Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 28. Dez. 2016 - 9 B 889/16

bei uns veröffentlicht am28.12.2016

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Ausführung von Beschlüssen des Verbandsgemeinderates durch den Antragsgegner.

2

Die Antragstellerin ist Fraktion im Gemeinderat des im Hauptsacheverfahren 9 A 888/16 MD Beklagten zu 1., des Verbandsgemeinderates der Verbandsgemeinde, und begehrt als solche im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dem Antragsgegner als Hauptverwaltungsbeamten der Verbandsgemeinde aufzugeben, die in der Sitzung der Vertretung vom 14.12.2016 gefassten Beschlüsse der Nummern VerbGem II/156/2016 und VerbGem II/161/2016 nicht weiter auszuführen und die in Vollziehung des Beschlusses VerbGem II/156/2016 mit Wirkung zum 30.12.2016 bereits ausgehändigte Ernennungsurkunde einzuziehen.

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Sie begründet ihr Begehren damit, dass die Beschlussvorlage Nummer VerbGem II/156/2016 nicht oder jedenfalls nicht vollständig in dem zuständigen beschließenden Ausschuss, in welchem sie mit einem Mitglied vertreten ist, in dessen Sitzung vom 23.11.2016 vorberaten worden sei. Am 23.11.2016 habe zur Vorbereitung der Sitzung des Verbandsgemeinderates eine Sitzung des beschließenden Haupt-, Finanz- und Vergabeausschusses stattgefunden, in welchem die Vorberatung der Personalangelegenheit zur Ernennung einer Beamtin gemäß Beschlussvorlage Verbandsgemeinde VerbGem II/156/2016 erfolgen sollte; der Antragsgegner und gleichzeitig Ausschussvorsitzender habe in der Sitzung jedwede Auskunft und die weitere Beratung hierüber verweigert und es sei ohne inhaltliche Befassung mit dieser Beschlussvorlage mehrheitlich von den Ausschussmitgliedern für diese gestimmt worden. Diese sei daraufhin mit einer Stellungnahme des Antragsgegners den Ladungen der Gemeinderatsmitglieder zu der Sitzung des Verbandsgemeinderates zum 14.12.2016 beigefügt worden.

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Die Antragstellerin macht weiter geltend, den Ladungen zur Verbandsgemeinderatssitzung am 14.12.2016 seien zu dieser und der weiteren Beschlussvorlage VerbGem II/161/2016 als Tagesordnungspunkte TOP 19 und 20 nicht die erforderlichen Unterlagen beigefügt gewesen. Sie habe hieraufhin durch ihren Vorsitzenden namens der Fraktionsmitglieder ausdrücklich sowohl mündlich als auch schriftlich am Beginn der Verbandsgemeinderatssitzung vom 14.12.2016 nach § 48 Abs. 3 S. 2 KVG LSA die Verweisung dieser Angelegenheiten zur Vorberatung in den zuständigen Ausschuss beantragt und gleichzeitig die Ladung zu diesen TOP wegen fehlender Beratungsunterlagen beanstandet. Ihre Rügen seien zu Unrecht übergangen und die Beschlüsse zu diesen Vorlagen rechtswidrig gefasst worden. In Umsetzung des Beschlusses VerbGem II/156/2016 wurde die mit Wirkung zum 30.12.2016 versehene Ernennungsurkunde an die im Beschluss genannte Mitarbeiterin der Gemeindeverwaltung ausgehändigt. Durch die fehlende Vorberatung im zuständigen Haupt-, Finanz- und Vergabeausschuss, durch unvollständige Ladungsunterlagen und den Nichtvollzug ihres gesetzlichen Verweisungsverlangens meint die Antragstellerin in ihren wehrfähigen Fraktionsrechten verletzt zu sein.

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Zeitgleich hat die Antragstellerin Klage erhoben (9 A 888/16 MD) und diese auch gegen den Verbandgemeinderat gerichtet, der von ihr nur als Beklagter zu 1 und nicht auch als Antragsgegner bezeichnet wird. Die Antragstellerin beantragt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren sinngemäß,

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dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Vollzug der Beschlüsse des Verbandsgemeinderates der Verbandsgemeinde VerbGem II/156/2016 und VerbGem II/161/2016 vorläufig auszusetzen und mit Wirkung zum 30.12.2016 auf Frau Manuela H lautende Ernennungsurkunde einzuziehen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen

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und führt gegenüber dem Gericht aus, dass es in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Beratungen zu der streitgegenständlichen Personalangelegenheit gegeben habe; auch in der Ausschusssitzung am 23.11.2016 habe die Möglichkeit einer Beratung bestanden und die Sachbearbeiterin sei zugegen gewesen, so dass die Möglichkeit der Einsichtnahme in Unterlagen bestanden habe. Hiervon hätten die Ausschussmitgliedern aber kaum Gebrauch gemacht, so dass sich die Beratung sehr kurz gestaltet habe; Nachfragen habe es nicht gegeben. Die Beschlussvorlage VerbGem II/161/2016 sei nicht vom Verbandsgemeinderat in den beschließenden Ausschuss zur Vorberatung zu verweisen gewesen, denn die Entbindung des Hauptverwaltungsbeamten von der dienstlichen Schweigepflicht gehöre wegen der Funktion als höherem Dienstvorgesetzten des Bürgermeisters zu den ureigensten Aufgaben den Verbandsgemeinderates. Unterlagen seien hierzu nicht vorzulegen gewesen, denn diese ihm im Rahmen eines Disziplinarverfahrens gegen ein Mitglied des Verbandsgemeinderates und Bürgermeisters einer Mitgliedsgemeinde übersandten Schriftstücke seien streng vertraulichen Inhalts und nur an ihn gerichtet gewesen. In Umsetzung des diesbezüglichen Beschlusses der Vertretung habe er bereits einige Niederschriften zusammenstellen lassen und an den C-Kreis weiter geleitet.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Diese war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

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1. Der Antrag ist zulässig. Voranzustellen ist dabei, dass sich dieser nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin nur gegen den Hauptverwaltungsbeamten der Verbandsgemeinde richtet, denn in ihrer Antrags- und gleichzeitig Klageschrift hat die Antragstellerin lediglich diesen ausdrücklich als Antragsgegner und zugleich Beklagten zu 2 bezeichnet; auch ihr insoweitig formulierter Antrag und die Antragsbegründung richten sich ausschließlich gegen diesen.

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a) Nach zweckentsprechender Auslegung ihres ohne zeitliche Einschränkung gestellten Antrages geht das Gericht gemäß § 88 VwGO jedenfalls davon aus, dass die Antragstellerin eine einstweilige Anordnung begehrt, mit der dem Antragsgegner vorläufig aufgegeben wird, die insoweit streitbefangenen Verbandsgemeinderatsbeschlüsse vom 14.12.2016 (weiter) auszuführen bzw. den Eintritt der Vollzugsfolgen zu verhindern. Die Vorläufigkeit endet spätestens mit einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache.

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b) Der Antragsgegner ist auch entsprechend §§ 61 Abs. 1 Nr. 2, 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO als kommunales Organ beteiligungsfähig und passivlegitimiert. Denn der Antragsgegner als Verbandgemeindebürgermeister hat gemäß § 65 Abs. 1 KVG LSA die Beschlüsse der Vertretung – hier des Verbandsgemeinderates – vorzubereiten und auszuführen.

14

c) Der Antrag ist statthaft, da einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Verwaltungsmaßnahme ohne Verwaltungsaktcharakter - wie der streitgegenständlichen Ausführung der Gemeinderatsbeschlüsse - durch eine Sicherungsanordnung deshalb zu erreichen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.1996 - 6 C 5/95 -, juris; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO – Kommentar, 21. Aufl. 2015, § 123 Rn. 7), weil der geltend gemachte Anspruch auf Einstellung der tatsächlichen Umsetzung der Beschlüsse der Vertretung im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen, so dass kein Fall des § 80 Abs. 5 VwGO vorliegt (§ 123 Abs. 5 VwGO).

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2. Der nach § 123 Abs. 1 VwGO geltend gemachte Anordnungsanspruch besteht weder in Bezug auf den Beschluss Nummer VerbGem II/156/2016 (2.1.) noch in Bezug auf den Beschluss Nummer VerbGem II/161/2016 (2.2.).

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Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder auch zur Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO sind der durch die einstweilige Anordnung zu schützende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen, d. h. mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit darzutun. Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache vorweg, so sind an die Prognose der Erfolgsaussichten in der Regel besondere Anforderungen zu stellen. Denn mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darf grundsätzlich nicht etwas begehrt oder zugesprochen werden, was als Vorgriff auf den im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden Anspruch anzusehen ist. Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs sind im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache daher im Regelfall nur dann glaubhaft gemacht, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 09.07.2012 - 9 B 137/12 -, juris). In Anwendung dieses Maßstabes wird die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen den strengen Anforderungen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht gerecht. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Unterlassen der (weiteren) Ausführung der streitbefangenen Beschlüsse des Verbandsgemeinderates i. V. m. der Einziehung der bereits ausgehändigten Ernennungsurkunde zusteht.

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2.1. Den geltend gemachten Anordnungsanspruch vermag die Antragstellerin bezogen auf den Beschluss Nummer VerbGem II/156/2016 nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des § 48 Abs. 3 KVG LSA zu stützen.

18

2.1.1. Gemäß § 48 Abs. 3 KVG LSA sollen Angelegenheiten, deren Entscheidung der Vertretung vorbehalten ist, den beschließenden Ausschüssen innerhalb ihres Aufgabengebietes zur Vorberatung überwiesen werden. Auf Antrag des Vorsitzenden der Vertretung, eines Fünftels der Mitglieder der Vertretung oder einer Fraktion müssen Anträge, die nicht vorberaten worden sind, den zuständigen beschließenden Ausschüssen zur Vorberatung überwiesen werden. Nach dieser Vorschrift soll im Regelfall auch eine Angelegenheit, die in die alleinige Zuständigkeit der Vertretung fällt (vgl. § 48 Abs. 2 und 3 KVG LSA), in einem beschließenden Ausschuss vorberaten werden. Ist eine Angelegenheit nicht im zuständigen Ausschuss vorberaten und wird hierzu erstmals eine Vorlage, einen bestimmten Beschluss zu fassen – im Gesetz als Antrag formuliert – in die Vertretung eingebracht, muss diese auf Antrag zur Vorberatung in den zuständigen Ausschuss überwiesen werden. Über den Wortlaut hinaus dürfte die Vorschrift allerdings auch die Fallgestaltungen erfassen, dass eine Angelegenheit bereits einem beschließenden Ausschuss zur Vorberatung überwiesen war, eine solche dort tatsächlich aber nicht erfolgt ist; insoweit ist dann die Sache auf Antrag – erneut – in den Ausschuss zu überweisen, damit die Vorberatung erstmalig erfolgen bzw. nachgeholt werden kann.

19

Die hier wegen § 45 Abs. 5 Ziffer 1 KVGLSA i. V. m. der Hauptsatzung erforderliche Vorberatung der Beschlussvorlage VerbGem II/156/2016 ist jedoch entgegen der Auffassung der Antragstellerin in der Sitzung des beschließenden Haupt-, Finanz- und Vergabeausschusses (§§ 5 Nr. 1, 6 Abs. 1 der Hauptsatzung der Verbandsgemeinde in der Fassung vom 09.07.2016) vom 23.11.2016 erfolgt.

20

In der Sitzung des beschließenden Ausschusses der Verbandsgemeinde am 23.11.2016 erfolgte in dem nichtöffentlichen Teil der Sitzung ausweislich der Sitzungsniederschrift unter dem Tagesordnungspunkt 13 – Personalangelegenheit – Ernennung einer Beamtin, Vorlage VerbGem II/156/2016 – durch den Antragsgegner als Ausschussvorsitzenden die Erörterung des Sachverhalts zu der Beschlussvorlage; Diskussionsbedarf bestand nicht. Abschließend erfolgte bei Anwesenheit aller neun Ausschussmitglieder die Abstimmung über die Beschlussvorlage mit acht Ja-Stimmen und einer Stimmenthaltung (vgl. S. 14 der Sitzungsniederschrift). Soweit die Antragstellerin geltend macht, der Antragsgegner habe Auskünfte und die weitere Beratung verweigert, ist dieses Vorbringen entgegen des Inhalts der Sitzungsniederschrift nicht glaubhaft gemacht.

21

Gemäß § 58 Abs. 1, 4 KVG LSA ist über jede Sitzung der Vertretung und ihrer Ausschüsse eine Niederschrift zu fertigen. Die Niederschrift beinhaltet dabei die – widerlegliche – Vermutung für ihre Richtigkeit hinsichtlich ihrer in § 58 Abs. 1 KVG LSA aufgeführten Inhalte und verfügt bei ordnungsgemäßem Zustandekommen als öffentliche Urkunde über eine erhöhte Beweiskraft auch hinsichtlich der in ihr geschilderten Sachverhalte (vgl. Miller in: Bücken-Thielmeyer/Grimberg u. a., Kommunalverfassungsrecht Sachsen-Anhalt, Kommentar zum KVG, Stand: 1/2016 § 58 S. 2; VG Neustadt/Weinstraße, Urt. v. 10.11.2015 - 3 K 1019/14.NW -, juris).

22

Rügen, Beanstandungen oder Wortmeldungen sonstiger Art wegen fehlender Informationen und/oder Unterlagen der Ausschussmitglieder sind in der Niederschrift zu diesem Beratungspunkt nicht enthalten. Zudem werden solche von der Antragstellerin selbst auch nicht behauptet. Es obliegt jedoch der Antragsgegnerin glaubhaft zu machen und substantiiert vorzutragen, weshalb entgegen des Inhalts des Protokolls über die Sitzung des beschließenden Ausschusses keine Vorberatung der Beschlussvorlage erfolgt bzw. die Vorberatung noch nicht beendet gewesen sein soll. Diese Annahme rechtfertigt sich für das Gericht auf der Grundlage des insoweitigen Vortrages in Ansehung des Inhalts des Sitzungsprotokolls nicht.

23

2.1.2. Ein materiell-rechtlicher Anspruch, welcher den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung rechtfertigen würde, folgt auch nicht aus der behaupteten Verletzung der Ladungsvorschrift des § 53 Abs. 4 Satz 3 KVG LSA, welche die Antragstellerin namens ihrer Mitglieder in der Verbandsgemeinderatssitzung am 14.12.2016 gemäß § 55 Abs.1 Satz 3 KVG LSA gerügt hat. Denn beide Regelungen vermitteln der Antragstellerin einen solchen Anspruch nicht, da sie sowohl dem Gegenstand als auch dem Kreis der Begünstigten nach in einer Weise begrenzt sind, die Ansprüche und mithin eine subjektive Rechtsbetroffenheit der Antragstellerin ausschließen; den gerügten Ladungsmangel vermag das Gericht zudem nicht zu erkennen.

24

§ 53 KVG LSA enthält (Verfahrens-)Regelungen über die Einberufung der Sitzungen der Gemeindevertretung und ihrer Ausschüsse. Dabei sind gemäß § 53 Abs. 4 Satz 2 KVG LSA die für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen grundsätzlich der schriftlichen Ladung beizufügen. Die Vertretung und ihre Ausschüsse sind gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA (in der Sitzung) beschlussfähig, wenn nach ordnungsgemäßer Einberufung die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist. Bei einer Verletzung der Vorschriften über die Einberufung sind die Vertretung und ihre Ausschüsse beschlussfähig, wenn alle stimmberechtigten Mitglieder anwesend sind und keines der fehlerhaft geladenen Mitglieder den Einberufungsfehler rügt (§ 55 Abs. 1 S. 2 KVG LSA). Sofern der Ladung die für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen nicht beigefügt waren, soll sich die Rüge auf die hiervon betroffenen Tagesordnungspunkte beschränken; in diesem Fall gilt der jeweilige Tagesordnungspunkt als von der Tagesordnung abgesetzt (§ 55 Abs. 1 S. 3 KLVG LSA).

25

Eine Fraktion wie hier die Antragstellerin kann sich jedoch nicht auf eine Verletzung der Ladungsvorschriften der Kommunalverfassung berufen.

26

Bei den Vorschriften über die Ladung zu den Sitzungen der Vertretung und der Ausschüsse handelt es sich nicht um ein durch das Innenrecht eingeräumtes, dem Schutz der Fraktionen dienendes wehrfähiges Organrecht; diese Vorschrift dient ausschließlich dem einzelnen Mandatsträger und soll dessen ordnungsgemäße Mandatsausübung und Mitwirkung an der gemeindlichen Willensbildung gewährleisten. Die Vertretung besteht gemäß § 36 Abs. 1 KVG LSA aus dem Hauptverwaltungsbeamten und den ehrenamtlichen Mitgliedern. Die Ladungsvorschrift des § 53 Abs. 1 KVG LSA nimmt ihrem Wortlaut nach nur auf die Vertretung Bezug und regelt, dass den Ladungen der Vertretung die erforderlichen Unterlagen beizufügen sind. Die einzelnen Mandatsträger der Vertretung sollen hierdurch in die Lage versetzt werden, sich auf die Sitzung der Vertretung vorzubereiten, sich eine vorläufige Auffassung über den Beratungsgegenstand zu bilden und ggf. eine Vorbesprechung in der Fraktion gewährleisten (vgl. Miller in: Bücken-Thielmeyer/Grimberg u. a., a. a. O., Stand: 1/2016 § 53 S. 10). Ehrenamtliche Mitglieder der Vertretung können sich zwar gemäß § 44 KVG LSA zu einer Fraktion zusammenschließen, ihre Stellung in der Vertretung bleibt gleichwohl die eines individuellen Mandatsträgers. Die Fraktion als Zusammenschluss mehrerer Mitglieder der Vertretung kann deshalb nicht geltend machen, dass ihren Mitgliedern erforderliche Unterlagen mit der Ladung nicht übersandt wurden. Eine Rechtsbetroffenheit der Fraktion bei etwaiger Verletzung dieser gesetzlichen Vorgaben besteht nicht, auch nicht als Reflex auf die Verletzung organschaftlicher Rechte ihrer Mitglieder. Diese Unterscheidung wird auch durch den Wortlaut der Kommunalverfassung und deren Systematik gestützt; denn das Gesetz unterscheidet ausdrücklich zwischen beiden. Soweit den Fraktionen eigene Rechte und/oder Befugnisse zukommen sollen, werden diese ausdrücklich im Gesetz genannt (vgl. §§ 46 Abs. 6 Satz 1, 47, 48 Abs. 3, 53 Abs. 5 Satz 2 KVG LSA) bzw. können ihnen auch durch Geschäftsordnung des Rates zugeordnet werden. Soweit § 53 Abs. 5 Satz 2 KVG LSA unter ausdrücklicher Nennung der Fraktion dieser ein Antragsrecht einräumt, verhält sich demgegenüber der die Ladung regelnde Abs. 4 derselben Vorschrift ausschließlich zur Vertretung, also den einzelnen Mandatsträgern.

27

Wenn bereits die Vorschriften über die ordnungsgemäße Ladung keine subjektiven und wehrfähigen Rechte einer Fraktion begründen, kann mit dem Vorstehenden nichts anderes für einen Verstoß gegen § 55 Abs. 1 Satz 3 KVG LSA gelten. Denn auch diese Vorschrift weist ihrem Wortlaut nach das Rügerecht ausdrücklich und ausschließlich den stimmberechtigten Mitgliedern der Vertretung zu. Den Fraktionen in einer Kommunalvertretung kommt jedoch bereits kein eigenes Stimmrecht zu.

28

Die Antragstellerin hat in der Sitzung des Verbandsgemeinderates im Namen ihrer Mitglieder die Ladung zu Protokoll und schriftlich gerügt. Das Rügerecht kann mit dem gesetzlichen Wortlaut nicht durch die Fraktion für ihre Mitglieder – in deren Namen – ausgeübt werden.

29

Aber selbst unterstellt, in der vom Vorsitzenden der Antragstellerin im Namen ihrer Mitglieder erhobenen Rüge läge gleichzeitig eine durch ihn als (ebenfalls) stimmberechtigtes Mitglied der Vertretung individuell erhobene Ladungsrüge, vermag dies gleichwohl einen subjektiv-öffentlichen Anspruch der Antragstellerin nicht zu begründen. Denn aus ihrer kommunalverfassungsrechtlichen Stellung kommt ihr nicht die Befugnis zu, für ihre Mitglieder quasi im Wege der Prozessstandschaft deren individuelle Verletzung organschaftlicher Rechte im Rechtswege geltend zu machen. Es ist auch nichts für die Annahme ersichtlich, dass der Vorsitzende der Antragstellerin als Mandatsträger selbst im hiesigen Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz nachsucht; denn die Antragserhebung erfolgt ausdrücklich im Namen der Fraktion und mit dem Vortrag wird eine Verletzung organschaftlicher Rechte der Fraktion geltend gemacht.

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Der Fraktion steht auch kein im Rechtsweg verfolgbarer Anspruch darauf zu, dass die Vertretung nur – in formeller wie in materieller Hinsicht – rechtmäßige Beschlüsse fasst. Dieser Anspruch kommt bereits dem einzelnen Mandatsträger nicht zu, so dass sich im Wege des Erst-Recht-Schlusses ein solcher auch nicht für die Fraktionen in den Vertretungen begründen lässt. Das Recht der Fraktionen einer Gemeindevertretung, sich an der örtlichen politischen Willensbildung zu beteiligen, erfasst nicht gleichsam das Recht, im gerichtlichen Verfahren Beschlüsse der Vertretung daraufhin überprüfen zu lassen, ob diese unter Einhaltung der kommunal(verfassungs-)rechtlichen Vorgaben zustande gekommen und Rechte der einzelnen Mitglieder der Vertretung und so auch einer Fraktion bei der Willensbildung verletzt worden sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 02.05.2006 - 15 A 817/04 -, juris). Die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses geltend zu machen, obliegt allein dem Hauptverwaltungsbeamten (vgl. § 65 Abs. 3 KVG LSA) bzw. der Kommunalaufsicht (vgl. § 146 KVG LSA). Aus diesen Gründen kann die Antragstellerin nicht erfolgreich mit ihren Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit u.a. zur Ausschreibung und Stellenführung gehört werden.

31

Aber selbst die zulässige Möglichkeit der Geltendmachung von Verletzungen des Einladungsrechts durch die Antragstellerin unterstellt, vermag das Gericht eine Verletzung wehrfähiger Rechte auch nicht für ihre Mitglieder festzustellen. Denn die Ladung zur Verbandsgemeinderatssitzung ist ordnungsgemäß erfolgt; die für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen sind den Ladungen beigefügt gewesen. Die beizufügenden Unterlagen sollen dabei das einzelne Mitglied der Vertretung in den Stand versetzen, sich ein vorläufiges Bild vom Verhandlungsgegenstand zu verschaffen; ein Anspruch darauf, dass ihm sämtliche Bestandteile eines u. U. komplexen Verhandlungs- bzw. Beschlussgegenstands übermittelt werden, besteht hingegen nicht. Sofern Fragen bei der Vorbereitung auf die Verhandlung ergeben sollten, obliegt es dem auf gewissenhafte Erfüllung der Amtspflichten verpflichteten Mandatsträger (vgl. § 53 Abs. 2 Satz 1 KVG LSA), vor oder nach der Sitzung Fragen an die Verwaltung zu stellen (vgl. Miller in: Bücken-Thielmeyer/Grimberg u. a., a. a. O., Stand 1/2016 § 53 S. 10 f.). Erforderlich i. S. d. § 53 Abs. 4 Satz 3 KVG LSA ist mit der dargelegten Funktion der Ladung dahin zu verstehen, dass der Mandatsträger in dem Umfang Informationen in Bezug auf den anstehenden Verhandlungsgegenstand vorab erhält, dass er für die auch in der Sitzung anstehende Beratung und Beschlussfassung Fragen vorformulieren und eigene spezifische Auskünfte, sofern er dies für seine Willensbildung für erforderlich hält, einholen kann.

32

Den Ladungen der Vertreter des Verbandsgemeinderates waren nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin zu den hier streitgegenständlichen Verhandlungsgegenständen der Beschlussvorschlag und ein Bericht/eine Stellungnahme des Antragsgegners beigefügt. Diese sind nach dem Dafürhalten des Gerichts geeignet, die o. g. Funktion der Vorbereitung der Mandatsträger auf die Verhandlung zu erfüllen, denn sie skizzieren den Verhandlungsgegenstand, den Anlass für den Beschlussvorschlag und beinhaltet nähere Angaben zu der Person der zu Ernennenden. Die Notwendigkeit, den Ladungen darüber hinaus weitere Unterlagen beizufügen, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Sofern die Antragstellerin und ihre Mitglieder, wie wohl ihr diesbezügliches Vorbringen nur zu verstehen ist, Einsicht in weitere Unterlagen für ihre jeweilige individuelle Meinungsbildung für erforderlich gehalten haben, hätte es ihnen oblegen, diese bei der Verwaltung anzufordern und einzusehen.

33

2.2. Das Gericht kann es vorliegend dahinstehen lassen, ob die Beschlussvorlage VerbGem II/161/2016 auf Antrag der Antragstellerin in der Verbandsgemeinderatssitzung am 14.12.2016 dem zuständigen beschließenden Ausschuss zur Vorberatung zu überweisen war, es sich mithin um eine Angelegenheit handelte, die einer Vorberatung im beschließenden Ausschuss zugänglich wäre. Denn insoweit hat die Antragstellerin es nicht vermocht, den Anordnungsgrund nach § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO, d. h. die notwendige Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die einem Abwarten der Entscheidung des gerichtliches Hauptsacheverfahrens entgegenstünde, für den teilweise bereits vollzogenen Beschluss, hinreichend glaubhaft zu machen. Ihr insoweitiges Vorbringen beschränkte sich auf die Begründung der Eilbedürftigkeit in Bezug auf die bereits begonnene Vollziehung des Beschlusses VerbGem II/156/2016 durch Aushändigung der Ernennungsurkunde.

III.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

35

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.5, 22.7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. In Kommunalverfassungsstreitverfahren ist der Streitwert mit 10.000,00 Euro zu bemessen. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert in der Regel ½ des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes. Mit dem Vorstehenden war der Streitwert auf 5.000,00 Euro festzusetzen (10.000 Euro ./. 2).


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Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 28. Dez. 2016 - 9 B 889/16 zitiert 9 §§.

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

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Fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, sind 1. natürliche und juristische Personen,2. Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann,3. Behörden, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

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Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, sind

1.
natürliche und juristische Personen,
2.
Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann,
3.
Behörden, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin ist Stadträtin im Stadtrat der Stadt C-Stadt (Antragsgegner). Sie begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Behandlung eines Tagesordnungspunktes im öffentlichen Teil einer kommenden Stadtratssitzung.

2

Ausweislich des Protokolls der 17. ordentlichen Sitzung des Stadtrates der Stadt C-Stadt am 19.04.2012 war unter Ziffer 4. des Tagesordnungspunktes im nicht öffentlichen Teil der Sitzung vermerkt:

3

„Stellungnahme zum endgültigen Zuwendungsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 29.02.2012 Projekt: Umbau J.-Sporthalle, Erweiterung soziale Infrastruktur.“

4

Nachdem die Antragstellerin bereits per E-Mail vom 17.04.2012 den Antrag stellte, diesen Tagesordnungspunkt im öffentlichen Teil der Sitzung zu behandeln, verwies die Antragstellerin in der Sitzung auf diesen Antrag und schloss sich dem gleichen diesbezüglichen Antrag eines anderen Stadtratsmitgliedes an.

5

Dem Protokoll der Stadtratssitzung vom 19.04.2012 ist zu entnehmen:

6

„Herr Z. erklärt, dass er sich in seiner Funktion als Stadtratsvorsitzender an die gesetzlichen Vorgaben halte. Die Geschäftsordnung des Stadtrates sagt eindeutig aus, dass Grundstücksangelegenheiten, Kreditaufnahmen und Bürgschaften im nicht öffentlichen Teil zu behandeln sind. Aus diesem Grund wird er den vorgenannten Antrag nicht zur Abstimmung stellen.“

7

Es heißt weiter:

8

„Herr Z. stellt die Tagesordnung ohne den obigen Antrag zur Abstimmung. Die Stadträte, die mit diesem Vorgehen nicht einverstanden seien, könnten sich an die Kommunalaufsicht wenden.“

9

Die Tagesordnung wurde in der vorliegenden Fassung mit 14 Stimmen dafür, 8 Stimmen dagegen und 1 Einhaltung angenommen.

10

Dem Protokoll ist sodann zu dem Tagesordnungspunkt 4 des nicht öffentlichen Teils zu entnehmen, dass Erläuterungen zu dem Zuwendungsbescheid des Landesverwaltungsamtes vom 29.02.2012 gegeben wurden. Es werden die Gesamtkosten diskutiert. Weiter geht es um Fragen des Verhältnisses Stadt-Verein, Zinszahlungen, Erbaurechtsvertrag, Mehrkosten, Bürgschaften. Der Antrag eines Ratsmitgliedes, den zeitweiligen Ausschuss „J.-Halle“ zeitnah einzuberufen und zu dieser Sitzung Herrn P. vom LVA und Herrn Rechtsanwalt F. einzuladen, wird einstimmig angenommen.

11

Unter dem 05.05.2012 wandte sich die Antragstellerin an die zuständige Kommunalaufsicht und beanstandete die Vorgehensweise des Stadtratsvorsitzenden. Der Stadtratsvorsitzende habe gegen das Mitwirkungsverbot nach § 31 GO LSA verstoßen. Dieses Mitwirkungsverbot beziehe sich auch auf die Aufstellung der Tagesordnungspunkte. Weiter habe er gegen §§ 9 und 11 der Geschäftsordnung C-Stadt (GO WMS) verstoßen. Denn die betreffende Problematik „Fördermittel J.-Halle.“ beträfen ihn selbst. Der Stadtratsvorsitzende habe es unterlassen, dieses Mitwirkungsverbot bei der Beratung zu TOP 1 „Genehmigung der Tagesordnung“ gemäß § 31 Abs. 4 Satz 1 GO LSA i. V. m. § 8 Abs. 2 der GO WMS vorher bekannt zu geben. Die Antragstellerin vertrat die Auffassung, dass die gesamte Beratung des Stadtrates zumindestens zu dem Tagesordnungspunkt 4 auf der nächsten regulären Stadtratssitzung am 28.06.2012 unter Beachtung des Mitwirkungsverbotes des Stadtratsvorsitzenden wiederholt werden müsse und bat um kurzfristige Entscheidung der Kommunalaufsicht bis zum 20.06.2012. Aus den Informationen des Stadtrates zum endgültigen Zuwendungsbescheid des Landesverwaltungsamtes sei unter Ziffer 1 der Festlegungen bestimmt, dass ein zweiter Nachtrag zum Modernisierungs- und Instandsetzungsvertrag von der Verwaltung vorgelegt werde und dieser dem Stadtrat zur Sitzung am 28.06.2012 zur Beschlussfassung vorgelegt werde. Es sei zu befürchten, dass der Stadtratsvorsitzende sodann bei der Abstimmung über die Tagesordnung mitwirke und diesen Tagesordnungspunkt erneut im nicht öffentlichen Teil der Stadtratssitzung behandeln lasse. Die für die Stadtratssitzung am Donnerstag, den 28.06.2012 vorgeschlagene Tagesordnung sehe unter TOP 5 vor, dass der Antrag auf Förderung aus Stadtumbaumitteln für die Jahn-Halle in C-Stadt im nicht öffentlichen Teil behandelt werde.

12

Mit Schreiben vom 19.06.2012 hat die Antragstellerin daraufhin einen Antrag zur Stadtratssitzung am 28.06.2012 gestellt mit dem Inhalt, dass jedes Mitglied aufgefordert sei, das Mitwirkungsverbot gemäß § 31 GO LSA einzuhalten und ein Mitwirkungsverbot von jedem Stadtratsmitglied der betreffenden Sache persönlich und selbst angezeigt werde. Unter dem gleichen Datum wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass der Stadtratsvorsitzende Zimmermann es abgelehnt, habe, diesen Antrag auf die Tagesordnung zu nehmen, weil alle Mitglieder des Stadtrates gemäß § 32 GO LSA über ihre Pflichten aktenkundig belehrt worden seien. Es stehe der FDP-Fraktion frei, diesen Antrag bei der Abstimmung über die Tagesordnung erneut zu stellen.

13

Mit dem als „stufenweise einstweilige Anordnung“ bezeichneten Eilantrag begehrt die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz.

14

Die Antragstellerin sei § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt. Als Stadträtin stehe ihr ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit gemäß § 50 Abs. 1 GO LSA zu. Das subjektive Recht folge auch aus der Tatsache, dass die Antragstellerin über die Beratung im nicht öffentlichen Teil Stillschweigen zu bewahren habe und die Ergebnisse nicht politisch verwenden könne. Dies sei eine Einschränkung der freien Mandatsausübung gemäß § 42 Abs. 1 GO LSA. Der Anordnungsgrund bestehe, da zu befürchten sei, dass der in Rede stehende Tagesordnungspunkt erneut im nicht öffentlichen Teil behandelt werde und mit einer schnellen kommunalaufsichtsrechtlichen Entscheidung sei nicht zu rechnen. Die Antragstellerin habe ihre Mandatsrechte ausgeschöpft. In der Hauptsache wäre eine allgemeine Feststellungsklage zulässig und begründet. Die Öffentlichkeit sei zu Unrecht ausgeschlossen worden. Es gehe um den Status der Verwendungsnachweisprüfung der getätigten Investitionen zum Umbau der J.-Halle. Es liege kein Ausschlussgrund nach § 4 GO WMS vor. Hierbei handele es sich weder um eine Angelegenheit „über die Verfügung über ein Grundstück“, auch sei keine „Aufnahme eines Kredites“ oder die „Gewährung einer Bürgschaft“ gegeben. Vielmehr sei ein haushaltsrechtlicher Vorgang angesprochen, der dazu führen könne, dass neue haushaltsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden müssten. Damit seien Belange des Haushaltsplanes und allgemeine Haushaltsgrundsätze angesprochen.

15

Der Stadtratsvorsitzende unterliege einem Mitwirkungsverbot. Denn er sei Vorsitzender des Vereins „W. e. V.“, dem die J.-H. im Wege eines Erbaupachtvertrages für 66 Jahre übertragen worden sei. Außerdem sei er der Vater des Mieters der Räume in der J.-Halle., die dieser vom Verein „W. e. V.“ gemietet habe. Der Stadtratsvorsitzende sei somit Verwandter eines Begünstigten der Beschlüsse zu dem Thema und Vorsitzender des Verein „W. e. V.“ als juristische Person.

16

Dementsprechend sei der Beschluss nach § 31 Abs. 6 Satz 1 GO LSA unwirksam. Folglich müsse das Thema neu beraten werden. Eine wirksame Beratung sei nach § 52 Abs. 2 GO LSA nicht gegeben gewesen. Eine Aufnahme in die nächste Sitzung sei zwingend geboten, um die demokratischen Mitwirkungsrechte der Bürger und der Antragstellerin im politischen Tagesgeschäft zu gewährleisten.

17

Die Antragstellerin beantragt,

18

1. im Wege der einstweiligen Sicherungsanordnung festzustellen, dass der Beschluss über die Behandlung des Tagesordnungspunktes des Stadtrates der Stadt C-Stadt vom 17.04.2012 „TOP 4 des nicht öffentlichen Teils“ zum Thema „Stellungnahme zum endgültigen Zuwendungsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 29.02.2012 Projekt: Umbau J.-Sporthalle., Erweiterung soziale Infrastruktur“ im nicht öffentlichen Teil rechtswidrig gewesen ist

19

und

20

2. bei Stattgabe des ersten Antrages im Wege der einstweiligen Anordnung anzuordnen, dass in die Tagesordnung des Stadtrates zur Sitzung vom 28.06.2012 der Tagesordnungspunkt „ TOP 4 des nicht öffentlichen Teils“ zum Thema „Stellungnahme zum endgültigen Zuwendungsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 29.02.2012 Projekt: Umbau J.-Sporthalle, Erweiterung soziale Infrastruktur“ erneut im öffentlichen Teil beraten wird.

21

Der Antragsgegner stellt keinen Antrag und hat sich dahingehend geäußert, dass sich aus dem Protokoll der Sitzung vom 19.04.2012 ergebe, weshalb er den Antrag der FDP-Fraktion zur Tagesordnung nicht zur Abstimmung zugelassen habe.

22

Mit Beschluss vom 27.06.2012 hat das Gericht im Wege einer Zwischenentscheidung dem Antragsgegner untersagt, die streitgegenständliche Angelegenheit zum Verhandlungsgegenstand des nicht öffentlichen Teils einer Stadtratssitzung zu machen.

II.

23

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem begehrten Inhalt hat keinen Erfolg.

24

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung eines bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) oder zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn dies aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO sind der durch die einstweilige Anordnung zu schützende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen, d. h. mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit darzutun. Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache vorweg, so sind an die Prognose der Erfolgsaussichten in der Regel besondere Anforderungen zu stellen. Denn mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darf grundsätzlich nicht etwas begehrt oder zugesprochen werden, was als Vorgriff auf den im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden Anspruch anzusehen ist. Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs sind im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache daher im Regelfall nur dann glaubhaft gemacht, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht.

25

1. Die Antragsschrift wird den an die Glaubhaftmachung hinsichtlich des Erlasses einer einstweiligen Anordnung notwendigen strengen Anforderungen nicht gerecht. Dabei geht das Gericht davon aus, dass trotz der unterschiedlichen Bezeichnung und der unterstellten Abhängigkeit der Prozessanträge in der Antragsschrift, ein einheitliches Begehren, nämlich die Befassung der mit TOP 4 bezeichneten Angelegenheit im öffentlichen Teil einer kommenden Stadtratssitzung, gemeint ist. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr ein solcher Anspruch zusteht. Dabei kann dahinstehen, ob ihr überhaupt ein - in der Rechtsprechung kontrovers diskutiertes (vgl. dazu: OVG NRW, Urt. v. 24.04.2001, 15 A 3021/97; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2008, 8 A 674/08; OVG Saarland, Beschl. v. 21.04.2010, 3 B 123/10; VG Saarland, 11 L 353/10; alle juris) - „wehrfähiges“ Recht auf Herstellung der Öffentlichkeit zusteht.

26

Nach § 50 Abs. 1 GO LSA sind Sitzungen des Gemeinderates generell öffentlich. Absatz 2 der Norm bestimmt, dass die Öffentlichkeit auszuschließen ist, wenn das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner, insbesondere bei Personalangelegenheiten, Ausübung des Verkaufrechts, Grundstücksangelegenheiten und Vergabeentscheidungen dies erfordern.

27

Die Öffentlichkeit der Ratssitzungen gehört zu den wesentlichen Grundsätzen der Kommunalverwaltung. Sie ist eines der wichtigsten Mittel, das Interesse der Bürgerschaft an der Selbstverwaltung zu wecken und zu erhalten und die vom Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) geforderte Transparenz kommunalpolitischer Entscheidungen zu gewährleisten. Durch die Öffentlichkeit der Sitzungen soll allen Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, die Arbeit der gewählten Vertreter zu verfolgen und zugleich eine allgemeine Kontrolle der wichtigsten Vorgänge der Kommune auszuüben. So wird die Bürgerschaft durch die Öffentlichkeit der Sitzungen in die Lage versetzt, aus dem Verhalten von Ratsmitgliedern oder Fraktionen politische Konsequenzen bei den nächsten Wahlen zu sichern (vgl. nur: VG Aachen, Urt. v. 22.05.2012, 3 K 347/11; juris).

28

Der Ausschluss der Öffentlichkeit mag in den Geschäftsordnungen weiter ausgestaltet werden können. Dies hat der Stadtrat der Stadt C-Stadt in der Geschäftsordnung unter § 4 getan. Dort heißt es:

29

„Die Öffentlichkeit ist bei folgenden Angelegenheiten ausgeschlossen:

30
1. Personalangelegenheiten
31
2. Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises, deren nicht öffentliche Behandlung im Einzelfall von der Fachaufsichtsbehörde verfügt ist,
32
3. Ausübung des Vorkaufsrechts
33
4. Grundstücksangelegenheiten
34
5. Kreditaufnahmen und Bürgschaften
35
6. Vergabeentscheidungen
36
7. Rechtsstreitigkeiten der Stadt
37
8. Sonstige Angelegenheiten, deren Gemeinhaltung durch Gesetz vorgeschrieben ist.“
38

Der bloßen Beschreibung des Tagesordnungspunktes 4 nämlich „Stellungnahme zum endgültigen Zuwendungsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 29.02.2012 Projekt: Umbau J.-Sporthalle, Erweiterung sozialer Infrastruktur“ mag man zwar nicht zu entnehmen, dass hier ein derart sensibler Bereich angesprochen wäre, welcher die Behandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfordere. Vielmehr wird dies erst ausweislich des Protokolls der Sitzung vom 19.04.2012 zu diesem Punkt ersichtlich. Denn – dies musste sich das Gericht erst durch Studium der umfangreichen Unterlagen erarbeiten – entscheidend ist, dass der geförderte Umbau der J.-Sporthalle mit zahlreichen Entscheidungen einhergeht, die durchaus den geheimhaltungsbedürftigen Bereich der „Grundstücksangelegenheiten“, „Kreditaufnahme und Bürgschaften“ berühren und beinhalten könnten. So liegt dem Grundstück wohl ein Erbbaupachtvertrag zugrunde. Ebenso werden in dem Protokoll die Begrifflichkeiten „Bürgschaften“, „Zinszahlungen“ angesprochen. Auch die sonstigen Ausführungen in dem Protokoll insbesondere zu Beginn der Sitzung anlässlich der Diskussion über den Antrag auf Herstellung der Öffentlichkeit belegen die unter den Abgeordneten kontroversen Auffassungen zu diesem Thema. Jedenfalls – und das ist für das Gericht entscheidend – ist daraus zu schließen, dass es nicht nur wie von der Antragstellerin behauptet, um ein eine allgemeine Angelegenheit zur Verteilung der Fördermittel des Landesverwaltungsamtes geht. Vielmehr verbirgt sich hinter dem Tagesordnungspunkt mehr als er in dieser bloßen Beschreibung erwarten lässt. Insoweit wäre es wünschenswert gewesen, wenn dieser Tagesordnungspunkt anders gefasst worden wäre. Dieses Problem stellt sich ersichtlich aber nur dem Gericht als außen stehend und nicht mit der Materie befasst, wie es die einzelnen Stadtratsmitglieder sind.

39

Es ist daher Aufgabe der Antragstellerin glaubhaft zu machen und substantiiert dazu vorzutragen, wieso auszuschließen ist, dass es sich um Belange handelt, die den Ausschluss der Öffentlichkeit im Sinne des § 50 Abs. 2 GO LSA i. V. m. der Geschäftsordnung des Stadtrates gerade nicht rechtlich rechtfertigen. Allein der Verweis der Antragstellerin darauf, dass es sich um die „Verwendungsnachweisprüfung“ der Mittelvergabe und damit um eine allgemeine Haushaltsangelegenheit handele, genügt der Glaubhaftmachung nicht. Denn dies gibt nur ihre Meinung wieder, ohne sich mit der aus dem Protokoll der Ratssitzung vom 19.04.2012 ersichtlichen Problematik auseinander zu setzen.

40

2. Auch soweit die Antragstellerin in der Begründung ihres Eilantrages auf ein von ihr gerügtes Mitwirkungsverbot nach § 31 GO LSA des Vorsitzenden des Stadtrates und die Verfahrensweise des Vorsitzenden bezüglich der Behandlung ihrer Anträge abstellt, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg des Antrages. Denn auch bei Unterstellung eines Mitwirkungsverbotes, welches für das Gericht jedenfalls nicht als abwegig erscheint, rechtfertigt dies aus den dargestellten Gründen nicht den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung und damit die (gerichtliche) Herstellung der Öffentlichkeit. Denn an der Auseinandersetzung mit den im Protokoll genannten Umständen sowie den zum Ausschluss führenden Tatbeständen fehlt es weiter. Darüber hinaus ist der Antrag eindeutig und nur auf die begehrte Behandlung des Themas im öffentlichen Teil der Sitzung beschränkt und nicht darauf gerichtet, ein Mitwirkungsverbot festzustellen oder gar auszusprechen. Vielmehr handelt es sich bei dem gerügten Mitwirkungsverbot des Vorsitzenden sowie der daraus resultierenden Verfahrensfehler um eine eigenständige kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit, deren Überprüfung gerade nicht von dem vorliegenden Eilantrag gedeckt ist. Die Prüfung dessen erübrigt sich daher in dem vorliegenden Verfahren.

41

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dort ist für kommunalrechtliche Streitigkeiten ein Streitwert von 10.000,00 Euro vorgesehen. Die Reduzierung des Streitwertes aufgrund des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens hält das Gericht nicht für geboten. Denn nach dem Sachantrag zielt das Begehren auf die endgültige Herstellung der Öffentlichkeit und damit auf eine gerichtliche Vorwegnahme der Hauptsache.


Tenor

Es wird festgestellt, dass der Ausschluss des Klägers aus der Sitzung des Pirmasenser Stadtrates am 27. Januar 2014 durch den Beklagten zu 1) rechtswidrig war.

Die Klage gegen den Beklagten zu 2) wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte zu 1) jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seinen vom Beklagten zu 1) ausgesprochenen Ausschluss von der Ratssitzung des Pirmasenser Stadtrates am 27. Januar 2014 sowie die Ablehnung seines Einspruchs dagegen durch den Beklagten zu 2).

2

Der Kläger war in der damaligen Kommunalwahlperiode und ist in der jetzigen Kommunalwahlperiode Mitglied des Stadtrates der Stadt Pirmasens; der Beklagte zu 1) ist als Oberbürgermeister Vorsitzender des Stadtrates, des Beklagten zu 2).

3

Am 27. Januar 2014 fand eine Sitzung des Beklagten zu 2) statt. Vor Eintritt in die Tagesordnung beantragte ein Ratsmitglied die Durchführung einer Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus. Nach dem Wortbeitrag eines anderen Ratsmitglieds forderte der Beklagte zu 1) die im Sitzungssaal Anwesenden auf, sich zur Gedenkminute zu erheben.

4

Danach meldete sich der Kläger mit dem Ruf „Zur Geschäftsordnung“ zu Wort. Der Beklagte zu 1) forderte den Kläger auf, ruhig zu sein, da die Gedenkminute begonnen habe. Der Kläger wiederholte den Zwischenruf mehrfach.

5

Ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Stadtratssitzung am 27. Januar 2014 erteilte der Beklagte zu 1) wegen der fortdauernden lautstarken Zwischenrufe „Zur Geschäftsordnung“ dem Kläger jeweils eine 1., 2. und 3. Ermahnung in Anbetracht der Störung der Gedenkminute. Danach verwies er den Kläger des Sitzungssaales und forderte ihn zum Verlassen des Saales auf.

6

Dieser Aufforderung kam der Kläger erst nach dem Hinweis des Beklagten zu 1) nach, ein weiteres Verbleiben im Sitzungssaal stelle einen Hausfriedensbruch dar und er werde zur Durchsetzung des Saalverweises den Ordnungsdienst rufen.

7

Mit Schreiben vom 27. Januar 2014 wandte sich der Kläger an die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion mit der Bitte, dem Beklagten zu 1) wegen der Vorfälle am 27. Januar 2014 eine Rüge zu erteilen. Der Ausschluss aus der Stadtratssitzung an diesem Tage sei nicht statthaft gewesen. Er habe mit seinen Rufen „Zur Geschäftsordnung“ lediglich von dem ihm zustehenden Recht, sich zu Wort zu melden, Gebrauch gemacht, was der Beklagte zu 1) mit drei „Ordnungsrufen“ und dem Sitzungsausschluss beantwortet habe.

8

Am 7. Februar 2014 erhob der Kläger gegen die „Ordnungsrufe“ und den Sitzungsausschluss Einspruch.

9

In der Stadtratssitzung am 24. Februar 2014 befasste sich der Beklagte zu 2), bevor er über den Einspruch des Klägers gegen den Sitzungsausschluss entschied, mit der Niederschrift zur Stadtratssitzung am 27. Januar 2014. Der Beklagte zu 1) erläuterte, es sei nicht von Bedeutung, ob Ordnungsrufe unter Verwendung des Begriffs „Ordnungsruf“ oder „Ermahnung“ erteilt worden seien. Der Kläger habe sie, wie seinen Ausführungen zu entnehmen sei, als Ordnungsrufe verstanden. Auf den Vorschlag des Beklagten zu 1), in der Einleitung der Niederschrift zur Stadtratssitzung vom 27. Januar 2014 den Begriff „Ermahnung“ in „Ordnungsruf“ umzuwandeln, erhob sich kein Widerspruch. Es erfolgte die Ergänzung zur Niederschrift vom 27. Januar 2014:

10

„* Nachtrag aufgrund des Beschlusses zu TOP 1 Einwendung gegen die Niederschrift der Stadtratssitzung vom 27.01.2014, in der Sitzung des Stadtrates am 24.02.2014:

11

Die Einleitung der Niederschrift über die Sitzung des Stadtrates am 27.01.2014 wurde dahingehend modifiziert, dass der Begriff „Ermahnung" in „Ordnungsruf" geändert wird.“

12

Den Einspruch des Klägers gegen die Ausschlussverfügung des Beklagten zu 1) lehnte der Beklagte zu 2) nach § 38 Abs. 3 Gemeindeordnung für Rheinland-Pfalz - GemO - mehrheitlich ab.

13

Der Kläger beantragte am 24. November 2014 die Gewährung von Prozesskostenhilfe zur beabsichtigten Klageerhebung, mit der er feststellen lassen will, dass sein Ausschluss aus der Sitzung des Pirmasenser Stadtrates am 27. Januar 2014 rechtswidrig war.

14

Nach Gewährung der beantragten Prozesskostenhilfe durch Beschluss der Kammer vom 26. Januar 2015, zugestellt am 30. Januar 2015, hat der Kläger am 30. Januar 2015 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die Klage sei zulässig und begründet.

15

Er habe das für eine solche Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse. Dieses folge aus der bestehenden Wiederholungsgefahr; denn der Kläger wolle sich auch weiterhin gegen aus seiner Sicht bestehende Verstöße gegen die Geschäftsordnung mit dem Zuruf „Zur Geschäftsordnung" zu Wort melden, ohne Ordnungsmaßnahmen des Beklagten zu 1) befürchten zu müssen.

16

Zudem sei der Sitzungsausschluss vom 27. Januar 2014 mit einer hochgradig diskriminierenden Wirkung verbunden, weil der Kläger im Nachgang zu dem hier streitgegenständlichen Vorgang auf Grund einer Strafanzeige des Beklagten zu 1) wegen Hausfriedensbruchs angeklagt und erstinstanzlich verurteilt worden sei; erst das Landgericht Zweibrücken habe das Verfahren im Berufungsrechtszug nach § 153 Abs. 2 Strafprozessordnung - StPO - ohne Auflagen eingestellt. Der Kläger habe daher ein legitimes Rehabilitationsinteresse.

17

Passiv prozessführungsbefugt seien der Oberbürgermeister der Stadt Pirmasens sowie der Stadtrat, weil das ansonsten geltende Rechtsträgerprinzip im Kommunalverfassungsstreit keine Anwendung finde. Die Klage sei gegen das die Ordnungsmaßnahme erlassende Organ zu richten.

18

Das Klagerecht sei auch nicht verwirkt, weil die insoweit als grober Richtwert entsprechend heranzuziehende Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - noch nicht abgelaufen sei. Der Kläger habe zunächst allein aus finanziellen Erwägungen von einer Klageerhebung abgesehen, weil er auf Grund seiner Einkommenssituation das Prozesskostenrisiko nicht habe auf sich nehmen wollen. Gleichwohl habe er während des gesamten gegen ihn gerichteten Strafverfahrens stets seine Rechtsauffassung bekräftigt, dass die von ihm getätigten Zurufe „Zur Geschäftsordnung" aus seiner Sicht rechtskonform gewesen seien.

19

Die Klage sei auch begründet. Die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1, 2 GemO seien nicht erfüllt gewesen. Es fehle bereits am Ausspruch eines förmlichen Ordnungsrufes. Es seien lediglich Ermahnungen erteilt worden; hiervon seien die Staatsanwaltschaft Zweibrücken sowie das Amtsgericht Pirmasens ausgegangen. Das Sitzungsprotokoll der Stadtratssitzung vom 27. Januar 2014 sei nicht dergestalt geändert worden, dass das Wort „Ermahnung" durch das Wort „Ordnungsruf" ersetzt worden sei. Der Beklagte zu 2) habe eine entsprechende Änderung gar nicht beschlossen, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll der Folgesitzung am 24. Februar 2014 ergebe. Laut Sitzungsprotokoll vom 24. Februar 2014 habe der Kläger beantragt, das Sitzungsprotokoll vom 27. Januar 2014 in einem ganz anderen Punkt zu berichtigen. Hierüber sei eine Aussprache erfolgt, in deren Rahmen der Beklagte zu 1) angeregt habe, den Berichtigungsantrag des Klägers mit der Maßgabe zur Abstimmung zu stellen, dass die Worte „Ermahnung" durch „Ordnungsruf" ersetzt würden. Die sodann durchgeführte Abstimmung habe aber zur Ablehnung des Berichtigungsantrags des Klägers einschließlich der vom Beklagten zu 1) angeregten Modifikation geführt.

20

Eine (formlose) Ermahnung sei etwas gänzlich anderes als ein (förmlicher) Ordnungsruf. Während die Ermahnung ein nicht in die Rechte des Ratsmitglieds eingreifender nicht justiziabler Hinweis auf beanstandungswürdiges Verhalten darstelle, handele es sich bei einem Ordnungsruf um eine rechtsförmige Maßnahme, die dadurch in die Rechte des Ratsmitglieds eingreife, dass sie die Vorstufe zu einem nachfolgenden Sitzungsausschluss darstellen könne. Mangele es bereits am Ausspruch eines förmlichen Ordnungsrufes, komme ein Sitzungsausschluss nicht in Betracht.

21

Selbst wenn der Beklagte zu 1) förmliche Ordnungsrufe erteilt hätte, könnten diese den ausgesprochenen Sitzungsausschluss nicht tragen, weil diese - unterstellten - Ordnungsrufe ihrerseits rechtswidrig wären. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Ordnungsrufes hätten nicht vorgelegen. Gemäß § 38 Abs. 1 GemO setze die Verhängung eines Ordnungsrufes einen Verstoß gegen Bestimmungen der Geschäftsordnung oder aber ein grob ungebührliches Verhalten voraus. Beides sei vorliegend nicht gegeben gewesen. Der Kläger habe durch seinen Zuruf „Zur Geschäftsordnung" nicht gegen die Geschäftsordnung verstoßen.

22

Auch ein grob ungebührliches Verhalten sei dem Kläger nicht vorzuwerfen. „Grob ungebührlich" seien nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz Beschimpfungen oder die Verächtlichmachung anderer Sitzungsteilnehmer. Der Ordnungsruf sei gerechtfertigt, wenn die Grenzen des Erträglichen überschritten würden, wozu letztlich auf die „parlamentarischen" Gepflogenheiten Bezug zu nehmen sei. Nach diesen Maßstäben könne dem Kläger keine „grobe Ungebühr" angelastet werden, denn er habe sich lediglich im Einklang mit § 18 der Geschäftsordnung des Stadtrates „Zur Geschäftsordnung" zu Wort gemeldet. Ein von der Geschäftsordnung erlaubtes Verhalten könne schon denknotwendig nicht gleichzeitig eine „grobe Ungebühr" darstellen.

23

Der Kläger beantragt,

24

festzustellen, dass sein Ausschluss aus der Sitzung des Pirmasenser Stadtrates am 27. Januar 2014 rechtswidrig war.

25

Die Beklagten beantragen,

26

die Klage abzuweisen.

27

Die Beklagten rügen zunächst, dass es an einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis fehle. Durch die Kommunalwahl 2014 sei eine Zäsur erfolgt, d. h. die jetzigen Rechte des Klägers als Ratsmitglied beruhten auf der Kommunalwahl 2014. Die Rechte, die der Kläger zum Zeltpunkt der hier in Streit stehenden Stadtratssitzung innegehabt habe, hätten hingegen auf der Kommunalwahl 2009 beruht.

28

Ebenfalls fraglich erscheine, ob der Beklagte zu 1) tauglicher Gegner einer solchen Klage sein könne im Sinne des Funktionsträgerprinzips, da jedenfalls das VG Köln in einem vergleichbaren Fall zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ein Bürgermeister nicht mehr Klagegegner sei, wenn sich die Kommunalvertretung den Vorgang zu Eigen gemacht habe. Die ursprüngliche Ordnungsmaßnahme des Bürgermeisters sei mit dem Stadtratsbeschluss gegenstandslos geworden (VG Köln, Gerichtsbescheid vom 12. Mai 2009 - 4 K 3752/08 -). Damit wäre hier die Klage zumindest in diesem Teil ohne Aussicht auf Erfolg, da der Beklagte zu 2) den Sitzungsausschluss in seiner Sitzung vom 24. Februar 2014 bestätigt habe. Der Beklagte zu 1) sei nicht mehr das entsprechende „Kontrastorgan", sondern ausschließlich der Beklagte zu 2).

29

Ob ein grob ungebührliches Verhalten oder ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung im Sinne des § 38 Abs. 1 GemO vorgelegen habe, brauche nicht entschieden zu werden, da letztlich im Verhalten des Klägers, das als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei, sowohl ein grob ungebührliches Verhalten liege als auch ein Verstoß gegen die immanenten Grundsätze der Geschäftsordnung zu sehen sei.

30

Es handele sich bei der Gedenkminute nicht um einen Tagesordnungspunkt, der gesondert und per Abstimmung hätte formell auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen. Das Protokoll spreche insofern auch nur von einer „Anregung" und nicht von einem formellen Antrag auf Aufnahme auf die Tagesordnung. Ein solches Gedenken sei einem Beschluss im Sinne einer Sachentscheidung nicht zugänglich, da diese eine faktische Handlung darstelle, bei der jedes Ratsmitglied nach freiem Gewissen entscheiden könne, ob es teilnehme oder nicht. „Normale" Tagesordnungspunkte seien hingegen davon geprägt, dass der Stadtrat sich mit einer Angelegenheit innerhalb seiner Organzuständigkeit befasse, zu der er dann im Regelfall eine Entscheidung zu treffen habe. Das sei bei einer Gedenkminute nicht der Fall. Im Übrigen beschränke sich eine Gedenkminute nicht auf die Befassung der Mitglieder des Stadtrates, an der Durchführung einer Gedenkminute nähmen auch die anwesenden Mitarbeiter der Verwaltung sowie das Publikum teil, soweit sie dies im Einzelfall wollten. Allein dies zeige, dass es nicht sinnig sei, den Fall unter dem Blickwinkel der Aufnahme auf die Tagesordnung des Stadtrates zu sehen. Dies sei bislang nicht so gehandhabt und nicht beanstandet worden - auch nicht vom Kläger.

31

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass eine Abstimmung über das Stattfinden einer Gedenkminute notwendig gewesen wäre, so läge diese konkludent darin, dass sich bis auf wenige Ausnahmen die Ratsmitglieder und übrigen Anwesenden zur Gedenkminute bereits erhoben gehabt hätten und diese faktisch bereits begonnen gehabt habe, als der Kläger zu seinen Rufen angesetzt habe. Dazu passend seien die Verwaltung und wohl auch der fast vollständige Rat davon ausgegangen, dass die Redebeiträge beendet gewesen seien. Dementsprechend sei der Kläger nicht als Redner vorgemerkt gewesen.

32

Das Gericht hat zur Frage, mit welchen Worten sich der Beklagte zu 1) in der Sitzung am 27. Januar 2014 an den Kläger nach dessen Rufen „Zur Geschäftsordnung“ gewandt hat, durch Zeugenvernehmung Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 10. November 2015 verwiesen.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die bezüglich der Sitzung des Stadtrates der Stadt Pirmasens vom 27. Januar 2014 und 24. Februar 2014 gefertigten Unterlagen sowie die weiteren von den Beteiligten vorgelegten Schreiben verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 10 November 2015 waren. Des Weiteren wird Bezug genommen auf die Niederschrift vom 10. November 2015.

Entscheidungsgründe

34

Die Klagen gegen den Beklagten zu 1) und den Beklagten zu 2) sind zulässig (1.). Die Klage gegen den Beklagten zu 1) ist auch begründet (2.), während die Klage gegen den Beklagten zu 2) unbegründet ist (3.).

35

1. Die Klagen sind nach § 43 VwGO als Feststellungsklagen in Kommunalverfassungsstreitigkeiten zulässig, da der Kläger geltend machen kann, durch den Ausschluss aus der Sitzung des Stadtrates der Stadt Pirmasens am 27. Januar 2014 in eigenen Rechten als Ratsmitglied verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO, § 30 GemO).

36

Der Zulässigkeit der Klage steht insoweit nicht entgegen, dass es um ein Rechtsverhältnis aus einer vergangenen Kommunalwahlperiode geht. Rechtsverhältnisse aus einer vergangenen Wahlperiode sind noch feststellungsfähig, wenn der Kläger weiterhin Ratsmitglied ist, selbst wenn die Person des Bürgermeisters gewechselt hat. Es ist nämlich ein Interesse daran anzuerkennen, dass das Ratsmitglied die im Kreise seiner Kollegen verbleibende diskriminierende Wirkung abzuwenden sucht und im Übrigen bestrebt ist, eine Klärung im Hinblick auf zukünftig mögliche Fallgestaltungen herbeizuführen, um sein Mitwirkungsrecht abzusichern (vgl. OVG RP, Urteil vom 29. November 1994 - 7 A 10194/94 -, AS RP-SL 25, 74 [76]). Im vorliegenden Falle liegt es so, dass der Kläger weiterhin Ratsmitglied und der Oberbürgermeister weiterhin im Amt ist. Der Ablauf der Kommunalwahlperiode 2009 bis 2014 steht somit der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

37

Vor Erhebung der Klage hat der Kläger auch gemäß § 38 Abs. 3 GemO von dem förmlichen Rechtsbehelf des Einspruchs gegen die Ausschlussverfügung des Beklagten zu 1) Gebrauch gemacht. Da der klägerische Einspruch von dem Beklagten zu 2) in der auf die Stadtratssitzung am 27. Januar 2014, von der der Kläger ausgeschlossen wurde, folgenden Ratssitzung am 24. Februar 2014 zurückgewiesen wurde (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 3 GemO), kann der Kläger den Klageweg beschreiten.

38

2. Die Klage gegen den Beklagten zu 1) ist begründet. Sie richtet sich gegen den richtigen Passivlegitimierten (a.). Der Ausschluss aus der Sitzung des Stadtrates der Stadt Pirmasens am 27. Januar 2014 durch den Beklagten zu 1) ist rechtswidrig (b.), so dass eine entsprechende Rechtswidrigkeitsfeststellung von der Kammer nach § 43 Abs. 1 VwGO zu treffen war.

39

a. Der Beklagte zu 1) ist richtiger Klagegegner und damit passivlegitimiert. Im Kommunalverfassungsstreit entscheidet die innerorganisatorische Kompetenz- und Pflichtenzuordnung über die Frage der Passivlegitimation (vgl. OVG RP, Beschluss vom 1. Dezember 1994 - 7 B 12954/94 -, AS 25, 74; Urteil vom 2. September 1986 - 7 A 7/86 -, DVBl. 1987, 147). Passivlegitimiert ist danach das Organ der Gemeinde, dem die für das streitige Handeln erforderliche interne  zuzurechnen ist. Die  für den streitgegenständlichen Ausschluss aus der Sitzung des Stadtrates Pirmasens am 27. Januar 2014 steht nach § 38 Abs. 1 Satz 2 GemO dem Vorsitzenden des Rates zu. Den Vorsitz im Gemeinderat führt nach § 36 Abs. 1 Satz 1, Hs. 1 GemO der Bürgermeister, hier der Oberbürgermeister (vgl. § 28 Abs. 2 GemO). An diesen nach der Gemeindeordnung dem Beklagten zu 1) als Ratsvorsitzendem zustehenden Ordnungsbefugnissen gegenüber Ratsmitgliedern, wozu ein Sitzungsausschluss unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 GemO zählt, ändert der Umstand, dass der Gemeinderat, hier also der Stadtrat, über einen Einspruch gegen einen Sitzungsausschluss nach § 38 Abs. 3 GemO zu entscheiden hat, nichts. Diese Ordnungsmaßnahme, zu deren Verhängung nach der Kompetenzregelung der Gemeindeordnung ausschließlich der Vorsitzende des Gemeinderates zuständig ist, wird durch die Entscheidung über den Einspruch gegen die Maßnahme nicht zu einer Entscheidung des Gemeinderates. Zweck des Einspruchsverfahren ist zunächst eine organinterne Schlichtung herbeizuführen (vgl. Schaaf in Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz - KVR RP - , § 38 GemO Anm. 4.1.1) und, wenn dies scheitert, die Maßnahme des Ratsvorsitzenden zu überprüfen. Die Entscheidungsbefugnis über einen Einspruch gegen eine nach § 38 Abs. 1 GemO von dem Ratsvorsitzenden getroffene Ordnungsmaßnahme bedeutet jedoch nicht, dass die Ordnungsbefugnisse des Ratsvorsitzenden quasi auf den Gemeinderat übergehen und die verhängte Maßnahme zu einer solchen des Stadtrates wird. Die Befugnis, über einen Einspruch nach § 38 Abs. 3 GemO zu entscheiden, vermag die gesetzliche Kompetenzregelung für Ordnungsbefugnisse gemäß § 38 Abs. 1 GemO nicht zu ändern.

40

b. Der Sitzungsausschluss des Klägers von der Sitzung des Stadtrates Pirmasens am 27. Januar 2014 durch den Beklagten zu 1) ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 38 Abs. 1 Satz 2 GemO nicht vorlagen.

41

Auf das Verhalten des Klägers und des Beklagten zu 1) sind die Regeln der Gemeindeordnung anwendbar. Denn der Stadtrat der Stadt Pirmasens befand sich im hier maßgeblichen Zeitpunkt - Durchführung der Gedenkminute am 27. Januar 2014 - bereits in der Ratssitzung. Der Beklagte zu 1) hatte in seiner Eigenschaft als Ratsvorsitzender laut Niederschrift über die öffentliche Stadtratssitzung vom 27. Januar 2014 die Stadtratssitzung eröffnet, die form- und fristgerechte Ladung sowie die Beschlussfähigkeit des Stadtrates festgestellt (vgl. § 36 Abs. 2 GemO). Des Weiteren teilte er mit, in der zuvor stattgefundenen nicht öffentlichen Stadtratssitzung sei angeregt worden, zu Beginn der öffentlichen Stadtratssitzung eine Gedenkminute aus Anlass des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus einzulegen. Befand sich der Stadtrat der Stadt Pirmasens somit in der Stadtratssitzung, so standen dem Beklagten zu 1) als Ratsvorsitzendem nach § 36 Abs. 1 Satz 1 GemO die Ordnungsbefugnisse gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 GemO zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu Gebote.

42

Nach dieser Vorschrift kann der Vorsitzende des Gemeinderates nach dreimaligem Ordnungsruf Ratsmitglieder von der Sitzung ausschließen und erforderlichenfalls zum Verlassen des Sitzungsraumes auffordern. Mit einem Ordnungsruf nach § 38 Abs. 1 Satz 1 GemO kann der Ratsvorsitzende ein grob ungebührliches Verhalten eines Ratsmitglieds oder einen Verstoß gegen Bestimmungen der Geschäftsordnung des Rates ahnden. Dem Ordnungsruf kommt insoweit eine Feststellungsfunktion zu, als mit ihm festgestellt wird, dass das Verhalten eines Ratsmitglieds grob ungebührlich war oder das Ratsmitglied gegen die Geschäftsordnung des Rates verstoßen habe. Daneben erfüllt der Ordnungsruf aber auch eine Warnfunktion. Dem störenden Ratsmitglied wird deutlich gemacht, dass sein Verhalten vom Ratsvorsitzenden nicht hingenommen wird. Lässt das Ratsmitglied sich den Ordnungsruf eine Warnung sein und richtet sein Verhalten entsprechend ein, so hat der Ordnungsruf keine weiteren Folgen. Wiederholt das Ratsmitglied jedoch sein beanstandetes Verhalten, so kann der Ratsvorsitzende dies nach dreimaligem Ordnungsruf gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 GemO mit einem Sitzungsausschluss ahnden. Der Sitzungsausschluss ist aber keine automatische Folge dreier ergangener Ordnungsrufe (vgl. „kann“).

43

Wegen dieser Sanktionsmöglichkeit muss eine als förmlicher Ordnungsruf zu qualifizierende Maßnahme für das betroffene Ratsmitglied klar erkennbar sein. Es darf kein Zweifel bestehen, dass ein Ordnungsruf erteilt wurde. Denn der förmliche Ordnungsruf mit seiner Feststellungs- und Warnfunktion stellt einen Eingriff in die Statusrechte des Ratsmitglieds dar (OVG RP, Urteil vom 29. November 1994 - 7 A 10194/94 -, AS RP-SL 25, 74 [77]). Der Ordnungsruf muss daher von anderen Maßnahmen, die dem Ratsvorsitzenden zur Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung zu Gebote stehen, eindeutig abzugrenzen sein. Denn dem Ratsvorsitzenden stehen mit Appellen, Rügen oder Ermahnungen andere im Rahmen der Leitungs- und Ordnungsbefugnisse - sozusagen unterhalb der Stufe des Ordnungsrufes und damit im Vorfeld einer rechtlich erheblichen Maßnahme - zu ergreifende Maßnahmen zur Verfügung, um Ratsmitglieder zu ordnungsgemäßem Verhalten anzuhalten. Auch wenn der Ratsvorsitzende sich nicht unbedingt der Worte „Ich rufe Sie zur Ordnung“ bedienen muss, so muss er doch mit der erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, dass das Ratsmitglied nicht nur unverbindlich ermahnt oder gerügt werden soll, sondern dass das in der Gemeindeordnung vorgesehene förmliche Disziplinarmittel des Ordnungsrufes eingesetzt werden soll. Neben der eindeutigen Identifikation der Worte des Ratsvorsitzenden als Ordnungsruf muss für das betroffene Ratsmitglied erkennbar sein, dass es sich um drei Ordnungsrufe handelt. Das Ratsmitglied muss in der Lage sein, jeden Ordnungsruf einzeln mitzuzählen. Das Verhalten des Ratsvorsitzenden muss demnach auch insoweit klar und unmissverständlich sein und darf keine Zweifel daran zulassen, dass er das Ratsmitglied nicht nur ermahnen, sondern mit einem Ordnungsruf bzw. mehreren Ordnungsrufen belegt hat.

44

Gemessen an diesen für Ordnungsrufe zu fordernden strengen Maßstäben ist festzustellen, dass der Beklagte zu 1) dem Kläger keine drei Ordnungsrufe erteilt hat, bevor er ihn von der Stadtratssitzung am 27. Januar 2014 ausgeschlossen hat.

45

Laut Sitzungsniederschrift vom 27. Januar 2014 hat der Beklagte zu 1), nachdem die Gedenkminute begonnen und die Mehrheit der Ratsmitglieder sich von ihren Sitzen erhoben hatte, den Kläger auf dessen Zuruf „Zur Geschäftsordnung“ hin zunächst auf die Gedenkminute verwiesen. Nach wiederholten Zurufen des Klägers erteilte der Beklagte zu 1) dem Kläger „wegen der fortdauernden lautstarken Zwischenrufe „Zur Geschäftsordnung“ jeweils eine 1., 2. und 3. Ermahnung in Anbetracht der Störung der Gedenkminute.“ Dieser Wortlaut der Sitzungsniederschrift ist eindeutig. Danach handelte es sich gerade nicht um einen oder mehrere Ordnungsrufe, sondern um ein unterhalb der Stufe des förmlichen Ordnungsrufes und damit im Vorfeld einer rechtlich erheblichen Maßnahme liegendes Ordnungsmittel. Allein die Nummerierung der Ermahnungen verleiht diesen nicht den Charakter von Ordnungsrufen. Danach hat der Beklagte zu 1) dem Kläger keine Ordnungsrufe, sondern „Ermahnungen“ erteilt.

46

Die Richtigkeit dieser Sitzungsniederschrift vom 27. Januar 2014 hat auch der Beklagte zu 1) mit seiner Unterschrift bestätigt, denn nach § 41 Abs. 1 Satz 2 GemO ist jede Niederschrift über eine Gemeinderatssitzung von dem Vorsitzenden, hier also dem Beklagten zu 1), zu unterschreiben.

47

Die Niederschrift verfügt über eine erhöhte Beweiskraft sowohl hinsichtlich der gefassten Beschlüsse als auch hinsichtlich der geschilderten Sachverhalte. Denn bei einer ordnungsgemäß zustande gekommenen Niederschrift handelt es sich um eine öffentliche Urkunde (Erlenkämper, NVwZ 1993 S. 432). Nach den §§ 415, 417 und 418 Zivilprozessordnung - ZPO - bedeutet dies, dass die Niederschrift alleine bereits einen vollen Beweis für die in ihr bezeugten Sachverhalte erbringt. Allerdings ist, da es keine landesrechtliche Ausnahmevorschriften gibt, der Gegenbeweis grundsätzlich zulässig, der hier aber nicht geführt ist.

48

Nach der Beweisaufnahme durch Befragung der in der Stadtratssitzung am 27. Januar 2014 tätigen Protokollführerin steht für die Kammer fest, dass die Sitzungsniederschrift mit dem Begriff „Ermahnung“ die damaligen Worte des Beklagten zu 1) an den Kläger zutreffend wiedergibt. Die Zeugin gab als die genaue Wortwahl des Beklagten zu 1) an:

49

“Ich erteile Ihnen eine Ermahnung.“

50

Ein weiterer zur mündlichen Verhandlung geladener und anwesender Zeuge, der ebenfalls für die Protokollierung der Sitzung am 27. Januar 2014 zuständig war, wurde nicht mehr gehört, nachdem der Bevollmächtigte des Beklagten zu 1) unter Hinweis darauf, dieser Zeuge werde sich ebenfalls wie die vernommene Zeugin äußern, auf eine weitergehende Beweiserhebung verzichtet hatte. Damit wurde aber auch die Richtigkeit der Bekundungen der Zeugin eingeräumt.

51

Mit seiner eindeutigen Wortwahl hat der Beklagte zu 1) an den Kläger gerichtete Ermahnungen ausgesprochen, nicht aber Ordnungsrufe erteilt.

52

Anhaltspunkte dafür, dass es sich tatsächlich entgegen der klaren Wortwahl („Ermahnung“) um Ordnungsrufe handeln sollte, sind nicht ersichtlich. Ein solcher Anhaltspunkt hätte ein angedrohter Ausschluss aus der Stadtratssitzung sein können, da dieser drei Ordnungsrufe voraussetzt. Mit der Androhung eines Ausschlusses aus der Stadtratssitzung, der nicht die automatische Folge von drei Ordnungsrufen ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 GemO: „kann“), sondern einer eigenständigen Entscheidung des Ratsvorsitzenden bedarf (vgl. Schaaf in KVR RP, § 38 GemO Anm. 3.1.1), wäre dem angesprochenen Ratsmitglied (dem Kläger) unmissverständlich bedeutet worden, dass sein Verhalten von dem Ratsvorsitzenden nicht sanktionslos hingenommen wird, sondern dieser den Sitzungsausschluss als nächste Sanktionsmaßnahme ergreifen kann. Damit hätte das Ratsmitglied (der Kläger) nochmals Gelegenheit erhalten, sein Verhalten zu überdenken. Die Warnfunktion eines Ordnungsrufes wäre dann erfüllt gewesen.

53

Mit den ausgesprochenen Ermahnungen war vorliegend aber keine Androhung des Sitzungsausschlusses verbunden worden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 27. Januar 2014 hatte der Beklagte zu 1) seine Ermahnungen nicht mit der Androhung verbunden, er werde den Kläger im Wiederholungsfalle - erneutes Rufen „Zur Geschäftsordnung“ - von der Stadtratssitzung ausschließen. Die als Zeugin gehörte Protokollführerin vom 27. Januar 2014 konnte sich auf Befragen nicht mehr erinnern, ob der Beklagte zu 1) dem Kläger den Sitzungsausschluss angedroht hatte. Auch der Stellungnahme des Beklagten zu 1) vom 10. Februar 2014 zum Einspruch des Klägers ist dazu nichts zu entnehmen, sondern nur, dass der Kläger nach „drei erfolglosen Ordnungsrufen“ zum Verlassen des Sitzungssaales aufgefordert wurde.Auch in den übrigen von den Beteiligten der Kammer vorgelegten Unterlagen findet sich kein Hinweis auf eine Androhung des Sitzungsausschlusses. Maßgeblich bleibt somit die Wortwahl des Beklagten zu 1). Danach hat er dem Kläger drei Ermahnungen, aber keine Ordnungsrufe erteilt.

54

Ob sich der Beklagte zu 1) angesichts seiner Einlassung in der Stadtratssitzung am 24. Februar 2014 des Unterschiedes zwischen Ermahnung und Ordnungsruf bewusst war, erscheint angesichts seiner Äußerung, es sei nicht von Bedeutung, ob der Begriff Ermahnung oder Ordnungsruf verwendet werde, denn der Kläger habe seine Ermahnung als Ordnungsruf verstanden, zumindest zweifelhaft. Denn im Zeitpunkt der ausgesprochenen Ermahnungen hatte der Beklagte zu 1) keine Veranlassung anzunehmen, der Kläger habe die Ermahnungen als Ordnungsrufe verstanden. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, auf Grund welcher Umstände der Beklagte zu 1) in der Sitzung am 27. Januar 2014 hätte erkennen können, dass der Kläger in dem Satz “Ich erteile Ihnen eine Ermahnung“ entgegen des insoweit klaren Wortlauts Ordnungsrufe verstehen und diesen damit die Ordnungsrufen immanente Warnfunktion beilegen würde.

55

Allein der Wille des Beklagten zu 1), dem Kläger Ordnungsrufe zu erteilen, ist hier auch nicht maßgeblich, weil dieser Wille nicht verlautbart wurde. Der Wille, ein förmliches Ordnungsmittel anzuwenden, muss jedoch angesichts der Bedeutung dieser förmlichen Ordnungsmaßnahme und möglicher Folgen (Sitzungsausschluss) klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden und darf keinem Zweifel unterliegen. Unklarheiten gehen insoweit nicht zu Lasten des Ratsmitgliedes (Schaaf, a.a.O., Anm. 3.1).

56

Eine einem Ratsmitglied erteilte Ermahnung, sein grob ungebührliches Verhalten aufzugeben oder von Verstößen gegen die Geschäftsordnung des Rates Abstand zu nehmen, kann wegen der einem Ordnungsruf zukommenden Warnfunktion und der möglichen Sanktionen auch nicht nachträglich durch einen Ratsbeschluss (vgl. § 41 Abs. 3 GemO) in einen Ordnungsruf umgedeutet werden.

57

Zutreffend ist zwar, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 27. Januar 2014 an die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion die Ermahnungen als „Ordnungsrufe“ bezeichnet hatte. In der mündlichen Verhandlung der Kammer hat er dieses Verständnis der Ermahnungen jedoch ausdrücklich in Abrede gestellt mit der Begründung, er sei sich des Unterschiedes zwischen Ermahnungen und Ordnungsrufen damals nicht bewusst gewesen.

58

Ist der Sitzungsausschluss des Klägers aus der Stadtratssitzung am 27. Januar 2014 somit aus formalen Gründen rechtswidrig, so wird, um entsprechenden Konstellationen in der Zukunft und damit einer Wiederholungsgefahr (siehe Klagebegründung, S. 6) vorzubeugen, auf Folgendes hingewiesen:

59

Bei dem Begriff der „groben Ungebühr“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Bei der Subsumtion eines Verhaltens unter diesen Begriff ist maßgeblich der Zweck der sich aus § 38 GemO ergebenden Ordnungsbefugnisse des Ratsvorsitzenden, nämlich Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung, störungsfreier und sachlicher Beratungsverlauf. Ein mit diesen Zielen nicht zu vereinbarendes Verhalten eines Ratsmitglieds ist ungebührlich, aber es muss deswegen noch nicht zwangsläufig in jedem Fall grob ungebührlich sein. Erst wenn das Verhalten die Grenzen des Erträglichen erheblich überschreitet, kann von grober Ungebühr gesprochen werden. Wird durch Äußerungen der Ablauf der Gemeinderatssitzung unmöglich gemacht oder jedenfalls erheblich erschwert, liegt eine erhebliche Störung der Sitzungsordnung (gleichbedeutend mit dem Begriff der „groben Ungebühr“, Schaaf in KVR RP, § 38 Anm. 2.1) vor. Die Charakterisierung eines Verhaltens als dieser Verhaltenskategorie zugehörig hängt stets von den Umständen des Einzelfalles ab.

60

Gemessen an diesen Kriterien ist ein einmaliger Ruf „Zur Geschäftsordnung“ während einer Gedenkminute zwar ungebührlich, ob damit aber bereits die Grenze zur Grobheit überschritten ist, erscheint zumindest fraglich.

61

Grob ungebührlich ist nach diesen Grundsätzen aber ein wiederholtes ungebührliches Verhalten, das dem Sinn und Zweck einer Gedenkminute widerspricht bzw. ihre Durchführung unmöglich macht.

62

Gedenkminute ist ein Zeitabschnitt von einigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten, in denen die Betreffenden in ihren Alltagsabläufen und -tätigkeiten innehalten und still gedenken. Sie ist die öffentliche Bekundung der Trauer und des Mitgefühls für Opfer und Hinterbliebene. Wird eine so kurze Zeitspanne mehrmals gestört, so ist ein Innehalten und Sich-Sammeln der zum Gedenken Willigen nicht mehr möglich. Die Betreffenden werden aus ihren Gedanken und ihrer Besinnung gerissen, gestört. Eine erneute Besinnung auf den Gedenkanlass ist in der kurzen noch verbleibenden Zeit zum Gedenken nur schwerlich oder überhaupt nicht mehr möglich. Verliert die Gedenkminute durch die (mehrfachen) Störungen aber ihren Charakter als Zeit der Erinnerung und Besinnung, so liegt hierin ein grob ungebührliches Verhalten.

63

3. Die Klage gegen den Beklagten zu 2) ist unbegründet, da dieser nicht passivlegitimiert ist. Es kann auf die Ausführungen unter 2.a. verwiesen werden.

64

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

65

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

66

Beschluss

67

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,-- € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG); hiervon entfallen 10.000,-- € auf die Klage gegen den Beklagten zu 1) und 10.000,-- € auf die Klage gegen den Beklagten zu 2).

68

Gegen die Festsetzung des Streitwertes steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG dieBeschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

69

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung zur Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

70

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Robert-Stolz-Str. 20, 67433 Neustadt, schriftlich, in elektronischer Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen.

71

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Rheinland-Pfalz (ERVLVO) vom 10. Juli 2015 (GVBl. S. 175) in der jeweils geltenden Fassung zu übermitteln ist.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.