Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 20. März 2015 - 13 K 445/14.A
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 30. Juni 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 8. Juli 2013 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
3Nach der Ermittlung eines Eurodac-Treffers (HU1330006227247) am 15. Juli 2013 stellte das Bundesamt unter dem 23. Dezember 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Ungarn. Die ungarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 6. Januar 2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c Dublin II-VO.
4Mit Bescheid vom 20. Januar 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an.
5Am 24. Januar 2014 hat der Kläger Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Absatz 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt (13 L 141/14.A).
6Der Kläger beantragt,
7den Bescheid vom 20. Januar 2014 aufzuheben.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
11Das Gericht hat mit Beschlüssen vom 28. Mai und 23. Juni 2014 Beweis erhoben durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des UNHCR und von Pro Asyl zu den in den Beweisbeschlüssen genannten Fragen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe teilte dem Gericht mit Schreiben vom 6. Juni 2014 mit, dass sie aus Kapazitätsgründen keine Anfragen zu den sog. „Dublin-Ländern“ bearbeite. Auf den Inhalt der erstatteten Gutachten vom 30. September 2014 (UNHCR), 31. Oktober 2014 (Pro Asyl) und 19. November 2014 (Auswärtiges Amt) wird Bezug genommen.
12Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.
15Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO).
16Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
17Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung des Klägers nach Ungarn durchgeführt werden kann; das ungarische Asylverfahren leidet insbesondere nicht an systemischen Mängeln (2.).
181. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Diese findet auf den Asylantrag des Klägers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Denn gemäß Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO anwendbar für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Anderes gilt allenfalls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist,
19vgl. bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 55; Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A –, juris, Rn. 13 und 8. Mai 2014– 13 L 126/14.A –, juris, Rn. 11.
20Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Kläger gestellten Asylantrags. Der Kläger hat ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 15. Juli 2013 bereits am 3. Mai 2013 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Ungarn hat auf das am 23. Dezember 2013 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Klägers nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c Dublin II-VO bereits am 6. Januar 2014, und damit noch innerhalb der nach Artikel 20 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c Dublin II-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers erklärt. Ungarn ist daher gemäß Artikel 20 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe d Dublin II-VO grundsätzlich verpflichtet, den Kläger innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen, da das Gericht mit Beschluss vom 16. Juni 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat.
21Zum fehlenden subjektiven Recht des Ausländers sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist zu berufen siehe VG Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014 – 13 K 8286/13.A –, juris.
22Der Überstellung des Klägers nach Ungarn steht auch nicht entgegen, dass zwischen der Antragstellung am 8. Juli 2013 und der Stellung des Übernahmeersuchens an Ungarn am 23. Dezember 2013 etwas mehr als 5 Monate vergangen sind. Fristvorgaben enthält die Dublin-II-VO insoweit allein für Aufnahmeersuchen (Artikel 17 Absatz 1 Dublin II-VO), also Ersuchen, die darauf gerichtet sind, dass der erstmalige Asylantrag von einem anderen Mitgliedstaat geprüft werde. Wird wie hier nach der Stellung eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat (Ungarn) ein weiterer Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt und ersucht die Beklagte daraufhin den Staat der ersten Asylantragstellung um Übernahme des Asylbewerbers, handelt es sich um ein Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO, das nicht der Fristregelung des Artikel 17 Dublin II-VO unterfällt,
23vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 17 L 150/13.A –, juris Rn. 40; Verwaltungsgericht Regensburg, Beschluss vom 5. Juli 2013 – RN 5 S 13.30273 –, juris Rn. 24; Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2013 – 33 L 403.13 A –, juris Rn. 8.
24Es liegt auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Klägers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Beklagten verwehrt ist, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat der an sich nach der Dublin II-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO selbst prüfen,
25vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 108.
26Dahingestellt bleiben kann, ob diese Vorgabe des EuGH auch bei Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO, noch dazu in Fällen, in denen sich der Asylbewerber ‑ wie vorliegend der Kläger – während der Überprüfung seines Asylbegehrens durch den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat begibt, zu beachten ist. Denn jedenfalls lag keine unangemessen lange Verfahrensdauer vor.
27Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäische Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Artikel 17 Absatz 2 Dublin II-VO für Aufnahmeersuchen und nunmehr auch Artikel 23 Absatz 2 Dublin III-VO für Wiederaufnahmeersuchen eine regelmäßige Frist von zwei bzw. drei Monaten vorsieht. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleichgesetzt werden mit der vom Europäischen Gerichtshof angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Absatz 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Artikel 17 Dublin II-VO von drei Monaten zuzüglich der durch Artikel 24 Absatz 4 AsylVfG für die innerstaatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von neun Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann,
28vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 9. Dezember 2014 – 13 K 399/14.A –, S. 5 f. des Urteilsabdrucks, 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, S. 8 des Urteilsabdrucks, n.v; Beschlüsse vom 26. Februar 2013 – 13 L 396/14.A. – und vom 31. März 2014 – 13 L 119/14.A – beide juris.
29Hier sind seit der Asylantragstellung 8. Juli 2013 bis zur Stellung des Übernahmeersuchens am 23. Dezember 2013 erst etwas mehr als 5 Monate verstrichen, so dass unter keinen Umständen von einer unangemessen langen Frist auszugehen ist.
302. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Beklagten begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Kläger nach Ungarn abzuschieben.
31Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 8 Dublin II-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO begründen – wie die der Dublin III‑VO – zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Beklagten,
32vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; BVerwG, Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
33Die Beklagte ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO zugunsten des Klägers –gehindert, diesen nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
34EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
35der Fall wäre, liegen nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
36EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
37Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
38EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
39Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
41Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können),
42vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
43Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Kläger vor der Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
44Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
45vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
46Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
47vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
48Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
49vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
50Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
51Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
52vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
53und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
54„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
55Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
56Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
57EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
58Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl – welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass der Kläger Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
59Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
60EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
61Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
62Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
63Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
64Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
65Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
66Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
67Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
68Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
69Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
70Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
71Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
72Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
73Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
74Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
75Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
76Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL ‑ der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
77Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
78Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
79Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
80Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
81Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
82Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
83Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
84Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
85Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
86Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
87vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
88die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
89Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
90Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
91Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
92Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis ‑ wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet, wurde gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
93Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
94Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
95Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
96Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
97Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
98Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
99Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
100vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
101Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
102Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
103Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
104Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
105Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
106Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung gewährt.
107Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
108Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
109Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
110Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt, sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
111So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
112Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
113Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
114Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
115So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
116Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – über den Asylantrag des Asylbewerbers noch nicht entschieden worden ist, weil dieser infolge des Verlassens Ungarns während des Asylverfahrens als zurückgenommen gilt.
117Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2, Seite 2 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 20.
118Dass das Asylverfahren des Klägers in Ungarn eingestellt worden ist, ohne dass über seinen Asylantrag entschieden worden ist, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der auf Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c) Dublin II-VO gestützten Zustimmung Ungarns zur Übernahme des Klägers fest. Danach ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Drittstaatangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet nach Maßgabe des Artikel 20 wieder aufzunehmen.
119Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten des Klägers. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
120BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
121folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
122Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
123Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen im Ergebnis daher keine Bedenken. Es sind auch keine zielstaatsbezogenen oder in der Person des Klägers liegenden, also inlandsbezogenen, Abschiebungshindernisse ersichtlich.
124Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.