Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 06. Juli 2010 - 4 K 952/10

bei uns veröffentlicht am06.07.2010

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 28.04.2010 zur Errichtung eines Treppenturms auf der Rückseite des Gebäudes mit angeschlossenen Balkonen, zur Erhöhung des Daches um 1 m, zum Ausbau des Dachgeschosses, zum Einbau einer Dachgaupe auf der Nordseite des Gebäudes, zum Einbau eines Lifts mit Anschluss an alle Stockwerke und zur Errichtung eines Kunden-WC’s und Erweiterung des Kellers für die Gaststätte im EG auf dem Grundstück Flst.-Nr. … der Gemarkung L. wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den nach den §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB sofort vollziehbaren Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.04.2010, mit welchem dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für die in der Beschlussformel bezeichneten Baumaßnahmen auf dem Grundstück Flst.-Nr. … der Gemarkung L., G.-straße …, (Baugrundstück) erteilt wurde, ist nach den §§ 80 Abs. 5 Satz 1, 80a Abs. 3 VwGO zulässig und begründet. Denn das Interesse des Antragstellers, des Eigentümers des mit einem Wohn- und Geschäftshaus und einem Lagergebäude bebauten, im Süden an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks FlSt.-Nr. …, T. Straße …, an einem vorläufigen Aufschub der genehmigten Baumaßnahmen bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache überwiegt die privaten und die öffentlichen Interessen des Beigeladenen und der Antragsgegnerin an einer baldigen Realisierung des Bauvorhabens. Dies folgt daraus, dass eine im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der Widerspruch des Antragstellers aller Voraussicht nach Erfolg haben wird. Denn die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 28.04.2010 verstößt sehr wahrscheinlich gegen von der Antragsgegnerin als Baurechtsbehörde zu prüfendes öffentliches Recht, das auch dem Schutz des Antragstellers als Nachbarn dient.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO (in der hier maßgeblichen Fassung vom 05.03.2010, GBl. 357 ) müssen vor den Außenwänden von baulichen Anlagen Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten sind. Diese Vorschrift dient anerkanntermaßen auch dem Schutz von Nachbarn einer baulichen Anlage. Die genehmigte Treppenhaus- und Balkonanlage auf dem Baugrundstück, die nicht unter die Privilegierungsvorschriften der §§ 5 Abs. 6 und 6 LBO fällt, weil sie weder ein untergeordneter Bauteil ist noch die dort genannten Höchstmaße einhält, muss dementsprechend eine Abstandsfläche mit den nachbarschützenden Maßen des § 5 Abs. 7 LBO einhalten. Dass das genehmigte Bauvorhaben Abstandsflächen mit den danach erforderlichen Maßen nicht einhält, ist unter den Beteiligten wohl nicht streitig.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin spricht auch Überwiegendes dafür, dass das genehmigte Bauvorhaben nicht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 LBO von der Einhaltung von Abstandsflächen freigestellt ist. Nach dieser Vorschrift ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden an Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften (1.) an die Grenze gebaut werden muss, es sei denn, die vorhandene Bebauung erfordert eine Abstandsfläche, oder wenn (2.) an die Grenze gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Diese Vorschrift hat den Zweck, den Regelungen des Bauplanungsrechts, die ggf. eine Bebauung ohne Abstand der Gebäude voneinander vorsehen, auch im Rahmen des Bauordnungsrechts Geltung zu verschaffen ( vgl. Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., Stand: März 2010, Band 1, § 5 RdNrn. 9 und 35 ). Durch diese Regelung soll eine nur einseitige Grenzbebauung verhindert werden, die sich ergeben könnte, wenn das Bauplanungsrecht ein Bauvorhaben an der Grenze gestattet, ohne zugleich zwingend für das Nachbargrundstück eine entsprechende Bebauung vorzuschreiben ( VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.11.2005 - 3 S 151/04 - m.w.N. ).
Der hier einschlägige (qualifizierte) Bebauungsplan Nr. … „…“ setzt für das Baugrundstück ebenso wie für das Grundstück des Antragstellers u. a. eine geschlossene Bauweise und eine Grundflächenzahl von 1 sowie eine Baulinie an der Grenze des Baugrundstücks mit der G.straße fest. Da Festsetzungen über eine geschlossene Bauweise gemäß § 22 Abs. 3 BauNVO nur den seitlichen Grenzabstand, hier also die Bebauung entlang der G.straße, betreffen, ergibt sich daraus keine Regelung über die Bebauung an der hinteren (südlichen) Grenze des Baugrundstücks mit dem Grundstück des Antragstellers ( Sauter, a.a.O., § 5 RdNr. 38 ). Auch aus der Festsetzung der Grundflächenzahl folgt keine planungsrechtliche Verpflichtung zur Überbauung der gesamten Grundstücksfläche (erst recht nicht über mehrere Stockwerke). Damit ergibt sich aus dem Bebauungsplan für das Baugrundstück kein Gebot eines Anbaus auf der Grenze zwischen dem Baugrundstück und dem Grundstück des Beigeladenen, sondern, wie die Antragsgegnerin zu Recht erkannt hat, (lediglich) das Recht, bis (unmittelbar) an diese Grenze zu bauen ( vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.01.2006, VBlBW 2006, 350; vgl. hierzu auch Urteil der Kammer vom 06.11.2003 - 4 K 1701/02 - m.w.N., wonach sich eine Pflicht zur Grenzbebauung praktisch nur aus einer Kombination von Festsetzungen über die geschlossene Bauweise und eine [hintere] Baulinie ergeben kann ). Demnach beurteilt sich die Frage, ob das Bauvorhaben des Beigeladenen eine Abstandsfläche einhalten muss, nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO.
Nach dieser Vorschrift muss aber zusätzlich gesichert sein, dass auf dem Nachbargrundstück, hier auf dem Grundstück des Antragstellers, ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Durch die öffentlich-rechtliche Sicherung, die grundsätzlich nur aufgrund einer Baulast gemäß § 71 LBO gegeben ist (Sauter, a.a.O., § 5 RdNrn. 50 und 53 ), muss gewährleistet sein, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Die Sicherung muss also eine Anbauverpflichtung beinhalten, ein (bloße) Berechtigung dazu reicht nicht ( Sauter, a.a.O., § 5 RdNr. 50 ). Soweit außer einer Baulast auch bauplanungsrechtliche Vorschriften als Sicherung der Anbauverpflichtung in Betracht kommen, müssen sie ebenfalls von der Art sein, dass sich aus ihnen eine Verpflichtung und nicht lediglich eine Berechtigung zum Grenzbau ergibt (vgl. hierzu Sauter, a.a.O., § 5 RdNrn. 53 und 56 ). Eine solche Sicherung ist hier nicht gegeben. Der Antragsteller ist weder durch eine Baulast noch durch bauplanungsrechtliche Vorschriften verpflichtet, sein Grundstück so zu bebauen, dass er ein Gebäude unmittelbar an der Grenze zum Baugrundstück errichtet.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich auf dem Grundstück des Antragstellers an der Grenze zum Baugrundstück bereits ein in den Plänen als Lagergebäude („Lagg“) bezeichnetes Gebäude befindet. Zwar ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg anerkannt, dass es einer öffentlich-rechtlichen Sicherung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO gleichkommt, wenn auf dem Nachbargrundstück bereits ein Gebäude an die Grenze gebaut wurde, von dessen Fortbestand ausgegangen werden kann und das zu irgendeinem Zeitpunkt den materiellen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprach (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.02.2007, VBlBW 2007, 383, und Beschluss vom 29.04.2009 - 3 S 569/09 -, jew. m.w.N.; Sauter, a.a.O., § 5 RdNrn. 50 ff. ). Das Lagergebäude auf dem Grundstück des Antragstellers, das im Grenzbereich zum Baugrundstück nur eingeschossig und ca. 2,20 m hoch ist ( vgl. Aktenvermerk des Berichterstatters über Telefongespräche mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers und der Vertreterin der Antragsgegnerin ), kann eine solche Sicherung hier jedoch nicht ersetzen. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die geplante Grenzbebauung in Höhe und Tiefe weitestgehend deckungsgleich ist mit der vorhandenen Grenzbebauung. Doch ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg erforderlich, dass das Bauvorhaben und das bereits vorhandene Grenzgebäude zueinander in einer gewissen Beziehung stehen und die beiden Gebäude sich in relevanter Weise überdecken ( vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.02.2007, a.a.O, wonach eine Überdeckung zu drei Viertel als ausreichend angesehen wurde, und Beschluss vom 10.01.2006, a.a.O., m.w.N., wonach Überschreitungen von zwei Metern in der Tiefe und zwei bis drei Metern in der Höhe als ausreichend angesehen wurden ). Maßgeblich ist, dass als Ergebnis einer beiderseitigen Grenzbebauung (hinsichtlich der gemeinsamen Grundstücksgrenze) der Eindruck einer geschlossenen Bauweise entsteht ( VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.06.2008, VBlBW 2008, 483 ). Diesen Eindruck einer gemeinsamen Grenzbebauung kann das grenzständige Lagergebäude des Antragstellers nicht vermitteln. Zum einen steht es nur in einer Breite von höchstens 2 m an der ca. 8 m langen gemeinsamen Grenze zum Baugrundstück und zum anderen hat es im Bereich der Abstandsflächen nur eine Höhe von ca. 2,20 m und dürfte damit fast vollständig hinter der Mauer „verschwinden“, die sich nach dem vom Antragsteller mit der Antragsschrift vorgelegten Lichtbild über die Innenhofsituation an der Grenze zwischen dem Baugrundstück und dem Grundstück des Antragstellers befindet, während das umfangreiche Bauvorhaben des Beigeladenen sich in einer Höhe von 15,20 m über 5 Stockwerke und einer Breite von insgesamt ca. 7 m erstreckt.
Ein Verzicht auf die nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO grundsätzlich erforderliche öffentlich-rechtliche Sicherung kann hier auch nicht aus § 5 Abs. 1 Satz 3 LBO abgeleitet werden, weil diese Vorschrift nur dann Anwendung findet, wenn in einem Bebauungsplan Festsetzungen über eine abweichende Bauweise getroffen worden sind (vgl. hierzu Sauter, a.a.O., § 5 RdNr. 57 ), der Bebauungsplan „…“ aber im Hinblick auf die Bebauung an der Grenze zwischen dem Baugrundstück und dem Grundstück des Antragstellers keine entsprechenden Festsetzungen enthält.
Darüber hinaus können sich der Beigeladene und die Antragsgegnerin auch deshalb nicht auf § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO berufen, weil das genehmigte Bauvorhaben nicht genau an der Grundstücksgrenze errichtet werden soll, sondern aufgrund der schräg verlaufenden Grenze zum Grundstück des Antragstellers stattdessen einen Abstand von 0 bis höchstens ca. 1,50 m hat. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO dürfen bauliche Anlagen aber grundsätzlich nur entweder grenzständig oder unter Einhaltung des vollen nach § 5 Abs. 7 LBO erforderlichen Grenzabstands errichtet werden. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor den Außenwänden an den Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäudean die Grenze gebaut werden darf und öffentlich rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Bereits nach dem Wortsinn kann ein Gebäude nur dann „an der Grenze“ errichtet sein, wenn es direkt an der Grenze, ohne jeglichen Abstand zu dieser steht. Ein Gebäude mit geringem Grenzabstand, wie es im Fall der Verwirklichung des genehmigten Bauvorhabens hier der Fall wäre, steht nicht mehr „an“ der Grenze, sondern allenfalls „nahe“ der Grenze ( so [einschl. der Unterstreichungen] weitestgehend wörtlich VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.04.2009, a.a.O. ).
Ob das genehmigte Bauvorhaben daneben auch noch gegen weitere baurechtliche Vorschriften, insbesondere gegen die ebenfalls nachbarschützende Vorschrift des § 15 Abs. 1 BauNVO bzw. das in dieser Vorschrift normierte Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verstößt, kann hiernach dahingestellt bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
11 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG (vgl. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, NVwZ 2004, 1327 ).

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Im Bebauungsplan kann die Bauweise als offene oder geschlossene Bauweise festgesetzt werden.

(2) In der offenen Bauweise werden die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Die Länge der in Satz 1 bezeichneten Hausformen darf höchstens 50 m betragen. Im Bebauungsplan können Flächen festgesetzt werden, auf denen nur Einzelhäuser, nur Doppelhäuser, nur Hausgruppen oder nur zwei dieser Hausformen zulässig sind.

(3) In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, dass die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert.

(4) Im Bebauungsplan kann eine von Absatz 1 abweichende Bauweise festgesetzt werden. Dabei kann auch festgesetzt werden, inwieweit an die vorderen, rückwärtigen und seitlichen Grundstücksgrenzen herangebaut werden darf oder muss.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15.01.2009 - 5 K 2450/08 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15.01.2009 ist fristgerecht erhoben und begründet; sie genügt auch inhaltlich den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat es das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 23.07.2008 zum Anbau einer 11,08 m hohen, 3,16 m tiefen und 3,98 m breiten Balkonanlage an der Gartenseite ihrer im unbeplanten Innenbereich gelegenen Doppelhaushälfte anzuordnen.
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das private Interesse der Beigeladenen an der Ausnutzung der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Baugenehmigung (vgl. § 212a Abs. 1 BauGB) das gegenläufige private Interesse der Antragsteller überwiegt, vorläufig vom Vollzug der Baugenehmigung verschont zu bleiben. Denn nach derzeitigem Erkenntnisstand und nach der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage wird der Widerspruch der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg haben, weil - worauf es allein ankommt - die von ihnen angegriffene Baugenehmigung nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Verwirklichung des Vorhabens verletze nicht zu Lasten der Antragsteller das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme. Die Balkone entfalteten weder eine erdrückende Wirkung, noch würden Belichtung, Belüftung und Besonnung ihres Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt. Die Schaffung von Einsichtsmöglichkeiten sei Folge der funktionsgerechten Ausgestaltung eines als solches planungsrechtlich zulässigen Wohnbauvorhabens und namentlich in städtischen Baugebieten grundsätzlich hinzunehmen. Ein Ausnahmefall liege insoweit nicht vor. Nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts seien ebenfalls nicht verletzt. Das Vorhaben dürfe nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO an der Grenze errichtet werden. Dass das Vorhaben mit einem Abstand von 0,665 m im Erdgeschoss bzw. 2,35 m im 1. und 2. Obergeschoss errichtet werden solle, stehe der Anwendung der Vorschrift nicht entgegen.
Dagegen wenden die Antragsteller ein, das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme sei zu ihren Lasten verletzt, weil unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten in ihre Räumlichkeiten geschaffen würden und die Balkonanlage aufgrund ihrer Größe und der Nähe zu ihrem Wohngebäude erdrückende Wirkung entfalte. Die Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO sei ausgeschlossen, weil der Umgebung keine eindeutige planungsrechtliche Vorgabe für eine Grenzbebauung zu entnehmen sei und die Vorschrift nur eine grenzständige Errichtung eines Vorhabens oder eine Errichtung unter Einhaltung der vollen Tiefe der Abstandsflächen zulasse. Das Vorhaben könne auch nicht nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO zugelassen werden, weil nach ständiger Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg jede Unterschreitung des nachbarschützenden Teils der Abstandsflächen eine erhebliche Beeinträchtigung des Nachbarn darstelle. Die in der Baugenehmigung erteilte Befreiung nach § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 LBO sei rechtswidrig, denn es fehle die erforderliche grundstücksbezogene Härte. Sie seien auch in ihren Rechten verletzt, weil durch die Balkone Einsichtsmöglichkeiten in ihre sensiblen Lebensbereiche eröffnet würden.
Dieser Vortrag vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Den Antragstellern steht weder ein bauplanungsrechtliches noch ein bauordnungsrechtliches Abwehrrecht gegen das geplante Vorhaben zu.
1. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht zu Lasten der Antragsteller verletzt ist. Nach Aktenlage ist das Verwaltungsgericht zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt. Insbesondere hält es sich im Rahmen der in der Umgebung vorhandenen offenen Bauweise nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO, bei der die Gebäude als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen mit seitlichem Grenzabstand errichtet werden. Bei den Gebäuden der Antragsteller und der Beigeladenen handelt es sich um ein Doppelhaus im Sinne dieser Vorschrift. Daran wird auch der geplante Anbau nichts ändern. Ein Doppelhaus ist dadurch gekennzeichnet, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken zu einer Einheit derart zusammengefügt werden, dass sie einen Gesamtbaukörper bilden. Eine solche Einheit kann jedoch nur entstehen, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Insoweit enthält das Erfordernis der baulichen Einheit nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Element. Nicht erforderlich ist jedoch, dass die beiden Haushälften vollständig deckungsgleich aneinandergebaut sind. Sie können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden (vgl. zu all dem BVerwG, Urteil vom 24.02.2000 - 4 C 12.98 -, NVwZ 2000, 1055, 1056). Darüber hinaus erfordert ein Doppelhaus nicht, dass sämtliche parallel zur gemeinsamen Grundstücksgrenze verlaufenden Gebäudeaußenwände an der dem Doppelhausnachbarn zugewandten Seite eines Hauses an der Grenze errichtet werden. Namentlich verliert eine bauliche Anlage nicht den Charakter eines Doppelhauses, wenn Gebäudeteile mit einem Rücksprung zur gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet werden, solange die beiden Gebäude noch im Sinne der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sind.
Die Errichtung der Balkonanlage mit einem Abstand zur Grenze der Antragsteller zerstört somit nicht von vornherein die Doppelhauseigenschaft der beiden Gebäude. Die Balkonanlage verstößt aber auch nicht gegen das Erfordernis der verträglichen und abgestimmten Errichtung der beiden Haushälften, denn sie beeinträchtigt die Antragsteller nicht unzumutbar. Durch die vorgesehenen Balkone werden insbesondere keine Einsichtsmöglichkeiten geschaffen, die die Antragsteller nicht mehr hinzunehmen hätten (vgl. dazu Bayer. VGH, Beschluss vom 10.11.2000 - 26 Cs 99.2102 -, BauR 2001, 372). Denn die erhöhte Nutzbarkeit der Grundstücke der Antragsteller und der Beigeladenen wurde durch den Verzicht auf seitliche Grenzabstände und damit auf Freiflächen, die dem Wohnfrieden dienen „erkauft“ (BVerwG, Urteil vom 24.02.2000 - 4 C 12.98 -, NVwZ 2000, 1055, 1056). Dieser Verzicht umfasst auch den seitlichen Grenzabstand von Balkonen an der rückwärtigen Gebäudewand, von denen naturgemäß von der Seite in die Räume des Nachbarn eingesehen werden kann. Da im vorliegenden Fall die Balkonanlage nicht direkt an der Grenze sondern mit Grenzabstand errichtet werden soll, verringern sich die Einsichtsmöglichkeiten, so dass erst recht nicht von einer unzumutbaren Beeinträchtigung auszugehen ist. Die von den Antragstellern zum Beleg ihrer gegenteiligen Auffassung zitierten Entscheidungen des OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 22.08.2005 - 10 A 3611/03 -, BauR 2006, 342) und des Thüringer OVG (Urteil vom 26.02.2002 - 1 KO 305/99 -, BRS 65 Nr. 130) gebieten keine andere Beurteilung, denn der diesen Entscheidungen zugrundeliegende Sachverhalt stimmt mit dem vorliegenden nicht überein. Im Fall des OVG Nordrhein-Westfalen überschritt der geplante Balkon die im Bebauungsplan festgesetzte Baugrenze, im Fall des Thüringer OVG fügte sich die vorgesehene Dachterrasse nach der überbauten Grundstücksfläche ebenfalls bereits objektiv-rechtlich nicht in die nähere Umgebung ein. Dies trifft hier nicht zu. Vielmehr reicht die Bebauung der Grundstücke ... ... und ... deutlich tiefer in das jeweilige Grundstück hinein, als es bei der hier vorgesehenen Bebauung der Fall sein wird. Das Bauvorhaben hält sich somit auch hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, innerhalb des in der näheren Umgebung vorhandenen Rahmens. Unerheblich ist, ob die übrigen Häuser mit rückwärtigen Balkonen versehen sind. Denn das Vorhandensein von Balkonen lässt sich keinem der nach § 34 Abs. 1 BauGB relevanten Kriterien des Einfügens zuordnen. Balkone sind vielmehr Teil des Gebäudes, das sich in seiner Gesamtheit nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss. Dies ist hier der Fall, so dass eine Verletzung des in § 34 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots ausgeschlossen ist. Denn das Rücksichtnahmegebot ist keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht (BVerwG, Beschluss vom 11.01.1999 - 4 B 128/98 -, NVwZ 1999, 879, 880).
2. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis auch zu Recht entschieden, dass zu Lasten der Antragsteller wohl keine nachbarschützenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften verletzt sind. Das Vorhaben dürfte nach Aktenlage nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO zuzulassen sein. Dafür sind folgende Überlegungen maßgebend:
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a) Die geplante Balkonanlage könnte nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO direkt an der Grenze errichtet werden, denn nach planungsrechtlichen Vorschriften darf an die Grenze gebaut werden und es ist öffentlich-rechtlich gesichert, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Nach Aktenlage wurden zwar nur die Gebäude der Antragsteller und der Beigeladenen als Doppelhaus - und damit grenzständig - errichtet, während die übrigen Häuser in der näheren Umgebung seitlichen Grenzabstand zueinander aufweisen. Die beiden bereits vor mehr als hundert Jahren errichteten Gebäude prägen jedoch die nähere Umgebung mit. Die Errichtung von Gebäuden mit Grenzabstand ist demnach planungsrechtlich ebenso wenig zwingend wie eine Grenzbebauung; vielmehr ist beides möglich. Würde die Balkonanlage grenzständig errichtet, hielte sie sich somit im vorhandenen Rahmen der Bebauung und wäre bauplanungsrechtlich zulässig. Darüber hinaus wäre öffentlich-rechtlich gesichert, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Gerichtshofs ist diese Voraussetzung auch ohne Übernahme einer Baulast erfüllt, wenn das Nachbargrundstück - wie hier - bereits an der Grenze bebaut ist. Unerheblich ist insoweit, dass die Häuser der Antragsteller und der Beigeladenen nach dem Anbau nicht mehr deckungsgleich wären (vgl. VGH Baden-Württ., Beschluss vom 12.02.2007 - 5 S 2826/06 -, VBlBW 2007, 383, 385).
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Ohne Erfolg berufen sich die Antragsteller zum Beleg ihrer gegenteiligen Ansicht auf das Urteil des 5. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 10.10.2002 (- 5 S 1655/01 -, BauR 2003, 1201). Denn der dort entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Nach Auffassung des 5. Senats durfte der in jenem Verfahren geplante Dachbalkon nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO an der Grenze errichtet werden, weil die besonderen Regelungen über die Deckungsgleichheit von Gruppenbauten der dort anzuwendenden Bauordnung für die Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe aus dem Jahr 1898 dies nicht zuließen. Vergleichbare Regelungen enthält die zum Zeitpunkt der Errichtung der Gebäude der Antragsteller und der Beigeladenen geltende Bauordnung der Antragsgegnerin aus dem Jahr 1889 jedoch nicht.
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b) Hätten aber die Antragsteller nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO selbst die Errichtung einer Balkonanlage an der Grenze hinzunehmen, können sie nicht aus Gründen des Nachbarschutzes verlangen, dass die Balkonanlage unter Einhaltung des vollen nachbarschützenden Teils der Abstandstiefen errichtet wird. Denn der vorgesehene Grenzabstand vermindert die Beeinträchtigungen der Antragsteller im Hinblick auf Belichtung, Belüftung und Besonnung gegenüber einer Grenzbebauung und auch die Einsichtsmöglichkeiten - so sie überhaupt als Schutzgut der Abstandsflächenvorschriften zu betrachten sind (vgl. dazu einerseits Beschlüsse des Senats vom 08.11.2007 - 3 S 1923/07 -, VBlVW 2008, 147, 149 und vom 26.11.1993 - 3 S 2606/93 -, juris und andererseits Beschluss des 8. Senats vom 03.03.2008 - 8 S 2165/07 -, VBlBW 2008, 345, 346 m.w.N. der Rspr.) - werden verringert. Der vorgesehene Standort schafft zudem keinen Zustand, der die Antragsteller in der baulichen Ausnutzung ihres eigenen Grundstücks behindern würde.
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Allerdings folgt dies nicht bereits aus § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO, denn nach dieser Vorschrift dürfen bauliche Anlagen grundsätzlich nur entweder grenzständig oder unter Einhaltung des vollen nach § 5 Abs. 7 LBO erforderlichen Grenzabstandes errichtet werden (vgl. aber zur Zulässigkeit einer Bebauung mit einem Grenzabstand von 0,50 m nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO - allerdings ohne nähere Begründung - VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.02.2007 - 5 S 2826/06 -, a.a.O.). Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor den Außenwänden an den Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäudean die Grenze gebaut werden darf und öffentlich rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls an die Grenze gebaut wird. Bereits nach dem Wortsinn kann ein Gebäude nur dann „an der Grenze“ errichtet sein, wenn es direkt an der Grenze, ohne jeglichen Abstand zu dieser steht. Ein Gebäude mit geringem Grenzabstand steht nicht mehr „an“ der Grenze, sondern allenfalls „nahe“ der Grenze. Der Begriff „an der Grenze“ ist jedoch auch zu unterscheiden von dem Begriff „auf der Grenze“. Denn ein Bau auf der Grenze überbaut diese. Da die Grenze lediglich eine Linie und keine Fläche darstellt, kann „auf“ ihr nur einmal gebaut werden. Abgesehen davon, dass ein Bauherr zu einem solchen Grenzüberbau nicht ohne weiters berechtigt ist, kann die in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO beschriebene Situation bei einem Bau „auf“ der Grenze nicht eintreten, da die bereits überbaute Grenze kein weiteres Mal durch den Nachbarn überbaut werden kann.
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Das vom Verwaltungsgericht zum Beleg seiner im Ergebnis gegenteiligen Ansicht zitierte Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13.05.2002 (- 3 S 2259/01 -, BauR 2003, 1860) steht dieser Auslegung nicht entgegen, denn es betraf eine andere Fallkonstellation. Aufgrund der dort in der näheren Umgebung vorherrschenden abweichenden Bauweise mit Traufgassen musste wegen des insofern geltenden Vorrangs der bauplanungsrechtlichen Bestimmungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2Nr. 1 LBO mit verringertem Grenzabstand gebaut werden. Ließe man aber auch in den Fällen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO die Errichtung von baulichen Anlagen mit verringertem Grenzabstand zu, fehlte den Baurechtsbehörden ein Steuerungselement, um beispielsweise die Entstehung sogenannter Schmutzwinkel zu verhindern, weil der Bauherr sein Gebäude auch mit sehr geringem Abstand zu einem bereits vorhandenen grenzständigen Gebäuden errichten dürfte. Denn der Tatbestand der Vorschrift enthält kein Merkmal, der es den Baurechtsbehörden erlaubte, bestimmte Grenzabstände zu fordern. Die Entscheidung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LBO steht auch nicht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, sondern ist zwingendes Recht; eine Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen findet daher nicht statt. Schließlich lässt sich auch aus dem Zweck der Vorschrift eine in diesem Sinne einschränkende Auslegung nicht herleiten. Denn die Vorschrift verfolgt keine spezifisch bauordnungsrechtlichen Ziele, wie z.B. die Verhinderung von „Schmutzwinkeln“, sondern dient dazu, den Vorrang des Bauplanungsrechts vor dem Bauordnungsrecht zu sichern (vgl. Sauter, LBO, § 5 Rn. 35).
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bb) Die geplante Balkonanlage ist aber nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO zulässig. Nach dieser Vorschrift sind geringere Tiefen der Abstandsflächen zuzulassen, wenn Beleuchtung mit Tageslicht sowie Belüftung in ausreichendem Maße gewährleistet bleiben, Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen und soweit die Tiefe der Abstandsflächen die Maße des § 5 Abs. 7 LBO unterschreitet, nachbarliche Belange nicht erheblich beeinträchtigt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Gerichtshofs (vgl. z.B. Beschluss vom 18.12.2007 - 3 S 2107/07 -, VBlBW 2008, 190, 191 f.) stellt allerdings eine Abstandsflächentiefe, die - wie hier - den nachbarschützenden Teil unterschreitet, regelmäßig eine erhebliche, vom betroffenen Nachbarn nicht hinzunehmende Beeinträchtigung dar, gleichgültig, ob die Unterschreitung gravierend oder nur geringfügig ist. Nachbarliche Belange sind mithin nur dann nicht „erheblich“ beeinträchtigt, wenn auf dem Nachbargrundstück besondere Umstände vorliegen, die eine vom Regelfall abweichende Beurteilung rechtfertigen, weil die vorhandene Situation durch bestimmte Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des Nachbar an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandsfläche deutlich mindern oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.10.1996 - 3 S 2205/94 -, VBlBW 1997, 266, 267 und vom 15.09.1999 - 3 S 1437/99 -, juris sowie Beschluss vom 08.10.1996 - 8 S 2566/96 -, BauR 1997, 92, 95; kritisch hierzu Sauter, LBO § 6 Rn. 48b). Solche Besonderheiten können sich (und werden sich zumeist) aus den tatsächlichen Verhältnissen auf dem Nachbargrundstück ergeben. Hierzu können nach der Rechtsprechung des beschließenden Gerichtshofs etwa unterschiedliche Höhenlagen oder sonstige signifikanten topografischen Unterschiede gehören. Ferner kann ein ungewöhnlicher Zuschnitt des Nachbargrundstücks oder die Tatsache ausschlaggebend sein, dass die vorhandene oder die planungsrechtlich zulässige Bebauung auf dem Nachbargrundstück durch das in Rede stehende grenznahe Vorhaben nur unerheblich tangiert wird (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Sauter, LBO, Rn. 48c zu § 6 LBO). Neben diesen besonderen tatsächlichen Gegebenheiten können aber auch rechtliche Besonderheiten vorliegen, welche die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Nachbarn in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht deutlich mindern und deshalb eine „erhebliche“ Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO ausschließen (vgl. zum Fall der Verwirkung des materiellen Abwehrrechts gegen den Standort eines Gebäudes Senatsbeschluss vom 18.12.2007 - 3 S 2107/07 -, a.a.O.).
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Eine solche rechtliche Sondersituation kann auch vorliegen, wenn das Baugrundstück und das Nachbargrundstück - wie hier - mit einem Doppelhaus bebaut sind. Bei dieser Art der Bebauung verzichten die Bauherrn zugunsten der erhöhten Nutzbarkeit ihrer Grundstücke grundsätzlich auf seitliche Grenzabstände und damit auf Freiflächen, die dem Wohnfrieden dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2000 - 4 C 12.98 -, a.a.O.). Dieser Verzicht mindert auch das Maß ihrer Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO. Der Umfang des bauordnungsrechtlichen nachbarlichen Schutzanspruchs kann insoweit nicht anders zu beurteilen sein, als der des bauplanungsrechtlichen, zumal das Bauplanungsrecht dem Bauordnungsrecht vorgeht, soweit es - wie hier - Grenzbebauung ohne Abstandsflächen zulässt. Denn in beiderlei Hinsicht geht es um die Frage, wie viel Abstand ein Nachbar zum Schutz seiner nachbarlichen Belange verlangen kann bzw. wie viel Nähe er hinzunehmen hat. Allerdings wären wohl auch bei einer Doppelhausbebauung nachbarliche Interessen jedenfalls dann erheblich beeinträchtigt, wenn durch ein grenznahes Vorhaben die Bebaubarkeit des Nachbargrundstücks beeinträchtigt würde. Grundsätzlich bleibt zwar dem Nachbarn trotz eines solchen Vorhabens die Möglichkeit erhalten, auf dem eigenen Grundstück einen grenzständigen Anbau zu errichten. Die damit möglicherweise einhergehende Verschattung der zuvor mit geringem Grenzabstand errichteten baulichen Anlage hätte jener Bauherr dann hinzunehmen. Anders stellte sich die Situation jedoch wohl dar, wenn ein Anbau mit sehr geringem Grenzabstand errichtet würde, der es dem Nachbarn verwehrte, am eigenen Haus einen grenzständigen Anbau zu errichten, weil sonst z.B. ein „Schmutzwinkel“ entstünde. Diese Konstellation liegt hier allerdings nicht vor. Denn der vorgesehene Abstand der Balkonanlage zur gemeinsamen Grundstücksgrenze (65 cm für den 1 m tiefen Austritt im Erdgeschoss, 2,35 m für die Balkonanlage in den Obergeschossen) lässt bauordnungsrechtlich weiterhin die Errichtung eines grenzständigen Anbaus an das Gebäude der Antragsteller zu.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO.
18 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
19 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.