Verwaltungsgericht Köln Urteil, 10. Nov. 2016 - 1 K 839/15.A
Gericht
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 04.02.2015 wird aufgehoben.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.
1
Tatbestand
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 1. ist der Vater der Kläger zu 2. und zu 3. Der Kläger zu 2. ist am 00.00.0000 geboren, der Kläger zu 3. am 00.00.0000. Die Kläger stammen aus Priština und sind kosovarischer Staatsangehörigkeit. Ihre Eltern bzw. Großeltern sind die Kläger des Verfahrens VG Köln 1 K 838/16.A.
3Die Kläger reisten auf dem Landweg u.a. über Ungarn in das Bundesgebiet ein und stellten am 10.11.2014 unter Vorlage von Personaldokumenten einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte. Da nach dem Ergebnis der ersten Befragung Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit Ungarns zur Durchführung des Asylverfahrens gegeben waren, richtete das Bundesamt am 10.12.2014 ein Übernahmeersuchen an die ungarischen Behörden. Der Kläger habe am 14.10.2014 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Am 16.12.2015 erklärte die ungarische Regierung, Ungarn erkenne die Verpflichtung zur Rücknahme des Klägers an. Er habe am 13.10.2014 einen Asylantrag gestellt, sei in Begleitung seiner beiden Söhne gewesen. Alle drei Personen seien aber alsbald verschwunden, und das Verfahren sei am 11.11.2014 eingestellt worden.
4Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 04.02.2015, gestützt auf §§ 27a, 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, fest, dass der Asylantrag der Kläger unzulässig sei (Ziffer 1.) und ordnete die Abschiebung der Kläger nach Ungarn an (Ziffer 2.).
5Am 11.02.2015 haben die Kläger hiergegen Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung gestellt. Mit Beschluss vom 30.04.2015 – 1 L 358/15.A – hat das Gericht dem Eilantrag entsprochen.
6Die Kläger beantragen,
7den Bescheid der Beklagten vom 04.02.2015 aufzuheben.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 1 L 357/15.A sowie den der jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
11Entscheidungsgründe
12Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
13Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig und begründet.
14Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 04.02.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Bundesamt hat zu Unrecht die Asylanträge der Kläger nach § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung der Kläger nach Ungarn angeordnet.
15Die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig unter Ziffer 1. des angefochtenen Bescheides ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylG, rechtswidrig, weil sie nicht im Einklang mit § 27a AsylG steht. Nach dieser Bestimmung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Zwar bestand hier nach Art. 18 Abs. 1 b der Dublin-III-VO, die im vorliegenden Fall nach Art. 49 Dublin-III-VO Anwendung findet, zunächst eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung der Asylanträge der Kläger, gleichwohl ist heute die Beklagte auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Prüfung des Begehrens der Kläger zuständig. Denn die Überstellung nach Ungarn erweist sich als unmöglich, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat der Europäischen Union systemische Schwachstellen aufweist, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen und die weitere Prüfung nach einem zuständigen Mitgliedstaat nach Ablauf der Fristen für die Stellung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen, vgl. Art. 21 und 23 Dublin-III-VO, keinen Erfolg verspricht. Auf die den Beteiligten bekannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Köln,
16vgl. Urteile vom 15.07.2015 - 3 K 2005/15.A –, vom 08.09.2015– 18 K 3798/15.A –, vom 22.12.2015 – 2 K 3464/15.A –, vom07.03.2016 – 16 K 3587/15.A –, vom 07.03.2016 – 16 K 3587/15.A –und vom 27.10.2016 – 16 K 7084/15.A,
17wird zur Vermeidung entbehrlicher Wiederholungen Bezug genommen.
18Die Kammer schließt sich dieser Einschätzung an. Es ist nichts vorgetragen oder er-sichtlich, dass sich die maßgeblichen Umstände in Ungarn aktuell nennenswert (posi-tiv) geändert hätten und keine systemischen Mängel mehr bestehen. Neuere Erkenntnisse, die eine andere Beurteilung gebieten, liegen nach Einschätzung der Kammer nicht vor. Auch im Oktober 2016 leidet das gesamte Asylhaftsystem in Ungarn an so gravierenden Mängeln, dass die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO nach Auffassung des VGH Baden-Württemberg,
19vgl. Urteil vom 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 -, juris,
20erfüllt sind und selbst einem alleinstehenden männlichen Schutzsuchenden nicht zugemutet werden können soll, in Ungarn ein Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes zu betreiben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war in seiner Entscheidung vom 03.07.2014 (71932/12) zunächst davon ausgegangen, dass die Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn gegenüber der bis 2013 geltenden dortigen Rechtslage nicht mehr durch schwerwiegende Mängel gekennzeichnet gewesen sei. Aktuellere Erkenntnismittel,
21u.a. UNHCR, Bericht vom 07.01.2015,
22berichten allerdings wieder von gravierenden Mängeln der ungarischen Rechtsprechungspraxis, und eine neuere Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.07.2016 (Nr. 9912/15) belegt, dass das Gericht die ungarische Inhaftierungspraxis bemängelt und zumindest einem davon betroffenen Asylsuchenden, der einer sogenannten „verletzlichen Gruppe“ angehört, einen Ersatzanspruch wegen eines immateriellen Schadens zugesprochen hat,
23vgl. dazu EGMR, Entscheidung vom 05.07.2016 (Nr. 9912/15), RZ. 49f des amtlichen Abdrucks und VGH Baden-Württemberg a.a.O., RZ 34.
24Die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn auf der Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist aus den vorstehenden Gründen ebenfalls aufzuheben.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
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(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.