Verwaltungsgericht München Beschluss, 10. März 2015 - M 7 S 14.50608
Gericht
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit, ist nach seinen Angaben am ... 1995 geboren und reiste am
Bei seiner Befragung durch das Bundesamt am
Eine EURODAC-Recherche vom
Mit Schreiben vom
Mit am
Hiergegen ließ der Antragsteller am
die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes vom ... Oktober 2014 anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, der Antragsteller sei nach seiner Einreise nach Bulgarien ca. am ... April 2014 von der Polizei aufgegriffen und verfolgt worden. Bei seiner Festnahme habe ihn ein Beamter wahrscheinlich mit einer Taschenlampe auf die Beine und Füße geschlagen, so dass mindestens ein Zeh gebrochen worden sei. Nach seiner erkennungsdienstlichen Erfassung seien ihm Telefon, Geld und alle Habeseligkeiten abgenommen worden. Er habe sie nie zurückerhalten und im Gefängnis auch keine medizinische Versorgung und so gut wie kein Essen erhalten. Nach ca. zwei Wochen habe man ihn in ein Auffanglager gebracht, wo es kein Essen, keinen Platz zum Schlafen und keine Gelegenheit zum Waschen gegeben habe. Nach ca. zehn Tagen sei er aufgefordert worden, das Land zu verlassen, ohne dass ihm irgendeine Information oder Hilfe zuteil geworden wäre. Der Antragsteller sei traumatisiert und fürchte bei einer Rücküberstellung nach Bulgarien der Gewalt und Willkür der Behörden sowie Hunger und Obdachlosigkeit ausgesetzt zu sein. Das Asylsystem Bulgariens weise eklatante Mängel auf. Bei einer Abwesenheit von mehr als drei Monaten werde laut UNHCR das Asylverfahren in Bulgarien negativ beendet. Asylsuchende würden oftmals willkürlich verhaftet, was sich mit den Angaben des Antragstellers decke. Auch anerkannte Flüchtlinge seien in Bulgarien von Obdachlosigkeit bedroht. Sie stünden vor dem Nichts und müssten Übergriffe befürchten. Im Hinblick auf die Flüchtlingsströme aus Syrien sei mit einer Verschlimmerung der Situation zu rechnen. Der Antragsteller laufe Gefahr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden.
Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom ... Oktober 2014 verfügte Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien gerichtete Antrag ist zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt (§ 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG), aber unbegründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG) keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für und gegen die Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens sind. Ergibt diese Prüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Suspensivinteresse des Antragstellers in der Regel hinter das öffentliche Vollzugsinteresse zurück.
Die streitgegenständliche Anordnung der Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien ist nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, denn die Republik Bulgarien hat ihre Bereitschaft erklärt, den Antragsteller wieder aufzunehmen, da Bulgarien für die Bearbeitung des Asylantrags nach Art. 13, 18 Abs. 1 b der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl L 180/31) - Dublin-III-VO - zuständig sei. Damit ist die Abschiebung nach Bulgarien - als EU-Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat im Sinne des § 26 a AsylVfG - möglich. Dabei ist nicht entscheidend, ob der die Prüfung des Asylantrags zusagende Staat nach den europarechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen tatsächlich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Denn ein subjektives, gerichtlich durchsetzbares Recht auf Durchführung des Asylverfahrens im nach der Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaat besteht grundsätzlich nicht (vgl. zur Dublin-II-VO EuGH, U. v. 10. Dezember 2013, Rs. C 394/12 juris Rn. 62; VGH BW,
Die Antragsgegnerin hat einen Selbsteintritt gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ermessensfehlerfrei abgelehnt. Insbesondere ist derzeit (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht ersichtlich, dass eine Überstellung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO unmöglich ist. Das ist dann der Fall, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EUGRCh - mit sich bringen. Nach der zur Rechtslage unter der Dublin-II-VO ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 - C-411/10
Nach diesen Maßgaben geht das Gericht davon aus, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien nicht vorliegen (ebenso VGH BW, U. v. 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - Rn. 42 aufgrund ausführlicher Feststellungen). Im Rahmen dieser Beurteilung sind die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente besonders relevant (EuGH, U. v. 30. Mai 2013 - C-528/11 - juris Rn. 44). Sie sind geeignet, das Funktionieren des Asylsystems in dem zuständigen Mitgliedstaat zu beurteilen und damit die tatsächlichen Risiken für einen Asylbewerber im Fall seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat zu bewerten (EuGH, ebenda). Der UNHCR hält in seinem Bericht vom April 2014 (Bulgarien als Asylland, Anmerkungen zur aktuellen Asylsituation in Bulgarien, Seite 2 und 17) ungeachtet fortbestehender ernsthafter Mängel einen generellen Aufschub aller Dublin-Überstellungen nach Bulgarien nicht länger für gerechtfertigt, sondern empfiehlt nur bei Personen mit besonderen Bedürfnissen oder besonderer Schutzwürdigkeit von einer Überstellung abzusehen. Nach dem Bericht vom April 2014 haben sich die Aufnahmebedingungen im Vergleich zur Situation im Dezember 2013, die der Stellungnahme vom 2. Januar 2014 zugrunde lag, erheblich verbessert (vgl. auch VGH BW, U. v. 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - Rn. 49 unter Hinweis auf jüngere Auskünfte des UNHCR und unter Berücksichtigung der hohen syrischen Flüchtlingszahlen). Asylsuchende haben Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung, Dolmetscherdiensten für die Registrierung und das Asylverfahren, Heizung und separaten Einrichtungen für alleinstehende Männer und Frauen und sie erhalten - ebenso wie bedürftige bulgarische Staatsangehörige (vgl. VGH BW, a. a. O. Rn. 59) - eine monatliche Zuweisung von umgerechnet 33,- EUR. In den Aufnahmezentren, deren Kapazitäten erheblich erweitert worden sind, erhalten die Bewohner täglich zwei warme Mahlzeiten und eine medizinische Grundversorgung (Seite 6, 8). Die Unterkünfte wurden baulich und von der Ausstattung her verbessert (Seite 7). Die für die Registrierung zuständige Stelle der bulgarischen Flüchtlingsagentur wurde personell verstärkt und das Personal geschult (Seite 11). Die Feststellungen des UNHCR rechtfertigen den Schluss, dass die noch im Winter 2013/2014 bestehenden Mängel jedenfalls soweit behoben sind, dass sie nicht mehr als systemisch zu qualifizieren sind.
Der Antragsteller gehört nicht einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe an, bei der der UNHCR noch größere Unzulänglichkeiten im bulgarischen Asylsystem festgestellt hat. Nach seinem Vortrag und dem EURODAC-Treffer der Kategorie 2 zu urteilen (vgl. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 über die Einrichtung von EURODAC für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens - EURODAC-Durchführungsverordnung -), wollte er Bulgarien offenbar lediglich passieren. Als er versucht hat, sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen, ist als illegal Eingereister gefasst und inhaftiert worden. Dass ihm die Asylantragstellung verwehrt worden ist, hat er nicht angegeben. Nach dem Bericht des UNHCR vom April 2014 werden irreguläre Einwanderer, die während ihrer Inhaftierung Asyl beantragen, an eine Einrichtung der staatlichen Flüchtlingsagentur überstellt und dort registriert; auch die Behandlung und Versorgung hat sich verbessert (Seite 6). Stellt der Antragsteller bei seiner Rückkehr nach Bulgarien einen Asylantrag, ist also nicht damit zu rechnen, dass er von einer erneuten Einwanderungshaft betroffen sein wird. Dublin-Rückkehrern steht ein Erstverfahren offen, soweit eine persönliche Anhörung noch nicht stattgefunden hat, auch wenn nach der Gesetzeslage nach einem „Nichtbetreiben“ des Verfahrens wegen Abwesenheit über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten das Verfahren an sich beendet ist; Folge der Fortführung ist, dass die Betroffenen wieder in das normale Aufnahmesystem integriert werden (UNHCR, April 2014, Seite 4). Beim Antragsteller, der noch keinen Asylantrag in Bulgarien gestellt hat, ist weder mit einer Einstellung des Asylverfahrens zu rechnen noch damit, dass er als Folgeantragsteller behandelt wird. Die Inländergleichbehandlung von Schutzberechtigten, wenn auch auf sehr niedrigem wirtschaftlichen und sozialen Niveau, ist gewährleistet (VGH BW, a. a. O. Rn. 59). In der Praxis wird es derzeit 650 mittellosen Personen, die sich in Bulgarien nicht selbst unterhalten können, aber auch erlaubt, weiterhin in den Flüchtlingsunterkünften zu leben (vgl. Auskunft des UNHCR an das VG Minden
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.