Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 22. Juli 2015 - 15 L 1477/15.A
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 3068/15.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. März 2015 wird angeordnet, soweit dort unter Ziffer 2 die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien angeordnet ist.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Das am 21. April 2015 bei Gericht eingegangene vorläufige Rechtsschutzgesuch mit dem sinngemäß (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) gestellten Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 3068/15.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. März 2015 anzuordnen, soweit dort unter Ziffer 2 die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien angeordnet ist,
4hat Erfolg. Es ist, weil der Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes nach § 75 Abs. 1 AsylVfG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt, als Anordnungsbegehren gemäß den §§ 123 Abs. 5, 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Rechtsschutzantrag gegenüber der Abschiebungsanordnung, die auf § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG gestützt ist, innerhalb der Antragsfrist des § 34 a Abs. 2 S. 1 AsylVfG gestellt. Denn der Antragsteller hat ‑ nachdem die Zustellung des angegriffenen Bundesamtsbescheides an ihn persönlich (§ 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG) am 14. April 2015 erfolgt ist ‑ innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Wochenfrist um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
5Das danach zulässige Rechtsschutzgesuch ist auch begründet.
6Gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache als Ergebnis einer Interessenabwägung, die in den Fällen des § 34 a Abs. 2 S. 1 AsylVfG nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht den Einschränkungen des § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG unterliegt,
7vgl. hierzu nur mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens Verwaltungsgericht Trier, Beschluss vom 18. September 2013, 5 L 1234/13.TR, juris Rdnr. 5 ff. m. w. N.,
8die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, soweit ihr ‑ wie hier ‑ kein Suspensiveffekt zukommt. Dabei überwiegt das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung einer Verfügung, wenn entweder der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil an der sofortigen Vollziehung einer solchen Regelung kein öffentliches Interesse besteht, oder aber wenn die angegriffene Regelung bei summarischer Prüfung zwar einer Rechtskontrolle Stand hält, gleichwohl aber das Aufschubinteresse des Betroffenen dem Allgemeininteresse an ihrer sofortigen Vollziehung vorgeht. Die Interessenabwägung fällt hier zu Gunsten des Antragstellers aus. Die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes begegnet bei summarischer Prüfung im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) rechtlich durchgreifenden Bedenken mit der Folge, dass kein öffentliches Interesse am Fortbestand der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung besteht.
9Die Abschiebungsanordnung ist wohl nicht rechtsfehlerfrei auf § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG gestützt. Soll die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) erfolgen, ordnet das Bundesamt sie nach dieser Vorschrift an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen dürften hier nicht sämtlich erfüllt sein.
10Gemäß § 26 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG kann sich ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 S. 1 GG (sicherer Drittstaat) eingereist ist, nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen; er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt (§ 26 a Abs. 1 S. 2 AsylVfG). Anwendung findet die Drittstaatenregelung dabei, wenn dem im Bundesgebiet Asyl Nachsuchende bereits zuvor in einem Staat, der zu dem Kreis der sicheren Drittsaaten zählt, der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist. Auf Asylanträge solcher Personen sind namentlich die Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), nicht anzuwenden.
11Vgl. etwa Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 26. Mai 2105, 13 L 1476/15.A, n. v.; so wohl auch: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 11. Mai 2015, 14 A 926/15.A, www.nrwe.de und juris.
12Mithin ist der Antragsteller, der in Bulgarien ‑ gemäß Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG als Mitgliedsstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat ‑ nach der Auskunft der dortigen Behörden an das Bundesamt vom 19. Februar 2015 internationalen Schutz erhalten hat, nicht asylberechtigt.
13Ob einer Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien die dortigen Lebensbedingungen für Personen, die einen Schutzstatus erhalten haben, entgegen stehen, kann hier offen bleiben.
14Die dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zu Grunde liegende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Schutzsuchenden einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend beachtet, ist allerdings nicht unwiderleglich.
15Vgl.: EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011, C 411/10 u. a., juris.
16Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn die aus Tatsachen abgeleitete Gefahr besteht, dass der Schutzsuchende mit beachtlicher, das heißt überwiegender Wahrscheinlichkeit in dem Mitgliedstaat, in dem er einen Schutzstatus erhalten hat und in den er deshalb überstellt werden soll, entgegen den Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und / oder der Art. 4, 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäische Union (EU-GR-Charta) bzw. des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden wird.
17Vgl. auch Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom 3. Juni 2015, 15 L 1486/15.A, www.nrwe.de und juris; sowie vom 26. Mai 2015, 13 L 1476/15.A, n. v;, und vom 27. Oktober 2014, 17 L 2200/14.A, www.nrwe.de und juris.
18Indes bedarf das Vorliegen dieser Voraussetzungen hier keiner weiteren Prüfung und Entscheidung, da die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nach Bulgarien aus anderen Gründen derzeit rechtlich durchgreifenden Bedenken unterliegt. Entgegen den Vorgaben des § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG dürfte nämlich nicht feststehen, dass der Antragsteller nach Bulgarien abgeschoben werden kann.
19Dem Bundesamt obliegt vor Erlass der Abschiebungsanordnung nicht nur die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse, sondern auch von inlandsbezogenen Vollzugshindernissen und Duldungsgründen. Für eine diesbezüglich originäre Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde ist daneben kein Raum, selbst wenn solche der Abschiebung entgegenstehende Gründe erst nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftreten.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014, 2 BvR 1795/14, juris.
21Ein Duldungsgrund (§ 60 a Absatz 2 Satz 1 AufenthG) liegt vor, wenn die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, etwa weil die Rückübernahmebereitschaft des Zielstaates der Abschiebung (noch) nicht geklärt ist,
22Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015, 14 B 102/15.A ,www.nrwe.de und juris, sowie vom 10. März 2015, 14 B 162/15.A., n. v.
23Da § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG den Erlass der Abschiebungsanordnung tatbestandlich daran anknüpft, dass feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, ist das Bundesamt erst dann befugt, die Abschiebung anzuordnen, wenn die Bereitschaft des Zielstaates der Abschiebung, den Abzuschiebenden aufzunehmen, außer Zweifel steht.
24Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015, 14 B 102/15.A, sowie vom 10. März 2015, 14 B 162/15.A., jeweils a. a. O.; Funke-Kaiser in: GK AsylVfG 1992, Loseblattsammlung (Stand: November 2014), § 34 a Rdnr. 20.
25Zwar hat Bulgarien nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist, Aufenthaltstitel auszustellen und gegebenenfalls zu verlängern, was ein Recht auf (Wieder‑)Einreise nach Bulgarien impliziert. Ob ‑ und gegebenenfalls aus welchem tatsächlichen und / oder rechtlichen Grund ‑ sich der bulgarische Staat gleichwohl möglicherweise gehindert sieht, einen durch ihn anerkannten Flüchtling wieder aufzunehmen, ist damit nicht abschließend geklärt. So sieht denn auch das nach der Bekanntmachung vom 4. Mai 2006 (BGBl. II S. 547) am 1. Mai 2006 in Kraft getretene deutsch-bulgarische Abkommen über die Übernahme und Durchbeförderung von Personen (Rückübernahmeabkommen) vom 1. Februar 2006 (Bekanntmachung vom 7. März 2006; BGBl. II S. 259 ff.) in seinen Artikeln 5 ff. für die Übernahme von Personen, die nicht die deutsche oder die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzen, ein bestimmten Übernahmeersuchen des abgebenden an den aufnehmenden Staat voraus, in dem die Voraussetzungen für die Übernahme glaubhaft zu machen sind.
26Ein solches Übernahmeersuchen im Sinne des Rückübernahmeabkommens hat das Bundesamt jedoch bislang für den Antragsteller ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge an den bulgarischen Staat nicht gerichtet. Zudem ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass Bulgarien abweichend von dem Rückübernahmeabkommen in ständiger Verwaltungspraxis unter Verzicht auf das Ersuchen dort anerkannte Flüchtlinge übernimmt. So hat Bulgarien dem Bundesamt gegenüber unter dem 19. Februar 2015 auch lediglich erklärt, dass für die Anwendung der Vorschiften des "Dublin-Abkommens" aufgrund des dem Antragsteller dort bereits gewährten Schutzes kein Raum sei, und vor diesem Hintergrund aufgezeigt, dass stattdessen andere Schritte für eine Rückführung des Antragstellers nach Bulgarien zu unternehmen sind ("Concerning the above mentioned person a separate request should be sent according to the Readmission agreements") Positiv geklärt ist durch diesen Hinweis die Übernahmebereitschaft des bulgarischen Staates nicht. Er spricht vielmehr dafür, dass seitens des bulgarischen Staates keine gesicherte Verwaltungsübung besteht, aus der Bundesrepublik solche Personen ohne Rücksicht auf die Regelungen des Übernahmeübereinkommens zu übernehmen, denen in Bulgarien bereits ein Schutzstatus zuerkannt worden ist.
27Im Ergebnis ebenso betreffend Bulgarien: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 8. Mai 2015, 18a K 3619/14.A, www.nrwe.de und juris; für den Fall ausdrücklich verneinter Übernahmebreitschaft auch: Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 20. Mai 2015, 22 L 355/15.A., n. v.; a. A.: für den Fall des Fehlens eines an Italien gerichteten Antrages nach dem Übernahmeabkommens, Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 26. Mai 2015, 13 L 1476/15.A, www.nrwe.de und juris.
28Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
29Der Wert des Verfahrensgegenstandes ergibt sich aus § 30 RVG.
30Der Beschluss ist unanfechtbar; § 80 AsylVfG.
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(1) §§ 88, 108 Abs. 1 Satz 1, §§ 118, 119 und 120 gelten entsprechend für Beschlüsse.
(2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung (§§ 80, 80a) und über einstweilige Anordnungen (§ 123) sowie Beschlüsse nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 161 Abs. 2) sind stets zu begründen. Beschlüsse, die über ein Rechtsmittel entscheiden, bedürfen keiner weiteren Begründung, soweit das Gericht das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.
(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.
(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.