Verwaltungsgericht Halle Urteil, 24. Aug. 2016 - 5 A 80/15 HAL

bei uns veröffentlicht am24.08.2016

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 4. Dezember 2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, die nicht angerechnete Reisezeit als Selbstfahrer im Zuge der Dienstausübung für den Zeitraum vom 29. Mai 2013 bis 5. Dezember 2014 in Höhe von 32,2 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutzuschreiben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt, dass ihm der Beklagte auf seinem Arbeitszeitkonto nicht angerechnete Reisezeit als Dienstzeit gutschreibt.

2

Als Beamter des Landes Sachsen-Anhalt bekleidet der Kläger das Amt eines Leitenden Regierungsschuldirektors. Er ist beim Beklagten als Referatsleiter des Referates 24 "Gymnasien, Gesamtschulen" tätig und zugleich mit der Wahrnehmung der Aufgaben eines Referatsleiters des Referates 22 "Sekundarschulen" beauftragt. Zu seinen Aufgaben gehört die Durchführung von Dienstreisen. Im Rahmen dieser nimmt er als Selbstfahrer mit ihm vom Dienstherrn zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeugen als Fahrzeugführer am öffentlichen Verkehrsgeschehen teil. Der Umfang der vom Kläger als Selbstfahrer absolvierten Wegezeiten ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

3

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 26. November 2013 die Anerkennung der tatsächlichen Reisezeiten als Arbeitszeit beantragt hatte, sofern er die Dienstreise mit einem Kraftfahrzeug als Selbstfahrer zurücklege, teilte der Beklagte ihm mit Schreiben vom 15. Januar 2014 mit, dass dies nicht möglich sei und kürzte er den Anteil der über eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehenden Fahrzeiten um die Hälfte.

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Nach wiederholtem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Dezember 2014 eine Anerkennung der vollen Fahrtzeiten als Selbstfahrer auf die Reisezeit ab. Das Beamtenrecht unterscheide sich grundlegend vom Arbeitsrecht, bei dem durch den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer ein Individualarbeitsvertrag oder mit den Tarifvertragsparteien ein kollektiver Arbeitsvertrag ausgehandelt werde, um die arbeitsrechtlichen Bedingungen der Arbeitnehmer eingehend zu regeln. Die Arbeitszeit der Beamten des Landes Sachsen-Anhalt sei abschließend in der Verordnung zur Neuregelung der Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten vom 5. Juni 2007 (GVBl. LSA Nr. 11/2007) – ArbZVO – geregelt. § 8 Abs. 1 und 2 ArbZVO regele eindeutig und abschließend, in welchem Umfang die Arbeitszeit bei Dienstreisen außerhalb des Dienst- oder Wohnortes anzuerkennen sei. Eine vollumfängliche Anerkennung der Fahrtzeiten als Selbstfahrer auf die Reisezeit werde nicht geregelt. Es mangele mithin an einer Anspruchsgrundlage für die vollumfängliche Anerkennung der Fahrtzeiten in der genannten Rechtsnorm (Vorbehalt des Gesetzes). Dennoch die vollumfängliche Fahrtzeit als Selbstfahrer auf die Reisezeit anzuerkennen, wäre rechtswidrig. Der Dienstherr könne Tarifrecht nicht ohne vorherige Zustimmung des Gesetzgebers auf das Beamtenrecht anwenden; demnach finde die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juli 2006 (AZ.: 9 AZR 519/05) keine Anwendung auf Beamte.

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Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 Widerspruch. Zu dessen Begründung führte er aus, es verletze Art. 3 GG, wenn das Tarifrecht nicht analog auf das Beamtenrecht angewendet werde; Tarifbeschäftigte und Beamte könnten in Ausübung der gleichen Tätigkeit hinsichtlich der arbeitszeitlichen Abrechnung nicht unterschiedlich behandelt werden.

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Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 zurück, der dem Kläger am 31. Januar 2015 zugestellt wurde. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die sich auf einen tarifvertraglichen Rechtsstreit beziehende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juli 2006 sei auf die Beamten des Landes Sachsen-Anhalt nicht anwendbar. Als Beamter stehe der Kläger in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn, das der Gesetzgeber einseitig hoheitlich ausgestaltet habe. Der sachliche Grund für die Ungleichbehandlung von Beamten und Tarifbeschäftigten liege in den grundlegend unterschiedlichen Rechtsverhältnissen, auch wenn Beamte und Tarifbeschäftigte im Öffentlichen Dienst oft für ihren Dienstherrn die gleichen Aufgaben verrichteten. Die Beamtenbesoldung und -versorgung regelten ebenso wie Arbeitszeit und Urlaub entsprechende Gesetze. Auch seien Beamte nicht gesetzlich sozialversichert; diese Aufgaben übernehme der Dienstherr. Hingegen gingen Tarifbeschäftigte im Öffentlichen Dienst mit dem Dienstherrn als Arbeitgeber auf der Grundlage eines individuellen Arbeitsvertrages und ausgehandelten Tarifvertrages ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis ein. Beide Rechtsverhältnisse im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gleich zu behandeln, sei sachlich nicht gerechtfertigt. Deshalb sei die tarifrechtliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht analog auf das Beamtenrecht anwendbar. Die für Landesbeamte abschließende Regelung des § 8 Abs. 1 und 2 ArbZVO enthalte keine Anspruchsgrundlage für eine vollumfängliche Anerkennung der Fahrtzeiten als Selbstfahrer auf die Reisezeit. Im Übrigen schreibe der Beklagte das Selbstfahren bei Dienstreisen nicht vor, sondern könne der Kläger das Beförderungsmittel frei wählen.

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Mit seiner am 27. Februar 2015 beim erkennenden Gericht erhobenen Klage trägt der Kläger vor, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juli 2006 weise darauf hin, dass die Dienstreisezeit in vollem Umfang auf die Arbeitszeit anzurechnen sei, wenn in dieser tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden. Dazu zähle neben angeordneten Aktenstudien und der Vor- und Nachbereitung des Termins sowie Besprechungen auch das Führen eines Fahrzeuges als Selbstfahrer. Er, der Kläger, übe als Selbstfahrer an ständig wechselnden, nur mit erhöhtem Zeitaufwand mit der Bahn erreichbaren Dienstorten direkte Dienstverrichtungen aus, so dass diese Zeiten als volle Arbeitszeit anzurechnen seien. Die gleiche Arbeitsleistung (hier: Führen eines Dienstkraftfahrzeuges während der Dienstzeit) eines Tarifbeschäftigten und eines Beamten werde unter Verstoß gegen Art. 3 GG unterschiedlich bewertet. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 ArbZVO sei der Freizeitausgleich unter Berücksichtigung dienstlicher Belange zu gewähren. Anders als bei Dienstreisen als Mitfahrender oder mit der Bahn könne der Selbstfahrer während der Dienstreise keinen Freizeitausgleich in Anspruch nehmen. Entscheidend für die Einordnung von Dienstreisezeiten als Reisezeit sei die mit der Reise einhergehende Belastung des Beschäftigten. Deshalb sei zwischen Selbst- und Mitfahrern zu unterscheiden. Es verletze die Fürsorgepflicht erheblich, werde der verbeamtete schulfachliche Referent oder Referatsleiter als Selbstfahrer schlechter gestellt als seine im Angestelltenverhältnis tätigen Kollegen. Auch gelte nach § 8 Abs. 3 ArbZVO die Reisezeit in vollem Umfang als Arbeitszeit. Gelten danach selbst Fahrzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln in vollem Umfang als Arbeitszeit, sei dieser Grundsatz erst recht auf selbstfahrende Beamte anwendbar. Für die mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Ziele seien die Fahrzeiten außergewöhnlich hoch; die dann zur Hälfte angerechnete Arbeitszeit stehe in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Arbeitszeit. Aus fiskalischer und arbeitstechnischer Sicht sei eine Dienstreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ratsam und ihm nicht zumutbar.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 4. Dezember 2014 und dessen Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die nicht angerechnete Reisezeit als Selbstfahrer im Zuge der Dienstausübung in der Zeit vom 29. Mai 2013 bis 5. Dezember 2014 in Höhe von 32,2 Stunden anzuerkennen und auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutzuschreiben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er macht geltend, es bestehe kein Anspruch auf Anerkennung sämtlicher Reisezeiten als Arbeitszeit. Gemäß § 8 Abs. 1 ArbZVO werde bei Dienstreisen am auswärtigen Geschäftsort die Reisezeit bis zum Erreichen der täglichen Sollarbeitszeit angerechnet.

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§ 8 Abs. 2 ArbZVO regele einen Freizeitausgleich für die Hälfte der Reisezeit, die nicht nach Abs. 1 der Regelung bei der täglichen Arbeitszeit berücksichtigt werde. Ein weitergehender Anspruch bestehe nicht. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Tarifbeschäftigten, zumal für diese keine günstigeren Arbeitszeitregelungen im Fall von Dienstreisen angewendet würden (vgl. § 6 Abs. 11 Sätze 1 und 2 TV-L; die Regelungen zum Freizeitausgleich für Beamte seien entgegen § 6 Abs. 11 Satz 3 TV-L über die Regelungen der Gleitzeitordnung für Beschäftigte anwendbar). Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juli 2006 sei zum mittlerweile außer Kraft getretenen BAT ergangen; in dem Fall habe die Behörde nicht verlangt, während der Reise dienstliche Aufgaben zu erfüllen. § 8 Abs. 3 ArbZVO sei auf den Kläger nicht anwendbar. Eine Verletzung der Fürsorgepflicht liege nicht vor; der Kläger habe die Dienstreisen nicht als Selbstfahrer mit einem Mietwagen durchführen müssen, sondern das Verkehrsmittel frei wählen können; alle auswärtigen Geschäftsorte seien an das Bahnnetz des Personenverkehrs angeschlossen und vom Bahnhof aus fußläufig oder per Bus/Straßenbahn erreichbar.

14

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Gerichts gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg; sie ist zulässig und begründet.

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Der Bescheid des Beklagten vom 4. Dezember 2014 und sein Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung der beantragten 32,2 Stunden Reisezeit als Arbeitszeit (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).

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Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 63 Abs. 1 Satz 1 Beamtengesetz des Landes Sachsen-Anhalt (Landesbeamtengesetz – LBG LSA) in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Landesbeamtenrechts vom 15. Dezember 2009 (GVBl. LSA 2009, 648), das am 1. Februar 2010 in Kraft trat, – LBG LSA –. Nach dessen Satz 1 beträgt die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit für Beamte regelmäßig 40 Stunden. Den Begriff der Arbeitszeit selbst regeln die beamtenrechtlichen Gesetze indes nicht. Unter Heranziehung des Rechtsgedankens des für die Arbeitnehmer geltenden § 2 Abs. 1 Satz 1 HS 1 ArbZG, wonach Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen ist, zählt zur Arbeitszeit der Beamten jedenfalls die Zeit, in der der Beamte verpflichtet ist, seinen Dienst auszuüben. Danach sind die von einem Beamten als Selbstfahrer anlässlich einer vom Dienstherrn genehmigten Dienstreise und mit einem vom Dienstherrn zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeug zurückgelegten Wegezeiten zwangsläufig rechtlich als Arbeitszeit zu qualifizieren. Denn es handelt sich nicht um eine Ruhepause, wenn der Kläger ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führt. Vielmehr verrichtet er in diesem Moment seinen Dienst.

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In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Grad der Beanspruchung des Klägers bei seiner Tätigkeit als Selbstfahrer deutlich über denjenigen bei einem bloßen Bereitschaftsdienst, der mittlerweile unstreitig als Arbeitszeit zu qualifizieren ist (vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2000 – C-303/98 – Simap, vom 3. Juli 2001 – C- 241/99 – CIG, und vom 9. September 2003 – C-151/02 – Jaeger, und vom 5. Oktober 2004 – C-397/01 u.a. – BS.), hinausgeht. Hier gab der Beklagte dem Kläger nicht lediglich die Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels vor und überließ ihm nicht, wie (zum Beispiel durch Dösen, Zeitungslektüre, etc.) dieser seine Reisezeit nutzt (vgl. BAG, Urteil vom 11. Juli 2006 – 9 AZR 519/05 – juris, Rdnr. 33, 44; und zum Thema der arbeitszeitrechtlichen Bewertung von Wegezeiten: Baeck/Lösler, NZA 2005, S. 249; Hunold, NZA Beilage 1/2006, S. 38; Heins/Leder, NZA 2007, S. 249; Wahlers, PersV 2007, S. 464). Er stellte ihm vielmehr ein Kraftfahrzeug zur Verfügung und erwartete, dass der Beamte dieses als Selbstfahrer im öffentlichen Straßenverkehr nutzt, was die volle Konzentration und Aufmerksamkeit als Verkehrsteilnehmer erfordert. In einem solchen Fall aber sind Gesundheit und Sicherheit des Beamten durch ein Überschreiten der täglich höchstzulässigen Arbeitszeit gefährdet. Der Beamte kann während er das Kraftfahrzeug führt nicht selbst darüber bestimmen, wie er seine Zeit verbringt, und kann nicht nach Belieben anderen Tätigkeiten nachgehen; es steht ihm auch nicht frei, private Angelegenheiten zu erledigen. Im Gegensatz zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel führt allein die aktive Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr aufgrund der hierfür notwendigen Konzentration auf die Verkehrsvorgänge zur Belastung des Klägers in einem Umfang, der als Verrichtung von Dienst und damit als Arbeitszeit zu betrachten ist. Der Kläger unterliegt während der Fahrt auch den beamtenrechtlichen Pflichten gegenüber seinem Dienstherrn. Er muss zum Beispiel das zur Verfügung gestellte Fahrzeug pfleglich behandeln und darf es nicht für private Zwecke einsetzen.

19

Dem steht § 8 Abs. 1 und 2 ArbZVO nicht entgegen. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 wird bei Dienstreisen außerhalb des Dienst- oder Wohnortes die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort (Nr. 1) und die Reisezeit als Arbeitszeit anerkannt, wenn und soweit mit der Zeit nach Nummer 1 nicht mindestens die tägliche Sollarbeitszeit erreicht wird (Nr. 2). Wird mit den Zeiten nach Satz 1 die tägliche Sollarbeitszeit nicht erreicht, gilt diese nach Absatz 1 Satz 2 der Regelung als erfüllt, wenn eine Rückkehr zum Dienstort nicht zumutbar ist. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 ArbZVO werden die nicht bereits nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 anerkannten Reisezeiten zur Hälfte durch Freizeit ausgeglichen.

20

Es ist bereits fraglich, ob der Verordnungsgeber nach dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 2 und 3 LBG LSA eine Definitionsmacht hinsichtlich der Frage hat, was bei einer dienstlichen Inanspruchnahme von Beamten als Arbeitszeit zählt. Satz 2 der Regelung ermächtigt die Landesregierung, durch Verordnung unter Beachtung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299 vom 18.11.2003, S. 9) Näheres über die Arbeitszeit der Beamten zu regeln. Dabei soll sie nach Satz 3 der Norm insbesondere Bestimmungen über die abweichende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit für bestimmte Gruppen von Beamten (Nr. 1), die Möglichkeiten und Grenzen der flexiblen Ausgestaltung der Arbeitszeit (Nr. 2), die Verteilung der Arbeitszeit (Nr. 3) und die Ruhepausen und sonstigen Ruhezeiten (Nr. 4) treffen. Von der Ermächtigung des § 63 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LBG LSA hat die Landesregierung bisher keinen Gebrauch gemacht.

21

Dabei kann § 8 ArbZVO jedoch nicht den Begriff der Arbeitszeit einschränkend definieren und festlegen, dass tatsächlich geleisteter Dienst nicht auf die Arbeitszeit anzurechnen ist. Das würde dem Verordnungsgeber die Möglichkeit geben, entgegen der Entscheidung des Gesetzgebers die Arbeitszeit zu verlängern. Vor diesem Hintergrund ist die Norm im Fall des Klägers, der seinen Dienst nicht überwiegend an wechselnden Einsatzorten ausübt (vgl. § 8 Abs. 3 ArbZVO) und keine Dienstreisen am Dienst- oder Wohnort durchführt (vgl. § 8 Abs. 4 ArbZVO), dahingehend zu verstehen, dass sie für die als Selbstfahrer absolvierten Wegezeiten keine Regelung trifft. Es handelt sich - ebenso wie bei der Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort im Rahmen einer Dienstreise außerhalb des Dienst- oder Wohnortes (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ArbZVO) – um geleisteten Dienst, dessen Anerkennung als Arbeitszeit keiner besonderen Regelung bedarf. Das zeigt auch der Vergleich mit dienstlicher Tätigkeit an der Amtsstelle des Beklagten, für die ebenfalls keine Regelung bestimmt, dass die dortige Dienstzeit als Arbeitszeit anerkannt wird. Die Regelung des § 8 ArbZVO führt damit umgekehrt zur Anrechnung von Zeiten, in denen kein Dienst geleistet wird, als Arbeitszeit, um die durch Dienstreisen entstehende Belastung zu mindern oder auszugleichen. Über die tägliche Sollarbeitszeit hinausgehende Wegezeiten als Selbstfahrer nur zur Hälfte durch Freizeit auszugleichen (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 ArbZVO), ist jedenfalls bei der hier streitbefangenen Fallgestaltung der Durchführung von Dienstreisen als Selbstfahrer nicht zulässig, weil der Beamte damit benachteiligt wird, indem von ihm eine höhere als die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit gefordert wird.

22

Das hier angezogene Verständnis des Begriffs Arbeitszeit führt in der Konsequenz zu dem Ergebnis, dass die gleiche dienstliche Tätigkeit (hier: Dienstreise als Selbstfahrer) nicht unterschiedlich als Arbeitszeit oder Ruhezeit bewertet werden kann, je nachdem, ob sie innerhalb oder außerhalb der täglichen Sollarbeitszeit liegt. Ein sachlicher Differenzierungsgrund besteht nicht. Darüber hinaus steht es in Einklang mit dem Zweck der Richtlinie 2003/88/EG, zu deren Beachtung der Verordnungsgeber bereits aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts, aber auch nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Verordnungsermächtigung in § 63 Abs. 1 Satz 2 LBG LSA verpflichtet ist, die bei Dienstreisen als Selbstfahrer aufgewandten Wegezeiten als Arbeitszeit zu betrachten. Die Richtlinie 2003/88/EG beschränkt die höchstzulässige tägliche und wöchentliche Arbeitszeit, die dem Beamten abverlangt werden darf, und bestimmt zugleich die Mindestruhezeiten. Diese Schranken der höchstzulässigen Beschäftigung beruhen auf arbeitsmedizinischem Erfahrungswissen über die einem Arbeitnehmer, als welche auch die Beamten unionsrechtlich zu betrachten sind, zumutbare Belastung. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Zeiten, in denen der Beamte arbeitet, und den Zeiten, in denen er ruht. Abgestellt wird damit auf die mit der Arbeit verbundene Belastung des Beamten. Nach ihr bestimmt sich, ob die Sicherheit oder Gesundheit des Beamten gefährdet sind, wenn durch die von ihm abverlangte Dienstverrichtung die höchstzulässige Grenze von zehn Stunden überschritten oder gegenläufig die Ruhezeit von elf Stunden unterschritten wird.

23

Wollte man die im Rahmen einer Dienstreise als Selbstfahrer absolvierten Wegezeiten nur teilweise als Arbeitszeit berücksichtigen, könnte dies unter Umständen unzulässige Arbeitszeiten durch eine Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit sowie eine unzulässige Verkürzung der täglichen Ruhezeit zur Folge haben (vgl. hierzu: VG Halle, Beschluss vom 13. April 2010 – 5 B 24/10 –; VG Halle, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 5 B 13/10 HAL). Es fehlt jedenfalls an jeder normativen Sicherung in der Arbeitszeitverordnung.

24

Gemäß § 5 Abs. 3 ArbZVO ist – entsprechend Art. 3 und 5 der Richtlinie 2003/88/EG – pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden und pro Siebentageszeitraum eine Mindestruhezeit von 35 zusammenhängenden Stunden zu gewähren. Nach Art. 3 Richtlinie 2003/88/EG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird. Es ist zweifelhaft, ob bei der Tätigkeit des Klägers gemäß Art. 17 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG eine Abweichung von Art. 3 Richtlinie 2003/88/EG möglich wäre. Die Voraussetzungen dieser Regelung dürften bereits nicht erfüllt sein. Unbeschadet dessen hat der Verordnungsgeber jedenfalls in der Arbeitszeitverordnung keine Abweichung vorgesehen und kommt eine unmittelbare Anwendung der Abweichungsklausel zu Lasten des Klägers und mit Vorrang gegenüber der Arbeitszeitverordnung nicht in Betracht. Gemäß Artikel 5 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG treffen die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 7-Tages-Zeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird. Addiert man die beiden Zahlen, so ergibt sich die vom Verordnungsgeber vorgesehene Mindestruhezeit von 35 zusammenhängenden Stunden. Von diesem Erfordernis kann auch nicht abgewichen werden. Der Verordnungsgeber hat weder in der Verordnung einen Bezugszeitraum festgelegt, wozu er nach Artikel 16 Abs. 1 lit. a) Richtlinie 2003/88/EG berechtigt wäre, noch finden sich Ausnahmeregelungen.

25

Auch würde bei einer nur teilweisen Berücksichtigung der als Selbstfahrer absolvierten Wegezeiten als Arbeitszeit eine Überschreitung der höchstzulässigen wöchentlichen Arbeitszeit drohen. Eine Höchstarbeitszeit ist in der Arbeitszeitverordnung nicht geregelt. Das Regelungskonzept geht von einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden (vgl. § 2 Abs. 1 ArbZVO) aus. Mehrarbeit soll nach § 2 Abs. 1 Satz 2 ArbZVO innerhalb eines Jahres ausgeglichen werden, wenn die wöchentliche Arbeitszeit im Rahmen der Anwendung flexibler Arbeitszeitmodelle über- oder unterschritten wird. Nach § 2 Abs. 3 ArbZVO beschränkt sich die Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt auf 48 Stunden im 7-Tages-Zeitraum, wenn ein Ausgleich der wöchentlichen Arbeitszeit innerhalb eines Jahres aufgrund dienstlicher Verhältnisse nicht möglich ist. Auch dieser Regelung lässt sich eine Obergrenze der wöchentlichen Arbeitszeit nicht entnehmen, sondern bestenfalls ein Bezugsrahmen bei fehlendem Freizeitausgleich. Mit diesen Vorschriften ist Art. 6 Richtlinie 2003/88/EG nicht vollständig umgesetzt. Nach dieser Vorschrift treffen die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer unter anderem die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7-Tages-Zeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet. Die Regelung ist unmittelbar anwendbar (vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 2004 – C 397/01 u.a. – BS. zur Vorgängervorschrift des Art. 6 Nr. 2 Richtlinie 93/104/EG).

26

Es greift auch keine der Abweichungsmöglichkeiten. Nach Art. 16 lit. b) Richtlinie 2003/88/EG können die Mitgliedsstaaten für die Anwendung von Art. 6 (wöchentliche Höchstarbeitszeit) einen Bezugszeitraum von bis zu vier Monaten vorsehen. Das ist durch die Arbeitszeitverordnung nicht erfolgt; § 2 Abs. 2 ArbZVO sieht ausschließlich eine Höchstarbeitszeit im Jahresdurchschnitt vor. Diese Regelung kann nicht die Ausfüllung des Art. 16 Richtlinie 2003/88/EG sein. Sie sieht keinen Bezugszeitraum bis zu vier Monaten vor, sondern von einem Jahr und das nicht allgemein, sondern nur unter bestimmten Umständen. Die Vorschrift kann auch nicht auf den Fall des Klägers angewandt werden und aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion auf das europarechtlich noch mögliche reduziert werden. Methodisch wäre das nur denkbar, wenn der Verordnungsgeber damit einen Bezugszeitraum für die wöchentliche Höchstarbeitszeit in Ausfüllung des Art. 16 Richtlinie 2003/88/EG (oder einer Vorgängervorschrift) hätte regeln wollen. Dafür ist aber nichts ersichtlich. § 2 Abs. 3 ArbZVO dient auch einem anderen Zweck. Grundsatz ist nämlich die Regelung des § 2 Abs. 1 ArbZVO, wonach Abweichungen von der regelmäßigen Arbeitszeit in Anwendung flexibler Arbeitszeitmodelle innerhalb eines Jahres auszugleichen sind. § 2 Abs. 3 ArbZVO regelt – wie sich schon aus seinem Wortlaut ergibt – nur die Fälle, in denen ein Ausgleich der wöchentlichen Arbeitszeit (auf durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich) innerhalb eines Jahres aufgrund zwingender dienstlicher Verhältnisse nicht möglich ist. Ausgangspunkt der Regelung ist auch nicht die Höchstarbeitszeit, die europarechtlich vorgegeben ist, sondern die Arbeitszeit des § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbZVO. Es wird damit eine zusätzliche Obergrenze oder – anders gewendet – ein zwingender Mindestausgleich von Mehrarbeit auch bei Vorliegen besonderer dienstlicher Bedürfnisse geregelt, und kein Bezugszeitraum für Höchstarbeitszeiten. § 63 LBG LSA enthält hierzu ebenfalls keine Regelungen, sondern ermöglicht dem Verordnungsgeber die Frage zu regeln.

27

Die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 ArbZVO kann erst recht nicht eine nach Art. 17 Richtlinie 2003/88/EG unter bestimmen Umständen mögliche Abweichung beinhalten. Art. 17 Richtlinie 2003/88/EG ermöglicht schon vom Grundsatz her nicht eine flächendeckende Abweichung von den Schutzvorschriften über die Arbeitszeit einschließlich des Bezugszeitraumes. Abweichungen sind nur in speziellen Einzelfällen möglich, die jeweils gesonderte tatbestandliche Voraussetzungen beinhalten. § 2 Abs. 3 ArbZVO enthält eine solche Differenzierung nicht. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Verordnungsgeber im Ansatz eine Abweichung von den europarechtlichen Vorschriften hätte vornehmen wollen. Die Regelung ist als Auffangregelung hinsichtlich aller denkbaren Arbeitszeitregelungen konzipiert. Sie berücksichtigt lediglich die europarechtlichen Vorgaben nicht.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens.

29

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

30

Beschluss

31

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.235,31 EUR festgesetzt.

32

Gründe:

33

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht geht dabei von der anteiligen Besoldung für 33 Arbeitsstunden aus, indem es die Jahresbesoldung der Besoldungsgruppe A 16 LBesO in der Stufe 8 von 77.862,12 EUR auf 52 Wochen mit einer anzurechnenden Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche verteilt. Hieraus ergibt sich eine fiktive Besoldung von 37,43 EUR pro Stunde; multipliziert mit den genannten 33 Stunden ergibt sich der im Tenor ausgeworfene Betrag.


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Für Klagen wegen nachträglicher Festsetzung einer Entschädigung (§ 55) gelten §§ 59 und 60 entsprechend. Die Klage ist innerhalb einer Frist von zwei Monaten seit Zustellung des Festsetzungsbescheids zu erheben; die Frist ist eine Notfrist im Sinne der Zivilprozeßordnung. Die Klage kann auch erhoben werden, wenn die Enteignungsbehörde über einen Festsetzungsantrag innerhalb von sechs Monaten eine Entscheidung nicht getroffen hat. § 62 gilt sinngemäß.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.