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| Art. 20 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) - Unionsbürgerschaft |
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| (1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht. |
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| (2) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem |
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| a) das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten; …. |
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| Art. 21 Abs. 1 AEUV - Freizügigkeit |
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| (1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. |
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| 2. Nationale Rechtsvorschriften |
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| § 5 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) - Ausbildung im Ausland |
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| (1) Der ständige Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes ist an dem Ort begründet, der nicht nur vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist, ohne dass es auf den Willen zur ständigen Niederlassung ankommt; wer sich lediglich zum Zwecke der Ausbildung an einem Ort aufhält, hat dort nicht seinen ständigen Wohnsitz begründet. |
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| (2) Satz 1 Auszubildenden, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, wird Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte, wenn |
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| 1. ….. 2. ….. 3. eine Ausbildung an einer Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in der Schweiz aufgenommen oder fortgesetzt wird. |
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| § 6 BAföG - Förderung der Deutschen im Ausland |
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| Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, die ihren ständigen Wohnsitz in einem ausländischen Staat haben und dort oder von dort aus in einem Nachbarstaat eine Ausbildungsstätte besuchen, kann Ausbildungsförderung geleistet werden, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalles dies rechtfertigen. Art und Dauer der Leistungen sowie die Anrechnung des Einkommens und Vermögens richten sich nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland. § 9 Absatz 1 und 2 sowie § 48 sind entsprechend, die §§ 36 bis 38 sind nicht anzuwenden. |
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| (1) Für eine Ausbildung im Ausland nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 oder Abs. 5 wird Ausbildungsförderung längstens für die Dauer eines Jahres geleistet. Innerhalb eines Ausbildungsabschnitts gilt Satz 1 nur für einen einzigen zusammenhängenden Zeitraum, soweit nicht der Besuch von Ausbildungsstätten in mehreren Ländern für die Ausbildung von besonderer Bedeutung ist. |
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| (2) Darüber hinaus kann während drei weiterer Semester Ausbildungsförderung geleistet werden für den Besuch einer Ausbildungsstätte, die den im Inland gelegenen Hochschulen gleichwertig ist, wenn er für die Ausbildung von besonderer Bedeutung ist. |
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| (3) In den Fällen des § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 wird Ausbildungsförderung ohne die zeitliche Begrenzung der Absätze 1 und 2 geleistet, in den Fällen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 jedoch nur dann über ein Jahr hinaus, wenn der Auszubildende bei Beginn eines nach dem 31. Dezember 2007 aufgenommenen Auslandsaufenthalts bereits seit mindestens drei Jahren seinen ständigen Wohnsitz im Inland hatte. |
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| II. Der Vorlagesachverhalt |
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| Der Kläger begehrt Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für sein Studium in Spanien. |
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| Der 1983 geborene Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, lebte mit seinen Eltern, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind, bis 1994 in München, wo er von 1989 bis 1994 die Grundschule und ein Gymnasium bis zur Versetzung in die 6. Klasse besucht hatte. Von 1994 an bis Dezember 2005 lebte er mit seinen Eltern auf Mallorca, Spanien, wo sein Vater als ... tätig war. Der Kläger besucht auf Mallorca die ... Gesamtschule und erlangte im Jahr 2000 den Schulabschluss der Mittleren Reife sowie nach einer beruflichen Ausbildung in den Jahren 2004 bis 2005 im April 2005 den Abschluss eines Immobilienfachwirts. Im Januar 2006 kehrten die Eltern des Klägers nach Köln zurück. Der Kläger behauptet, ebenfalls ab Januar 2006 in Deutschland seinen ständigen Wohnsitz gehabt zu haben. Der Kläger war in München erst ab 26.10.2009 gemeldet. Der Kläger legte im April 2009 erfolgreich die externe Prüfung „Älter als 25 Jahre“ an der Universität der Balearen/Palma de Mallorca ab, die ihm die Zulassung zu einem Studium an der Universität von Palma de Mallorca ermöglicht. Im September 2009 nahm der Kläger an der Universität der Balearen/Palma de Mallorca das Studium der Wirtschaftswissenschaften auf. |
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| Für diese Ausbildung beantragte er in Deutschland die Bewilligung von Ausbildungsförderung. Das Studentenwerk Heidelberg lehnte den Förderungsantrag ab, weil einem Förderungsanspruch nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG das Erfordernis der Residenzpflicht nach § 16 Abs. 3 BAföG entgegenstehe. Es fehle an ausreichenden Anhaltspunkten, dass der Kläger tatsächlich in den letzten drei Jahren vor Ausbildungsbeginn seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland begründet habe. Er habe dies auch nicht nachgewiesen. Mit seinem hiergegen rechtzeitig erhobenen Widerspruch berief sich der Kläger auf sein Unionsbürgerrecht auf Freizügigkeit. Deshalb könne seinem Anspruch das Fehlen eines inländischen Wohnsitzes in den letzten drei Jahren vor Ausbildungsbeginn in Spanien nicht entgegengehalten werden. Das Studentenwerk Heidelberg wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2010 zurück. Hiergegen hat der Kläger fristgerecht beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt: Er hätte bereits im Jahr 2006 seinen Wohnsitz von Spanien nach Deutschland verlegen müssen, um der dreijährigen Residenzpflicht vor Ausbildungsbeginn zu genügen. Er werde in seinem Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigt, wenn er von vornherein entweder auf einen ständigen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat verzichten oder den ständigen Wohnsitz von Spanien rechtzeitig nach Deutschland zurückverlegen müsse, weil er anderenfalls die Gewährung von Ausbildungsförderung für sein Studium in Spanien riskiere. Es sei ihm unzumutbar, nach Beendigung der schulischen Ausbildung in Spanien erst für drei Jahre seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland begründen zu müssen, um der Residenzpflicht zu genügen, oder andernfalls die Gewährung von Ausbildungsförderung versagt zu bekommen, obwohl er sein Studium im unmittelbaren Anschluss an die Erlangung der Hochschulzugangsberechtigung für das Studium in Spanien aufnehmen wolle. Seine Hochschulzulassungsberechtigung werde nur in Spanien anerkannt. Er wolle sein gesamtes Studium in Spanien absolvieren. |
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| Das beklagte Studentenwerk Heidelberg tritt der Klage entgegen. Zur Begründung führt es weiter aus: Der Gerichtshof der Europäischen Union halte derartige nationale Beschränkungen für legitim. Eine Residenzpflicht als zusätzliche Voraussetzung für eine längerfristige Auslandsförderung, die für eine Förderung im Inland nicht gelte, sei auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbreitet. § 16 Abs. 3 BAföG sei auf alle freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger anwendbar. Da die Residenzpflicht gleichermaßen für die eigenen Staatsangehörigen gelte, sei sie auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern aus anderen Mitgliedstaaten zulässig und konkretisiere nur das berechtigte Interesse des Sozialleistungen erbringenden Staates daran, seine finanziellen Leistungen aus steuerfinanzierten öffentlichen Haushalten auf einen Personenkreis zu beschränken, der ein Mindestmaß an Näheverhältnis zu dem leistenden Staat vorweisen könne. Daran fehle es dem Kläger. Ein Verstoß gegen Art. 21 AEUV liege nicht vor. Beschränkungen des Rechts auf Freizügigkeit seien mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägung des allgemeinen Interesses beruhen würden, die in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimer Weise verfolgten Zweck stünden. Der deutsche Gesetzgeber verfolge mit der Residenzpflicht legitime Zwecke. |
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| Die Beteiligten sind mit der Vorlage des Falles an den Gerichtshof der Europäischen Union einverstanden. |
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| Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV eine Vor-abentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Die vorgelegte europarechtliche Frage ist entscheidungserheblich (1.) und bedarf einer Klärung durch den Gerichtshof (2.). |
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| 1. Die vorgelegte Frage ist entscheidungserheblich. |
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| Die Kammer bezweifelt auf der Grundlage des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2011, dass der Kläger bereits ab Januar 2006 seinen ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte. |
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| Die vorgelegte Frage ist entscheidungserheblich. Der Erfolg der - zulässigen - Klage hängt allein davon ab, ob das Unionsbürgerrecht des Klägers auf Freizügigkeit der in § 16 Abs. 3 BAföG normierten Voraussetzung einer dreijährigen Residenzpflicht im Herkunftsmitgliedstaat vor Beginn der Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat der Inanspruchnahme von Ausbildungsförderung entgegensteht. Ist das Erfordernis eines mindestens drei Jahre bestehenden inländischen Wohnsitzes in einem Fall wie dem vorliegenden mit dem Freizügigkeitsrecht eines Unionsbürgers nicht vereinbar, kann die nach Maßgabe des § 16 Abs. 3 BAföG ausgestaltete Residenzpflicht im Inland dem Anspruch des Klägers auf Gewährung von Ausbildungsförderung nicht entgegengehalten werden. |
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| Eine Förderung der Ausbildung der Klägers als Deutscher im Ausland auf der Grundlage des § 6 BAföG kommt nicht in Betracht. Der Kläger ist ab Oktober 2009 in München mit seinem ständigem Wohnsitz gemeldet. Der Kläger hat das Innehaben eines ständigen Wohnsitzes in Spanien ab Studienbeginn weder behauptet noch unter Beweis gestellt. Deutsche, die sich lediglich zum Zwecke der Ausbildung in einem ausländischen Staat aufhalten, werden von der Förderung der Deutschen im Ausland nach § 6 BAföG nicht erfasst. |
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| 2. Die vorgelegte Frage bedarf der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union. |
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| Der Fördertatbestand nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG für Langfristaufenthalte innerhalb der Europäischen Union oder in der Schweiz gilt nach dem Zweiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (22. BAföG-ÄndG) vom 23.12.2007 (BGBl. I S. 3254) (erst) seit 01.01.2008 auch für komplette Auslandsstudien vom ersten Semester an. Vorausgegangen war die Entscheidung des Gerichtshof der Europäischen Union vom 23.Oktober 2007, Morgan und Bucher, C-11/06 - und C-12/06, Slg. 2007, I-9161. Die Regelung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG, die neben deutschen Staatsangehörigen auch auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten anwendbar ist, unterliegt der - ebenfalls mit dem 22. BAföG-ÄndG erstmals eingeführten - Beschränkung nach § 16 Abs. 3 BAföG. Danach greift der Fördertatbestand nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG nur, wenn der oder die Auszubildende bei Beginn eines nach dem 31.12.2007 aufgenommenen Auslandsaufenthalts bereits seit mindestens drei Jahren seinen oder ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland hatte. |
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| Aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Zweiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 16/5172 vom 27.04.2007) ergibt sich zur Zielsetzung dieser Beschränkung Folgendes: „Mit der Einführung einer Mindestdauer vorherigen Inlandsaufenthalts als Voraussetzung für eine Förderung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG über die Dauer eines Jahres hinaus soll vermieden werden, dass eine Förderung komplett im Ausland verbrachter Ausbildungsgänge auch Auszubildenden geleistet werden müsste, die sich selbst kaum jemals in Deutschland aufgehalten haben. Es gilt der bildungspolitische Grundsatz, dass der Bezug deutscher Ausbildungsförderungsleistungen regelmäßig voraussetzt, dass entweder auch eine Ausbildung innerhalb Deutschlands absolviert wird oder wenigstens eine besondere Bindung zu Deutschland besteht“ (BT-Drs.16/5172 S. 22). „Eine Residenzpflicht als zusätzliche Voraussetzung für eine längerfristige Auslandsförderung, die für eine Förderung im Inland nicht gilt, ist auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbreitet, beispielsweise in den sog. Nordstaaten (Dänemark, Finnland, Schweden sowie im dazugehörigen EFTA-Staat Norwegen). Da sie gleichermaßen für die eigenen Staatsangehörigen gilt, ist sie auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern aus anderen EU-Mitgliedstaaten zulässig und konkretisiert nur das berechtigte Interesse des Sozialleistungen erbringenden Staates daran, seine finanziellen Leistungen aus steuerfinanzierten öffentlichen Haushalten auf einen Personenkreis zu beschränken, der ein Mindestmaß an Näheverhältnis zu dem leistenden Staat vorweisen kann“ (BT-Drs.16/5172 S. 22 f.). |
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| b) Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des Unionsrechts ist eröffnet. |
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| Der Kläger ist als deutscher Staatsangehöriger Unionsbürger im Sinne von Art. 20 Abs. 1 AEUV. Er genießt folglich das in Art. 21 Abs. 1 AEUV garantierte Recht auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. |
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| Der Kläger kann sich auf dieses Freizügigkeitsrecht auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, seinem Herkunftsmitgliedstaat, berufen (EuGH, Urt. v. 27.Oktober 2007, a.a.O., Rd.Nr.22). |
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| Der grenzüberschreitende Bezug des Sachverhalts folgt aus der mehrjährigen Inanspruchnahme des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt in Spanien sowie der Aufnahme des Studiums in Spanien. Zu den Situationen, die in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen, gehören diejenigen, die sich auf die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beziehen, insbesondere auch die, in denen es um das durch Art. 21 AEUV verliehene Recht geht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (EuGH, Urt. v. 23. Oktober 2007, a.a.O., Rd.Nrn. 22 und 23; Urt. v. 15. März 2005, Bidar, C-209/03, Slg. 2005, I-2119, Rd.Nrn. 38 bis 43; Urt. v. 20. September 2001, Grzelczyk, C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Rd.Nr. 27). Dies gilt auch in Fällen, in denen die Ausübung des Freizügigkeitsrechts oder der Status des Betroffenen als Unionsbürger der einzige Anknüpfungspunkt zum Unionsrecht ist. |
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| Die Anforderung nach § 16 Abs. 3 BAföG beschränkt das Recht des Klägers auf Freizügigkeit und Aufenthalt nach Art. 21 Abs. 1 AEUV. |
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| Eine Beschränkung dieses Rechts liegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor, wenn eine nationale Regelung bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben. Die von Art. 21 AEUV auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen könnten nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die Nachteile allein daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch macht. Dies gilt besonders angesichts der mit Art. 165 Abs. 2 AEUV im Bereich der Bildung verfolgten Ziele der Union, zu denen auch die Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden zählt. Ein Mitgliedstaat hat daher, wenn er ein Ausbildungsförderungssystem vorsieht, wonach Auszubildende bei einer Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat eine Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen können, dafür Sorge zu tragen, dass die Modalitäten der Bewilligung dieser Förderung das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht ungerechtfertigt beschränken (EuGH, Urt. v. 23. Oktober 2007, a.a.O., Rd.Nrn. 25 bis 28). |
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| Danach greift die in § 16 Abs. 3 BAföG normierte Voraussetzung, bei Beginn des Auslandsaufenthalts bereits seit mindestens drei Jahren den ständigen Wohnsitz im Inland inne zu haben, in das Recht des Klägers nach Art. 21 Abs. 1 AEUV ein, sich vor Aufnahme des Studiums in Spanien dort oder in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten. Dieses Erfordernis knüpft allein an den Umstand an, dass sich ein Auszubildender zu seiner Ausbildung in einen anderen Mitgliedstaat begibt und dort aufhält. Für eine Förderung einer Ausbildung im Inland gilt die in § 16 Abs. 3 BAföG aufgestellte Voraussetzung einer solchen Residenzpflicht nicht. Der Kläger hätte, um Ausbildungsförderung für sein Studium in Spanien erhalten zu können, von vornherein auf einen ständigen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland verzichten und seinen ständigen Wohnsitz drei Jahre vor Aufnahme des Studiums in Spanien nach Deutschland verlegen müssen. Andernfalls müsste er auf die Förderung der Ausbildung in Spanien oder im Falle der - im Übrigen nicht gesicherten - Durchführbarkeit der Ausbildung im Inland auf die Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts verzichten. Die in § 16 Abs. 3 BAföG normierte Residenzpflicht ist wegen der persönlichen Unannehmlichkeiten, zusätzlichen Kosten und etwaigen Verzögerungen, die sie mit sich bringt, geeignet, Unionsbürger davon abzuhalten, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, um einer Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat nachzugehen und damit von dem durch Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehenen Recht Gebrauch zu machen, sich in diesem Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten (EuGH, Urt. v. 23. Oktober 2007, a.a.O. Rd.Nr. 30). |
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| Die Kammer bezweifelt, ob das Erfordernis eines dreijährigen inländischen Wohnsitzes bei Ausbildungsbeginn gerechtfertigt ist. |
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| Nach dem Unionsrecht lässt sich eine Beschränkung des durch Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehenen Rechts nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht, die in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimer Weise verfolgten Zweck stehen, wobei eine Maßnahme dann verhältnismäßig ist, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu notwendig ist (EuGH, Urt. v. 18. Juli 2006, De Cuyper, C-406/04, Slg. 2006, I-6947, Rd.Nrn. 33 und 42; Urt. v. 23. Oktober 2007, a.a.O., Rd.Nr. 33). |
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| Mit dem in § 16 Abs. 3 BAföG normierten Erfordernis soll das berechtigte Interesse des Sozialleistungen erbringenden Staates daran, seine finanziellen Leistungen aus steuerfinanzierten öffentlichen Haushalten auf einen Personenkreis zu beschränken, der ein Mindestmaß an Näheverhältnis zu dem leistenden Staat vorweisen kann, konkretisiert werden (BT-Drs.16/5172 S. 22 f.). |
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| Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union anerkannt, dass es einem Mitgliedstaat generell freisteht, die Bedingungen für die Gewährung unionsrechtlich nicht geregelter Sozialleistungen festzulegen und ihm auch ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum im Hinblick auf den Integrationsgrad zukommt, den der Betroffene nachweisen muss. Insbesondere hat der Gerichtshof der Europäischen Union anerkannt, dass es legitim sein kann, dass ein Mitgliedstaat, um zu verhindern, dass die Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Unterhalts von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann, solche Beihilfen nur Studenten gewährt, die nachgewiesen haben, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert haben (Urt. v. 15. März 2005, Bidar, C-2009/03 , Slg. 2005, I - 2119, Rd.Nrn. 56 und 57). Entsprechende Erwägungen können grundsätzlich auch für die Gewährung von Ausbildungsförderung durch einen Mitgliedstaat an Studierende gelten, die ein Studium in anderen Mitgliedstaaten absolvieren möchten, wenn die Gefahr einer solchen übermäßigen Belastung besteht (Urt. v. 27. Oktober 2007, a.a.O. Rd.Nr. 44). Als Kriterium für die Verbundenheit mit der Gesellschaft des die Leistung gewährenden Mitgliedstaats kann grundsätzlich auf den Wohnsitz des Betroffenen abgestellt werden. Seine Integration in die jeweilige Gesellschaft kann also durch die Feststellung als nachgewiesen angesehen werden, dass er sich für eine gewisse Zeit in jenem Mitgliedstaat aufgehalten hat (EuGH, Urt. v. 15. März 2005, a.a.O. Rd.Nr. 59). Dabei kann grundsätzlich der zuständige Mitgliedstaat festlegen, wie lange der Betroffene überhaupt in seinem Hoheitsgebiet gewohnt haben muss, bevor er eine bestimmte soziale Leistung beanspruchen kann. Trotz seines weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums hinsichtlich der Festlegung des erforderlichen Integrationsgrads muss aber der jeweilige Mitgliedstaat zumindest das Wohnsitzerfordernis so ausgestalten, dass es den gewünschten Integrationsgrad zutreffend widerspiegelt. Das Kriterium des Wohnsitzes muss also in seiner konkreten Ausgestaltung geeignet und erforderlich sein, das verfolgte legitime Ziel zu erreichen, nämlich soziale Leistungen nur einem Personenkreis vorzubehalten, der über den gewünschten Integrationsgrad verfügt. Nicht etwa darf das Wohnsitzkriterium zu allgemein und zu einseitig sein. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Fall Stewart am 21. Juli 2011 entschieden: „Die Anwendungsmodalitäten dieser Voraussetzung sind zwar an sich nicht unangemessen, sie ist aber dennoch zu einseitig. Indem sie nämlich konkrete Zeiträume vorherigen Aufenthalts im zuständigen Mitgliedstaat vorschreibt, misst sie einem Umstand unangemessen hohe Bedeutung bei, der nicht zwangsläufig für den tatsächlichen und effektiven Grad der Verbundenheit dessen, der kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen beantragt, mit diesem Mitgliedstaat repräsentativ ist, und schließt jeden anderen repräsentativen Umstand aus. Sie geht damit über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus.“ (EuGH, Urt. v. 21. Juli 2011, Stewart, C-503/09, ABl. 2011, Nr. C 269, 6-7, juris, Rd.Nrn. 95 ff.; Urt. v. 26. Oktober 2006, Tas-Hagen, C-192/05, Slg. 2006, I-10451, Rd.Nrn. 35 ff.; Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 30.03.2006 in der Rechtssache K. Tas-Hagen und R.A. Tas, C-192/05, Rd.Nrn. 61 - 64, ferner 67 und 68 ). |
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| Dem vorliegenden Gericht erscheint danach fraglich, ob ein ausreichender Grad gesellschaftlicher Integration, den ein Mitgliedstaat legitimer Weise verlangen kann, nicht schon deshalb im vorliegenden Fall anzunehmen ist, weil der Kläger als deutscher Staatsangehöriger bei seinen Eltern in Deutschland aufgewachsen ist und dort seine Schulzeit bis zur Versetzung in die 6. Klasse verbracht hat, bis er im zwölften Lebensjahr mit seiner Familie nach Mallorca/Spanien verzog, weil der Vater von seinen Rechten nach Art. 45 und Art. 49 AEUV Gebrauch gemacht hat. Es spricht viel dafür, dass das vom Kläger erreichte Niveau der Integration in die Gesellschaft des die Leistung gewährenden Mitgliedstaats in allen Punkten demjenigen, das durch das Innehaben eines dreijährigen inländischen Wohnsitzes im nach § 16 Abs. 3 BAföG maßgeblichen Zeitpunkt erreichbar ist, vergleichbar ist. Die Regelung des § 16 Abs. 3 BAföG orientiert die gewünschte besondere Bindung an Deutschland und das Näheverhältnis zu dem leistenden Staat lediglich an dem Innehaben eines dreijährigen ständigen Wohnsitzes in Deutschland zu einembestimmten Zeitpunkt, nämlich dem Beginn des Auslandsaufenthalts, der der Durchführung des Studiums in einem anderen Mitgliedstaat dient. Dem nur an diesem Zeitpunkt und dem Zeitraum der letzten drei Jahre vor Aufnahme der Auslandsausbildung orientierten Kriterium zum Nachweis der Integration des deutschen Staatsbürgers in die Gesellschaft seines Herkunftsstaats dürfte aber in einem Fall wie dem vorliegenden von vornherein nur höchst begrenzte Eignung zukommen. Das Gericht zweifelt insbesondere an der Erforderlichkeit und Angemessenheit dieses - ausschließlichen - Kriteriums in einem Fall wie dem vorliegenden. Es erscheint fraglich, ob der Grad der Verbundenheit des Klägers mit der Gesellschaft, die sich ihm gegenüber durch Gewährung von Ausbildungsförderung solidarisch zeigen soll, gerade durch das Innehaben eines dreijährigen Inlandswohnsitzes im Zeitpunkt des Beginns des Auslandsaufenthalts zur Durchführung des Studiums besonders unter Beweis gestellt werden muss. Der Kläger könnte bereits durch andere sein Näheverhältnis und seine Verbundenheit begründende Umstände hinreichend in die deutsche Gesellschaft integriert sein, wie etwa seinen familiären Kontext als Kind deutscher Staatsangehöriger und sein Heranwachsen bis zum zwölften Lebensjahr sowie den fünfjährigen Schulbesuch in Deutschland. Die in § 16 Abs. 3 BAföG normierte und erst im Jahr 2008 als Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 23. Oktober 2007 im Fall Morgan und Bucher eingeführte und ausschließlich auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogene Residenzpflicht könnte in Bezug auf den Kläger, der Förderung seiner Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat begehrt, auch unverhältnismäßig sein und über das hinausgehen, was angemessener Weise vom Herkunftsmitgliedstaat in Verfolgung des mit dem materiellen Recht verfolgten Zwecks verlangt werden kann. Die in § 16 Abs. 3 BAföG bestimmte zusätzliche Anforderung für eine längerfristige Auslandsförderung gilt für Inländer und Ausländer gleichermaßen und soll dadurch die Inanspruchnahme von Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz durch freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten begrenzen, ohne dass der Begrenzung - in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten - das Diskriminierungsverbot entgegenstünde. Damit soll dem berechtigten Interesse des Sozialleistungen erbringenden Staats, seine finanziellen Leistungen aus steuerfinanzierten öffentlichen Haushalten auf einen Personenkreis mit einem Mindestmaß an realer Verbindung zu dem leistenden Staat zu begrenzen, Rechnung getragen werden. Der Kammer erscheint aber fraglich, ob die Einführung eines Wohnsitzkriteriums, mit dem ausschließlich auf den Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung im Ausland abgestellt wird, in einem Fall wie dem vorliegenden das Recht des Klägers auf Freizügigkeit zwecks Durchführung einer Ausbildung nicht unverhältnismäßig zurücksetzt, wenn dieser gezwungen wird, über einen Zeitraum von drei Jahren vor Beginn der zu fördernden Ausbildung von seinem Recht auf Freizügigkeit nicht Gebrauch zu machen, will er nicht die Verwirklichung seines Anspruchs auf Ausbildungsförderung gefährden. |
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| 3. Alternative gesetzliche Lösung des Konflikts |
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| Die Kammer ist im Übrigen der Auffassung, dass dem der Regelung des § 16 Abs. 3 BAföG zugrundeliegenden berechtigten Interesse des Sozialleistungen erbringenden Staates daran, seine finanziellen Leistungen aus steuerfinanzierten öffentlichen Haushalten auf einen Personenkreis zu beschränken, der ein Mindestmaß an Inte-gration und Verbundenheit zu dem leistenden Staat vorweisen kann, durch eine anders formulierte gesetzliche Beschränkung hinreichend Rechnung getragen werden könnte, ohne in einem Fall wie dem vorliegenden das Freizügigkeitsrecht in nicht gerechtfertigter Weise einzuschränken. Folgende Änderung der Bestimmung des § 16 Abs. 3 BAföG würde den ausschließlichen Charakter der derzeit formulierten Wohnsitzklausel beseitigen: „In den Fällen des § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 wird Ausbildungsförderung ohne die zeitliche Begrenzung der Absätze 1 und 2 geleistet, in den Fällen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 jedoch nur dann über ein Jahr hinaus, wenn der Auszubildendein der Regel bei Beginn eines nach dem 31. Dezember 2007 aufgenommenen Auslandsaufenthalts bereits seit mindestens drei Jahren seinen ständigen Wohnsitz im Inland hatte.“ |
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| Dieser Aussetzungs- und Vorlagebeschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, Art. 267 Abs.2 AEUV; EuGH, Urt. v. 16. Dezember 2008, Cartesio, C-210/06 Rd.Nr. 97). |
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