Verwaltungsgericht München Urteil, 07. März 2018 - M 7 K 17.3914

bei uns veröffentlicht am07.03.2018

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Zulassung des von ihnen am 8. Juni 2017 bei der Beklagten eingereichten Bürgerbegehrens „Kein Tunnel in Starnberg“.

Mit Beschluss vom 22. Februar 2007 stellte die Regierung von Oberbayern den Plan für den Bau des sog. Entlastungstunnels Starnberg fest. Damit wurde die teilweise Untertunnelung der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 2 (im Folgenden: B2) im Stadtgebiet Starnberg genehmigt. Der ca. 1,9 km lange Tunnel (im Folgenden: B2-Tunnel) soll laut Planfeststellungsbeschluss den Durchgangsverkehr in eine zweite, unterirdische Ebene verlegen und so die Innenstadt Starnbergs entlasten (vgl. Plan-feststellungsbeschluss S. 23 ff.). Mit rechtskräftigem Urteil vom 9. Juli 2008 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mehrere von Anliegern gegen den Planfeststellungsbeschluss erhobene Klagen ab (BayVGH, U.v. 9.7.2008 – 8 A 07.40023 (u.a.) – juris).

Am 2. Mai 2016 äußerte sich die Beklagte im Rahmen einer Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan 2030 kritisch zum Planfeststellungsbeschluss und dem daraus resultierenden Bau des B2-Tunnels. So sei der Tunnel an keine der ebenfalls hohe Verkehre verursachenden Staatstraßen im Bereich Starnberg angeschlossen. Die während des Planfeststellungsverfahrens prognostizierten Verkehrsbelastungen im Bezugsfall (d.h. ohne Bau des B2-Tunnels) und im Planfall (mit Bau) würden nicht mehr der aktuellen Entscheidungslage entsprechen. Die angenommene Spitzenbelastung von 30.000 Kraftfahrzeugen pro Tag sei überzogen, zumal die in Bau befindliche Westumfahrung damals nicht berücksichtigt habe werden können. Der Tunnel entlaste eher die Region, nicht aber die Stadt Starnberg. Eine Entlastung von 1.952 Einwohnern könne ohnehin nicht stattfinden, weil die Abgase über einen nur 10 m hohen Kamin am Schlossberg ungefiltert ausgeblasen würden.

Nachdem der Stadtrat der Beklagten die erste Bürgermeisterin mit Beschluss vom 6. Oktober 2016 beauftragt hatte, mit den zuständigen staatlichen Behörden Gespräche bezüglich der zu diesem Zeitpunkt von der Stadtratsmehrheit wohl favorisierten Alternativen zum B2-Tunnel zu führen, fand am … Januar 2017 eine Besprechung bei der Obersten Baubauhörde im (damaligen) Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (im Folgenden: OBB) statt. Teilnehmer dieser Besprechung waren neben Vertretern der Bayerischen Straßenbauverwaltung (OBB/Staatliches Bauamt Weilheim) die erste Bürgermeisterin und mehrere Stadträte der Beklagten. Besprechungsgegenstand waren die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen für den Bau des B2-Tunnels und weiterer, im Stadtrat diskutierter Planungen und Trassierungsvorschläge. Als „Zusammenfassung / Fazit“ heißt es dazu in dem Gericht vorgelegten Gesprächsprotokoll: „Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre grundsätzliche Bereitschaft, den Bau des Entlastungstunnels Starnberg zu finanzieren, erneut bestätigt. Er hat Baurecht und ist in greifbarer Nähe; mit den Baumaßnahmen könnte zeitnah begonnen werden. […] Voraussetzung für die Weiterführung des B2-Tunnelprojektes ist jedoch, dass sich der Stadtrat alsbald klar zum Tunnel bekennt, damit bis etwa Pfingsten die Zustimmung des Bundes zum Baubeginn erfolgen kann. Andernfalls wird die Maßnahme vom Staatlichen Bauamt Weilheim nicht mehr weiter verfolgt. In der Konsequenz würde auch für den nur noch bis Mitte September 2018 gültigen Planfeststellungsbeschluss keine Verlängerung beantragt werden und dieser damit zu diesem Zeitpunkt verfallen. […] Sollte sich die Stadt gegen den Bau des Entlastungstunnels entscheiden, dann ist sie auf dem weiteren Weg zu einer möglichen Alternative auf sich alleine gestellt. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch der Freistaat Bayern (und vsl. auch der Landkreis Starnberg) stehen auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung, um eine Umfahrungslösung von Starnberg zu planen und zu finanzieren. […]“. Zudem wurde laut Gesprächsniederschrift anlässlich einer Frage zur Finanzierung des Tunnels auf eine Äußerung des damaligen Bundesverkehrsministers Dobrindt verwiesen, wonach dieser „den Tunnel Starnberg jetzt finanzieren [könne], die notwendigen Mittel wären vorhanden, wenn es vor Ort nicht eine ablehnende Haltung der Stadt gebe“. Diese Aussage sei im Vorfeld der Besprechung nochmals fernmündlich vom Ministerbüro Dobrindt gegenüber der OBB bestätigt worden.

Am 20. Februar 2017 befasste sich der Stadtrat mit den Ergebnissen der o.g. Besprechung und beschloss (soweit ersichtlich entgegen der bisherigen Stadtratslinie zum Thema B2-Tunnel) mit 19:12 Stimmen: „Die Stadt Starnberg spricht sich für den sofortigen Bau des B2-Entlastungstunnels aus und begleitet dessen Umsetzung positiv. Die Stadt teilt dies umgehend dem Bundesverkehrsminister mit und bittet mit Nachdruck um die sofortige Baufreigabe und Bereitstellung der Bundesmittel. Die Stadtverwaltung wird außerdem beauftragt, umgehend weitere Schritte zur Realisierung einer ortsfernen Umfahrung, ergänzend zum B2-Tunnel, einzuleiten. […]“.

In Vollzug dieses Beschlusses wandte sich die erste Bürgermeisterin mit Schreiben vom 2. März 2017 an das Bundesverkehrsministerium und übersandte das zugehörige Sitzungsprotokoll des o.g. Beschlusses vom 20. Februar 2017.

Am … März 2017 antwortete der damalige Bundesverkehrsminister Dobrindt, dass „mit der vom Stadtrat der Stadt Starnberg erklärten Unterstützung für das Vorhaben, der Einstufung der Maßnahme in den neuen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 2016 sowie einem vollziehbaren Planfeststellungsbeschuss […] nunmehr alle Voraussetzungen vor[liegen], um das für den Raum so wichtige Projekt weiter voranzubringen. Ich freue mich daher, Ihnen mitteilen zu können, dass ich für den Bau eines Entlastungstunnels eine Freigabe erteilen werde. Auf dieser Grundlage wird die Bayerische Straßenbauverwaltung im Weiteren mit den konkreten Ausschreibungsplanungen beginnen und die Bauvorbereitungen einleiten“.

Am *. Juni 2017 reichten die Kläger als benannte Vertreter bei der Beklagten das Bürgerbegehren „Kein Tunnel in Starnberg“ ein. Die dem Bürgerbegehren zugrundeliegende Fragestellung lautet:

„Sind Sie dafür, dass die Stadt Starnberg alles unternimmt, damit der planfestgestellte B2-Tunnel in unserer Stadt nicht gebaut wird?“. Zur Begründung wird auf den Unterschriftslisten angeführt:

– „Der Tunnel löst nicht das Starnberger Verkehrsproblem. Im Gegenteil, er zieht zusätzlichen Verkehr in die Stadt.

– Abgase und Feinstaub werden ungefiltert aus dem Tunnel geleitet. Dies stellt eine Gefahr für die Gesundheit der Starnberger Bürger dar.

– Er bewirkt während der Bauzeit eine unverhältnismäßige Belastung der Starnberger Bürger, der Schulen und der Geschäftswelt.

– Die Zustimmung des Starnberger Stadtrats zum Planfeststellungsbescheid (Baugenehmigung) zum Bau des B2-Tunnels widerspricht dem Mehrheitsvotum der Wähler der 2015 wiederholten Kommunalwahl und der offiziellen Stellungnahme der Stadt vom 02.05.2016 zum Bundesverkehrswegeplan 2030“.

In seiner öffentlichen Sitzung vom 3. Juli 2017 befasste sich der Stadtrat mit dem Bürgerbegehren. Dazu wurden ein im Vorfeld der Sitzung durch die Stadtverwaltung eingeholtes Rechtsgutachten einer Anwaltskanzlei, welches die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bejaht, und ein zu Beginn der Sitzung vorgelegtes Rechtsgutachten des Stadtratmitglieds F., welches die Zulässigkeit verneint, vorgestellt. Letztendlich beschloss der Stadtrat mit 19:11 Stimmen das Bürgerbegehren nicht zuzulassen und beauftragte die Stadtverwaltung einen entsprechenden Bescheidsentwurf auszuarbeiten und dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorzulegen.

In seiner Sitzung vom 24. Juli 2017 beauftragte der Stadtrat die Verwaltung den zwischenzeitlich ausgearbeiteten Bescheid an die Kläger zuzustellen. Zugleich beschloss der Stadtrat, dass er „zustimmend zu Kenntnis [nimmt]: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat am 7. Juli 2017 nochmals bekräftigt, dass der B2-Tunnel kommt und die Baufreigabe abschließend beschlossen ist, siehe Süddeutsche Zeitung vom 7. Juli 2017“.

Mit dem Kläger zu 1) am 29. Juli 2017 und den Klägern zu 2) und 3) jeweils am 28. Juli 2017 zugestellten Bescheid vom 24. Juli 2017 wies die Beklagte das Bürgerbegehren „Kein Tunnel in Starnberg“ als unzulässig zurück und lehnte die Durchführung des beantragten Bürgerentscheids ab. Zwar sei mit 1.730 gültigen von 1.861 insgesamt eingereichten Unterschriften das notwendige Quorum in Höhe von 1.491 Unterschriften deutlich überschritten. Allerdings sei die gewählte Fragestellung zu unbestimmt, da dem damit angestrebten Bürgerentscheid nicht entnommen werden könne, welche hinreichend konkreten Maßnahmen die Beklagte im Erfolgsfall ergreifen solle, zumal die rechtlichen Maßnahmen infolge der Rechtskraft des Planfeststellungsbeschlusses bereits erschöpft seien. Der Bund sei Straßenbaulastträger bezüglich des B2-Tunnels, die Beklagte habe insoweit keine Entscheidungsbefugnis. Ein Bürgerbegehren, dem – auch weil die zugrundeliegende Maßnahme bereits abgeschlossen sei – nur politische Signalwirkung zukomme, sei aber unzulässig. Ebenso dürfe ein Bürgerbegehren nicht auf ein unzulässiges, rechtswidriges Ziel gerichtet sein; neben den mit der Fragestellung implizierten Verzögerungshandlungen sei auch ein Verstoß gegen die Vorgaben des eigenen Teilplans der Beklagten im Rahmen der Luftreinhalteplanung Münchens gegeben. Denn der Bau des B2-Tunnels sei darin als Maßnahme benannt. Die Begründung des Bürgerbegehrens sei in wesentlichen Punkten irreführend und verstoße damit gegen das verfassungsrechtlich verankerte Verbot unrichtiger Tatsachenbehauptungen. So führe der B2-Tunnel sehr wohl zu einer Verkehrsentlastung. Eine Gesundheitsgefährdung durch Abgase und Feinstaub sei ebenso wenig gegeben wie eine unverhältnismäßige Belastung während der Bauzeit. Der Stadtrat habe am 20. Februar 2017 nicht ausschließlich dem Planfeststellungsbeschluss zugestimmt, sondern sich zugleich für die Planung einer ortsfernen Umfahrung ausgesprochen. Keineswegs sei das Thema Tunnel/Umfahrung allein ausschlaggebend für die Kommunalwahlen gewesen.

Am … August 2017 ließen die Kläger stellvertreten durch ihre Bevollmächtigten zu 1) beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage auf Zulassung des Bürgerbegehrens erheben, die mit Schriftsatz vom … August 2018 begründet wurde. Die Zurückweisung des Bürgerbegehrens sei rechtswidrig; die Kläger hätten einen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens und Durchführung eines Bürgerbescheids. Die dem Bürgerbegehren zugrundeliegende Fragestellung sei inhaltlich ausreichend bestimmt, zumal die diesbezüglichen Anforderungen laut Rechtsprechung nicht überspannt werden dürften. Nach Auslegung der Formulierung „alles unternimmt“ würden sich so im Hinblick auf die beabsichtigte Verhinderung des Tunnelbaus trotz bestandskräftigem Planfeststellungsbeschluss beispielsweise ein Antrag auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gemäß §§ 48 f. Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – oder formlose Schreiben an Volksvertreter als weiterhin ergreifbare Maßnahmen ergeben. Das Bürgerbegehren sei auch mehr als eine bloße Meinungsumfrage mit politischer Signalwirkung, nämlich eine Grundsatzentscheidung zur Verhinderung des Tunnelbaus. Welche Maßnahme die Beklagte dann in der Umsetzung dazu im Einzelnen ergreife, bleibe (zulässigerweise) ihr überlassen. Da Staatsminister Herrmann wie auch Bundesverkehrsminister Dobrindt den Bau des Tunnels an ein positives Votum seitens der Beklagten geknüpft hätten, sei ein Entscheidungsspielraum weiter gegeben. Insofern sei die Maßnahme auch noch nicht abgeschlossen bzw. vollzogen; so könne die Beklagte ihre bereits im Beschlusswege erteilte Zustimmung widerrufen oder jedenfalls formlose Bedenken äußern. Die Begründung des Bürgerbegehrens sei nicht irreführend. Dass der Tunnel entgegen der noch im Planfeststellungsverfahren zugrunde gelegten Sachlage nicht zu einer Verkehrsentlastung führe, ergebe sich aus der eigenen Stellungnahme der Beklagten zum Bundesverkehrswegeplan 2030 vom 2. Mai 2016 und einem von Prof. K. im Auftrag der Bürgerinitiative „… … … e.V.“ erstellten Gutachten vom … Januar 2017. Ebenso sei die Aussage zur Gesundheitsgefährdung der Stellungnahme der Beklagten vom 2. Mai 2016 entnommen. Dass unverhältnismäßige Belastungen während der Bauzeit entstünden, sei keine Tatsachenbehauptung, sondern eine (zulässige) subjektive Wertung. Auch seien die Stadtratswahlen 2008, 2014 und 2015 wesentlich von der Tunneldebatte geprägt gewesen. Schließlich sei das Bürgerbegehren auch im Übrigen materiell-rechtlich zulässig. Es verfolge kein unzulässiges, rechtswidriges Ziel, zumal Vorgaben eines Luftreinhalteplans allenfalls eingeschränkt verbindlich seien. Der eigene Wirkungskreis der Beklagten sei trotz Straßenbaulast des Bundes eröffnet, da der Tunnel tatsächliche Auswirkungen gewichtiger Art auf die Aufgaben der Beklagten habe.

Mit Schriftsatz vom 13. November 2017 erwiderte der Bevollmächtigte der Beklagten auf die Klage. Das Bürgerbegehren verstoße bereits gegen Art. 18a Abs. 1 Gemeindeordnung – GO –, da es sich beim in der Straßenbaulast des Bundes liegenden B2-Tunnel nicht um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises handle. Die von den Klägerbevollmächtigten zitierten Auswirkungen gewichtiger Art würden insoweit zu keinem anderen Ergebnis führen, da die dieser Argumentation zugrundeliegende Rechtsprechung (BVerwG, B.v. 9.1.1995 – 4 NB 42/94 – juris Rn. 7) auf eine andere, nämlich die einer baurechtlich gemeindenachbarlichen Abstimmung abziele. Die Beklagte habe vorliegend im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens ihre Belange und Rechte einbringen können; insoweit sei auch der eigene Wirkungskreis eröffnet gewesen (BayVGH, B.v. 12.3.1997 – 4 CE 96.3422 – juris Rn. 23). Zum heutigen Zeitpunkt, mit Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses, gelte aber insoweit der in § 38 BaugesetzbuchBauGB – normierte Vorrang der Fachplanung. Zu keiner Zeit sei der Beklagten durch die Äußerungen der Minister Dobrindt und Herrmann eine Art „faktisches Zustimmungserfordernis“ eingeräumt worden. Selbst wenn man dies – obwohl gesetzlich nicht vorgesehen – unterstelle, müsse man quasi spiegelbildlich auch diejenigen Grundsätze anwenden, die für die gemeindliche Mitwirkung an der Ausübung staatlicher Befugnisse gelten. Daher liege ein Rückgriff auf § 36 BauGB nahe, wonach die erteilte Zustimmung der Beklagten unwiderruflich sei. Außerdem sei die Fragestellung des Bürgerbegehrens – wie im Bescheid erläutert – zu unbestimmt. Ein Rückgriff auf einen Antrag nach § 48 VwVfG scheide schon wegen der im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs festgestellten Rechtmäßigkeit aus; § 49 VwVfG sei ebenso aussichtslos. Daher sei nicht zu erkennen, welche konkreten Maßnahmen die Beklagte denn im Falle eines Bürgerentscheids ergreifen solle. Ebenso sei die Maßnahme bereits abgeschlossen; die Begründung sei irreführend und das Bürgerbegehren auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet.

Mit Schriftsatz vom *. März 2018 traten die Bevollmächtigten zu 1) der Kläger diesen Ausführungen entgegen und vertieften ihre bisher vorgetragene Argumentation. Die Fragestellung sei hinreichend bestimmt, weil neben rechtlichen, wie erörtert, auch politische Maßnahmen zur Verfügung stehen würden; jedenfalls könne aber der Beschluss vom 22. Februar 2017 aufgehoben und dies dem Bundesverkehrsministerium mitgeteilt werden. Als rechtliche Maßnahme käme überdies sehr wohl ein Antrag nach § 49 VwVfG in Betracht, zumal die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG angesichts des Gutachtens von Prof. K. vom … Januar 2017 vorliegen würden. Die Maßnahme sei keineswegs abgeschlossen, da Bundesverkehrsminister Dobrindt in seinem Schreiben vom … März 2017 die Baufreigabe nur angekündigt habe; auch sei mit der Inswerksetzung des Tunnelvorhabens selbst noch gar nicht begonnen worden. Der Stadtratsbeschluss sei jederzeit aufhebbar, § 36 BauGB stehe dem wegen § 38 Satz 1 BauGB nicht entgegen. Das Vorhaben stehe angesichts des Schreibens vom … März 2017, das klar auf eine Zustimmung der Beklagten abziele, weiterhin zu deren Disposition. Die Begründung des Bürgerbegehrens sei ebenso ordnungsgemäß.

In der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2018 beantragten die Kläger stellvertreten durch ihre Bevollmächtigten:

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Zurückweisungsbescheide jeweils vom 26.07.2017, Az. … * … - Be verpflichtet, das von den Klägern am 08.06.2017 beantragte Bürgerbegehren „Kein Tunnel [in] Starnberg“ zuzulassen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragte,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Sitzungsniederschrift und die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren sowie in den Verfahren M 7 E 17.3322, M 7 K 17.4417 und M 7 E 18.346 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Zulassung des Bürgerbegehrens „Kein Tunnel in Starnberg“ (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO). Das Bürgerbegehren ist unzulässig, weil es nicht auf eine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter gerichtet ist (dazu 1.1) und den zur Abstimmung berufenen Gemeindebürger durch die gewählte Fragestellung irreführt, indem suggeriert wird, dass der Beklagten noch solch konkrete Handlungsoptionen in Form verbindlicher Maßnahmen zur Verfügung stehen (dazu 1.2).

1.1 Das Bürgerbegehren ist unzulässig, weil es bzw. seine Fragestellung nicht auf eine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter gerichtet ist, sondern mangels der Beklagten verbleibender anderer Handlungsoptionen letztendlich darauf beschränkt ist, ein unverbindliches politisches Signal auszusenden.

Nach Art. 18a Abs. 4 GO hat der aus einem Bürgerbegehren resultierende Bürgerentscheid im Falle seines Erfolgs (positives Votum) die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses. Anders als beim Gemeindebzw. Stadtrat, dem die umfassende Vertretung der Gemeindebürger zugewiesen ist (vgl. Art. 30 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GO i.V.m. Art. 29 GO) und der daher grundsätzlich auch Meinungskundgaben, Resolutionen oder (unverbindliche) politische Appelle beschließen kann, tritt für den Bürgerentscheid als „Gemeinderatsbeschluss kraft Gesetzes“ noch die weitere Voraussetzung dazu, dass es sich um eine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter handeln muss. Denn Bürgerbegehren und Bürgerentscheid können, wie sich aus dem Namen und dem Wesen des Rechtsinstituts ergibt, nur zu Angelegenheiten stattfinden, über die die Kommune jetzt oder in absehbarer Zukunft sinnvoll entscheiden kann. Wo es nichts zu entscheiden gibt, kann auch kein Bürgerbegehren/Bürgerentscheid stattfinden. Mit der Einführung des Rechtsinstituts sollte erreicht werden, dass die Gemeinde- und Landkreisbürger am kommunalen Geschehen stärker beteiligt werden und über bestimmte Angelegenheiten der Kommunen selbst entscheiden können. Art. 18a Abs. 4 Satz 1 setzt eine mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung voraus. An dem verlangten Entscheidungscharakter und der nach Art. 18a Abs. 14 GO „verlangten Maßnahme“ fehlt es, wenn die Abstimmungsfrage auf eine unverbindliche Meinungsumfrage gerichtet ist. Bürgerbegehren, die nur eine nachträgliche Meinungsäußerung der Gemeindebürger zu einer bereits vom Gemeinderat entschiedenen Verwaltungsmaßnahme herbeiführen wollen, die also keine rechtlichen Auswirkungen haben, sondern denen allenfalls politische Signalwirkung zukommt, sind unzulässig (BayVerfGH, E.v. 21.12.2015 – Vf. 14-VII-13 – juris Rn. 38 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 22.3.1999 – 4 ZB 98.1352 – juris Rn. 12; vgl. in diesem Sinne auch OVG NW, U.v. 23.4.2002 – 15 A 5594/00 – juris Rn. 12 ff. zu § 22 Abs. 1 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 1 GO NRW, der quasi inhaltsgleich zu Art. 18a Abs. 1 und Abs. 13 Satz 1 GO ist). Zwar ist dabei nicht ausgeschlossen, dass Grundsatzbeschlüsse, die noch der Ausführung und Ausfüllung durch spätere Detailentscheidungen bedürfen, durch Bürgerentscheid getroffen werden können. Daher ist nicht erforderlich, dass nur noch der Vollzug der Entscheidung durch den Bürgermeister zur Umsetzung des Bürgerbescheids notwendig ist (so – als Erfordernis einer ausreichend bestimmten Fragestellung und nicht als Aspekt der zulässigen Zielsetzung – BayVGH, U.v. 19.2.1997 – 4 B 96.2928 – BayVBl 1997, 276 ff.; st.Rspr, vgl. etwa BayVGH, B.v. 8.4.2005 – 4 ZB 04.1264 – juris Rn. 10 und BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 24).

In diesem Spannungsfeld zwischen Grundsatzbeschluss und bloßem politischen Appellcharakter verbleiben der Beklagten vorliegend zur Verhinderung des B2-Tunnels rechtlich und faktisch keine konkreten, validen und vollziehbaren Handlungsmaßnahmen, die es rechtfertigen würden, das Bürgerbegehren (noch) als zulässige Grundsatzentscheidung einzuordnen. Tatsächlich beschränken sich die der Beklagten konkret zur Verfügung stehenden Maßnahmen im Wesentlichen auf politische Appelle an den Bund als Straßenbaulastträger, den B2-Tunnel nicht zu bauen.

1.1.1 Der von den Bevollmächtigten der Kläger angeführte Antrag bzw. die Anregung (im Folgenden: Antrag) auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses auf der Grundlage von §§ 48 f. VwVfG (ggf. in Verbindung insbesondere mit § 51 Abs. 5 VwVfG) stellt für sich genommen noch keine (vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter im Sinne der o.g. Kriterien dar. So ist bereits grundsätzlich zweifelhaft, ob in Konstellationen, in welchen einer Kommune (wenn auch als beispielsweise betroffener Grundstückseigentümerin) als rechtliche Handlungsoption nach bestandsbzw. rechtskräftig abgeschlossenem Planfeststellungsverfahren allein ein Antrag auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nach §§ 48 f. VwVfG verbleibt, ein darauf abzielendes Bürgerbegehren zulässig ist. Anders als während eines laufenden Planfeststellungsverfahrens, in welchem einer Kommune schon gesetzlich Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte eingeräumt und ihr dadurch Handlungsspielräume eröffnet sind (vgl. dazu bspw. BayVGH, B. v. 12.3.1997 – 4 CE 96.3422 – juris Rn. 16, 22) würde sich der Vollzug eines solchen Bürgerentscheids schlicht auf das Stellen eines Antrags auf Aufhebung nach §§ 48 f. VwVfG (und einem ggf. daran anknüpfenden Gerichtsverfahren bei Ablehnung) beschränken. Dies widerspricht letztendlich dem o.g. aufgezeigten Grundsatz, nachdem der Gemeinde nicht bloß ein theoretischer, sondern ein rechtlich und faktisch nicht bloß unbedeutender, sondern substantieller eigener Handlungsspielraum zur Umsetzung verbleiben muss.

Jedenfalls aber reicht ein Antrag auf der Grundlage von §§ 48 f. VwVfG als verbleibende Maßnahme dann nicht aus, wenn allein die theoretisch/abstrakte Möglichkeit einer Antragstellung besteht und der Antrag schon kursorisch betrachtet keine konkreten/erkennbaren Erfolgsaussichten hat. Indizien, dass ein Antrag gemäß § 48 VwVfG oder § 49 VwVfG auf vollständige Aufhebung (und nicht bloße Änderung einzelner Festlegungen) vorliegend Aussicht auf Erfolg hätte, sind aber nicht ersichtlich. Planfeststellungsbeschlüsse genießen ohnehin eine erhöhte Bestandskraft (vgl. § 17 Satz 2 Bundesfernstraßengesetz – FStrG – i.V.m. § 75 Abs. 2 VwVfG). Zwar sind die §§ 48 f. VwVfG grundsätzlich auch auf Planfeststellungsbeschlüsse anwendbar (vgl. etwa BVerwG, U.v. 19.12.2017 – 3 A 8/15 – juris Rn. 23); unterliegen aber je nach Fachrecht und einschlägiger Rechtsprechung weiteren Einschränkungen. So wird § 48 VwVfG vorliegend tatbestandlich bereits deswegen ausscheiden, weil die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschluss durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinen Urteilen vom 9. Juli 2008 festgestellt wurde und nachträgliche Änderungen keine Auswirkung auf seine Rechtmäßigkeit haben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit im Planfeststellungsrecht ist nämlich der der Beschlussfassung über den Plan (st.Rspr., vgl. etwa für eine Planfeststellung nach FStrG BayVGH, U.v. 27.7.2017 – 8 A 16.40019 – juris Rn. 83 m.w.N.). Im Hinblick auf § 49 VwVfG dürfte allenfalls der Tatbestand des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG in Frage kommen. Schon angesichts des Tatbestandsmerkmals „nachträglich eingetretener Tatsachen“ bestehen aber – ungeachtet der Rechtsfolgenseite (Ermessen, Frage der Teil- oder Gesamtaufhebung) bereits erhebliche rechtliche Bedenken, weil sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 9. Juli 2008 vielfach mit den jetzt im Rahmen des Gutachtens von Prof. K. vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt hat und generell zweifelhaft ist, ob es sich überhaupt um (neue) Tatsachen handelt. Denn eine Änderung der Sachlage liegt nicht vor, wenn sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen oder im rechtskräftigen Urteil nicht berücksichtigte Beweismittel finden, oder wenn der Beteiligte sein Vorbringen aufgrund neuer Beweismittel „besser“ beweisen kann (VGH B-W, U.v. 3.7.2014 – 5 S 2429/12 – juris Rn. 37, bestätigt durch BVerwG, B. v. 27.5.2015 – 3 B 5/15 – juris Rn. 7; vgl. zum Ganzen auch BVerwG, U.v. 28.4.2016 – 4 A 2/15 – juris Rn. 36 ff.).)

1.1.2 Ebenso stellt auch die bloße, von den Bevollmächtigten zu 1) der Kläger vorgetragene Möglichkeit einer Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses vom 20. Februar 2017 keine (ausreichend substantielle, vollzugsfähige) Maßnahme mit Entscheidungscharakter dar. Anders als etwa bei Aufstellungsbeschlüssen zur Bauleitplanung knüpfen sich an den Beschluss vom 20. Februar 2017 keine unmittelbaren rechtlichen Folgen, die quasi im Wege eines „actus contrarius“ wieder aufgehoben werden könnten. Insbesondere wurden der Beklagten solche Rechte nicht mit den Äußerungen der (damals) zuständigen Minister Dobrindt und Herrmann quasi „konstitutiv“ oder rechtlich verbindlich eingeräumt. Auch ist nicht ersichtlich, dass das Bundesverkehrsministerium der Beklagten weiterhin ein (wesentliches) politisches Mitspracherecht gewähren oder gar den Tunnelbau (weiter) vom Willen der Beklagten abhängig machen will. Eher spricht vieles dafür, dass das Bundesverkehrsministerium und auch die Oberste Baubehörde zum Zeitpunkt der getätigten Äußerungen den „politischen Druck“ auf die Beklagte angesichts des näher rückenden Ablaufs der Geltungsdauer des Planfeststellungsbeschlusses und der sich damit zugleich stellenden Frage einer etwaigen (rechtzeitigen) Mittelbereitstellung erhöhen wollten. Man forderte daher ein eindeutiges Bekenntnis der Beklagten ein, um die nächsten Schritte zur Realisierung des Tunnelbaus einzuleiten. Dies ist – verbunden mit dem Einsatz bzw. der gesetzlich verankerten (und insoweit auch grdl. verbindlichen) Freigabe von nicht unerheblichen Steuermitteln – zwischenzeitlich geschehen. Der Beschluss des Stadtrats vom 20. Februar 2017 war damit letztendlich ein – wenn auch vom damaligen Bundesverkehrsminister Dobrindt eingefordertes, aber eben auch einmaliges – politisches Votum, das sich zugleich mit der Beschlussfassung und Übermittelung an den Bundesverkehrsminister verbraucht hat bzw. bereits vollzogen (abgeschlossen) ist (vgl. zu vollzogenen Maßnahmen auch BayVGH, B. v. 21.10.1999 – 4 ZE 99.2944 – juris Rn. 19). Ein etwaiger Aufhebungsbeschluss wäre damit ebenso ein rein politisches Signal. Ein Heranziehen von §§ 36 und 38 BauGB in analoger Anwendung oder vom Rechtsgedanken her auf den Stadtratsbeschluss vom 20. Februar 2017 erübrigt sich schon deswegen, weil es sich dabei um ein rein politisches Votum gehandelt hat, das in dieser Form gesetzlich nicht normiert ist und daher auch keine Rechtsfolgen auslöst. Für die Änderung einer zuvor mitgeteilten, unverbindlichen politischen Meinungsäußerung bedarf es keiner Rechtsgrundlage in Form einer „Widerruflichkeit“ oder gar einer „Anfechtung“; umgekehrt sind an die Mitteilung einer solchen Meinungsänderung auch keinerlei Rechtsfolgen geknüpft.

1.1.3 Soweit die Klägerbevollmächtigten als im Übrigen denkbare, weitere Maßnahmen politische Initiativen, Gespräche oder etwa das Verfassen unverbindlicher Schreiben an politische Mandats- und Entscheidungsträger anführen, ergibt sich bereits aus ihrem eigenen Vortrag, dass es sich hierbei sämtlich um rein politische Appelle ohne (der Beklagten zustehendem) Vollzugscharakter handelt.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass das Bürgerbegehren letztendlich auf unverbindliche, im Wesentlichen politische Maßnahmen ohne einen für die Beklagte vollziehbaren Entscheidungscharakter gerichtet ist, was in der Konsequenz eine unzuverlässige Zielsetzung (so als daraus ableitbare Rechtsfolge BayVGH, B.v. 22.3. 1999 – 4 ZB 98.1352 – a.a.O.) bzw. eine unzulässige Fragestellung (in diesem Sinn etwa BayVGH, B.v. 8.4.2005 – 4 ZB 04.1264 – juris Rn. 10) darstellt.

1.2 Selbst wenn man aber diese Mindestanforderungen an einen Grundsatzbeschuss als zu streng oder überzogen erachten würde, wäre jedenfalls die gewählte Fragestellung – selbst bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung (st.Rspr, vgl. etwa BayVGH, U.v. 4.7.2016 – 4 BV 16.105 – juris Rn. 32 m.w.N.) – unzulässig, weil sie gegen das nach ständiger Rechtsprechung als ungeschriebene Rechtmäßigkeits-voraussetzung bestehende sog. Täuschungs- und Irreführungsverbot verstößt.

Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss ein Bürgerbegehren eine (auf allen Unterschriftslisten gleichlautende) Begründung enthalten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren VerfGH, E.v. 13.4.2000 – Vf. 4-IX-00 – VGH n.F. 53, 81/105). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 Bayerische Verfassung – BV) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Gemeindebürger können nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden und von ihrem Eintragungsrecht Gebrauch machen, wenn sie nicht durch den vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend bzw. unvollständig erläutert wird (st.Rpsr., vgl. dazu m.w.N. BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 33). Diese zwingenden Anforderungen gelten nicht nur für die Begründung des Bürgerbegehrens, sondern in gleichem Maße auch für dessen Fragestellung. Werden in der Fragestellung eines Bürgerbegehrens in einer für die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert wird, so ist die Fragestellung unzulässig (BayVGH, B.v. 20.1.2012 – 4 CE 11.2771 – juris Rn. 31).

Gemessen an diesen Anforderungen ist die gewählte Fragestellung irreführend, weil sie durch die Formulierung „alles unternimmt“ fälschlicherweise den Eindruck erweckt, dass der Beklagten noch konkrete, valide und substantielle Handlungsoptionen zur Verfügung stehen, um den Tunnelbau zu verhindern. Insofern ist zunächst klarzustellen, dass ein Bürgerentscheid die Beklagte nur zu rechtmäßigen Maßnahmen verpflichten könnte; ein auf ein rechtswidriges Ziel gerichtetes Bürgerbegehren ist unzulässig (BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 4 B 11.221 – juris Rn. 24). Überdies unterliegt die Beklagte in all ihrem Handeln dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG. Handlungsmöglichkeiten, wie etwa Demonstrationen oder politische Proteste, stehen ihr daher im Vergleich zu privaten Initiativen ohnehin nicht oder allenfalls sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die der Beklagten so verbleibenden, rechtlich zulässigen Optionen beschränken sich – wie eben unter 1.1 dargelegt – im Wesentlichen auf kaum aussichtsreiche politische Appelle. Letztendlich im deutlichen, wenn nicht krassen Widerspruch steht dem die Formulierung „alles unternimmt“ gegenüber, die ein verständiger, objektiver Empfänger (Rechtsgedanke der §§ 133, 157 Bürgerliches GesetzbuchBGB), nur so verstehen kann, dass die Beklagte bei positivem Bescheid nun „alle, insbesondere auch erfolgversprechende Register zieht“, um den B2-Tunnelbau zu verhindern. Dieser Eindruck bzw. die irreführende Suggestion, dass noch effektive Abwehrmittel gegen den Tunnelbau bestehen, wird auch nicht durch die Formulierung „planfestgestellte[r] B2-Tunnel“ relativiert. Allenfalls ein fachkundiger Gemeindebürger könnte daraus wohl die oben angeführten, sehr beschränkten Optionen der Beklagten bei einem bestandsbzw. rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss ableiten bzw. „herauslesen“. Abgesehen davon, dass dafür bereits die Präzisierung „bestandskräftigem/rechtskräftigem“ im Fragetext fehlt, würde ein solcher Schluss selbst bei wohlwollender Auslegung die in gewissem Maße gegebene Obliegenheit des Gemeindebürgers, sich selbst ein Bild vom Thema und Inhalt des Bürgerbegehrens zu machen – deutlich – überspannen. Zwar müssen sich die um ihre Unterschrift gebetenen Gemeindebürger selbständig ein Urteil darüber bilden, ob sie die – in der Regel einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens – vorgebrachten Gründe für stichhaltig halten oder ob sie sich zusätzlich aus weiteren Quellen informieren wollen. Zu beanstanden ist die Begründung eines Bürgerbegehrens aber, wenn sie über eine bloß tendenziöse Wiedergabe hinaus einen entscheidungsrelevanten Umstand nachweislich falsch oder in objektiv irreführender Weise darstellt (BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – a.a.O. Rn. 35). Es kann nicht vom Gemeindebürger verlangt werden, dass er bereits die Formulierung der Fragestellung derart kritisch hinterfragt und nur aufgrund eigener Recherche zum Ergebnis kommt bzw. kommen kann, dass sich „alles Unter[nehmbare]“ auf wenige unverbindliche Schreiben reduziert (vgl. in diesem Sinne bzw. in einer ähnlichen Konstellation auch BayVGH, B.v. 20.12.2012 – 4 CE 11.2771 – a.a.O. Rn. 27, wonach Fragestellung oder Begründung unzulässig sind, wenn die Gemeindebürger, soweit sie nicht über spezielle Vorkenntnisse verfügen, den eigentlichen Inhalt des [dem dortigen Bürgerbegehren zugrundeliegenden] Regelungsvorschlags nicht erfassen können). Da es für die Gemeindebürger von maßgeblicher, wenn nicht entscheidender Bedeutung ist, dass ihr Votum effektiv umgesetzt wird, ist eine solche Täuschung bzw. Irreführung auch abstimmungsrelevant (vgl. dazu BayVGH, B.v. 14.10.2014 – 4 ZB 14.707 – juris Rn. 6).

1.3 Bereits aus den eben in 1.1 und 1.2 genannten Gründen ist das Bürgerbegehren unzulässig; daher bedarf es bzgl. der von Beteiligten im Übrigen angeführten Aspekte keiner weiterer Erläuterung. So kann etwa offen bleiben, ob das Bürgerbegehren gegen verbindliche Regelungen in Form der Luftreinhalteplanung verstößt und seine Begründung den gesetzlichen Anforderungen im Übrigen entspricht.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


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(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erhebliche

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Auf Planfeststellungsverfahren und sonstige Verfahren mit den Rechtswirkungen der Planfeststellung für Vorhaben von überörtlicher Bedeutung sowie auf die auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für die Errichtung und den Betrieb öffentlich zugänglicher Abfallbeseitigungsanlagen geltenden Verfahren sind die §§ 29 bis 37 nicht anzuwenden, wenn die Gemeinde beteiligt wird; städtebauliche Belange sind zu berücksichtigen. Eine Bindung nach § 7 bleibt unberührt. § 37 Absatz 3 ist anzuwenden.

(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird; dies gilt nicht für Vorhaben der in § 29 Absatz 1 bezeichneten Art, die der Bergaufsicht unterliegen. Richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 30 Absatz 1, stellen die Länder sicher, dass die Gemeinde rechtzeitig vor Ausführung des Vorhabens über Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung nach den §§ 14 und 15 entscheiden kann. In den Fällen des § 35 Absatz 2 und 4 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung allgemein oder für bestimmte Fälle festlegen, dass die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist.

(2) Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde dürfen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagt werden. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat;
3.
wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
4.
wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
5.
um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(3) Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden,

1.
wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(4) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.

(5) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(6) Wird ein begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 bis 5 widerrufen, so hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist. § 48 Abs. 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. Für Streitigkeiten über die Entschädigung ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.

(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird; dies gilt nicht für Vorhaben der in § 29 Absatz 1 bezeichneten Art, die der Bergaufsicht unterliegen. Richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 30 Absatz 1, stellen die Länder sicher, dass die Gemeinde rechtzeitig vor Ausführung des Vorhabens über Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung nach den §§ 14 und 15 entscheiden kann. In den Fällen des § 35 Absatz 2 und 4 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung allgemein oder für bestimmte Fälle festlegen, dass die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist.

(2) Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde dürfen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagt werden. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.

Auf Planfeststellungsverfahren und sonstige Verfahren mit den Rechtswirkungen der Planfeststellung für Vorhaben von überörtlicher Bedeutung sowie auf die auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für die Errichtung und den Betrieb öffentlich zugänglicher Abfallbeseitigungsanlagen geltenden Verfahren sind die §§ 29 bis 37 nicht anzuwenden, wenn die Gemeinde beteiligt wird; städtebauliche Belange sind zu berücksichtigen. Eine Bindung nach § 7 bleibt unberührt. § 37 Absatz 3 ist anzuwenden.

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Vollzug des zur Nr. VII unter Tagesordnungspunkt 4 der Stadtratssitzung vom 3. Juli 2017 ergangenen Stadtratsbeschlusses (Verteilen einer Postwurfsendung mit dem unter Nr. VII des o.g. Stadtratsbeschlusses beschlossenen Inhalt inklusive Anlage) bis zum rechtskräftigen Abschluss des (Hauptsache-)Verfahrens M 7 K 17.4417 zu unterlassen.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterlassung des Vollzugs eines Stadtratsbeschlusses, bei welchem er von der Abstimmung gemäß Art. 49 Abs. 1 Gemeindeordnung – GO – ausgeschlossen war.

Der Antragsteller ist Mitglied im Stadtrat der Antragsgegnerin und zudem erster Vertreter des Bürgerbegehrens „Kein Tunnel für S.“.

Das am 8. Juni 2017 bei der Antragsgegnerin mit der (laut beiden Verfahrensbeteiligten) erforderlichen Unterschriftenanzahl eingereichte Bürgerbegehren will gemäß seiner zugrundeliegenden Fragestellung erreichen, dass die Antragsgegnerin „alles unternimmt, damit der planfestgestellte B2-Tunnel in unserer Stadt [der Antragsgegnerin] nicht gebaut wird“.

Am 3. Juli 2017 befasste sich der Stadtrat der Antragsgegnerin in seiner 27. öffentlichen Sitzung 2017 unter dem Tagesordnungspunkt 4 (im Folgenden: TOP 4)

„Bürgerbegehren ‚Kein Tunnel in S.‘;

Zulässigkeit und Teminfestlegung

Vorlage: 2017/284“

mit dem Bürgerbegehren. Gemäß Beschlussauszug der Antragsgegnerin zum TOP 4 der Sitzung wurden die Stadtratsmitglieder zu Beginn der Behandlung von TOP 4 von der Ersten Bürgermeisterin gefragt, ob sie bei diesem TOP persönlich beteiligt sind. Der Antragsteller erklärte daraufhin, „dass er zwar Initiator des Bürgerbegehrens ist, eine persönliche Beteiligung aber nicht sieht“. Der Stadtrat beriet anschließend – ohne Anwesenheit des Antragstellers, der im Publikum Platz nahm – über die Frage der persönlichen Beteiligung des Antragstellers und beschloss mehrheitlich (19:11), den Antragsteller „bei der Beratung des Tagesordnungspunktes zur Zulässigkeit und Terminfestlegung des Bürgerbegehrens ‚Kein Tunnel für S.‘ von Beratung und Abstimmung wegen persönlicher Beteiligung nach Art. 49 Bayerische Gemeindeordnung auszuschließen“. Der Beschlussauszug stellt dazu weiter fest: „Damit ist [der Antragsteller] von Beratung und Abstimmung ausgeschlossen und bleibt dem Ratstisch fern“.

Nach weiterer Beratung in der Sache wurde vom Stadtrat zunächst über die von der Stadtverwaltung zur Sitzungsvorbereitung erstellte Beschlussvorlage Nr. 2017/284 und anschließend über einen zuvor im Rahmen der Beratung von Stadtratsmitglied F. eingebrachten und aus Nrn. I bis VII bestehenden Antrag (s.u.) abgestimmt.

Der Stadtrat lehnte mehrheitlich (19:11) die Beschlussvorlage Nr. 2017/284, nach welcher die Zulässigkeit der Bürgerbegehrens „Kein Tunnel für S.“ festgestellt und ein Termin zur Durchführung eines Bürgerentscheids durchgeführt werden sollte, ab. Den folgenden, einzeln zur Abstimmung gestellten Nrn. I bis VII des Antrags von Stadtratsmitglied F. stimmte der Stadtrat jeweils mehrheitlich (19:11) zu:

I.

Der Beschlussvorschlag der Verwaltung in den Ziffern 1 bis 3 wird abgelehnt. Der Stadtrat lässt das Bürgerbegehren ‚Kein Tunnel in S.‘ nicht zu.

II.

Der Stadtrat behält sich nach § 1 Abs. 2 Satz 2 seiner Geschäftsordnung die Beratung und Entscheidung über die das Bürgerbegehren betreffenden Verfahrensschritte vor.

III.

Der Stadtrat stellt fest, dass es sich bei der Behandlung des Bürgerbegehrens seitens der Stadt um eine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

IV.

Der Stadtrat ermächtigt die Stadtverwaltung, den die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ablehnenden Verwaltungsakt auszuarbeiten. Der Verwaltungsakt stützt sich auf die Begründung des Stadtrates unter Ziffer I. Dem Bescheid wird in Anlage die Stellungnahme der Rechtsaufsicht vom 30.06.2017 beigefügt. Der Verwaltungsakt wird vor Erlass der Rechtsaufsicht zur Abstimmung und anschließend dem Stadtrat am 24.07.2017 zur Beschlussfassung vorgelegt.

V.

Der Stadtrat beauftragt die Stadtverwaltung, evtl. Verwaltungsstreitigkeiten nur im Sinne der Beschlussfassung des Stadtrates unter Ziffer I zu führen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit behält sich der Stadtrat im Falle von Verwaltungsstreitigkeiten entsprechend seines Beschlusses in Ziffer III in Verbindung mit § 13 Abs. 2 Nr. 4a der Geschäftsordnung die Entscheidung über die Erteilung eines Mandats an einen Prozessbevollmächtigten vor, ebenfalls die Entscheidung über all in § 13 Abs. 2 Ziffer 4a der Geschäftsordnung genannten Verfahrenshandlungen. Bis zur Erteilung des Mandats an einen Prozessbevollmächtigten durch den Stadtrat beauftragt der Stadtrat unentgeltlich als Prozessbevollmächtigte die Stadträte F., G. und J.

VI.

Im Falle eines Verwaltungsrechtsstreites beauftragt der Stadtrat die Stadtverwaltung, die Kanzlei [Bevollmächtigter der Antragsgegnerin] – deren Einverständnis vorausgesetzt – mit der rechtlichen Beratung und Prozessführung zu betrauen.

VII.

Der Stadtrat beauftragt die Stadtverwaltung, umgehend das Protokoll der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr vom 25.01.2017 aus dem Gespräch der Stadt mit den Vertretern des Innenministeriums vom 19.01.2017 zum B2-Entlastungstunnel und möglicher Alternativen per Postwurfsendung zur Information an alle Haushalte im Gemeindegebiet der [Antragsgegnerin] zu verteilen. Das Schreiben enthält ausschließlich folgenden Text: „Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger der [Antragsgegnerin], zu dem für die künftige Stadtentwicklung und Zukunftsfähigkeit [der Antragsgegnerin] zentralen Thema B2-Tunnel und Nord-Ostumfahrung hat der […] Stadtrat am 20.02.2017 den Beschluss gefasst, „Tunnel bauen und ortsferne Umfahrung planen“. Er gab damit dem Bund ein politisches Signal für die Freigabe der Bundesmittel zum Tunnelbau und den Auftrag an die Stadt für eine städtische Vorplanung zu einer ergänzenden ortsfernen Umfahrung. Grundlage dafür war ein Gespräch von Stadtrat und Stadtverwaltung im Bayerischen Innen- und Verkehrsministerium vom 19.01.2017. Das Gesprächsprotokoll vom 25.01.2017 liegt zu Ihrer Information bei. Der Bund hat am 23.03.2017 die Bundesmittel für den Bau des B2-Tunnels freigegeben und die Arbeiten zur Realisierung des Projekts übernommen. Die Stadt hat in ihren Haushalt mittlerweile die Mittel für die Fachplanung einer ortsfernen Umfahrung aufgenommen.“

Am 19. Juli 2017 beantragte der Antragsteller, vertreten durch seine Bevollmächtigten, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Vollzug des in der Stadtratssitzung am 03.07.2017 gefassten Beschlusses, nach welchem „der Stadtrat die Stadtverwaltung beauftragt, umgehend das Protokoll der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr vom 25.01.2017 aus dem Gespräch der Stadt mit den Vertretern des Innenministeriums vom 19.01.2017 zum B2-Entlastungstunnel und möglicher Alternativen per Postwurfsendung zur Information an alle Haushalte im Gemeindegebiet der Stadt S. zu verteilen“, wobei das Schreiben ausschließlich folgenden Text enthält: [Text des Schreiben gemäß Nr. VII, s.o.], vorläufig zu unterlassen.

Die Bevollmächtigten des Antragstellers erachten den unter TOP 4 Nr. VII gefassten Stadtratsbeschluss vom 3. Juli 2017 als rechtswidrig, weil der Antragsteller zu Unrecht von der Beratung und Abstimmung ausgeschlossen worden sei. Da mit einer zeitnahen Vollziehung des Beschlusses zu rechnen sei, bestehe ein Anordnungsgrund und -anspruch auf vorläufige Unterlassung des Vollzugs.

Der Beschluss in Nr. VII könne dem Antragsteller keinen unmittelbaren Vor- oder Nachteil gemäß Art. 49 Abs. 1 Satz 1 GO bringen. Die dafür erforderliche adäquate Kausalität und ein individuelles Interesse im Sinne eines Sondervor- oder -nachteils seien jedenfalls hinsichtlich Beratung und Abstimmung von Nr. VII nicht gegeben. Denn anders als bei Abstimmung über die Zulassung eines Bürgerbegehrens selbst, bei welcher die wohl herrschende Literatur- und Kommentarmeinung eine persönliche Beteiligung jedenfalls der Vertreter des Bürgerbegehrens befürworte, könne ein bloßes Schreiben wie unter Nr. VII beschlossen keine solche unmittelbaren Vor- oder Nachteile zur Folge haben. Das geplante Schreiben gebe den aktuellen Stand über den Bau des B2-Tunnels neutral wieder. Auch das dem Schreiben als Anlage beizufügende Gesprächsprotokoll, das zwar letztendlich den Bau des B2-Tunnel präferiere, ändere daran nichts. Denn zum einen gehe aus dem Protokoll hervor, dass Alternativen zum Tunnel aktuell noch gar nicht abschließend beurteilt werden könnten. Zum anderen könnten sich Schreiben und Gesprächsprotokoll nicht negativ auf die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens auswirken, da das erforderliche Unterschriftsquorum bereits erreicht sei. Allein die Möglichkeit, dass sich Bürger infolge des Schreibens im Rahmen eines Bürgerentscheids gegen den Tunnel entscheiden würden, stelle noch keine Unmittelbarkeit im Sinne einer dafür notwendigen adäquaten Kausalität dar. Denn neben der Vollziehung des Beschlusses sei noch eine eigenständige Willensentscheidung notwendig; auch könne letztendlich nicht beurteilt werden, ob sich ein Bürger allein aufgrund des Schreibens oder dessen Anlage gegen den Tunnelbau entschieden habe.

Am 18. August 2017 beantragte der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen, und wies mit Schriftsatz vom 31. August 2017 auf die seines Erachtens gegebene Unzulässigkeit und Unbegründetheit des Antrags hin.

So fehle es gemäß § 42 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – analog bereits an einer Antragsbefugnis des Antragstellers, da nicht erkennbar sei, in welchen Rechten er möglicherweise verletzt sein solle. Denn ausweislich des Beschlussauszuges sei der Antragsteller ausschließlich und ausdrücklich bezüglich Beratung und Beschlussfassung zur Vorlage Nr. 2017/284 ausgeschlossen worden. Zu den weiteren, aufgrund des Antrags von Stadtrat F ergangenen Beschlüssen sei kein Antrag auf Ausschluss gestellt worden. Die Feststellung des Ausschlusses nach Art. 49 GO könne aber immer nur für einen bestimmten Gegenstand der Tagesordnung getroffen werden. Auch seinem Inhalt nach beziehe sich der zur Nr. VII gefasste Beschluss nicht auf Zulassung und Terminfestlegung des Bürgerbegehrens. Das Fernbleiben des Antragstellers von Beratung und Beschlussfassung der Nr. VII liege daher ausschließlich in dessen Risikobereich; dieses Fernbleiben könne den Beschluss aber nicht rechtswidrig und unwirksam machen. Eine mögliche Rechtsverletzung erscheine ausgeschlossen.

Aus diesem Grund sei der Eilantrag auch unbegründet. Höchstvorsorglich werde zudem vorgetragen, dass der Beschluss auch nach Art. 49 Abs. 1 GO nicht zu beanstanden sei. Wie der Antragsteller selbst einräume, entspreche es der herrschenden Meinung, den Vertreter eines Bürgerbegehrens bzw. den ersten Vorsitzenden eines ein Bürgerbegehren beantragenden Vereins von der Beschlussfassung über die Zulässigkeit und Terminsfestlegung wegen persönlicher Beteiligung auszuschließen. Wolle man – entgegen der Ansicht des Antragsgegners – davon ausgehen, dass der Beschluss zum Ausschluss des Antragstellers auch die Nr. VII des Antrags von Stadtratsmitglied F. mitumfasse, so wäre Voraussetzung dafür ein enger innerer tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang zwischen der Entscheidung über Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und Terminfestlegung einerseits und Verteilung der Postwurfsendung andererseits. Dies sei aber nicht gegeben. Würde dieser aber unterstellt, so müsse man auch im Hinblick auf Art. 49 Abs. 1 GO folgern, dass der Ausschluss bzgl. Nr. VII (aufgrund dieses Zusammenhangs) ebenso rechtmäßig sei, weil dieselben rechtlichen Maßstäbe gelten würden.

Am 28. Juli 2017 erging in der vorliegenden Verwaltungsstreitsache ein sog. Schiebe- bzw. Hängebeschluss, in welchem das Gericht der Antragsgegnerin den Vollzug des verfahrensgegenständlichen Stadtratsbeschluss bis zur Entscheidung über den Eilantrag untersagte.

Mit Eingang am 14. September 2017 erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers zudem Klage in der Hauptsache (M 7 K 17.4417) und beantragten die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 3. Juli 2017 zur Nr. VII TOP 4.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO analog, weil er durch den ihn von der Beratung und Abstimmung ausschließenden Beschluss bezüglich Nr. VII zu TOP 4 und dem drohenden Vollzug des sodann ohne seine Mitwirkung ergangenen Beschlusses im ihm als Stadtratsmitglied (organschaftlich) zustehenden eigenen Rechten verletzt ist. Durch die zwischenzeitlich erhobene Hauptsacheklage steht auch das Rechtschutzbedürfnis des Antragstellers außer Frage; eine Prüfung von § 123 VwGO i.V.m. § 926 ZivilprozessordnungZPO – erübrigt sich.

2. Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch (vgl. dazu 2.1) und einen Anordnungsgrund (vgl. dazu 2.2) glaubhaft gemacht,§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 und 4 ZPO.

Das Gericht kann nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m.§ 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, nach § 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen.

2.1 Der Antragsteller hat einen (Sicherungs-)Anordnungsanspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Vollzug des zur Nr. VII unter TOP 4 am 3. Juli 2017 gefassten Stadtratsbeschlusses zu unterlassen, glaubhaft gemacht. Der Vollzug dieses Beschlusses würde die Wahrnehmung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Antragstellers in seiner Funktion als Stadtratsmitglied (endgültig) vereiteln. Der Antragsteller wurde zu Unrecht gemäß Art. 49 Abs. 1 GO von der Beratung und Abstimmung zur Nr. VII unter TOP 4 ausgeschlossen (dazu 2.1.1), weil der Beschluss ihm keinen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann (dazu 2.1.2).

2.1.1 Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin umfasste der eingangs zu TOP 4 gefasste Beschluss, den Antragsteller von der Beratung und Abstimmung auszuschließen, auch den unter Nr. VII zu TOP 4 gefassten Stadtratsbeschluss über die Verteilung der Postwurfsendung.

Der Wortlaut des Beschlusses kann nach dem objektiven Empfängerhorizont (Rechtsgedanke der §§ 133, 157 Bürgerliches GesetzbuchBGB) nur dahingehend verstanden und ausgelegt werden, dass der Antragsteller zum gesamten TOP 4 und nicht nur zur Beschlussvorlage Nr. 2017/284 wegen persönlicher Beteiligung ausgeschlossen wurde. Ausweislich des Beschlussauszuges wurde insoweit vom Stadtrat beschlossen, den Antragsteller „bei der Beratung des Tagesordnungspunkts zur Zulässigkeit und zur Terminfestlegung des Bürgerbegehrens […] von Beratung und Abstimmung […] auszuschließen“. Unter diesem TOP (4) befasste sich der Stadtrat anschließend sowohl mit der Beschlussvorlage Nr. 2017/284 als auch mit dem Antrag von Stadtratsmitglied F. In der Sitzungsniederschrift (Beschlussauszug) findet sich an keiner Stelle eine Indiz dahingehend, dass der Stadtrat hier – nach außen und objektiv erkennbar – den TOP 4 in zwei oder mehr formal getrennte „Beratungs- oder Themenblöcke“, etwa durch Bildung von Untergliederungspunkten zum TOP 4, trennen wollte. Im Gegenteil wurden die Beschlussvorlage Nr. 2017/284, der Antrag von Stadtratsmitglied F. und auch sonstige Anträge anderer Stadtratsmitglieder zunächst zusammenhängend unter diesem TOP 4 beraten. Insbesondere hat laut Beschlussauszug Stadtratsmitglied F. seinen Antrag (Nrn. I bis VII) erörtert und zur Abstimmung gestellt, bevor es zur Abstimmung über die Beschlussvorlage Nr. 2017/284 kam. Anschließend an diese gemeinsame Beratung wurden unmittelbar nacheinander die Beschlussvorlage Nr. 2017/284 und die Nrn. I bis VII des Antrags von Stadtratsmitglied F. zur Abstimmung gestellt. Der Stadtrat ging also offensichtlich selbst davon aus, dass es sich um einen in sich geschlossenen, einheitlichen TOP handelt. Dann kann aber umgekehrt auch der Beschluss zum Ausschluss des Antragstellers für den gesamten TOP 4 nur in diesem Sinne verstanden werden – und wurde offensichtlich auch so verstanden, sowohl vom Stadtrat, als auch vom Antragsteller.

Der Beschluss zum Ausschluss des Antragstellers enthält auch seinem Wortlaut nach keine inhaltliche Beschränkung wie etwa dass der Antragsteller ausgeschlossen wird, soweit es um die Zulassung und Terminbestimmung des Bürgerbegehrens geht. Stattdessen spricht der Beschuss vom „Tagesordnungspunkt zur Zulässigkeit und Terminfestlegung“ und zitiert damit letztendlich nur die vollständige Benennung des TOPs aus der Ladung. Insbesondere geht – so aber vom Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vorgetragen – weder aus seinem Wortlaut, noch aus dem Kontext hervor, dass der TOP sich ausschließlich auf die Behandlung der Beschlussvorlage Nr. 2017/284 beschränken soll. Im Übrigen stände eine solche Beschränkung auch im Widerspruch zur Handhabung des Antrags von Stadtratsmitglied F. durch den Stadtrat. Der Antrag von Stadtratsmitglied F hat in seiner Nr. I – quasi spiegelbildlich zur Beschlussvorlage Nr. 2017/284 – nochmals unmittelbar die Zulassung des Bürgerbegehrens zum Gegenstand. Wäre also der Stadtrat davon ausgegangen, dass er den Antragsteller zunächst nur bezüglich der Beschlussvorlage Nr. 2017/284 ausgeschlossen hat, so hätte er den Antragsteller per separatem Beschluss jedenfalls auch bezüglich Nr. I des Antrags von Stadtratsmitglied F. ausschließen müssen. Auch dies spricht dafür, dass der Stadtrat seinen Beschluss zu Beginn von TOP 4 so verstanden (und dementsprechend auch so beschlossen) hat, dass der Ausschluss des Antragstellers für den gesamten TOP 4 gilt.

2.1.2 Der Ausschluss des Antragstellers von der Beratung und Abstimmung zur Nr. VII des Antrags von Stadtratsmitglied F. kann nicht auf Art. 49 Abs. 1 GO (und auch keine anderen Rechtsgrundlagen) gestützt werden, ist daher rechtswidrig und verletzt die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Antragstellers als Stadtratsmitglied. Der Antragsteller war betreffend den Beschlussgegenstand nicht nach Art. 49 Abs. 1 GO persönlich beteiligt, weil es insoweit an der Unmittelbarkeit eines möglichen Vor- oder Nachteils für ihn fehlt.

Zum einen ist die Verteilung der Postwurfsendung mit deren beschlossenem Inhalt kein von einem bloßen Gruppeninteresse abgrenzbarer „Sondervor- oder -nachteil“ für den Antragsteller (vgl. zum Ganzen Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Kommentar, 28. EL Stand Dezember 2015, Art. 49 Rn. 11 ff. m.w.N.). Denn anders als bei der Beschlussfassung zur Zulässigkeit und Terminfestlegung des Bürgerbegehrens ist der Antragsteller insoweit gerade nicht beziehungsweise nicht direkt als Vertretungsberechtigter des Bürgerbegehrens betroffen. Die Nr. VII des Antrags von Stadtratsmitglied F. befasst sich nicht mit dem Bürgerbegehren, sondern geht im Gegenteil sogar davon aus, dass dieses (gemäß Beschluss zu Nr. I) unzulässig ist und daher kein Bürgerentscheid stattfindet. Die Postwurfsendung soll also, wie letztendlich auch Antragsteller und Antragsgegnerin übereinstimmend vortragen, einer allgemeinen politischen Information der Bürger zum Sachstand der Tunnelplanungen und möglicher Alternativen dienen. Freilich betrifft dies den Antragsteller mittelbar – aber eben nicht unmittelbar –, weil er mit dem initiierten Bürgerbegehren den Tunnelbau verhindern will, während das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr in der Niederschrift von 25. Januar 2017 letztendlich eine „Tunnellösung“ favorisiert. Dies berührt aber zunächst nur die allgemeine politische Willensbildung und Einstellung des Antragstellers; er unterscheidet sich insoweit nicht von anderen Gemeinderatsmitgliedern oder Bürgern, die sich ebenfalls gegen einen Tunnelbau positioniert haben. Denn anders als bei der Entscheidung über die Zulassung der Bürgerbegehrens, die unmittelbar einen an den Antragsteller als Vertretungsberechtigten adressierten (Nicht-)Zulassungsbescheid zur Folge hat, weswegen er nach wohl herrschender Meinung persönlich beteiligt ist (vgl. dazu umfassend Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Kommentar, 64. EL Stand Juli 2017, Nr. 13.08 S. 14d ff.), zeitigt allein die Verteilung der Postwurfsendung keine weiteren, individualisierbaren Konsequenzen für ihn. Im Hinblick auf Nr. VII des Antrags von Stadtratsmitglied F. ist der Antragsteller letztendlich vergleichbar zu Gemeinderatsmitgliedern, welche ein Bürgerbegehren bloß mitunterzeichnet haben. Für letztere verneint aber die wohl herrschende Meinung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil selbst bei der Abstimmung über die Zulassung eines Bürgerbegehrens (vgl. dazu Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern Nr. 13.08 S. 14f m.w.N.).

Unabhängig davon fehlt es jedenfalls an der für einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil notwendigen adäquaten Kausalität. Sollte – der derzeitigen Beschlusslage des Stadtrats folgend – kein Bürgerentscheid stattfinden, ist schon kein durch die Verteilung der Postwurfsendung verursachter (Sonder-)Nachteil für den Antragsteller erkennbar. Selbst wenn man aber unterstellt, dass es noch zu einem Bürgerentscheid kommt und die Postwurfsendung die Bürger dazu quasi im Vorgriff über die Position der Antragsgegnerin informiert, ist der Antragsteller allein dadurch noch nicht unmittelbar, ohne weitere Zwischenschritte, benachteiligt. Denn eine Zustimmung zum oder eine Ablehnung des Bürgerbegehrens ist, wie die Bevollmächtigten des Antragstellers zutreffend ausführen, die freie Willensentscheidung der Bürger. Dass sich die Bürger aufgrund der Postwurfsendung möglicherweise entscheiden, das Bürgerbegehren abzulehnen, ist für sich noch kein adäquat kausaler Nachteil für den Antragsteller. Das Formulieren und Kommunizieren von politischen Positionen ist Kernaufgabe eines Stadtrats. Eine politische Positionsentscheidung durch die Mehrheit eines Stadt- oder Gemeinderats ist zugleich spiegelbildlich ein mittelbarer politischer, gegebenenfalls aber auch ideeller Nachteil für die eine andere Ansicht vertretende, unterliegende Minderheit. Solche Konstellationen will Art. 49 GO nicht erfassen.

Nur ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass sich – wie der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin ausführt – allein aus der Erörterung der Beschlussvorlage Nr. 2017/284 und des Antrags Nr. VII des Stadtrats F unter einem gemeinsamen TOP 4 keine Art „funktionaler“, enger inhaltlicher und rechtlicher Zusammenhang ergibt, der doch zu einer persönlichen Beteiligung des Antragstellers führt. Entscheidend für die Frage der persönlichen Beteiligung an einem Erörterungsgegenstand ist grundsätzlich nicht dessen formale Behandlung (getrennte Befassung oder gemeinsamer TOP), sondern der zugrundeliegende Lebenssachverhalt.

2.1.3 Der Stadtrat hätte im Laufe der Sitzung, jedenfalls sobald klar wurde, dass es im Rahmen von Nr. VII des Antrags von Stadtratsmitglied F. nicht mehr um die Zulassung des Bürgerbegehrens geht, den Antragsteller per Beschluss, der den ursprünglichen Beschluss abändert, an den Ratstisch zurückholen können und müssen. Dies ist aber laut Beschlussauszug nicht geschehen, so dass der Antragsteller durch den Stadtrat von der Beratung und Beschlussfassung des gesamten TOP 4 ausgeschlossen blieb. Eine Eigenverantwortlichkeit des Antragstellers oder ein von ihm zu tragendes „eigenes Risiko“ ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar. Wird ein Gemeinde- oder Stadtratsmitglied von Beratung und Abstimmung wegen persönlicher Beteiligung ausgeschlossen, obwohl die Voraussetzungen des Art. 49 Abs. 1 GO nicht vorlagen, ist der ohne Mitwirkung des ausgeschlossene Mitglieds gefasste Beschluss wegen Verstoßes gegen eine zwingende Verfahrensvorschrift nichtig (Widtmann/Grasser/Glaser, Art. 49 Rn. 19 m.w.N.).

2.2 Der Antragsteller hat zudem einen Antragsgrund glaubhaft gemacht. Die Erste Bürgermeisterin und in der Folge auch die im Stadtratsbeschluss beauftragte Stadtverwaltung sind gemäß Art. 36 Satz 1 GO grundsätzlich verpflichtet, Stadtratsbeschlüsse wie den verfahrensgegenständlichen zu vollziehen. Dem Wortlaut des Stadtratsbeschlusses folgend sollte der Vollzug zudem „umgehend“ erfolgen. Dadurch droht eine endgültige Vereitelung der subjektiven Rechte des Antragstellers.

3. Im Ergebnis war dem Antrag daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz – GKG.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat;
3.
wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
4.
wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
5.
um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(3) Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden,

1.
wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(4) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.

(5) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(6) Wird ein begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 bis 5 widerrufen, so hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist. § 48 Abs. 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. Für Streitigkeiten über die Entschädigung ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.

(1) Durch die Planfeststellung wird die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt; neben der Planfeststellung sind andere behördliche Entscheidungen, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen nicht erforderlich. Durch die Planfeststellung werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt.

(1a) Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können; die §§ 45 und 46 bleiben unberührt.

(2) Ist der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden, so sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auf, so kann der Betroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Sie sind dem Träger des Vorhabens durch Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so richtet sich der Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld. Werden Vorkehrungen oder Anlagen im Sinne des Satzes 2 notwendig, weil nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens auf einem benachbarten Grundstück Veränderungen eingetreten sind, so hat die hierdurch entstehenden Kosten der Eigentümer des benachbarten Grundstücks zu tragen, es sei denn, dass die Veränderungen durch natürliche Ereignisse oder höhere Gewalt verursacht worden sind; Satz 4 ist nicht anzuwenden.

(3) Anträge, mit denen Ansprüche auf Herstellung von Einrichtungen oder auf angemessene Entschädigung nach Absatz 2 Satz 2 und 4 geltend gemacht werden, sind schriftlich an die Planfeststellungsbehörde zu richten. Sie sind nur innerhalb von drei Jahren nach dem Zeitpunkt zulässig, zu dem der Betroffene von den nachteiligen Wirkungen des dem unanfechtbar festgestellten Plan entsprechenden Vorhabens oder der Anlage Kenntnis erhalten hat; sie sind ausgeschlossen, wenn nach Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustands 30 Jahre verstrichen sind.

(4) Wird mit der Durchführung des Plans nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen, so tritt er außer Kraft. Als Beginn der Durchführung des Plans gilt jede erstmals nach außen erkennbare Tätigkeit von mehr als nur geringfügiger Bedeutung zur plangemäßen Verwirklichung des Vorhabens; eine spätere Unterbrechung der Verwirklichung des Vorhabens berührt den Beginn der Durchführung nicht.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Änderung einer naturschutzrechtlichen Ersatzmaßnahme eines Planfeststellungsbeschlusses.

2

Mit Planfeststellungsbeschluss (PFB) des Eisenbahn-Bundesamtes vom 10. August 1995 wurde der Plan für das Vorhaben "Neubaustrecke Erfurt - Leipzig/Halle, Planfeststellungsabschnitt 1.4, 110-kV-Bahnstromleitung" festgestellt. Das Vorhaben ist Teil des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 8 und betrifft die Stromversorgung der Neubaustrecke.

3

Sein Landschaftspflegerischer Begleitplan (LBP) sieht im Bereich der Hochspannungsmasten 5 und 6 die Anpflanzung einer Gehölzfläche (F/E 2) und eines zweigliedrigen Gehölzstreifens (F/E 3) vor; sie sind in der Maßnahmekarte 4.5.2 (Blatt 3) und in dem Grunderwerbsplan Blatt 3.3.2 (Blatt 2) räumlich dargestellt. Der Gehölzstreifen soll als Ersatzmaßnahme die Trennung von Aktionsräumen der Avifauna und eine mögliche Gefährdung einzelner Tiere (Drahtanflug) kompensieren. Der westliche Teil des Gehölzstreifens befindet sich auf dem Grundstück der Gemarkung G., Flur ..., Flurstück .... Er fügt sich südlich an einen Weg, der - soweit ersichtlich - auf der Dammkrone der ehemaligen "Buchenwaldbahn" verläuft, und erstreckt sich mit einer Breite von etwa 10 bis 18 m von der östlichen Grundstücksgrenze rund 218 m entlang der südlichen Grundstücksgrenze. Der Kläger ist Inhaber eines Saatgutunternehmens und seit 10. Juni 2005 Eigentümer dieses Grundstücks. In der Bilanztabelle des Landschaftspflegerischen Begleitplans (Tabelle 15) ist die Maßnahme (Nr. F/E 3) mit der "Kurzbeschreibung" "Anpflanzung eines Gehölzstreifens" genannt. Darunter finden sich zu "Ziel und Begründung" der Maßnahme die Aussagen "Bepflanzung eines ehemaligen Bahndammes" und "Schaffung anderweitiger Lebensräume".

4

Die Beigeladene hat den Gehölzstreifen im Mai 2012 anlegen und einzäunen lassen, ohne hierüber mit dem Kläger eine Verständigung herbeigeführt zu haben oder vorzeitig in den Besitz eingewiesen worden zu sein.

5

Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2013 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf § 18d AEG, den Landschaftspflegerischen Begleitplan des Planfeststellungsbeschlusses zu ändern. Der Gehölzstreifen solle verlegt und entsprechend einer beigefügten Karte auf dem ehemaligen Bahndamm verwirklicht werden. Dazu solle die Fläche des Weges genutzt werden, die ebenfalls zu seinem Grundstück gehöre. Selbst unter Belassung des Weges sei beidseits auf dem Bahndamm ausreichend Fläche für den Gehölzstreifen vorhanden. Bei der planungsrechtlichen Abwägung sei übersehen worden, dass nicht der Bahndamm, sondern wertvolle landwirtschaftliche Nutzfläche in Anspruch genommen werde. Von den Voreigentümern seien keine Einwände erhoben worden, offenbar in der Annahme, es solle der Bahndamm und nicht das Ackerland bepflanzt werden.

6

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Das Änderungsbegehren sei unbegründet, weil ihm die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses entgegenstehe. Lasse ein Eigentümer einen Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar werden, stünden auch seinem Rechtsnachfolger Abwehrrechte nicht mehr zu. In einem Begleitschreiben führte die Beklagte weiter aus, sie habe aus Anlass des Antrags geprüft, ob eine Änderung des festgestellten Vorhabens im Zuge einer eventuellen Rücknahme oder eines Widerrufs des Planfeststellungsbeschlusses in Betracht zu ziehen sei. Das sei nicht der Fall. Eine Rücknahme scheide jedenfalls deshalb aus, weil der Planfeststellungsbeschluss ohne Abwägungsmängel ergangen sei. Planungsalternativen hätten sich nach Lage der Dinge nicht aufgedrängt, Einwendungen seien von den Rechtsvorgängern des Klägers nicht erhoben worden. Die Regelung des § 15 Abs. 3 BNatSchG sei erst mit der Bekanntmachung des Gesetzes vom 29. Juli 2009 in Kraft getreten.

7

Der Kläger hat am 24. November 2014 Klage erhoben. Zur Begründung hat er weiter ausgeführt: Die Kurzbeschreibung der landschaftspflegerischen Begleitmaßnahme widerspreche der Maßnahmekarte. Insoweit sei der Planfeststellungsbeschluss auch nicht bestandskräftig, wenngleich die Voreigentümer - eine Erbengemeinschaft - keinen Rechtsbehelf eingelegt hätten. Seinem Alternativvorschlag stehe der Untergrund des Weges nicht entgegen. Auch bestehe weder eine Grunddienstbarkeit noch ein Notwegerecht. Seine Klage ziele auf die Behebung eines erheblichen Mangels, der bei der Abwägung unbemerkt geblieben sei. Hinzu komme, dass die Maßnahme von der Beigeladenen rechtswidrig durchgeführt worden sei und sie hierdurch nicht begünstigt werden dürfe.

8

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 23. Oktober 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss vom 10. August 1995 dahin zu ändern, dass der Gehölzstreifen auf dem Grundstück der Gemarkung G., Flur ..., Flurstück ... gemäß der dem Antrag vom 27. Dezember 2013 beigefügten Skizze anzupflanzen ist.

9

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung verweist die Beklagte auf den angefochtenen Bescheid nebst Begleitschreiben. Auf den Karten sei klar zu erkennen, welche Teilfläche des Grundstücks beansprucht werde. Dem stehe die Maßnahmebeschreibung der Bilanztabelle nicht entgegen.

11

Der Senat (Berichterstatter) hat einen Orts- und Erörterungstermin durchgeführt. Bemühungen um eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits sind erfolglos geblieben. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Änderung der planfestgestellten Regelung.

13

1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aus § 5 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, § 11 Abs. 2 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes - VerkPBG - vom 16. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2174), zuletzt geändert durch Art. 464 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474). Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet danach über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren der von diesem Gesetz erfassten Vorhaben betreffen (§ 5 Abs. 1 VerkPBG). Diese Zuständigkeit ist grundsätzlich weit zu verstehen. Sie erfasst alle Verwaltungsstreitsachen, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren nach § 1 VerkPBG haben, also Teil der genehmigungsrechtlichen Bewältigung des Vorhabens sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2016 - 3 VR 4.16 [ECLI:DE:BVerwG:2016:151216B3VR4.16.0] - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 23 Rn. 11 m.w.N.).

14

Die planfestgestellte Bahnstromleitung ist eine für den Betrieb der Neubaustrecke Erfurt-Leipzig/Halle notwendige Anlage, deren Planung vor dem 17. Dezember 2006 begonnen wurde. Sie fällt damit in den Anwendungsbereich des Gesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, § 11 Abs. 2 VerkPBG). Soweit mit der Klage der Planfeststellungsbeschluss und dessen Regelungsgehalt selbst in Rede stehen, ergibt sich daraus die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres. Sie ist aber auch für das den Planfeststellungsbeschluss unmittelbar betreffende Begehren gegeben, diesen nachträglich im Rahmen einer Rücknahme oder eines Widerrufs zu ändern (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 - 4 A 2.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:280416U4A2.15.0] - BVerwGE 155, 81 Rn. 15 f.).

15

2. Planfestgestellt ist der Gehölzstreifen auf den in der Maßnahmekarte 4.5.2 (Blatt 3) und im Grunderwerbsplan Blatt 3.3.2 (Blatt 2) dargestellten Flächen.

16

Für die Auslegung des Inhalts eines Planfeststellungsbeschlusses ist entsprechend der §§ 133, 157 BGB der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Adressatenkreis bei objektiver Würdigung verstehen muss (vgl. allgemein zum Verwaltungsakt BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 C 23.13 - Buchholz 451.505 Einzelne Stützungsregelungen Nr. 7 Rn. 18 m.w.N.).

17

Der Landschaftspflegerische Begleitplan mit dem Erläuterungsbericht und seinen Maßnahmekarten ist ebenso wie das Grunderwerbsverzeichnis nebst den Grunderwerbsplänen Teil der planfestgestellten Unterlagen (PFB S. 2 ff.). Nach dem Erläuterungsbericht zum Landschaftspflegerischen Begleitplan werden alle Maßnahmen mit ihrem konkreten Flächen- und Objektbezug in Maßnahmekarten im Maßstab 1:2 000 dargestellt (LBP S. 42). Entsprechend stellt die Maßnahmekarte 4.5.2 den Gehölzstreifen (Maßnahme F/E 3) auf einer Flurkarte zeichnerisch dar und bestimmt so die räumliche Inanspruchnahme des Grundstücks des Klägers. Der Gehölzstreifen fügt sich südlich an den vorhandenen Weg und nimmt damit die dort befindliche landwirtschaftliche Nutzfläche in Anspruch. Die Maßnahmekarte deckt sich mit dem Grunderwerbsplan Blatt 3.3.2 (Blatt 2). Er ist dem Grunderwerbsverzeichnis beigegeben und ermöglicht den Eigentümern der dort genannten Grundstücke, die konkrete Betroffenheit der Grundstücke zu bestimmen. Im Übrigen enthält der Landschaftspflegerische Begleitplan keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass der vorhandene, sich östlich wie westlich fortsetzende Weg hätte beseitigt werden sollen.

18

Allerdings mag die Beschreibung der Maßnahme in der Bilanztabelle des Landschaftspflegerischen Begleitplans mit der Aussage "Bepflanzung eines ehemaligen Bahndammes" Fehlvorstellungen hervorrufen, soweit sie isoliert in den Blick genommen wird. Dazu ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Bilanztabelle ohne Hinzunahme der Maßnahmekarte schon keinen Bezug zu den betroffenen Grundstücken ermöglicht. Vor allem aber enthält die Tabelle lediglich eine stichwortartige Kurzbeschreibung. Die hier bedeutsame Aussage findet sich bei dem Unterpunkt "Ziel und Begründung", dient also ersichtlich nicht dazu, die Maßnahme räumlich abzugrenzen. Unter diesen Umständen ist aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht zweifelhaft, dass sich die örtliche Lage des Gehölzstreifens und damit die Grundstücksbetroffenheit allein aus der Maßnahmekarte und dem Grunderwerbsplan ergeben. Der Planfeststellungsbeschluss leidet daher nicht an einem unauflösbaren Widerspruch (Perplexität), weshalb auch keine Teilnichtigkeit - Nichtigkeit der angeordneten Ersatzmaßnahme - in Betracht kommt (§ 43 Abs. 3, § 44 Abs. 1, § 37 Abs. 1 VwVfG).

19

3. Der Planfeststellungsbeschluss ist mit der streitigen Regelung zu dem Gehölzstreifen gegenüber den Voreigentümern des Grundstücks unanfechtbar geworden, weil diese nach Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses keine Klage erhoben haben. Die damit eintretende Bestandskraft muss sich der Kläger, der das Grundstück im Jahr 2005 von den Voreigentümern erworben hat, als Rechtsnachfolger entgegenhalten lassen. Das hat zur Folge, dass er die Inanspruchnahme des Grundstücks für die Anpflanzung des Gehölzstreifens als naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme zu dulden hat (§ 75 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Selbst wenn die Beschreibung des Gehölzstreifens in der Bilanztabelle bei den Voreigentümern zu einer Fehlvorstellung geführt haben sollte und sie deshalb die Klagefrist haben verstreichen lassen, so ließe sich allenfalls eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erwägen (§ 60 VwGO). Sie scheidet ungeachtet § 60 Abs. 3 VwGO schon deshalb aus, weil der Regelungsgehalt des Planfeststellungsbeschlusses bei der gebotenen Sorgfalt ohne weiteres hätte erkannt werden können (§ 60 Abs. 1 VwGO).

20

4. Aus § 18d AEG lässt sich ein Anspruch des Klägers auf die begehrte Planänderung nicht ableiten.

21

Anknüpfend an den Grundsatz der Planerhaltung, der die Fehlerfolgen erheblicher Mängel der Planfeststellung begrenzt (§ 18c AEG i.V.m. § 75 Abs. 1a VwVfG), und für den Fall der Planänderung vor Fertigstellung des Vorhabens regelt § 18d AEG mit seinem Verweis auf § 76 VwVfG, in welchen Fällen von der Durchführung eines neuen Planfeststellungsverfahrens abgesehen werden kann und welche Verfahrenserleichterungen darüber hinaus in Betracht kommen. Die Verfahrensvorschrift setzt damit voraus, dass eine Planänderung überhaupt möglich ist, regelt aber nicht "ob", sondern nur "wie" diese gegebenenfalls durchzuführen ist.

22

Jenseits der Fälle, in denen die Anfechtung eines Planfeststellungsbeschlusses zu einem ergänzenden Verfahren führt, ermöglicht § 18d AEG i.V.m. § 76 Abs. 2 VwVfG dem Vorhabenträger, vor Fertigstellung des Vorhabens unwesentliche Änderungen des festgestellten Plans in einem vereinfachten Verfahren feststellen zu lassen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so hat der Vorhabenträger Anspruch auf Durchführung eines Planänderungsverfahrens ebenso, wie er allgemein die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens verlangen kann (§§ 73, 22 Satz 2 Nr. 1 VwVfG). Dritte haben keinen Anspruch auf den Fortbestand der ursprünglichen Planung, auch wenn der Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig geworden ist (BVerwG, Urteil vom 14. September 1992 - 4 C 34.89 - BVerwGE 91, 17 <23>).

23

Geht eine Planänderung hingegen nicht vom Vorhabenträger aus, so hat die Planfeststellungsbehörde die Bestandskraft eines Planfeststellungsbeschlusses zu beachten (vgl. § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Das Planfeststellungsrecht verweist hierfür auf die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes, wovon lediglich § 51 VwVfG ausgenommen ist (§ 18 Satz 3 AEG, § 72 Abs. 1 VwVfG). Entsprechend ist anerkannt, dass die Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf eines Verwaltungsaktes (§§ 48, 49 VwVfG) grundsätzlich auch auf Planfeststellungsbeschlüsse anwendbar sind. Auf Antrag eines betroffenen Dritten kann ein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschluss mithin nur unter den Voraussetzungen der §§ 48 oder 49 VwVfG geändert werden. Ein auf diese Vorschriften gestützter Anspruch kann allerdings nicht weiter gehen als der durch den Planerhaltungsgrundsatz modifizierte Aufhebungsanspruch bei fristgerechter Anfechtung (BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 - 4 A 2.15 - BVerwGE 155, 81 Rn. 22, 31 m.w.N.).

24

5. Die Voraussetzungen des § 48 VwVfG liegen nicht vor. Für eine Rechtswidrigkeit der streitigen Regelung des Planfeststellungsbeschlusses zu dem Gehölzstreifen ist nichts ersichtlich.

25

a) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Rechtmäßigkeit eines (eisenbahnrechtlichen) Planfeststellungsbeschlusses ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 7 B 18.12 - juris Rn. 27 m.w.N.). Folglich ist das in dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542) in § 15 Abs. 3 BNatSchG ausdrücklich enthaltene Rücksichtnahmegebot, insbesondere für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen, für die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses ohne Bedeutung. Der Hinweis des Klägers auf § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG führt dabei nicht weiter. Es geht hier nicht um nicht voraussehbare Wirkungen eines festgestellten Plans, die zu Schutzansprüchen führen können.

26

b) Die Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses ergibt sich auch nicht aus einem Abwägungsfehler. Der Kläger meint, es sei übersehen worden, dass nicht der Bahndamm, sondern wertvolle landwirtschaftliche Nutzfläche in Anspruch genommen werde. Damit greift er auf die Beschreibung der Ersatzmaßnahme in der Bilanztabelle des Landschaftspflegerischen Begleitplans zurück. Diese Beschreibung ist jedoch - wie ausgeführt - für die Lage des Gehölzstreifens nicht aussagekräftig. Aus der Maßnahmekarte wie auch aus dem Grunderwerbsplan ergibt sich klar, dass der Gehölzstreifen nicht auf dem Weg, sondern auf der angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzfläche verwirklicht werden soll. Entsprechend weist das Grunderwerbsverzeichnis die Nutzung des Grundstücks mit A (Ackerbau) und VS (Straßenverkehrsfläche) aus. Die Anordnung des Gehölzstreifens entlang des Weges entspricht im Übrigen der Grundaussage des Erläuterungsberichts, Gehölzreihen vorrangig an vorhandenen landschaftlichen Leitstrukturen auszurichten (LBP S. 22). Es besteht daher kein Anhaltspunkt dafür, dass die Planfeststellungsbehörde von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sein könnte oder sonst nach damaliger Lage der Dinge abwägungsfehlerhaft entschieden hätte.

27

6. Auch auf die Bestimmung über den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts vermag der Kläger sein Begehren nicht zu stützen. Der Planfeststellungsbeschluss ist ein die Beigeladene begünstigender Verwaltungsakt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Der danach einzige hier näher in Betracht zu ziehende Widerrufstatbestand des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwVfG ist nicht gegeben.

28

Es ist bereits sehr zweifelhaft, ob mit dem Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 3 BNatSchG eine Rechtsänderung eingetreten ist, aufgrund der die Planfeststellungsbehörde berechtigt gewesen wäre, eine andere Regelung zu erlassen. Das spezielle Rücksichtnahmegebot wäre bei der Prüfung und Abwägung eventueller Alternativen von Bedeutung. Im Rahmen dieser Prüfung war es jedoch bereits zum Zeitpunkt der Planfeststellung möglich und geboten, die Bedeutung der landwirtschaftlichen Nutzung zu berücksichtigen. Jedenfalls aber fehlt es an einer Gefährdung des öffentlichen Interesses. Das wäre nur der Fall, wenn ohne den Widerruf ein wichtiges Gemeinschaftsgut gefährdet wäre (BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1992 - 7 C 38.90 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 25 S. 8). Die Bestimmung des § 15 Abs. 3 BNatSchG bringt lediglich ein allgemeines öffentliches Interesse an der Rücksichtnahme auf agrarstrukturelle Belange zum Ausdruck. In dem hier vorliegenden Entzug einer begrenzten landwirtschaftlichen Nutzfläche zugunsten eines Gehölzstreifens lässt sich aber jenseits der privaten Interessen des Klägers keine Gefahr für ein wichtiges Gemeinschaftsgut erkennen.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem unterlegenen Kläger aufzuerlegen, da sie einen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat;
3.
wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
4.
wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
5.
um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(3) Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden,

1.
wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(4) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.

(5) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(6) Wird ein begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 bis 5 widerrufen, so hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist. § 48 Abs. 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. Für Streitigkeiten über die Entschädigung ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses des Eisenbahn-Bundesamtes vom 28.01.2005 für den Umbau des Bahnknotens Stuttgart „Projekt Stuttgart 21“ im Planfeststellungsabschnitt 1.1 (Talquerung mit neuem Hauptbahnhof) und des Planfeststellungsbeschlusses derselben Behörde vom 19.08.2005 im Planfeststellungsabschnitt 1.2 (Fildertunnel).
Er ist Miteigentümer des Grundstücks Flst.Nr. 1322 der Gemarkung Stuttgart. Das Grundstück befindet sich am Übergang der Planfeststellungsabschnitte 1.1 und 1.2, die bestandskräftig planfestgestellt sind. Es wird für das Vorhaben zu einem geringen Teil dauerhaft und zum überwiegenden Teil vorübergehend in Anspruch genommen, teilweise wird es dinglich beschränkt. Auf dem Grundstück ist die Einfahrt zum sog. Fildertunnel geplant. Das auf dem Grundstück stehende Wohngebäude S... Straße ..., in dem sich die Wohnung des Klägers befand, ist im Oktober 2013 abgerissen worden, nachdem die Beigeladene vorzeitig in den Besitz des Grundstücks eingewiesen worden und ein Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die vorzeitige Besitzeinweisung erfolglos geblieben war (Beschluss des Senats vom 19.09.2013 - 5 S 1546/13 -, juris und nachfolgend: BVerfG, Beschluss vom 20.09.2013 - 1 BvQ 41/13 -).
Gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 28.01.2005 für den Planfeststellungsabschnitt 1.1 hatte der Kläger erfolglos Klage erhoben (Senatsurteil vom 06.04.2006 - 5 S 848/05 -). Den Planfeststellungsbeschluss vom 19.08.2005 für den Planfeststellungsabschnitt 1.2 hatte der Kläger nicht angefochten; er hatte im Anhörungsverfahren auch keine Einwendungen erhoben. Im Mai 2012 beantragte der Kläger beim Eisenbahn-Bundesamt, den Planfeststellungsbeschluss für den Planfeststellungsabschnitt 1.1 aufzuheben. Seinen im Juni 2012 zur Sicherung des geltend gemachten Anspruchs gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte der Senat mit Beschluss vom 13.08.2012 (- 5 S 1200/12 -, juris) ab. Seine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.2013 - 1 BvR 2614/1 -, juris). Seine ebenfalls gegen den Beschluss des Senats vom 08.08.2012 erhobene Anhörungsrüge hat der Senat mit Beschluss vom 15.11.2012 (- 5 S 1812/12 -) zurückgewiesen.
Bereits am 10.12.2012 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, ihm stehe ein Anspruch auf Aufhebung in Form eines Widerrufs nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG der Planfeststellungsbeschlüsse für die Planfeststellungsabschnitte 1.1 und 1.2 zu, weil es aufgrund neu eingetretener Tatsachen an einem positiven Gesamturteil für das Projekt „Stuttgart 21“ fehle. Denn wegen dieser neuen Tatsachen könnten die noch ausstehenden Planfeststellungsbeschlüsse für die Planfeststellungsabschnitte 1.3 und 1.6b nicht mehr erlassen werden. Ohne diese Planfeststellungsbeschlüsse könne das Gesamtprojekt jedoch nicht verwirklicht werden. Die Abschnitte 1.3 und 1.6b seien mangels Planrechtfertigung nicht genehmigungsfähig, denn das Gesamtprojekt stelle wegen fehlender Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs einen planerischen Missgriff dar und zudem sei seine Finanzierung ausgeschlossen.
Dr. Engelhardt habe in seinen Stellungnahmen vom 07.06.2012 und vom 06.06.2014 nachgewiesen, dass die Kapazität des derzeitigen Kopfbahnhofs von 50 Zügen pro Stunde auf 32 Züge pro Stunde sinke, wenn das Projekt eines Durchgangsbahnhofs verwirklicht werde. Damit werde das Projektziel der Leistungssteigerung nicht erreicht; im Gegenteil sinke die Leistung. Die Prognosen der Gutachter der Bahn, die von einer “ausreichenden und zukunftssicheren Bemessung des Projekts Stuttgart 21“ ausgingen, seien fehlerhaft. Gleiches gelte für den sog. Stresstest. Dr. Engelhardt habe nachgewiesen, dass die Feststellung der Leistungsfähigkeit auf einer Auslegungsleistung von nur 32 Zügen beruhe. Bereits das vom Senat im Verfahren - 5 S 848/05 - als maßgeblich bezeichnete „Szenario A“, der Fahrplan also, zu dessen Umsetzung „S 21“ ausgelegt und bemessen worden sei, sehe in der Spitzenstunde lediglich 32 Züge vor, wie sich aus dem Urteil des Senats vom 06.04.2006 ergebe.
Da die für die Beigeladene tätigen Gutachter den wahren Sachverhalt eines Kapazitätsrückbaus verschleiert und damit verhindert hätten, dass der „geplante Engpass“ von ihm selbst und vom erkennenden Senat habe erkannt werden können, liege ein Beweisnotstand vor. Ein solcher Beweisnotstand habe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Folge, dass die ihm erst nach Abschluss des Vorprozesses eröffnete Möglichkeit der Beschaffung neuer Beweismittel einer Änderung des Sachverhalts gleichstehe.
Die Planrechtfertigung sei zudem auch deshalb entfallen, weil die Finanzierung des Gesamtprojekts ausgeschlossen sei. Wegen der gesteigerten Kosten sei eine neue Finanzierungsvereinbarung geschlossen worden. Diese verstoße wegen der finanziellen Beteiligung des Landes gegen Art. 104a Abs. 1 GG und sei nichtig. Als eigentumsrechtlich Betroffener habe er einen Anspruch auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Finanzierungsvertrages. Aus Art. 87e Abs. 3 und 4 GG folge, dass der Bund für den Bau und Erhalt des Schienennetzes zuständig sei. Die Zuständigkeit der Länder erstrecke sich nur auf das Verkehrsangebot des Schienenpersonennahverkehrs, also auf die Beförderungsleistung auf den Schienen. Das Projekt „S 21“ gehöre zur Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes, weil es den Bahnknoten Stuttgart in die Aus- und Neubaustrecke Stuttgart-Augsburg einbinde. Diese Einbindung müsste auch ohne den Bau von „S 21“ vorgenommen werden. Eine finanzielle Beteiligung des Landes verstoße daher gegen Art. 104a GG, weil dem Finanzierungsanteil kein Aufgabenanteil entspreche. Die Verfassungswidrigkeit der Landesbeiträge führe zur Nichtigkeit der entsprechenden Klauseln in den Finanzierungsverträgen, die Zahlungspflichten der Landesseite vorsähen. Die Nichtigkeit führe wiederum zu einer Finanzierungslücke in entsprechender Höhe, denn weder die Vorhabenträgerin noch der Bund hätten eine Bereitschaft erklärt, bei einem Ausfall der Landesfinanzierung für die Mehrkosten einzustehen. Beide hätten im Gegenteil erklärt, keine weiteren Anteile zu leisten.
Die Planrechtfertigung fehle schließlich auch deshalb, weil der Plan für den Abschnitt 1.3 ohnehin nicht festgestellt werden könne. Dies habe das Eisenbahn-Bundesamt der Vorhabenträgerin mit Schreiben vom 13.01.2006 mitgeteilt, das ihm seinerzeit vorenthalten worden sei. Wegen dieses Vorenthaltens habe er sich im Vorprozess im Beweisnotstand befunden. Ohne den Abschnitt 1.3 entfalle aber das für das Projekt erforderliche „vorläufige positive Gesamturteil“.
Aufgrund der neuen Tatsachen wäre das Eisenbahn-Bundesamt nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Planfeststellungsbeschlüsse für die Abschnitte 1.1 und 1.2 nicht zu erlassen. Außerdem werde angesichts seiner eigenen Eigentumsbeeinträchtigung sowie derer zahlreicher anderer Betroffener ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet. Ihm stehe ein Anspruch auf Widerruf zu, weil das durch § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG eröffnete Ermessen auf Null reduziert sei.
10 
Die genannten Gründe erfüllten im Übrigen auch die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG. Schließlich stehe ihm auch ein Anspruch auf Rücknahme nach § 48 VwVfG zu.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
1. die Beklagte zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss für den Umbau des Bahnknotens Stuttgart „Projekt Stuttgart 21“ im Planfeststellungsabschnitt 1.1 (Talquerung mit neuem Hauptbahnhof) vom 28.01.2005 und den Planfeststellungsbeschluss im Planfeststellungsabschnitt 1.2 (Fildertunnel) vom 19.08.2005 aufzuheben,
13 
2. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag an das Eisenbahn-Bundesamt vom 06.05.2012 unter Aufhebung der unter Nr.1 genannten Planfeststellungsbeschlüsse und Erlass einer Baustoppverfügung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
14 
3. hilfsweise - unabhängig vom Hilfsantrag zu 2 - die Beklagte zu verpflichten, eine Nebenbestimmung zu den unter Nr. 1 genannten Planfeststellungsbeschlüssen mit folgendem Inhalt zu erlassen:
15 
Die Bauarbeiten auf dem Grundstück S... Straße ..., ... Stuttgart dürfen erst fortgesetzt werden, wenn die Planfeststellungsbeschlüsse zu den Planfeststellungsabschnitten 1.3 (Filderbereich) und 1.6b (Abstellbahnhof) unanfechtbar geworden sind.
16 
Die Beklagte beantragt,
17 
die Klage abzuweisen.
18 
Sie trägt vor, die Klage sei unzulässig, soweit der Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt 1.1 betroffen sei. Der Klage stehe die Rechtskraft des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschlusses des Senats vom 13.08.2012 entgegen. Die Finanzierungsvereinbarung vom 02.04.2009 und die Zuschussvereinbarung für die Neubaustrecke vom gleichen Tag seien zumindest der Sache nach Gegenstand des Beschlusses gewesen. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG nicht vorlägen. Das Eisenbahn-Bundesamt wäre nicht berechtigt, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Es sei nach wie vor beabsichtigt, das Projekt zu verwirklichen und es sei objektiv realisierbar. Gegenüber dem bislang zugrunde gelegten Sachverhalt ergebe sich nichts Neues. Die Finanzierung des Projekts sei nicht ausgeschlossen, wie gerade die neue Finanzierungsvereinbarung zeige. Die Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs sei zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses durch Gutachten, insbesondere jenes des Prof. Dr. Schwanhäuser belegt gewesen. Eine fehlerhafte Tatsachengrundlage bei der Erstellung des Gutachtens sei nicht zu erkennen gewesen. Das Eisenbahn-Bundesamt habe daher davon ausgehen dürfen, dass die Sachverständigenausführungen zutreffen, und dürfe auch weiter davon ausgehen.
19 
Soweit sich die Klage auf den Planfeststellungsabschnitt 1.2 beziehe, sei sie unbegründet. Nach dem Urteil des Senats vom 08.02.2007 (5 S 2224/05) stehe fest, dass auch bezüglich des Planfeststellungsabschnitts 1.2 die Finanzierung gesichert sei. Die nun vorgetragenen Tatsachen (Vereinbarungen vom 02.04.2009 und neue Erkenntnisse zur Leistungsfähigkeit) belegten nicht, dass die Finanzierung entweder nicht mehr beabsichtigt oder objektiv nicht möglich sei.
20 
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
21 
die Klage abzuweisen.
22 
Sie trägt vor, die Klage sei unzulässig, soweit sie den Planfeststellungsabschnitt 1.2 betreffe, da der Kläger keinen entsprechenden Aufhebungsantrag beim Eisenbahn-Bundesamt gestellt habe. Außerdem sei er nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG a.F. materiell präkludiert, da er im Anhörungsverfahren zum Planfeststellungsabschnitt 1.2 keine Einwendungen erhoben habe.
23 
Dem Aufhebungsanspruch stehe im Übrigen die Rechtskraft des Urteils vom 06.04.2006 (5 S 848/05) entgegen. § 49 VwVfG könne die Rechtskraft nicht durchbrechen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überwinde § 49 VwVfG nur die Bestandskraft. Zudem erweise sich der Widerruf nur als ultima ratio und sei auf Beeinträchtigungen von Leben und Gesundheit beschränkt. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für den Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 nicht vor, da tatsächlich keine Änderungen eingetreten seien. Das bloße Bekanntwerden von Umständen, die bereits vor Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen hätten, dabei aber nicht berücksichtigt worden seien, genüge nicht.
24 
Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs trage der Kläger keine neuen Tatsachen vor. Die Gutachten der Professoren Heimerl, Schwanhäuser und Martin seien bereits im Planfeststellungsverfahren zum Abschnitt 1.1 in Zweifel gezogen worden. Zudem habe sie auch der Kläger im Klageverfahren vor dem VGH Baden-Württemberg - 5 S 848/12 - beanstandet. Die Kritik des Herrn Dr. Engelhardt, über dessen fachliche Qualifikation der Beigeladenen keine Informationen vorlägen, sei keine neue Tatsache im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG. Sie sei auch nicht als neue wissenschaftliche Erkenntnis zu werten. Dies würde voraussetzen, dass die Erkenntnisse ein gewisses Maß an fachwissenschaftlicher Anerkennung gefunden hätten und so weit fortgeschritten seien, um eine zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts herrschende Auffassung abzulösen. Daran fehle es hier. Dr. Engelhardt sei nur eine Stimme, die die in mehreren Gutachten niedergelegten Erkenntnisse renommierter Fachwissenschaftler in Zweifel ziehe. Dies könne nicht dazu führen, dass die bei Erlass des Verwaltungsakts vorhandenen Erkenntnisse nunmehr allgemein anders bewertet würden oder zu bewerten seien.
25 
Auch im Hinblick auf die Finanzierung des Projekts Stuttgart 21 lägen keine neuen Tatsachen vor. Die Finanzierung sei nicht ausgeschlossen, sodass auch die Planrechtfertigung nicht in Frage stehe. Für Kostensteigerungen jenseits des „Kostendeckels“ sähen die Finanzierungsvereinbarungen vom 02.04.2009 eine sog. Sprechklausel vor. Dass einzelne Finanzierungspartner hierzu bereits eine bestimmte Haltung formuliert hätten, führe nicht dazu, dass die Finanzierung ausgeschlossen wäre. Denn entsprechende Gespräche seien noch nicht geführt worden. Ihr Ergebnis könne nicht aufgrund jetziger politischer Verlautbarungen sicher prognostiziert werden. Außerdem habe die Beigeladene stets die Möglichkeit, Mehrkosten selbst zu übernehmen, ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein.
26 
Die Finanzierungsvereinbarung sei auch nicht nichtig. Sie verstoße nicht gegen Art. 104a Abs. 1 GG, weil die DB Netz AG als Vorhabenträgerin des Projekts Stuttgart 21 in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht nicht dem Bund zuzuordnen sei. Bei dem Projekt handele es sich um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn als Wirtschaftsunternehmen. Die DB Netz AG nehme keine Verwaltungsaufgaben des Bundes wahr. Folglich falle das Projekt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 1 GG. Dies habe wiederum zur Folge, dass sich aus Art. 104a Abs. 1 GG keine Bedenken gegen den Abschluss von Finanzierungsvereinbarungen herleiten ließen, durch die sich einzelne Länder oder Kommunen zur anteiligen Finanzierung dieser Infrastrukturprojekte verpflichteten. Die finanzverfassungsrechtliche Kritik an der Finanzierungsvereinbarung vom 02.04.2009 verkenne die Folgen der in Art. 87e Abs. 3 GG vorgegebenen Privatisierung der Eisenbahninfrastruktur.
27 
Unabhängig davon würden öffentliche Interessen ohne den Widerruf nicht gefährdet werden. Insoweit reichten Vermögensinteressen Einzelner, wie die des Klägers, nicht aus. Soweit es sich um die Beeinträchtigung individueller Rechtspositionen handele, könnte nur eine Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit eine Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen. Erst recht sei das durch § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG eröffnete Widerrufsermessen nicht auf Null reduziert.
28 
Die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge hat der Senat abgelehnt; insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
29 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und der zur Sache gehörenden Gerichts- und Behördenakten sowie der Gerichtsakten in den Verfahren 5 S 848/05, 5 S 1200/12 und 5 S 1812/12 verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
30 
Die Klage ist mit dem Hauptantrag nur zum Teil zulässig; soweit sie zulässig ist, ist sie nicht begründet. Mit dem ersten und zweiten Hilfsantrag ist die Klage zwar zulässig, aber ebenfalls nicht begründet.
A.
31 
Die auf Verpflichtung zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse gerichtete Klage ist nur zum Teil zulässig.
I.
32 
Soweit die Klage darauf gerichtet ist, die Beklagte zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 19.08.2005 für den Abschnitt 1.2 zu verpflichten, ist sie unzulässig, denn es fehlt an einem entsprechenden Aufhebungsantrag des Klägers beim Eisenbahn-Bundesamt.
33 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28.11.2007 - 6 C 42.06 -, BVerwGE 130, 39) hängt die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts ab. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung folgt aus § 68 Abs. 2, § 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme“) und zusätzlich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, nach dem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden. Sie gilt unabhängig davon, ob der erstrebte Verwaltungsakt auf Antrag oder von Amts wegen zu erlassen ist. Bei dem danach - auch hier - erforderlichen Antrag handelt es sich nicht um eine Sachurteilsvoraussetzung, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müsste, sondern um eine im Prozess nicht nachholbare Klagevoraussetzung (BVerwG, Urteil vom 24.02.1982 - 6 C 8.77 -, BVerwGE 65, 87). Nur durch einen entsprechenden Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts wird der Behörde Gelegenheit zu einer fundierten Sachentscheidung gegeben. Auch die Klagebegründung ist nicht geeignet, das Fehlen eines Antrags zu heilen (Dolde/Porsch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 75 Rn. 5; Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 75 Rn. 25; Eyermann/Rennert, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 75 Rn. 5). Ebenso wenig ändert es an der Unzulässigkeit der Klage etwas, dass sich die Behörde zur Sache eingelassen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 42 Rn. 6).
II.
34 
Die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.01.2005 für den Abschnitt 1.1 gerichtete Klage ist dagegen zulässig. Über den Antrag des Klägers vom 06.05.2012 auf Aufhebung dieses Planfeststellungsbeschlusses hat das Eisenbahn-Bundesamt zwar nicht entschieden. Jedoch sind die Voraussetzungen des § 75 VwGO für die Erhebung einer Untätigkeitsklage erfüllt, denn es liegt kein zureichender Grund für die unterlassene Entscheidung vor.
35 
Der Kläger ist antragsbefugt, da er von dem Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung betroffen ist. Das Rechtsschutzinteresse an der Klage ist auch durch den Abriss des Gebäudes nicht entfallen, denn der Kläger ist nach wie vor Miteigentümer des Grundstücks.
B.
36 
Soweit die Klage danach mit dem Hauptantrag zulässig ist, ist sie nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO für die beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den Planfeststellungsabschnitt 1.1 liegen nicht vor. Denn die Unterlassung der begehrten Aufhebung ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger daher auch nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch gegen die Beklagte, dass das Eisenbahn-Bundesamt diesen Planfeststellungsbeschluss nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 5 VwVfG widerruft (dazu I. und II.), noch dass sie den Planfeststellungsbeschluss zurücknimmt (dazu III.).
I.
37 
Der Anwendungsbereich des § 49 VwVfG ist eröffnet, nachdem aufgrund des Senatsurteils vom 06.04.2006 feststeht, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtmäßig ist (vgl. zur Anwendbarkeit des § 49 VwVfG im Planfeststellungsverfahren BVerwG, Urteil vom 21.05.1997 - 11 C 1.96 -, BVerwGE 105, 6). Die Anwendbarkeit scheitert entgegen der Ansicht der Beigeladenen nicht von vornherein an der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils vom 06.04.2006. Nach § 121 Nr. 1 VwGO bindet zwar ein rechtskräftiges Urteil die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Diese Rechtsbeständigkeit gerichtlicher Entscheidungen folgt aus dem Prinzip der Rechtssicherheit, das Verfassungsrang genießt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.05.2012 - 2 BvL 5/10 -, BVerfGE 131,20; Entscheidung vom 14.03.1963 -, 1 BvL 28/62 -, BVerfGE 15, 313). Ändert sich aber später die dem Urteil zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage, so liegt bei einem erneuten Rechtsstreit ein anderer Streitgegenstand vor, der von der Rechtskraft des früheren Urteils nicht umfasst wird (Kopp/Schenke, a.a.O., § 121 Rn. 28 m.w.N.d.Rspr.), denn die Sachlage ist Teil des Klagegrundes und damit des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs. Eine Änderung der Sachlage liegt vor, wenn Tatsachen eintreten, die den vom Streitgegenstand erfassten Sachverhalt entscheidungserheblich verändern (Kilian, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 121 Rn. 116), wenn es mit anderen Worten für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem das rechtskräftige Urteil - auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion - keine verbindlichen Aussagen mehr enthält (BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 - 1 C 7.01 -, BVerwGE 115, 118). Eine Änderung der Sachlage liegt jedoch nicht vor, wenn sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen oder im rechtskräftigen Urteil nicht berücksichtigte Beweismittel finden, oder wenn der Beteiligte sein Vorbringen aufgrund neuer Beweismittel „besser“ beweisen kann (Kilian, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 121 Rn. 117 m.w.N.d.Rspr.).
38 
Vor diesem Hintergrund ist auch im vorliegenden Fall trotz Rechtskraft des Urteils vom 06.04.2006 ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG grundsätzlich möglich, weil er tatbestandlich voraussetzt, dass nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die die Behörde berechtigten, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen.
39 
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beigeladenen, dass ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG in den Fällen, in denen bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, stets nur dann in Betracht komme, wenn die Individualrechtsgüter Leben und Gesundheit betroffen seien. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht den Anwendungsbereich dieser Regelung in seinem von der Beigeladenen zitierten Urteil vom 21.05.1997 (a.a.O.) nicht in dieser Weise beschränkt. Denn die Entscheidung betraf einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG, d.h. einen Widerruf zur Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl. Dessen Voraussetzungen unterscheiden sich wesentlich von denen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG. Insbesondere setzt ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG - anders als ein solcher nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG - nicht voraus, dass neue Tatsachen eingetreten sind.
40 
Die Voraussetzungen für den vom Kläger begehrten Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG liegen jedoch nicht vor.
41 
Nach dieser Vorschrift darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
42 
Es fehlt im vorliegenden Fall bereits an nachträglich eingetretenen Tatsachen, aufgrund derer die Beklagte berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Der Kläger meint zwar, die Planrechtfertigung für den Abschnitt 1.1 sei entfallen, weil das Gesamtprojekt „Stuttgart 21“ nicht verwirklicht werden könne. Denn es sei eine neue Tatsache, dass die noch ausstehenden Planfeststellungsbeschlüsse für die Abschnitte 1.3 und 1.6b nicht erlassen werden könnten, weil die Leistungsfähigkeit des Hauptbahnhofs 1.1 seinerzeit fehlerhaft festgestellt worden, die Gesamtfinanzierung ausgeschlossen gewesen sei und es an einem „vorläufigen positiven Gesamturteil“ gefehlt habe. Mit dieser Ansicht verkennt der Kläger jedoch die Bedeutung der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils vom 06.04.2006. Denn die Fragen der Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs und der Finanzierung sowie der Verwirklichungsaussichten des Gesamtprojekts sind darin geklärt worden.
43 
Die Rechtskraft dieser Entscheidung würde nur dann nicht entgegen stehen, wenn hinsichtlich der genannten Fragen ein Sachverhalt vorläge, der von der Entscheidung nicht umfasst wäre. Es kann offen bleiben, ob ein solcher - von der Rechtskraft nicht erfasster - neuer Sachverhalt stets dann vorliegt, wenn neue Tatsachen gegeben sind, die einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG rechtfertigen. Dafür mag vieles sprechen. Dies bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner Entscheidung, weil die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG nicht erfüllt sind. Es liegen weder in Bezug auf die Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs (dazu 1.), noch in Bezug auf die Finanzierung (dazu 2.) oder die Verwirklichungsaussichten des Gesamtprojekts (dazu 3.) neue Tatsachen vor.
44 
1. Der vom Kläger als Beleg für die mangelnde Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs ins Feld geführte Umstand, dass dieser nur für 32 Züge pro Stunde ausgelegt sei, ist keine solche neue Tatsache.
45 
a) Der Kläger trägt selbst vor, dass dies bereits aus dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses vorliegenden Gutachten folge und zudem auch Eingang in das Urteil des Senats vom 06.04.2006 gefunden habe. Auf S. 37 (juris Rn. 58f.) ist dort ausgeführt, dass nach dem Gutachten von Prof. Schwanhäußer der achtgleisige Durchgangsbahnhof für abgestimmte Betriebsprogramme mit 32 bis 35 Gleisbelegungen pro Stunde ausreiche, während das Betriebsszenario A nur durchschnittlich 25,5 Gleisbelegungen pro Stunde der Hauptverkehrszeit erwarten lasse. Es sei daher nachvollziehbar, dass der Gutachter dem Durchgangsbahnhof für das Betriebsszenario A eine gute bis sehr gute Betriebsqualität bescheinigt habe. Die Bedarfsprognose sei unter den Beteiligten nicht streitig.
46 
Daraus folgt, dass die Kapazität des geplanten Durchgangsbahnhofs - entgegen dem Vortrag des Klägers - stets bekannt war. Dass sie ausreichend und zukunftssicher bemessen ist, wurde vom Kläger von Anfang an bestritten und war Gegenstand der Erörterung und der Befragung der Gutachter in der mündlichen Verhandlung des vom Kläger betriebenen Klageverfahrens - 5 S 848/05 -. Der Kläger hat zwar seinerzeit nicht vorgetragen, die Kapazität des neuen Durchgangsbahnhofs (32 Züge) bleibe hinter derjenigen des bestehenden Kopfbahnhofs (50 Züge) zurück, worauf er nun maßgeblich abhebt. Auch insoweit liegt jedoch keine neue Tatsache vor. Denn der Kläger behauptet nicht, dass sich die Kapazität einer der beiden Bahnhöfe verändert habe. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Vielmehr handelt es sich bei dem vom Kläger vorgenommenen Vergleich der Kapazitäten nur um eine neue Argumentation, die belegen soll, dass die Kapazität des neuen Bahnhofs entgegen der bisherigen Einschätzung doch nicht ausreichend bemessen sei. Dies stellt eine neue Bewertung unveränderter Tatsachen dar. Eine solche neue oder geänderte Bewertung genügt für einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG jedoch nicht (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 49 Rn. 46; Meyer, in: Knack/Hennecke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 49 Rn. 47). Die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung, dass Tatsachen auch dann vorlägen, wenn die Fakten eine rechtliche Bewertung im Rahmen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals erforderten (so Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 49 Rn. 60 und Gayer, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO Kommentar, 4. Aufl. 2007, Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 49 Rn. 44 unter Berufung auf OVG Berlin, Urteil vom 14.10.1998 - 1 B 67.95 -, NVwZ-RR 2000, 431 zum Widerruf nach § 47 Abs. 2 WaffG a.F.), steht der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Denn auch in dem vom OVG Berlin entschiedenen Fall handelte es sich im Ergebnis um eine neu entstandene Tatsachenlage (Änderung der Berufstätigkeit des dortigen Klägers), deren Bewertung zum Wegfall eines Tatbestandsmerkmals (waffenrechtliches Bedürfnis) führte.
47 
b) Angesichts der dargestellten Situation kann von einem „Beweisnotstand“, wie ihn der Kläger für sich reklamiert, nicht gesprochen werden. Insbesondere ergab sich die Kapazität von 32 Zügen pro Stunde bereits aus dem Gutachten von Prof. Schwanhäußer, das dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag und das auch Gegenstand des Verfahrens 5 S 848/05 war. Es kommt daher nicht darauf an, ob - wie der Kläger behauptet - die Personenstromanalyse von Durth-Roos, aus der sich diese Kapazität ebenfalls ergebe, erst später bekannt geworden ist. Offen bleiben kann angesichts dessen auch, ob die vom Bundesverwaltungsgericht für die besondere Situation im Vertriebenenrecht entwickelte Rechtsprechung, wonach im Einzelfall eine Änderung der Sachlage auch kann eintreten kann, wenn ein Prozessbeteiligter wegen eines „Beweisnotstandes“ im Vorprozess erst nachträglich neue Beweismittel beschaffen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.09.1984 - 8 C 137.81 -, BVerwGE 70, 156), auch auf das Planfeststellungsrecht zu übertragen ist.
48 
c) Es liegen auch keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs vor, die als neue Tatsachen im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG einzustufen wären. Dies setzte voraus, dass aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bestimmte bereits vorhandene Tatsachen anders bewertet werden (BVerwG, Beschluss vom 16.07.1982 - 7 B 190.81 -, NVwZ 1984, 102; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 49 Rn. 45). Die vom Kläger angeführten Stellungnahmen des Herrn Dr. Engelhardt vom 07.06.2012 und 06.06.2014 stellen jedoch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dar, die neuen Tatsachen im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG gleichzustellen wären. Hierzu ist nicht jede neue Erkenntnis eines Wissenschaftlers geeignet. Vielmehr muss die Erkenntnis Grundlage dafür sein, dass eine bestimmte bereits vorhandene Tatsache allgemein anders bewertet wird (Kopp/Ramsauer, a.a.O.; zur Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse bei Planungsentscheidungen vgl. BVerwG, Urteil vom 16.03.2006 - 4 A 1075.04 -, juris Rn. 308). Denn eine neue wissenschaftliche Erkenntnis, die geeignet ist, einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG zu begründen, ist abzugrenzen von der bloßen anderen Bewertung einer unveränderten Tatsache. Um letzteres handelt es sich bei den Stellungnahmen des Herrn Dr. Engelhardt. Sie stellen ein neues Beweismittel dar, mit dem der Kläger die früheren Gutachten zu entkräften versucht. Denn der Meinung von Herrn Dr. Engelhardt steht nach wie vor die Meinung der Gutachter der Beigeladenen entgegen. Neue Beweismittel genügen jedoch für einen Widerruf nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwVfG nicht. Darin unterscheidet sich dieser Widerrufstatbestand entscheidend von der in § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgesehenen Möglichkeit, ein Verfahren wieder aufzugreifen. Diese wird im Planfeststellungsrecht durch § 72 Abs. 1 VwVfG ausdrücklich ausgeschlossen. Auch unter Berücksichtigung des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - 5 S 1200/12 - vorgelegten Abschlussberichts der VIEREGG-RÖSSLER GmbH vom 27.10.2011, in dem ebenfalls eine höhere Leistungsfähigkeit des bestehenden Kopfbahnhofs gegenüber dem geplanten Durchgangsbahnhof im Sinne einer höheren Kapazität pro Stunde errechnet wurde, ergibt sich kein anderes Bild. Allenfalls könnte dies als - weiterer - Beleg für eine kontroverse Beurteilung der Leistungsfähigkeit dienen, nicht jedoch als Nachweis, dass die Leistungsfähigkeit allgemein anders bewertet wird.
49 
2. Auch hinsichtlich der Finanzierung des Gesamtprojekts liegen keine neuen Tatsachen vor.
50 
Der Kläger meint, die Gesamtfinanzierung sei ausgeschlossen, weil die (neue) Finanzierungsvereinbarung vom 02.04.2009 aufgrund der vorgesehenen Beteiligung des Landes Baden-Württemberg verfassungswidrig sei. Der Kläger beruft sich auf das für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg erstellte Gutachten von Prof. Meyer vom 03.11.2010. Nach dessen Ansicht verstößt die Mitfinanzierung des Landes gegen Art. 104a Abs. 1 GG. Zu gegenläufigen Ergebnissen kommen indes zum einen Gersdorf (ZG 2011, 248) und Pauly/Becker (NVwZ 2013, 334) und zum anderen Dolde/Porsch (NVwZ 2011, 833), wenngleich mit unterschiedlichen Ansätzen.
51 
Einer Erörterung der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen streitigen Rechtsfragen - insbesondere zur Anwendbarkeit und Auslegung des Art. 104a Abs. 1 GG - bedarf es hier jedoch nicht. Denn Gegenstand des Verfahrens ist nicht die Finanzierungsvereinbarung, sondern der vom Kläger geltend gemachte Widerrufsanspruch nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG. In diesem Rahmen ist zu entscheiden, ob neue Tatsachen vorliegen, die belegen, dass die Gesamtfinanzierung ausgeschlossen ist, so dass - als rechtliche Folge - keine Planrechtfertigung (mehr) vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1999 - 4 A 12.98 -, NVwZ 2000, 555; Urteil vom 24.11.1989 - 4 C 41.88 -, BVerwGE 84, 123). Dies ist nicht der Fall. Denn unabhängig davon, dass die Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung des Projekts „Stuttgart 21“ äußerst kontrovers diskutiert wird und daher keine Rede davon sein kann, dass die Finanzierungsvereinbarung eindeutig als nichtig zu qualifizieren ist, würde das Projekt nicht schon dann an der Finanzierung scheitern und würde die Planrechtfertigung nicht schon dann fehlen, wenn die Finanzierungsvereinbarung tatsächlich nichtig wäre. Dies wäre vielmehr erst der Fall, wenn zugleich feststünde, dass auch eine andere Aufteilung der Kosten von vornherein ausscheidet, so dass nach der Vorstellung aller Finanzierungsbeteiligten das Projekt nicht zu verwirklichen wäre. Das ist derzeit nicht zu erkennen. Der Kläger meint zwar, den Äußerungen des Bundes und der Bahn, über die zugesagten Kostenbeteiligungen hinaus keine weiteren Beiträge zu leisten, entnehmen zu können, dass im Falle der Nichtigkeit der Finanzierungsvereinbarung das Projekt nicht mehr verwirklicht werden könne. Diese Ansicht teilt der Senat jedoch nicht. Die Äußerungen sind vor dem Hintergrund der derzeitigen, geteilten Finanzierungsverantwortung zu sehen. Stünde zu irgendeinem Zeitpunkt die Nichtigkeit der Finanzierungsvereinbarung rechtskräftig fest, sei es weil einzelne Finanzierungsträger sich überhaupt nicht beteiligen dürfen, sei es weil ihr Finanzierungsanteil gemessen an ihrem Aufgabenanteil zu hoch ist, müsste eine neue Finanzierungsvereinbarung geschlossen werden. Es bestehen derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass hierzu die Bereitschaft fehlt. Die Beigeladene hat im Gegenteil in ihrer Klageerwiderung darauf hingewiesen, dass sie - sogar ohne rechtliche Verpflichtung - nicht gehindert sei, höhere Kosten zu tragen. Bei dieser Situation und angesichts der großen Bedeutung des Projekts spricht derzeit nichts dafür, dass dessen Durchführung an der Finanzierung scheitern wird. Im Übrigen zeigen gerade die der ursprünglichen Finanzierungsvereinbarung folgenden Vereinbarungen, dass die Beteiligten willens sind, die Finanzierung sicherzustellen.
52 
3. Schließlich liegen auch keine neuen Tatsachen vor, die belegen, dass es am „vorläufigen positiven Gesamturteil“ des Projekts „Stuttgart 21“ fehlt, und zwar auch dann nicht, wenn die unter 1. dargestellte, im Vertriebenenrecht entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Änderung der Sachlage in Fällen des „Beweisnotstandes“ auf das Planfeststellungsrecht zu übertragen sein sollte. Denn ein Fall des Beweisnotstandes - wie ihn der Kläger für sich in Anspruch nimmt - liegt nicht vor. Der Kläger meint zwar, er hätte das Fehlen des „vorläufigen positiven Gesamturteils“ im Vorprozess beweisen können, wenn ihm das Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes vom 13.01.2006 nicht vorenthalten worden wäre. Denn in diesem Schreiben teile das Eisenbahn-Bundesamt der beigeladenen Vorhabenträgerin mit, dass der Abschnitt 1.3 nicht genehmigungsfähig sei. Die fehlende Genehmigungsfähigkeit des Abschnitts 1.3 habe zur Folge, dass das Gesamtprojekt nicht verwirklicht werden könne. Der Senat teilt die Ansicht des Klägers jedoch nicht. In dem Schreiben, das sich als Anlage ASt 2 bei den Akten des beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrens - 5 S 1200/12 - befindet, teilt das Eisenbahn-Bundesamt der Beigeladenen zwar mit, dass die Planfeststellungsunterlagen zum Abschnitt 1.3 in der vorgelegten Form nicht genehmigungsfähig seien. Die Mitteilung bedeutet entgegen der Ansicht des Klägers jedoch nicht, dass der Plan für den Abschnitt 1.3 endgültig nicht festgestellt werden kann. Nur in diesem Fall würde der Verwirklichung des Gesamtprojekts ein unüberwindbares Hindernis entgegen stehen mit der Folge, dass sowohl dessen Rechtfertigung als auch die der einzelnen Planfeststellungsabschnitte entfiele (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2013 - 7 A 4.12 -, BVerwGE 147, 184). Das Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes betrifft indessen nur die seinerzeit vorgelegten Planunterlagen. Es schließt mit dem Hinweis, dass die Antragsunterlagen „zur Überarbeitung“ zurückgegeben würden. Es kann daher keine Rede davon sein, dass mit dem Schreiben vom 13.01.2006 zu belegen gewesen wäre, dass der Verwirklichung des Gesamtprojekts ein unüberwindbares Hindernis entgegen steht. Vor diesem Hintergrund brauchte der Senat dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag Nr. 20 nicht nachzugehen, mit dem der Kläger die Beiziehung und Verlesung des Schreibens vom 13.01.2006 beantragt hat. Der Antrag auf Beiziehung ist gegenstandslos, da sich das Schreiben bei den Akten befindet. Auf dessen wortgenauen Inhalt kommt es nach den obigen Ausführungen nicht entscheidungserheblich an, so dass es auch keiner Verlesung bedurfte.
III.
53 
Der Kläger kann seinen geltend gemachten Anspruch auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 auch nicht auf § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG stützen. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Der Widerruf nach dieser Vorschrift ist auch dann möglich, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht verändert hat, so z.B. wenn Tatsachen erst nachträglich bekannt werden. Die Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Fall führte zu einer Durchbrechung des rechtskräftigen Urteils vom 06.04.2006. Es kann offen bleiben, ob § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG tatsächlich eine für die Rechtskraftdurchbrechung hinreichende gesetzliche Grundlage darstellt (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, BVerwG, Urteil vom 28.07.1989 - 7 C 78.88 -, BVerwGE 82, 272 und Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 -, BVerwGE 135, 137).
54 
Dem Kläger steht jedenfalls deshalb kein Anspruch auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zu, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllt sind. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Widerruf erforderlich ist, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Es müssen solche gewichtigen Gemeinwohlgründe vorliegen, die es - vergleichbar dem Aufopferungsgedanken im Enteignungsrecht - rechtfertigen, dem Widerrufsbetroffenen eine bereits erteilte Begünstigung nachträglich wieder zu nehmen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 49 Rn. 54; Stein, in: Bauer/Heckmann/Ruge/Schallbruch, VwVfG, § 49 Rn. 34). In Betracht kommen Gründe eines übergesetzlichen Notstandes, wie z.B. in Katastrophenfällen (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O.; Kugele, VwVfG, § 49 Rn. 12). Solche gewichtigen Gemeinwohlgründe liegen hier nicht vor. Insoweit reicht das Interesse der Allgemeinheit an der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel bei weitem nicht aus (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O.).
55 
Neben den genannten Gemeinwohlgründen können zwar auch gewichtige Grundrechtsbeeinträchtigungen Einzelner einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG rechtfertigen. Ein Widerruf wegen einer Grundrechtsbeeinträchtigung ist daher auch dann möglich, wenn das Leben oder die Gesundheit Einzelner ernsthaft gefährdet oder beeinträchtigt würden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.05.1997, a.a.O.). Denn das menschliche Leben stellt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar (BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 - 2 BvR 1013/77 -, BVerfGE 49, 24) und auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011 - 2 BvR 882/09 -, BVerfGE 128, 282). Deren Schutz ist nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG eine vorrangige Gemeinschaftsaufgabe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978, a.a.O.; Kopp/Ramsauer, a.a.O.). Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit sind im vorliegenden Fall jedoch nicht betroffen. Vielmehr beruft sich der Kläger auf die Beeinträchtigung seines eigenen, grundgesetzlich über Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentums und auf entsprechende Eigentumsbeeinträchtigungen weiterer Personen. Soweit es um eine Beeinträchtigung des Eigentums Einzelner infolge eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses geht, liegen jedoch jedenfalls grundsätzlich keine schweren Nachteile für das Gemeinwohl im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG vor, selbst wenn sich die Eigentumsbeeinträchtigung als rechtswidrig erweist. Denn eine solche Beeinträchtigung ist mit den oben dargestellten Gemeinwohlbeeinträchtigungen nicht vergleichbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, in dessen Anwendungsbereich Planfeststellungsbeschlüsse fallen, die enteignungsrechtliche Vorwirkungen besitzen (vgl. dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 14 Rn. 83 m.w.N.). Eine Enteignung des Klägers sieht der Planfeststellungsbeschluss vom 28.01.2005 zwar nicht vor. Er erachtet die Veränderung der Grundstückssituation jedoch als so gravierend, dass sie im Ergebnis zu einer Aufhebung der Privatnützigkeit des Eigentums führe und die Grundstückseigentümer entsprechend den Vorschriften des Landesenteignungsgesetzes eine vollständige Übernahme des Grundstücks verlangen könnten (vgl. S. 227 des Planfeststellungsbeschlusses). Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Entfällt der Gemeinwohlgrund einer Enteignung, mag dies zwar unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG einen Widerrufsgrund darstellen. Der Wegfall des Gemeinwohlgrundes bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass dadurch schwere Nachteile für das Gemeinwohl im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zu befürchten sind. Für Eingriffe in das Eigentum steht den Betroffenen eine Entschädigung zu, mit der gegebenenfalls neues Eigentum erworben werden kann. Durch diese Möglichkeit der Ersatzbeschaffung unterscheidet sich der Eingriff in das Eigentum maßgeblich von einem Eingriff in das Leben oder die Gesundheit.
56 
Dass die Rechtssicherheit gerade auch bei Eingriffen in das Eigentum besonderes Gewicht hat, kommt in der Regelung des § 72 Abs. 1 VwVfG zum Ausdruck. Die Vorschrift vermittelt Planfeststellungsbeschlüssen, die typischerweise vor allem mit Eingriffen in das Eigentum Dritter verbunden sind, eine „erhöhte Bestandsgarantie“, indem sie die Anwendbarkeit des § 51 VwVfG ausschließt. Durch diesen Ausschluss soll den besonderen Rechtswirkungen eines unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschlusses Rechnung getragen werden, insbesondere seiner in § 75 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 VwVfG geregelten Gestaltungs- und Ausschlusswirkung (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drs. 7/910 S. 87 zu § 68, der dem heutigen § 72 Abs. 1 VwVfG entspricht). Nach § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG werden durch die Planfeststellung alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. Dieser rechtsgestaltenden Wirkung entspricht es, dass nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens und der Benutzung der Anlagen sowie auf Beseitigung und Änderung der Anlagen ausgeschlossen sind; dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch für nachträgliche Auflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG gelten (vgl. BT-Drs. 7/910 S. 90 zu § 71 Abs. 2, der dem heutigen § 75 Abs. 2 VwVfG entspricht). Eine Ausnahme bilden nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG insoweit lediglich Auflagen, die erforderlich werden, um nicht voraussehbare Auswirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen zu begegnen. Diese gesetzliche Konzeption zeigt, dass ein unanfechtbarer Planfeststellungsbeschluss bei unveränderter Sach- und Rechtslage nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nicht mehr aus den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG genannten Gründen einer Entscheidung über seinen Bestand oder seine Änderung zugeführt werden soll. Selbst bei unvorhersehbaren Wirkungen eines unanfechtbar festgestellten Plans sieht das Gesetz keinen Anspruch auf Aufhebung vor, sondern nur einen Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen oder - falls Schutzmaßnahmen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind - auf eine angemessene Entschädigung in Geld. Diese „erhöhte Bestandsgarantie“ für einen Planfeststellungsbeschluss gebietet es, bei unveränderter Sach- und Rechtslage nur in extremen Ausnahmefällen, wie etwa in der oben genannten Katastrophensituation oder bei Gefahren für Leben oder Gesundheit den Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zuzulassen. Ob Sonderfälle denkbar sind, in denen ausnahmsweise auch eine Eigentumsverletzung einen gewichtigen Gemeinwohlgrund im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG darstellen kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn eine solche besondere Konstellation hat der Kläger nicht geltend gemacht und sie liegt auch nicht vor. Der Umstand, dass außer dem Kläger noch weitere Eigentümer von dem Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung betroffen sind, stellt keinen solchen Sonderfall dar. Denn er rückt die Situation nicht in die Nähe der oben beschriebenen Katastrophenfälle oder der ihnen gleichzusetzenden Gefährdungen von Leben oder Gesundheit.
57 
Eine andere Beurteilung gebietet auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts zur Durchbrechung der Rechtskraft. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 07.09.1999 - 1 C 6.99 -, NVwZ 2000, 204) muss die Rechtskraft grundsätzlich weichen, wenn ein Festhalten an ihr zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde. Auf diese Rechtsprechung beruft sich der Kläger. Die Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands ist im vorliegenden Fall jedoch nicht „schlechthin unerträglich“. Denn es streiten die Prinzipien der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit miteinander, die beide gleichermaßen mit Verfassungsrang ausgestattet sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.05.2012 - 2 BvL 5/10 -, BVerfGE 131, 20), ohne dass auf Seiten der materiellen Gerechtigkeit weitere gewichtige Umstände hinzuträten, die es geböten, ihr Vorrang zu gewähren (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19.10.1967, - III C 123.66 -, BVerwGE 28, 122 - Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - und Urteil vom 07.09.1999, a.a.O. - erhebliche Gefahr für Leib oder Leben).
58 
Schließlich darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 17.04.2013 - 1 BvR 2614 -, juris) eine Enteignung zur Verwirklichung eines planfestgestellten Vorhabens - trotz Rechtskraft eines Urteils, das die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss abweist - zwar dann nicht angeordnet werden, wenn feststeht, dass diese Enteignung aufgrund nachträglich eingetretener Änderungen der Sach- oder Rechtslage nicht mehr dem Gemeinwohl dienen würde. Es ist danach aber von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses nur nach Maßgabe der in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Überwindung rechtskräftig bestätigter Planfeststellungsbeschlüsse zugelassen wird (vgl. zum Gebot effektiven und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbundenen Rechtsschutzes bei gestuften Verfahren auch BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08 -, NVwZ 2014, 211, 216). Auch unter dem Blickwinkel des Grundgesetzes ist es daher nicht geboten, die Eigentumsbeeinträchtigung Einzelner als schweren Nachteil für das Gemeinwohl zu werten und einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG ungeachtet des Fehlens eines neuen Sachverhalts zuzulassen.
III.
59 
Die von dem Kläger begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 lässt sich schließlich auch nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG stützen. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zurückgenommen werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Denn dem geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme des Planfeststellungsbeschlusses steht die Rechtskraft des Senatsurteils vom 06.04.2006 entgegen. Insoweit kann auf die zwischen den Beteiligten ergangenen Beschlüsse des Senats vom 13.08.2012 (- 5 S 1200/12 -, juris) und vom 15.11.2012 (- 5 S 1812/12 -) verwiesen werden. Der Kläger hat hierzu nichts Weiteres vorgetragen.
IV.
60 
Vor dem Hintergrund der Ausführungen unter I. bis III. brauchte der Senat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen Nr. 1 bis 19 nicht nachzugehen. Die Beweisanträge Nr. 1 bis 4, 7 bis 9, 13, 14, und 16 sind für die Entscheidung nicht erheblich. Mit ihnen sollen keine neuen Tatsachen bewiesen, sondern es soll Beweis dafür erbracht werden, dass die im einzelnen genannten Umstände bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.01.2005 vorlagen. Dies gilt auch für den Beweisantrag Nr. 14, obwohl der Kläger auf einen Vergleich der Kapazität des bestehenden Bahnhofs im Jahr 2011 und der geplanten Kapazität von 32 Zügen abhebt. Denn er behauptet selbst nicht, dass sich die Kapazität eines der beiden Bahnhöfe seit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses geändert habe (vgl. oben unter I.1.a)). Mit den Beweisanträgen Nr. 5, 6 und 10 werden lediglich neue Beweismittel zu Fragen der Kapazitätsermittlung und -bewer-tung benannt, mit denen eine bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses vorliegende Tatsache bewiesen werden soll. Diese Fragen waren bereits Gegenstand der früheren Gutachten. Auch dass insoweit neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen, die - wie oben unter I. 1.a) ausgeführt - als neue Tatsachen zu werten wären, legt der Kläger nicht dar. Die Beweisanträge sind daher für die Entscheidung unerheblich. Das gleiche gilt für die Beweisanträge Nr. 11 und 12. Denn damit soll nicht bewiesen werden, dass sich der tatsächliche Zugverkehr in der Spitzenstunde gegenüber dem Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses in einem bestimmten Umfang geändert hat. Die Beweisanträge Nr. 15 und 17 sind unerheblich, weil die Planrechtfertigung nur dann entfiele, wenn feststünde, dass im Falle der Unwirksamkeit der Finanzierungsvereinbarung die Umsetzung des Projekts an der Finanzierung scheitern wird. Dies ist nach den Ausführungen unter I. 2. jedoch nicht der Fall. Die Beweisthemen der Beweisanträge Nr. 18 und 19 enthalten keine dem Beweis zugänglichen Tatsachen. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Seelenlebens (BGH, Urteil vom 25.11.1997 - VI ZR 306/96 -, NJW 1998, 1223, 1224). Die Beweisanträge haben jedoch zum einen Hypothesen zum Gegenstand („nicht mehr beginnen würde“, „nicht mehr zustimmen würde“) und zum anderen zukünftige Entscheidungen, die darüber hinaus von dem Eintritt bestimmter Bedingungen abhängen. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, was der Kläger unter einem „hohen“ Fahrgastwechsel und „überdurchschnittlich hoher“ Mindesthaltezeit (Beweisantrag Nr. 10a) sowie „größeren“ Neubauten (Beweisantrag Nr. 13) versteht.
C.
61 
Da es somit bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 fehlt, bleibt auch der unter Nr. 2 gestellte Hilfsantrag ohne Erfolg, der auf eine Verpflichtung zur Bescheidung des beim Eisenbahn-Bundesamt gestellten Aufhebungsantrags gerichtet ist.
D.
62 
Der auf einen Baustopp gerichtete Hilfsantrag unter Nr. 3 hat ebenfalls keinen Erfolg. Denn die mit ihm begehrte Nebenbestimmung könnte jedenfalls nur unter den weiteren, für einen Teilwiderruf oder eine Teilrücknahme geltenden Voraussetzungen nach den §§ 48 f. VwVfG den Planfeststellungsbeschlüssen beigefügt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 29.01.2012 - 5 S 196/12 -, NVwZ-RR 2012, 340). Allerdings fehlt es aus den oben dargestellten Gründen an den Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme.
E.
63 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat sieht nach § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Kostenentscheidung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
64 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
65 
Beschluss vom 2. Juli 2014
66 
Der Streitwert wird nach § 63 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 34.2, 2.2.1 des Streitwertkatalogs 2004 endgültig auf 30.000,-- EUR festgesetzt.
67 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
30 
Die Klage ist mit dem Hauptantrag nur zum Teil zulässig; soweit sie zulässig ist, ist sie nicht begründet. Mit dem ersten und zweiten Hilfsantrag ist die Klage zwar zulässig, aber ebenfalls nicht begründet.
A.
31 
Die auf Verpflichtung zur Aufhebung der Planfeststellungsbeschlüsse gerichtete Klage ist nur zum Teil zulässig.
I.
32 
Soweit die Klage darauf gerichtet ist, die Beklagte zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 19.08.2005 für den Abschnitt 1.2 zu verpflichten, ist sie unzulässig, denn es fehlt an einem entsprechenden Aufhebungsantrag des Klägers beim Eisenbahn-Bundesamt.
33 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28.11.2007 - 6 C 42.06 -, BVerwGE 130, 39) hängt die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts ab. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung folgt aus § 68 Abs. 2, § 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme“) und zusätzlich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, nach dem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden. Sie gilt unabhängig davon, ob der erstrebte Verwaltungsakt auf Antrag oder von Amts wegen zu erlassen ist. Bei dem danach - auch hier - erforderlichen Antrag handelt es sich nicht um eine Sachurteilsvoraussetzung, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müsste, sondern um eine im Prozess nicht nachholbare Klagevoraussetzung (BVerwG, Urteil vom 24.02.1982 - 6 C 8.77 -, BVerwGE 65, 87). Nur durch einen entsprechenden Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts wird der Behörde Gelegenheit zu einer fundierten Sachentscheidung gegeben. Auch die Klagebegründung ist nicht geeignet, das Fehlen eines Antrags zu heilen (Dolde/Porsch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 75 Rn. 5; Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 75 Rn. 25; Eyermann/Rennert, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 75 Rn. 5). Ebenso wenig ändert es an der Unzulässigkeit der Klage etwas, dass sich die Behörde zur Sache eingelassen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 42 Rn. 6).
II.
34 
Die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.01.2005 für den Abschnitt 1.1 gerichtete Klage ist dagegen zulässig. Über den Antrag des Klägers vom 06.05.2012 auf Aufhebung dieses Planfeststellungsbeschlusses hat das Eisenbahn-Bundesamt zwar nicht entschieden. Jedoch sind die Voraussetzungen des § 75 VwGO für die Erhebung einer Untätigkeitsklage erfüllt, denn es liegt kein zureichender Grund für die unterlassene Entscheidung vor.
35 
Der Kläger ist antragsbefugt, da er von dem Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung betroffen ist. Das Rechtsschutzinteresse an der Klage ist auch durch den Abriss des Gebäudes nicht entfallen, denn der Kläger ist nach wie vor Miteigentümer des Grundstücks.
B.
36 
Soweit die Klage danach mit dem Hauptantrag zulässig ist, ist sie nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO für die beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den Planfeststellungsabschnitt 1.1 liegen nicht vor. Denn die Unterlassung der begehrten Aufhebung ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger daher auch nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch gegen die Beklagte, dass das Eisenbahn-Bundesamt diesen Planfeststellungsbeschluss nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 5 VwVfG widerruft (dazu I. und II.), noch dass sie den Planfeststellungsbeschluss zurücknimmt (dazu III.).
I.
37 
Der Anwendungsbereich des § 49 VwVfG ist eröffnet, nachdem aufgrund des Senatsurteils vom 06.04.2006 feststeht, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtmäßig ist (vgl. zur Anwendbarkeit des § 49 VwVfG im Planfeststellungsverfahren BVerwG, Urteil vom 21.05.1997 - 11 C 1.96 -, BVerwGE 105, 6). Die Anwendbarkeit scheitert entgegen der Ansicht der Beigeladenen nicht von vornherein an der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils vom 06.04.2006. Nach § 121 Nr. 1 VwGO bindet zwar ein rechtskräftiges Urteil die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Diese Rechtsbeständigkeit gerichtlicher Entscheidungen folgt aus dem Prinzip der Rechtssicherheit, das Verfassungsrang genießt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.05.2012 - 2 BvL 5/10 -, BVerfGE 131,20; Entscheidung vom 14.03.1963 -, 1 BvL 28/62 -, BVerfGE 15, 313). Ändert sich aber später die dem Urteil zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage, so liegt bei einem erneuten Rechtsstreit ein anderer Streitgegenstand vor, der von der Rechtskraft des früheren Urteils nicht umfasst wird (Kopp/Schenke, a.a.O., § 121 Rn. 28 m.w.N.d.Rspr.), denn die Sachlage ist Teil des Klagegrundes und damit des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs. Eine Änderung der Sachlage liegt vor, wenn Tatsachen eintreten, die den vom Streitgegenstand erfassten Sachverhalt entscheidungserheblich verändern (Kilian, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 121 Rn. 116), wenn es mit anderen Worten für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem das rechtskräftige Urteil - auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion - keine verbindlichen Aussagen mehr enthält (BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 - 1 C 7.01 -, BVerwGE 115, 118). Eine Änderung der Sachlage liegt jedoch nicht vor, wenn sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen oder im rechtskräftigen Urteil nicht berücksichtigte Beweismittel finden, oder wenn der Beteiligte sein Vorbringen aufgrund neuer Beweismittel „besser“ beweisen kann (Kilian, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 121 Rn. 117 m.w.N.d.Rspr.).
38 
Vor diesem Hintergrund ist auch im vorliegenden Fall trotz Rechtskraft des Urteils vom 06.04.2006 ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG grundsätzlich möglich, weil er tatbestandlich voraussetzt, dass nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die die Behörde berechtigten, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen.
39 
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beigeladenen, dass ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG in den Fällen, in denen bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, stets nur dann in Betracht komme, wenn die Individualrechtsgüter Leben und Gesundheit betroffen seien. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht den Anwendungsbereich dieser Regelung in seinem von der Beigeladenen zitierten Urteil vom 21.05.1997 (a.a.O.) nicht in dieser Weise beschränkt. Denn die Entscheidung betraf einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG, d.h. einen Widerruf zur Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl. Dessen Voraussetzungen unterscheiden sich wesentlich von denen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG. Insbesondere setzt ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG - anders als ein solcher nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG - nicht voraus, dass neue Tatsachen eingetreten sind.
40 
Die Voraussetzungen für den vom Kläger begehrten Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG liegen jedoch nicht vor.
41 
Nach dieser Vorschrift darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
42 
Es fehlt im vorliegenden Fall bereits an nachträglich eingetretenen Tatsachen, aufgrund derer die Beklagte berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen. Der Kläger meint zwar, die Planrechtfertigung für den Abschnitt 1.1 sei entfallen, weil das Gesamtprojekt „Stuttgart 21“ nicht verwirklicht werden könne. Denn es sei eine neue Tatsache, dass die noch ausstehenden Planfeststellungsbeschlüsse für die Abschnitte 1.3 und 1.6b nicht erlassen werden könnten, weil die Leistungsfähigkeit des Hauptbahnhofs 1.1 seinerzeit fehlerhaft festgestellt worden, die Gesamtfinanzierung ausgeschlossen gewesen sei und es an einem „vorläufigen positiven Gesamturteil“ gefehlt habe. Mit dieser Ansicht verkennt der Kläger jedoch die Bedeutung der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils vom 06.04.2006. Denn die Fragen der Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs und der Finanzierung sowie der Verwirklichungsaussichten des Gesamtprojekts sind darin geklärt worden.
43 
Die Rechtskraft dieser Entscheidung würde nur dann nicht entgegen stehen, wenn hinsichtlich der genannten Fragen ein Sachverhalt vorläge, der von der Entscheidung nicht umfasst wäre. Es kann offen bleiben, ob ein solcher - von der Rechtskraft nicht erfasster - neuer Sachverhalt stets dann vorliegt, wenn neue Tatsachen gegeben sind, die einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG rechtfertigen. Dafür mag vieles sprechen. Dies bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner Entscheidung, weil die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG nicht erfüllt sind. Es liegen weder in Bezug auf die Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs (dazu 1.), noch in Bezug auf die Finanzierung (dazu 2.) oder die Verwirklichungsaussichten des Gesamtprojekts (dazu 3.) neue Tatsachen vor.
44 
1. Der vom Kläger als Beleg für die mangelnde Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs ins Feld geführte Umstand, dass dieser nur für 32 Züge pro Stunde ausgelegt sei, ist keine solche neue Tatsache.
45 
a) Der Kläger trägt selbst vor, dass dies bereits aus dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses vorliegenden Gutachten folge und zudem auch Eingang in das Urteil des Senats vom 06.04.2006 gefunden habe. Auf S. 37 (juris Rn. 58f.) ist dort ausgeführt, dass nach dem Gutachten von Prof. Schwanhäußer der achtgleisige Durchgangsbahnhof für abgestimmte Betriebsprogramme mit 32 bis 35 Gleisbelegungen pro Stunde ausreiche, während das Betriebsszenario A nur durchschnittlich 25,5 Gleisbelegungen pro Stunde der Hauptverkehrszeit erwarten lasse. Es sei daher nachvollziehbar, dass der Gutachter dem Durchgangsbahnhof für das Betriebsszenario A eine gute bis sehr gute Betriebsqualität bescheinigt habe. Die Bedarfsprognose sei unter den Beteiligten nicht streitig.
46 
Daraus folgt, dass die Kapazität des geplanten Durchgangsbahnhofs - entgegen dem Vortrag des Klägers - stets bekannt war. Dass sie ausreichend und zukunftssicher bemessen ist, wurde vom Kläger von Anfang an bestritten und war Gegenstand der Erörterung und der Befragung der Gutachter in der mündlichen Verhandlung des vom Kläger betriebenen Klageverfahrens - 5 S 848/05 -. Der Kläger hat zwar seinerzeit nicht vorgetragen, die Kapazität des neuen Durchgangsbahnhofs (32 Züge) bleibe hinter derjenigen des bestehenden Kopfbahnhofs (50 Züge) zurück, worauf er nun maßgeblich abhebt. Auch insoweit liegt jedoch keine neue Tatsache vor. Denn der Kläger behauptet nicht, dass sich die Kapazität einer der beiden Bahnhöfe verändert habe. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Vielmehr handelt es sich bei dem vom Kläger vorgenommenen Vergleich der Kapazitäten nur um eine neue Argumentation, die belegen soll, dass die Kapazität des neuen Bahnhofs entgegen der bisherigen Einschätzung doch nicht ausreichend bemessen sei. Dies stellt eine neue Bewertung unveränderter Tatsachen dar. Eine solche neue oder geänderte Bewertung genügt für einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG jedoch nicht (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 49 Rn. 46; Meyer, in: Knack/Hennecke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 49 Rn. 47). Die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung, dass Tatsachen auch dann vorlägen, wenn die Fakten eine rechtliche Bewertung im Rahmen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals erforderten (so Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 49 Rn. 60 und Gayer, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO Kommentar, 4. Aufl. 2007, Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 49 Rn. 44 unter Berufung auf OVG Berlin, Urteil vom 14.10.1998 - 1 B 67.95 -, NVwZ-RR 2000, 431 zum Widerruf nach § 47 Abs. 2 WaffG a.F.), steht der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Denn auch in dem vom OVG Berlin entschiedenen Fall handelte es sich im Ergebnis um eine neu entstandene Tatsachenlage (Änderung der Berufstätigkeit des dortigen Klägers), deren Bewertung zum Wegfall eines Tatbestandsmerkmals (waffenrechtliches Bedürfnis) führte.
47 
b) Angesichts der dargestellten Situation kann von einem „Beweisnotstand“, wie ihn der Kläger für sich reklamiert, nicht gesprochen werden. Insbesondere ergab sich die Kapazität von 32 Zügen pro Stunde bereits aus dem Gutachten von Prof. Schwanhäußer, das dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag und das auch Gegenstand des Verfahrens 5 S 848/05 war. Es kommt daher nicht darauf an, ob - wie der Kläger behauptet - die Personenstromanalyse von Durth-Roos, aus der sich diese Kapazität ebenfalls ergebe, erst später bekannt geworden ist. Offen bleiben kann angesichts dessen auch, ob die vom Bundesverwaltungsgericht für die besondere Situation im Vertriebenenrecht entwickelte Rechtsprechung, wonach im Einzelfall eine Änderung der Sachlage auch kann eintreten kann, wenn ein Prozessbeteiligter wegen eines „Beweisnotstandes“ im Vorprozess erst nachträglich neue Beweismittel beschaffen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.09.1984 - 8 C 137.81 -, BVerwGE 70, 156), auch auf das Planfeststellungsrecht zu übertragen ist.
48 
c) Es liegen auch keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Leistungsfähigkeit des neuen Hauptbahnhofs vor, die als neue Tatsachen im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG einzustufen wären. Dies setzte voraus, dass aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bestimmte bereits vorhandene Tatsachen anders bewertet werden (BVerwG, Beschluss vom 16.07.1982 - 7 B 190.81 -, NVwZ 1984, 102; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 49 Rn. 45). Die vom Kläger angeführten Stellungnahmen des Herrn Dr. Engelhardt vom 07.06.2012 und 06.06.2014 stellen jedoch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dar, die neuen Tatsachen im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG gleichzustellen wären. Hierzu ist nicht jede neue Erkenntnis eines Wissenschaftlers geeignet. Vielmehr muss die Erkenntnis Grundlage dafür sein, dass eine bestimmte bereits vorhandene Tatsache allgemein anders bewertet wird (Kopp/Ramsauer, a.a.O.; zur Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse bei Planungsentscheidungen vgl. BVerwG, Urteil vom 16.03.2006 - 4 A 1075.04 -, juris Rn. 308). Denn eine neue wissenschaftliche Erkenntnis, die geeignet ist, einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG zu begründen, ist abzugrenzen von der bloßen anderen Bewertung einer unveränderten Tatsache. Um letzteres handelt es sich bei den Stellungnahmen des Herrn Dr. Engelhardt. Sie stellen ein neues Beweismittel dar, mit dem der Kläger die früheren Gutachten zu entkräften versucht. Denn der Meinung von Herrn Dr. Engelhardt steht nach wie vor die Meinung der Gutachter der Beigeladenen entgegen. Neue Beweismittel genügen jedoch für einen Widerruf nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwVfG nicht. Darin unterscheidet sich dieser Widerrufstatbestand entscheidend von der in § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgesehenen Möglichkeit, ein Verfahren wieder aufzugreifen. Diese wird im Planfeststellungsrecht durch § 72 Abs. 1 VwVfG ausdrücklich ausgeschlossen. Auch unter Berücksichtigung des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - 5 S 1200/12 - vorgelegten Abschlussberichts der VIEREGG-RÖSSLER GmbH vom 27.10.2011, in dem ebenfalls eine höhere Leistungsfähigkeit des bestehenden Kopfbahnhofs gegenüber dem geplanten Durchgangsbahnhof im Sinne einer höheren Kapazität pro Stunde errechnet wurde, ergibt sich kein anderes Bild. Allenfalls könnte dies als - weiterer - Beleg für eine kontroverse Beurteilung der Leistungsfähigkeit dienen, nicht jedoch als Nachweis, dass die Leistungsfähigkeit allgemein anders bewertet wird.
49 
2. Auch hinsichtlich der Finanzierung des Gesamtprojekts liegen keine neuen Tatsachen vor.
50 
Der Kläger meint, die Gesamtfinanzierung sei ausgeschlossen, weil die (neue) Finanzierungsvereinbarung vom 02.04.2009 aufgrund der vorgesehenen Beteiligung des Landes Baden-Württemberg verfassungswidrig sei. Der Kläger beruft sich auf das für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg erstellte Gutachten von Prof. Meyer vom 03.11.2010. Nach dessen Ansicht verstößt die Mitfinanzierung des Landes gegen Art. 104a Abs. 1 GG. Zu gegenläufigen Ergebnissen kommen indes zum einen Gersdorf (ZG 2011, 248) und Pauly/Becker (NVwZ 2013, 334) und zum anderen Dolde/Porsch (NVwZ 2011, 833), wenngleich mit unterschiedlichen Ansätzen.
51 
Einer Erörterung der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen streitigen Rechtsfragen - insbesondere zur Anwendbarkeit und Auslegung des Art. 104a Abs. 1 GG - bedarf es hier jedoch nicht. Denn Gegenstand des Verfahrens ist nicht die Finanzierungsvereinbarung, sondern der vom Kläger geltend gemachte Widerrufsanspruch nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG. In diesem Rahmen ist zu entscheiden, ob neue Tatsachen vorliegen, die belegen, dass die Gesamtfinanzierung ausgeschlossen ist, so dass - als rechtliche Folge - keine Planrechtfertigung (mehr) vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.1999 - 4 A 12.98 -, NVwZ 2000, 555; Urteil vom 24.11.1989 - 4 C 41.88 -, BVerwGE 84, 123). Dies ist nicht der Fall. Denn unabhängig davon, dass die Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung des Projekts „Stuttgart 21“ äußerst kontrovers diskutiert wird und daher keine Rede davon sein kann, dass die Finanzierungsvereinbarung eindeutig als nichtig zu qualifizieren ist, würde das Projekt nicht schon dann an der Finanzierung scheitern und würde die Planrechtfertigung nicht schon dann fehlen, wenn die Finanzierungsvereinbarung tatsächlich nichtig wäre. Dies wäre vielmehr erst der Fall, wenn zugleich feststünde, dass auch eine andere Aufteilung der Kosten von vornherein ausscheidet, so dass nach der Vorstellung aller Finanzierungsbeteiligten das Projekt nicht zu verwirklichen wäre. Das ist derzeit nicht zu erkennen. Der Kläger meint zwar, den Äußerungen des Bundes und der Bahn, über die zugesagten Kostenbeteiligungen hinaus keine weiteren Beiträge zu leisten, entnehmen zu können, dass im Falle der Nichtigkeit der Finanzierungsvereinbarung das Projekt nicht mehr verwirklicht werden könne. Diese Ansicht teilt der Senat jedoch nicht. Die Äußerungen sind vor dem Hintergrund der derzeitigen, geteilten Finanzierungsverantwortung zu sehen. Stünde zu irgendeinem Zeitpunkt die Nichtigkeit der Finanzierungsvereinbarung rechtskräftig fest, sei es weil einzelne Finanzierungsträger sich überhaupt nicht beteiligen dürfen, sei es weil ihr Finanzierungsanteil gemessen an ihrem Aufgabenanteil zu hoch ist, müsste eine neue Finanzierungsvereinbarung geschlossen werden. Es bestehen derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass hierzu die Bereitschaft fehlt. Die Beigeladene hat im Gegenteil in ihrer Klageerwiderung darauf hingewiesen, dass sie - sogar ohne rechtliche Verpflichtung - nicht gehindert sei, höhere Kosten zu tragen. Bei dieser Situation und angesichts der großen Bedeutung des Projekts spricht derzeit nichts dafür, dass dessen Durchführung an der Finanzierung scheitern wird. Im Übrigen zeigen gerade die der ursprünglichen Finanzierungsvereinbarung folgenden Vereinbarungen, dass die Beteiligten willens sind, die Finanzierung sicherzustellen.
52 
3. Schließlich liegen auch keine neuen Tatsachen vor, die belegen, dass es am „vorläufigen positiven Gesamturteil“ des Projekts „Stuttgart 21“ fehlt, und zwar auch dann nicht, wenn die unter 1. dargestellte, im Vertriebenenrecht entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Änderung der Sachlage in Fällen des „Beweisnotstandes“ auf das Planfeststellungsrecht zu übertragen sein sollte. Denn ein Fall des Beweisnotstandes - wie ihn der Kläger für sich in Anspruch nimmt - liegt nicht vor. Der Kläger meint zwar, er hätte das Fehlen des „vorläufigen positiven Gesamturteils“ im Vorprozess beweisen können, wenn ihm das Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes vom 13.01.2006 nicht vorenthalten worden wäre. Denn in diesem Schreiben teile das Eisenbahn-Bundesamt der beigeladenen Vorhabenträgerin mit, dass der Abschnitt 1.3 nicht genehmigungsfähig sei. Die fehlende Genehmigungsfähigkeit des Abschnitts 1.3 habe zur Folge, dass das Gesamtprojekt nicht verwirklicht werden könne. Der Senat teilt die Ansicht des Klägers jedoch nicht. In dem Schreiben, das sich als Anlage ASt 2 bei den Akten des beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrens - 5 S 1200/12 - befindet, teilt das Eisenbahn-Bundesamt der Beigeladenen zwar mit, dass die Planfeststellungsunterlagen zum Abschnitt 1.3 in der vorgelegten Form nicht genehmigungsfähig seien. Die Mitteilung bedeutet entgegen der Ansicht des Klägers jedoch nicht, dass der Plan für den Abschnitt 1.3 endgültig nicht festgestellt werden kann. Nur in diesem Fall würde der Verwirklichung des Gesamtprojekts ein unüberwindbares Hindernis entgegen stehen mit der Folge, dass sowohl dessen Rechtfertigung als auch die der einzelnen Planfeststellungsabschnitte entfiele (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2013 - 7 A 4.12 -, BVerwGE 147, 184). Das Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes betrifft indessen nur die seinerzeit vorgelegten Planunterlagen. Es schließt mit dem Hinweis, dass die Antragsunterlagen „zur Überarbeitung“ zurückgegeben würden. Es kann daher keine Rede davon sein, dass mit dem Schreiben vom 13.01.2006 zu belegen gewesen wäre, dass der Verwirklichung des Gesamtprojekts ein unüberwindbares Hindernis entgegen steht. Vor diesem Hintergrund brauchte der Senat dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag Nr. 20 nicht nachzugehen, mit dem der Kläger die Beiziehung und Verlesung des Schreibens vom 13.01.2006 beantragt hat. Der Antrag auf Beiziehung ist gegenstandslos, da sich das Schreiben bei den Akten befindet. Auf dessen wortgenauen Inhalt kommt es nach den obigen Ausführungen nicht entscheidungserheblich an, so dass es auch keiner Verlesung bedurfte.
III.
53 
Der Kläger kann seinen geltend gemachten Anspruch auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 auch nicht auf § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG stützen. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Der Widerruf nach dieser Vorschrift ist auch dann möglich, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht verändert hat, so z.B. wenn Tatsachen erst nachträglich bekannt werden. Die Anwendung der Vorschrift im vorliegenden Fall führte zu einer Durchbrechung des rechtskräftigen Urteils vom 06.04.2006. Es kann offen bleiben, ob § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG tatsächlich eine für die Rechtskraftdurchbrechung hinreichende gesetzliche Grundlage darstellt (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, BVerwG, Urteil vom 28.07.1989 - 7 C 78.88 -, BVerwGE 82, 272 und Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26.08 -, BVerwGE 135, 137).
54 
Dem Kläger steht jedenfalls deshalb kein Anspruch auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zu, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllt sind. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Widerruf erforderlich ist, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Es müssen solche gewichtigen Gemeinwohlgründe vorliegen, die es - vergleichbar dem Aufopferungsgedanken im Enteignungsrecht - rechtfertigen, dem Widerrufsbetroffenen eine bereits erteilte Begünstigung nachträglich wieder zu nehmen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 49 Rn. 54; Stein, in: Bauer/Heckmann/Ruge/Schallbruch, VwVfG, § 49 Rn. 34). In Betracht kommen Gründe eines übergesetzlichen Notstandes, wie z.B. in Katastrophenfällen (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O.; Kugele, VwVfG, § 49 Rn. 12). Solche gewichtigen Gemeinwohlgründe liegen hier nicht vor. Insoweit reicht das Interesse der Allgemeinheit an der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel bei weitem nicht aus (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O.).
55 
Neben den genannten Gemeinwohlgründen können zwar auch gewichtige Grundrechtsbeeinträchtigungen Einzelner einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG rechtfertigen. Ein Widerruf wegen einer Grundrechtsbeeinträchtigung ist daher auch dann möglich, wenn das Leben oder die Gesundheit Einzelner ernsthaft gefährdet oder beeinträchtigt würden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.05.1997, a.a.O.). Denn das menschliche Leben stellt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar (BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 - 2 BvR 1013/77 -, BVerfGE 49, 24) und auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011 - 2 BvR 882/09 -, BVerfGE 128, 282). Deren Schutz ist nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG eine vorrangige Gemeinschaftsaufgabe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978, a.a.O.; Kopp/Ramsauer, a.a.O.). Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit sind im vorliegenden Fall jedoch nicht betroffen. Vielmehr beruft sich der Kläger auf die Beeinträchtigung seines eigenen, grundgesetzlich über Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentums und auf entsprechende Eigentumsbeeinträchtigungen weiterer Personen. Soweit es um eine Beeinträchtigung des Eigentums Einzelner infolge eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses geht, liegen jedoch jedenfalls grundsätzlich keine schweren Nachteile für das Gemeinwohl im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG vor, selbst wenn sich die Eigentumsbeeinträchtigung als rechtswidrig erweist. Denn eine solche Beeinträchtigung ist mit den oben dargestellten Gemeinwohlbeeinträchtigungen nicht vergleichbar. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, in dessen Anwendungsbereich Planfeststellungsbeschlüsse fallen, die enteignungsrechtliche Vorwirkungen besitzen (vgl. dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 14 Rn. 83 m.w.N.). Eine Enteignung des Klägers sieht der Planfeststellungsbeschluss vom 28.01.2005 zwar nicht vor. Er erachtet die Veränderung der Grundstückssituation jedoch als so gravierend, dass sie im Ergebnis zu einer Aufhebung der Privatnützigkeit des Eigentums führe und die Grundstückseigentümer entsprechend den Vorschriften des Landesenteignungsgesetzes eine vollständige Übernahme des Grundstücks verlangen könnten (vgl. S. 227 des Planfeststellungsbeschlusses). Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Entfällt der Gemeinwohlgrund einer Enteignung, mag dies zwar unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG einen Widerrufsgrund darstellen. Der Wegfall des Gemeinwohlgrundes bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass dadurch schwere Nachteile für das Gemeinwohl im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zu befürchten sind. Für Eingriffe in das Eigentum steht den Betroffenen eine Entschädigung zu, mit der gegebenenfalls neues Eigentum erworben werden kann. Durch diese Möglichkeit der Ersatzbeschaffung unterscheidet sich der Eingriff in das Eigentum maßgeblich von einem Eingriff in das Leben oder die Gesundheit.
56 
Dass die Rechtssicherheit gerade auch bei Eingriffen in das Eigentum besonderes Gewicht hat, kommt in der Regelung des § 72 Abs. 1 VwVfG zum Ausdruck. Die Vorschrift vermittelt Planfeststellungsbeschlüssen, die typischerweise vor allem mit Eingriffen in das Eigentum Dritter verbunden sind, eine „erhöhte Bestandsgarantie“, indem sie die Anwendbarkeit des § 51 VwVfG ausschließt. Durch diesen Ausschluss soll den besonderen Rechtswirkungen eines unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschlusses Rechnung getragen werden, insbesondere seiner in § 75 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 VwVfG geregelten Gestaltungs- und Ausschlusswirkung (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drs. 7/910 S. 87 zu § 68, der dem heutigen § 72 Abs. 1 VwVfG entspricht). Nach § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG werden durch die Planfeststellung alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. Dieser rechtsgestaltenden Wirkung entspricht es, dass nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens und der Benutzung der Anlagen sowie auf Beseitigung und Änderung der Anlagen ausgeschlossen sind; dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch für nachträgliche Auflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG gelten (vgl. BT-Drs. 7/910 S. 90 zu § 71 Abs. 2, der dem heutigen § 75 Abs. 2 VwVfG entspricht). Eine Ausnahme bilden nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG insoweit lediglich Auflagen, die erforderlich werden, um nicht voraussehbare Auswirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen zu begegnen. Diese gesetzliche Konzeption zeigt, dass ein unanfechtbarer Planfeststellungsbeschluss bei unveränderter Sach- und Rechtslage nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nicht mehr aus den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG genannten Gründen einer Entscheidung über seinen Bestand oder seine Änderung zugeführt werden soll. Selbst bei unvorhersehbaren Wirkungen eines unanfechtbar festgestellten Plans sieht das Gesetz keinen Anspruch auf Aufhebung vor, sondern nur einen Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen oder - falls Schutzmaßnahmen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind - auf eine angemessene Entschädigung in Geld. Diese „erhöhte Bestandsgarantie“ für einen Planfeststellungsbeschluss gebietet es, bei unveränderter Sach- und Rechtslage nur in extremen Ausnahmefällen, wie etwa in der oben genannten Katastrophensituation oder bei Gefahren für Leben oder Gesundheit den Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG zuzulassen. Ob Sonderfälle denkbar sind, in denen ausnahmsweise auch eine Eigentumsverletzung einen gewichtigen Gemeinwohlgrund im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG darstellen kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn eine solche besondere Konstellation hat der Kläger nicht geltend gemacht und sie liegt auch nicht vor. Der Umstand, dass außer dem Kläger noch weitere Eigentümer von dem Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung betroffen sind, stellt keinen solchen Sonderfall dar. Denn er rückt die Situation nicht in die Nähe der oben beschriebenen Katastrophenfälle oder der ihnen gleichzusetzenden Gefährdungen von Leben oder Gesundheit.
57 
Eine andere Beurteilung gebietet auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts zur Durchbrechung der Rechtskraft. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 07.09.1999 - 1 C 6.99 -, NVwZ 2000, 204) muss die Rechtskraft grundsätzlich weichen, wenn ein Festhalten an ihr zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde. Auf diese Rechtsprechung beruft sich der Kläger. Die Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands ist im vorliegenden Fall jedoch nicht „schlechthin unerträglich“. Denn es streiten die Prinzipien der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit miteinander, die beide gleichermaßen mit Verfassungsrang ausgestattet sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.05.2012 - 2 BvL 5/10 -, BVerfGE 131, 20), ohne dass auf Seiten der materiellen Gerechtigkeit weitere gewichtige Umstände hinzuträten, die es geböten, ihr Vorrang zu gewähren (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 19.10.1967, - III C 123.66 -, BVerwGE 28, 122 - Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - und Urteil vom 07.09.1999, a.a.O. - erhebliche Gefahr für Leib oder Leben).
58 
Schließlich darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 17.04.2013 - 1 BvR 2614 -, juris) eine Enteignung zur Verwirklichung eines planfestgestellten Vorhabens - trotz Rechtskraft eines Urteils, das die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss abweist - zwar dann nicht angeordnet werden, wenn feststeht, dass diese Enteignung aufgrund nachträglich eingetretener Änderungen der Sach- oder Rechtslage nicht mehr dem Gemeinwohl dienen würde. Es ist danach aber von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses nur nach Maßgabe der in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Überwindung rechtskräftig bestätigter Planfeststellungsbeschlüsse zugelassen wird (vgl. zum Gebot effektiven und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbundenen Rechtsschutzes bei gestuften Verfahren auch BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08 -, NVwZ 2014, 211, 216). Auch unter dem Blickwinkel des Grundgesetzes ist es daher nicht geboten, die Eigentumsbeeinträchtigung Einzelner als schweren Nachteil für das Gemeinwohl zu werten und einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG ungeachtet des Fehlens eines neuen Sachverhalts zuzulassen.
III.
59 
Die von dem Kläger begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 lässt sich schließlich auch nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG stützen. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zurückgenommen werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Denn dem geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme des Planfeststellungsbeschlusses steht die Rechtskraft des Senatsurteils vom 06.04.2006 entgegen. Insoweit kann auf die zwischen den Beteiligten ergangenen Beschlüsse des Senats vom 13.08.2012 (- 5 S 1200/12 -, juris) und vom 15.11.2012 (- 5 S 1812/12 -) verwiesen werden. Der Kläger hat hierzu nichts Weiteres vorgetragen.
IV.
60 
Vor dem Hintergrund der Ausführungen unter I. bis III. brauchte der Senat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen Nr. 1 bis 19 nicht nachzugehen. Die Beweisanträge Nr. 1 bis 4, 7 bis 9, 13, 14, und 16 sind für die Entscheidung nicht erheblich. Mit ihnen sollen keine neuen Tatsachen bewiesen, sondern es soll Beweis dafür erbracht werden, dass die im einzelnen genannten Umstände bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.01.2005 vorlagen. Dies gilt auch für den Beweisantrag Nr. 14, obwohl der Kläger auf einen Vergleich der Kapazität des bestehenden Bahnhofs im Jahr 2011 und der geplanten Kapazität von 32 Zügen abhebt. Denn er behauptet selbst nicht, dass sich die Kapazität eines der beiden Bahnhöfe seit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses geändert habe (vgl. oben unter I.1.a)). Mit den Beweisanträgen Nr. 5, 6 und 10 werden lediglich neue Beweismittel zu Fragen der Kapazitätsermittlung und -bewer-tung benannt, mit denen eine bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses vorliegende Tatsache bewiesen werden soll. Diese Fragen waren bereits Gegenstand der früheren Gutachten. Auch dass insoweit neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen, die - wie oben unter I. 1.a) ausgeführt - als neue Tatsachen zu werten wären, legt der Kläger nicht dar. Die Beweisanträge sind daher für die Entscheidung unerheblich. Das gleiche gilt für die Beweisanträge Nr. 11 und 12. Denn damit soll nicht bewiesen werden, dass sich der tatsächliche Zugverkehr in der Spitzenstunde gegenüber dem Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses in einem bestimmten Umfang geändert hat. Die Beweisanträge Nr. 15 und 17 sind unerheblich, weil die Planrechtfertigung nur dann entfiele, wenn feststünde, dass im Falle der Unwirksamkeit der Finanzierungsvereinbarung die Umsetzung des Projekts an der Finanzierung scheitern wird. Dies ist nach den Ausführungen unter I. 2. jedoch nicht der Fall. Die Beweisthemen der Beweisanträge Nr. 18 und 19 enthalten keine dem Beweis zugänglichen Tatsachen. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Seelenlebens (BGH, Urteil vom 25.11.1997 - VI ZR 306/96 -, NJW 1998, 1223, 1224). Die Beweisanträge haben jedoch zum einen Hypothesen zum Gegenstand („nicht mehr beginnen würde“, „nicht mehr zustimmen würde“) und zum anderen zukünftige Entscheidungen, die darüber hinaus von dem Eintritt bestimmter Bedingungen abhängen. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, was der Kläger unter einem „hohen“ Fahrgastwechsel und „überdurchschnittlich hoher“ Mindesthaltezeit (Beweisantrag Nr. 10a) sowie „größeren“ Neubauten (Beweisantrag Nr. 13) versteht.
C.
61 
Da es somit bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.1 fehlt, bleibt auch der unter Nr. 2 gestellte Hilfsantrag ohne Erfolg, der auf eine Verpflichtung zur Bescheidung des beim Eisenbahn-Bundesamt gestellten Aufhebungsantrags gerichtet ist.
D.
62 
Der auf einen Baustopp gerichtete Hilfsantrag unter Nr. 3 hat ebenfalls keinen Erfolg. Denn die mit ihm begehrte Nebenbestimmung könnte jedenfalls nur unter den weiteren, für einen Teilwiderruf oder eine Teilrücknahme geltenden Voraussetzungen nach den §§ 48 f. VwVfG den Planfeststellungsbeschlüssen beigefügt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 29.01.2012 - 5 S 196/12 -, NVwZ-RR 2012, 340). Allerdings fehlt es aus den oben dargestellten Gründen an den Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme.
E.
63 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat sieht nach § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Kostenentscheidung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
64 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
65 
Beschluss vom 2. Juli 2014
66 
Der Streitwert wird nach § 63 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 34.2, 2.2.1 des Streitwertkatalogs 2004 endgültig auf 30.000,-- EUR festgesetzt.
67 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Aufhebung zweier Planfeststellungsbeschlüsse für den Umbau des Bahnknotens Stuttgart "Projekt Stuttgart 21" (Abschnitt 1.1 - Talquerung mit neuem Hauptbahnhof - und Abschnitt 1.2 - Fildertunnel -). Er ist Miteigentümer eines Grundstücks am Übergang der beiden bestandskräftig planfestgestellten Planfeststellungsabschnitte, das für das Vorhaben in Anspruch genommen wird. Das auf dem Grundstück stehende Wohngebäude ist nach einer vorzeitigen Besitzeinweisung der Beigeladenen bereits abgerissen worden. Gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt 1.1 hatte der Kläger erfolglos Klage erhoben; den Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt 1.2 hatte er nicht angefochten. Seine nunmehr erhobene Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die beiden Planfeststellungsbeschlüsse aufzuheben, hat der Verwaltungsgerichtshof einschließlich damit verbundener Hilfsanträge abgewiesen.

2

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es ist weder die gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erkennbar (1.) noch weist die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2.). Schließlich sind auch die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel nicht erkennbar (3.).

3

1. Der Kläger sieht die gerügte Abweichung darin, dass der Verwaltungsgerichtshof seinen Verpflichtungsantrag hinsichtlich des Planfeststellungsbeschlusses für den Abschnitt 1.2 als unzulässig abgewiesen habe, weil ihm kein an die Verwaltungsbehörde gerichteter Antrag vorausgegangen sei, während das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 4. August 1993 - 11 C 15.92 - (NVwZ 1995, 76) entschieden habe, dass der Grundsatz von der Notwendigkeit eines vor Einleitung des Gerichtsverfahrens bei der Behörde zu stellenden Vornahmeantrages nicht ausnahmslos gelte.

4

Die vermeintliche Abweichung existiert nicht. Die Beigeladene weist zu Recht darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich ausgeführt habe, dass der Zwang, vor der Verpflichtungsklage einen entsprechenden Antrag im Verwaltungsverfahren zu stellen, "grundsätzlich" gelte, also nach dem üblichen juristischen Sprachgebrauch gerade nicht ausnahmslos ist. Dies deckt sich aber mit dem Rechtssatz, der dem vom Kläger herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. August 1993 - 11 C 15.92 - zugrunde liegt; denn dort wird dargelegt, dass eine Ausnahme von der von einzelnen Senaten des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Regel, nach der ein vor Klageerhebung an die Behörde zu stellender Antrag Klagevoraussetzung sei, jedenfalls in dem dortigen Zusammenhang - ein Folgeantrag auf Ausbildungsförderung, nachdem die Behörde mit der streitigen Frage bereits bei dem Erstantrag befasst war - gerechtfertigt sei. Ob der Regelannahme der anderen Senate zu folgen sei, lässt das Urteil ausdrücklich offen, stellt also keinen gegenteiligen Rechtssatz auf.

5

2. a) Die an diesen Sachverhalt hilfsweise anknüpfende Grundsatzrüge des Klägers, mit der er geklärt wissen will,

ob und unter welchen Voraussetzungen ein vorgehender Antrag an die zuständige Behörde als ungeschriebene Klage-, Statthaftigkeits- oder Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Verpflichtungsklage allgemein entbehrlich sein kann und/oder insbesondere durch die Geltendmachung im Klageverfahren - vornehmlich in der Klagebegründung - (ggf. gleichsam mit heilender Wirkung) nachgeholt werden kann,

rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Dass ein solcher Antrag grundsätzlich vor Klageerhebung gestellt werden muss, ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und ist auch Ausgangspunkt der Fragestellung des Klägers. Insoweit ergibt sich auch kein weiterer Klärungsbedarf deswegen, weil im Urteil vom 4. August 1993 - 11 C 15.92 - offengelassen wird, ob diesem Grundsatz gefolgt werden könne; denn Gründe dafür, diesen Grundsatz aufzugeben, sind weder in jener Entscheidung noch in den Ausführungen des Klägers dargetan worden. Soweit es darum geht, ob und unter welchen Voraussetzungen von diesem Grundsatz abgewichen werden kann, hängt die Beantwortung der Frage von den Umständen des Einzelfalls und den jeweils maßgeblichen Rechtsnormen des betreffenden Sachgebiets ab. Der durch den Verwaltungsgerichtshof entschiedene Sachverhalt und das Beschwerdevorbringen des Klägers bieten jedenfalls keine hinreichenden Ansatzpunkte für eine allgemeingültige Formulierung von Voraussetzungen, unter denen in solchen Konstellationen Ausnahmen zugelassen werden können. Allein die vom Kläger betonte Tatsache, dass die Behörde seinen den Planfeststellungsbeschluss für den Teilabschnitt 1.1 betreffenden Aufhebungsantrag nicht beschieden hat, reicht für sich gesehen nicht dazu aus, das Absehen von einem vorherigen Antrag hinsichtlich eines weiteren Teilabschnitts zu rechtfertigen; erst recht lässt sich dies nicht dahin generalisieren, dass eine solche den Teilabschnitt eines Vorhabens betreffende Untätigkeit der Behörde es grundsätzlich erlaubt, den Kläger auch bei der gerichtlichen Verfolgung gleichgerichteter Begehren hinsichtlich weiterer Planfeststellungsabschnitte von einer vorherigen Antragstellung im Verwaltungsverfahren freizustellen. Auch dies hängt vielmehr von den jeweiligen Umständen ab und ist einer über den Fall hinausweisenden Klärung nicht zugänglich.

6

Auch die weiteren vom Kläger als klärungsbedürftig bezeichneten Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO:

7

b) Die Frage,

ob der Widerruf eines Verwaltungsakts (hier: Planfeststellungsbeschlusses) nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG, dessen Rechtmäßigkeit durch ein rechtskräftiges Urteil bindend feststeht, im nachfolgenden Prozess um einen Anspruch auf Aufhebung nur neu eingetretene Tatsachen im Sinne des Tatbestands der Widerrufsvorschrift voraussetzt oder (zusätzlich) einen "- von der Rechtskraft nicht erfassten - neuen Sachverhalt",

ist schon deswegen nicht klärungsbedürftig, weil sie an den Ausführungen des angegriffenen Urteils vorbeigeht. Der Verwaltungsgerichtshof lässt diese Frage ausdrücklich offen, weil er der Auffassung ist, dass es im vorliegenden Fall bereits an nachträglich eingetretenen Tatsachen fehle. Soweit der Kläger geltend macht, dass der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet dessen dennoch darauf abstelle, ob die betreffenden Tatsachen von der Rechtskraft des vorausgegangenen Urteils erfasst würden, unterliegt er einem Missverständnis. Der Verwaltungsgerichtshof bejaht nicht das Vorliegen neuer Tatsachen, um diese Aussage anschließend dadurch zu beschränken, dass diese Tatsachen - obwohl sie nachträglich eingetreten seien - von der Rechtskraft des Urteils erfasst und daher nicht als solche im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG aufzufassen seien. Vielmehr verneint er die Neuheit der Tatsachen, weil sie Gegenstand des vorausgegangenen Gerichtsverfahrens gewesen seien und ihrer Berücksichtigung deshalb die Rechtskraft des Urteils entgegenstehe.

8

c) Die weitere Frage,

ob es eine neue Tatsache im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG darstellt, wenn sich ergibt, dass eine aus mehreren sukzessiv ergehenden Teilgenehmigungen bestehende Vollgenehmigung für ein teilweise genehmigtes, insoweit aber nicht funktionsfähiges Vorhaben nicht erteilt werden kann, weil feststeht, dass spätere, für die Funktionsfähigkeit des Vorhabens erforderliche Teilgenehmigungen nicht erteilt werden dürfen, auch wenn die früher ergangenen Teilgenehmigungen rechtskräftig bestätigt worden sind und bei isolierter Betrachtung ohne Rücksicht auf die fehlende Gesamtgenehmigungsfähigkeit weder zurückgenommen (§ 48 VwVfG) noch - etwa mangels neuer Tatsachen - widerrufen (§ 49 VwVfG) werden könnten,

geht ebenfalls an den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs vorbei. Das Gericht hat gerade nicht festgestellt, dass weitere für die Funktionsfähigkeit des Vorhabens erforderliche Teilgenehmigungen nicht erteilt werden dürften, es hat sich im Gegenteil auf den Standpunkt gestellt, dass - obwohl die Planfeststellungsunterlagen zum Abschnitt 1.3 in der vorgelegten Form nach einem Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes nicht genehmigungsfähig seien - dies nicht bedeute, dass der Plan insoweit nicht endgültig festgestellt werden könne und dass der Verwirklichung des Gesamtprojekts daher bislang keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstünden.

9

d) Die daran anschließende Frage,

ob neue Tatsachen im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG nicht auch dann vorliegen (können), wenn - wie in der zitierten Literatur vertreten wird - die Fakten eine rechtliche Bewertung im Rahmen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals erfordern,

stellt sich nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht und verleiht der Rechtssache daher keine grundsätzliche Bedeutung. Der Verwaltungsgerichtshof steht zu Recht auf dem Standpunkt, dass seine das Urteil tragende Rechtsansicht der in der vermeintlichen Grundsatzfrage wiedergegebenen Rechtsauffassung nicht entgegensteht. Zutreffend verweist er darauf, dass diese Rechtsauffassung auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 14. Oktober 1998 - 1 B 67.95 - (NVwZ-RR 2000, 431) zurückzuführen ist (vgl. das Zitat bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 49 Rn. 60 Fn. 184, sowie bei Gayer, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 49 Rn. 44) und keineswegs eine Änderung der rechtlichen Bewertung bei gleichbleibender Tatsachenlage im Auge hat, sondern eine geänderte Tatsachenlage, die eine neue Bewertung erfordert. Eine solche geänderte Tatsachenlage hat der Verwaltungsgerichtshof gerade verneint.

10

e) Auch die weitere Frage,

unter welchen Voraussetzungen neue wissenschaftliche oder wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, Gutachten oder sachverständige Stellungnahmen "neuen Tatsachen" im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG gleichstehen bzw. als neue Tatsache zu behandeln sind,

wobei nach Auffassung des Klägers auch zu klären ist,

ob insoweit die Auslegung von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG in Bezug auf Planfeststellungsbeschlüsse anderen, engeren Vorgaben unterliegt,

verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

11

Der Verwaltungsgerichtshof hat die vom Kläger angeführten Stellungnahmen des Herrn Dr. E. als ein neues Beweismittel eingeordnet, mit dem der Kläger die bisherigen Gutachten zu entkräften versuche. Es handele sich nicht um neue Tatsachen im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG. Dazu genüge nicht jede neue Erkenntnis eines Wissenschaftlers; vielmehr müsse diese Grundlage dafür sein, dass eine bestimmte bereits vorhandene Tatsache allgemein anders bewertet werde; denn eine neue wissenschaftliche Erkenntnis, die geeignet sei, einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG zu begründen, sei abzugrenzen von der bloßen anderen Bewertung einer unveränderten Tatsache.

12

Der Verwaltungsgerichtshof gibt insoweit die von ihm zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 16. Juli 1982 - 7 B 190.81 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 80; Urteil vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 308) zutreffend wieder, so dass sich nicht ohne Weiteres erschließt, woraus sich ein weiterer Klärungsbedarf ergeben soll. Das gilt auch, soweit der Kläger es für notwendig hält, sich mit der Anwendbarkeit dieser Grundsätze im Planfeststellungsrecht auseinanderzusetzen. Abgesehen davon, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, warum die Frage, wann wissenschaftliche Erkenntnisse als "neue Tatsachen" anzusehen sind, im Planfeststellungsrecht anders als sonst zu beantworten sein soll, ergibt sich aus dem das Planfeststellungsrecht betreffenden Urteil vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 - (BVerwGE 125, 116 Rn. 308), auf das sich auch der Kläger in seiner Beschwerdebegründung beruft, dass dies in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht anders beurteilt wird. Dort wird mit weiteren Nachweisen klargestellt, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Regel erst dann einer Planungs- oder Zulassungsentscheidung zugrunde zu legen sind, wenn sie allgemeine Anerkennung gefunden haben. Daraus folgt sogleich, dass eine Einzelmeinung, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion bisher nicht durchgesetzt hat, grundsätzlich keine neue Tatsache sein kann, die einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG rechtfertigen kann. Die vom Kläger mit seinem Hinweis auf die vom Bundesverwaltungsgericht verwendeten Worte "in der Regel" indirekt aufgeworfene Frage, ob davon Ausnahmen denkbar sind, stellt sich im vorliegenden Fall nicht; denn Umstände für eine in dieser Hinsicht aus dem Rahmen fallende Situation lassen sich weder den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs noch den Ausführungen des Klägers entnehmen.

13

f) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich schließlich auch nicht im Hinblick auf die Fragen,

unter welchen Voraussetzungen allgemein die Planrechtfertigung im Hinblick auf die Sicherung der dem Plan ursprünglich zugrunde liegenden Finanzierung entfällt bzw. entfallen kann, beispielsweise wenn eine zugrunde liegende verbindliche Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Vorhabenträger und weiteren an der Finanzierung maßgeblich beteiligten Gebietskörperschaften (wie hier Bund, Länder, Kommune) nachträglich in Frage gestellt wird, vornehmlich nichtig ist oder nicht mehr ausreicht oder sonst feststeht, dass einzelne Mitfinanzierer ganz oder teilweise ausfallen,

und

ob es bei später entstehenden Zweifeln an der Finanzierung ausreicht, dass der private Vorhabenträger bzw. der in staatlichem Eigentum stehende privatisierte Vorhabenträger erklärt, er sei ggf. bereit, die Finanzierung notfalls teils zusätzlich oder ganz selbst zu übernehmen.

14

Der Verwaltungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass Gegenstand des Verfahrens der Widerrufsanspruch des Klägers nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG sei und in diesem Rahmen geprüft werden müsse, ob aufgrund neuer Tatsachen die Gesamtfinanzierung ausgeschlossen sei und demzufolge keine Planrechtfertigung mehr vorliege. Dies hat er verneint. Die vom Kläger dazu aufgeworfenen Fragen betreffen die tatsächliche Bewertung der dieser Beurteilung zugrunde liegenden Einzelumstände und sind daher nicht geeignet, der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu verleihen.

15

g) Die folgenden vier als grundsätzlich bezeichneten Fragen zu § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG, mit denen der Kläger sinngemäß grundlegend geklärt wissen will, unter welchen Voraussetzungen ein schwerer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift bei einem Planfeststellungsbeschluss mit enteignender Vorwirkung vorliegt, wenn der Gemeinwohlgrund der Enteignung oder Eigentumsbeschränkung nachträglich entfällt, und wozu er zahlreiche Einzelfragen formuliert, von deren Wiedergabe hier abgesehen wird, führen ebenfalls nicht zum Erfolg des Rechtsbehelfs.

16

Die Vorschrift des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG stellt mit der Verhütung oder Beseitigung von schweren Nachteilen für das Gemeinwohl besonders strenge Anforderungen an den Widerrufsgrund, ist jedoch ansonsten voraussetzungslos; insbesondere fordert sie keine Veränderung der Sach- oder Rechtslage und lässt damit ohne Weiteres die Durchbrechung der Bestandskraft zu. Angesichts dessen liegt es auf der Hand, dass mit schweren Nachteilen für das Gemeinwohl zwar nicht ausschließlich Allgemeininteressen, sondern auch individuelle Träger von Rechtsgütern geschützt sein können (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1997 - 11 C 1.96 - BVerwGE 105, 6 <15>), deren verletztes Recht aber einen Rang aufweisen muss, der es zum Gemeinwohlbelang erhebt, und dessen Verletzung zudem so gravierend sein muss, dass sie auch und gerade im Interesse der Allgemeinheit nicht hingenommen werden oder aufrechterhalten bleiben kann.

17

Ausgehend davon drängt es sich auf, dass die Beeinträchtigung des Eigentums Einzelner durch einen Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich nicht die strengen Anforderungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG erfüllt. Anders als für das Leben und die Gesundheit individueller Rechtsträger, die das Bundesverwaltungsgericht als vom Schutz der Norm erfasst sieht, gibt es - worauf der Verwaltungsgerichtshof zu Recht hinweist - für verlorenes oder beeinträchtigtes Eigentum die Möglichkeit der Ersatzbeschaffung. Im Übrigen darf nicht aus den Augen verloren werden, dass Planfeststellungsbeschlüsse mit enteignenden Vorwirkungen keineswegs Ausnahmeerscheinungen sind. Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass planfeststellungsbedürftige Vorhaben, insbesondere solche der Verkehrsinfrastruktur, oftmals mit der Inanspruchnahme fremden Eigentums einhergehen. Gäbe man den Betroffenen in all diesen Fällen mit der Behauptung der untragbaren Nachteile des bestandskräftig vorentschiedenen Zugriffs auf ihr Eigentum die Möglichkeit einer erneuten Verfahrenseröffnung, verlöre die Bestandskraft solcher Entscheidungen weitgehend ihre Bedeutung. Dies widerspräche der Zielrichtung der einschlägigen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes, die Planfeststellungsbeschlüssen wegen ihrer gestalterischen Wirkung eine erhöhte Bestandskraft verleihen und daher einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Planfeststellungsverfahrens ausschließen (vgl. § 72 Abs. 1 i.V.m. § 51 VwVfG). Der Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses kommt daher, wenn nachträgliche Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 VwVfG nicht ausreichen, um Gefahren für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter abzuwehren, nur als ultima ratio in Betracht (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1997 - 11 C 1.96 - BVerwGE 105, 6 <13>; Beschlüsse vom 10. Oktober 2003 - 4 B 83.03 - NVwZ 2004, 97 <98>, vom 16. Dezember 2003 - 4 B 75.03 - NVwZ 2004, 865 <867> und vom 26. Februar 2004 - 4 B 95.03 - NVwZ 2004, 869; Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 72 Rn. 115) und jedenfalls grundsätzlich nicht schon dann, wenn Einzelne in ihren Eigentumsrechten betroffen sind. Dies ist offenkundig und bedarf zur Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Nur insoweit ist es angesichts des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts notwendig, die in diesem Zusammenhang vom Kläger aufgeworfenen zahlreichen Fragen zu beantworten.

18

h) Schließlich ergibt sich auch kein grundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der Fragen,

unter welchen Voraussetzungen durch den ohne Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses erfolgenden Bau eines Planungstorsos (nicht funktionsfähiges Vorhaben) ein schwerer Nachteil für das Gemeinwohl droht,

und

ob die in diesem Falle ohne rechtfertigenden Gemeinwohlgrund erfolgenden Eingriffe in die im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigten öffentlichen und privaten Belange (Enteignungen, naturschutzrechtliche Eingriffe) schwere Nachteile darstellen.

19

Diese Fragen sind schon deswegen nicht zu beantworten, weil sie Tatsachen voraussetzen, die vom Verwaltungsgerichtshof so nicht festgestellt worden sind.

20

3. Es gibt auch keine Verfahrensmängel, die zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen.

21

a) Der Kläger rügt insoweit im Anschluss an eine seiner Grundsatzrügen zunächst, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht ohne Beweisaufnahme davon habe ausgehen dürfen, dass die Stellungnahmen des Dr. E. nicht dem allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprächen.

22

Diese Rüge genügt für sich gesehen nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung eines Verfahrensmangels, weil sie nicht verdeutlicht, weshalb es sich dem Gericht aufdrängen musste, dass seine an den bisher vorliegenden Gutachten orientierte Einschätzung der Stellungnahmen einer weiteren Fundierung durch die Einholung zusätzlicher Beweismittel bedurfte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger diese Rüge darüber hinaus mit dem Einwand verknüpft, die Beweisanträge Nr. 1 bis 14 hätten nicht übergangen werden dürfen; denn auch insoweit liegt kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.

23

b) Mit seinen Beweisanträgen Nr. 1, 2, 11 und 12 wollte der Kläger nach seinem Beschwerdevorbringen belegen, dass der der Planung zugrunde gelegte Verkehrsbedarf fehlerhaft bemessen worden sei. Da der Verwaltungsgerichtshof die mit den Anträgen zu 1 und 2 zu beweisenden Tatsachen nicht als neu bewertet hat, waren sie nach der dem Urteil zugrunde liegenden und daher maßgeblichen Rechtsauffassung nicht entscheidungserheblich, so dass sich das Unterlassen der Beweisaufnahme nicht als verfahrensfehlerhaft erweist. Dem Kläger hilft insoweit auch der Vortrag nicht weiter, erst die Beweisaufnahme hätte ergeben, dass es sich bei den zu belegenden Tatsachen nicht um bloße Bewertungen bekannter Tatsachen, sondern um neue wissenschaftliche Erkenntnisse handele, die der Entscheidung wie neue Tatsachen hätten zugrunde gelegt werden müssen. Damit seine Anträge mit dieser Zielrichtung noch als echte Beweisanträge und nicht als bloße Ausforschungsanträge hätten verstanden werden können, hätte er zumindest Umstände vortragen müssen, aus denen sich ergeben hätte, dass die zu gewinnenden Beweisergebnisse nach den vom Verwaltungsgerichtshof angelegten Maßstäben notwendigerweise wissenschaftlich allgemein anerkannt und daher als neue Tatsachen hätten bewertet werden müssen. Dass dies geschehen ist, macht er mit seiner Beschwerde nicht geltend.

24

Die Beweisanträge zu 11 und 12 zielten bereits ihrem Wortlaut nach auf den tatsächlichen Zugverkehr im Jahre 2011 und daher von vornherein nicht auf neue Tatsachen, so dass sie schon deswegen vom Verwaltungsgerichtshof mit dieser Begründung abgelehnt werden durften.

25

Soweit der Kläger neben den Beweisanträgen zu 1, 2, 11 und 12 generell das Übergehen der Beweisanträge zu 1 bis 14 beanstandet hat, fehlt seiner Rüge die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Substanz.

26

c) In der Sache nicht berechtigt ist schließlich die Verfahrensrüge, die die Beweisanträge zu 18 und 19 betrifft. Mit diesen Anträgen wollte der Kläger durch zwei Zeugenaussagen im Wesentlichen die fehlende Bereitschaft und Fähigkeit der Deutschen Bahn AG und ihres Aufsichtsrates, das Vorhaben angesichts der Kostensteigerungen zu finanzieren, und deren Absicht belegen, den Bau des Projekts einzustellen oder zu stoppen, wenn der Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 verfassungswidrig sei, die darin vorgesehenen Finanzierungsbeiträge des Landes Baden-Württemberg nicht gezahlt werden könnten und ggf. geleistete Zahlungen zurückgezahlt werden müssten.

27

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anträge mit der Begründung abgelehnt, dass die Beweisthemen keine dem Beweis zugänglichen Tatsachen enthielten, weil sie Hypothesen und künftige Entscheidungen zum Gegenstand hätten, die darüber hinaus von bestimmten Bedingungen abhingen. Diese Begründung lässt keinen Verfahrensmangel erkennen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Planrechtfertigung nur dann als fehlend angesehen, wenn im Falle der Nichtigkeit der Finanzierungsvereinbarung zugleich feststünde, dass eine andere Aufteilung der Kosten von vornherein ausscheide, so dass nach den Vorstellungen aller Finanzierungbeteiligten das Projekt nicht zu verwirklichen wäre (vgl. UA S. 17). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, konnte der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen und stützt sich dabei unter anderem auf den Prozessvortrag der Beigeladenen, wonach sie nicht gehindert sei, höhere Kosten zu tragen.

28

Zu dieser Einschätzung des künftigen Verhaltens der Beigeladenen sollten die Zeugen ausweislich des Beweisthemas keine konkreten Tatsachen beitragen - solche werden in den Beweisanträgen nicht benannt -, sondern ihre eigene Einschätzung dazu, wie sich die Deutsche Bahn AG und die Beigeladene verhalten würden, wenn die beschriebenen Finanzierungsprobleme aufträten. Solche Mutmaßungen sind keine Tatsachen, die dem Beweis zugänglich sind. Dazu hätte der Kläger schon bestimmte tatsächliche Umstände in das Wissen der Zeugen stellen müssen, aus denen sich auf die vermutlichen Absichten der Deutschen Bahn AG und der Beigeladenen hätte schließen lassen.

29

Die in diesem Zusammenhang erhobene Gehörsrüge ist ebenso wenig berechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht nur in den Tatbestand seines Urteils den Vortrag des Klägers zur entstehenden Finanzierungslücke und der fehlenden Bereitschaft der Vorhabenträgerin und des Bundes, für diese Lücke einzustehen, aufgenommen (UA S. 5 oben), er ist auch in den Entscheidungsgründen (UA S. 17 f.) hierauf eingegangen, wenn auch nicht mit dem vom Kläger erwünschten Ergebnis. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich hieraus nicht.

30

Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

31

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die im Jahr 2007 planfestgestellten Betriebsregelungen für den Nachtflugbetrieb auf dem Verkehrsflughafen Leipzig/Halle aufzuheben.

2

Mit Planfeststellungsbeschluss vom 4. November 2004 stellte das Regierungspräsidium Leipzig Aus- und Umbaumaßnahmen für den Flughafen Leipzig/Halle fest, um diesen zu einem Drehkreuz für den Frachtflugverkehr auszubauen. Auf Klagen von Anwohnern, darunter auch dem Kläger, verpflichtete der Senat den Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut darüber zu entscheiden, ob der Nachtflugbetrieb, soweit es nicht um Frachtflüge zum Transport von Expressgut geht, über die getroffenen flugbetrieblichen Regelungen hinaus beschränkt wird, und wies die Klagen im Übrigen ab (BVerwG, Urteil vom 9. November 2006 - 4 A 2001.06 - BVerwGE 127, 95 ).

3

Den nächtlichen Flugbetrieb regelte das Regierungspräsidium Leipzig in einem Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss vom 27. Juni 2007. Die Regelungen A II.4.7.1. Satz 2 und A II.4.7.3.6. bis A II.4.7.3.8. gestatten in weitem Umfang nächtlichen Fracht- und Militärflugverkehr. Die gegen den Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss erhobene Klage des Klägers wies der Senat mit Urteil vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - (BVerwGE 131, 316) ab. Eine dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an (BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 1 BvR 3474/08 - NVwZ 2009, 1489). Eine Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erklärte dieser für unzulässig (EGMR, Entscheidung vom 10. Juni 2014 - 25330/10 - NVwZ 2015, 1119).

4

Der Kläger ist Miteigentümer eines Grundstücks, das er selbst bewohnt. Es liegt etwa 11,5 km entfernt in östlicher Verlängerung der südlichen Start- und Landebahn des Flughafens innerhalb des vom Planfeststellungsbeschluss festgesetzten Nachtschutzgebietes. Für diese Ortslage prognostiziert der Planfeststellungsbeschluss eine nächtliche Lärmbelastung mit einem Dauerschallpegel Leq(3) = 51,2 dB(A), 20,3 Lärmereignissen mit LAmax ≥ 68 dB(A) und 1,2 Lärmereignissen mit LAmax ≥ 75 dB(A). Auf Kosten der Beigeladenen sind in den Schlafräumen des Wohnanwesens des Klägers Lüftungseinrichtungen sowie Schallschutzfenster eingebaut worden, die nach den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses bei geschlossenen Fenstern eine Außen-Innen-Pegeldifferenz von 25 dB(A) gewährleisten sollen. Nach Angaben der Beigeladenen liegen die in den Schlafräumen auftretenden Maximalpegel unter 50 dB(A).

5

Im September 2014 beantragte der Kläger, die Bestimmungen zum Nachtflugbetrieb zurückzunehmen, hilfsweise zu widerrufen sowie das Ergänzungsplanfeststellungsverfahren wiederaufzugreifen oder erneut durchzuführen. In dem erneuten Verwaltungsverfahren seien die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Auswirkungen nächtlichen Fluglärms zu beachten. Mit Schreiben vom 19. September 2014, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, lehnte die Landesdirektion Sachsen die Anträge ab. Einen Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2015 als unzulässig und unbegründet zurück.

6

Mit seiner am 4. April 2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Annahmen aus dem Planfeststellungsbeschluss zu Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Fluglärm seien wissenschaftlich überholt. Dies gelte insbesondere für die Grenze einer Gesundheitsgefährdung ab einem nächtlichen Dauerschallpegel von 60 dB(A) (außen) und einem Maximalpegel (innen) von 65 dB(A) sowie für die Pegeldifferenz eines gekippten Fensters von 15 dB(A). Der Beklagte dürfe daher an dem Planfeststellungsbeschluss nicht festhalten.

7

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19. September 2014 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2015 zu verpflichten,

die Regelungen A II.4.7.1. Satz 2, A II.4.7.3.6. bis A II.4.7.3.8. sowie A II.4.7.6. Satz 2 und 3 des Planfeststellungsbeschlusses vom 4. November 2004 in der Fassung des Ergänzungsplanfeststellungsbeschlusses vom 27. Juni 2007 zurückzunehmen,

hilfsweise diese Regelungen zu widerrufen,

hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, das Planfeststellungsverfahren hinsichtlich dieser Regelungen wiederaufzugreifen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Die Klage sei unbegründet. Gemäß einer Nebenbestimmung zum Planfeststellungsbeschluss sei im Jahr 2009 ein inzwischen bestandskräftiger Änderungsplanfeststellungsbeschluss ergangen; für weitere Änderungen habe es bisher keinen Anlass gegeben. Eine Rücknahme oder ein Widerruf seien unbehelflich, weil in diesem Fall die bisherigen Regelungen - eine unbeschränkte Nachtflugerlaubnis gemäß der luftrechtlichen Betriebsgenehmigung vom 20. September 1990 in der Fassung des Bescheides vom 14. März 2000 - in Kraft träten. Der Kläger habe im Übrigen nicht dargelegt, dass die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Annahmen wissenschaftlich überholt seien. Ein Wiederaufgreifen sei von Rechts wegen ausgeschlossen.

10

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Die Klage sei unzulässig, jedenfalls unbegründet. Die Rechtskraft des Urteils vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - bilde ein Prozesshindernis. Der Kläger sei nicht klagebefugt, da ihm der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zustehen könne. Jedenfalls fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil es bei einem Erfolg der Klage bei den für den Kläger nicht günstigeren Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses aus dem Jahr 2004 bliebe. Die Klage sei auch unbegründet. Einen Meinungswandel in der Wissenschaft lege der Kläger nicht substantiiert dar. Zudem gewähre das Schallschutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses sogar besseren Schutz als die gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FluglärmG.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

13

I. Die Klage ist zulässig.

14

1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung zuständig. Nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - VerkPBG) vom 16. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2174), zuletzt geändert durch Art. 464 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 VerkPBG betreffen. Zu diesen gehört nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, § 11 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 VerkPBG auch die Planung des Baus und der Änderung von Verkehrsflughäfen im Land Sachsen, wenn die Planfeststellung bis zum Ablauf des 16. Dezember 2006 beantragt wurde.

15

Diese Zuständigkeit erstreckt sich auch auf den Streit um die Verpflichtung der Behörde, Betriebsregelungen eines in den zeitlichen Geltungsbereich des Gesetzes fallenden Planfeststellungsbeschlusses aufzuheben und das Verfahren wiederaufzunehmen. Denn § 5 Abs. 1 VerkPBG wird grundsätzlich weit verstanden (BVerwG, Beschlüsse vom 13. Oktober 1994 - 7 VR 10.94 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 3 S. 5 und vom 18. Mai 2000 - 11 A 6.99 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 11 S. 2) und erfasst alle Verwaltungsstreitsachen, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren nach § 1 VerkPBG haben. Die Vorschrift gilt daher auch für Klagen, die auf die Verpflichtung zur vollständigen Rücknahme eines Planfeststellungsbeschlusses gerichtet sind (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 18), oder - wie hier - auf eine teilweise Aufhebung und ein Wiederaufgreifen des Verfahrens. Denn die angegriffenen betrieblichen Regelungen sind Teil der genehmigungsrechtlichen Bewältigung des Vorhabens (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2011 - 7 VR 8.11 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 20 Rn. 5).

16

Die damit eröffnete erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts unterliegt jedoch zeitlichen Grenzen: Die besonderen Vorschriften des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VerkPBG nur bis zum Ablauf des 16. Dezember 2006. Wird § 5 Abs. 1 VerkPBG auf Verpflichtungsklagen auf vollständige oder teilweise Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen erstreckt, birgt dies die Gefahr einer vom Gesetzgeber nicht gewollten erstinstanzlichen Dauerzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 14 Rn. 19). § 5 Abs. 1 VerkPBG setzt daher einen unmittelbaren zeitlichen Bezug zu dem jeweiligen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren voraus. Dieser besteht hier noch. Der Senat weist aber darauf hin, dass nach seiner Einschätzung der notwendige unmittelbare zeitliche Bezug jedenfalls nach einem Zeitraum von fünfzehn Jahren nach dem 16. Dezember 2006 entfallen sein wird.

17

2. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig.

18

Anders als die Beigeladene meint, ist der Kläger klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Es ist nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen (stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - BVerwGE 151, 138 Rn. 14 und vom 5. August 2015 - 6 C 8.14 - Buchholz 11 Art. 87f GG Nr. 4 Rn. 11), dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht.

19

Die Klagefrist ist gewahrt. Der Kläger hat gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides Klage erhoben. Die Klage wäre aber auch fristgerecht erhoben, wenn es nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 74 Abs. 1 Satz 2, § 70 Abs. 1 VwVfG keines Vorverfahrens bedurft hätte. Denn der Ausgangsbescheid vom 19. September 2014 enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung, so dass die Klage in diesem Fall binnen der Jahresfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach der Bekanntgabe des Ausgangsbescheides erhoben werden konnte.

20

Für die Klage besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Allerdings lässt der Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2007 keine Verkehre zum Betrieb zu, sondern beschränkt den durch die frühere luftrechtliche Genehmigung zugelassenen Betrieb für die Nachtzeit (BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - BVerwGE 131, 316 Rn. 22). Nach dem rechtskräftigen und die Beteiligten nach § 121 Nr. 1 VwGO bindenden Beschluss des Senates vom 2. Mai 2007 - 4 A 2002.07 - war der Beklagte indes mit Blick auf die durch den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2004 geschaffenen Regelungen verpflichtet, erneut darüber zu entscheiden, ob der Nachtflugbetrieb, soweit es nicht um Frachtflüge zum Transport von Expressgut geht, über die getroffenen flugbetrieblichen Regelungen hinaus beschränkt wird. Solange es - und sei es in Folge einer behördlichen Aufhebung der flugbetrieblichen Regelungen - an der damit gebotenen Vervollständigung des Lärmschutzkonzeptes fehlte, wäre nach Inbetriebnahme der Start- und Landebahn Süd jeglicher Flugverkehr, der nicht dem Transport von Expressgut dient, zwischen 22:00 und 6:00 Uhr unzulässig (BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007 - 4 A 2002.07 - Rn. 10 i.V.m. Urteil vom 9. November 2006 - 4 A 2001.06 - BVerwGE 127, 95 Rn. 77).

21

Auch die materielle Rechtskraft des Senatsurteils vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - (BVerwGE 131, 316) steht der Klage nicht entgegen, weil nicht derselbe Streitgegenstand in Rede steht. Streitgegenstand des Senatsurteils vom 24. Juli 2008 (a.a.O.) war die vollständige oder teilweise gerichtliche Aufhebung der Nachtflugregelungen im Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss vom 27. Juni 2007. Darum geht es hier nicht, sondern um die Verpflichtung des Beklagten, diese Regelungen aufzuheben oder das Verfahren wiederaufzugreifen.

22

II. Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger kann vom Beklagten weder die Aufhebung der beanstandeten Regelungen noch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens verlangen.

23

1. Nebenbestimmungen zum Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss vom 27. Juni 2007 stützen das klägerische Begehren nicht.

24

Der Nebenbestimmung A II.4.9.1. hat der Beklagte bereits durch Erlass eines Änderungsplanfeststellungsbeschlusses im Jahr 2009 Rechnung getragen. Weiter gehende Ansprüche begründet sie nicht. Mit der Nebenbestimmung A II.4.9.2. behält sich die Planfeststellungsbehörde nachträgliche Anordnungen, insbesondere zur Abgrenzung des Nachtschutzgebietes, für den Fall vor, dass in zwei aufeinanderfolgenden Jahren das nach einer Auswertung durch die Beigeladene berechnete Gebiet über das planfestgestellte Nachtschutzgebiet oder das Nachtschutzgebiet nach Inbetriebnahme, sofern dies weiterreicht, hinausgeht. Ein solcher Fall ist bisher nicht eingetreten. Im Übrigen könnte der Kläger aus einer "insbesondere" vorgesehenen neuen Abgrenzung des Nachtschutzgebietes keinen Nutzen ziehen, da sein Grundstück bereits innerhalb dieses Gebietes liegt.

25

2. Der Kläger kann keine Rücknahme der beanstandeten Regelungen nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG oder eine Ermessensentscheidung hierüber verlangen.

26

Nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Vorschrift gilt auch für Planfeststellungsbeschlüsse (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 23). Sie setzt die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts voraus. Weil der Anspruch auf Rücknahme nicht weiter gehen kann als der Aufhebungsanspruch bei fristgerechter Anfechtung (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 ebd.), kommt ein Anspruch eines Dritten auf Rücknahme oder ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber nur in Betracht, wenn der Planfeststellungsbeschluss gerade ein Recht dieses Dritten verletzt. Daran fehlt es.

27

Maßgebend für die Rechtswidrigkeit ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts (BVerwG, Urteile vom 9. Mai 2012 - 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 43 f. und vom 28. Mai 2015 - 1 C 24.14 - NVwZ-RR 2015, 753 Rn. 18). Mit Rechtskraft des Senatsurteils vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - (BVerwGE 131, 316 Rn. 27) steht für die Beteiligten nach § 121 Nr. 1 VwGO bindend fest, dass der Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss vom 27. Juni 2007 bei seinem Erlass den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt hat. Aus den in Hinblick auf Art. 35 Abs. 1 EMRK prozessrechtlich veranlassten Formulierungen des EGMR in seiner Entscheidung vom 10. Juni 2014 - 25330/10 - (NVwZ 2015, 1119 Rn. 22 ff.) folgt nichts Anderes.

28

Die Rechtsprechung lässt gelegentlich, namentlich bei Dauerverwaltungsakten, die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu, wenn dieser nachträglich rechtswidrig geworden ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Mai 1989 - 8 C 87.87 - BVerwGE 82, 98 <99>, vom 9. Mai 2012 - 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 43 und vom 28. Juni 2012 - 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 Rn. 15). Die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auf Fälle nachträglicher Rechtswidrigkeit scheidet indes für luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse von vornherein aus. Denn sowohl für die planerische Rechtfertigung eines luftverkehrsrechtlichen Vorhabens als auch für die planerische Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Plan maßgebend (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 4 C 9.06 - BVerwGE 130, 83 Rn. 68 und Beschluss vom 22. Juni 2015 - 4 B 61.14 - juris Rn. 5). Einem Dritten ist es also im Anfechtungsprozess versagt, die Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses unter Hinweis auf Veränderungen der Sach- und Rechtslage nach Erlass dieses Beschlusses geltend zu machen. Es stände hierzu in Widerspruch, wenn der Kläger unter Hinweis auf solche Veränderungen einen Anspruch auf Rücknahme oder ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber zugesprochen bekäme.

29

3. Der Kläger kann auch keinen Widerruf der im Streit stehenden Regelungen oder eine Ermessensentscheidung hierüber verlangen.

30

a) Der vollständige oder teilweise Widerruf eines Verwaltungsakts findet seine Rechtsgrundlage in § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 49 VwVfG.

31

Diese Norm findet zwar auch auf Planfeststellungsbeschlüsse Anwendung, die Widerrufsmöglichkeit erweist sich hier aber - entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - als ultima ratio. Dritte können einen Widerruf nur verlangen, wenn Schutzauflagen nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht als Abhilfe ausreichen (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1997 - 11 C 1.96 - BVerwGE 105, 6 <13> und Beschluss vom 16. Dezember 2003 - 4 B 75.03 - Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 14 S. 7 f.). Gerade hierin liegt die erhöhte Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen.

32

Der Vorrang nachträglicher Schutzauflagen lässt es nicht zu, die Regelungen über den nächtlichen Flugbetrieb zu widerrufen, um auf diesem Wege den Kläger besser vor Fluglärm zu schützen. Nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG kann ein Betroffener Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche nachteilige Wirkungen ausschließen, wenn nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf sein Recht erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auftreten. Nicht voraussehbar in diesem Sinn sind auch Auswirkungen, deren Schädlichkeit oder Gefährlichkeit sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und des technischen Fortschritts erst nachträglich herausstellt (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2004 - 4 B 82.03 - NVwZ 2004, 618). Es ist aber weder ersichtlich noch vorgetragen, dass etwaigen - vom Kläger behaupteten - veränderten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Fluglärm nicht durch weitere Schutzauflagen, insbesondere besseren baulichen Lärmschutz, Rechnung getragen werden könnte.

33

Ob der Kläger einen Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG hat, war nicht Gegenstand der Klage; für einen solchen Anspruch wäre das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen erstinstanzlich nicht zuständig (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 2010 - 9 A 36.08 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 18). Der Senat weist aber darauf hin, dass es dem Kläger wohl nicht gelungen sein dürfte, eine veränderte wissenschaftliche Bewertung der ihn treffenden Belastung mit Fluglärm darzulegen. Die von ihm vorgelegten Unterlagen äußern sich jedenfalls in ganz überwiegendem Umfang dazu, welche Fluglärmbelastung Schallschutzmaßnahmen erfordert. Darauf kommt es für den Kläger nicht an, weil er über baulichen Schallschutz verfügt. Auch sein Sachbeistand hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, die Belastung des Klägers erscheine unter Berücksichtigung des baulichen Schallschutzes relativ gering. Einer Entscheidung bedarf die Frage aber nicht.

34

b) Der Vorrang des § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG steht einem Widerruf nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 49 VwVfG nur insoweit nicht entgegen, als Beeinträchtigungen in Rede stehen, die durch nachträgliche Schutzauflagen nicht abgewehrt werden können. Solche Beeinträchtigungen macht der Kläger für den Schutz der Nachtruhe in einem weiteren Sinn geltend. Ferner wendet er sich gegen die Bewertung des Nachtflugbedarfs in der planerischen Abwägung.

35

(1) Die Voraussetzungen des § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG liegen insoweit nicht vor.

36

Nach diesen Normen darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Auch die geänderte Bewertung von Sachverhalten kann eine Änderung von Tatsachen im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG sein. Eine Einzelmeinung, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion bisher nicht durchgesetzt hat, ist dagegen grundsätzlich keine neue Tatsache, die einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG rechtfertigen kann (BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2015 - 3 B 5.15 - UPR 2015, 506 Rn. 12).

37

Der Kläger fordert einen Schutz vor Störungen der Nachtruhe im Sinne eines Schutzes vor einer nächtlichen Betriebsamkeit durch Flugbewegungen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 9. November 2006 - 4 A 2001.06 - BVerwGE 127, 95 Rn. 75). Dies zeigt keine veränderten Tatsachen auf. Der Gesetzgeber kann, wie im Fluglärmschutzgesetz geschehen, seiner aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit genügen, indem er zum Schutz vor Fluglärm Grenzwerte für energieäquivalente Dauerschallpegel und eine begrenzte Zahl von Maximalpegeln festsetzt (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2722/06 - NVwZ 2008, 780 Rn. 82, 84; BVerwG, Beschluss vom 25. März 2009 - 4 B 63.08 - juris Rn. 11 ). Es ist nicht ersichtlich, dass sich hiervon abweichend die Meinung durchgesetzt haben könnte, der rechtlich gebotene Schutz der Nachtruhe stehe der Durchführung von nächtlichen Flügen entgegen, ohne dass es überhaupt auf deren akustische Wahrnehmbarkeit ankäme.

38

Der Vorwurf des Klägers, die Annahmen der Planfeststellungsbehörde zur Notwendigkeit von Nachtflügen beruhten auf Fehlannahmen, zeigt schon keine nachträglich eingetretenen Tatsachen im Sinne des § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG auf. Zur konkreten Situation am Flughafen Leipzig/Halle äußert sich allein ein Papier des klägerischen Sachbeistands aus dem Jahr 2008. Die dort erhobenen Einwände hat der Senat indes bereits zurückgewiesen (BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 31 Rn. 52, 68 ).

39

(2) Auch an den Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG fehlt es. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Die Norm stellt mit der Verhütung oder Beseitigung von schweren Nachteilen für das Gemeinwohl besonders strenge Anforderungen an den Widerrufsgrund, ist jedoch ansonsten voraussetzungslos. Das beeinträchtigte Recht muss daher einen Rang aufweisen, der es zum Gemeinwohlbelang erhebt, und dessen Verletzung muss so gravierend sein, dass sie auch und gerade im Interesse der Allgemeinheit nicht hingenommen oder aufrechterhalten bleiben kann (BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2015 - 3 B 5.15 - UPR 2015, 506 Rn. 16). Dieses Ausmaß erreicht die Belastung des Klägers mit Fluglärm nicht.

40

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens.

41

Nach § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 72 Abs. 1 VwVfG ist § 51 VwVfG in einem Planfeststellungsverfahren nicht anzuwenden (BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 1989 - 4 C 12.87 - Buchholz 407.4 § 18c FStrG Nr. 2 S. 8, vom 21. Mai 1997 - 11 C 1.96 - BVerwGE 105, 6 <11> und vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 23). Beachtliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung sind nicht ersichtlich, da die §§ 48, 49, 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ausreichen, um Änderungen der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen (Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 72 Rn. 55; im Ergebnis auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 72 Rn. 23 <"noch vereinbar">).

42

§ 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 72 Abs. 1 VwVfG schließt damit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens auf Antrag des Betroffenen nach § 51 Abs. 1 VwVfG aus. Da § 51 VwVfG aber insgesamt nicht anzuwenden ist, ist auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinn ausgeschlossen (VGH Mannheim, Beschluss vom 13. August 2012 - 5 S 1200/12 - VBlBW 2013, 101 <103>). Die so bezeichnete Befugnis der Behörde, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren bei Fehlen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten eines Betroffenen wiederaufzugreifen, bedarf zur Überwindung der Bestandskraft einer gesetzlichen Grundlage (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1988 - 2 BvR 260/88 - NVwZ 1989, 141; BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 15.08 - BVerwGE 135, 121 Rn. 24). Dies gilt jedenfalls, wenn ein Verwaltungsakt - wie hier - zuvor gerichtlich bestätigt worden ist. Die erforderliche Rechtsgrundlage bietet allein § 51 Abs. 5 VwVfG, dessen Anwendung § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 72 Abs. 1 VwVfG aber entgegensteht.

43

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird; dies gilt nicht für Vorhaben der in § 29 Absatz 1 bezeichneten Art, die der Bergaufsicht unterliegen. Richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 30 Absatz 1, stellen die Länder sicher, dass die Gemeinde rechtzeitig vor Ausführung des Vorhabens über Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung nach den §§ 14 und 15 entscheiden kann. In den Fällen des § 35 Absatz 2 und 4 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung allgemein oder für bestimmte Fälle festlegen, dass die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist.

(2) Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde dürfen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagt werden. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.

Auf Planfeststellungsverfahren und sonstige Verfahren mit den Rechtswirkungen der Planfeststellung für Vorhaben von überörtlicher Bedeutung sowie auf die auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für die Errichtung und den Betrieb öffentlich zugänglicher Abfallbeseitigungsanlagen geltenden Verfahren sind die §§ 29 bis 37 nicht anzuwenden, wenn die Gemeinde beteiligt wird; städtebauliche Belange sind zu berücksichtigen. Eine Bindung nach § 7 bleibt unberührt. § 37 Absatz 3 ist anzuwenden.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Zulassung eines Bürgerbegehrens zum Thema „Kein Europäisches Zentrum für den Islam in München (ZIE-M)“.

Die Fragestellung des Bürgerbegehrens lautet: „Sind Sie dafür, dass in München kein Europäisches Zentrum für den Islam (ZIE-M) gebaut wird und dass die Stadt München deshalb alle Planungen zur Errichtung eines Islamischen Zentrums in München (ZIE-M) stoppt?“.

Die dem Bürgerbegehren auf dem Unterschriftsblatt beigefügten „Begründungen“ lauten wie folgt (Hervorhebungen im Original):

1. Bauherr des geplanten Zentrums ist ZIE-M e.V. Der erste Vorsitzende Imam Bajrambejamin Idriz und die zweite stellvertretende Vorsitzende Gönül Yerli sind beide leitend tätig in der Islamischen Gemeinde Penzberg (IGP). Die IGP wird seit 2007 vom Verfassungsschutz überwacht, laut Verfassungsschutzbericht steht die IGP in Verbindung mit Fundamentalisten der Islamischen Gemeinde Milli Görus (IGMG). Imam Idriz führte laut abgehörter Telefonate Anweisungen des fundamentalistischen Muslimbruders Ibrahim el-Zayat aus. Imam Idriz hat zudem nachweislich mehrfach die Unwahrheit gesagt, wenn es um den Koran und die Scharia ging. Auch der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann bestätigt: „Imam Idriz lügt“ (Münchner Merkur, 24.7.2010). ZIE-M e.V. ist daher als Bauherr nicht akzeptabel.

2. Laut Informationsbroschüre des Sozialreferates der Stadt München „Muslimisches Leben in München“, Ausgabe April 2005, besuchen etwa 4.500 Muslime das Freitagsgebet (0,33% der Bevölkerung), laut www.moscheesuche.de sind es ca. 7.500 Muslime (0,59% der Bevölkerung). Hierzu stehen über 40 Moscheen im Stadtgebiet verteilt zur Verfügung und es besteht bereits ein islamisches Zentrum in Freimann. Die Notwendigkeit für einen weiteren islamischen Bau mit über 6000 qm Fläche ist daher nicht nachvollziehbar.

3. Das geplante Zentrum für den Islam in Europa mit Gemeindehaus, Akademie, Moschee, evtl. Minarett, Bibliothek und Museum wird ein erhebliches Verkehrsaufkommen in der Innenstadt nach sich ziehen.

4. Für eine erfolgreiche Integration ist die strikte Trennung von Staat und Religion oberstes Gebot. Ein islamisch orientiertes Zentrum kann für die Integration in die bayerische Kulturgemeinschaft hinderlich sein. Es wäre deshalb sinnvoll, staatliche Stellen ohne religiöse Einflussnahme für Integrationsmaßnahmen zu schaffen, die nicht nur einer kleinen religiösen Gruppe, sondern ALLEN Zuwanderern zugutekommen.

5. Im geplanten ZIE-M ist auch die Ausbildung von Imamen vorgesehen. Eine solche Ausbildung sollte jedoch unbedingt an einer staatlichen Hochschule und nicht in einem islamischen Zentrum stattfinden, deren Initiatoren durch den Verfassungsschutz beobachtet werden.

6. Der Bau des ZIE-M soll durch eine Spende in Höhe von ca. 30 Mio. Euro durch den Emir von Schardscha, einem Scharia-Staat (Scharia: religiös legitimiertes Gesetz des Islam), mitfinanziert werden. Der Stadtrat hat in seinem Antrag einen finanziellen Zuschuss durch den Freistaat angeregt, was abzulehnen ist. Nicht geklärt sind auch die Folge- bzw. Unterhaltskosten des Projektes, daher ist zu befürchten, dass die laufenden Kosten durch die Bürger in Bayern beglichen werden müssen.

Auf den Unterschriftenlisten werden gemäß Art. 18a Abs. 4 GO als Vertreter der Kläger zu 2 und als zweiter Vertreter der Kläger zu 1 genannt, jeweils mit dem Zusatz „München“, angeführt. Die Vertreter werden u. a. ermächtigt, zur Begründung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens Änderungen vorzunehmen, soweit diese nicht den Kern des Antrags berühren. Weiter heißt es dort: „Sollten Teile des Begehrens unzulässig sein oder sich erledigen, so gilt meine Unterschrift weiterhin für die verbleibenden Teile.“ Auf der Rückseite der Unterschriftslisten befindet sich der Vermerk: „Liste bitte senden an: DIE FREIHEIT, Postfach 1355, 82181 Gröbenzell“.

Im September 2014 reichten die Kläger das Bürgerbegehren mit ca. 66.400 Unterstützerunterschriften bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2014 wies die Beklagte das Bürgerbegehren als unzulässig zurück. Das gem. Art. 18a Abs. 6 GO erforderliche Unterschriftenquorum von mindestens 32.736 Bürgern sei zwar erreicht worden, das Bürgerbegehren entspreche aber nicht den sonstigen gesetzlichen Anforderungen. Die Vertreter des Bürgerbegehrens müssten gem. Art. 18a Abs. 4 GO eindeutig identifizierbar sein, wozu regelmäßig die Angabe der Anschrift erforderlich sei. Die Angabe „München“ reiche dazu nicht aus, da zum 18. September 2014 sechs Personen mit dem Namen des Klägers zu 2 in München gemeldet gewesen und weitere drei Personen dieses Namens im Zeitraum der Unterschriftensammlung aus München weggezogen seien. Die Identifizierbarkeit werde auch nicht durch die Angabe einer Postfachadresse der Partei Die Freiheit (Landesverband Bayern) und durch einen Link auf die Webseite des Bayerischen Landesverbandes hergestellt. In der Begründung würden auch unrichtige Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Für unbefangene Bürger ergebe sich aus den unter Nr. 1 und 5 gemachten Aussagen, dass wesentliche Personen des Vereins ZIE-M e.V. seit 2007 ununterbrochen vom Verfassungsschutz beobachtet würden. Spätestens seit der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes 2011 am 23. März 2012 sei aber belegbar unrichtig, dass die IGP seit 2007 vom Verfassungsschutz beobachtet bzw. überwacht werde. Sie sei zwar zwischen 2007 und 2010 in den Verfassungsschutzberichten erwähnt worden, bereits der Bericht 2010 habe aber einschränkend ausgeführt, dass sich im Berichtsjahr keine neuen Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten ergeben hätten. Ein Großteil der Unterschriften sei erst zu einem Zeitpunkt geleistet worden, zu dem die Unrichtigkeit der Tatsachenbehauptung bereits festgestanden habe. Es handle sich um ein tragendes Begründungselement, auf das in zwei von sechs Punkten der Begründung Bezug genommen werde. Die Behauptung unter Nr. 6 der Begründung („Der Stadtrat hat in seinem Antrag einen finanziellen Zuschuss durch den Freistaat angeregt, was abzulehnen ist“) könne nur so verstanden werden, dass der Stadtrat als Gremium mittels Beschluss um einen finanziellen Zuschuss zum Bau des ZIE-M gebeten habe. Einen solchen Beschluss habe es jedoch nie gegeben, sondern nur einen entsprechenden Antrag mehrerer Fraktionen vom 19. März 2010, der vom Stadtrat nie beschlossen worden sei. Unter Nr. 3 der Begründung werde die rein spekulative Behauptung aufgestellt, dass das geplante Zentrum ein erhebliches Verkehrsaufkommen in der Innenstadt nach sich ziehen werde, obwohl ein konkreter Standort für das ZIE-M nicht feststehe. Auch habe weder 2011 festgestanden noch stehe aktuell fest, dass der Emir von Katar als Großspender für den Bau des ZIE-M auftreten werde. Weiter sei die Bezeichnung des Projekts als Europäisches Zentrum für den Islam falsch, da damit suggeriert werde, dass es sich beim ZIE-M um ein Zentrum für die Gesamtheit der in Europa beheimateten Muslime handeln solle. Das ZIE-M habe aber laut dessen Initiatoren von Anfang an das Ziel verfolgt, auf der Grundlage des europäisch geprägten Islams eine Begegnungsstätte für Münchner Muslime und auch Nicht-Muslime zu schaffen. Es bleibe vollkommen unklar, welche Rolle die Beklagte beim Bau des ZIE-M überhaupt spiele. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens sei zu unbestimmt und lasse nicht erkennen, welche Planungen die Beklagte stoppen solle und wie sie einen solchen Bürgerentscheid vollziehen solle. Eine Auslegung, wonach grundsätzlich islamische Sakralbauten verhindert werden sollten, verstoße gegen die grundgesetzlich garantierte Glaubensfreiheit.

Gegen den Bescheid erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Bürgerbegehren „Kein europäisches Zentrum für den Islam in München (ZIE-M) zuzulassen.

Einen mit der Klage gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, der Beklagten vorläufig zu untersagen, einer Verwirklichung des ZIE-M dienende Stadtratsbeschlüsse zu fassen und sonstige Maßnahmen zu treffen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. März 2015 wegen eines fehlenden Anordnungsanspruchs ab (Az. M 7 E 14.4965).

Mit Urteil vom 11. November 2015 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Das Gericht halte an der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vertretenen Auffassung fest, dass in der Begründung zur Fragestellung unzutreffende Behauptungen aufgestellt würden; die übrigen zwischen den Beteiligten streitigen Punkte könnten daher offenbleiben. Es sei mit der Abstimmungsfreiheit der Stimmberechtigten unvereinbar, wenn in der Fragestellung oder in der Begründung eines Bürgerbegehrens in abstimmungsrelevanter Weise unzutreffende Tatsachen behauptet würden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert werde. Die Kläger hätten in Nr. 1 der Begründung im Präsens dargelegt, dass die IGP laut Verfassungsschutzbericht in Verbindung mit Fundamentalisten der Islamischen Gemeinde Milli Görus (IGMG) stehe. Für die Feststellung, dass die IGP aktuell in Verbindung mit Fundamentalisten der IGMG stehe, gebe es aber keine Belege. Im Bayerischen Verfassungsschutzbericht 2010 werde ausdrücklich ausgeführt, dass keine neuen Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten der IGP vorlägen und man abwarten wolle, ob in der zwischenzeitlich geäußerten Distanz zu extremistischen Organisationen eine anhaltende, eigenständige, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechende Ausrichtung zu sehen sei. In den seither erschienenen Verfassungsschutzberichten werde die IGP nicht mehr erwähnt. Daraus sei zu schließen, dass seither entweder keine oder jedenfalls keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für derartige Bestrebungen und Tätigkeiten und somit auch nicht für Verbindungen zu „Fundamentalisten der IGMG“ vorlägen. Etwas Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem umfangreichen Vortrag der Kläger. Soweit dem Imam Idriz Verbindungen zu Ahmad Al-Khalifa angelastet würden, handle es sich nicht um eine der türkisch geprägten IGMG zuzurechnende Person. Nicht entscheidungserheblich sei, ob der Verfassungsschutz die IGP aktuell beobachte oder nicht. Die fragliche Behauptung könne auch bei wohlwollender Auslegung nicht als unschädliche bloße Wertung bzw. Überzeugung der Kläger verstanden werden, die sie aus eigenen Erkenntnissen gewonnen hätten. Durch die Formulierung und durch die Verklammerung mit der vorhergehenden und der nachfolgenden Aussage werde beim Leser der Eindruck erweckt, die behaupteten aktuellen Verbindungen zu Fundamentalisten der IGMG seien ein Ergebnis der Beobachtung durch den Verfassungsschutz, also eine amtlich verifizierte Tatsache. Zudem werde die IGP dadurch in ein falsches Licht gerückt, dass in der Begründung zu dem Bürgerbegehren die Tatsache nicht mitgeteilt werde, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Berichtsjahr 2010 keine neuen Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten der IGP gewonnen und seither auch nicht über derartige neue Erkenntnisse berichtet habe. Aufgrund der unterlassenen Mitteilung der das Bild abrundenden Tatsachen werde der Schluss auf aktuelle verfassungsfeindliche Bestrebungen nahegelegt, ohne deutlich zu machen, dass es sich lediglich um einen entsprechenden Verdacht der Kläger handle. Es liege auf der Hand, dass aktuelle Verbindungen zu Fundamentalisten und der herbeigeführte Eindruck aktueller verfassungsfeindlicher Bestrebungen für eine Meinungsbildung zu der mit dem Bürgerbegehren gestellten Frage sehr wesentlich, also abstimmungsrelevant seien und deshalb nicht zu den noch hinnehmbaren Unrichtigkeiten bzw. Unvollständigkeiten in der Begründung eines Bürgerbegehrens gehörten. Unzutreffend sei ferner die Behauptung unter Nr. 6 der Begründung zum Bürgerbegehren, dass der Stadtrat der Beklagten in seinem Antrag einen finanziellen Zuschuss durch den Freistaat Bayern angeregt habe. Das Possessivpronomen „seinem“ suggeriere, dass der Stadtrat als Gremium einen entsprechenden Antrag gestellt habe. Zur wahrheitsgemäßen Information der Bürger hätte mitgeteilt werden müssen, dass sich der Stadtrat den Antrag der Fraktionen nie zu Eigen gemacht bzw. ihn nicht weiterverfolgt habe.

Gegen das Urteil vom 11. November 2015 haben die Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. November 2015 abzuändern und

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 6. Oktober 2014 zu verpflichten, das Bürgerbegehren „Kein europäisches Zentrum für den Islam in München (ZIE-M)“ mit der Frage „Sind Sie dafür, dass in München KEIN europäisches Zentrum für den Islam (ZIE-M) gebaut wird und dass die Stadt München deshalb alle Planungen zur Errichtung eines islamischen Zentrums in München (ZIE-M) stoppt?“ zum Bürgerentscheid zuzulassen.

Der Begründungstext zum Bürgerbegehren sei im Sommer 2011 verfasst und seit Beginn der Unterschriftensammlungen am 14. Oktober 2011 bis zur Abgabe am 18. September 2014 inhaltlich nicht mehr verändert worden. Es sei nicht richtig, dass in der Aussage zur Überwachung der IGP durch den Verfassungsschutz eine unzutreffende Behauptung liege. Die IGP werde laut mehrerer Aussagen des Innenministers aus dem Jahr 2012 und des Verfassungsschutzpräsidenten aus den Jahren 2012 und 2013 weiterhin beobachtet. Es lägen auch verschiedene Tatsachen vor, die für eine fortdauernde Überwachung durch den Bayerischen Verfassungsschutz sprächen bzw. einen solchen Rückschluss zuließen. Dazu gehörten neben der Biographie und dem Ausbildungsgang des Imam Idriz sein nachweislich bis zum 19. September 2014 bestehender Kontakt zu dem Extremisten Ahmad Al-Khalifa, dessen Islamisches Zentrum (Freimanner Moschee) als Sitz der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD) gelte und vom Verfassungsschutz beobachtet werde, sowie vermutete Kontakte zu einer bosnischen Terrorgruppe. Wie der bayerische Innenminister laut mehreren Zeitungsberichten im Juli 2010 erklärt habe, hätten führende Mitglieder der IGP Kontakte zu Personen, die wichtige Positionen bei der IGD und Milli Görüs hätten; Herr Idriz stehe in ständigem telefonischen Kontakt mit Spitzen dieser radikalen Organisationen. Die Herausnahme der IPG und ihres Imam Idriz aus dem Verfassungsschutzbericht sei ersichtlich politisch gewollt gewesen und entgegen der Einschätzung des Bayerischen Verfassungsschutzes erfolgt. Das Verwaltungsgericht habe nicht geklärt, inwiefern tatsächlich eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz stattgefunden habe bzw. noch stattfinde, und auch nicht geprüft, ob die Äußerungen des Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz und des bayerischen Innenministers in den Medien einer Unterrichtung in den Verfassungsschutzberichten gemäß Art. 15 BayVSG gleichzustellen seien. Es sei fraglich, ob die IPG und Imam Idriz sämtliche Kontakte zu extremistischen Personen abgebrochen hätten; dies sei nach den Verlautbarungen des Verfassungsschutzpräsidenten und des Innenministers als unwahrscheinlich anzusehen und hätte durch deren Vernehmung als Zeugen abschließend aufgeklärt werden können. Unzutreffend sei auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, bei Nr. 1 der Begründung werde bereits durch die Formulierung (Satzstellung, Verklammerung, nachfolgende Erläuterung) beim Leser der Eindruck erweckt, dass aktuell Verbindungen zu Fundamentalisten der IGMG bestünden und dass dies aus einer aktuellen Beobachtung durch den Verfassungsschutz folge. Das Fehlen einer zeitlichen Einschränkung hinsichtlich der Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht führe nicht zum Vorliegen einer unwahren Tatsachenbehauptung. Die Formulierung des streitigen Satzes lasse eine Auslegung zu, wonach gemäß dem ersten Teilsatz die IGP seit 2007 vom Verfassungsschutz überwacht bzw. beobachtet werde und gemäß dem zweiten Teilsatz auf einen Verfassungsschutzbericht Bezug genommen werde, ohne eine Jahreszahl im Einzelnen zu benennen. Insoweit sei die Begründung in zwei voneinander unabhängige Teile aufspaltbar, die jeder für sich genommen eine wahre Tatsachenbehauptung darstellten. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die aktuellen Verbindungen zu Fundamentalisten und der herbeigeführte Eindruck aktueller verfassungsfeindlicher Bestrebungen abstimmungsrelevant seien und nicht zu den noch hinnehmbaren Unrichtigkeiten in der Begründung eines Bürgerbegehrens gehörten, sei ebenfalls unzutreffend, da es sich bei der genannten Formulierung nur um eine von insgesamt sechs Begründungen des Bürgerbegehrens handle, die jeweils gleichwertig seien. Hinsichtlich der Nr. 6 der Begründung beruhe das Urteil des Verwaltungsgerichts auf einer unzutreffenden Auslegung. Die betreffende Aussage sei nur so zu verstehen, dass bereits ein Beschluss vorliege, der einen finanziellen Zuschuss erbitte. Trotz des Progressivpronomens „seinem“ könne ein durchschnittlicher Leser wegen der Wörter „Antrag“ und „angeregt“ nur den Rückschluss ziehen, dass noch kein Beschluss gefasst worden sei; eine unwahre Tatsachenbehauptung liege demnach nicht vor. Das Gericht habe auch völlig unberücksichtigt gelassen, dass das Bürgerbegehren seit dem Jahr 2013 politischer Gegenwehr ausgesetzt gewesen sei und diverse Gegenkampagnen initiiert worden seien. Die Beklagte habe ganz offensichtlich Maßnahmen ergriffen, die sich gegen das Bürgerbegehren gerichtet hätten, worin ein eklatanter Verstoß gegen das politische Neutralitätsgebot liege. Selbst wenn die unter Nr. 1 und Nr. 6 enthaltenen Begründungen wegen unzutreffender Tatsachen unzulässig sein sollten, seien die in den Nrn. 2, 3, 4 und 5 enthaltenen Begründungen zulässig, so dass das Bürgerbegehren zuzulassen sei. Die hiernach notwendige Prüfung einer Teilbarkeit der Begründung des Bürgerbegehrens habe das Verwaltungsgericht unterlassen. Der Erklärung am Ende des Unterschriftsbogens sei zu entnehmen, dass die Unterzeichner ihre Unterschrift auch im Fall der Unzulässigkeit einzelner Teile mit einer Fortgeltungswirkung für die übrigen Teile versehen hätten. Schon die Überschrift „Begründungen“ und die Nummerierung von 1 bis 6 machten deutlich, dass es sich um mehrere unterschiedliche Begründungen handle, die weder aufeinander aufbauten noch sich sachlich ergänzten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Täuschung der Stimmberechtigten ergebe sich daraus, dass in der Begründung eine Verbindung der IGP mit Fundamentalisten der Islamischen Gemeinde Milli Görüs (IGMG) mit einem Verweis auf den Verfassungsschutzbericht als amtlich verifizierte Tatsache hergestellt werde. Laut Art. 15 BayVSG informierten das Staatsministerium des Innern und das Landesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit im Rahmen der Verfassungsschutzberichte über tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet seien. Die Begründung zum Bürgerbegehren erwecke den Eindruck, dass es eine (auch derzeit noch) feststehende, durch das Landesamt für Verfassungsschutz verifizierte Tatsache sei, dass es tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der IGP gebe. Bereits im Verfassungsschutzbericht 2010 sei aber ausdrücklich erwähnt worden, dass keine neuen Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten vorlägen. Seither sei die IGP nicht mehr im Verfassungsschutzbericht erwähnt worden. Die vom Berufungskläger genannten Zeitungsartikel mit angeblichen Aussagen des bayerischen Innenministers bzw. des Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz stünden dazu nicht im Widerspruch. Denn diese enthielten keinerlei Aussagen dazu, ob es weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen der IGP gebe. Würde es diese geben, wäre die IGP mit Sicherheit wieder in den Verfassungsschutzberichten erwähnt worden. Eine Befragung des Innenministers oder des Verfassungsschutzpräsidenten könne zu keinem anderen Ergebnis führen, da die Nichterwähnung der IGP seit dem Jahr 2011 im Verfassungsschutzbericht eine feststehende Tatsache sei. Das Verwaltungsgericht habe auch richtig entschieden, dass mit der Nr. 6 der Begründung der falsche Eindruck erweckt werde, der Stadtrat habe in einem Beschluss einen finanziellen Zuschuss angeregt. Die Bezeichnung als „Antrag des Stadtrates“ könne nur so verstanden werden, dass der Stadtrat als kollegiales Gremium durch Beschluss einen Antrag auf finanziellen Zuschuss des Freistaates befürwortet habe. Für die Öffentlichkeit sei es entscheidend, ob ein entsprechender Antrag noch diskutiert werde oder ob eine Entscheidung durch den Stadtrat bereits gefallen sei. Denn daraus könne abgeleitet werden, welche Position die Stadt zu einem möglichen Bauvorhaben einnehme und wie konkret bisher bestehende Planungen der Stadt seien. Eine Zulassung des Bürgerbegehrens mit einer Teilbegründung sei nicht möglich, da eine nachträgliche Abänderung der Begründung die bereits in der Phase der Sammlung der erforderlichen Unterschriften liegende Beeinträchtigung der Abstimmungsfreiheit nicht ungeschehen machen könne.

Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligt sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren und hält die Zurückweisung der Berufung ebenfalls für rechtens. Mit dem Verweis auf den Verfassungsschutzbericht in der Begründung werde auf eine objektive Quelle verwiesen, der zu entnehmen sei, dass die IGP sowie Imam Idriz verfassungswidriger Aktivitäten verdächtig seien. Im Verfassungschutzbericht 2010 sei jedoch ausdrücklich ausgeführt worden, dass keine neuen Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten der IGP vorlägen und man abwarten wolle, ob in der zwischenzeitlich geäußerten Distanz zu extremistischen Organisationen eine anhaltende, eigenständige, der freiheitlich demokratischen Grundordnung entsprechende Ausrichtung zu sehen sei. Da in den Verfassungsschutzbericht nur Organisationen aufgenommen würden, über die konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme von verfassungswidrigen Bestrebungen und Tätigkeiten vorlägen, komme der Tatsache, ob eine Organisation dort erwähnt werde, große Bedeutung zu. Die in der Begründung getroffene Tatsachenbehauptung sei insoweit falsch, als das Präsens verwendet und so der Eindruck erweckt werde, es handele sich um eine aktuelle Tatsache, über die auch im Verfassungsschutzbericht berichtet werde. Der Passus, der Stadtrat habe in seinem Antrag einen finanziellen Zuschuss durch den Freistaat angelegt, sei jedenfalls zur Irreführung geeignet. Das Bürgerbegehren sei im Übrigen weder in Teilen zulässig noch könne eine Heilung der Begründung erfolgen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. November 2015 hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger, die als Gesamtvertreter der Unterzeichner des Bürgerbegehrens gegen dessen Ablehnung im eigenen Namen unmittelbar Klage erheben können (Art. 18a Abs. 8 Satz 2 GO), haben keinen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Das von den Klägern eingereichte Bürgerbegehren verstößt zumindest mit einer zentralen Aussage der Begründung gegen das verfassungsrechtlich radizierte Verbot unrichtiger und grob irreführender Tatsachenbehauptungen und konnte schon aus diesem Grund nicht als Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids zugelassen werden (Art. 18a Abs. 1 und Abs. 8 Satz 1 GO). Auf die im Ablehnungsbescheid der Beklagten angesprochenen weiteren Fragen, z. B. ob zur Benennung der Vertreter auf den Unterschriftslisten die Angabe des Postfachs einer politischen Partei genügte und ob die Begründung noch andere entscheidungserhebliche Unrichtigkeiten enthielt, kommt es hier demnach nicht mehr an.

1. Ein zulässiges Bürgerbegehren muss nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO eine (auf allen Unterschriftslisten gleichlautende) Begründung enthalten. Mit diesem Erfordernis, das die für Volksbegehren geltende Regelung des Art. 74 Abs. 2 BV modifizierend aufgreift, soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie von den Initiatoren des Bürgerbegehrens zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren VerfGH, E. v. 13.4.2000 - Vf. 4-IX-00 - VGH n. F. 53, 81/105). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Bürger können nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden und von ihrem Eintragungsrecht Gebrauch machen, wenn sie nicht durch den mit den Unterschriftslisten vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend bzw. unvollständig erläutert wird (vgl. VerfGH, a. a. O. 106).

2. An dieser ungeschriebenen Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, die der Senat in einer Reihe neuerer Entscheidungen hervorgehoben hat (BayVGH, B. v. 9.12.2010 - 4 CE 10.2943 - juris Rn. 2; B. v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 31; B. v. 25.6.2012 - 4 CE 12.1224 - BayVBl 2013, 19 Rn. 31; B. v. 14.10.2014 - 4 ZB 14.707 - juris Rn. 3 ff.; anders noch B. v. 14.3.2001 - 4 ZE 00.3658 - BayVBl 2002, 184) und die auch in der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte anerkannt ist (vgl. OVG NRW, U. v. 23.4.2002 - 15 A 5594/00 - NVwZ-RR 2002, 766; OVG SH, U. v. 19.12.2005 - 2 LB 19/05 - juris Rn. 41; VGH BW, B. v. 22.8.2013 - 1 S 1047/13 - juris Rn. 19; HessVGH, B. v. 20.8.2015 - 8 B 2125/14 - juris Rn. 6), fehlt es im vorliegenden Fall. Die unter Nr. 1 der „Begründungen“ getroffene Tatsachenbehauptung, die Islamische Gemeinde Penzberg (IGP) stehe „laut Verfassungsschutzbericht… in Verbindung mit Fundamentalisten der Islamischen Gemeinde Milli Görus (IGMG)“, war zum Zeitpunkt der Unterschriftensammlung nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt eindeutig unzutreffend (a). Sie hat als möglicher Beweggrund für die Unterschriftsleistung so hohes Gewicht, dass schon allein aufgrund dieser Fehlinformation die Begründung des Bürgerbegehrens als irreführend angesehen werden muss (b). Die den Vertretern des Bürgerbegehrens erteilte Änderungsermächtigung vermag den Mangel nicht zu heilen (c). Ein Anspruch auf Zulassung des rechtswidrig zustande gekommenen Bürgerbegehrens lässt sich auch nicht aus möglichen Rechtsverstößen der Beklagten während der Phase der Unterschriftensammlung ableiten (d).

a) Die Aussage über im Verfassungsschutzbericht dargestellte Kontakte der IGP zur IGMG (korrekte Bezeichnung: „Islamische Gemeinschaft Millî Görüş“) bezieht sich erkennbar auf Feststellungen in Berichten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz aus den Jahren 2007 bis 2010. Nach den dort wiedergegebenen Erkenntnissen bestanden die Beziehungen der IGP zu der türkisch geprägten IGMG vor allem darin, dass die IGP bis zum Jahr 2006/2007 auf internen Mitgliedslisten der IGMG erschien und der IGP-Vorsitzende nach eigenen Angaben bis 2005 auch persönlich Mitglied der IGMG war; zudem wurden bei einer richterlich angeordneten Telefonüberwachung Gespräche des Penzberger Imams und IGP-Vorsitzenden u. a. mit dem IGMG-Generalsekretär im Zeitraum August 2007 bis Februar 2009 festgestellt (Verfassungsschutzbericht 2010, S. 34, abrufbar unter http://www.verfassungsschutz. bayern.de/mam/anlagen/jahresbericht_2010.pdf). In einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem sich die IGP ohne Erfolg gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht 2008 zur Wehr setzte, stellten das Verwaltungsgericht München (B. v. 3.5.2010, Az. 22 M 09.2155) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B. v. 17.7.2010, Az. 10 CE10.1201) fest, dass nach den vom Landesamt für Verfassungsschutz vorgelegten Unterlagen noch im Jahr 2008 in der Moschee der IGP für eine IGMG-Veranstaltung in Ingolstadt geworben worden sei.

Schon der im März 2011 publizierte Verfassungsschutzbericht 2010 wies allerdings im Anschluss an die Erwähnung dieser zeitlich zurückliegenden Kontakte darauf hin, dass das von der IGP geplante Projekt ZIE-M in seiner Vereinssatzung mittlerweile eine Ausschlussklausel bezüglich extremistischer Mitglieder enthalte; ob in der zwischenzeitlich geäußerten Distanz zu extremistischen Organisationen eine anhaltende, eigenständige, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechende Ausrichtung zu sehen sei, bleibe abzuwarten, nachdem sich für das Berichtsjahr keine neuen Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten ergeben hätten (Verfassungsschutzbericht 2010, a. a. O., S. 35). In dem ein Jahr später veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2011 (http://www.verfassungsschutz.bayern.de/mam/anlagen/verfassungsschutzbericht_2011.pdf) wurde die IGP an keiner Stelle mehr erwähnt; auch in allen nachfolgenden Berichten und sonstigen schriftlichen Bekundungen des Landesamtes für Verfassungsschutz finden sich keine Hinweise auf weiter fortbestehende oder wiederaufgenommene Kontakte der IGP zu der als extremistisch geltenden IGMG.

Angesichts des seit dem Bericht 2010 geänderten Inhalts der amtlichen Verlautbarungen kann die in der Begründung des Bürgerbegehrens in Präsensform getroffene Aussage, dass die IGP „laut Verfassungsschutzbericht“ mit der IGMG in Verbindung „steht“ (Nr. 1 Satz 3 Hs. 2), nur als objektiv unzutreffend bezeichnet werden. Denn dieser Halbsatz konnte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Unterschriftsleistung nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. §§ 133, 157 BGB) nur so verstanden werden, dass ein (Landes- oder Bundes-)Amt für Verfassungsschutz in einem aktuellen Jahresbericht eine gegenwärtig bestehende Verbindung zwischen den genannten Organisationen erwähnt habe. Einem anderslautenden Textverständnis stand neben dem Wortlaut auch die inhaltliche und syntaktische Verknüpfung mit der im vorangehenden Halbsatz getroffenen Aussage entgegen, wonach die IGP vom Verfassungsschutz „seit 2007“ überwacht werde. Der unbefangene Leser musste hiernach von einer bis in die Gegenwart reichenden Überwachung ausgehen, so dass er von dem anschließenden Halbsatz nur eine Aussage über die zu diesem Zeitpunkt relevanten Erkenntnisse bezüglich einer etwaigen verfassungsfeindlichen Ausrichtung der IGP erwarten konnte, nicht dagegen den Hinweis auf eine die Vergangenheit betreffende Feststellung, an der das Verfassungsschutzamt in seinen neueren Berichten nicht mehr festhält.

Da die Behauptung einer „laut Verfassungsschutzbericht“ bestehenden Verbindung zur IGMG sich eindeutig auf die Gegenwart bezieht, kann diese Textpassage auch nicht dahingehend (um-)gedeutet werden, dass damit nur allgemein auf den Inhalt eines für zurückliegende Jahre (z. B. 2007, 2008 oder 2009) publizierten Verfassungsschutzberichts verwiesen werde, in dem von solchen Kontakten noch die Rede war. Ein solches Verständnis wäre mit dem objektiven Erklärungsgehalt der Aussage unvereinbar und ließe sich daher auch mit dem in der Rechtsprechung des Senats anerkannten Gebot der grundsätzlich „wohlwollenden Auslegung“ eines mehrdeutig formulierten Bürgerbegehrens (dazu BayVGH, U. v. 19.2.1997 - 4 B 96.2928 - VGH n. F. 50, 42/44 f. = BayVBl 1997, 276/277; U. v. 21.3.2012 - 4 B 11.221 - BayVBl 2012, 632 Rn. 21) nicht sachlich rechtfertigen. Während der Unterschriftensammlung, die nach Angaben der Kläger den Zeitraum vom 14. Oktober 2011 bis zum 18. September 2014 umfasste, ergab sich der aktuelle Erkenntnisstand zu verfassungsgefährdenden islamistischen Bestrebungen allein aus den - im März des jeweiligen Folgejahres veröffentlichten - Verfassungsschutzberichten 2010, 2011, 2012 und 2013. In keiner dieser amtlichen Äußerungen war jedoch, wie oben gezeigt, von bestehenden Verbindungen der IGP oder ihrer Repräsentanten zur IGMG die Rede; selbst die letztmalige Erwähnung der IGP im Berichtsjahr 2010 betraf nur zurückliegende Mitgliedschaften und Telefonkontakte zur IGMG und enthielt keinen Hinweis auf weiterhin fortgeführte Beziehungen zu dieser Organisation.

b) Die in der Verwendung der Gegenwartsform liegende unrichtige Tatsachenbehauptung, wonach eine aktuell bestehende Verbindung der IGP zur IGMG durch einen Verfassungsschutzbericht amtlich bestätigt werde, stellt im Gesamtgefüge der Begründung des Bürgerbegehrens kein bloß untergeordnetes Detail dar, sondern muss aus Sicht der Unterschriftsleistenden als entscheidungsrelevant angesehen werden.

Bei der insoweit vorzunehmenden Erheblichkeitsprüfung kommt es entgegen der Auffassung der Kläger nicht darauf an, dass die beanstandete unzutreffende Sachaussage im Verhältnis zu den übrigen Teilen der Begründung quantitativ nur einen geringen Raum einnimmt (knapp zwei Zeilen) und sich in lediglich einem von sechs Punkten der „Begründungen“ findet. Die Initiatoren eines Bürgerbegehrens können dem aus der Abstimmungsfreiheit abzuleitenden Irreführungsverbot nicht dadurch entgehen, dass sie wahrheitswidrige Begründungselemente durch eine größere Zahl korrekter Aussagen kompensieren oder auf nicht zu beanstandende „Alternativbegründungen“ verweisen. Da den Unterzeichnern des Bürgerbegehrens der auf den Unterschriftenlisten abgedruckte Begründungstext in seiner Gesamtheit vorliegt, muss auch dessen rechtliche Beurteilung einheitlich erfolgen; eine nachträgliche Teilung oder geltungserhaltende Reduktion kommt daher nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B. v. 9.12.2010 - 4 CE 10.2943 - juris Rn. 4).

Maßgebend ist somit nicht die Frage, ob die Begründung auch ohne die inkriminierte Passage Bestand haben könnte, sondern ob die unrichtige Sachaussage im Kontext der übrigen Begründung als so gewichtig anzusehen ist, dass ohne sie möglicherweise weniger Unterzeichner das Bürgerbegehren unterstützt hätten. Eine solche Eignung zur Beeinflussung des Unterschriftsverhaltens darf allerdings nicht nur theoretisch bestehen, sondern muss nach allgemeiner Lebenserfahrung als konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit erscheinen (vgl. BVerwG, B. v. 17.3.1998 - 8 B 36/98 - juris Rn. 2 m. w. N. zum Erheblichkeitsgrundsatz bei Wahlfehlern). Als nicht kausal für das Ergebnis der Unterschriftensammlung können Unvollständigkeiten, Ungenauigkeiten oder Fehlangaben bei (kommunal-)politisch unstreitigen und auch objektiv unwichtigen Detailfragen angesehen werden, nicht dagegen Mängel bei tragenden Begründungselementen, auch wenn das Bürgerbegehren ausdrücklich auf mehrere gleichrangige Begründungsstränge gestützt wird (vgl. BayVGH, B. v. 14.10.2014 - 4 ZB 14.707 - juris Rn. 6; B. v. 25.6.2012 - 4 CE 12.1224 - BayVBl 2013, 19 Rn. 31; OVG NRW, U. v. 23.4.2002 a. a. O.).

Nach diesen Maßstäben handelt es sich vorliegend eindeutig um einen ergebnisrelevanten Begründungsmangel. Die Aussage über eine vom Verfassungsschutz bestätigte Verbindung der IGP zur IGMG stand im Zusammenhang mit dem in Nr. 1 und Nr. 5 der Begründung unternommenen Versuch, mögliche Unterstützer des Bürgerbegehrens davon zu überzeugen, dass die in der IGP an leitender Stelle tätigen Initiatoren des Projekts ZIE-M wegen ihrer Kontakte zu islamistisch-fundamentalistischen Kreisen als Bauherrn nicht akzeptabel seien. Der zum Beleg hierfür angeführte allgemeine Hinweis, dass die IGP bzw. deren Leiter seit Jahren vom Verfassungsschutz „überwacht“ (Nr. 1) bzw. „beobachtet“ (Nr. 5) würden, erhielt seine besondere zeitliche Aktualität und inhaltliche Brisanz erst durch die zusätzliche Information, eine (gegenwärtig bestehende) Verbindung mit islamistischen Fundamentalisten werde im (aktuellen) Verfassungsschutzbericht erwähnt und sei damit eine amtlich festgestellte Tatsache.

Da gerade in der Bezugnahme auf die Amtsautorität der Verfassungsschutzbehörde das Spezifikum der erwähnten Sachaussage liegt, kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob sich für den Zeitraum der Unterschriftensammlung (2011 bis 2014) auf andere Weise belegen lässt, dass ein Kontakt der IGP zur IGMG tatsächlich bestand. Einer diesbezüglichen weiteren Sachaufklärung etwa durch Vernehmung von Mitarbeitern des Landesamtes für Verfassungsschutz bedurfte es demnach nicht. Dass die IGP, wie von der Klägerseite vorgetragen, Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland ist, dem auch die IGMG offiziell angehört, ist darüber hinaus schon deshalb ohne Bedeutung, weil der Beitritt zu diesem Dachverband erst im März 2015 und damit nach Ende der Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren erfolgte.

c) Der in der irreführenden Begründung des Bürgerbegehrens liegende Rechtsmangel kann nicht durch einen nachträglichen Verzicht der Kläger auf die beanstandete Sachaussage geheilt werden. Zwar findet sich auf den Unterschriftslisten ein Zusatz, der die gemäß Art. 18a Abs. 4 GO benannten Vertreter ermächtigt, „zur Begründung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens Änderungen vorzunehmen, soweit diese nicht den Kern des Antrages berühren“. Eine solche Vollmacht erlaubt jedoch keine inhaltliche Korrektur der Begründung nach Einholung der Unterschriften; sie lässt lediglich in Bezug auf die Fragestellung redaktionelle Änderungen sowie Präzisierungen und Aktualisierungen zu, die das erkennbare Ziel des Begehrens klarer als die bisherige Fassung zum Ausdruck bringen und einem späteren Bürgerentscheid zugrunde gelegt werden können (vgl. BayVGH. U. v. 22.6.2007 - 4 B 06.1224 - BayVBl 2008, 241/242 m. w. N.). Das nachträgliche Streichen wesentlicher Teile der Begründung würde dagegen den Willen der Unterzeichner des Bürgerbegehrens verfälschen, weil damit fingiert würde, dass sie ihre Unterschrift auch bei einer anderen Begründung geleistet hätten.

d) Das mit einer irreführenden Begründung versehene Bürgerbegehren ist auch nicht wegen unzulässiger Behinderung der Unterschriftensammlung durch die Beklagte zuzulassen. Zwar spricht vieles dafür, dass mit der in der Form eines persönlichen Anschreibens des damaligen Oberbürgermeisters erfolgten Verteilung von Flyern, die vorrangig Warnungen und Wertungen in Bezug auf die hinter dem Bürgerbegehren stehenden Personen und Organisationen enthielten, gegen kompetenzrechtliche Vorgaben (Art. 37 GO) und gegen das bei Bürgerbegehren geltende Sachlichkeitsgebot (vgl. dazu BayVGH, B. v. 17.3.1997 - 4 ZE 97.874 - BayVBl 1997, 435) verstoßen wurde. Die von den Klägern insoweit gerügten Rechtsverletzungen betreffen jedoch nur ihr grundrechtsgeschütztes Recht auf ungehindertes öffentliches Werben um Unterschriften und nicht den mit der vorliegenden Klage verfolgten Anspruch aus Art. 18a Abs. 8 GO auf förmliche Zulassung des (mit einer hinreichenden Zahl von Unterschriften) eingereichten Bürgerbegehrens. Gegen rechtswidrige Behinderungen durch öffentliche Amtsträger und Behörden während der Phase der Unterschriftensammlung können sich die Initiatoren eines Bürgerbegehrens im Wege einer Unterlassungsklage und ggf. mittels eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz zur Wehr setzen (vgl. BayVGH, B. v. 15.4.2011 - 4 CE 11.407 - juris Rn. 8). Solche vorangegangenen Rechtsverstöße von Gemeindeorganen begründen dagegen kein Recht auf Zulassung eines Bürgerbegehrens, das wegen seiner irreführenden Begründung die aus der Abstimmungsfreiheit folgenden rechtlichen Mindestanforderungen verfehlt.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

III. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 22.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. März 2016 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27. April 2015 verpflichtet, das Bürgerbegehren „A.er Stadtwerke in A. Bürgerhand“ zuzulassen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zulassung eines Bürgerbegehrens.

Die Kläger sind Vertreter eines Bürgerbegehrens, das darauf abzielt, einen Verkauf der von der Beklagten in privatrechtlicher Form geführten Stadtwerke oder ihrer Tochtergesellschaften sowie deren Fusion mit anderen Unternehmen zu verhindern.

Die Beklagte ist alleinige Gesellschafterin der S. A. Holding GmbH, der jeweils zu 100% u. a. die Stadtwerke A. E. GmbH, die Stadtwerke A. W. GmbH und die S. A. Verkehrs GmbH gehören. Die Stadtwerke A. E. GmbH hält Anteile an der e. s. GmbH, der B. GmbH und der M-net T. GmbH. Die s N. GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Stadtwerke A. E. GmbH.

Eine vom Stadtrat der Beklagten in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie kam zu dem Ergebnis, dass bei einer strategischen Partnerschaft der Energiesparte der Stadtwerke A. mit der e. s. GmbH jährlich bis zu 2,004 Millionen Euro an zusätzlichen Gewinnen insbesondere durch Einsparungen erwirtschaftet werden könnten, bei einer Fusion sogar 11,5 Millionen Euro.

Gegen solche Bestrebungen richtet sich das von einer Bürgerinitiative betriebene Bürgerbegehren „A.ger Stadtwerke in A.er Bürgerhand“, das von den Klägern am 2. April 2015 bei der Beklagten eingereicht wurde. Die Unterschriftenlisten enthielten folgende Fragestellung:

„Sind Sie dafür, dass die S. A. Holding GmbH und ihre T. E. GmbH, W. GmbH, Verkehrs GmbH und N. A. GmbH in vollständigem Eigentum der Stadt A. bleiben und jegliche Fusion mit anderen Unternehmen unterbleibt?“

Die auf den Unterschriftenlisten abgedruckte Begründung lautet:

„Die Stadtwerke A. sind seit langer Zeit im vollständigen Eigentum der Stadt A. Dies garantiert die sichere Daseinsvorsorge der A. Bürgerinnen und Bürger in den Bereichen Energie, Wasser und Verkehr. Doch jetzt soll der Konzern T. AG durch seine Tochter E. S. GmbH an der Energieversorgung der Stadt beteiligt werden. Der A. Stadtrat hat mit großer Mehrheit beschlossen, diese Möglichkeit ernsthaft zu prüfen. Das käme einem Ausverkauf von A. ‚Tafelsilber‘ gleich, denn die Überschüsse aus dem Energiebereich garantieren heute u. a. die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs A. Weitere mögliche Gefahren bestehen in Preissteigerungen, Arbeitsplatzabbau und dem Abzug von regionalem Dienstleistungswissen. Die A. Daseinsvorsorge muss vollständig in kommunaler Hand bleiben.“

Aufgrund eines Stadtratsbeschlusses vom 23. April 2015 wurde das Bürgerbegehren mit Bescheid vom 27. April 2015 als unzulässig zurückgewiesen.

Ein von den Klägern eingereichtes weiteres Bürgerbegehren, das sich nur gegen die in der Machbarkeitsstudie geprüfte Fusion im Bereich der Energie richtete („Sind Sie dafür, dass eine Fusion der Energiesparte der Stadtwerke A. mit E. S. unterbleibt?“), wurde mit Bescheid vom 22. Mai 2015 von der Beklagten zugelassen. Es wurde in einem Bürgerentscheid am 12. Juli 2015 angenommen, zugleich wurde ein entgegengesetztes Ratsbegehren abgelehnt.

Gegen die Ablehnung des ersten Bürgerbegehrens erhoben die Kläger am 30. April 2015 Verpflichtungsklage. Die Klage sei auch nach dem Erfolg des zweiten Bürgerbegehrens zulässig, weil das erste Bürgerbegehren weitergehend sei. Die Fragestellung sei ausreichend bestimmt, da es um eine Grundsatzentscheidung über die städtische Daseinsvorsorge gehe. Anlass sei zwar die angekündigte Fusion im Energiebereich; eine Privatisierung in anderen Sparten sei jedoch nicht ausgeschlossen.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da die Kläger durch Einreichung des zweiten Bürgerbegehrens dokumentiert hätten, dass sie das Interesse an dem ersten Bürgerbegehren verloren hätten und zu der Überzeugung gelangt seien, dass es unzulässig gewesen sei. Die Klage sei auch unbegründet, da das Bürgerbegehren gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Koppelungsverbot verstoße; zudem enthalte die Begründung unrichtige, irreführende und unvollständige Angaben über abstimmungsrelevante Tatsachen.

Mit Urteil vom 4. März 2016 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage ab. Sie sei zwar zulässig, da der Gegenstand des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens mit demjenigen des erfolgreich durchgeführten Bürgerbegehrens nur teilweise identisch sei und der Bürgerentscheid auch nur eine einjährige Bindungswirkung besitze. Die Klage sei aber unbegründet, da das Bürgerbegehren, das mit seiner Fragestellung nicht gegen das Kopplungsgebot verstoße, an einem Begründungsmangel im Sinne einer unvollständigen und dadurch irreführenden Begründung leide. Bei einer (zulässigerweise) mehrere Teilaspekte umfassenden Fragestellung sei in der Begründung darauf zu achten, dass der Abstimmende, der sich nur einheitlich für Ja oder Nein entscheiden könne, bei der Wertung der einzelnen Teilaspekte eine eventuell unterschiedliche Ausgangslage erkennen könne. Es sei hier daher erforderlich gewesen, in der Begründung in der gebotenen Kürze darauf hinzuweisen, dass die Beklagte bzw. deren Stadtrat hinsichtlich der Trinkwasserversorgung bereits früher eine Privatisierung ausdrücklich ausgeschlossen habe (Stadtratsbeschlüsse vom 25.3.2004 und 24.4.2008) und dass durch die aktuellen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Fusion der Energie- und Netzsparte der alleinige Einfluss auf die Wasserversorgung ausdrücklich erhalten bleiben solle (Beschlüsse vom 20.11. und 23.7.2014). Ein vollständiges Unterbleiben jeden Hinweises auf die abweichende Ausgangslage beim Trinkwasser mache die Begründung unvollständig, wodurch die Abstimmenden irregeführt werden könnten. Die Stadtratsbeschlüsse der Jahre 2004 und 2008 seien entstanden, weil eine im Raum stehende Privatisierung der Trinkwasserversorgung bzw. ein Verkauf der Grundstücke im Trinkwasserschutzgebiet auf Bürgerprotest gestoßen sei. Durch den fehlenden Hinweis auf die Beschlusslage werde der Eindruck erweckt, die Frage der Privatisierung der Trinkwasserversorgung sei ebenso zu bewerten wie diejenige der - von der geplanten Fusion mit der e. s. GmbH ebenfalls nicht betroffenen - Verkehrssparte. Selbst wenn man nicht davon ausgehe, dass durch die Fassung der Fragestellung und der Begründung der Eindruck erweckt werde, auch die Privatisierung der Trinkwasserversorgung sei unmittelbar geplant, werde der Abstimmende hier über Bedeutung und Tragweite der Fragestellung irregeleitet. Dies sei insoweit abstimmungsrelevant, als die Wertung, ob mit ja oder nein geantwortet werde, unterschiedlich ausfallen könne, je nachdem wie der Abstimmende den Handlungsbedarf hinsichtlich des Trinkwassers beurteile. Nach einer Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs werde die Grenze einer sachlich vertretbaren Darstellung des Anliegens eines Volksbegehrens dann überschritten, wenn die Erläuterung der konkreten Rechtslage, die abgelöst werden solle, ein wichtiges bereits in Kraft getretenes Änderungsgesetz überhaupt nicht in den Blick nehme. Übertragen auf die Konstellation bei Bürgerbegehren, wo es um Beschlüsse eines Gemeinderats gehe, müsse über eine relevante bestehende Beschlusslage des Stadt- bzw. Gemeinderats informiert werden.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Sie beantragen,

das Urteil des Verwaltungsrechts Augsburg vom 4. März 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. April 2015 zu verpflichten, das Bürgerbegehren „A.er Stadtwerke in A.er Bürgerhand“ zuzulassen.

Zweck der Begründungspflicht sei, dass die Unterzeichner eines Bürgerbegehrens durch eine zumindest knappe Begründung erführen, wofür sie sich einsetzten. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, weil die Begründung über bloß schlagwortartige Aussagen hinaus Angaben zu den Gründen für das Bürgerbegehren enthalte und die Bürger zu einer Grundsatzentscheidung über die Privatisierung sämtlicher Sparten der S. A. Holding GmbH aufrufe. Jedem mündigen Bürger sei klar gewesen, dass er anlässlich des aktuellen Fusionsplans der Beklagten bezüglich der Energieversorgungssparte im Rahmen einer Grundsatzentscheidung über den generellen Verbleib aller Tochtergesellschaften entscheide. Als Grund für das Begehren werde die dauerhafte Sicherung der Daseinsvorsorge in kommunaler Hand angeführt und auf mögliche Risiken einer Teilprivatisierung hingewiesen. Die Begründung enthalte ausschließlich inhaltlich richtige Tatsachen und keine als Tatsachenbehauptung getarnten Befürchtungen oder Vermutungen. Da anlässlich der jüngsten Fusionspläne für die Energiesparte eine Grundsatzentscheidung bezüglich aller zur A. S. Holding GmbH gehörenden Bereiche gefordert werde, entstehe beim Bürger nicht der Eindruck, dass die Privatisierung der Wassersparte unmittelbar bevorstehe oder bereits geplant sei. Die Begründung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht deshalb unvollständig, weil die Stadtratsbeschlüsse von 2004, 2008 und 2014 nicht erwähnt seien. Die Forderung des Gerichts, die Begründung müsse eventuell unterschiedliche Ausgangslagen hinsichtlich der betroffenen Teilaspekte erkennen lassen, widerspreche dem Wesen einer Grundsatzentscheidung. Die geforderte Erwähnung der Stadtratsbeschlüsse hätte beim Bürger den Eindruck erweckt, dass - entgegen der tatsächlichen Sachlage - auch in der Wassersparte eine Privatisierung unmittelbar bevorstehe. Da es um eine Grundsatzfrage gehe, liege auch kein partieller Begründungsausfall vor. Eine Verpflichtung, über die geltende Beschlusslage des Stadtrats in der Begründung umfassend zu informieren, existiere nicht. Unabhängig davon, dass die Aufzählung aller zur Thematik ergangenen Stadtratsbeschlüsse in der Begründung weder der Klarheit noch der Verständlichkeit zuträglich gewesen wäre, sei dies auch nicht geboten gewesen. In den neueren Beschlüssen des Stadtrats aus dem Jahr 2014 sei zwar die Wassersparte ausgeklammert worden, dies aber nur im Zusammenhang mit der Machbarkeitsstudie und nicht allgemeingültig. Einen generellen Beschluss darüber, dass die Wasser- und Verkehrssparte von jeder Privatisierung dauerhaft ausgenommen bleiben solle, habe der 2014 neu gewählte Stadtrat trotz der aktuellen Entwicklungen nicht gefasst. Die zitierte Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs sei nicht übertragbar, da die Begründung keine Erläuterungen zur geltenden Rechts- bzw. Beschlusslage enthalte. Anders als bei Volksbegehren, die auf die Herbeiführung eines Gesetzes abzielten und bei denen daher die zugrundeliegende Rechtslage maßgeblich sei, beanspruche eine bestehende Beschlusslage des Stadtrats, zumal eine nicht aktuelle, keine vergleichbare Geltung bei der im Rahmen eines Bürgerbegehrens zu treffenden Grundsatzentscheidung. Den Stadtratsbeschlüssen der Beklagten aus dem Jahr 2004 und 2008 komme schon aufgrund ihrer fehlenden Aktualität keine Abstimmungsrelevanz zu; auch könnten sie jederzeit aufgehoben werden. Es fehle daher an einer „relevanten Beschlusslage des Stadtrats“, über die im Bürgerbegehren zu informieren gewesen wäre. Da durch das Bürgerbegehren zu keinem Zeitpunkt suggeriert worden sei, dass sämtliche Sparten unmittelbar vor der Fusion stünden, würden die Unterzeichner nicht irregeführt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die für Volksbegehren geltenden Begründungsanforderungen seien auf Bürgerbegehren zu übertragen, da es bei beiden Instituten um eine Änderung der bestehenden Rechtslage gehe. In der Begründung des Bürgerbegehrens dürften daher abstimmungsrelevante Tatsachen nicht verschwiegen werden; auf den Unterschied zwischen aktivem Tun und Unterlassen komme es dabei nicht an. Dies gelte erst recht bei Grundsatzentscheidungen; die Begründungsanforderungen müssten daher für sämtliche Teilaspekte und somit sämtliche Tochtergesellschaften erfüllt sein. In der vorliegenden Begründung sei die Beschlusslage und damit die für den Verwaltungsvollzug geltende Rechtslage unvollständig erläutert worden, da die Stadtratsbeschlüsse vom 25. März 2004, 24. April 2008 und 23. Juli 2014 nicht erwähnt und von dem aktuellen Beschluss vom 20. November 2014 nur die Beteiligungsabsicht durch die T. AG dargestellt worden sei, nicht aber die mit diesem Beschluss getroffenen Einschränkungen. Hierzu hätten der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, die Beibehaltung des alleinigen Einflusses der S. A. Holding GmbH auf die Verkehrs GmbH und die W. GmbH, der Ausschluss negativer Auswirkungen im Querverbund sowie die Begrenzung der Beteiligung der T. AG auf unter 50% und deren Nichtbeteiligung an der S. A. Holding GmbH gehört. Durch die Nichterwähnung dieser Fakten in der Begründung sei der Eindruck erweckt worden, dass es diese abstimmungsrelevante Beschlusslage nicht gebe. Da die einzelnen Tochtergesellschaften in völlig verschiedenen Geschäftsfeldern tätig seien, gehe die Behauptung der Kläger, dass die Grundsatzentscheidung keine Teilaspekte aufweise, an der Realität vorbei. Hinsichtlich der Trinkwasserversorgung fehle der Hinweis in der Begründung, dass diesbezüglich nach der Beschlusslage eine Privatisierung ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Zu den behaupteten Gefahren des Arbeitsplatzabbaus und von Preissteigerungen sei ein Hinweis notwendig gewesen, dass der Stadtrat am 20. November 2014 bereits Gegenmaßnahmen beschlossen habe. Zur Stadtwerke A. W. GmbH enthalte die Begründung keinerlei Angaben über die Ziele und Auswirkungen des Bürgerbegehrens, so dass für diesen gewichtigen Teil ein völliger Begründungsausfall vorliege. Mit der Begründung des Bürgerbegehrens werde auch suggeriert, dass die sichere Daseinsvorsorge des öffentlichen Nahverkehrs nur durch den Verbleib der S. A. Verkehrs GmbH im vollständigen Eigentum der Beklagten garantiert werde; insoweit sei die Begründung unrichtig. Die S. A. Verkehrs GmbH sei lediglich die Infrastrukturgesellschaft und Eigentümerin der Verkehrsinfrastruktur (z. B. Gleise, Straßenbahnen, Busse), während der öffentliche Personennahverkehr von der A. Verkehrsgesellschaft mbH (AVG) unter Beteiligung der A. Verkehrsservicegesellschaft (ASG) betrieben werde, die zum Konzern Stadtwerke A. gehörten. Allein mit der Eigentumssicherung bezogen auf die Infrastrukturgesellschaft könne der öffentliche Nahverkehr faktisch keinesfalls gesichert werden. Auch handle es sich dabei nach Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 BayÖPNVG um eine freiwillige Aufgabe der Daseinsvorsorge im eigenen Wirkungskreis, welche die Beklagte in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bedarfsgerecht durchzuführen habe; insoweit sei die Daseinsvorsorge bereits gesetzlich gesichert. Diesbezüglich sei die Begründung daher unrichtig; auch fehle der Fragestellung der erforderliche Entscheidungscharakter. Durch die Eingangssätze der Begründung werde der irreführende Eindruck erweckt, dass nur beim Verzicht auf eine Fusion die Daseinsvorsorge in den genannten Bereichen für die Zukunft gesichert sei und dass sämtliche Geschäftsfelder von der geplanten Fusion umfasst seien. Es werde suggeriert, dass die in der Begründung genannten potentiellen Gefahren in Kürze eintreten würden und dass die Trinkwasserversorgung Bestandteil der Fusion werden solle. Dabei handle es sich um ergebnisrelevante tragende Begründungselemente. Zudem verstoße die Fragestellung gegen das in der Rechtsprechung anerkannte Verbot der Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in einem Bürgerbegehren. Nach dem objektiven Erklärungsgehalt handle es sich um mehrere Teilfragen, da es um den Verbleib mehrerer selbständiger Gesellschaften im Eigentum der Beklagten und um das Unterbleiben jeglicher Fusion mit anderen Unternehmen gehe. Die einzelnen Teilfragen bildeten keine einheitliche abgrenzbare Materie, da unterschiedliche Geschäftsfelder betroffen seien, bei denen der Sinn einer Fusion unterschiedlich beurteilt werden könne. Zudem betreffe ein Teil der Fragestellung eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, während es bei einer Fusion um einen Zusammenschluss von zwei oder mehreren Unternehmen gehe, die nicht mit einer Veränderung der Eigentumslage an den Unternehmen einhergehen müsse. Nach dem Wortlaut der Fragestellung seien sogar Fusionen ausgeschlossen, bei denen eine Gesellschaft des Stadtwerke-Konzerns eine andere Gesellschaft übernehme und dabei im vollständigen Eigentum der Beklagten bleibe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 25. Januar 2017 wurden die streitigen Fragen erörtert. Die Vertreter der Beklagten übergaben eine Übersicht über die aktuelle Konzernstruktur der Stadtwerke A. Die Beteiligten verzichteten auf weitere mündliche Verhandlung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

I.

Die Berufung der Kläger, über die wegen des Verzichts der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Die Kläger, die als Gesamtvertreter der Unterzeichner des Bürgerbegehrens gegen dessen Ablehnung im eigenen Namen unmittelbar Klage erheben können (Art. 18a Abs. 8 Satz 2 GO), haben einen Rechtsanspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da dieses weder mit seiner Fragestellung (1.) noch mit seiner Begründung (2.) gegen geltendes Recht verstößt. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27. April 2015 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. März 2016 können daher keinen Bestand haben.

1. Die zur Entscheidung gestellte Frage, ob der Abstimmende dafür ist, dass die S. A. Holding GmbH und ihre T. E. GmbH, W. GmbH, Verkehrs GmbH und N. A. GmbH in vollständigem Eigentum der Stadt A. bleiben und jegliche Fusion mit anderen Unternehmen unterbleibt, lässt sich mit Ja oder Nein beantworten und entspricht daher der Vorgabe des Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO. Sie ist auch weder zu unbestimmt (a), noch verstößt sie gegen das Koppelungsverbot (b).

a) Ein Bürgerbegehren kann nur zugelassen werden, wenn die mit ihm unterbreitete Fragestellung ausreichend bestimmt ist (BayVGH, B.v. 8.4.2005 - 4 ZB 04.1264 - BayVBl 2005, 504 m.w.N.). Damit ist zwar nicht verlangt, dass es zur Umsetzung des Bürgerentscheids nur noch des Vollzugs durch den Bürgermeister bedarf; mit einem Bürgerentscheid können vielmehr auch Grundsatzentscheidungen getroffen werden, die durch Detailregelungen des Gemeinderates ausgefüllt werden müssen (BayVGH, U.v. 19.2.1997 - 4 B 96.2928 - VGH n.F. 50, 42/44 = BayVBl 1997, 276/277). Die Fragestellung muss aber in jedem Fall so bestimmt sein, dass die Bürger erkennen können, für oder gegen was sie ihre Stimme abgeben und wie weit die Bindungswirkung des Bürgerentscheids (Art. 18a Abs. 13 GO) nach dessen Entscheidungsinhalt reicht (BayVGH, B.v. 8.4.2005, a.a.O.; vgl. VerfGH, E.v. 13.4.2000 - Vf. 4-IX-00 - BayVBl 2000, 460/464 zum Volksentscheid).

Diesen Anforderungen wird das streitgegenständliche Bürgerbegehren gerecht. In der Fragestellung werden die kommunalen Unternehmen, für die das umfassende Veräußerungs- und Fusionsverbot gelten soll, hinreichend genau bezeichnet. Dass dabei die N. GmbH zu den „Töchtern“ der S. A. Holding GmbH gerechnet wird, obwohl sie - als Tochterunternehmen der E. GmbH - insoweit als Enkelunternehmen zu qualifizieren wäre, ist hier unerheblich, da diese begriffliche Ungenauigkeit nicht zu abstimmungsrelevanten Unklarheiten oder Fehlvorstellungen führen kann. Die Reichweite der zu treffenden Entscheidung ist auch nicht deshalb unklar, weil sich aus der Fragestellung nicht eindeutig erkennen ließe, ob der Ausschluss „jegliche(r) Fusion“ auch für Firmenübernahmen durch eine der Gesellschaften des Stadtwerke-Konzerns gelten soll, bei denen die Beklagte alleinige Eigentümerin des vereinigten Unternehmens würde. Aus der Bezeichnung des Bürgerbegehrens („Aer Stadtwerke in Bürgerhand“) und aus dem primär genannten Ziel eines Verbleibs der kommunalen Unternehmen „in vollständigem Eigentum der Stadt A. “ lässt sich ebenso wie aus dem beigefügten Text der Begründung bei der hier gebotenen wohlwollenden Auslegung (vgl. BayVGH, U.v. 4.7.2016 - 4 BV 16.105 - BayVBl 2017, 92 Rn. 32 m.w.N.) mit hinreichender Klarheit entnehmen, dass Zusammenschlüsse mit „anderen Unternehmen“ nur insoweit unterbleiben sollen, als die Beklagte dadurch ihr bisheriges (Allein-)Eigentum verlieren würde. Weiterhin zulässig wären demnach nicht nur Fusionen der zum Stadtwerkekonzern gehörenden Tochter- und Enkelunternehmen untereinander, sondern auch alle Übernahmen externer Unternehmen, die lediglich zu einer Mehrung des städtischen Eigentums führen würden.

b) Es liegt auch kein Verstoß gegen das Koppelungsverbot vor.

Die in Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO enthaltene Vorgabe, wonach das Bürgerbegehren „eine“ Fragestellung enthalten muss, lässt zwar die Zusammenfassung mehrerer Teilfragen oder -maßnahmen zu einem einheitlichen Abstimmungsgegenstand zu, verbietet aber die Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in ein und derselben Fragestellung (BayVGH, U.v. 25.7.2007 - 4 BV 06.1438 - VGH n.F. 60, 180/183 f. = BayVBl 2008, 82). Denn die aus dem demokratischen Mitwirkungsrecht des Bürgers (Art. 7 Abs. 2 BV) folgende Abstimmungsfreiheit wäre beeinträchtigt, wenn über mehrere Regelungsvorschläge, die in keinem Sachzusammenhang zueinander stehen, nur „im Paket“ abgestimmt werden könnte. Dieser ursprünglich für Volksbegehren entwickelte Grundsatz (vgl. VerfGH, E.v. 24.2.2000 - Vf. 112-IX-99 - VerfGH 53, 23/29 ff.) muss in gleicher Weise für Bürgerbegehren gelten.

Wann verschiedene Einzelmaterien so eng aufeinander bezogen sind, dass sie in einem Bürgerbegehren gebündelt werden dürfen, bestimmt sich nach materiellen Kriterien. Die bloß formale Verbindung unter dem Dach einer Fragestellung genügt ebenso wenig wie die Verknüpfung durch ein gemeinsames allgemeines Ziel oder ein politisches Programm. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Teilfragen oder -maßnahmen nach objektiver Beurteilung innerlich eng zusammenhängen und eine einheitliche abgrenzbare Materie bilden (BayVGH, U.v. 25.7.2007, a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die streitgegenständliche Fragestellung keinen Bedenken. Die im Bürgerbegehren genannten Gesellschaften, die in ihrem Namen jeweils die Bezeichnung „Stadtwerke A.“ führen, bilden zwar in formeller Hinsicht selbständige juristische Personen, gehören jedoch zum selben Konzern, an dessen Spitze die im Eigentum der Beklagten befindliche S. A. Holding GmbH steht. Diese verfügt jeweils über einen 100%-Anteil an den drei Tochterunternehmen in den Versorgungsbereichen Energie, Wasser und Verkehr, wobei die Stadtwerke A. E. GmbH ihrerseits Alleineigentümerin der s N. GmbH ist. Neben dieser - größtmöglichen - eigentumsrechtlichen Verflechtung besteht zwischen den Unternehmen auch auf der Leitungsebene (Geschäftsführung, Prokura) eine weitgehende personelle Identität, in der die gemeinsame kommunale Trägerschaft und die daraus resultierenden engen Kooperationsbeziehungen zum Ausdruck kommen. Wie sich dem bei den Gerichtsakten befindlichen Stadtratsbeschluss vom 20. Oktober 2014 entnehmen lässt (BSV/14/02469), wird durch die Verrechnung aller Ergebnisse innerhalb des S-Konzerns zudem ein steuerlicher Querverbund hergestellt.

Angesichts dieser objektiv feststellbaren dauerhaften Verbindung zwischen den drei Tätigkeitsfeldern, auf denen die Beklagte ihre Verpflichtung zur Daseinsvorsorge (Art. 83 Abs. 1 BV, Art. 57 GO) erfüllt, durfte ein für alle Unternehmen gleichermaßen geltendes Veräußerungsverbot in Form einer Grundsatzentscheidung zum Gegenstand eines zusammenfassenden Bürgerbegehrens gemacht werden. Dass im Zeitraum der Unterschriftensammlung nur für die Energie- und Netzsparte konkrete Überlegungen zu einer Kooperation bzw. Fusion mit einem anderen Unternehmen bestanden, hinderte die Initiatoren nicht daran, die damalige Debatte zum Anlass für eine generalisierende Fragestellung zu nehmen, um das bisherige Alleineigentum der Beklagten vorsorglich für alle drei Versorgungsbereiche (Energie, Wasser und Verkehr) bis auf weiteres festzuschreiben. Eine kommunale Grundsatzentscheidung betrifft definitionsgemäß immer eine Mehrzahl gegenwärtiger oder zukünftiger Anwendungsfälle. Dass diese in der kommunalen Öffentlichkeit nicht alle zur gleichen Zeit und in gleicher Intensität diskutiert werden, sondern einen unterschiedlich hohen Erörterungs- und Entscheidungsbedarf aufweisen, liegt in der Natur der Sache. Stünden bereits solche unvermeidbaren Unterschiede einer gemeinsamen plebiszitären Beschlussfassung entgegen, könnten durch ein Bürgerbegehren - anders als durch einen Gemeinderatsbeschluss - nur noch einzelfallbezogene Entscheidungen getroffen werden. Dies liefe der im Gesetz vorgesehenen Gleichwertigkeit beider Arten der kommunalen Willensbildung (Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO) zuwider.

Wenn mehrere Teilfragen oder -maßnahmen in einem Bürgerbegehren zu einer einzigen (Grundsatz-)Frage verbunden werden, wird auch derjenige, der die Teilaspekte an sich unterschiedlich beantworten möchte, vor die Entscheidung gestellt, einheitlich mit Ja oder Nein zu stimmen. Dies allein steht aber der Verknüpfung mehrerer sachlich zusammenhängender Materien in einer allgemein formulierten Fragestellung nicht entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2009 - 4 ZB 08.2205 - juris Rn. 17; U.v. 8.5.2006 - 4 BV 05.756 - BayVBl 2006, 534/535). Die Beklagte kann sich hier daher nicht darauf berufen, dass es gewichtige Gründe geben könne, die Fusionspläne etwa in der Energie- und Netzsparte anders zu beurteilen als bei der Wasserversorgung oder im Verkehrsbereich. Das Bürgerbegehren zielt nicht auf eine anhand der konkreten Umstände differenzierende Entscheidung, sondern will die Bürgerschaft dazu befragen, ob von allen (auch künftigen) Bestrebungen, städtische Anteile an den Versorgungsunternehmen abzugeben, von vornherein aus prinzipiellen Gründen Abstand genommen werden soll. Das damit angestrebte Verbot jeder Veräußerung kommt sowohl im ersten Teil der Fragestellung („dass die Stadtwerke… in vollständigem Eigentum der Stadt A. bleiben“) als auch in dem als konkretes Beispiel eines Eigentumsverlusts zu verstehenden zweiten Teil („jegliche Fusion mit anderen Unternehmen unterbleibt“) zum Ausdruck, so dass in der Verbindung dieser beiden Teilfragen ebenfalls keine unzulässige Koppelung unterschiedlicher Materien liegt.

2. Auch mit seiner Begründung verstößt das Bürgerbegehren nicht gegen zwingende rechtliche Vorgaben.

Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss ein Bürgerbegehren eine (auf allen Unterschriftslisten gleichlautende) Begründung enthalten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren VerfGH, E.v. 13.4.2000 - Vf. 4-IX-00 - VGH n.F. 53, 81/105). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Bürger können nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden und von ihrem Eintragungsrecht Gebrauch machen, wenn sie nicht durch den vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend bzw. unvollständig erläutert wird (BayVGH, B.v. 9.12.2010 - 4 CE 10.2943 - juris Rn. 2; B.v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 31; B.v. 25.6.2012 - 4 CE 12.1224 - BayVBl 2013, 19 Rn. 31; B.v. 14.10.2014 - 4 ZB 14.707 - juris Rn. 3 ff.; U.v. 4.7.2016 - 4 BV 16.105 - BayVBl 2017, 92 Rn. 27; anders noch B.v. 14.3.2001 - 4 ZE 00.3658 - BayVBl 2002, 184).

Diese ungeschriebene Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist hier eingehalten. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts beruht auf einer zu engen Betrachtungsweise, die den Besonderheiten des plebiszitären Entscheidungsprozesses auf der kommunalen Ebene nicht gerecht wird.

a) Die Begründung des Bürgerbegehrens erfüllt zwar eine wichtige Informationsfunktion, weil sie den Unterzeichnern verdeutlicht, worauf sich die Fragestellung bezieht und welche Motive aus Sicht der Initiatoren für den angestrebten Bürgerentscheid maßgebend sind. Anders als die - meist von Verwaltungsmitarbeitern erarbeiteten - Beschlussvorlagen für Gemeinderatssitzungen, die der dortigen Diskussion und Abstimmung als Grundlage dienen und die bestehende Sach- und Rechtslage zunächst in neutraler Form darstellen sollten, muss aber die einem Bürgerbegehren beigefügte Begründung noch keinen (vorläufigen) Überblick über die Ausgangssituation und den kommunalpolitischen Streitstand vermitteln. Die Betreiber des Bürgerbegehrens nehmen am öffentlichen Meinungskampf teil und sind nicht zu einer objektiv ausgewogenen Erläuterung ihres Anliegens verpflichtet. Die um ihre Unterschrift gebetenen Gemeindebürger müssen sich vielmehr selbständig ein Urteil darüber bilden, ob sie die - in der Regel einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens - vorgebrachten Gründe für stichhaltig halten oder ob sie sich zusätzlich aus weiteren Quellen informieren wollen. Zu beanstanden ist die Begründung eines Bürgerbegehrens daher nur, wenn sie über eine bloß tendenziöse Wiedergabe hinaus einen entscheidungsrelevanten Umstand nachweislich falsch oder in objektiv irreführender Weise darstellt.

Die hier streitige Begründung enthält in keinem ihrer sieben Sätze eine unrichtige Tatsachenbehauptung. In den Sätzen 1, 3 und 4 werden der bisherige Rechtszustand und die (damaligen) Bestrebungen zu dessen Änderung zutreffend beschrieben. Die von der Beklagten beanstandete Aussage, der Verbleib der Stadtwerke im vollständigen Eigentum der Beklagten garantiere die sichere Daseinsvorsorge in den Bereichen Energie, Wasser und Verkehr (Satz 2), enthält ein auf einer prognostischen Einschätzung beruhendes Werturteil, dessen Tatsachenkern - für den maßgeblichen Zeitraum der Unterschriftensammlung - nicht als widerlegt angesehen werden kann. Dass die in der Fragestellung des Bürgerbegehrens erwähnte Verkehrs GmbH lediglich Inhaberin der Verkehrsinfrastruktur ist, während der öffentliche Personennahverkehr von ihrer 100%igen Tochter A.er Verkehrsgesellschaft mbH (AVG) unter Beteiligung von deren 100%iger Tochter A.er Verkehrsservicegesellschaft mbH (ASG) betrieben wird, lässt die Aussage in Satz 2 der Begründung nicht als falsche Tatsachenbehauptung erscheinen, da alle genannten Gesellschaften unstreitig zum Gesamtkonzern der Stadtwerke A. gehören. Dass innerhalb dieses Verbunds ein finanzieller Ausgleich stattfindet und daher, wie im Bürgerbegehren ausgeführt (Satz 5), „die Überschüsse aus dem Energiebereich u. a. die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs… garantieren“, hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Ihr Einwand, die Begründung sei in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr unrichtig, weil dieser „dem Grunde nach“ bereits gesetzlich gesichert sei, greift schon deshalb nicht durch, weil es sich nach der entsprechenden Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 BayÖPNVG nur um eine freiwillige Aufgabe der Daseinsvorsorge handelt, so dass ein Verzicht auf deren Wahrnehmung oder zumindest eine wesentliche Angebotseinschränkung im Falle eines größeren Betriebsdefizits nicht auszuschließen ist.

b) Die Begründung des Bürgerbegehrens war auch nicht in irreführender Weise unvollständig oder zu undifferenziert.

aa) Im Stadtrat der Beklagten bestand allerdings im Zeitraum der Unterschriftensammlung eine andere Beschlusslage zur Trinkwasserversorgung und zum öffentlichen Nahverkehr als zu der damals im Streit stehenden Energie- und Netzsparte. Bereits in seinen Beschlüssen vom 25. März 2004 und vom 24. April 2008 hatte der Stadtrat klargestellt, dass zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war, „die Stadtwerke A. W. GmbH ganz oder teilweise an Dritte zu veräußern oder solche daran zu beteiligen (keine Privatisierung)“. Im Beschluss des Wirtschaftsförderungs-, Beteiligungs- und Liegenschaftsausschusses vom 23. Juli 2014 und im nachfolgenden Stadtratsbeschluss vom 20. November 2014 wurde als Maßgabe für die - zu einer Kooperation/Fusion im Energie- und Netzbereich in Auftrag gegebene - Machbarkeitsstudie nochmals festgehalten, die Beklagte behalte „für die S Holding GmbH den alleinigen Einfluss auf die Verkehrs GmbH und die W. GmbH“. Dass diese Selbstfestlegung der örtlichen Volksvertretung in der Begründung des Bürgerbegehrens nicht ausdrücklich erwähnt wurde, stellte aber keinen Rechtsverstoß dar, da die Unterzeichner durch das Fehlen dieser Information nicht in ihrer Abstimmungsfreiheit beeinträchtigt wurden.

Den Sätzen 3 und 4 der Begründung („Doch jetzt soll der Konzern T. AG durch seine Tochter E. S. GmbH an der Energieversorgung der Stadt beteiligt werden. Der A. Stadtrat hat mit großer Mehrheit beschlossen, diese Möglichkeit ernsthaft zu prüfen.“) konnte ein unbefangener Leser über den unmittelbaren Mitteilungsgehalt hinaus allenfalls - im Wege eines Umkehrschlusses - entnehmen, dass es für die anderen im Bürgerbegehren genannten Sparten Wasser und Verkehr keine entsprechenden Stadtratsbestrebungen gebe. Eine implizite Aussage dahingehend, dass sich die örtliche Volksvertretung mit der Frage einer (Teil-)Veräußerung der genannten Bereiche bisher noch nicht befasst bzw. dazu nichts beschlossen habe, ließ sich den genannten Tatsachenfeststellungen dagegen nicht entnehmen. Das Unterlassen eines Hinweises auf die tatsächlich bestehende Beschlusslage konnte daher bei den Unterzeichnern keine Fehlvorstellung bezüglich der Position des Stadtrats bzw. einer konkret bestehenden Privatisierungsgefahr hervorrufen.

bb) Die ablehnenden Stadtratsbeschlüsse zur Privatisierung der Wasserversorgung und des öffentlichen Nahverkehrs mussten auch nicht deshalb in der Begründung angesprochen werden, weil die Unterzeichner des Bürgerbegehrens anderenfalls die Bedeutung und Tragweite der Fragestellung nicht hinreichend hätten erkennen können. Zwar hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung vom 13. April 2000 (Vf. 4-IX-00, VerfGH 53, 81/106 = BayVBl 2000, 460) ausgeführt, die Grenze einer sachlich vertretbaren Darstellung des Anliegens eines Volksbegehrens sei jedenfalls dann überschritten, wenn bei der Erläuterung der konkreten Rechtslage, die abgelöst werden soll, ein wichtiges, bereits in Kraft getretenes Änderungsgesetz überhaupt nicht in den Blick genommen werde und dadurch bei den Stimmberechtigten der Eindruck erweckt werde, dieses Regelungswerk gebe es (noch) nicht. Diese Verfassungsrechtsprechung beruht aber auf den besonderen Verfahrensabläufen der Volksgesetzgebung und kann daher nur mit Einschränkungen auf die Ebene des Bürgerbegehrens übertragen werden.

Einem Volksbegehren liegt nach Art. 74 Abs. 2 BV i. V. m. Art. 63 Abs. 1 Satz 2 LWG stets ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde, der eine Begründung enthalten muss, die auch auf den Eintragungslisten erscheint (Art. 68 Abs. 1 Satz 2 LWG); aus ihr ergibt sich die Auffassung der Antragsteller, die bei einem späteren Volksentscheid in der amtlichen Bekanntmachung darzulegen ist (Art. 74 Abs. 7 BV i. V. m. Art. 75 Abs. 2 Nr. 3 LWG). Zielt das Volksbegehren auf die Änderung einer bestehenden Regelung, ist daher nicht nur im vorzulegenden Entwurf das zu ändernde Gesetz in der aktuell geltenden Fassung anzugeben, sondern auch in der Begründung auf die Abweichungen zur bisherigen Rechtslage zumindest in groben Zügen einzugehen; nur so lassen sich die rechtlichen Wirkungen eines möglichen Votums transparent machen. Eine ähnliche Pflicht zur Erläuterung der inhaltlichen Reichweite des Entscheidungsvorschlags kann sich bei einem Bürgerbegehren nur ergeben, wenn es ebenfalls um die Abänderung einer (außen-)rechtsverbindlichen Regelung geht, also z. B. um die Novellierung einer bestehenden kommunalen Satzung. Denn auch in diesem Fall muss für die Unterzeichner aus der Begründung erkennbar werden, ob die betreffende Sachmaterie erstmals normativ erfasst wird oder ob lediglich ein bestehendes Regelungswerk in mehr oder weniger großem Umfang modifiziert werden soll.

Auf eine geltende „Beschlusslage“ des Gemeinderats, die noch in keinem förmlichen Rechtsakt ihren Niederschlag gefunden hat, braucht dagegen nicht in gleicher Weise hingewiesen zu werden. Zielt ein Bürgerbegehren auf eine von der örtlichen Volksvertretung zuvor ausdrücklich abgelehnte Entscheidung, so muss die Fragestellung nicht etwa die Aufhebung des „entgegenstehenden“ Ratsbeschlusses umfassen; dieser stellt ein bloßes Verwaltungsinternum dar, das bei einem positiven Bürgerentscheid ohne weiteres obsolet wird (Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO). Nichts anderes gilt, wenn - wie hier bei der Wasserversorgung und beim öffentlichen Nahverkehr - ein mit dem Bürgerbegehren inhaltlich übereinstimmender Beschluss des Gemeinderats vorliegt, zumal wenn sich dieser darin erschöpft, von Änderungen eines bestehenden Dauerzustands (des Alleineigentums an der Verkehrs GmbH und der W. GmbH) weiterhin abzusehen. Da ein solcher schlichter Ratsbeschluss weder rechtliche Außenwirkung noch eine irgendwie geartete Selbstbindung entfaltet, entsteht auch in diesem Fall erst durch einen erfolgreichen Bürgerentscheid, an den der Gemeinderat für ein Jahr gebunden ist (Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO), ein verbindlicher Rechtsakt. Ein bereits bestehender kommunalpolitischer Konsens in der zur Abstimmung gestellten Frage muss daher, selbst wenn hierzu über längere Zeit hinweg einstimmige Ratsbeschlüsse vorliegen, in der Begründung des Bürgerbegehrens nicht eigens erwähnt werden.

cc) Die dem streitgegenständlichen Bürgerbegehren beigefügte Begründung war schließlich auch nicht deshalb zu beanstanden, weil in ihr keine spezifischen Gründe für den Erhalt des kommunalen Eigentums an der Wasser- und Verkehrssparte genannt wurden.

Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO verlangt für das Bürgerbegehren, auch wenn es sich um eine zulässige Verbindung mehrerer, sachlich eng zusammenhängender Materien handelt, in formeller Hinsicht nur eine (einzige) Begründung. Diese muss zwar ihrem Inhalt nach alle in der Fragestellung aufgeführten Teilaspekte abdecken (BayVGH, B.v. 16.4.2012 - 4 CE 12.517 - BayVBl 2013, 180 Rn. 25). Dabei muss die Begründung aber nicht für alle Teile den gleichen Konkretisierungsgrad und das gleiche Argumentationsniveau aufweisen. Die Initiatoren dürfen Schwerpunkte bilden und nur zu einzelnen, aus ihrer Sicht besonders wichtigen Teilfragen detailliertere Erwägungen vortragen, während sie sich bezüglich der übrigen Aspekte auf pauschale Aussagen beschränken. Bei einer mehrere Anwendungsbereiche umfassenden Grundsatzentscheidung, wie sie hier vorliegt, kann auch die Begründung generalisierend ausfallen; es müssen weder die bestehenden Unterschiede in den tatsächlichen Verhältnissen aufgezeigt noch Differenzierungen in deren Bewertung vorgenommen werden. Da die Begründung nur während der Phase der Unterschriftensammlung und nicht auch für die öffentliche Diskussion bei einem späteren Bürgerentscheid von rechtlicher Bedeutung ist (vgl. Art. 18a Abs. 15 GO), gelten für sie über das erwähnte Täuschungs- und Irreführungsverbot hinaus keine inhaltlichen Mindestvorgaben. Auch eine inhaltlich substanzarme, sich in allgemeinen Werturteilen oder Parolen erschöpfende Begründung ist somit zulässig, wenn sie noch einen thematischen Bezug zu der Entscheidungsfrage aufweist. Ein solches Bürgerbegehren dürfte allerdings regelmäßig geringere Erfolgsaussichten haben als ein in sich schlüssiger, kenntnisreich vorgetragener Entscheidungsvorschlag.

Entsprechend diesen geringen Anforderungen konnte die Begründung des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens sich vorrangig auf die damals aktuelle Streitfrage einer Privatisierung der Energieversorgung konzentrieren und die Bereiche Wasser und Verkehr nur in allgemeiner Form ansprechen, nämlich als Teil der Stadtwerke (Satz 1), als Garant einer sicheren Daseinsvorsorge (Satz 2) sowie als mitbetroffen von den Gefahren der Preissteigerung, des Arbeitsplatzabbaus und des Abzugs von regionalem Dienstleistungswissen (Satz 6). Dass zu jedem dieser Aspekte eine vertiefte und differenzierte Darstellung hinsichtlich der einzelnen Versorgungssparten möglich gewesen wäre, änderte nichts am Vorliegen einer die gesamte Fragestellung umfassenden und daher rechtlich ausreichenden Begründung.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. März 2016 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27. April 2015 verpflichtet, das Bürgerbegehren „A.er Stadtwerke in A. Bürgerhand“ zuzulassen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zulassung eines Bürgerbegehrens.

Die Kläger sind Vertreter eines Bürgerbegehrens, das darauf abzielt, einen Verkauf der von der Beklagten in privatrechtlicher Form geführten Stadtwerke oder ihrer Tochtergesellschaften sowie deren Fusion mit anderen Unternehmen zu verhindern.

Die Beklagte ist alleinige Gesellschafterin der S. A. Holding GmbH, der jeweils zu 100% u. a. die Stadtwerke A. E. GmbH, die Stadtwerke A. W. GmbH und die S. A. Verkehrs GmbH gehören. Die Stadtwerke A. E. GmbH hält Anteile an der e. s. GmbH, der B. GmbH und der M-net T. GmbH. Die s N. GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Stadtwerke A. E. GmbH.

Eine vom Stadtrat der Beklagten in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie kam zu dem Ergebnis, dass bei einer strategischen Partnerschaft der Energiesparte der Stadtwerke A. mit der e. s. GmbH jährlich bis zu 2,004 Millionen Euro an zusätzlichen Gewinnen insbesondere durch Einsparungen erwirtschaftet werden könnten, bei einer Fusion sogar 11,5 Millionen Euro.

Gegen solche Bestrebungen richtet sich das von einer Bürgerinitiative betriebene Bürgerbegehren „A.ger Stadtwerke in A.er Bürgerhand“, das von den Klägern am 2. April 2015 bei der Beklagten eingereicht wurde. Die Unterschriftenlisten enthielten folgende Fragestellung:

„Sind Sie dafür, dass die S. A. Holding GmbH und ihre T. E. GmbH, W. GmbH, Verkehrs GmbH und N. A. GmbH in vollständigem Eigentum der Stadt A. bleiben und jegliche Fusion mit anderen Unternehmen unterbleibt?“

Die auf den Unterschriftenlisten abgedruckte Begründung lautet:

„Die Stadtwerke A. sind seit langer Zeit im vollständigen Eigentum der Stadt A. Dies garantiert die sichere Daseinsvorsorge der A. Bürgerinnen und Bürger in den Bereichen Energie, Wasser und Verkehr. Doch jetzt soll der Konzern T. AG durch seine Tochter E. S. GmbH an der Energieversorgung der Stadt beteiligt werden. Der A. Stadtrat hat mit großer Mehrheit beschlossen, diese Möglichkeit ernsthaft zu prüfen. Das käme einem Ausverkauf von A. ‚Tafelsilber‘ gleich, denn die Überschüsse aus dem Energiebereich garantieren heute u. a. die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs A. Weitere mögliche Gefahren bestehen in Preissteigerungen, Arbeitsplatzabbau und dem Abzug von regionalem Dienstleistungswissen. Die A. Daseinsvorsorge muss vollständig in kommunaler Hand bleiben.“

Aufgrund eines Stadtratsbeschlusses vom 23. April 2015 wurde das Bürgerbegehren mit Bescheid vom 27. April 2015 als unzulässig zurückgewiesen.

Ein von den Klägern eingereichtes weiteres Bürgerbegehren, das sich nur gegen die in der Machbarkeitsstudie geprüfte Fusion im Bereich der Energie richtete („Sind Sie dafür, dass eine Fusion der Energiesparte der Stadtwerke A. mit E. S. unterbleibt?“), wurde mit Bescheid vom 22. Mai 2015 von der Beklagten zugelassen. Es wurde in einem Bürgerentscheid am 12. Juli 2015 angenommen, zugleich wurde ein entgegengesetztes Ratsbegehren abgelehnt.

Gegen die Ablehnung des ersten Bürgerbegehrens erhoben die Kläger am 30. April 2015 Verpflichtungsklage. Die Klage sei auch nach dem Erfolg des zweiten Bürgerbegehrens zulässig, weil das erste Bürgerbegehren weitergehend sei. Die Fragestellung sei ausreichend bestimmt, da es um eine Grundsatzentscheidung über die städtische Daseinsvorsorge gehe. Anlass sei zwar die angekündigte Fusion im Energiebereich; eine Privatisierung in anderen Sparten sei jedoch nicht ausgeschlossen.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da die Kläger durch Einreichung des zweiten Bürgerbegehrens dokumentiert hätten, dass sie das Interesse an dem ersten Bürgerbegehren verloren hätten und zu der Überzeugung gelangt seien, dass es unzulässig gewesen sei. Die Klage sei auch unbegründet, da das Bürgerbegehren gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Koppelungsverbot verstoße; zudem enthalte die Begründung unrichtige, irreführende und unvollständige Angaben über abstimmungsrelevante Tatsachen.

Mit Urteil vom 4. März 2016 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage ab. Sie sei zwar zulässig, da der Gegenstand des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens mit demjenigen des erfolgreich durchgeführten Bürgerbegehrens nur teilweise identisch sei und der Bürgerentscheid auch nur eine einjährige Bindungswirkung besitze. Die Klage sei aber unbegründet, da das Bürgerbegehren, das mit seiner Fragestellung nicht gegen das Kopplungsgebot verstoße, an einem Begründungsmangel im Sinne einer unvollständigen und dadurch irreführenden Begründung leide. Bei einer (zulässigerweise) mehrere Teilaspekte umfassenden Fragestellung sei in der Begründung darauf zu achten, dass der Abstimmende, der sich nur einheitlich für Ja oder Nein entscheiden könne, bei der Wertung der einzelnen Teilaspekte eine eventuell unterschiedliche Ausgangslage erkennen könne. Es sei hier daher erforderlich gewesen, in der Begründung in der gebotenen Kürze darauf hinzuweisen, dass die Beklagte bzw. deren Stadtrat hinsichtlich der Trinkwasserversorgung bereits früher eine Privatisierung ausdrücklich ausgeschlossen habe (Stadtratsbeschlüsse vom 25.3.2004 und 24.4.2008) und dass durch die aktuellen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Fusion der Energie- und Netzsparte der alleinige Einfluss auf die Wasserversorgung ausdrücklich erhalten bleiben solle (Beschlüsse vom 20.11. und 23.7.2014). Ein vollständiges Unterbleiben jeden Hinweises auf die abweichende Ausgangslage beim Trinkwasser mache die Begründung unvollständig, wodurch die Abstimmenden irregeführt werden könnten. Die Stadtratsbeschlüsse der Jahre 2004 und 2008 seien entstanden, weil eine im Raum stehende Privatisierung der Trinkwasserversorgung bzw. ein Verkauf der Grundstücke im Trinkwasserschutzgebiet auf Bürgerprotest gestoßen sei. Durch den fehlenden Hinweis auf die Beschlusslage werde der Eindruck erweckt, die Frage der Privatisierung der Trinkwasserversorgung sei ebenso zu bewerten wie diejenige der - von der geplanten Fusion mit der e. s. GmbH ebenfalls nicht betroffenen - Verkehrssparte. Selbst wenn man nicht davon ausgehe, dass durch die Fassung der Fragestellung und der Begründung der Eindruck erweckt werde, auch die Privatisierung der Trinkwasserversorgung sei unmittelbar geplant, werde der Abstimmende hier über Bedeutung und Tragweite der Fragestellung irregeleitet. Dies sei insoweit abstimmungsrelevant, als die Wertung, ob mit ja oder nein geantwortet werde, unterschiedlich ausfallen könne, je nachdem wie der Abstimmende den Handlungsbedarf hinsichtlich des Trinkwassers beurteile. Nach einer Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs werde die Grenze einer sachlich vertretbaren Darstellung des Anliegens eines Volksbegehrens dann überschritten, wenn die Erläuterung der konkreten Rechtslage, die abgelöst werden solle, ein wichtiges bereits in Kraft getretenes Änderungsgesetz überhaupt nicht in den Blick nehme. Übertragen auf die Konstellation bei Bürgerbegehren, wo es um Beschlüsse eines Gemeinderats gehe, müsse über eine relevante bestehende Beschlusslage des Stadt- bzw. Gemeinderats informiert werden.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Sie beantragen,

das Urteil des Verwaltungsrechts Augsburg vom 4. März 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. April 2015 zu verpflichten, das Bürgerbegehren „A.er Stadtwerke in A.er Bürgerhand“ zuzulassen.

Zweck der Begründungspflicht sei, dass die Unterzeichner eines Bürgerbegehrens durch eine zumindest knappe Begründung erführen, wofür sie sich einsetzten. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, weil die Begründung über bloß schlagwortartige Aussagen hinaus Angaben zu den Gründen für das Bürgerbegehren enthalte und die Bürger zu einer Grundsatzentscheidung über die Privatisierung sämtlicher Sparten der S. A. Holding GmbH aufrufe. Jedem mündigen Bürger sei klar gewesen, dass er anlässlich des aktuellen Fusionsplans der Beklagten bezüglich der Energieversorgungssparte im Rahmen einer Grundsatzentscheidung über den generellen Verbleib aller Tochtergesellschaften entscheide. Als Grund für das Begehren werde die dauerhafte Sicherung der Daseinsvorsorge in kommunaler Hand angeführt und auf mögliche Risiken einer Teilprivatisierung hingewiesen. Die Begründung enthalte ausschließlich inhaltlich richtige Tatsachen und keine als Tatsachenbehauptung getarnten Befürchtungen oder Vermutungen. Da anlässlich der jüngsten Fusionspläne für die Energiesparte eine Grundsatzentscheidung bezüglich aller zur A. S. Holding GmbH gehörenden Bereiche gefordert werde, entstehe beim Bürger nicht der Eindruck, dass die Privatisierung der Wassersparte unmittelbar bevorstehe oder bereits geplant sei. Die Begründung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht deshalb unvollständig, weil die Stadtratsbeschlüsse von 2004, 2008 und 2014 nicht erwähnt seien. Die Forderung des Gerichts, die Begründung müsse eventuell unterschiedliche Ausgangslagen hinsichtlich der betroffenen Teilaspekte erkennen lassen, widerspreche dem Wesen einer Grundsatzentscheidung. Die geforderte Erwähnung der Stadtratsbeschlüsse hätte beim Bürger den Eindruck erweckt, dass - entgegen der tatsächlichen Sachlage - auch in der Wassersparte eine Privatisierung unmittelbar bevorstehe. Da es um eine Grundsatzfrage gehe, liege auch kein partieller Begründungsausfall vor. Eine Verpflichtung, über die geltende Beschlusslage des Stadtrats in der Begründung umfassend zu informieren, existiere nicht. Unabhängig davon, dass die Aufzählung aller zur Thematik ergangenen Stadtratsbeschlüsse in der Begründung weder der Klarheit noch der Verständlichkeit zuträglich gewesen wäre, sei dies auch nicht geboten gewesen. In den neueren Beschlüssen des Stadtrats aus dem Jahr 2014 sei zwar die Wassersparte ausgeklammert worden, dies aber nur im Zusammenhang mit der Machbarkeitsstudie und nicht allgemeingültig. Einen generellen Beschluss darüber, dass die Wasser- und Verkehrssparte von jeder Privatisierung dauerhaft ausgenommen bleiben solle, habe der 2014 neu gewählte Stadtrat trotz der aktuellen Entwicklungen nicht gefasst. Die zitierte Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs sei nicht übertragbar, da die Begründung keine Erläuterungen zur geltenden Rechts- bzw. Beschlusslage enthalte. Anders als bei Volksbegehren, die auf die Herbeiführung eines Gesetzes abzielten und bei denen daher die zugrundeliegende Rechtslage maßgeblich sei, beanspruche eine bestehende Beschlusslage des Stadtrats, zumal eine nicht aktuelle, keine vergleichbare Geltung bei der im Rahmen eines Bürgerbegehrens zu treffenden Grundsatzentscheidung. Den Stadtratsbeschlüssen der Beklagten aus dem Jahr 2004 und 2008 komme schon aufgrund ihrer fehlenden Aktualität keine Abstimmungsrelevanz zu; auch könnten sie jederzeit aufgehoben werden. Es fehle daher an einer „relevanten Beschlusslage des Stadtrats“, über die im Bürgerbegehren zu informieren gewesen wäre. Da durch das Bürgerbegehren zu keinem Zeitpunkt suggeriert worden sei, dass sämtliche Sparten unmittelbar vor der Fusion stünden, würden die Unterzeichner nicht irregeführt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die für Volksbegehren geltenden Begründungsanforderungen seien auf Bürgerbegehren zu übertragen, da es bei beiden Instituten um eine Änderung der bestehenden Rechtslage gehe. In der Begründung des Bürgerbegehrens dürften daher abstimmungsrelevante Tatsachen nicht verschwiegen werden; auf den Unterschied zwischen aktivem Tun und Unterlassen komme es dabei nicht an. Dies gelte erst recht bei Grundsatzentscheidungen; die Begründungsanforderungen müssten daher für sämtliche Teilaspekte und somit sämtliche Tochtergesellschaften erfüllt sein. In der vorliegenden Begründung sei die Beschlusslage und damit die für den Verwaltungsvollzug geltende Rechtslage unvollständig erläutert worden, da die Stadtratsbeschlüsse vom 25. März 2004, 24. April 2008 und 23. Juli 2014 nicht erwähnt und von dem aktuellen Beschluss vom 20. November 2014 nur die Beteiligungsabsicht durch die T. AG dargestellt worden sei, nicht aber die mit diesem Beschluss getroffenen Einschränkungen. Hierzu hätten der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, die Beibehaltung des alleinigen Einflusses der S. A. Holding GmbH auf die Verkehrs GmbH und die W. GmbH, der Ausschluss negativer Auswirkungen im Querverbund sowie die Begrenzung der Beteiligung der T. AG auf unter 50% und deren Nichtbeteiligung an der S. A. Holding GmbH gehört. Durch die Nichterwähnung dieser Fakten in der Begründung sei der Eindruck erweckt worden, dass es diese abstimmungsrelevante Beschlusslage nicht gebe. Da die einzelnen Tochtergesellschaften in völlig verschiedenen Geschäftsfeldern tätig seien, gehe die Behauptung der Kläger, dass die Grundsatzentscheidung keine Teilaspekte aufweise, an der Realität vorbei. Hinsichtlich der Trinkwasserversorgung fehle der Hinweis in der Begründung, dass diesbezüglich nach der Beschlusslage eine Privatisierung ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Zu den behaupteten Gefahren des Arbeitsplatzabbaus und von Preissteigerungen sei ein Hinweis notwendig gewesen, dass der Stadtrat am 20. November 2014 bereits Gegenmaßnahmen beschlossen habe. Zur Stadtwerke A. W. GmbH enthalte die Begründung keinerlei Angaben über die Ziele und Auswirkungen des Bürgerbegehrens, so dass für diesen gewichtigen Teil ein völliger Begründungsausfall vorliege. Mit der Begründung des Bürgerbegehrens werde auch suggeriert, dass die sichere Daseinsvorsorge des öffentlichen Nahverkehrs nur durch den Verbleib der S. A. Verkehrs GmbH im vollständigen Eigentum der Beklagten garantiert werde; insoweit sei die Begründung unrichtig. Die S. A. Verkehrs GmbH sei lediglich die Infrastrukturgesellschaft und Eigentümerin der Verkehrsinfrastruktur (z. B. Gleise, Straßenbahnen, Busse), während der öffentliche Personennahverkehr von der A. Verkehrsgesellschaft mbH (AVG) unter Beteiligung der A. Verkehrsservicegesellschaft (ASG) betrieben werde, die zum Konzern Stadtwerke A. gehörten. Allein mit der Eigentumssicherung bezogen auf die Infrastrukturgesellschaft könne der öffentliche Nahverkehr faktisch keinesfalls gesichert werden. Auch handle es sich dabei nach Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 BayÖPNVG um eine freiwillige Aufgabe der Daseinsvorsorge im eigenen Wirkungskreis, welche die Beklagte in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bedarfsgerecht durchzuführen habe; insoweit sei die Daseinsvorsorge bereits gesetzlich gesichert. Diesbezüglich sei die Begründung daher unrichtig; auch fehle der Fragestellung der erforderliche Entscheidungscharakter. Durch die Eingangssätze der Begründung werde der irreführende Eindruck erweckt, dass nur beim Verzicht auf eine Fusion die Daseinsvorsorge in den genannten Bereichen für die Zukunft gesichert sei und dass sämtliche Geschäftsfelder von der geplanten Fusion umfasst seien. Es werde suggeriert, dass die in der Begründung genannten potentiellen Gefahren in Kürze eintreten würden und dass die Trinkwasserversorgung Bestandteil der Fusion werden solle. Dabei handle es sich um ergebnisrelevante tragende Begründungselemente. Zudem verstoße die Fragestellung gegen das in der Rechtsprechung anerkannte Verbot der Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in einem Bürgerbegehren. Nach dem objektiven Erklärungsgehalt handle es sich um mehrere Teilfragen, da es um den Verbleib mehrerer selbständiger Gesellschaften im Eigentum der Beklagten und um das Unterbleiben jeglicher Fusion mit anderen Unternehmen gehe. Die einzelnen Teilfragen bildeten keine einheitliche abgrenzbare Materie, da unterschiedliche Geschäftsfelder betroffen seien, bei denen der Sinn einer Fusion unterschiedlich beurteilt werden könne. Zudem betreffe ein Teil der Fragestellung eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, während es bei einer Fusion um einen Zusammenschluss von zwei oder mehreren Unternehmen gehe, die nicht mit einer Veränderung der Eigentumslage an den Unternehmen einhergehen müsse. Nach dem Wortlaut der Fragestellung seien sogar Fusionen ausgeschlossen, bei denen eine Gesellschaft des Stadtwerke-Konzerns eine andere Gesellschaft übernehme und dabei im vollständigen Eigentum der Beklagten bleibe.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 25. Januar 2017 wurden die streitigen Fragen erörtert. Die Vertreter der Beklagten übergaben eine Übersicht über die aktuelle Konzernstruktur der Stadtwerke A. Die Beteiligten verzichteten auf weitere mündliche Verhandlung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

I.

Die Berufung der Kläger, über die wegen des Verzichts der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Die Kläger, die als Gesamtvertreter der Unterzeichner des Bürgerbegehrens gegen dessen Ablehnung im eigenen Namen unmittelbar Klage erheben können (Art. 18a Abs. 8 Satz 2 GO), haben einen Rechtsanspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da dieses weder mit seiner Fragestellung (1.) noch mit seiner Begründung (2.) gegen geltendes Recht verstößt. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 27. April 2015 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. März 2016 können daher keinen Bestand haben.

1. Die zur Entscheidung gestellte Frage, ob der Abstimmende dafür ist, dass die S. A. Holding GmbH und ihre T. E. GmbH, W. GmbH, Verkehrs GmbH und N. A. GmbH in vollständigem Eigentum der Stadt A. bleiben und jegliche Fusion mit anderen Unternehmen unterbleibt, lässt sich mit Ja oder Nein beantworten und entspricht daher der Vorgabe des Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO. Sie ist auch weder zu unbestimmt (a), noch verstößt sie gegen das Koppelungsverbot (b).

a) Ein Bürgerbegehren kann nur zugelassen werden, wenn die mit ihm unterbreitete Fragestellung ausreichend bestimmt ist (BayVGH, B.v. 8.4.2005 - 4 ZB 04.1264 - BayVBl 2005, 504 m.w.N.). Damit ist zwar nicht verlangt, dass es zur Umsetzung des Bürgerentscheids nur noch des Vollzugs durch den Bürgermeister bedarf; mit einem Bürgerentscheid können vielmehr auch Grundsatzentscheidungen getroffen werden, die durch Detailregelungen des Gemeinderates ausgefüllt werden müssen (BayVGH, U.v. 19.2.1997 - 4 B 96.2928 - VGH n.F. 50, 42/44 = BayVBl 1997, 276/277). Die Fragestellung muss aber in jedem Fall so bestimmt sein, dass die Bürger erkennen können, für oder gegen was sie ihre Stimme abgeben und wie weit die Bindungswirkung des Bürgerentscheids (Art. 18a Abs. 13 GO) nach dessen Entscheidungsinhalt reicht (BayVGH, B.v. 8.4.2005, a.a.O.; vgl. VerfGH, E.v. 13.4.2000 - Vf. 4-IX-00 - BayVBl 2000, 460/464 zum Volksentscheid).

Diesen Anforderungen wird das streitgegenständliche Bürgerbegehren gerecht. In der Fragestellung werden die kommunalen Unternehmen, für die das umfassende Veräußerungs- und Fusionsverbot gelten soll, hinreichend genau bezeichnet. Dass dabei die N. GmbH zu den „Töchtern“ der S. A. Holding GmbH gerechnet wird, obwohl sie - als Tochterunternehmen der E. GmbH - insoweit als Enkelunternehmen zu qualifizieren wäre, ist hier unerheblich, da diese begriffliche Ungenauigkeit nicht zu abstimmungsrelevanten Unklarheiten oder Fehlvorstellungen führen kann. Die Reichweite der zu treffenden Entscheidung ist auch nicht deshalb unklar, weil sich aus der Fragestellung nicht eindeutig erkennen ließe, ob der Ausschluss „jegliche(r) Fusion“ auch für Firmenübernahmen durch eine der Gesellschaften des Stadtwerke-Konzerns gelten soll, bei denen die Beklagte alleinige Eigentümerin des vereinigten Unternehmens würde. Aus der Bezeichnung des Bürgerbegehrens („Aer Stadtwerke in Bürgerhand“) und aus dem primär genannten Ziel eines Verbleibs der kommunalen Unternehmen „in vollständigem Eigentum der Stadt A. “ lässt sich ebenso wie aus dem beigefügten Text der Begründung bei der hier gebotenen wohlwollenden Auslegung (vgl. BayVGH, U.v. 4.7.2016 - 4 BV 16.105 - BayVBl 2017, 92 Rn. 32 m.w.N.) mit hinreichender Klarheit entnehmen, dass Zusammenschlüsse mit „anderen Unternehmen“ nur insoweit unterbleiben sollen, als die Beklagte dadurch ihr bisheriges (Allein-)Eigentum verlieren würde. Weiterhin zulässig wären demnach nicht nur Fusionen der zum Stadtwerkekonzern gehörenden Tochter- und Enkelunternehmen untereinander, sondern auch alle Übernahmen externer Unternehmen, die lediglich zu einer Mehrung des städtischen Eigentums führen würden.

b) Es liegt auch kein Verstoß gegen das Koppelungsverbot vor.

Die in Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO enthaltene Vorgabe, wonach das Bürgerbegehren „eine“ Fragestellung enthalten muss, lässt zwar die Zusammenfassung mehrerer Teilfragen oder -maßnahmen zu einem einheitlichen Abstimmungsgegenstand zu, verbietet aber die Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Materien in ein und derselben Fragestellung (BayVGH, U.v. 25.7.2007 - 4 BV 06.1438 - VGH n.F. 60, 180/183 f. = BayVBl 2008, 82). Denn die aus dem demokratischen Mitwirkungsrecht des Bürgers (Art. 7 Abs. 2 BV) folgende Abstimmungsfreiheit wäre beeinträchtigt, wenn über mehrere Regelungsvorschläge, die in keinem Sachzusammenhang zueinander stehen, nur „im Paket“ abgestimmt werden könnte. Dieser ursprünglich für Volksbegehren entwickelte Grundsatz (vgl. VerfGH, E.v. 24.2.2000 - Vf. 112-IX-99 - VerfGH 53, 23/29 ff.) muss in gleicher Weise für Bürgerbegehren gelten.

Wann verschiedene Einzelmaterien so eng aufeinander bezogen sind, dass sie in einem Bürgerbegehren gebündelt werden dürfen, bestimmt sich nach materiellen Kriterien. Die bloß formale Verbindung unter dem Dach einer Fragestellung genügt ebenso wenig wie die Verknüpfung durch ein gemeinsames allgemeines Ziel oder ein politisches Programm. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Teilfragen oder -maßnahmen nach objektiver Beurteilung innerlich eng zusammenhängen und eine einheitliche abgrenzbare Materie bilden (BayVGH, U.v. 25.7.2007, a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die streitgegenständliche Fragestellung keinen Bedenken. Die im Bürgerbegehren genannten Gesellschaften, die in ihrem Namen jeweils die Bezeichnung „Stadtwerke A.“ führen, bilden zwar in formeller Hinsicht selbständige juristische Personen, gehören jedoch zum selben Konzern, an dessen Spitze die im Eigentum der Beklagten befindliche S. A. Holding GmbH steht. Diese verfügt jeweils über einen 100%-Anteil an den drei Tochterunternehmen in den Versorgungsbereichen Energie, Wasser und Verkehr, wobei die Stadtwerke A. E. GmbH ihrerseits Alleineigentümerin der s N. GmbH ist. Neben dieser - größtmöglichen - eigentumsrechtlichen Verflechtung besteht zwischen den Unternehmen auch auf der Leitungsebene (Geschäftsführung, Prokura) eine weitgehende personelle Identität, in der die gemeinsame kommunale Trägerschaft und die daraus resultierenden engen Kooperationsbeziehungen zum Ausdruck kommen. Wie sich dem bei den Gerichtsakten befindlichen Stadtratsbeschluss vom 20. Oktober 2014 entnehmen lässt (BSV/14/02469), wird durch die Verrechnung aller Ergebnisse innerhalb des S-Konzerns zudem ein steuerlicher Querverbund hergestellt.

Angesichts dieser objektiv feststellbaren dauerhaften Verbindung zwischen den drei Tätigkeitsfeldern, auf denen die Beklagte ihre Verpflichtung zur Daseinsvorsorge (Art. 83 Abs. 1 BV, Art. 57 GO) erfüllt, durfte ein für alle Unternehmen gleichermaßen geltendes Veräußerungsverbot in Form einer Grundsatzentscheidung zum Gegenstand eines zusammenfassenden Bürgerbegehrens gemacht werden. Dass im Zeitraum der Unterschriftensammlung nur für die Energie- und Netzsparte konkrete Überlegungen zu einer Kooperation bzw. Fusion mit einem anderen Unternehmen bestanden, hinderte die Initiatoren nicht daran, die damalige Debatte zum Anlass für eine generalisierende Fragestellung zu nehmen, um das bisherige Alleineigentum der Beklagten vorsorglich für alle drei Versorgungsbereiche (Energie, Wasser und Verkehr) bis auf weiteres festzuschreiben. Eine kommunale Grundsatzentscheidung betrifft definitionsgemäß immer eine Mehrzahl gegenwärtiger oder zukünftiger Anwendungsfälle. Dass diese in der kommunalen Öffentlichkeit nicht alle zur gleichen Zeit und in gleicher Intensität diskutiert werden, sondern einen unterschiedlich hohen Erörterungs- und Entscheidungsbedarf aufweisen, liegt in der Natur der Sache. Stünden bereits solche unvermeidbaren Unterschiede einer gemeinsamen plebiszitären Beschlussfassung entgegen, könnten durch ein Bürgerbegehren - anders als durch einen Gemeinderatsbeschluss - nur noch einzelfallbezogene Entscheidungen getroffen werden. Dies liefe der im Gesetz vorgesehenen Gleichwertigkeit beider Arten der kommunalen Willensbildung (Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO) zuwider.

Wenn mehrere Teilfragen oder -maßnahmen in einem Bürgerbegehren zu einer einzigen (Grundsatz-)Frage verbunden werden, wird auch derjenige, der die Teilaspekte an sich unterschiedlich beantworten möchte, vor die Entscheidung gestellt, einheitlich mit Ja oder Nein zu stimmen. Dies allein steht aber der Verknüpfung mehrerer sachlich zusammenhängender Materien in einer allgemein formulierten Fragestellung nicht entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2009 - 4 ZB 08.2205 - juris Rn. 17; U.v. 8.5.2006 - 4 BV 05.756 - BayVBl 2006, 534/535). Die Beklagte kann sich hier daher nicht darauf berufen, dass es gewichtige Gründe geben könne, die Fusionspläne etwa in der Energie- und Netzsparte anders zu beurteilen als bei der Wasserversorgung oder im Verkehrsbereich. Das Bürgerbegehren zielt nicht auf eine anhand der konkreten Umstände differenzierende Entscheidung, sondern will die Bürgerschaft dazu befragen, ob von allen (auch künftigen) Bestrebungen, städtische Anteile an den Versorgungsunternehmen abzugeben, von vornherein aus prinzipiellen Gründen Abstand genommen werden soll. Das damit angestrebte Verbot jeder Veräußerung kommt sowohl im ersten Teil der Fragestellung („dass die Stadtwerke… in vollständigem Eigentum der Stadt A. bleiben“) als auch in dem als konkretes Beispiel eines Eigentumsverlusts zu verstehenden zweiten Teil („jegliche Fusion mit anderen Unternehmen unterbleibt“) zum Ausdruck, so dass in der Verbindung dieser beiden Teilfragen ebenfalls keine unzulässige Koppelung unterschiedlicher Materien liegt.

2. Auch mit seiner Begründung verstößt das Bürgerbegehren nicht gegen zwingende rechtliche Vorgaben.

Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss ein Bürgerbegehren eine (auf allen Unterschriftslisten gleichlautende) Begründung enthalten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren VerfGH, E.v. 13.4.2000 - Vf. 4-IX-00 - VGH n.F. 53, 81/105). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Bürger können nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden und von ihrem Eintragungsrecht Gebrauch machen, wenn sie nicht durch den vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend bzw. unvollständig erläutert wird (BayVGH, B.v. 9.12.2010 - 4 CE 10.2943 - juris Rn. 2; B.v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 31; B.v. 25.6.2012 - 4 CE 12.1224 - BayVBl 2013, 19 Rn. 31; B.v. 14.10.2014 - 4 ZB 14.707 - juris Rn. 3 ff.; U.v. 4.7.2016 - 4 BV 16.105 - BayVBl 2017, 92 Rn. 27; anders noch B.v. 14.3.2001 - 4 ZE 00.3658 - BayVBl 2002, 184).

Diese ungeschriebene Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist hier eingehalten. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts beruht auf einer zu engen Betrachtungsweise, die den Besonderheiten des plebiszitären Entscheidungsprozesses auf der kommunalen Ebene nicht gerecht wird.

a) Die Begründung des Bürgerbegehrens erfüllt zwar eine wichtige Informationsfunktion, weil sie den Unterzeichnern verdeutlicht, worauf sich die Fragestellung bezieht und welche Motive aus Sicht der Initiatoren für den angestrebten Bürgerentscheid maßgebend sind. Anders als die - meist von Verwaltungsmitarbeitern erarbeiteten - Beschlussvorlagen für Gemeinderatssitzungen, die der dortigen Diskussion und Abstimmung als Grundlage dienen und die bestehende Sach- und Rechtslage zunächst in neutraler Form darstellen sollten, muss aber die einem Bürgerbegehren beigefügte Begründung noch keinen (vorläufigen) Überblick über die Ausgangssituation und den kommunalpolitischen Streitstand vermitteln. Die Betreiber des Bürgerbegehrens nehmen am öffentlichen Meinungskampf teil und sind nicht zu einer objektiv ausgewogenen Erläuterung ihres Anliegens verpflichtet. Die um ihre Unterschrift gebetenen Gemeindebürger müssen sich vielmehr selbständig ein Urteil darüber bilden, ob sie die - in der Regel einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens - vorgebrachten Gründe für stichhaltig halten oder ob sie sich zusätzlich aus weiteren Quellen informieren wollen. Zu beanstanden ist die Begründung eines Bürgerbegehrens daher nur, wenn sie über eine bloß tendenziöse Wiedergabe hinaus einen entscheidungsrelevanten Umstand nachweislich falsch oder in objektiv irreführender Weise darstellt.

Die hier streitige Begründung enthält in keinem ihrer sieben Sätze eine unrichtige Tatsachenbehauptung. In den Sätzen 1, 3 und 4 werden der bisherige Rechtszustand und die (damaligen) Bestrebungen zu dessen Änderung zutreffend beschrieben. Die von der Beklagten beanstandete Aussage, der Verbleib der Stadtwerke im vollständigen Eigentum der Beklagten garantiere die sichere Daseinsvorsorge in den Bereichen Energie, Wasser und Verkehr (Satz 2), enthält ein auf einer prognostischen Einschätzung beruhendes Werturteil, dessen Tatsachenkern - für den maßgeblichen Zeitraum der Unterschriftensammlung - nicht als widerlegt angesehen werden kann. Dass die in der Fragestellung des Bürgerbegehrens erwähnte Verkehrs GmbH lediglich Inhaberin der Verkehrsinfrastruktur ist, während der öffentliche Personennahverkehr von ihrer 100%igen Tochter A.er Verkehrsgesellschaft mbH (AVG) unter Beteiligung von deren 100%iger Tochter A.er Verkehrsservicegesellschaft mbH (ASG) betrieben wird, lässt die Aussage in Satz 2 der Begründung nicht als falsche Tatsachenbehauptung erscheinen, da alle genannten Gesellschaften unstreitig zum Gesamtkonzern der Stadtwerke A. gehören. Dass innerhalb dieses Verbunds ein finanzieller Ausgleich stattfindet und daher, wie im Bürgerbegehren ausgeführt (Satz 5), „die Überschüsse aus dem Energiebereich u. a. die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs… garantieren“, hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Ihr Einwand, die Begründung sei in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr unrichtig, weil dieser „dem Grunde nach“ bereits gesetzlich gesichert sei, greift schon deshalb nicht durch, weil es sich nach der entsprechenden Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 BayÖPNVG nur um eine freiwillige Aufgabe der Daseinsvorsorge handelt, so dass ein Verzicht auf deren Wahrnehmung oder zumindest eine wesentliche Angebotseinschränkung im Falle eines größeren Betriebsdefizits nicht auszuschließen ist.

b) Die Begründung des Bürgerbegehrens war auch nicht in irreführender Weise unvollständig oder zu undifferenziert.

aa) Im Stadtrat der Beklagten bestand allerdings im Zeitraum der Unterschriftensammlung eine andere Beschlusslage zur Trinkwasserversorgung und zum öffentlichen Nahverkehr als zu der damals im Streit stehenden Energie- und Netzsparte. Bereits in seinen Beschlüssen vom 25. März 2004 und vom 24. April 2008 hatte der Stadtrat klargestellt, dass zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war, „die Stadtwerke A. W. GmbH ganz oder teilweise an Dritte zu veräußern oder solche daran zu beteiligen (keine Privatisierung)“. Im Beschluss des Wirtschaftsförderungs-, Beteiligungs- und Liegenschaftsausschusses vom 23. Juli 2014 und im nachfolgenden Stadtratsbeschluss vom 20. November 2014 wurde als Maßgabe für die - zu einer Kooperation/Fusion im Energie- und Netzbereich in Auftrag gegebene - Machbarkeitsstudie nochmals festgehalten, die Beklagte behalte „für die S Holding GmbH den alleinigen Einfluss auf die Verkehrs GmbH und die W. GmbH“. Dass diese Selbstfestlegung der örtlichen Volksvertretung in der Begründung des Bürgerbegehrens nicht ausdrücklich erwähnt wurde, stellte aber keinen Rechtsverstoß dar, da die Unterzeichner durch das Fehlen dieser Information nicht in ihrer Abstimmungsfreiheit beeinträchtigt wurden.

Den Sätzen 3 und 4 der Begründung („Doch jetzt soll der Konzern T. AG durch seine Tochter E. S. GmbH an der Energieversorgung der Stadt beteiligt werden. Der A. Stadtrat hat mit großer Mehrheit beschlossen, diese Möglichkeit ernsthaft zu prüfen.“) konnte ein unbefangener Leser über den unmittelbaren Mitteilungsgehalt hinaus allenfalls - im Wege eines Umkehrschlusses - entnehmen, dass es für die anderen im Bürgerbegehren genannten Sparten Wasser und Verkehr keine entsprechenden Stadtratsbestrebungen gebe. Eine implizite Aussage dahingehend, dass sich die örtliche Volksvertretung mit der Frage einer (Teil-)Veräußerung der genannten Bereiche bisher noch nicht befasst bzw. dazu nichts beschlossen habe, ließ sich den genannten Tatsachenfeststellungen dagegen nicht entnehmen. Das Unterlassen eines Hinweises auf die tatsächlich bestehende Beschlusslage konnte daher bei den Unterzeichnern keine Fehlvorstellung bezüglich der Position des Stadtrats bzw. einer konkret bestehenden Privatisierungsgefahr hervorrufen.

bb) Die ablehnenden Stadtratsbeschlüsse zur Privatisierung der Wasserversorgung und des öffentlichen Nahverkehrs mussten auch nicht deshalb in der Begründung angesprochen werden, weil die Unterzeichner des Bürgerbegehrens anderenfalls die Bedeutung und Tragweite der Fragestellung nicht hinreichend hätten erkennen können. Zwar hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung vom 13. April 2000 (Vf. 4-IX-00, VerfGH 53, 81/106 = BayVBl 2000, 460) ausgeführt, die Grenze einer sachlich vertretbaren Darstellung des Anliegens eines Volksbegehrens sei jedenfalls dann überschritten, wenn bei der Erläuterung der konkreten Rechtslage, die abgelöst werden soll, ein wichtiges, bereits in Kraft getretenes Änderungsgesetz überhaupt nicht in den Blick genommen werde und dadurch bei den Stimmberechtigten der Eindruck erweckt werde, dieses Regelungswerk gebe es (noch) nicht. Diese Verfassungsrechtsprechung beruht aber auf den besonderen Verfahrensabläufen der Volksgesetzgebung und kann daher nur mit Einschränkungen auf die Ebene des Bürgerbegehrens übertragen werden.

Einem Volksbegehren liegt nach Art. 74 Abs. 2 BV i. V. m. Art. 63 Abs. 1 Satz 2 LWG stets ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde, der eine Begründung enthalten muss, die auch auf den Eintragungslisten erscheint (Art. 68 Abs. 1 Satz 2 LWG); aus ihr ergibt sich die Auffassung der Antragsteller, die bei einem späteren Volksentscheid in der amtlichen Bekanntmachung darzulegen ist (Art. 74 Abs. 7 BV i. V. m. Art. 75 Abs. 2 Nr. 3 LWG). Zielt das Volksbegehren auf die Änderung einer bestehenden Regelung, ist daher nicht nur im vorzulegenden Entwurf das zu ändernde Gesetz in der aktuell geltenden Fassung anzugeben, sondern auch in der Begründung auf die Abweichungen zur bisherigen Rechtslage zumindest in groben Zügen einzugehen; nur so lassen sich die rechtlichen Wirkungen eines möglichen Votums transparent machen. Eine ähnliche Pflicht zur Erläuterung der inhaltlichen Reichweite des Entscheidungsvorschlags kann sich bei einem Bürgerbegehren nur ergeben, wenn es ebenfalls um die Abänderung einer (außen-)rechtsverbindlichen Regelung geht, also z. B. um die Novellierung einer bestehenden kommunalen Satzung. Denn auch in diesem Fall muss für die Unterzeichner aus der Begründung erkennbar werden, ob die betreffende Sachmaterie erstmals normativ erfasst wird oder ob lediglich ein bestehendes Regelungswerk in mehr oder weniger großem Umfang modifiziert werden soll.

Auf eine geltende „Beschlusslage“ des Gemeinderats, die noch in keinem förmlichen Rechtsakt ihren Niederschlag gefunden hat, braucht dagegen nicht in gleicher Weise hingewiesen zu werden. Zielt ein Bürgerbegehren auf eine von der örtlichen Volksvertretung zuvor ausdrücklich abgelehnte Entscheidung, so muss die Fragestellung nicht etwa die Aufhebung des „entgegenstehenden“ Ratsbeschlusses umfassen; dieser stellt ein bloßes Verwaltungsinternum dar, das bei einem positiven Bürgerentscheid ohne weiteres obsolet wird (Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO). Nichts anderes gilt, wenn - wie hier bei der Wasserversorgung und beim öffentlichen Nahverkehr - ein mit dem Bürgerbegehren inhaltlich übereinstimmender Beschluss des Gemeinderats vorliegt, zumal wenn sich dieser darin erschöpft, von Änderungen eines bestehenden Dauerzustands (des Alleineigentums an der Verkehrs GmbH und der W. GmbH) weiterhin abzusehen. Da ein solcher schlichter Ratsbeschluss weder rechtliche Außenwirkung noch eine irgendwie geartete Selbstbindung entfaltet, entsteht auch in diesem Fall erst durch einen erfolgreichen Bürgerentscheid, an den der Gemeinderat für ein Jahr gebunden ist (Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO), ein verbindlicher Rechtsakt. Ein bereits bestehender kommunalpolitischer Konsens in der zur Abstimmung gestellten Frage muss daher, selbst wenn hierzu über längere Zeit hinweg einstimmige Ratsbeschlüsse vorliegen, in der Begründung des Bürgerbegehrens nicht eigens erwähnt werden.

cc) Die dem streitgegenständlichen Bürgerbegehren beigefügte Begründung war schließlich auch nicht deshalb zu beanstanden, weil in ihr keine spezifischen Gründe für den Erhalt des kommunalen Eigentums an der Wasser- und Verkehrssparte genannt wurden.

Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO verlangt für das Bürgerbegehren, auch wenn es sich um eine zulässige Verbindung mehrerer, sachlich eng zusammenhängender Materien handelt, in formeller Hinsicht nur eine (einzige) Begründung. Diese muss zwar ihrem Inhalt nach alle in der Fragestellung aufgeführten Teilaspekte abdecken (BayVGH, B.v. 16.4.2012 - 4 CE 12.517 - BayVBl 2013, 180 Rn. 25). Dabei muss die Begründung aber nicht für alle Teile den gleichen Konkretisierungsgrad und das gleiche Argumentationsniveau aufweisen. Die Initiatoren dürfen Schwerpunkte bilden und nur zu einzelnen, aus ihrer Sicht besonders wichtigen Teilfragen detailliertere Erwägungen vortragen, während sie sich bezüglich der übrigen Aspekte auf pauschale Aussagen beschränken. Bei einer mehrere Anwendungsbereiche umfassenden Grundsatzentscheidung, wie sie hier vorliegt, kann auch die Begründung generalisierend ausfallen; es müssen weder die bestehenden Unterschiede in den tatsächlichen Verhältnissen aufgezeigt noch Differenzierungen in deren Bewertung vorgenommen werden. Da die Begründung nur während der Phase der Unterschriftensammlung und nicht auch für die öffentliche Diskussion bei einem späteren Bürgerentscheid von rechtlicher Bedeutung ist (vgl. Art. 18a Abs. 15 GO), gelten für sie über das erwähnte Täuschungs- und Irreführungsverbot hinaus keine inhaltlichen Mindestvorgaben. Auch eine inhaltlich substanzarme, sich in allgemeinen Werturteilen oder Parolen erschöpfende Begründung ist somit zulässig, wenn sie noch einen thematischen Bezug zu der Entscheidungsfrage aufweist. Ein solches Bürgerbegehren dürfte allerdings regelmäßig geringere Erfolgsaussichten haben als ein in sich schlüssiger, kenntnisreich vorgetragener Entscheidungsvorschlag.

Entsprechend diesen geringen Anforderungen konnte die Begründung des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens sich vorrangig auf die damals aktuelle Streitfrage einer Privatisierung der Energieversorgung konzentrieren und die Bereiche Wasser und Verkehr nur in allgemeiner Form ansprechen, nämlich als Teil der Stadtwerke (Satz 1), als Garant einer sicheren Daseinsvorsorge (Satz 2) sowie als mitbetroffen von den Gefahren der Preissteigerung, des Arbeitsplatzabbaus und des Abzugs von regionalem Dienstleistungswissen (Satz 6). Dass zu jedem dieser Aspekte eine vertiefte und differenzierte Darstellung hinsichtlich der einzelnen Versorgungssparten möglich gewesen wäre, änderte nichts am Vorliegen einer die gesamte Fragestellung umfassenden und daher rechtlich ausreichenden Begründung.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Antragsverfahrens als Gesamtschuldner.

III.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 15.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerinnen sind Vertreterinnen des Bürgerbegehrens „Altstadt M. - Werte bewahren statt zerstören“. Die Beklagte wies das am 16. Juli 2013 eingereichte Begehren mit Bescheid vom 14. August 2013 als unzulässig zurück, da es falsche und irreführende Tatsachenbehauptungen enthalte. Die hiergegen erhobene Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 29. Januar 2014 ab. Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerinnen keinen Anspruch auf Zulassung des eingereichten Bürgerbegehrens haben, da in dessen Begründung in einer für die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden.

a) Dem Begehren mit der Fragestellung „Sind Sie dafür, das denkmalgeschützte Gebäude am St.-platz ... (...) zu erhalten, um damit das Ensemble um die Frauenkirche mit den ehemaligen Klostergebäuden und dem Klostergarten vor weiterer Zerstörung zu schützen?“ ist eine teilweise unzutreffende Begründung beigefügt worden. Unter Punkt 1 der Begründung wird ausgeführt, bei dem Gebäude St.-platz ..., das für den Neubau eines Bekleidungsgeschäfts abgerissen werden solle, handle es sich „um das ehemalige Klostergebäude der Kapuziner, welches um 1640 zusammen mit der heutigen Frauenkirche errichtet wurde“. In Punkt 8 der Begründung ist erneut von einem „wertvollen, ca. 370 Jahre alten ehemaligen Klostergebäude am Stadtplatz 58“ die Rede. Tatsächlich stammen aber von dem heute existierenden Gebäude, das auf den Unterschriftenlisten abgebildet ist, nur noch ein kleinerer Teil der Fassade im Bereich des Erdgeschosses sowie einige Mauerzüge im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss aus der Zeit, in der sich an diesem Ort ein Kloster befand (ca. 1640 bis 1802), wie in dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen baugeschichtlichen Gutachten vom Februar 2013 im Einzelnen dargelegt wird. Die Gutachter kommen dort (S. 53) zu dem Ergebnis, dass die erhaltenen Bauteile so fragmentarisch und die Funktionsänderungen der Räume in späteren Umbauphasen so einschneidend seien, dass die Rekonstruktion der ehemaligen Binnenstruktur des Klosters sehr schwierig sei; lediglich die Klosterküche könne auf der Grundlage der Quellen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit lokalisiert werden. Hieraus wird erkennbar, dass sowohl nach dem äußeren Erscheinungsbild und dem Alter der vorhandenen Bausubstanz als auch nach der inneren Struktur und der Raumaufteilung nur noch sehr geringe Teile des heute bestehenden Gebäudes mit dem früheren Klostergebäude übereinstimmen. Die zur Begründung des Bürgerbegehrens getroffene Aussage, es handle sich um „das“ um 1640 zusammen mit der Frauenkirche errichtete Klostergebäude, vermittelt demgegenüber die unzutreffende Vorstellung, das Gebäude sei jedenfalls im Wesentlichen noch mit dem vor über 370 Jahren errichteten historischen Bauwerk identisch. Das Attribut „ehemalig“ ändert daran nichts, denn es kann nach dem Sinnzusammenhang nur so verstanden werden, dass die Nutzung für Zwecke des Klosters mittlerweile aufgegeben wurde; die fehlende Identität des heutigen Bauwerks mit dem früher vorhandenen Klostergebäude kommt darin nicht zum Ausdruck. Auch die Abbildung des heute bestehenden Gebäudes auf den Unterschriftslisten ist nicht geeignet, die durch die Angabe des Baujahrs „um 1640“ entstandene Fehlvorstellung auszuräumen, da ein nicht fachlich vorgebildeter Betrachter aufgrund der bloßen Ansicht einer historischen Hausfassade regelmäßig nicht in der Lage sein wird, das Jahr der Errichtung auch nur annähernd zu bestimmen.

Soweit in dem Zulassungsantrag eingewandt wird, bei dem historischen Alter eines Gebäudes gehe es nicht um eine reine Tatsachenfrage, sondern auch um eine Wertungsfrage, wobei es aus Sicht der Klägerinnen maßgeblich auf die Bewertung durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege ankomme, das die Denkmaleigenschaft und Denkmalwürdigkeit des Gebäudes bejahe, kann dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen. Es trifft zwar zu, dass die Aussage, ein Gebäude sei vor 370 Jahren errichtet worden, aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) nicht im wörtlichen Sinne dahingehend verstanden werden kann, das Gebäude befinde sich noch vollständig im Originalzustand und sei in den zurückliegenden Jahrhunderten niemals restauriert oder technisch modernisiert worden. Mit der Angabe eines Errichtungsjahrs wird aber zum Ausdruck gebracht, dass über den bloßen Gebäudestandort hinaus eine Kontinuität auch hinsichtlich der wesentlichen Teile des Baukörpers besteht. Davon kann jedoch im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden. Nach den - von den Klägerinnen nicht bestrittenen - Feststellungen in dem vorgelegten bauhistorischen Gutachten hat bereits der Übergang des Gebäudes in Privatbesitz im Jahr 1803 ein grundlegende Umstrukturierung zum Zwecke einer Wohnhausnutzung mit sich gebracht, wobei erst in dieser Phase eine repräsentative Gestaltung der zweigeschossigen Fassade erfolgte; weitere einschneidende Umgestaltungen in Form von Anbauten und Aufstockungen um ein drittes Geschoss waren mit der 1854 erfolgten Umnutzung des Gebäudes als Schule verbunden (Gutachten vom Februar 2013, S. 53). Diese gravierenden, nicht allein der Erhaltung der Bausubstanz oder der Nutzbarkeit dienenden Änderungen schließen es aus, heute noch von einem „370 Jahre alten ehemaligen Klostergebäude“ zu sprechen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Kubatur der bestehenden Bebauung noch relativ genau derjenigen zur Zeit des Klosters entspricht, so dass dem vorhandenen Gebäude nach Meinung des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege auch in seiner heutigen Gestalt Denkmaleigenschaft zukommt (Schreiben vom 20.12.2013). Aus dem Umstand, dass ein historisches Gebäude als Denkmal eingestuft und damit als erhaltenswürdig angesehen wird, folgt noch nicht, dass es sich seit der erstmaligen Errichtung immer um ein- und dasselbe Gebäude gehandelt hat, solange nur die äußere Form des Baukörpers annähernd übereinstimmt.

b) Nicht zu beanstanden ist auch die im angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts getroffene Feststellung, dass die unrichtige Altersangabe des Gebäudes abstimmungsrelevant sei, weil davon ausgegangen werden müsse, dass der unterschriftsleistende Bürger der Frage des Alters eine große Bedeutung beimesse, wobei eine Bausubstanz als umso erhaltenswerter angesehen werde, je älter sie sei. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen handelt es sich bei der Altersangabe des Gebäudes nicht um ein lediglich untergeordnetes Detail der Begründung, dessen Unrichtigkeit im Sinne einer bürgerfreundlichen Auslegung des Begehrens hingenommen werden könne. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B. v. 5.6.2012 - 4 CE 12.1224 - BayVBl 2013, 19/20) ist zwar nicht jede Unvollständigkeit der Begründung abstimmungsrelevant und muss daher zur Ablehnung des Bürgerbegehrens führen. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber bei dem Alter des Gebäudes, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, um ein zentrales Begründungselement, das durch die Wiederholung besonders betont wird und mit dem der ungewöhnliche Wert und die Erhaltungsbedürftigkeit des bestehenden Gebäudes Stadtplatz 58 unterstrichen werden soll. Die in der Begründung des Zulassungsantrags getroffene Aussage, bei dem Bürgerbegehren sei es „im Kern“ lediglich darum gegangen, „aus ästhetischen Gründen das Ensemble so zu erhalten, wie es ist“, lässt sich dagegen aus der Formulierung des Begehrens und seiner Begründung nicht ableiten. Sowohl in der Fragestellung als auch in den Einzelpunkten der Begründung wird wesentlich auf den Aspekt des Denkmalschutzes und damit auf die historische Erhaltungswürdigkeit abgestellt. Da dieser Aspekt mit dem (behaupteten) hohen Alter des zu schützenden Gebäudes in engem Zusammenhang steht, kann der unzutreffenden Angabe des Errichtungsjahrs keine bloß untergeordnete Bedeutung beigemessen werden.

2. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung zukäme (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Die Klägerinnen tragen insoweit vor, der in der Rechtsprechung anerkannte Grundsatz, dass es bei unrichtigen Tatsachenangaben nicht auf eine Täuschungsabsicht der Initiatoren des Bürgerbegehrens ankomme, könne hier nicht schematisch zur Anwendung kommen. Denn es bestehe die Besonderheit, dass zum Zeitpunkt der Erstellung der Unterschriftenlisten weder die Öffentlichkeit noch die Klägerinnen von der Beklagten über das von ihr in Auftrag gegebene bauhistorische Gutachten und dessen Inhalt informiert worden seien; dieses sei vielmehr zunächst unter Verschluss gehalten und erst nach Einreichung des Bürgerbegehrens vollständig bekanntgegeben worden. Die Beklagte habe durch diese gegen das demokratische Fairnessgebot

verstoßende Geheimhaltung entscheidungserheblicher Erkenntnisse versucht, die Durchführung des Bürgerbegehrens mit allen Mitteln zu verhindern. Es stelle sich damit die grundsätzliche Frage, ob eine Gemeinde ein Bürgerbegehren auch dann als unzulässig ablehnen dürfe, wenn sachliche Fehler in einzelnen Begründungselementen darauf zurückzuführen seien, dass die Öffentlichkeit über die einschlägigen Erkenntnisse nicht rechtzeitig informiert worden seien, oder ob es in solchen Fällen geboten sei, das Bürgerbegehren zuzulassen und eventuell erforderliche Richtigstellungen im Rahmen des Wahlkampfs vor dem Bürgerentscheid vorzunehmen.

Mit diesem Vorbringen wird, selbst wenn man zugunsten der Klägerinnen von einem Verstoß der Gemeindeorgane (Stadtrat, Bürgermeister) gegen eine (ungeschriebene) kommunalrechtliche Informationsverpflichtung ausginge, keine Grundsatzfrage aufgeworfen, die sich nicht schon aus der bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beantworten ließe. Wie der Senat in früheren Entscheidungen dargelegt hat, ergeben sich die Anforderungen an die Richtigkeit der Begründung eines Bürgerbegehrens aus dem Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt gemäß Art. 7 Abs. 2 BV in Gestalt der Abstimmungsfreiheit. Denn die Stimmberechtigten können bei der Frage, ob sie ein Bürgerbegehren unterstützen und diesem zur erforderlichen Mindestunterschriftenzahl verhelfen wollen (Art. 18a Abs. 6 GO), wie auch bei der nachfolgenden Abstimmung über den Bürgerentscheid (Art. 18a Abs. 10 GO) nur dann sachgerecht entscheiden, wenn sie den Inhalt des Begehrens verstehen, seine Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Damit ist es unvereinbar, wenn in der Fragestellung oder in der Begründung eines Bürgerbegehrens in abstimmungsrelevanter Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert wird (vgl. BayVGH, B. v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 31, v. 9.12.2010 - 4 CE 10.2943 - KommunalPraxis Bayern 2011, 155 f.; Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Art. 18a Abs. 4 Anm. 8 c m. w. N.). Die Abstimmungsfreiheit besitzt Verfassungsrang und steht nicht zur Disposition der Gemeindeorgane, so dass deren (mögliches) Fehlverhalten im Vorfeld der Unterschriftensammlung es nicht rechtfertigen könnte, den Gemeindebürgern eine unzulässige Fragestellung zur Entscheidung vorzulegen. Die Zulassung eines mit einer unrichtigen Sachverhaltsdarstellung versehenen Bürgerbegehrens wäre auch nicht geeignet, einen in der Vorenthaltung wichtiger Informationen liegenden früheren Fairnessverstoß zu heilen, sondern würde zu einem rechtswidrigen Abstimmungsergebnis führen. Denn die unrichtigen Angaben zum Alter des Gebäudes müssten, da eine nachträgliche Richtigstellung der Begründung des Bürgerbegehrens ausscheidet (BayVGH, B. v. 9.12.2010, a. a. O., 156), auf den Stimmzetteln zum Bürgerentscheid mit abgedruckt werden, so dass die Abstimmungsberechtigten nicht nur in der Phase der Unterschriftensammlung, sondern sogar noch bei der eigentlichen Sachentscheidung über einen maßgeblichen Aspekt falsch informiert würden. Damit würden elementare Grundsätze einer fairen Abstimmung verletzt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 22.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.