen errichtete Gebäude entspreche in mehreren Punkten nicht der erteilten Baugenehmigung. Unter anderem betrage der tatsächliche Grenzabstand nach einer Bescheinigung des Vermessungsamts vom ... Juli 2012 nur 2,67 m. Angesichts dessen müsse das Landratsamt für die Einhaltung des Baurechts sorgen.

Eine Baukontrolle am ... August 2014 ergab, dass das Gebäude des Beigeladenen einige Meter weiter südlich als genehmigt und mit dem angegebenen geringeren Grenzabstand errichtet worden war. Auf der Garage befindet sich ein Kniestock mit einer Höhe von 1,5 m. Weiter verfügt die dem klägerischen Grundstück zugewandte Giebelwand der Garage über ein Fenster und weist eine Höhe von 6 m, die Traufwand eine Höhe von 4,15 m auf.

Mit Schriftsatz vom 23. März 2015 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die Verletzung der nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften erneut bauaufsichtliches Einschreiten. Zwingend müsse eine Tektur eingereicht werden.

Das Landratsamt lehnte mit Bescheid vom ... Mai 2015, der Klägerin zugestellt am 27. Mai 2015, den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten (Nr. 1) und auf Verpflichtung des Beigeladenen zur Stellung eines Tekturantrags (Nr. 2) ab. Allein bezüglich der Nutzung des Dachgeschosses eröffnete es ein bauaufsichtliches Verfahren (Nr. 3). Der Klägerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 4). Zur Begründung führte das Landratsamt aus, auch wenn wegen des zu geringen Abstands zur Grundstücksgrenze und des auf der Garage errichteten Kniestocks ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften vorliege, sei das der Behörde in Art. 76 Bayerische Bauordnung (BayBO) eingeräumte Ermessen nicht auf Null im Hinblick auf ein Einschreiten reduziert. Für das Grundstück der Klägerin bestünden keine brandschutzrechtlichen Beeinträchtigungen. Überdies müsse ihr aufgrund der Wandhöhe jahrelang augenscheinlich bewusst gewesen sein, dass die grenznahe Garage zu hoch errichtet worden sei.

Am 18. Juni 2015 erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,

den Bescheid des Landratsamts E. vom ... Mai 2015 in Nr. 1, 2 und 4 aufzuheben und das Landratsamt anzuweisen, gegen den Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten.

Sie trägt vor, die Garage halte den Mindestabstand von 3 m nicht ein; die Nichteinhaltung der Abstandsflächenvorschriften stelle eine gravierende Verletzung nachbarlicher Rechte dar. Eine Verjährung sei nicht eingetreten, weil sie den zu geringen Grenzabstand erst mit der 2012 erfolgten Vermessung habe erkennen können. Die Baugenehmigung sei erloschen, weil wegen der wesentlichen Abweichungen von ihr nicht Gebrauch gemacht worden sei. Wegen des Verstoßes gegen drittschützende Normen komme als einzig ermessensfehlerfreie Entscheidung ein Einschreiten in Betracht.

Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Er meint, auch wenn der Mindestabstand von 3 m unterschritten sei, sei die Forderung, von der Garage 33 cm und damit die Außenwand abzureißen, unverhältnismäßig. Er habe die Abstandsflächenunterschreitung nicht verschuldet. Das Verlangen auf bauaufsichtliches Einschreiten beruhe auf einem Konflikt mit der Klägerin.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid des Landratsamts E. vom ... Mai 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO), und zwar weder in der Form des Erlasses einer (Teil-)Beseitigungsanordnung (1.) noch in der Form der Verpflichtung des Beigeladenen zur Stellung eines neuen Bauantrags oder eines Tekturantrags (2.).

1. Die Klägerin kann die Verpflichtung des Landratsamts zum Erlass einer (Teil-)Beseitigungsanordnung nicht verlangen.

Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch Erlass einer Beseitigungsanordnung kann sich aus Art. 76 Satz 1 BayBO ergeben. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert dabei zum einen, dass der Nachbar durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Nachbar lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B.v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11).

Im vorliegenden Fall verletzt die Garage des Beigeladenen zwar drittschützende Vorschriften. Sie hält den nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO unter Heranziehung des 16 m-Privilegs erforderlichen Mindestabstand von 3 m nicht ein, sondern unterschreitet ihn um 33 cm.

Dennoch liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor; vielmehr hat das Landratsamt sein Ermessen fehlerfrei dahin ausgeübt, nicht bauaufsichtlich einzuschreiten. Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist nur dann gegeben, wenn zusätzlich zum Verstoß gegen eine drittschützende Vorschrift eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit oder Eigentum besteht und die Abwägung der Beeinträchtigung des Nachbarn mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Überwiegen der Interessen des Nachbarn ergibt (BayVGH, B.v. 20.4.2010 - 9 ZB 08.319 - juris Rn. 3).

Im vorliegenden Fall besteht jedoch schon keine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter der Klägerin. Gegenüber der Garage des Beigeladenen befindet sich das Gartenhaus der Klägerin, das - über die bloße Nichteinhaltung des Maßes der Abstandsflächen hinaus - keine nennenswerte Beeinträchtigung erfährt. Die Belange Belichtung, Belüftung und Besonnung werden bei dem erhöht stehenden Gartenhaus kaum beeinträchtigt. Das Wohnhaus der Klägerin, das erhöhten Schutz genießen würde, liegt weiter nördlich und circa 20 m von der Garage entfernt, so dass diese hierauf keine negative Auswirkung hat. Weiter ergibt auch die vorzunehmende Abwägung der Beeinträchtigung der Klägerin mit dem Schaden des Beigeladenen kein deutliches Überwiegen ihrer Interessen. Zum einen sprechen der lange Zeitraum von 2000 bis 2014, während dessen sie die Garage klaglos hingenommen hat, und der Umstand, dass erst ein Zerwürfnis mit ihrem Bruder ihr Verlangen auf bauaufsichtliches Einschreiten hervorgerufen hat, gegen eine wesentliche Beeinträchtigung ihrer Interessen. Grundsätzlich ist es dem Nachbarn nach Treu und Glauben zumutbar, seine Einwendungen gegen ein Vorhaben ohne Zögern mit den verfahrensrechtlich verfügbaren Mitteln geltend zu machen (BayVGH, U.v. 8.1.2014 - 15 B 12.1236 - juris Rn. 5); macht er hiervon keinen Gebrauch, kann dies einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten entgegen gehalten werden. Weiter ist es der Klägerin hier ohne weiteres möglich und zumutbar, Beeinträchtigungen nach § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zivilrechtlich geltend zu machen (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2013 - 14 ZB 12.2033 - Rn. 20), was ebenfalls einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten entgegen steht.

2. Weiter kann die Klägerin die Verpflichtung des Beigeladenen zur Stellung eines neuen Bauantrags oder eines Tekturantrags nicht verlangen.

Das nach Art. 76 Satz 3 BayBO ebenfalls im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde stehende Verlangen, dass ein Bauantrag gestellt wird, vermittelt dem Nachbarn keinen Anspruch auf Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens (BayVGH, U.v. 4.12.2014 - 15 B 12.1450 - juris Rn. 21).

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und sich daher einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass er seine außergerichtlichen Kosten von der Klägerin erstattet erhält, § 154 Abs. 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 7.500,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG - i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,-- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Der Streitwert wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Die Klägerin hat folgende rechtlichen Fragen formuliert, die inhaltlich jedoch auf dasselbe Ziel hinauslaufen:

„Ist bei der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Rahmen der nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften davon auszugehen, dass sich derjenige, der sich gegen einen Abstandsflächenverstoß zur Wehr setzt, seinem Rechtschutzbegehren gegen ein Nachbarbauvorhaben das Verbot des Rechtsmissbrauchs entgegen halten lassen muss, wenn die Bebauung auf seinem Grundstück zwar in vergleichbarer Weise nicht den heute geltenden nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften entspricht, die Bebauung auf seinem Grundstück jedoch dem zur Zeit ihrer Genehmigung geltenden Recht entsprach bzw. Bestandsschutz genießt?“

anders formuliert

„Kann dem Rechtschutzbegehren eines Nachbarn, der sich gegen einen Abstandsflächenverstoß zur Wehr setzt, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) das Rechtsmissbrauchsverbot entgegengehalten werden, wenn auf Seiten des klagenden Nachbarn kein ungesetzmäßiges Verhalten (keine Verletzung nachbarlicher Rücksichtnahmepflichten) feststellbar ist, insbesondere sein Gebäude in Übereinstimmung mit den seinerzeit geltenden Bauschriften errichtet worden ist und Bestandsschutz genießt?“

oder

„Hat die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Rahmen des Abstandsflächenrechts zur Folge, dass der Eigentümer eines bebauten Grundstücks, dessen Gebäude zwar seinerzeit in Übereinstimmung mit dem geltenden Bauvorschriften errichtet worden ist, aber den jetzt nach den Abstandsflächenvorschriften erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, sich nicht mehr gegen die Verletzung von Abstandsflächenvorschriften durch ein Nachbarbauvorhaben zur Wehr setzen kann, wenn die beiderseitigen, wechselseitigen Verstöße gemessen an dem jetzt erforderlichen Grenzabstand etwa gleichwertig bzw. vergleichbar sind?“

Fraglich ist bereits, ob die so gestellten Fragen hier tatsächlich entscheidungserheblich für das Erstgericht waren und für den Senat sind. Denn die Fragen zielen schwerpunktmäßig auf den Bestandsschutz des Nachbargebäudes sowie dessen Übereinstimmung mit den bei Errichtung geltenden Bauvorschriften. Vorliegend wurde das Nachbargebäude mit Bescheid vom 18. Juli 1957 genehmigt. Mit Bescheid vom 17. Juni 2004 wurde der Anbau von Außenaufzügen sowie der Dachgeschossneubau mit Tonnendach genehmigt. Diese Baugenehmigung enthält zudem unter anderem eine Abweichung gemäß Art. 63 BayBO wegen der Nichteinhaltung der Abstandsflächen zum Grundstück der beigeladenen Bauherrin hin. Im Zug der Änderung des Dachgeschosses ist eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung für das gesamte Gebäude vorgenommen worden, das das zum damaligen Zeitpunkt im Jahr 2004 geltende Abstandsflächenrecht nicht einhielt und auch heute nicht einhält. Abzustellen wäre daher auf die Frage, ob einem bestandskräftig genehmigten Nachbargebäude der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden kann. Da das Gebäude durch den Umbau 2004 wesentlich verändert wurde, kann auf die ursprüngliche Genehmigung aus dem Jahr 1957 insoweit nicht mehr abgestellt werden.

Unabhängig davon hat sich der Senat (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2016 - 2 CS 16.751 - n.v.) ausdrücklich dahingehend geäußert, dass es insoweit nicht entscheidend ist, dass das Gebäude des Nachbarn in der vorliegenden Form genehmigt ist. Es kommt lediglich auf das tatsächliche Maß der Abstandsflächenüberschreitung zum jetzigen Zeitpunkt, also der Genehmigung des Bauvorhabens der Beigeladenen, an. Damit hat sich der Senat bereits ausdrücklich der herrschenden Rechtsprechung angeschlossen (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 11.2.2003 - 2 B 16.99 - juris; VGH SH, U.v. 15.12.1992 - 1 L 118/91 - juris; NdsOVG, B.v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 - NVwZ-RR 1999, 716; VGH BW, U.v. 18.11.2002 - 3 S 882/02 - VBlBW 2003, 235; OVG NRW, B.v. 12.2.2010 - 7 B 1840/09 - juris; U.v. 26.6.2014 - 7 A 2057/12 - BauR 2014, 1924; ThürOVG, B.v. 5.10.1999 - 1 EO 698/99 - NVwZ-RR 2000, 869), die davon ausgeht, dass es unerheblich ist, ob das Gebäude des klagenden Nachbarn seinerzeit in Übereinstimmung mit den geltenden Bauvorschriften errichtet worden ist oder Bestandsschutz genießt. Nach anderer Auffassung der älteren Rechtsprechung sowie in der Literatur (vgl. OVG NRW, U.v. 24.4.2001 - 10 A 1402/98 - BauR 2002, 295; OVG LSA, B.v. 30.11.2000 - 2 M 319/00 - juris; OVG RhPf, B.v. 29.10.1982 - 1 B 59/81 - juris; Kuchler, BauR 2015, 1580/1584, 1592f) verstößt das Rechtsschutzbegehren eines Nachbarn gegen ein Bauvorhaben nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sein eigenes Grundstück mit einer bauaufsichtlich genehmigten Anlage bebaut ist. Indirekt hat sich auch der 14. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 5.7.2011 - 14 CS 11.814 - juris) der herrschenden Meinung der Rechtsprechung angeschlossen, denn auch in diesem Fall war das Gebäude des Nachbarn baurechtlich genehmigt.

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die gestellten Fragen bereits obergerichtlich durch das Berufungsgericht geklärt sind und damit eine grundsätzliche Bedeutung fehlt.

2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass der angefochtene Vorbescheid keine drittschützenden Rechte verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin kann einen Vorbescheid mit dem Ziel seiner Aufhebung nur dann erfolgreich anfechten, wenn öffentlichrechtliche Vorschriften verletzt sind, die zumindest auch ihrem Schutz dienen. Dies ist hier nicht der Fall.

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, dass die herrschende Rechtsprechung den Bestandsschutz bei der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) vollständig außer Acht lasse und kein Korrektiv existiere. Insbesondere sei im Fall einer Abweichung nach Art. 63 BayBO das Vorliegen von dessen Voraussetzungen, vor allem der Voraussetzung der Atypik, vorab zu prüfen, bevor der Grundsatz von Treu und Glauben eingreifen könne. In der Interessenabwägung im Rahmen der Abweichung sei zu prüfen, ob sich die Belange des Nachbarn, von einem Abstandsflächenverstoß durch den Bauherrn verschont zu bleiben, durchsetzen können.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auch die Klägerin als Nachbarin hier ihr Bauvorhaben lediglich im Rahmen einer Abweichung nach Art. 63 BayBO genehmigt erhalten hat. Zwar war bei der ursprünglichen Baugenehmigung vom 18. Juli 1957 noch kein Abstandsflächenrecht zu prüfen. Jedoch wurde mit der Baugenehmigung vom 17. Juni 2004 die Abstandsflächenfrage neu aufgeworfen. Die Klägerin hat damals einen Außenaufzug errichtet sowie das Dachgeschoss von einem Walm- zu einem Tonnendach umgebaut und damit maßgeblich verändert. Dabei wurde die Frage der Einhaltung der Abstandsflächen neu geprüft und ihr insbesondere zum Grundstück der Beigeladenen hin eine Abweichung nach Art. 63 BayBO erteilt, da die Abstandsflächen nach geltenden Recht nicht eingehalten werden konnten. Dabei ist es unerheblich, dass die Beklagte darauf bestand, dass der Dachgeschossumbau ohne Veränderung der Abstandsflächen erfolgen müsse. Die Beklagte hat erkannt, dass bereits eine nicht unerhebliche Überschreitung der gesetzlich erforderlichen Abstandsflächen vorliegt, die durch den Umbau nicht noch erhöht werden sollte. Nur unter dieser Voraussetzung war damals offensichtlich die Beklagte zur Erteilung der Abweichung bereit. Auf diesen genehmigten Zustand ist heute abzustellen und nicht auf die Situation von 1957, die in dieser Form nicht mehr vorhanden ist.

Das Bundesverwaltungsgericht (B.v. 14.10.2014 - 4 B 51.14 - juris) hat nochmals bestätigt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben in der gesamten Rechtsordnung gilt. Eine konkrete Entscheidung zur Geltung im Abstandsflächenrecht sowie zur systematischen Einordnung hat das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis darauf, dass hier Landesrecht betroffen ist, nicht getroffen. Die herrschende obergerichtliche Rechtsprechung wendet den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB auch im Rahmen des landesrechtlichen Abstandsflächenrechts an. Dabei ist es unerheblich, ob das Gebäude des klagenden Nachbarn seinerzeit in Übereinstimmung mit den geltenden Bauvorschriften errichtet worden ist oder Bestandsschutz genießt (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 11.2.2003 - 2 B 16.99 - juris; VGH SH, U.v. 15.12.1992 - 1 L 118/91 - juris; NdsOVG, B.v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 - NVwZ-RR 1999, 716; VGH BW, U.v. 18.11.2002 - 3 S 882/02 - VBlBW 2003, 235; OVG NRW, B.v. 12.2.2010 - 7 B 1840/09 - juris; U.v. 26.6.2014 - 7 A 2057/12 - BauR 2014, 1924; ThürOVG, B.v. 5.10.1999 - 1 EO 698/99 - NVwZ-RR 2000, 869). Dem ist das Erstgericht gefolgt, was nicht zu beanstanden ist, auch wenn die Klägerin hier der Mindermeinung in der Rechtsprechung und Literatur den Vorzug gibt. Die Klägerin verkennt insoweit, dass auch im Abstandsflächenrecht der Grundsatz von Treu und Glauben nicht gänzlich uneingeschränkt gilt. Nach den in der herrschenden Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen müssen die beidseitigen Abweichungen etwa gleichwertig sein und nicht zu - gemessen am Schutzzweck der Vorschrift - schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, U.v. 4.2.2011 - 1 BV 08.131 - juris; VGH BW, B.v. 29.9.2010 - 3 S 1752/10 - BauR 2011, 148).

Hinsichtlich der systematischen Einordnung des Grundsatzes von Treu und Glauben in das bauordnungsrechtliche Prüfprogramm lassen sich verschiedene Ansätze vertreten. So könnte das Korrektiv des Grundsatzes von Treu und Glauben bereits grundsätzlich eine Berufung auf die Verletzung des Abstandsflächenrechts ausschließen, so dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer Abweichung nach Art 63 BayBO nicht weiter ankäme (so BayVGH, U.v. 4.2.2011 - 1 BV 08.131 - juris; ThürOVG, B.v. 5.10.1999 - 1 EO 698/99 - NVwZ-RR 2000, 869). Das Oberverwaltungsgericht Thüringen prüft dabei in einem obiter dictum noch die Voraussetzungen der Abweichung, wohingegen der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keine Prüfung vornimmt. Im Ergebnis kommt es aber auch nach dem OVG Thüringen nicht darauf an, ob die erteilte Abweichung rechtmäßig war. Als zweite Variante wäre eine Prüfung des Korrektivs des Grundsatzes von Treu und Glauben als Ausschlusskriterium nach Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Abweichung denkbar. Als dritte Variante käme in Betracht, die bei Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Abstandsflächenrecht vorauszusetzende wechselseitige Verletzung der Abstandsflächen im Rahmen der nach Art. 63 BayBO zu treffenden Interessenabwägung einfließen zu lassen.

Die genaue systematische Einordnung kann hier im Ergebnis jedoch offen bleiben, da bei allen drei Betrachtungsweisen, das Ergebnis der Würdigung dasselbe bliebe. Unstreitig liegt eine in etwa gleiche wechselseitige Abstandsflächenüberschreitung seitens der klagenden Nachbarin und der beigeladenen Bauherrin vor. Ebenfalls nicht bestritten ist, dass keine schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnisse durch das Bauvorhaben der Beigeladenen entstehen. Nach der herrschenden Rechtsprechung kommt es nur auf die tatsächliche Abstandflächenüberschreitung an, nicht aber auf deren Genehmigung oder Bestandsschutz. Bei ersten Variante käme es zudem nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des Art. 63 BayBO und insbesondere das Merkmal der Atypik vorliegen, denn die klagende Nachbarin könnte sich wegen des wechselseitigen Abstandsflächenverstoßes nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf den Abstandsflächenverstoß oder die Fehlerhaftigkeit der erteilten Abweichung nicht berufen. Eine Prüfung der Voraussetzungen des Art. 63 BayBO wäre somit nicht erforderlich. Diese lägen hier jedoch ohnehin vor. Zwar ist das Grundstück im Wesentlichen rechteckig und damit grundsätzlich gut bebaubar. Das Bauvorhaben darf sich aber zur Lückenschließung an der vorhandenen, zur Straße errichteten Bausubstanz, die im Übrigen in der Regel die rückwärtige Abstandsflächentiefe nicht einhält, orientieren. Zwar bleibt das südlich unmittelbar anschließende Gebäude in seiner Tiefe hinter dem im Vorbescheid geplanten Gebäude zurück. Der Neubau ist mit einer Tiefe von 10,90 m geplant. Diese Bebauungstiefe findet sich jedoch auf den nördlich angrenzenden Grundstücken wieder, auch wenn an diese nicht unmittelbar angebaut wird. Es ist nicht zwingend profilgleich an ein Nachbargebäude anzubauen. Vor- und Rücksprünge sind im in der Umgebung auffindbaren Maß grundsätzlich möglich. Auch vorliegend findet sich die geplante Tiefe von 10,90 m in der unmittelbaren Umgebung an den straßenseitig errichteten Gebäuden wieder und stellt daher unter Berücksichtigung der Schutzgüter des Abstandsflächenrechts kein die Atypik ausschließendes Kriterium dar. Entsprechend wäre das Bauvorhaben der Beigeladenen nach der zweiten Variante ebenfalls zulässig.

Auch wenn die Prüfung der wechselseitigen Abstandsflächenüberschreitung im Rahmen der Interessenabwägung des Art 63 BayBO stattfände, ergäbe sich vorliegend kein anderes Ergebnis. Unstreitig ist der Anteil der seitens der Klägerin auf das Baugrundstück fallenden Abstandsfläche sogar etwas größer als die vom Baugrundstück auf das Grundstück der Klägerin fallende Abstandsfläche. Die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts, Belichtung, Belüftung und Besonnung, werden nicht beeinträchtigt, insbesondere kann der 45° Lichteinfallswinkel am Gebäude der Klägerin eingehalten werden. Im Rahmen der Interessenabwägung spielt die Frage der Genehmigung des Abstandsflächenverstoßes grundsätzlich keine Rolle. Insoweit würde die Interessenabwägung hier zum selben Ergebnis führen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2001 - 8 ZB 01.1789 - BayVBl 2002, 378). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.