Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 07. Dez. 2016 - Au 6 K 16.1346

bei uns veröffentlicht am07.12.2016

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Freizügigkeit sowie die Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung.

Der 1966 geborene Kläger ist kroatischer Staatsangehöriger. Am 25. März 2004 reiste er (nach bedingter Haftentlassung am 13.10.2003) erstmals im Rahmen des Familiennachzugs zu seiner deutschen Ehefrau in die Bundesrepublik ein. Am 6. Mai 2004 erteilte ihm das Landratsamt ... eine bis zum 5. Mai 2005 gültige Aufenthaltserlaubnis. Der Behörde war bekannt, dass der Kläger mit Urteil des Bezirksgerichts Zagreb (K-62/94) vom 16. September 1994 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung in sieben Fällen (vom 2.8.1992 bis 2.11.1993) verurteilt worden war und die Haftstrafe in seinem Herkunftsstaat verbüßt hatte.

Die Aufenthaltserlaubnis wurde zunächst bis zum 5. Mai 2007 verlängert. Nachdem der Kläger der Ausländerbehörde mitgeteilt hatte, dass er sich von seiner Ehefrau (die sich vorab für zwei Wochen im Frauenhaus befand) getrennt habe, bestätigte diese (mit Schreiben vom 1.9.2006), dass der Kläger ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben habe. Am 20. März 2009 wurde dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis erteilt (Bl. 43 und 157 der Behördenakte).

Am 31. März 2010 beantragte der Kläger beim Landratsamt, den Fortbestand seiner Niederlassungserlaubnis trotz dreijähriger Abwesenheitszeit aufgrund einer noch zu verbüßenden Haftstrafe aus dem Urteil des Bezirksgerichts Zagreb vom 7. Mai 2007 (Az. Kzm-25/06), gegen welches die Revision zurückgewiesen worden war (Bezirksgerichts Zagreb, U.v. 9.2.2010 - Kzm-41/07-8). Unter Einbeziehung der beiden vorgenannten Urteile wurde eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und acht Monaten gebildet (Gericht zweiten Grades Zagreb, U.v. 10.5.2010 - Kv-i-180/10). Der Kläger trug vor, sein privates Leben finde in Deutschland statt und er habe sich hier eine Existenz aufgebaut. In Kroatien habe er nur noch seine Mutter und einen Freund. Er legte eine Bestätigung der Firma ... vor, die beinhaltete, dass diese den Kläger nach seiner Rückkehr wieder beschäftigen werde. Auch die Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner Verlobten, der nunmehrigen Ehefrau, werde aufrechterhalten. Dem Kläger wurde daraufhin eine Bescheinigung gemäß § 51 Abs. 4 AufenthG ausgehändigt, wonach seine Niederlassungserlaubnis trotz längeren Aufenthalts in Kroatien nicht erlischt, sofern die Wiedereinreise bis spätestens 31. Juli 2013 erfolgt. Noch vor seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet beging der Kläger die Straftat vom 17. Juli 2010 (Az. 9 Ls 209 Js 104471/11).

Am 11. Januar 2013 schloss der Kläger mit seiner derzeitigen Ehefrau die Ehe in Kroatien. Bis zum 22. Mai 2013 befand er sich in Kroatien in Haft und wurde anschließend in Slowenien festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert.

Strafrechtlich ist der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland bislang wie folgt in Erscheinung getreten:

- Strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen übler Nachrede, Einstellungsverfügung vom 14. März 2007 mangels öffentlichem Interesse;

- Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Nachstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO am 23. Juli 2007;

- Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Ermächtigung als Halter zum Fahren ohne Fahrerlaubnis;

- Urteil des Amtsgerichts Augsburg, abgeändert durch Urteil des Landgerichts Augsburg vom 24. Januar 2014 (Az. 9 Ls 209 Js 104471/11), Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Augsburg suchte der Kläger am Abend des 17. Juli 2010 gemeinsam mit der Geschädigten eine Kneipe auf. Dort wurde so viel Alkohol konsumiert, dass die Geschädigte nicht mehr „alleine laufen“ habe können. Der Kläger sei mit dieser zum gemeinsamen Wohnort gefahren und habe sie in seine Wohnung geführt, wo sie sich vollständig bekleidet auf das Sofa gelegt habe und eingeschlafen sei. Die Geschädigte sei erst wieder erwacht, als der Kläger auf ihr lag und sie sexuell missbraucht hatte sowie am ganzen Körper, insbesondere an den Brüsten anfasste. Der Kläger habe bewusst den durch Schlaf verursachten Zustand der Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten ausgenutzt, um sexuelle Handlungen durchzuführen. Der Kläger sei zwar deutlich alkoholisiert gewesen, es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass er in seiner Ein-sichts- und Steuerungsfähigkeit dadurch erheblich gemindert gewesen sei.

Nach dem Führungsbericht der JVA ... (vom 19.10.2015) erscheine die Kriminalprognose - aufgrund der unbehandelten Sexualdelinquenz - äußerst ungünstig.

Mit Schreiben vom 26. Februar 2016 hörte der Beklagte den Kläger und dessen Ehefrau zur beabsichtigten Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts an. Der Kläger führte u.a. aus, im Rahmen der ersten beiden Verurteilungen durch kroatische Gerichte habe sich keine Notwendigkeit für eine Therapie ergeben. Am 23. März 2016 wurde der Kläger aus der Haft entlassen.

Das Oberlandesgericht München wies die Beschwerde des Klägers gegen die vom Amtsgericht Nördlingen angeordnete Dauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren sowie gegen die erteilten Weisungen als unbegründet zurück (B.v. 31.3.2016 - 2 Ws 285/16 u.a.; Bl. 484 der Behördenakte). Im Hinblick auf die noch nicht aufgearbeitete Sexualproblematik des Klägers könne nicht davon ausgegangen werden, dass er auch ohne Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehe.

Mit Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2016 (der zunächst keine Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt) wurde festgestellt, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verloren habe (Nr. 1); zugleich wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3) und die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland für vier Jahre untersagt; die Frist beginne mit der Ausreise bzw. Abschiebung (Nr. 4). Der Kläger wurde zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert, zugleich wurde ihm die Abschiebung nach Kroatien angedroht (Nr. 5). Der Kläger sei bis zu seiner Inhaftierung als Arbeitnehmer erwerbstätig gewesen und daher freizügigkeitsberechtigt. Zudem sei er derzeit aktiv auf der Suche nach einer Arbeit. Aus dem bisher gezeigten Verhalten und dem gegen den Kläger ergangenen Strafurteil ergebe sich eine gegenwärtige Gefahr der öffentlichen Ordnung und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU sei für Maßnahmen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur das persönliche Verhalten des Ausländers auschlagge-bend. Der Kläger habe sich durch die hohen Haftstrafen und die Verbüßung der Strafen in einer kroatischen Strafanstalt nicht davon abschrecken lassen, erneut eine einschlägige, erhebliche Straftat gegen die physische und psychische Unversehrtheit sowie gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu begehen. Das Oberlandesgericht München habe festgestellt, dass bei dem Kläger im Hinblick auf die Vorstrafen auch Persönlichkeitsdefizite vorliegen. Die JVA ... habe festgestellt, dass aufgrund der un-behandelten Sexualdelinquenz die Kriminalprognose äußerst ungünstig sei. Das bisherige Verhalten des Klägers lasse daher darauf schließen, dass er bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet konkret weitere Straftaten begehe. Zugunsten des Klägers greife § 6 Abs. 4 FreizügG/EU. Danach dürfe die Verlustfeststellung nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden; andererseits müssten die Gründe weniger gewichtig sein, als diejenigen, die für § 6 Abs. 5 FreizügG/EU gelten. Die mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg abgeurteilten Straftaten seien zumindest dem Bereich der mittelschweren Kriminalität zuzuordnen und könnten daher eine Verlustfeststellung tragen. Nach Art. 83 AEUV fielen in den Bereich der schweren Kriminalität auch die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern. Durch § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG komme zum Ausdruck, dass es sich bei Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung um ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse handle. Diese Vorschrift sei auf Unionsbürger nicht anwendbar, doch sei ersichtlich, dass der Gesetzgeber solche Straftaten, sofern sie unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen würden, bereits ab einer Verurteilung zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe mit einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse belegt habe. Es lägen der Behörde keine Anhaltspunkte vor, dass sich der Kläger ernsthaft mit seiner Tat auseinandergesetzt und aus Schuldeinsicht eine neue Orientierung gewonnen habe. Das seitens des Klägers gezeigte Verhalten beeinträchtigte die Grundinteressen der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Es bestehe auch eine gegenwärtige Gefährdung, denn aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse müsse davon ausgegangen werden, dass auch durch den Strafvollzug keine Änderung der Einstellung des Klägers zum Rechtssystem bzw. gegenüber Frauen zu erwarten sei. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, dies gelte insbesondere auch unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation des Klägers. Hilfsweise werde die Ausweisung verfügt, da der Kläger Inhaber einer Niederlassungserlaubnis sei. Nach Abwägung der Gesamtumstände gelange die Ausländerbehörde zu dem Schluss, dass das öffentliche Interesse an einer Ausweisung gegenüber dem Interesse am Verbleib überwiege.

Der Kläger beantragt,

Der Bescheid des Landratsamtes ... vom 2. Juni 2016 wird aufgehoben; hilfsweise: die Einreise- und Aufenthaltssperre wird verkürzt.

Maßgeblich sei zunächst das Tatbestandsmerkmal der „Gefährdung“ (§ 53 Abs. 1 AufenthG ). Da vom Kläger keine Gefahr in dieser Sache ausgehe, sei die Ausweisung schon deswegen unzulässig. Der Beklagte verkenne im Übrigen, dass der „deutschverheiratete“ Kläger über ein besonderes Bleibeinteresse verfüge (§ 55 Nr. 4 AufenthG ). Auch übe dieser eine väterliche Rolle gegenüber der Tochter seiner Ehefrau aus; insofern werde auf ein Schreiben der Klassenlehrerin vom 30. Juni 2016 sowie der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, wonach das Mädchen ein gutes Verhältnis zum Kläger habe, verwiesen. Dieser unterstütze seine Ehefrau natürlich auch in den „Fragen der materiellen Dinge des täglichen Lebens“, hierzu werde auf ein Schreiben der ... verwiesen; das vorgelegte allgemeinärztliche Attest vom 22. Juni 2016 beinhaltet, dass die Ehefrau an einem stark ausgeprägten Überlastungssyndrom leide. Der Kläger sei seit 17. Juli 2016 sozialversicherungs-pflichtig beschäftigt. Er habe auch die Weisung, sich alle zwei Monate bei der Kriminalpolizeiinspektion ... (s. deren Schreiben vom 22.6.2016) vorzustellen, eingehalten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es sei nicht davon auszugehen, dass vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe. Dieser sei wegen eines Sexualdeliktes im Jahre 2010 vorbestraft, das er - kurz vor Antritt der Freiheitsstrafe wegen einer Vergewaltigung in seinem Heimatland - in Deutschland begangen habe. Der Sozialdienst der JVA ... führe zwar aus (Bl. 363 ff. der Behördenakte), dass das Verhalten des Klägers beanstandungsfrei gewesen sei. Mit diesem seien mehrere Motivationsgespräche hinsichtlich einer Sexualstraftherapie geführt worden. Zur Behandlungsmotivation sei angegeben, dass diese in erster Linie extrinsisch motiviert sei, um eine Chance auf vorzeitige Entlassung zu erhalten. Dem Kläger sei während der Haft die Gelegenheit gegeben worden, mit der psychotherapeutischen Aufarbeitung seiner Straftaten zu beginnen. Er habe jedoch keine Verantwortung für seine Taten übernommen und weder Einsicht noch Schuld gezeigt, so dass die externe Diplom-Psychologin eine weitere Behandlung abgelehnt habe. Der Kläger zeige keinerlei tatsächliche und nachhaltige Einsicht und Bereitschaft, seine Sexualproblematik aufzuarbeiten.

Der Bewährungshelfer legte (mit Schreiben vom 25.10.2016) die Prüfung der Fachambulanzen für Gewalt- und Sexualstraftäter, München, vor. Diese beinhaltet im Wesentlichen, dass zehn Gespräche mit dem Kläger stattgefunden hätten und eine Indikation zur forensischen Psychotherapie vorliege. Nach Einschätzung der Fachambulanz liege eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor. Im Hinblick auf deliktrelevante Faktoren sei von einem Zusammenwirken persönlichkeitsimmanenter und lebensphasischer Faktoren auszugehen. Hierbei imponiere ein opportunistisches Verhaltensmuster im Dienste der Bedürfnisbefriedigung, insbesondere in Lebensphasen, in denen sich der Kläger zurückgewiesen oder benachteiligt fühle. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 erfolgte eine ergänzende Stellungnahme des Bewährungshelfers.

Mit Beschluss vom 16. November 2016 stellte das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. 2 des gegenständlichen Bescheids wieder her und lehnte im Übrigen den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab (Au 6 S 16.1347).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte, die beigezogenen Strafakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

1. Die Klage ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid des Landratsamtes ... vom 2. Juni 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - BVerwGE 121, 297 - Leitsatz 2).

a) Die Voraussetzungen für die vom Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU -FreizügG/EU) verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt liegen beim Kläger vor (dazu unter a) und b)). Dies gilt selbst bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU (dazu unter c).

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich alleine nicht, um die Verlustfeststellung zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung sind gemäß § 6 Abs. 3 Frei-zügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Unionsbürgerstatus der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten ist (vgl. EuGH, U.v. 23.3.2004 - Collins, C-138/02 - juris Rn. 61), ist eine Verlustfeststellung nur dann gerechtfertigt, wenn sie sich ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Unionsbürgers stützt. Strafrechtliche Verurteilungen alleine können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten des Betroffenen muss eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaates berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. EuGH, U.v. 22.5.2012 - C-348/9 - NVwZ 2012, 1095).

b) Ausgehend von diesen Maßgaben liegt eine vom Kläger ausgehende gegenwärtige tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nach Überzeugung der Kammer vor. Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg, abgeändert durch Urteil des Landgerichts Augsburg vom 24. Januar 2014 (Az. 9 Ls 209 Js 104471/11), wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen verurteilt; die der strafrechtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Umstände lassen ein persönliches Verhalten des Klägers erkennen, das eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, darstellt. Der Kläger ist wegen zahlreicher schwerer Sexualdelikte mehrfach vorbestraft, er ist Wiederholungstäter und seine Sexualproblematik ist nach wie vor nicht therapeutisch aufgearbeitet. Die erste Verurteilung in seiner Heimat zu zehn Jahren Freiheitsstrafe beruhte auf sieben nachgewiesenen Fällen. Nach der Entlassung aus der Haft in Kroatien reiste er in die Bundesrepublik ein. Hier hat er kurze Zeit vor Antritt der zweiten Strafhaft in Kroatien - aufgrund einer weiteren einschlägigen dortigen Verurteilung -vor seiner Ausreise am 17. Juli 2010 erneut eine Gewalt- und Sexualstraftat begangen. Zwar lagen der Verurteilung in Kroatien Straftaten in den Jahren 1992 und 1993 zugrunde, mit Blick auf die Rückfallgeschwindigkeit ist jedoch zu berücksichtigen, dass die bedingte Haftentlassung des Klägers erst im Oktober 2003 bzw. seine Einreise ins Bundesgebiet im März 2004 erfolgte. Beim Kläger hat demnach weder die langjährige Strafhaftzeit noch die erneute Verurteilung in Kroatien zu einer dauerhaften Verhaltensänderung geführt. Vielmehr hat er trotz der zwischenzeitlich bestehenden Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau erneut eine Gewalt- und Sexualstraftat - dieses Mal im Bundesgebiet - begangen.

Eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer schwerer Straftaten ist nach Überzeugung der Kammer gegeben. Der Kläger wurde wegen einer am 17. Juli 2010 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen verurteilt; zudem hat er in Kroatien eine Vielzahl von Straftaten begangen, die gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gerichtet waren. Beim Kläger ist unter Berücksichtigung der der letzten Verurteilung zu Grunde liegenden Tat, der im Vorfeld von ihm begangenen gravierenden Straftaten und dem Umstand, dass er sich durch die deshalb gegen ihn ergangenen Strafurteile (s. Bl. 238 ff. und 267 der Behördenakte) nicht von der Begehung einer weiteren gravierenden Straftaten hat abhalten lassen, von erheblichen charakterlichen Mängeln auszugehen, die zu der Annahme führen, dass er auch künftig weiter schwere Straftaten begehen wird. Aus dem vorgenannten Urteil des Amtsgerichts Augsburg (Az. 9 Ls 209 Js 104471/11) ergibt sich, dass der Kläger am Tattag mit drei Freundinnen habe ausgehen wollen, weil seine Frau vereist gewesen sei, die Geschädigte sei mit dem Kläger und dessen Ehefrau sowie deren Tochter innig befreundet gewesen (Bl. 345 und 353 der Behördenakte); das Gericht hatte keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in seiner Ein-sichts- und Steuerungsfähigkeit durch seine Alkoholisierung erheblich vermindert war. Dem Führungsbericht der JVA ... vom 19. Oktober 2015 (Bl. 363 ff. der Behördenakte) ist zu entnehmen, dass der Kläger (am 16.9.2015) zu einer externen Psychotherapeutin ausgeführt worden sei, um ihm bereits während der Haft Gelegenheit zu geben, mit der psychotherapeutischen Aufarbeitung seiner Sexualstraftaten zu beginnen. Diese habe weitere Gesprächstermine abgelehnt, da der Kläger keine Verantwortung für seine Straftaten übernehme und weder Einsicht noch Schuld zeige. Zwar hat sich der Kläger ausweislich dieses Führungsberichts in der Haft beanstandungsfrei verhalten. Dies lässt eine Wiederholungsgefahr aber nicht entfallen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass ein Wohlverhalten in der Haft nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11; B.v. 26.1.2015 - 10 ZB 13.898 - NVwZ-RR 2015, 597). Nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts München (B.v. 31.3.2016 - 2 Ws 285/16 u.a.; Bl. 484 ff. der Behördenakte) kann im Hinblick auf die noch nicht aufgearbeitete Sexualproblematik des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass er auch ohne Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begeht; die festgesetzte Dauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren sei u.a. im Hinblick auf die vorliegenden Persönlichkeitsdefizite nicht zu beanstanden. Zumal nach der seitens des Gerichts eingeholten Stellungnahme der psychotherapeutischen Fachambulanz für Gewalt-und Sexualstraftäter vom 11. Oktober 2016 eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorliege und im Hinblick auf deliktrelevante Faktoren von einem Zusammenwirken persönlichkeitsimmanenter und lebensphasischer Faktoren auszugehen sei. Danach imponiere ein opportunistisches Verhaltensmuster im Dienste der Bedürfnisbefriedigung, insbesondere in Lebensphasen, in denen sich der Kläger zurückgewiesen oder benachteiligt fühle.

Zwar nimmt der Kläger derzeit in wöchentlicher Frequenz an einer forensischen Psychotherapie teil; Aussagen zu eventuell erkennbaren Fortschritten würden laut Mitteilung des Bewährungshelfers vom 6. Dezember 2016 zu einem so frühen Stadium der Therapie jedoch keine getroffen. Das bisherige Wohlverhalten unter dem Druck der strafgerichtlich angeordneten Therapie und staatlicher Kontrolle bzw. Führungsaufsicht lässt nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauer haften Einstellungswandel schließen. Demnach bestehen weiterhin gewichtige Anhaltspunkte für die Gefahr erneuter schwerer Straftaten, insbesondere auch Sexualstraftaten durch den Kläger. Angesichts des hohen Rangs des betroffenen Schutzguts setzt die Aberkennung des Freizügigkeitsrechts einen höheren Grad von Rückfallwahrscheinlichkeit nicht voraus. Denn die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringer, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277, juris Rn. 16). Das Körperverletzungsund Gewaltdelikt des Klägers gefährdet zudem das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Gesundheit der Bürger nimmt aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein; ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft, das durch Straftaten, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 57).

Die auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, führt unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, der Persönlichkeitsstruktur des Klägers sowie seines Nachtatverhaltens vorliegend nach der aus der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichts zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr.

Vor diesem Hintergrund wurde der klägerseitig gestellte Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, dass der Compliancemangel des Klägers, wie er durch Frau ... mit Stellungnahme von Dr. ... als extrinsisch motiviert bewertet wurde, krankheitsbedingt sei, ein fachärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, weil dieses ergeben werde, dass erst durch eine Therapie eine Einsichtsfähigkeit des Klägers in seine Probleme und Behandlungsfähigkeit vor dem Hintergrund der Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ermöglicht werde, abgelehnt. Denn der unter Beweis gestellte Sachverhalt kann als wahr unterstellt werden. Dies führt jedoch mit Blick auf die Wiederholungsgefahr gerade zu keiner anderen Beurtei 35 lung: Der Kläger ist, wie dargelegt, mehrfach einschlägig vorbestraft, er ist Wiederholungstäter und seine Sexualproblematik ist noch nicht therapeutisch aufgearbeitet (s.a. Bl. 365 der Behördenakte). Soweit dem Kläger zudem krankheitsbedingt erst durch eine bzw. die derzeitige Therapie eine Einsichts- bzw. Behandlungsfähigkeit ermöglicht wird, mag dies die Grundlage für den Erfolg einer Therapie darstellen. Solange diese jedoch nicht erfolgreich absolviert ist, entfällt aufgrund dessen nicht die Wiederholungsgefahr, sondern ist umso größer, als bei Krankheitswert des Verhaltensmangels eine Verhaltensänderung aus eigener Kraft und ohne therapeutische Hilfe erst recht nicht zu erwarten ist. Damit würde die vom Beweisantrag umfasste Tatsache die bereits aus Persönlichkeit und Vorverhalten des Klägers abgeleitete Wiederholungsgefahr noch zusätzlich stützen. Daher kann diese Tatsache als wahr unterstellt und weiter davon ausgegangen werden, dass beim Kläger das nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts bestehende erhebliche Rückfallrisiko bis zum erfolgreichen Abschluss einer Therapie fortbesteht; erst recht heute im entscheidungserheblichen Zeitpunkt erst am Anfang einer gerade begonnenen therapeutischen Aufarbeitung.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere in Fällen wiederholter Straftaten die Prüfung der Frage, ob die von der Behörde angenommene Befürchtung neuer Verfehlungen tatsächlich besteht, grundsätzlich nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert. Das Gericht bewegt sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebensund Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind (vgl. BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82/89 - NVwZ-RR 1990, 649 m.w.N.). Eine Ausnahme kommt danach nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzt, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es bedarf unter Berücksichtigung der gegebenen Einzelfallumstände keines Sachverständigengutachtens, um zu klären, ob die mangelnde Schuldeinsicht des Klägers krankheitsbedingt ist, da dies aus den dargestellten Gründen keine andere Bewertung zulässt. Es entspricht der dem Richter allgemein zugänglichen Lebenserfahrung, dass Personen, die ihr strafbares Verhalten als richtig ansehen und deshalb dessen Unrechtsgehalt leugnen, sich in vergleichbaren künftigen Situationen ähnlich verhalten und damit erneut straffällig werden können.

c) Es ist zwar davon auszugehen, dass der Kläger den nach dem Erwerb des Daueraufenthaltsrechts (§ 4a FreizügG/EU) eintretenden erhöhten Schutz gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU (siehe auch Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) für sich beanspruchen kann. Das vorgenannte persönliche Verhalten des Klägers, insbesondere auch das der Verurteilung des Amtsgerichts Augsburg zugrunde liegende Verhalten, erfüllt jedoch auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU.

Nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU).

Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU bzw. nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet voraus. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass unter dem Begriff des „rechtmäßigen Aufenthalts“ in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/ EG, der durch § 4a FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt wurde, nur ein Aufenthalt zu verstehen ist, der im Einklang mit den in der RL 2004/38/EG vorgesehenen, insbesondere mit den in Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht. Der Betroffene muss also während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG erfüllt haben. Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht aber nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein (vgl. BVerwG, U.v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - NVwZ-RR 2012, 821; EuGH, U.v. 21.12.2011 - Ziolkowski, C-424/10 - juris Rn. 46).

Insoweit ist eine hypothetische Prüfung vorzunehmen, ob auch die vor dem Beitritt Kroatiens liegenden Aufenthaltszeiten in Einklang mit den Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG zurück gelegt worden sind (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2015 - 10 C 14.2655 - juris Rn. 24). Zwar können Zeiten, in denen der Kläger hier eine Freiheitsstrafe verbüßt hat, nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden. Der Kläger lebte aber zunächst seit 25. März 2004 bei seiner vormaligen zweiten Ehefrau, die über ausreichende Erwerbseinkünfte verfügte, seit Zuzug bestand auch Krankenversicherungsschutz (Bl. 6 der Behördenakte). Ab 1. September 2004 war er als Arbeitnehmer beschäftigt (Bestätigung des Arbeitgebers vom 26.2.2009, Bl. 145 der Behördenakte) und lebte bis August 2010 in Deutschland. Unter Berücksichtigung der Bescheinigung über die Fortgeltung des Aufenthaltstitels kann die zweite Strafhaft in Kroatien im Falle des Klägers als Abwesenheit aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grund angesehen werden (§ 4a Abs. 7 FreizügG/EU; Bl. 189 der Behördenakte: Bescheinigung über die Fortgeltung des Aufenthaltstitels vom 15.6.2010). Der Kläger hat damit - wovon auch der Beklagte zu Gunsten des Klägers ausging - die Voraussetzungen des Daueraufenthaltsrechts i.S.v. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erfüllt (vgl. BVerwG, U.v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - NVwZ-RR 2012, 821).

Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/ EU nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Hierbei wird an das geschützte Rechtsgut angeknüpft, so dass gesteigerte Anforderungen an das berührte Grundinteresse der Gesellschaft zu stellen sind. Ausreichend ist insoweit eine konkrete Wiederholungsgefahr. Dies ist insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schwerer Vergehen anzunehmen (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt Kommentar zum Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 51). Diese schwerwiegenden Gründe sind vorliegend gegeben. Der Kläger wurde aufgrund der Gewalt- und Sexualstraftat vom 17. Juli 2010 nach § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. verurteilt (AG Augsburg, Az. 9 Ls 209 Js 104471/11, Bl. 342 ff. der Behördenakte). Der Tatbestand nach § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. beinhaltete eine nach oben offene Strafandrohung von nicht unter zwei Jahren, demnach ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB). Eine konkrete Wiederholungsgefahr hinsichtlich künftiger Verbrechen ist gegeben (s.o. unter b), dies gilt insbesondere auch, weil der Kläger noch keine Therapie erfolgreich abgeschlossen hat. Die Grundinteressen der Gesell schaft sind auch deshalb in besonderem Maße betroffen, weil der Kläger erneut eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen hat, an deren konsequenter Bekämpfung mittels präventiver Maßnahmen ein besonderes gesellschaftliches Interesse besteht.

d) Der Kläger kann sich nicht auf den erhöhten Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, der auf den Aufenthalt im Bundesgebiet in den letzten zehn Jahren -rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Verlustfeststellung - abstellt. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden, § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, § 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dient, setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 - C-145/09 - juris). Im Falle einer Verurteilung wegen Straftaten ist § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU im Übrigen dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2014 - 19 ZB 13.2013 - juris).

Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen; dies gilt auch, wenn sich der Unionsbürger vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 - C-400/12 - NVwZ-RR 2014, 245). Der Kläger hat trotz der zunächst erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt, der bereits bestehenden Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau und der ihm erteilten Bescheinigung über die Fortgeltung des Aufenthaltstitels (vom 15.6.2010, Bl. 189 der Behördenakte) am 17. Juli 2010 erneut eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen. Ausgehend vom Zeitpunkt der Verlustfeststellung am 2. Juni 2016 befand sich der Kläger - im Anschluss an die zweite Strafhaft in Kroatien - in Deutschland für zwei Jahre und zehn Monate (bis 23.3.2016) in Haft. Diese Zeit der Strafhaft stellt nicht lediglich eine für den Integrationszusammenhang unschädliche Unterbrechung dar; sie kann daher bei den gegebenen Gesamtumständen (s.o. unter Nr. 1 b) keine Berücksichtigung finden.

e) Das Landratsamt hat sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sind bei der Verlustfeststellung insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Der Beklagte hat die in § 6 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU aufgeführten Belange in seine Entscheidung einbezogen und vertretbar gewichtet. Insbesondere hat er die Aufenthaltszeiten des Klägers im Bundesgebiet und dessen familiäre Bindungen angemessen gewürdigt. Es kann vorliegend nicht beanstandet werden, dass er trotz dieser Umstände den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den Vorrang gegeben und die Wiederholungsgefahr als derart schwerwiegend gewichtet hat, dass die persönlichen Belange des Klägers zurückzutreten haben.

Der Einwand des Klägerbevollmächtigten, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Qualität der Therapien und die Kapazitäten in Kroatien mit jenen in Deutschland nicht vergleichbar seien, greift nicht durch. Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der Verlustfeststellung seine Therapie, die ausweislich der vorgenannten Stellungnahme vom 6. Dezember 2016 auf längere Zeit ausgerichtet ist, in Deutschland möglicherweise nicht zu Ende führen kann, dies führt jedoch nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Verlustfeststellung (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2015 - 10 ZB 15.1394 - juris). Denn nach der Rechtsprechung kommt es für die Rechtmäßigkeit einer ausländerbehördlichen Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers darauf an, ob der Betroffene eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für wichtige Rechtsgüter darstellt und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse am Verbleib des Unionsbürgers in Deutschland deutlich überwiegt. Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung ausspricht, ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus dem Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen „jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt“ (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 - C-400/12 - juris Rn. 35).

f) Die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts des Klägers ist auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die nunmehrige dritte Ehefrau des Klägers die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Einen Verstoß gegen Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK hat der Beklagte zu Recht verneint. Der Kläger kann sich auf den Schutz seines Familienlebens berufen, da seine Ehefrau in Deutschland lebt. Die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers fällt zwar grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 6 GG; eine Aufenthaltsbeendigung wird dadurch aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (EGMR, U.v. 25.3.2010 - Mutlag/Bundesrepublik Nr. 40601/05 - InfAuslR 2010, 325; U.v. 13.10.2011 - Trabelsi/Bundesrepublik Nr. 41548/06 - juris Rn. 54).

Ausgehend von den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerfG (Kammer), B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07, BVerwG, U.v. 23.10.2007 - 1 C 10/07 - jeweils juris; BayVGH, B.v. 19.11.2014 -19 ZB 13.1026 - AuAS 2015, 16) und den maßgeblichen Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, U.v.13.10.2011 a.a.O.) führt diese Prüfung vorliegend zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens gerechtfertigt und damit als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen ist. Soweit der Kläger auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verweist (BVerfG (Kammer), B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris zur Ausweisung eines sog. „faktischen Inländers“), lag dieser bereits ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der Kläger lebte sechs Jahre und vier Monate in Deutschland, bevor er seine zweite Haftstrafe in Kroatien antrat, anschließend erfolgte seine Inhaftierung in Deutschland. Zwar war er während der Zeit vom 25. März 2004 bis zum August 2010 überwiegend in den Arbeitsmarkt integriert und er ist auch jetzt wieder erwerbstätig. Seine wesentliche Sozialisierung und Prägung hat er aber in Kroaten erhalten; er war hier bereits verheiratet und 1989 wurde in ... seine Tochter geboren. Er ist mit den Verhältnissen in seinem Heimatland vertraut und spricht Kroatisch. Die jetzige Ehe des Klägers wurde im Januar 2013, während der Haft in Kroatien, geschlossen; die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und deren Tochter wird erst seit seiner Haftentlassung am 23. März 2016 kontinuierlich gelebt; dagegen bestand diese Lebensgemeinschaft im Jahr 2010 nur einige Monate.

Der Kläger ist wegen zahlreicher schwerer Sexualdelikte mehrfach vorbestraft, er ist Wiederholungstäter und seine Sexualproblematik ist therapeutisch nicht aufgearbeitet. Er hat sich weder durch die in Kroatien gegen ihn ergangenen Strafurteile (s. Bl. 238 ff. und 267 der Behördenakte), noch durch die zwischenzeitlich bestehende Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau von der Begehung einer weiteren gravierenden Straftat abhalten lassen. Gegen den Kläger spricht weiter, dass er für die Dauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht steht. Laut dem Beschluss vom 31. März 2016 (OLG München - 2 Ws 285/16 u.a.; Bl. 484 der Behördenakte) kann im Hinblick auf die noch nicht aufgearbeitete Sexualproblematik des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass er auch ohne Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehe.

Nach Abwägung der gegebenen Gesamtumstände und insbesondere im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende Gefahr ist die Kammer der Ansicht, dass ihm eine Rückkehr nach Kroatien zumutbar ist. Der Kläger hat dort die Schule besucht und viele Jahre gelebt, sodass er mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist. Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass der Kläger dort wieder Fuß fassen kann.

2. Auch die Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken, so dass auch diesbezüglich die Klage keinen Erfolg hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU dürfen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren haben, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU ist die Verlustfeststellung bereits mit Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewährt Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf die Befristung (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 - BVerwGE 151, 361 juris Rn. 22). Nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 - BVerwGE 151, 361 juris Rn. 27). Diese ermittelte Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK) und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach der Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 28). Das Bundesverwaltungsgericht geht nunmehr auch hinsichtlich der Dauer der Frist von einer gebundenen Verwaltungsentscheidung aus, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 29). Die Befristungsentscheidung ist auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage zu treffen und hierbei ist auch das Verhalten des Unionsbürgers nach der Ausweisung zu würdigen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 31).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die vom Beklagten getroffene Befristungsentscheidung von vier Jahren nach Auffassung der Kammer rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die zahlreichen einschlägigen Straftaten des Klägers sowie die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr in Relation zu seinen familiären Beziehungen in Deutschland gesetzt und zutreffend gewichtet.

Zu Lasten des Klägers sprechen die mehrfachen einschlägigen strafrechtlichen Verurteilungen. Auch die Verurteilungen bzw. Haftstrafen in Kroatien konnten ihn nicht zum Umdenken bewegen.

In der Gesamtschau hält die Kammer eine Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung auf vier Jahre im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK für sachgerecht. Das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen überwiegt die persönlichen Interessen des Klägers. Die Frist ist angesichts der derzeit vom Kläger ausgehenden Gefahr auch deshalb angemessen, weil die Sperrfrist, wenn dies aufgrund einer Veränderung der Prognosegrundlagen gerechtfertigt ist, auf Antrag oder von Amts wegen zu verkürzen ist. Einer positiven Entwicklung des Unionsbürgers nach Erlass der Verlustfeststellung, etwa durch eine erfolgreiche Therapie, kann demnach durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2015 - 10 ZB 15.1394 - juris).

3. Die verfügte Abschiebungsandrohung mit Ausreisefrist findet ihre rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

4. Da sich die Verlustfeststellung als rechtmäßig erweist, kommt der - ausweislich der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids - lediglich „hilfsweise“ verfügten Ausweisung vorliegend demnach keine eigenständige Regelungswirkung (und demnach auch kein Rechtsschein einer über die Verlustfeststellung hinausgehenden Regelung) zu, so dass es insoweit am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn die Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist bei Unionsbürgern an die Stelle der Ausweisung getreten (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 -BVerwGE 151, 361).

Das Aufenthaltsgesetz findet nach seinem § 1 Abs. 2 Nr. 1 grundsätzlich keine Anwendung auf Unionsbürger, zu denen der Kläger als kroatischer Staatsangehöriger zählt. Die Ausnahmen hiervon sind in § 11 FreizügG/EU geregelt. Dort sind die Vorschriften über die Ausweisung weder ausdrücklich genannt, noch ergibt sich ihre Anwendung aus der Begünstigungsklausel in § 11 Abs. 1 Satz 11 Frei-zügG/EU. Diese Bestimmung will eine Schlechterstellung von Unionsbürgern gegenüber Drittausländern vermeiden. Die Anforderungen an die Aberkennung des Aufenthaltsrechts nach § 6 FreizügG/EU bieten aber Unionsbürgern nicht weniger, sondern mehr Schutz als die Regelungen des Ausweisungsrechts nach §§ 53 ff. AufenthG. Der Rückgriff auf das allgemeine Ausweisungsrecht ist auch nicht über die Bestimmung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU eröffnet. Danach findet das Aufenthaltsgesetz dann Anwendung, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt hat, sofern das Freizügigkeitsgesetz keine besonderen Regelungen trifft. Zur Aberkennung des Aufenthaltsrechts selbst hat der Gesetzgeber aber in Umsetzung von Art. 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG mit Art. 6 FreizügG/EU abschließende Sonderregelungen getroffen. Daneben ist kein Raum mehr für eine flankierende Anwendung des für Drittstaatsangehörige geltenden allgemeinen Ausweisungsrechts (vgl. VG Regensburg, U.v. 9.4.2013 - RO 9 K 12.1006 - juris m.w.N. nachfolgend, BayVGH, B.v. 19.11.2014 - 19 ZB 13.1026 - AuAS 2015, 16).

5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 55 Bleibeinteresse


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Strafprozeßordnung - StPO | § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. (2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 54 Ausweisungsinteresse


(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 51 Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; Fortgeltung von Beschränkungen


(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen: 1. Ablauf seiner Geltungsdauer,2. Eintritt einer auflösenden Bedingung,3. Rücknahme des Aufenthaltstitels,4. Widerruf des Aufenthaltstitels,5. Ausweisung des Ausländers,5a. Bekanntgabe einer Absc

Strafgesetzbuch - StGB | § 12 Verbrechen und Vergehen


(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. (2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht si

Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU 2004 | § 6 Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt


(1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 2 Absatz 4 und des § 5 Absatz 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Absatz 3, Artikel 52 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der E

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(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 2 Absatz 4 und des § 5 Absatz 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Absatz 3, Artikel 52 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Aus den in Satz 1 genannten Gründen kann auch die Einreise verweigert werden. Die Feststellung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit kann nur erfolgen, wenn es sich um Krankheiten mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten handelt, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen im Bundesgebiet getroffen werden. Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise auftreten, stellen keinen Grund für eine Feststellung nach Satz 1 dar.

(2) Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

(3) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(4) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden.

(5) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Für Minderjährige gilt dies nicht, wenn der Verlust des Aufenthaltsrechts zum Wohl des Kindes notwendig ist. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer odermehrervorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.

(6) Die Entscheidungen oder Maßnahmen, die den Verlust des Aufenthaltsrechts oder des Daueraufenthaltsrechts betreffen, dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden.

(7) Wird der Pass, Personalausweis oder sonstige Passersatz ungültig, so kann dies die Aufenthaltsbeendigung nicht begründen.

(8) Vor der Feststellung nach Absatz 1 soll der Betroffene angehört werden. Die Feststellung bedarf der Schriftform.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der am 12. Mai 1986 im Bundesgebiet geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er war ab Dezember 1997 im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, ab Juni 2002 einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. einer Niederlassungserlaubnis.

Der Kläger hat im Bundesgebiet die Hauptschule besucht, jedoch keine Berufsausbildung durchlaufen. Erwerbstätig war er jeweils nur für kurze Zeit.

Der Kläger lebte zumeist mit seiner im Bundesgebiet lebenden Familie (Vater, zwei Schwestern und ein Bruder) zusammen. In der Türkei hat er entfernte Verwandte. Er ist der türkischen Sprache mächtig.

Bereits im Alter von 15 Jahren hat der Kläger seine ersten Straftaten begangen (Diebstahlsdelikte). Gewalttaten (Körperverletzungsdelikte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung) kamen dazu. Nach mehreren Verurteilungen, u. a. zu Bewährungsstrafen, wurde der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 11. September 2006 erstmals zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren vier Monaten verurteilt. Neben anderen Delikten (Sachbeschädigung, Diebstahl, Beleidigung, Bedrohung) hat er im Dezember 2005 eine vorsätzliche Körperverletzung begangen, bei der er dem Opfer mehrere Faustschläge ins Gesicht und einen Kopfstoß versetzte, wobei das Opfer erhebliche Verletzungen erlitt. Im Urteil werden dem Kläger schädliche Neigungen und Erziehungsdefizite bestätigt.

Am 18. April 2007 wurde der Kläger wegen eines am 15. April 2007 begangenen Körperverletzungsdelikts in Untersuchungshaft genommen.

Am 29. Mai 2007 verurteilte ihn das Amtsgericht Augsburg wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung unter Einbeziehung der Verurteilung vom 11. September 2006 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zehn Monaten. Ihm wurde zur Last gelegt, am 25. Juli 2006 zusammen mit einem anderen sein Opfer zusammengeschlagen zu haben, wobei dieses eine Nasenbeinfraktur, Prellungen, Hämatome und Bisswunden erlitt. Zudem hat er den Stiefvater des Opfers beleidigt und ihm gegenüber Drohungen gegen das Opfer ausgesprochen. Im Urteil wurde bei der Strafzumessung erneut davon ausgegangen, dass beim Kläger massive schädliche Neigungen vorliegen, zudem eine ausgeprägte Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Er sei unbelehrbar, brutal und benötige eine Therapie.

Ab dem 30. Januar 2008 wurde der Kläger gemäß § 64 StGB in das Bezirkskrankenhaus P. verbracht, um dort eine Drogen- und Alkoholtherapie zu absolvieren.

Das Amtsgericht Augsburg verurteilte ihn nochmals am 21. Januar 2008 zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen gefährlicher Körperverletzung. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Kläger am 15. April 2007 angetrunken seinem Opfer ohne Grund mit der Faust in den Rücken geschlagen und mit Kopf und Knien gegen den Kopf des Opfers gestoßen ist. Dieser erlitt eine Stirnhöhlenvorderwandfraktur und musste operiert werden. Im Rahmen der Strafzumessung ging das Amtsgericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB aus und führte aus, dass der Kläger stark aggressiv sei, erheblich alkoholabhängig und bestätigte einen Abusus von Cannabinoiden. Es stellte ihm eine sehr ungünstige Prognose aus.

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2008 wies die Ausländerbehörde den Kläger aus dem Bundesgebiet aus, drohte seine Abschiebung aus der Haft an und erließ hilfsweise eine Abschiebungsandrohung. Im Rahmen der Begründung des Bescheids wurde berücksichtigt, dass der Kläger als assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger lediglich im Ermessenswege ausgewiesen werden dürfe. Zudem seien nur spezialpräventive Erwägungen zulässig. Eine Ausweisung sei nur möglich, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Ausländers außer der Störung der öffentlichen Ordnung auch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dies alles sei beim Kläger gegeben. Auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK erweise sich die Ausweisung als verhältnismäßig.

Mit seiner Klage vom 19. Januar 2009 machte der Kläger im Wesentlichen geltend, er habe in der Haft und im Bezirkskrankenhaus positive Fortschritte gemacht. Er betreibe eine Ausbildung, nehme weder Drogen noch Alkohol zu sich und durchlaufe erfolgreich eine Therapie. Positive Stellungnahmen des Bezirkskrankenhauses vom Januar und September 2009 bestätigten dies.

Am 26. Oktober 2009 teilte das Bezirkskrankenhaus mit, dass beim Kläger ein Rückfall eingetreten sei. Er habe die Droge Speed genommen, nachdem er seine Arbeitsstelle verloren habe. Der Vorschlag der Klinik, die weitere Unterbringung zur Bewährung auszusetzen, werde zurückgezogen, da der Kläger unter schwierigen Lebensbedingungen keine stabile Abstinenz gegenüber illegalen Drogen aufrechterhalten könne.

Mit Beschluss vom 10. November 2009 setzte das Verwaltungsgericht das Verfahren im Hinblick auf die damals noch nicht geklärte Anwendbarkeit der Unionsbürgerrichtlinie auf türkische Staatsangehörige aus.

Im Januar 2010 durfte der Kläger wieder einen Arbeitsplatz außerhalb des Bezirkskrankenhauses annehmen. Am 1. Mai 2010 wurden die mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 21. Januar 2008 angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie der Rest der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt und Führungsaufsicht für drei Jahre angeordnet.

Ab seiner Entlassung war der Kläger zunächst vier Monate drogen- und alkoholfrei. Er schloss sich dann aber einer Rockergruppe an und konsumierte wieder Drogen. Vor seiner erneuten Inhaftierung im Juli 2011 nahm er zuletzt täglich eine Flasche Schnaps oder Wodka zu sich und ebenfalls täglich ein bis drei Gramm Kokain. Am 12. Mai 2011 hat der Kläger zusammen mit einem Mittäter eine Spielhalle überfallen, wobei er eine Angestellte mit einer Schreckschusswaffe bedrohte und die Aushändigung der Tageseinnahmen verlangte. Er erbeutete 1.130 Euro. 800 Euro davon behielt er für sich. Er verwendete das Geld zum Kauf von Drogen und gab den Rest in Nachtclubs aus. Wegen dieser Tat verurteilte ihn das Landgericht Augsburg mit Urteil vom 16. Mai 2012, das auf § 257c StPO beruhte, wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach eineinhalb Jahren Haft an. Nach dieser Verurteilung wurde auch der Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Neumarkt/Oberpfalz vom 1. Mai 2010 widerrufen.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2013 befristete die Ausländerbehörde die Wirkung der Ausweisungsverfügung vom 18. Dezember 2008 auf die Dauer von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise des Klägers. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht über das wieder aufgenommene Ausweisungsverfahren wurde der Befristungsbescheid in die Klage einbezogen. Mit Urteil vom 6. März 2013 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Hiergegen richtet sich der Zulassungsantrag des Klägers vom 16. April 2013.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenunterlagen Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO nicht vorliegen. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag rechtfertigt keine Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Diesen Zulassungsgrund hat der Kläger nämlich bereits nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nur dann den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, warum diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb sie klärungsbedürftig ist, und darlegt, warum ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2014 - 10 ZB 12.2742 - juris Rn. 42). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Klägers in der Zulassungsbegründung jedoch nicht.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Rechtssache deshalb grundsätzliche Bedeutung habe, weil für türkische assoziationsberechtigte Staatsangehörige aufgrund der Einführung der allgemeinen Zulassungsberufung Verschlechterungen ihrer rechtlichen Situation eingetreten seien, nach Art. 13 ARB 1/80 die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft für türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen aber keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürften. Die Benachteiligung der türkischen Staatsangehörigen liege darin, dass im Berufungsverfahren, das früher ohne vorherige Zulassung statthaft war, grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich sei und deshalb entgegen dem jetzt erforderlichen (vorherigen) Zulassungsverfahren noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung für den betroffenen Ausländer günstige Tatsachen vorgetragen werden konnten.

Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulassung der Berufung. Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass bei Durchführung eines Berufungsverfahrens hinsichtlich der Sach- und Rechtslage im Ausweisungsverfahren auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Berufungsgerichts abzustellen ist (st. Rspr. des BVerwG; vgl. U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - Rn. 12 m. w. N.) und deshalb während des Berufungsverfahrens noch eintretende - sowohl günstige als auch ungünstige - neue Umstände zu berücksichtigen sind. Anders als im Berufungsverfahren sind demgegenüber im Zulassungsverfahren die Zulassungsgründe innerhalb einer bestimmten Frist darzulegen. Später eintretende neue Zulassungsgründe können demgemäß grundsätzlich keine Berücksichtigung mehr finden, auch wenn sie für den jeweiligen Kläger günstig sind (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Dies allein besagt aber noch nicht, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage für den konkreten Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, wie dies zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erforderlich gewesen wäre. Der Kläger legt insbesondere nicht dar, wieso er in seinem konkreten Einzelfall besser gestellt wäre, wenn statt des Zulassungsverfahrens von vornherein die Berufung gegen das angefochtene Urteil möglich gewesen wäre. Denn bis zum jetzigen Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag, zu dem womöglich auch bereits über eine Berufung entschieden worden wäre, hat der Kläger nichts vorgetragen, was bei der Überprüfung der Ausweisungsentscheidung des Beklagten in entscheidungserheblicher Weise noch zu seinen Gunsten einzustellen gewesen wäre. Er zeigt deshalb nicht in der gebotenen Weise auf, dass die Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkten, beim Berufungsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt und beim Zulassungsverfahren mit Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist, in seinem konkreten Ausweisungsfall zu einem unterschiedlichen Ergebnis geführt hätte, er insbesondere durch die Entscheidung im Zulassungsverfahren schlechter gestellt wäre als in einem Berufungsverfahren.

Im Übrigen käme der Rechtssache auch dann keine grundsätzliche Bedeutung bei, wenn der Kläger eine konkrete Schlechterstellung durch die Einführung des Zulassungsverfahrens gegenüber dem früher von vornherein zulässigen Berufungsverfahren konkret dargelegt hätte. Denn die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80, wonach die Mitgliedstaaten keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen, wäre zwar auf den Kläger, der eine aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80 besaß, anzuwenden. Jedoch erscheint bereits fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittene Stand-Still-Klausel überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfasst (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22/12 - juris Rn. 13). Zudem stellt die Durchführung des Zulassungsverfahrens nach §§ 124 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern lediglich eine spezielle Prozessvoraussetzung für die Einlegung der Berufung. Dies ergibt sich aus § 124 Abs. 1 VwGO, wonach den Beteiligten gegen Urteile die Berufung zusteht, wenn sie vom Verwaltungsgericht oder vom Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

Schließlich betrifft der Wegfall des Berufungsverfahrens ohne vorherige Zulassung der Berufung nicht nur türkische Assoziationsberechtigte, sondern auch Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zur Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20/11 - juris Rn. 34; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13/12 - juris Rn. 23). Im Übrigen wäre die Aufrechterhaltung des generellen Berufungsverfahrens ohne vorherige Zulassung nur für türkische Staatsangehörige nicht mit dem Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP - vereinbar, denn nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, wie sie die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Da das Zulassungsverfahren auch auf Unionsbürger in den Fällen, in denen es um den Verlust ihres Rechts auf Einreise und Aufenthalt geht, Anwendung findet, kann für türkische Staatsangehörige in deren Ausweisungsverfahren nichts anderes gelten. Daran ändert auch die vom Kläger im Zulassungsverfahren zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Z. (U.v. 8.12.2011 - Rs. C-371/08 - NVwZ 2012, 422) nichts. Denn auch wenn nach dieser Entscheidung für Unionsbürger und türkische Staatsangehörige ein unterschiedlicher Maßstab hinsichtlich der Ausweisung gilt, betrifft sie nur den materiell-rechtlichen Bezugsrahmen für die Aufenthaltsbeendigung für die jeweilige Gruppe von Ausländern. Das Urteil in Sachen Z. verlangt aber nicht einen im Hinblick auf das statthafte Rechtsmittel unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkt für Unionsbürger und türkische Assoziationsberechtigte.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Verschlechterungsverbot des Art. 13 ARB 1/80 wohl nicht dazu führen würde, die Vorschriften über die Zulassung der Berufung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt nicht anzuwenden und für diese in ausländerrechtlichen Streitigkeiten ausschließlich ein Berufungsverfahren durchzuführen. Denn hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage, den der Kläger allein thematisiert, wäre auch denkbar, diesen Zeitpunkt hinsichtlich der während des Zulassungsverfahrens noch eintretenden neuen Umstände bis zur Entscheidung im Zulassungsverfahren hinauszuschieben. Dies wird aber weder geltend gemacht noch sind - wie bereits oben ausgeführt - bis zu einem womöglich bis zur Entscheidung des Senats verlagerten Zeitpunkt Gründe vorgetragen worden, die im Fall des Klägers zu einer anderen Beurteilung führen könnten als zum Zeitpunkt des Ablaufs der Zulassungsbegründungsfrist.

2. Der Senat hat auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

2.1. Der Kläger rügt insbesondere, entgegen den Voraussetzungen, die der Europäische Gerichtshof für die Ausweisung eines türkischen assoziationsberechtigten Staatsangehörigen nach Art. 14 ARB 1/80 für erforderlich ansieht, habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil die positiven Ansätze des Klägers vollkommen außer Betracht gelassen und insbesondere die Mitwirkungsbereitschaft des Klägers und in naher Zukunft anstehende Therapien und Trainings nicht hinreichend berücksichtigt.

Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Verhalten des Klägers auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch eine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellte, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Diese Feststellung des Verwaltungsgerichts wird auch mit dem Zulassungsvorbringen nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Die konkrete Gefahr der Wiederholung vergleichbarer Straftaten besteht auch unter Berücksichtigung der im Zulassungsantrag aufgeführten positiven Ansätze des Klägers weiter. Ausgehend von einem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 16 m. w. N.; BayVGH, U.v. 25.3.2014 -10 BV 13.484 - juris Rn. 27) ist das Erstgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Einschätzung gelangt, dass unter Berücksichtigung der Gesamtumstände beim Kläger mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Wiederholung entsprechend schwerer Straftaten, insbesondere im Bereich der Körperverletzungsdelikte, bestehe. Es hat dabei - ebenso wie der Beklagte im Bescheid vom 18. Dezember 2008 - sowohl die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, dessen Perspektivlosigkeit und die mangelnde therapeutische Aufarbeitung seines Sucht- und Aggressionspotentials als auch sein Verhalten nach der Ausweisung gewürdigt und in seine Entscheidung einbezogen. Aufgrund der zahlreichen erheblichen Körperverletzungsdelikte, die der Kläger seit seinem 16. Lebensjahr begangen hat und deretwegen er zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden ist, bevor er zuletzt vom Landgericht Augsburg mit Urteil vom 16. Februar 2012 wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (der Kläger hat mit einer Schreckschusswaffe eine Spielhalle überfallen) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilt worden ist, ist bei ihm von einem erheblichen Aggressionspotential auszugehen, das er bislang nicht überwunden hat. Denn zahlreiche von ihm begangene Delikte hingen mit seiner Alkoholabhängigkeit zusammen, die nach wie vor nicht hinreichend behandelt ist. Zudem blickt der Kläger auf eine langjährige „Drogenkarriere“ zurück. Deshalb bedarf es nach Einschätzung des von der Strafkammer des Landgerichts Augsburg beigezogenen Sachverständigen, dem sich das Verwaltungsgericht angeschlossen hat, sowohl einer Drogen- als auch einer Alkoholtherapie. Im genannten Strafurteil wird überzeugend ausgeführt, dass vom Kläger unbehandelt in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Straftaten zu erwarten seien und deshalb sowohl seine Alkohol- als auch seine Drogensucht zuerst bekämpft werden müssten. Davon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die erfolgreiche Absolvierung dieser Therapien zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr ist (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 26.11.2013 -10 ZB 13.1873 - juris Rn. 7). Für die danach anzustellende Gefahrenprognose kommt es aber entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, ob dieser für eine neue Therapie vorgesehen ist, ob er seine Persönlichkeitsproblematik behandeln lassen und ob er ein Angebot einer Teilnahme an einem Aggressionstraining annehmen wird sowie auch nicht, dass Maßregelvollzug und Therapie für die Zukunft vorgesehen sind. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass der bloße Wille zur Durchführung einer künftigen Therapie nicht ausreicht, um vorhandene Handlungs- und Verhaltensmuster dauerhaft zu korrigieren und dass auch ein Wohlverhalten in der Haft, wie der Kläger dies meint, nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen lässt. Dies gilt erst recht beim Kläger, der bereits einmal ab 30. Januar 2008 im Bezirkskrankenhaus P. eine Drogentherapie durchgeführt hat, dort erhebliche Fortschritte gemacht hat und aufgrund mehrerer positiver Stellungnahmen des Bezirkskrankenhauses im Juli 2009 beurlaubt worden ist. Bereits im Oktober 2009 wurde bei ihm ein Rückfall festgestellt und die zunächst vorgeschlagene Entlassung auf Bewährung zurückgezogen. Aber auch nach Fortführung der Therapie und Entlassung zur Bewährung ab Mai 2010 ist es dem Kläger nur vier Monate lang gelungen, drogen- und alkoholfrei zu leben. Vor seiner nächsten Inhaftierung im Juli 2011 hat er ausweislich der Akten täglich eine Flasche Schnaps bzw. Wodka sowie ein bis drei Gramm Kokain konsumiert. Damit zeigen die konkreten Umstände beim Kläger deutlich, dass bei ihm nicht einmal der Abschluss einer Therapie ausreicht, um ihn dauerhaft von seiner Alkohol- und Drogensucht abzuhalten. Damit kommt aber auch dem Umstand, dass er eine Drogentherapie durchführen will und seine Persönlichkeitsproblematik behandeln möchte, sowie seiner angeblichen Mitwirkungsbereitschaft an sonstigen Therapien und Trainings nur eine untergeordnete Bedeutung zu, da der Kläger damit zwar durchaus positive Ansätze zeigt, diese jedoch nach den bisherigen Erfahrungen mit ihm keinerlei Indiz dafür sind, dass tatsächlich seine Suchtprobleme und seine Persönlichkeitsproblematik in Zukunft erfolgreich überwunden werden können.

Aus demselben Grund kommt auch aktuellen positiven Führungsberichten der Justizanstalt keine ausschlaggebende Bedeutung zu, da solche auch früher schon vorlagen, der Kläger aber nach seiner ersten Beurlaubung und nochmals nach der Entlassung aus der Haft immer wieder in sein früheres Suchtverhalten zurückfiel und erneut schwere Straftaten begangen hat. Im Übrigen zeigt auch der Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt K. vom 5. Februar 2013, dass der Kläger sich disziplinarisch nicht ordnungsgemäß verhält. Er musste geahndet werden, weil er Alkohol hergestellt hat. Aus dem Bericht geht hervor, dass beim Kläger nach wie vor eine ernstzunehmende Alkohol- und Drogenproblematik vorliege.

Zur Beurteilung der Gefahrenprognose musste das Verwaltungsgericht auch keine weiteren Stellungnahmen oder Sachverständigengutachten als die bereits vorliegenden einholen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu bereits in seinem Beschluss vom 4. Mai 1990 (1 B 82/89 - juris - Rn. 7; st. Rspr..) ausgeführt, dass insbesondere in Fällen wiederholter Straftaten die Prüfung der Frage, ob eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegenwärtig noch besteht, grundsätzlich nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordere, da sich das Gericht mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewege, die dem Richter allgemein zugänglich seien. Eine Ausnahme komme nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetze, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich sei, wie z. B. bei Vorliegen eines seelischen Leidens. Dass ein solcher Fall beim Kläger vorliege, wird aber weder im Zulassungsantrag behauptet noch ist dies sonst ersichtlich.

2.2. Auch das Vorbringen des Klägers, die Ausweisung sei unter Berücksichtigung des Schutzes seines Privat- und Familienlebens und der Tatsache, dass er sich bereits seit seiner Geburt im Bundesgebiet aufhalte, nicht verhältnismäßig, vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht zu begründen.

Das Verwaltungsgericht - und ebenso der Beklagte im angefochtenen Bescheid - hat im angegriffenen Urteil bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung sämtliche Aspekte berücksichtigt, die nach der Rechtsprechung, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, als Kriterien bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung heranzuziehen sind. Es hat dabei insbesondere auf die Vielzahl von Straftaten abgestellt, bei denen der Kläger ein hohes Gewalt- und Aggressionspotential gezeigt hat, und berücksichtigt, dass er erforderliche Therapien nicht abgeschlossen hat, sondern bereits mehrfach beim Versuch, eine Therapie zu durchlaufen, letztendlich gescheitert ist. Es hat ebenfalls in sein Prüfprogramm eingestellt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und seine engere Familie hier lebt, aber auch darauf hingewiesen, dass damit eine Ausweisung nicht schlechthin untersagt sei. Schließlich hat es auch die Zumutbarkeit der Rückkehr des Klägers in das Land seiner Staatsangehörigkeit in seine Erwägungen einbezogen. Dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung dieser Umstände zum Ergebnis gelangt ist, die Ausweisung des Klägers sei verhältnismäßig, ist nicht zu beanstanden.

Insbesondere erweist sich der Einwand des Klägers im Zulassungsverfahren, eine Ausweisung sei dann unverhältnismäßig, wenn der Ausländer außer seiner Staatsangehörigkeit keine Bindungen mehr zu seinem Herkunftsland seiner Eltern besitzt, als nicht durchgreifend. Denn zum einen sind in die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausschließlich die Bindungen zum Herkunftsland einzustellen, sondern alle vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil (vgl. dazu dessen Rn. 49) genannten Gesichtspunkte als Kriterien heranzuziehen. Zudem trifft es nicht zu, dass der Kläger keine Bindungen mehr zur Türkei besitzt. So steht unwidersprochen fest, dass der Kläger die türkische Sprache beherrscht und sich nach eigenen Angaben (vgl. Niederschrift des VG Augsburg v. 6.3.2013) etwa alle zwei oder drei Jahre für mehrere Wochen zum Zwecke des Besuchs von Verwandten in der Türkei aufgehalten hat. Damals hat der Kläger auch ausgesagt, die Schwestern seiner Mutter lebten noch in der Türkei. Dass er sich zuletzt im Jahr 2006 in der Türkei aufgehalten hat, beruht offensichtlich auf seinen langjährigen Freiheitsstrafen, die er seit 2007 verbüßen musste. Auch trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei fest im türkischen Kulturkreis verwurzelt, bereits deshalb zu, weil er selbst ausgesagt hat, dass innerhalb der Familie immer noch Türkisch gesprochen werde und er in der Türkei noch familiäre Bindungen besitze. Zudem ergibt sich aus den Akten, dass er auch in der Justizvollzugsanstalt im Wesentlichen Kontakt zu türkischen Landsleuten gehalten hat (vgl. z. B. Führungsbericht der JVA K. vom 5.2.2013). Im Übrigen kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Kläger nach Überzeugung des Erstgerichts noch fest im türkischen Kulturkreis verwurzelt ist, sondern allein darauf, wie weit er Bindungen zum Heimatstaat hat, insbesondere dessen Sprache beherrscht und womöglich eine familiäre Anlaufstelle in der Türkei besitzt.

Insbesondere greift der Einwand des Klägers nicht, dass eine Ausweisung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch bei langjährigen Verurteilungen zu Haftstrafen ohne Bewährung als unverhältnismäßig i. S. des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen sei, wenn der Ausländer seit vielen Jahren im Inland lebe. Die von ihm aufgezählten Entscheidungen können bereits deshalb nicht mit dem Fall des Klägers verglichen werden, weil jenen andere Sachverhalte zugrunde lagen. So war etwa im Fall Mehemi (EGMR, U.v. 26.9.1997 -Nr. 85/1996/704/896, Mehemi/Frankreich - InfAuslR 1997, 430) entscheidungserheblich, dass der dortige Kläger im Gegensatz zum vorliegenden Fall verheiratet und Vater dreier französischer Kinder war. Auch der Kläger im Fall Beldjoudi (EGMR, U.v. 26.3.1992 - Nr. 55/1990/246/317, Beldjoudi - InfAuslR 1993, 86) war mit einer französischen Staatsangehörigen verheiratet und hatte lange Zeit selbst die französische Staatsangehörigkeit besessen und diese lediglich aufgrund dessen, dass seine Eltern keine Beibehaltungserklärung abgegeben hatten, verloren. Zudem hatte er im Wesentlichen (nur) Vermögensdelikte begangen, stammte aus einem französischen Gebiet in Algerien und sprach kein Arabisch. Er lebte 40 Jahre lang in Frankreich. Auch die Rechtssache Moustaquim (EGMR, U.v. 18.2.1991 - Nr. 31/1989/191/291, Moustaquim/Belgien - InfAuslR 1991, 149) unterscheidet sich wesentlich vom Fall des Klägers. Zwar kannte auch der dortige Kläger sein Heimatland nur von Urlaubsreisen, er hat aber die ihm vorgeworfenen Straftaten als Jugendlicher begangen, und zwar alle innerhalb einer kurzen Zeitspanne von nur elf Monaten, und befand sich deswegen nur 16 Monate in Haft. Schließlich ist auch die Rechtssache Lamguindaz (Europäische Kommission für Menschenrechte, Bericht an den Ministerausschuss v. 13.10.1992 - Nr. 16152/92, Lamguindaz/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 1995, 133) nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers zu wecken, denn der dort Betroffene hat zumeist nur geringfügige Vergehen begangen, die nur leichte Strafen, zum Teil auf Bewährung, nach sich zogen. Auch die Bezugnahme auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 25.10.2000 - 24 CS 00.2611 - juris) führt nicht weiter, denn für die im Eilverfahren getroffene Abwägungsentscheidung war in erster Linie maßgebend, dass der Antragsteller „eher zufällig“ Franzose war, nicht die französische Sprache beherrschte und lediglich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt war. Eine Entscheidung über die Ausweisung wurde nicht getroffen, sondern lediglich weiterer Aufklärungsbedarf im Hauptsacheverfahren festgestellt. Schließlich ergibt sich aus den vom Kläger zitierten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 1997 (BVerwG 1 C 17.94 - InfAuslR 1997, 296) und vom 29. September 1998 (BVerwG 1 C 8/96 - InfAuslR 1999, 54) nichts anderes, denn nach diesen Entscheidungen kommt zwar eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung praktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Im Übrigen widerspricht sich der Kläger mit seiner Argumentation im Zulassungsverfahren, wenn er ausführt: „Diese Schwierigkeiten sind bei einem in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Ausländer in aller Regel weit größer als für einen Ausländer der sog. ersten Generation, dem Sprache und die Verhältnisse seines Heimatlandes vertraut sind.“ Gerade diese türkischen Sprachkenntnisse besitzt aber der in Deutschland geborene und aufgewachsene Kläger.

2.3. Der Kläger macht weiter geltend, ihm sei die Trennung von seiner Familie nicht zuzumuten. Die staatliche Pflicht zum Schutz des Familienlebens ergebe sich aus Art. 8 EMRK. Der Familienschutz bestehe auch für Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern.

Auch dieses Vorbringen ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen. Zwar ist die Argumentation des Klägers, Art. 8 EMRK schütze auch die Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern, vom Ansatz her zutreffend (vgl. EGMR, U.v. 23.6.2008 - Nr. 1638/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333), jedoch verkennt er, dass das Recht des Klägers auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK die Ausweisung nicht von vornherein verhindert, sondern eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall erfordert (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - juris Rn. 53). Diese Abwägung hat das Verwaltungsgericht fehlerfrei vorgenommen.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den beiden von ihm genannten Entscheidungen einen anderen Maßstab bei der Auslegung von Art. 8 EMRK angelegt habe und sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts daher als europarechtswidrig erweise. Denn beiden Entscheidungen (EGMR, U.v. 11.7.2002 - Nr. 56811/00, Amrollahi -InfAuslR 2004, 180 und EGMR, U.v. 18.10.2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande -NVwZ 2007, 1279) liegt ein wesentlich anderer Sachverhalt zugrunde als im vorliegenden Fall. In beiden Fällen war der Betroffene nämlich mit einer Staatsangehörigen des Staates, aus dem er ausgewiesen werden sollte, verheiratet, lebte mit dieser zusammen und hatte zudem jeweils zwei Kinder, die die Staatsangehörigkeit der Mutter hatten, aber keinerlei Beziehung zur Staatsangehörigkeit des Betroffenen. Demgegenüber hat der Kläger keine eigene Familie. Er ist weder verheiratet noch hat er Kinder. Das Verwaltungsgericht ist dennoch wegen seiner engen Beziehungen zu seinen Eltern und seinen Geschwistern, die im Bundesgebiet leben, von einem besonders geschützten Familien- und Privatleben ausgegangen (vgl. Rn. 51 des angegriffenen Urteils). Es hat dann aber zutreffend ausgeführt, weshalb diese Bindungen nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung führen. Insbesondere ist dem erwachsenen, mittlerweile 28 Jahre alten Kläger, der nicht mehr auf die Fürsorge seiner Eltern angewiesen ist und auch sonst nicht auf den Beistand seiner Familie, die Rückkehr in sein Heimatland zumutbar. An diesem Abwägungsergebnis ändert auch die Behauptung des Klägers nichts, er habe keinen bzw. keinen engen Kontakt zu seinen in der Türkei lebenden entfernteren Verwandten und er sei auch nicht im türkischen Kulturkreis verwurzelt. Insoweit weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin, dass der Kläger zwar als sog. faktischer Inländer zu betrachten ist, seine Integration in die Verhältnisse des Bundesgebiets aber nicht so gewichtig ist, dass dies unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der angefochtenen Ausweisungsentscheidung entgegenstehen könnte. Diese Einschätzung teilt auch der Senat.

3. Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil solche Schwierigkeiten nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt wurden. Der Kläger hat sich vielmehr darauf beschränkt, das Vorliegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten zu behaupten und pauschal auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu verweisen. Im Übrigen kann insoweit auf die Ausführungen zu 1. verwiesen werden. Die Frage, ob in Fällen von Ausweisungen türkischer Staatsangehöriger ohne ein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren unmittelbar ein Berufungsverfahren durchzuführen ist, lässt sich anhand der Rechtsprechung, insbesondere auch des Bundesverwaltungsgerichts, ohne größere Schwierigkeiten beantworten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 wird der Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verfolgt mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung weiter.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 6. November 1983 in München geboren und lebt seit seiner Geburt im Bundesgebiet. Er verfügt über einen Qualifizierenden Hauptschulabschluss und hat eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Am 17. April 1997 erhielt er eine zunächst bis 5. November 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis, die aufgrund seines Antrags vom 4. November 1999 am 14. Dezember 1999 unbefristet verlängert wurde.

Nach Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung nach § 170 Abs. 2 StPO im Jahr 2002 und Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 153 Abs. 1 StPO im Jahr 2005 wurde der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 19. April 2007 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag nach den Feststellungen des Landgerichts folgender Sachverhalt zugrunde:

Während einer Hochzeitsfeier am 21. Juli 2006, an der der Kläger mit seiner Freundin teilnahm, begleitete diese eine zu den Hochzeitsgästen gehörende Freundin zu einem Treffen mit einem weiteren Gast, der diese Freundin kennenlernen wollte. Der Kläger beobachtete dies und machte zunächst seiner Freundin Vorwürfe, weil er ihr Verhalten für falsch hielt. Dann warf er der Freundin seiner Freundin vor, sie sei an allem schuld. Über die Frage der Freundin seiner Freundin, wie es für ihn wäre, wenn sie so mit ihm redete wie er mit ihr, ärgerte sich der Kläger so sehr, dass er ihr mit der flachen Hand so heftig auf die Wange schlug, dass sie taumelte und zu Boden gestürzt wäre, wäre sie nicht von einem anderen Anwesenden an den Armen festgehalten worden. Nachdem die Freundin der Freundin des Klägers am 22. Juli 2006 ihrer Familie von dem Vorfall berichtet hatte, rief ihr Schwager (im Folgenden: der Geschädigte) den Kläger an, um ihn zur Rede zu stellen. Im Verlauf des Gesprächs äußerte er sinngemäß, er werde den Kläger wieder dorthin zurückstecken, wo er herkomme. Der Kläger forderte ihn daraufhin auf, doch zu ihm zu kommen. Daraufhin begab der Geschädigte sich gemeinsam mit der Freundin der Freundin des Klägers und weiteren Angehörigen zur Wohnung des Klägers, um diesen zur Rede zu stellen und ihn zu einer Entschuldigung zu bewegen. Der Kläger, der über die telefonische Beleidigung aufgebracht war, bewaffnete sich mit einem feststehenden Jagd- oder Fischereimesser mit einer Klingenlänge von 8,5 cm und einer maximalen Klingenbreite von 2,7 cm, das an der Klinge einen Widerhaken besaß, und verließ seine Wohnung. Auf einer nahe gelegenen Freifläche traf er auf den Geschädigten und seine Begleiter. Er zog sofort sein Messer und erkundigte sich, wer ihn beleidigt habe. Er ließ sich durch den Geschädigten und seine Begleiter nicht beruhigen. Dem Geschädigten war nach seiner Vorstellung ein Rückzug nicht mehr möglich, wenn er vor seinen Verwandten nicht das Gesicht verlieren wollte. Auch der Kläger wollte Standhaftigkeit demonstrieren. Um seinem Ärger demonstrativ Ausdruck zu verleihen, versetzte er, ohne zu wissen, wer ihn beleidigt hatte, dem Geschädigten einen mit äußerster Wucht geführten Stich in den rechten zentralen Oberbauch, wobei er das Messer bis zum Heft in den Körper des Geschädigten rammte. Dadurch wurde die Bauchwand auf einer Länge von 10 cm von unten nach oben in Richtung des Rippenbogens durchtrennt. Nur durch Zufall wurden lebenswichtige Organe oder große Blutgefäße nicht getroffen. Zur Rettung des Geschädigten unternahm der Kläger nichts. Der Geschädigte wurde jedoch auf Veranlassung Dritter ins Krankenhaus eingeliefert und sofort operiert. Der Geschädigte litt auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch an den beiden schlecht verheilten Stich- und Operationsnarben, die im Sitzen und Liegen schmerzten. Sport konnte er nicht treiben. Außerdem traten Magen- und Darmprobleme auf, die zu einem Gewichtsverlust von 10 kg führten. Infolge der verletzungsbedingten Schonhaltung bekam er schließlich Probleme mit der Halswirbelsäule.

Nachdem der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, wies die Beklagte ihn mit Bescheid vom 11. April 2008 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1 des Bescheids), untersagte ihm die Wiedereinreise (Nr. 2 des Bescheids) setzte ihm eine Ausreisefrist bis zum 15. Mai 2008 und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 3 des Bescheids). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, als nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 Berechtigter dürfe der Kläger nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und bei Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung für ein Grundinteresse der Gemeinschaft ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeute. Angesichts seiner Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und der Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten seien diese Voraussetzungen erfüllt. Selbst wenn Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG anwendbar sei, stehe er angesichts dieser Verurteilung einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Soweit der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genieße, lägen die für die Ausweisung erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Die pflichtgemäße Ermessensausübung ergebe auch unter Beachtung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, dass das öffentliche Interesse das private Interesse des Klägers eindeutig überwiege. Ergänzend wird auf die Gründe des Bescheids vom 11. April 2008 Bezug genommen.

Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 9. Oktober 2008 ab und begründete dies im Wesentlichen wie folgt:

Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Kläger habe ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und erfülle im Hinblick auf seine abgeschlossene Ausbildung auch die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Die Ausweisung sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Sie verstoße nicht gegen das in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG verankerte Vier-Augen-Prinzip, weil die Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG aufgehoben worden sei. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit Art. 14 ARB 1/80 könne der Kläger nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung und nur dann ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, wobei eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur rechtfertigen könne, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein Verhalten erkennen ließen, das eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Der Kläger genieße darüber hinaus nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und Art. 3 Abs. 3 ENA besonderen Ausweisungsschutz, der allerdings nicht weiter reiche als der assoziationsrechtliche. Die vom Kläger begangene Straftat des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung stelle eine besonders schwerwiegende, Grundinteressen der Gesellschaft berührende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Es bestehe auch die Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten. Dabei dürften insoweit im Hinblick auf die betroffenen überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Aus den Tatumständen gehe hervor, dass der Kläger dazu neige, sich gegen Beleidigungen und Ehrverletzungen mit physischer Gewalt zur Wehr zu setzen. Die Ausweisung sei darüber hinaus verhältnismäßig und scheitere nicht am Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK. Zwar habe die Sozialisation des in Deutschland geborenen Klägers in der Bundesrepublik stattgefunden. Es sei jedoch anzunehmen, dass er mit der türkischen Sprache und Kultur hinreichend vertraut sei. Die Eltern und Brüder des Klägers lebten zwar im Bundesgebiet. Er habe aber in der Bundesrepublik bisher keine eigene Kernfamilie gegründet. Dass der seit mehreren Jahren volljährige Kläger auf die Hilfe seiner in Deutschland lebenden Familienangehörigen in besonderer Weise angewiesen sei, sei nicht erkennbar. Der Kontakt zu ihnen könne brieflich, telefonisch und im Rahmen von Betretenserlaubnissen aufrechterhalten werden. Zwar sei die Ausweisung auch deshalb ein erheblicher Eingriff in das Recht des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil er selbst nach einer Befristung keinen Anspruch auf Wiedereinreise in die Bundesrepublik habe. Die Ausweisung sei aber im Hinblick auf die massive Straffälligkeit des Klägers und die von ihm weiterhin ausgehende Gefahr für die überragenden Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit noch als verhältnismäßig anzusehen. Sonstige Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die Beklagte habe alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG komme ihm als türkischem Staatsangehörigen nicht zugute.

Seine Berufung, die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob sich der Kläger weiterhin auf Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG berufen könne, zugelassen wurde, begründet der Kläger im Wesentlichen wie folgt:

Die Ausweisung verstoße gegen die Verfahrensgarantie des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG, die auf türkische Staatsangehörige auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Richtlinie 2004/38/EG, die die Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen durch eine zweite Verwaltungsinstanz durch einen erweiterten gerichtlichen Rechtsschutz ersetzt habe, weiterhin anzuwenden sei. Gelte die Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger, nicht jedoch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige, so müsse für Letztere zwingend der bisherige Standard erhalten bleiben. Die Nichtbeachtung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG führe dazu, dass die Ausweisung unheilbar rechtswidrig sei. Im Übrigen sei demgegenüber im Ergebnis aber davon auszugehen, dass die Richtlinie 2004/38/EG und damit Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie auch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige gelte. Der Kläger, der in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt habe, dürfe daher nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Die öffentliche Sicherheit werde durch den Kläger aber künftig nicht gefährdet. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei nicht zu erwarten. Durch seine soziale Integration und zielstrebige Berufsausbildung habe der bis zu seiner Verurteilung wegen der der Ausweisung zugrunde liegenden Tat nicht vorbestrafte Kläger dargetan, dass er bis dahin keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt habe. Außerdem habe er durch Entschuldigungen und Schmerzensgeldzahlungen zum Ausdruck gebracht, dass er die Tat bedauere. Das Verwaltungsgericht habe insbesondere das Nachtatverhalten des Klägers außer Acht gelassen. Zwar habe es erwähnt, dass der Kläger an einer zweimonatigen Gewaltpräventionsgruppe teilgenommen habe. Es habe dies und das gesamte positive Strafvollzugsverhalten jedoch bei der Bewertung der Ermessensentscheidung in keiner Weise berücksichtigt. Da sich der Kläger erstmals im Strafvollzug befinde, müsse davon ausgegangen werden, dass dies nachhaltige Wirkungen auf ihn ausübe, die ihn von künftigen Straftaten abhielten. Eine konkrete Wiederholungsgefahr, wie sie Art. 14 ARB 1/80 fordere, sei angesichts dessen beim Kläger nicht zu erkennen. Aus dem Gutachten im Strafprozess und der Tat allein könne auf eine solche Wiederholungsgefahr nicht geschlossen werden.

Der Kläger beantragt zuletzt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 und der Ergänzung in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Ausweisungsbescheid sei rechtmäßig. Er verstoße insbesondere weder gegen Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG noch gegen Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass der Kläger nach wie vor nicht in der Lage sei, seine Aggressionen zu kontrollieren. Kläger und Justizvollzugsanstalt hätten die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe für erforderlich gehalten. Beim Kläger liege nach dem im Strafprozess erstellten Gutachten wahrscheinlich eine eher geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und eine allgemeine Unsicherheit bei noch nicht ausgereifter Identitätsbildung vor. Nach Lösung des Verlöbnisses könne die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin nicht mehr zur Stabilisierung des Klägers beitragen. Auch wenn der Kläger faktischer Inländer sei, sei zu berücksichtigen, dass er massiv straffällig geworden sei und abgesehen von den Bindungen zu seiner Herkunftsfamilie keine gewichtigen familiären Bindungen habe. Schließlich lägen Umstände vor, die dem Kläger die Integration in der Türkei erleichtern würden. Seine Großeltern lebten in der Türkei. Er habe Urlaubsaufenthalte dort verbracht, habe eine türkischsprachige Klasse besucht und seine Korrespondenz während der Haft belege seine Türkischkenntnisse.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt sich an dem Verfahren, ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Nachdem er sich zunächst den Ausführungen der Beklagten angeschlossen und ergänzend auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, nach der Art. 9 Richtlinie 64/221/EWG auf nach dem 30. April 2006 ergangene Ausweisungsverfügungen keine Anwendung mehr finde, verwiesen hatte, meint er nunmehr, der Kläger habe eine zweite Chance verdient.

Das mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 2008 im Hinblick auf ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ausgesetzte Verfahren (10 BV 08.3244) ist auf Antrag der Beklagten vom 22. Februar 2013 unter dem jetzigen Aktenzeichen (10 BV 13.421) fortgeführt worden.

Der Kläger ist nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe am 29. September 2011 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden. Er steht für die Dauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht. Am 11. Februar 2013 hat er eine deutsche Staatsangehörige geheiratet. Am 7. Juni 2013 ist der gemeinsame Sohn des Klägers und seiner Ehefrau geboren worden, der ebenfalls deutscher Staatsangehöriger ist. Die Ehefrau und der Sohn des Klägers wohnen mit dem Kläger zusammen.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2015 hat die Beklagte Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008 dahingehend abgeändert, dass die Wiedereinreise für drei Jahre untersagt wird und die Frist mit der Ausreise beginnt. Außerdem hat sie in den Gründen des Bescheids die Ermessenserwägungen zur Ausweisung des Klägers aktualisiert und klargestellt, dass die Ermessensentscheidung nunmehr ausschließlich auf die Ausführungen im Bescheid vom 27. Januar 2015 gestützt werde.

Im Wesentlichen führt die Beklagte zur Begründung aus, der Ausweisung liege eine außerordentlich schwere Straftat zugrunde. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei durch den Kläger schwerwiegend gefährdet, so dass sein Aufenthalt im Allgemeininteresse zu beenden sei. Die privaten Belange müssten insbesondere im Hinblick darauf zurücktreten, dass dem Kläger aufgrund seiner Sprachkenntnisse, der Kontakte zu seinen in der Türkei lebenden Großeltern und seiner Vertrautheit mit der türkischen Kultur und Mentalität ein Leben in der Türkei zumutbar sei. Die Beziehung zu seiner deutschen Frau und seinem deutschen Kind werde dadurch relativiert, dass sie zu einer Zeit aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit entstanden sei. Besonderes Gewicht sei allerdings dem Interesse des Sohnes des Klägers an dessen Verbleib im Bundesgebiet beizumessen. Auf die Lebenshilfe seiner Eltern sei der Kläger nicht mehr angewiesen. Im Ergebnis überwiege trotz der sich abzeichnenden positiven Tendenz und der geänderten familiären Situation angesichts der Schwere der begangenen Straftat und der konkreten Gefahr weiterer Straftaten das öffentliche Interesse an der Ausweisung. Hinsichtlich der Befristung der Wirkungen der Ausweisung werde wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die familiären Bindungen im Bundesgebiet ein Zeitraum von drei Jahren für erforderlich gehalten, um dem hohen Gefahrenpotenzial Rechnung tragen zu können.

In der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, wegen deren Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird, hat die Beklagte erklärt, ihre Ermessenserwägungen im Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 würden noch dahingehend vervollständigt, dass nunmehr die Eltern des Klägers in der Türkei wohnten und damit dort im Fall einer Aufenthaltsbeendigung für den Kläger ein weiterer Anlaufpunkt bestehe.

Ergänzend wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Anfechtungsklage, deren Gegenstand die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung ist, die er durch den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 und die in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 zur Niederschrift abgegebene Erklärung der Beklagten zur Vervollständigung ihrer Ermessenserwägungen erhalten hat (I.), hat auch in der Sache Erfolg (II.).

I.

Gegenstand der Klage ist die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. April 2015 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015. Indem der Kläger seinen auf die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in seiner ursprünglichen Fassung gerichteten Klageantrag auf den Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt hat, hat er diesen bereits unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Klageänderung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO vorgelegen haben, nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 und 3 ZPO in zulässiger Weise in die Klage einbezogen. Denn danach handelt es sich bei der Erstreckung der Anfechtungsklage auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 nicht um eine Klageänderung. Im Übrigen wäre eine in der Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 liegende Klageänderung hier auch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig.

1. Eine Klageänderung liegt vor, wenn sich der Streitgegenstand ändert. Der Streitgegenstand wird dabei durch den Klageanspruch als den mit der Klage geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und den Klagegrund als den dem Klageanspruch zugrunde liegenden Sachverhalt bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 24.10.2013 - 7 C 13.12 - juris Rn. 28 m. w. N.). Eine Klageänderung ist demzufolge grundsätzlich dann gegeben, wenn der Klageanspruch, der Klagegrund oder beide sich ändern (vgl. BVerwG a. a. O.).

Zwar wäre danach hier von einer Klageänderung auszugehen. Denn der Kläger hatte ursprünglich nur die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 beantragt, mit dem er aus der Bundesrepublik ausgewiesen (Nr. 1 des Bescheids vom 11. April 2008), ihm die Wiedereinreise untersagt (Nr. 2 des Bescheids vom 11. April 2008) und ihm für den Fall, dass er das Bundesgebiet nicht bis zum 15. April 2008 verlasse, die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat angedroht wurde, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 3 des Bescheids vom 11. April 2008). Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 gestellten Antrag des Klägers, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, hat sich aber der Streitgegenstand geändert. Denn es hat sich der Klageanspruch verändert, weil mit der Klage nicht mehr die Aufhebung des ursprünglichen Bescheids, sondern die Aufhebung dieses Bescheids in der geänderten Fassung begehrt wird, nach der dem Kläger die Wiedereinreise nicht mehr unbefristet, sondern nur noch für die Dauer von drei Jahren untersagt ist.

2. Jedoch ist es nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird. Nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO ist es darüber hinaus nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt des ursprünglich geforderten Gegenstands wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand gefordert wird. Danach liegt hier eine Klageänderung aber nicht vor.

a) Durch die Beantragung der Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ist der Klageantrag im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO erweitert worden, weil er damit auf den Bescheid vom 27. Januar 2015 erstreckt worden ist.

Ebenso fordert der Kläger mit dem Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 aufzuheben, im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 ZPO einen anderen Gegenstand als mit seinem ursprünglichen Antrag, den Bescheid vom 11. April 2008 aufzuheben. Dies erfolgt auch wegen einer später eingetretenen Veränderung. Denn die Beklagte hat den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 11. April 2008 nach Klageerhebung geändert, indem sie das darin enthaltene Wiedereinreiseverbot mit dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristet hat.

b) Die Erweiterung des Klageantrags und die darin liegende Forderung eines anderen als des ursprünglichen Gegenstands sind darüber hinaus ohne Änderung des Klagegrundes erfolgt. Denn der dem Klageantrag zugrunde liegende Sachverhalt hat sich durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 nicht geändert.

Der Bescheid vom 11. April 2008 und dieser Bescheid in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 unterscheiden sich nur insoweit, als der Bescheid vom 11. April 2008 dem Kläger die Wiedereinreise ohne zeitliche Beschränkung untersagt hat, während er in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein auf drei Jahre befristetes Wiedereinreiseverbot vorsieht. Dieser Unterschied hat aber nicht zur Folge, dass der Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 ein anderer Sachverhalt zugrunde zu legen wäre als der Entscheidung über eine Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid in seiner ursprünglichen Fassung.

Zum einen erweist sich im Fall der Rechtswidrigkeit der Ausweisung auch das von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als gesetzliche Folge der Ausweisung ausgesprochene Wiedereinreiseverbot unabhängig davon als rechtswidrig, ob es nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG befristet worden ist oder nicht. Der rechtlichen Beurteilung des Wiedereinreiseverbots liegt daher in beiden Fällen einheitlich der Sachverhalt zugrunde, auf dessen Grundlage sich die Ausweisung als rechtswidrig darstellt. Zum anderen enthält die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid, wenn dieser wie der Bescheid vom 11. April 2008 keine Befristung der Wirkungen der Ausweisung verfügt hat, zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung einen Hilfsantrag auf Verpflichtung des Trägers der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung dieser Wirkungen mit der Folge, dass im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 39). Über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist in diesem Fall aber auch dann zu entscheiden, wenn eine solche Befristung nachträglich vorgenommen wird und die Anfechtungsklage gegen den Ausweisungsbescheid wie hier auf den Befristungsbescheid erstreckt wird (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage gegen nachträgliche Befristungsentscheidungen BVerwG, B.v. 14.3.2013 - 1 B 17.12 - juris Rn. 13; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 31; kritisch dazu Armbruster/Hoppe, ZAR 2013, 309/315). In beiden Fällen ist dabei nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die im Rahmen der Befristung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG festzusetzende Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 42; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 40 f.; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 30 ff.). Auch im Falle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung liegt dem Klageanspruch daher unabhängig davon, ob die Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2008 oder die Aufhebung dieses Bescheids in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 begehrt wird, derselbe Sachverhalt zugrunde. Stimmt damit aber der für die Entscheidung über beide Klageanträge maßgebliche Sachverhalt überein, so hat die Einbeziehung des Bescheids vom 27. Januar 2015 nicht zu einer Änderung des Streitstoffs und damit des Klagegrundes geführt.

3. Im Übrigen wäre die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015, selbst wenn es sich dabei um eine Klageänderung handeln würde, nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, weil der Verwaltungsgerichtshof die Änderung für sachdienlich hält.

Sachdienlich ist eine Klageänderung in der Regel dann, wenn sie der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (vgl. BVerwG, U.v. 18.8.2005 - 4 C 13.04 - juris Rn. 22 m. w. N.; BayVGH, U.v. 26.6.2012 - 10 BV 09.2259 - juris Rn. 37). Beides ist hier der Fall.

Die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 dient der endgültigen Beilegung des Rechtsstreits. Denn sie ermöglicht es, auch über die zulässige Dauer der Wirkungen der Ausweisung eine Entscheidung herbeizuführen, ohne dass es einer erneuten Klage gegen die im Änderungsbescheid vorgenommene Befristung des Wiedereinreiseverbots bedarf. Auch bleibt der Streitstoff im Wesentlichen derselbe. Wie dargelegt, ändert sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt durch die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2015 in den Klageantrag nicht.

II.

Die Klage, die sich danach gegen den Bescheid vom 11. April 2008 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 ergänzten Änderungsbescheids der Beklagten vom 27. Januar 2015 richtet, ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, weil er nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015, die für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Befristung ihrer Wirkungen und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 15; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12; U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 9), sowohl hinsichtlich der Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland (1.) als auch hinsichtlich der Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und der Abschiebungsandrohung (2.) rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

1. Die Ausweisung des Klägers, die an Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4; im Folgenden: ARB 1/80) in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu messen ist (a), ist rechtswidrig. Zwar ergibt sich dies nicht bereits daraus, dass die Ausweisung wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschiften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl der Europäischen Gemeinschaften 1964 S. 850; im Folgenden: Richtlinie 64/221/EWG) formell rechtswidrig wäre (b). Jedoch sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt (c).

a) Als Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers kommt nur Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Betracht. Denn der Kläger erfüllt die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80.

Nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war. Die praktische Wirksamkeit dieser Rechte setzt dabei zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf Unionsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 40; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 31; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 25; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 20; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Danach ist der Kläger aber nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 aufenthaltsberechtigt.

aa) Der Kläger erfüllt zunächst die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80. Er ist Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt angehörte. Sein Vater kam 1972 nach Deutschland und arbeitete dort bei BMW, bei einer Arzneimittelfirma und schließlich am Flughafen München. Zwar hat der 1983 im Bundesgebiet geborene Kläger erstmals am 17. April 1997 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 gilt aber entgegen seinem Wortlaut nicht nur für Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, sondern auch für ein Kind eines solchen Arbeitnehmers, das wie der Kläger im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde und stets dort gelebt hat (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 20 ff, 26; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11). Der Kläger hat schließlich von seiner Geburt bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 und damit seit mindestens fünf Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seinen Eltern gehabt und mit ihnen eine familiäre Lebensgemeinschaft geführt (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 30; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 24).

bb) Der Kläger erfüllt außerdem die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Denn er hat als Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der in Deutschland seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war, in der Bundesrepublik eine Berufsausbildung zum Maschinenbaumechaniker abgeschlossen.

cc) Schließlich hat der Kläger sein sich aus Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 ergebendes Aufenthaltsrecht auch nicht nachträglich wieder verloren.

aaa) Dieses Recht unterliegt lediglich in den beiden folgenden Fällen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 16.3.2000 - Ergat, C-329/97 - juris Rn. 45 ff.; U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 36; U.v.7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27; U.v.16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 21 und 25; U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 49 m. w. N.). Zum einen ermöglicht es Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 den Mitgliedstaaten, in Einzelfällen bei Vorliegen triftiger Gründe den Aufenthalt des türkischen Migranten in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken, wenn dieser durch sein persönliches Verhalten die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet. Von dieser Möglichkeit hatte die Bundesrepublik im Falle des Klägers aber bis zu dessen Ausweisung durch den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008, gegen die sich die Klage richtet, nicht Gebrauch gemacht. Zum anderen verliert der Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 grundsätzlich, wenn er das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt. Dies hat der Kläger jedoch nicht getan.

bbb) Schließlich hat der Kläger, der bis zu seiner Inhaftierung im Juni 2006 für eine Leiharbeitsfirma gearbeitet hat, sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 auch nicht dadurch verloren, dass er während seiner langen Freiheitsstrafe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Denn im Hinblick darauf, dass dieses Recht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit nur nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 oder wegen eines Verlassens des Aufnahmemitgliedstaats während eines erheblichen Zeitraums ohne berechtigte Gründe beschränkt werden kann, unterliegt es wegen einer längeren Abwesenheit vom Arbeitsmarkt aufgrund einer mehrjährigen Freiheitsstrafe keinen Beschränkungen (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - Cetinkaya, C-467/02 - juris Rn. 38 f.; U.v. 7.7.2005 - Aydinli, C-373/03 - juris Rn. 27 f.; U.v. 16.2.2006 - Torun, C-502/04 - juris Rn. 25 f.; BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 12; U.v. 28.6.2006 - 1 C 4.06 - juris Rn. 13).

b) Die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist nicht bereits deshalb wegen eines unheilbaren Mangels des Verwaltungsverfahrens formell rechtswidrig, weil sie gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG verstoßen hätte.

Nach dieser Regelung, die auf türkische Staatsangehörige mit assoziationsrechtlichem Aufenthaltsrecht anwendbar war (vgl. EuGH, U.v. 2.6.2005 - Dörr und Ünal, C-136/03 - juris Rn. 61 ff.; BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 12; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22; U.v. 13.12.012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23), traf die Verwaltungsbehörde, soweit die vorgesehenen Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betrafen oder keine aufschiebende Wirkung hatten, die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen konnte (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG). Diese Stelle musste dabei eine andere sein als diejenige, die für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig war (Art. 9 Abs. 1 UAbsRichtlinie 64/221/EWG/EWG; sog. Vier-Augen-Prinzip).

Zwar wäre diese Regelung im Falle ihrer weiteren Anwendbarkeit durch die Ausweisung des Klägers verletzt worden, weil nach § 114 Satz 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur die Rechtmäßigkeit der nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde stehenden Ausweisung, nicht aber ihre Zweckmäßigkeit überprüft wird, ein Widerspruchsverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 AGVwGO nicht stattgefunden hat und auch sonst eine andere Stelle als die Beklagte vor Erlass des Ausweisungsentscheids vom 11. April 2008 zur Ausweisung des Klägers nicht Stellung genommen hatte (vgl. BVerwG, U.v. 13.9.2005 - 1 C 7.04 - juris Rn. 13; U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 14). Die Ausweisung wäre daher auch wegen eines Mangels des Verwaltungsverfahrens unheilbar rechtswidrig gewesen (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 16). Jedoch ist Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG seit Aufhebung dieser Richtlinie durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl EG Nr. L 158 S. 77: im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) mit Wirkung zum 30. April 2006 für nach diesem Zeitpunkt ergangene Ausweisungsverfügungen wie den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 11. April 2008 nicht mehr anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 22 ff.; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 28 ff.; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23 ff.; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 5 ff.).

Der Kläger meint demgegenüber, dass der verfahrensrechtliche Schutz, den Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG türkischen Staatsangehörigen gewähre, die über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 verfügten, auch nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG deshalb fortgelten müsse, weil der Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG ersetzende Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG nur für Unionsbürger gelte und ein ersatzloser Wegfall der in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantie nicht hinnehmbar sei. Diese Argumentation rechtfertigt aber nicht die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige mit einem Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80.

Zum einen ist durch die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die in deren Art. 9 Abs. 1 enthaltene Verfahrensgarantie nicht ersatzlos entfallen. Vielmehr ist der Rechtsschutz gegen Ausweisungen türkischer Staatsangehöriger, die über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrechts verfügen, nunmehr in entsprechender Anwendung des für Unionsbürger an die Stelle von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG getretenen Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG oder des Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend der Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl EG 2004 Nr. L 16 S. 44; im Folgenden: Richtlinie 2003/109/EG) gewährleistet (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 29; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23; B.v. 15.4.2013 1 B 22.12 - juris Rn. 5). Für die Anwendbarkeit des Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG spricht dabei, dass diese Regelung, nach deren Abs. 4 dem Ausgewiesenen der Rechtsweg in dem jeweiligen Mitgliedstaat offen steht, nach der Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG den unionsrechtlichen Bezugsrahmen für die Ausweisung türkischer Staatsangehöriger bildet, die wie der Kläger über ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 verfügen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 79; BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12).

Zum anderen würde die weitere Anwendung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG gegen Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385; im Folgenden: ZP) verstoßen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.). Nach dieser Regelung darf der Türkei in den vom Zusatzprotokoll erfassten Bereichen, zu denen auch die Ausweisung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen zählt (vgl. EuGH, U.v. 18.7.2007 - Derin, C-325/05 - juris Rn. 58 ff.), keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrags über die Gründung der Gemeinschaft einräumen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG weiterhin angewandt werden könnte.

Nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 2004/38/EG dabei die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 Richtlinie 2004/38/EG gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren darüber hinaus, dass die Entscheidung nicht unverhältnismäßig ist. Die Beteiligung einer anderen als der für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zuständigen Stelle, wie sie Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG im Sinne eines Vier-Augen-Prinzips vorsah, ist daher nach Art. 31 Richtlinie 2004/38/EG für den Rechtsschutz von Unionsbürgern gegen solche Entscheidungen nicht mehr zwingend vorgeschrieben (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 23; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 23: B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6). Soweit nach Art. 31 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG die Einlegung des Rechtsbehelfs bei einem Gericht „und gegebenenfalls bei einer Behörde“ möglich sein muss, soll dies nur nationalen Regelungen Rechnung tragen, nach denen der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine Verpflichtung zur Beteiligung einer weiteren unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus aber nicht (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 30; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 6 ff.). Ist danach bei Unionsbürger betreffenden Entscheidungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit die Beteiligung einer solchen Stelle nicht erforderlich, so würden türkische Staatsangehörige, die assoziationsrechtlich aufenthaltsberechtigt sind, bei sie betreffenden derartigen Entscheidungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 aber besser gestellt als Unionsbürger. Der Türkei würde daher entgegen Art. 59 ZP eine günstigere Behandlung gewährt als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander einräumen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 25; U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 33; B.v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 13 ff.).

c) Ist die Ausweisung des Klägers damit zwar nicht schon wegen einer Verletzung von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG unheilbar formell rechtswidrig, so folgt ihre Rechtswidrigkeit jedoch daraus, dass die nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erforderlichen materiell-rechtlichen Ausweisungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann dabei Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a Richtlinie 2004/38/EG, nach dem eine Ausweisung gegen Unionsbürger nicht verfügt werden darf, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt werden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben, im Falle von nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erfolgenden Ausweisungen allerdings nicht entsprechend angewandt werden, um die Tragweite von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu bestimmen (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 74). Vielmehr ist dazu Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG als Bezugsrahmen heranzuziehen (EuGH a. a. O. Rn. 79), nach dessen Abs. 1 bei einem langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung nur verfügt werden kann, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

Dementsprechend kann ein türkischer Staatsangehöriger, der wie der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 besitzt, nach Art. 14 Abs. 1 ARB nur im Ermessenswege aufgrund einer Einzelfallprüfung ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 82 und 86; BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 13). Im Übrigen setzt die Ausweisung des Klägers, der seit 14.12.1999 eine nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich damit seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und deshalb nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießt, auch nach nationalem Recht schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

Nach diesen Maßstäben erweist sich die Ausweisung des Klägers jedoch als rechtswidrig, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr bestand (aa) und die Ausweisung außerdem zur Wahrung dieses Interesses nicht unerlässlich war (bb).

aa) Bei der Prüfung, ob eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft vorliegt, gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind im Rahmen der Gefahrenprognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Demgemäß gelten umso geringere Anforderungen an den Eintritt eines Schadens für ein bedrohtes Rechtsgut, je bedeutender dieses ist. Jedoch reicht auch bei hochrangigen Rechtsgütern nicht jede auch nur entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr aus. Auch insoweit dürfen vielmehr keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 16; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 16). Darüber hinaus sind bei der Gefahrenprognose nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse der Gesellschaft darstellen kann (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 84).

Eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft geht bei Berücksichtigung dieser Vorgaben von dem zu erwartenden persönlichen Verhalten des Klägers nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aber nicht mehr aus.

aaa) Zwar würde es eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellen, wenn der Kläger erneut eine Straftat begehen würde, die mit der der Ausweisung zugrunde liegenden vergleichbar ist. Denn der versuchte Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, der zur Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten geführt hat, hat das Leben und die Gesundheit des Opfers gefährdet. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Bürger nehmen aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein. Ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 19), das durch Straftaten, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird. Angesichts des hohen Rangs der bedrohten Rechtsgüter und der schwerwiegenden Folgen, die eintreten können, wenn wie im Falle des Klägers dem Opfer mit einem mit Widerhaken versehenen Messer in lebensgefährlicher Weise tief in den Oberbauch gestochen wird, stellte die erneute Begehung vergleichbarer Taten durch den Kläger ohne weiteres für das betreffende Grundinteresse der Gesellschaft auch eine hinreichend schwere Gefahr dar.

Im Hinblick darauf und auf die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten liegen darüber hinaus schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor. Insbesondere hat der Kläger angesichts der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe einen Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht, der vorliegt, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.

bbb) Jedoch stellt das persönliche Verhalten des Klägers nach Überzeugung des Senats keine gegenwärtige tatsächliche Gefahr mehr dar, die seine Ausweisung nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte.

Nach den Feststellungen des Schwurgerichts auf der Grundlage des im Strafverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 litt der durchschnittlich intelligente und eher zurückhaltende Kläger zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat unter Minderwertigkeitsgefühlen und reagierte gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen übersensibel. Seine Stresstoleranz und innere Stabilität waren gering ausgeprägt. Es herrschte ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit vor. Der Gutachter ging zudem von einer noch nicht ausgereiften Identitätsbildung aus. Insbesondere die Sensibilität gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und die geringe Stresstoleranz des Klägers waren dabei maßgeblich mitursächlich dafür, dass es zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat kam.

Dass der Kläger sein Messer zog und damit schließlich zustach, hing mit der dem tatsächlichen Zusammentreffen vorangegangenen telefonischen Äußerung des Tatopfers zusammen, er werde den Kläger wieder dahin zurückstecken, wo er herausgekommen sei, die der Kläger als Beleidigung empfand. Denn bei Eintreffen des Tatopfers und seiner Begleiterinnen und Begleiter fragte der Kläger, der bis dahin nicht wusste, von wem diese Äußerung stammte, aufgebracht, wer ihn so beleidigt habe. Anlass für den Anruf des Tatopfers beim Kläger und das spätere Zusammentreffen war wiederum die Ohrfeige, die der Kläger der Schwägerin des Opfers am Abend zuvor gegeben hatte, weil er sich während einer verbalen Auseinandersetzung darüber ärgerte, dass diese ihn auf seine Äußerung hin, sie könne so nicht mit ihm reden, gefragt hatte, wie es denn wäre, wenn sie doch so mit ihm redete. Die Überempfindlichkeit des Klägers gegenüber Kränkungen und Zurückweisungen und seine geringe Stresstoleranz spielten daher eine entscheidende Rolle für den Geschehensablauf, der schließlich in den Totschlagsversuch und die damit einhergehende gefährliche Körperverletzung mündete.

Dementsprechend geht das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 davon aus, dass die Gefahr eines Rückfalls hauptsächlich in Situationen besteht, in denen der Kläger sich wie bei der Begehung der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat zurückgewiesen, abgewertet oder in seinem Selbstbild abgelehnt oder angegriffen fühlt (S. 29 des Gutachtens).

Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs besteht aber angesichts der Entwicklung, die der Kläger seit der inzwischen mehr als achteinhalb Jahre zurückliegenden Tat durchlaufen hat, allenfalls noch die entfernte Möglichkeit, dass der Kläger erneut eine vergleichbare Straftat begehen wird. Dies reicht jedoch für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr auch unter Berücksichtigung der im Hinblick auf die hohe Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter verminderten Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht aus.

Der Kläger war nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt zur Führungsaufsicht vom 23. März 2011 während der Haft ruhig, fröhlich, offen, gutmütig und natürlich. Er trat respektvoll und verständig auf, verhielt sich gegenüber Bediensteten anständig, freundlich und hilfsbereit und war in der Gemeinschaft mit anderen Gefangenen gesellig und kameradschaftlich. Bei der Arbeit in einem Unternehmerbetrieb leistete er mit beständigem Fleiß fachgerechte und über dem Durchschnitt liegende Arbeit. Disziplinarisch ist er lediglich einmal im Jahr 2009 in Erscheinung getreten, weil er den Spion an seiner Haftraumtüre umgebaut und beschädigt hatte. Der Kläger bewarb sich im Mai 2007 für das anstaltsinterne soziale Kompetenztraining und nahm von Oktober bis Dezember 2007 an der Gewaltpräventionsgruppe der Justizvollzugsanstalt teil. Nach dem diesbezüglichen, im psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 zusammengefassten Abschlussbericht vom 15. Dezember 2007 hat der Kläger regelmäßig und aktiv an den Behandlungsangeboten teilgenommen, gute Motivation gezeigt, an den Inhalten der Gruppe mitzuarbeiten, sich aus eigener Initiative öfter in das Gruppengeschehen eingebracht und seine Hausaufgaben zuverlässig und mit Sorgfalt erledigt. Er hat in ersten Ansätzen die auslösenden Bedingungen seiner Straftat erkennen können. Außerdem hat er gute Ansätze, Techniken und Strategien entwickelt, um zukünftig adäquater mit Konflikt- und Problemsituationen umgehen zu können. Eine Bearbeitung der Gewaltproblematik ist ihm vor allem auf der kognitiven Ebene gut möglich gewesen. Auf der emotionalen Ebene und der Verhaltensebene wurde allerdings noch eine Vertiefung für erforderlich gehalten.

Das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 geht davon aus, dass das Verhaltensrepertoire des Klägers in der Situation, die zu der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, nicht ausreichend war, um einen Lösungsweg zu finden. Der Gutachter ist der Auffassung, dass die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe der Haftanstalt diesbezüglich lediglich einen Anfang gemacht habe, dass eine andauernde Veränderung und Erweiterung des Verhaltensrepertoires damit jedoch noch nicht abgeschlossen und deshalb eine weitere Therapie dringend erforderlich sei (S. 30 des Gutachtens). Nach seiner Einschätzung besteht zwar nicht die Gefahr, dass der Kläger wahllos fremde Personen attackieren werde, wohl aber dass im Rahmen von Beziehungskonflikten, insbesondere im Falle einer schweren Kränkung oder Erniedrigung, die alten Verhaltensmuster noch nicht so weit überwunden seien, dass es bei einer entsprechenden Konstellation nicht wieder zu aggressiven Durchbrüchen kommen könne (vgl. S. 30 f. des Gutachtens). Nach Ansicht des Gutachters ist daher von einer nicht mehr bestehenden Gefährlichkeit des Klägers erst unter der Bedingung auszugehen, dass eine erneute therapeutische Behandlung durchgeführt wird (S. 31 des Gutachtens).

Dementsprechend hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 10. März 2010, bestätigt durch den die sofortige Beschwerde des Klägers als unbegründet verwerfenden Beschluss des Oberlandesgerichts vom 14. April 2010, eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung abgelehnt. Außerdem hat sie unter Bezugnahme auf das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 mit Beschluss vom 24. Juni 2011 festgestellt, dass nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, weil nicht zu erwarten sei, dass der Kläger ohne diese Maßregel keine Straftaten mehr begehen werde. Gleichzeitig hat sie den Kläger im Hinblick darauf, dass nach dem Gutachten ohne eine vertiefende Bearbeitung der Gewaltproblematik ein Rückfall in alte Verhaltensweisen nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, angewiesen, sich nach Haftentlassung einer ambulanten Psychotherapie bei einem namentlich bezeichneten Psychotherapeuten für die Dauer von mindestens einem Jahr zu unterziehen. An dieser Therapie hat der Kläger in der Zeit von Juli 2012 bis September 2013 teilgenommen. Mit seiner ärztlichen Mitteilung vom 9. September 2013 hat der Psychotherapeut der Bewährungshelferin des Klägers mitgeteilt, dass der Kläger am 9. September 2013 an der 14. psychotherapeutischen Sitzung teilgenommen habe, dass er sich an alle Abmachungen gehalten habe, dass nach seiner Meinung vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe und dass die Psychotherapie abgeschlossen werden könne.

Mit dem erfolgreichen Abschluss der psychotherapeutischen Behandlung besteht aber nicht nur nach Auffassung seines Therapeuten keine Gefahr mehr, dass der Kläger erneut ähnliche Straftaten wie diejenigen begeht, die seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde gelegen haben. Vielmehr sind damit auch die Bedingungen erfüllt, unter denen das Gutachten vom 2. Januar 2010 und ihm folgend die Strafvollstreckungskammer davon ausgegangen sind, dass der Kläger nicht mehr gefährlich ist. Dass nach Abschluss der im Beschluss über die Führungsaufsicht angeordneten Therapie die Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten durch den Kläger nicht mehr besteht, steht aber auch zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs fest.

Der Senat geht aufgrund des Eindrucks, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 hinterlassen hat, davon aus, dass die erfolgreich abgeschlossene Therapie ihrem Zweck entsprechend (vgl. S. 30 des Gutachtens vom 2. Januar 2010) das Verhaltensrepertoire des Klägers in einer Weise verändert und erweitert hat, die es ihm ermöglicht, in Zukunft für Konflikte in Situationen wie derjenigen, die zu der der Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat geführt hat, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, wurde im Rahmen der Therapie, deren Gegenstand die Gewaltprävention, das persönliche Verhalten des Klägers und seine aktuelle Situation waren, insbesondere auch besprochen, wie er sich in einer Situation wie derjenigen, die zu seiner Straftat geführt hat, verhalten müsste. Dass dies zutrifft und dass der Kläger in der Therapie gelernt und verinnerlicht hat, wie er sich in solchen Situationen gewaltfrei verhalten kann, belegen seine Antworten in der mündlichen Verhandlung.

So hat er erläutert, er wisse nunmehr, dass es zur Vermeidung von derartigen Situationen notwendig sei, bereits vom Kopf her eine andere Einstellung zu haben. Er dürfe sich schon gedanklich auf eine Situation, wie sie seiner Straftat zugrunde gelegen habe, nicht mehr einlassen, sondern müsse alles versuchen, ihr von vornherein aus dem Weg zu gehen. Konkret würde er sich heute in ähnlicher Lage wahrscheinlich umdrehen und weggehen. Auch würde er, selbst wenn er es dürfte, aufgrund seiner geänderten Einstellung kein Messer und auch keine sonstige Waffe mehr mit sich führen. Bei einem Streit innerhalb der Familie, dem er nicht ausweichen könne, rede er heute länger darüber. Auf seine leichte Kränkbarkeit angesprochen hat der Kläger ausgeführt, man könne solche Gefühle nicht völlig ausschließen, wohl aber reduzieren. Wenn jemand heute seine Familie beleidigen würde, würde er zu diesem Zweck daran denken, dass er seiner Familie nicht helfe, wenn er sich über die Kränkung erregen und wie bei seiner damaligen Straftat reagieren würde, weil er dann ja seine Familie erneut allein lasse. Letzteres zeigt darüber hinaus, dass dem Kläger, der inzwischen verheiratet und Vater eines eineinhalb Jahre alten Sohnes ist, seine Familie wichtig ist und er das Familienleben nicht durch die erneute Begehung von Straftaten gefährden will.

Es kommt hinzu, dass der Kläger nach den im Gutachten vom 2. Januar 2010 getroffenen Feststellungen die volle Verantwortung für seine Tat übernommen hat, ohne sie zu bagatellisieren, und dass die lange Haftzeit bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat (S. 27 des Gutachtens). Dies hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2015 bestätigt, in der der Kläger, der auch im Übrigen offen und bereitwillig Auskunft gegeben hat, nachvollziehbar dargelegt hat, dass ihm in der Haft klargeworden sei, was für einen Fehler er gemacht habe, und dass vor allem die Inhaftierung und das Bewusstsein, dass er „Mist gebaut“ habe, ihn seit der Tat wesentlich geprägt hätten.

Außerdem ist der Senat aufgrund des Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in den fast neun Jahren seit der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat durch die Haft, die Auseinandersetzung mit seiner Tat, die Teilnahme an der Gewaltpräventionsgruppe in der Haft, die psychotherapeutische Behandlung nach der Entlassung und die Gründung einer eigenen Familie deutlich reifer geworden ist, als er es zum Zeitpunkt der Tat im Jahr 2006 und der Erstellung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. Januar 2007 war, das ihm noch eine durch geringe Stresstoleranz und innere Stabilität und durch allgemeine Unsicherheit gekennzeichnete nicht ausgereifte Identitätsbildung bescheinigte (S. 88 des Gutachtens). Da gerade diese Faktoren bei der Tatbegehung eine wesentliche Rolle gespielt haben, hat der mit der Einsicht in die Fehlerhaftigkeit seiner früheren Verhaltensmuster und in ihre negativen Folgen verbundene Reifungsprozess des Klägers die Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten nach Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs aber deutlich verringert.

Darüber hinaus ergeben sich auch aus dem Verhalten des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass von ihm gegenwärtig tatsächlich noch eine hinreichend schwere Gefahr für das Leben und die Gesundheit anderer ausgeht. Das Verhalten des Klägers in der Haft war mit Ausnahme des Umbaus und der Beschädigung des Spions in der Haftraumtür beanstandungsfrei. Insbesondere war er während der Haftzeit nie in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Nach der Entlassung aus der Strafhaft hat er keine Straftaten mehr begangen. Seit der der Ausweisung zugrunde liegenden Straftat im Juni 2006 sind damit mehr als acht Jahre, seit der Haftentlassung im September 2011 mehr als drei Jahre und seit dem Abschluss der Psychotherapie im September 2013 mehr als ein Jahr vergangen, ohne dass der Kläger erneut straffällig geworden wäre. Nach den vorliegenden Berichten der Bewährungshilfe hat er zudem seit seiner Entlassung alle Termine zuverlässig eingehalten und beanstandungsfrei, offen und kooperativ mit den Bewährungshelferinnen zusammengearbeitet. Nach Abschluss der Psychotherapie wurde der Kläger auf Anregung der Bewährungshelferin vom 12. September 2013 noch im September 2013 aus der Liste der Risikoprobanden der Führungsaufsichtsstelle gestrichen.

Anhaltspunkte für eine beachtliche Wiederholungsgefahr ergeben sich auch nicht aus dem Verhalten des Klägers vor der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Straftat. Der Kläger war nicht vorbestraft. Außer einem nach § 153 Abs. 1 StPO wegen geringer Schuld eingestellten Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort am 15. August 2005 und einem nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten Ermittlungsverfahren wegen einer leichten Körperverletzung am 17. Mai 2002 haben gegen ihn auch keine strafrechtlichen Ermittlungen stattgefunden. Soweit der Kläger daneben gegenüber dem Sachverständigen, der das psychiatrische Gutachten vom 2. Januar 2010 erstellt hat, angegeben hat, er sei vor der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Straftat im Fußballverein oder in der Diskothek schon einmal in Schlägereien verwickelt gewesen, bei denen aber nie jemand ernsthaft verletzt worden sei, haben diese offensichtlich nicht zu Ermittlungsverfahren gegen den Kläger geführt. Im Übrigen reichen nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs auch diese etwaigen Körperverletzungen nicht aus, um von einer gegenwärtigen Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger auszugehen. Denn abgesehen davon, dass die betreffenden Vorfälle bereits viele Jahre zurückliegen, geht der Senat davon aus, dass sich die Einstellung des Klägers zur Anwendung von Gewalt durch den Eindruck der Haft, durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten im Rahmen der Gewaltpräventionsgruppe in der Justizvollzugsanstalt und der Psychotherapie nach der Entlassung aus der Haft sowie durch seine Heirat und die Geburt seines Sohnes im Vergleich zu der Zeit vor seiner Inhaftierung so gewandelt hat, dass in Zukunft Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben von ihm nicht mehr zu erwarten sind. Denn dies entspricht nicht nur der Einschätzung des Gutachtens vom 2. Januar 2010 und des Psychotherapeuten des Klägers, sondern wird, wie dargelegt, auch dadurch bestätigt, dass der Kläger mehr als acht Jahre nach der seiner Verurteilung und Ausweisung zugrunde liegenden Tat, mehr als drei Jahre nach seiner Haftentlassung und mehr als ein Jahr nach Therapieabschluss nicht straffällig geworden und insbesondere nicht wegen eines gewalttätigen Verhaltens aufgefallen ist.

Schließlich ergibt sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 24. Juni 2011 für die Dauer von fünf Jahren angeordnete Führungsaufsicht fortbesteht. Die Führungsaufsicht tritt gemäß § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug kraft Gesetzes ein, wenn wie hier eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten vollständig vollstreckt worden ist. Etwas anderes gilt nur, wenn nach § 68f Abs. 2 StGB angeordnet wird, dass die Führungsaufsicht entfällt, weil zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird. Davon hat die Strafvollstreckungskammer aber im Hinblick auf das Gutachten vom 2. Januar 2010 abgesehen, nach dem von einer Rückfallgefahr erst nach einer weiteren Psychotherapie nicht mehr ausgegangen werden konnte. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht, die nach § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB mindestens zwei und höchstens fünf Jahre beträgt, auf fünf Jahre festgesetzt. Es hat dies allerdings nicht näher begründet. Auch hat es zum Zeitpunkt seiner Entscheidung weder berücksichtigen können, dass der Kläger die Psychotherapie, zu der er durch die Vollstreckungskammer angewiesen wurde, erfolgreich abgeschlossen hat noch dass der Kläger die Prognose, dass von ihm nach einer erfolgreichen Therapie die Gefahr weiterer Straftaten nicht mehr ausgeht, seitdem durch straffreies Verhalten bestätigt hat. Unter diesen Umständen ist der Verwaltungsgerichtshof durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aber nicht daran gehindert, wie hier auf der Grundlage der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und des persönlichen Eindrucks, den er vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, zu der Überzeugung zu gelangen, dass trotz des Fortbestehens der Führungsaufsicht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung keine gegenwärtige Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft mehr besteht (vgl. zur fehlenden Bindung der Verwaltungsgerichte an die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung hinsichtlich der Gefahrenprognose BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 23; U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18 ff.).

Ebenso wenig steht der Verneinung einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr entgegen, dass nach dem psychiatrischen Gutachten vom 2. Januar 2010 statistisch gesehen etwa ein Drittel der verurteilten Gewalttäter innerhalb von drei Jahren erneut verurteilt werden (vgl. S. 23 f. Gutachtens). Abgesehen davon, dass die statistisch hohe Rückfallwahrscheinlichkeit allenfalls ein Gesichtspunkt von vielen ist, die bei der anhand einer Prüfung aller Umstände des Einzelfalls zu erstellenden Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind, sprechen die im Gutachten vom 2. Januar 2010 darüber hinaus wiedergegebenen statistischen Erhebungen dafür, dass beim Kläger ein weit geringeres Rückfallrisiko besteht. Denn danach hatten Verurteilte, die während der Haft nicht durch Disziplinarmaßnahmen auffielen, deutlich niedrigere Rezidivraten als die Gesamtheit der Straftäter (S. 24 des Gutachtens). Neben der lediglich einmaligen disziplinarischen Ahndung des Klägers während der gesamten, mehr als fünfjährigen Haft spricht statistisch gesehen das Fehlen von Vorstrafen dafür, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit beim Kläger gering ist (vgl. S. 25 des Gutachtens). Im Übrigen ist auch der Sachverständige, der die von ihm referierten statistischen Daten und insbesondere die relativ hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bei Gewaltdelikten bei seiner Prognose ausdrücklich berücksichtigt hat (vgl. S. 30 des Gutachtens), zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger nach einer erneuten und inzwischen durchgeführten Therapie nicht mehr gefährlich ist.

bb) Selbst wenn man anders als der Verwaltungsgerichtshof von einer gegenwärtigen Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgeht, war die Ausweisung des Klägers zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedoch rechtswidrig. Denn sie war zur Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft nicht unerlässlich.

Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen (vgl. EuGH U.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 82). Zu berücksichtigen sind dabei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 85), insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, sein Alter, die Folgen seiner Ausweisung für ihn und seine Familienangehörigen sowie seine Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat (Art. 12 Abs. 3 Richtlinie 2003/109/EG; vgl. EuGH a. a. O. Rn. 80). Ebenso sind die für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen wie die Art und Schwere der Straftat, die seit der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Klägers in dieser Zeit (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688).

Danach war die Ausweisung zur Wahrung des hier betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft nach Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs aber nicht unerlässlich. Denn sie verstieß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar war sie ohne weiteres zur Wahrung dieses Grundinteresses geeignet und erforderlich, weil etwaige vom Kläger ausgehende Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik am wirksamsten durch seine Ausweisung abgewendet werden können. Jedoch überwiegt das in seinem Recht auf Privat- und Familienleben wurzelnde Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, das mit der Ausweisung verfolgte öffentliche Interesse an der Wahrung des betreffenden Grundinteresses der Gesellschaft. Die Folgen der Ausweisung für den Kläger stehen deshalb zu dem mit dieser Maßnahme verfolgten Ziel außer Verhältnis.

aaa) Zwar kommt dem mit der Ausweisung verfolgten Ziel, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung vor weiteren Straftaten des Klägers zu schützen, angesichts des hohen Rangs dieser Rechtsgüter großes Gewicht zu. Dieses Gewicht ist aber dadurch deutlich vermindert, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger erneut Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit begeht, sehr gering ist. Denn, wie dargelegt, geht vom Kläger in Anbetracht des nachhaltigen Eindrucks, den die Haft bei ihm hinterlassen hat, der erfolgreich absolvierten Psychotherapie und des damit einhergehenden Einstellungswandels sowie der Tatsache, dass die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat bereits acht Jahre zurückliegt und der Kläger weder während seiner mehr als fünfjährigen Haft noch in den mehr als drei Jahren seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug erneut durch Körperverletzungs-, Tötungs- oder andere Gewaltdelikte in Erscheinung getreten ist, allenfalls noch eine entfernte Gefahr der Begehung solcher Straftaten aus.

bbb) Demgegenüber beeinträchtigt die Ausweisung des in Deutschland geborenen und seit mehr als 31 Jahren hier lebenden Klägers neben seinem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 GG sein Recht auf Privatleben nach Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta ebenso wie sein Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 EU-GR-Charta sowie sein Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und sein Recht auf Pflege und Erziehung seines Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

Der Entzug des Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 und die damit verbundene Beeinträchtigung des Rechts des Klägers auf Privatleben wiegen dabei schwer. Der Kläger ist faktischer Inländer. Er ist in Deutschland geboren und hat 31 Jahre hier gelebt. Er hat die Schule mit dem Qualifizierenden Hauptschulabschluss beendet und eine Lehre zum Maschinenbaumechaniker erfolgreich abgeschlossen. Der Schwerpunkt seiner sozialen Kontakte liegt im Bundesgebiet. Seine Ehefrau und sein Sohn sowie seine Geschwister und ein großer Teil seiner Verwandten leben in Deutschland. Wie die umfangreiche Besucherliste der Justizvollzugsanstalt belegt, hat der Kläger darüber hinaus in der Bundesrepublik eine Reihe von Freunden und Bekannten. Zwar hat der Kläger auch Bindungen zu seinem Herkunftsland Türkei. Er ist in einer türkischen Familie aufgewachsen, spricht Türkisch und hat in der Grundschule eine türkische Klasse besucht, in der manche Fächer auch in türkischer Sprache unterrichtet wurden. Außerdem sind seine Eltern im Oktober 2014 in die Türkei zurückgekehrt, so dass er im Falle seiner Ausreise oder Abschiebung dorthin nicht auf sich allein gestellt wäre. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger sich unter diesen Umständen in der Türkei wohl eine neue Existenz aufbauen könnte, ändert dies jedoch nichts daran, dass seine Ausweisung und die damit verbundene Beeinträchtigung seines Rechts auf Privatleben für den in der Bundesrepublik geborenen und hier seit seiner Geburt lebenden und verwurzelten Kläger insbesondere im Hinblick auf seine familiären Beziehungen schwer wiegt und seinem Interesse, sich weiter im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, daher erhebliches Gewicht beizumessen ist.

Da die Ehefrau und der eineinhalbjährige Sohn des Klägers, die beide deutsche Staatsangehörige sind, in der Bundesrepublik leben, berührt seine Ausweisung nicht nur das Recht auf Privatleben, sondern stellt auch eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung seines Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta) sowie des Rechts auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und des Rechts auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) dar. Zwar ist dabei zu berücksichtigen, dass die im Februar 2013 geschlossene Ehe des Klägers zu einem Zeitpunkt eingegangen worden ist, zu dem der Ehefrau des Klägers die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat und die Ausweisung selbst bereits bekannt waren (vgl. EGMR, U.v. 2.7.2001 - Boultif, Nr. 54273/00 - InfAuslR 2001, 476/478; U.v. 5.7.2005 - Üner, Nr. 46410/99 - DVBl 2006, 688; U.v. 28.6.2011 - Nunez, Nr. 55597/09 - HUDOC Rn. 70), und dass dem Recht auf Privatleben und dem Schutz der Ehe in solchen Fällen ein vermindertes Gewicht beizumessen sein kann. Jedoch kommt andererseits dem Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und dem Recht auf Pflege und Erziehung seines Sohnes, das im Interesse des Kindes mit einer entsprechenden Pflicht einhergeht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), große Bedeutung zu.

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm gebietet es, bei Entscheidungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17; U.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 26; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12). Dabei ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 25; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 18; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 31; B.v 25.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14). Kann die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik gelebt werden, weil weder dem Kind noch seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik zumutbar ist, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehöriger ist und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter eine Ausreise aus Deutschland nicht zugemutet werden kann, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange in der Regel zurück (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 19; B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 17; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 27; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 13). Auch eine vorübergehende Trennung kann sich als unzumutbar darstellen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 22; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 33; B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).

Nach diesen Maßgaben stellt sich die Ausweisung aber ungeachtet der Beziehungen des Klägers zur Türkei und der Eheschließung in Kenntnis seines unsicheren Aufenthaltsstatus als schwerwiegende Beeinträchtigung seines Interesses dar, sich weiter in der Bundesrepublik aufzuhalten. Denn die mit der Ausweisung verbundene Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 EU-GR-Charta), des Rechts auf den Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) wiegen danach schwer.

Zwischen dem Kläger und seinem Sohn besteht seit dessen Geburt eine familiäre Lebensgemeinschaft. Der Kläger und seine Ehefrau leben zusammen mit ihrem Sohn in einer gemeinsamen Wohnung. Die familiäre Lebensgemeinschaft kann auch nur in der Bundesrepublik aufrechterhalten werden, weil sowohl die Ehefrau des Klägers als auch sein Sohn deutsche Staatsangehörige sind, denen es nicht zumutbar ist, die Bundesrepublik zu verlassen. Schließlich wäre von der Ausweisung und der damit verbundenen Trennung des eineinhalbjährigen Sohnes von seinem Vater ein sehr kleines Kind betroffen, das den Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen könnte und diese daher als endgültigen Verlust des Vaters erfahren würde. Die Folgen einer Trennung des Klägers von seinem Sohn auch nur für die Dauer des nach dem Änderungsbescheid vom 27. Januar 2015 auf drei Jahre befristeten Wiedereinreiseverbots haben daher großes Gewicht, zumal nach Art. 24 Abs. 2 EU-GR-Charta das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen eine vorrangige Erwägung sein muss.

ccc) Ist damit einerseits das Interesse des Klägers, sich weiter im Bundesgebiet aufzuhalten, durch die Ausweisung schwerwiegend beeinträchtigt und kommt andererseits dem Grundinteresse der Gesellschaft, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, angesichts der nur noch geringen Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut ein Tötungs-, Körperverletzungs- oder anderes Gewaltdelikt begehen wird, nur geringes Gewicht zu, so überwiegt das private Interesse des Klägers, in der Bundesrepublik zu bleiben. Die Ausweisung erweist sich als unverhältnismäßig und ist damit auch nicht zur Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.

2. Die daraus resultierende Rechtswidrigkeit der Ausweisung hat zur Folge, dass auch die Befristung des Wiedereinreiseverbots auf die Dauer von drei Jahren und die Abschiebungsandrohung rechtswidrig sind, den Kläger in seinen Rechten verletzen und daher aufzuheben sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a) Die Voraussetzungen für eine Befristung des Wiedereinreiseverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen nicht vor. Denn gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, nach dem die Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG befristet werden, setzt eine solche Befristung voraus, dass der Kläger ausgewiesen worden ist und deshalb nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen darf. Da die Ausweisung des Klägers jedoch rechtswidrig und daher aufzuheben ist, ist dies hier nicht der Fall.

b) Die Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, weil die Androhung der Abschiebung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer Ausreisepflicht voraussetzt, der Kläger jedoch nicht ausreisepflichtig ist. Zur Ausreise ist ein Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluss EWG-Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. Weder ist die nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 51 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 5 AufenthG durch die Ausweisung erloschen noch hat er ihretwegen gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 sein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 verloren. Denn die Ausweisung ist, wie dargelegt, rechtswidrig und damit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 Abs. 2 und § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Der Kläger wurde am 27. April 1981 in München geboren und ist kroatischer Staatsangehöriger. Seine Kindheit verbrachte er teilweise in Kroatien, teilweise in München. Seinen Volksschulabschluss legte er 1996 in Kroatien ab.

Am 29. Juni 1996 beantragte der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner hier lebenden Mutter, die im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels war. Dem Kläger wurde zunächst eine bis 8. September 1998 gültige befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die zuletzt bis 6. September 2000 verlängert wurde.

Mit Bescheid vom 21. Mai 2001 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Ausschlaggebend hierfür war die Verurteilung des Klägers zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten durch das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts München vom 5. März 2001. Vor dieser Verurteilung war der Kläger jedoch bereits kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten und am 20. Mai 1999 zu einer zehnmonatigen Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, sowie am 21. Oktober 1999 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Einbeziehung der Verurteilung vom 20. Mai 1999 verurteilt worden. Ab dem 15. November 2000 verbüßte der Kläger seine Jugendstrafe. Am 18. September 2001 wurde er nach Kroatien abgeschoben.

Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Laufe des Jahres 2002 reiste der Kläger illegal nach Deutschland ein. Am 19. August 2003 wurde er festgenommen. Gegen ihn lag ein Haftbefehl wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung und räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung vor.

Das Landgericht München I verurteilte den Kläger mit Urteil vom 22. November 2004 wegen schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tatmehrheit mit Diebstahl in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Zudem wurde die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt angeordnet, weil ein Hang des Klägers, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, festgestellt worden war und die Verurteilung wegen Taten erfolgt war, die in symptomatischer Weise zu einem wesentlichen Teil auf diesen Hang zurückgingen. Am 24. Juni 2009 erfolgte eine weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, weil der Kläger in einer Beschuldigtenvernehmung zwei Polizisten mehrfach beleidigt hatte. Mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 20. Dezember 2012 wurde der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit versuchtem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt. Der Kläger hatte in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim an einen Mitgefangenen Teile einer Subutextablette veräußert und Amphetamin, Haschisch und Marihuana in die JVA bestellt und teilweise weiter veräußert. Im Rahmen der Hauptverhandlung wurde ein Sachverständigengutachten zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Klägers und dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB eingeholt. Die Sachverständige diagnostizierte eine Polytoxikomanie, wobei sich bis zuletzt keine relevanten negativen Auswirkungen auf die soziale Situation des Klägers und seine Leistungsfähigkeit hätten feststellen lassen und sich das tatsächliche Ausmaß der Abhängigkeit als geringgradig darstelle.

Mit Bescheid vom 22. Juli 2013 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren habe und untersagte die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet. Die Beklagte stützte die Verlustfeststellung auf § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Die Straftaten des Täters seien im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln. Aus der Eigenart der Straftaten ergebe sich eine konkrete Wiederholungsgefahr. Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK stünde der Beendigung des Aufenthalts entgegen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage und beantragte zugleich, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Der Kläger habe ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU inne. Er habe keinerlei Beziehungen mehr nach Kroatien. Seine Mutter mit Familie und seine Tante lebten in München. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU seien nicht gegeben.

Mit Beschluss vom 5. November 2014 bewilligte das Bayerische Verwaltungsgericht München dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten, soweit die Beklagte keine Befristungsentscheidung getroffen habe. Im Übrigen wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es stehe der Verlustfeststellung nicht entgegen, dass gegen den Kläger bereits eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung vorliege. Es könne offen bleiben, ob der Kläger aufgrund seiner Arbeitslosigkeit überhaupt freizügigkeitsberechtigt sei, jedenfalls lägen die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU vor. Auf den höheren Schutz nach § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU könne sich der Kläger nicht berufen. Er habe kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben. Nach zutreffender Einschätzung der Beklagten überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet deutlich, da der Kläger mehrfach erheblich straffällig geworden sei. Es bestehe auch Wiederholungsgefahr. Die Schwere der Delikte habe sich kontinuierlich gesteigert. Weder die Ausweisung noch der Strafvollzug hätten den Kläger davon abgehalten, weitere Straftaten im Bundesgebiet zu begehen. Neben der hohen Rückfallgeschwindigkeit spreche auch die nicht therapierte Drogensucht des Klägers für eine Wiederholungsgefahr. Einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK und Art. 6 GG habe die Beklagte zu Recht verneint. Dieser Beschluss wurde der Bevollmächtigten des Klägers am 12. November 2014 zugestellt.

Am 26. November 2014 ging ein Schreiben des Klägers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München ein, mit dem er „den Antrag auf Zulassung der Berufung“ begründete. Es lägen keine zwingenden Gründe i. S. des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vor. Die Straftaten, die seiner Verurteilung zugrunde lägen, seien nicht mit dem der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vergleichbar. Ein grenzüberschreitender Bezug sei bei ihm nicht erkennbar. Zudem verstoße die Ausweisung gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Er sei faktischer Inländer. Auch sei er nicht heroin- und subutexsüchtig. Die Unterbringung nach § 64 StGB habe er nach Absprache mit dem Therapeuten selbst beendet, da er nicht in dieses Umfeld gepasst habe.

Auf richterlichen Hinweis erklärte der Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2014, dass er sein Schreiben vom 26. November 2014 als Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. November 2014 verstanden haben wolle.

Die Beklagte beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Landesanwaltschaft Bayern beteiligte sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren. Sie hält die Auffassung des Erstgerichts, dass dem Kläger nicht der erhöhte Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zukomme, für zutreffend.

Mit Urteil vom 16. Dezember 2014 wies das Bayerische Verwaltungsgericht München die auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 22. Juli 2013 gerichtete Klage ab. Das Urteil ist rechtskräftig (M 4 K 13.3733).

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2013 weiter, soweit ihm das Verwaltungsgericht keine Prozesskostenhilfe bewilligte.

Die Beschwerde ist zulässig. Der Kläger hat zwar nicht ausdrücklich innerhalb der Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 VwGO Beschwerde gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. November 2014 eingelegt, sein Schreiben vom 26. November 2014 kann jedoch als Beschwerde i. S. v. § 146 Abs. 1 VwGO ausgelegt werden (§ 88 VwGO). Der Beschluss vom 5. November 2014 wurde der Bevollmächtigten des Klägers am 12. November 2014 zugestellt. Am 26. November 2014, dem letzten Tag der Beschwerdefrist, ging beim Bayerischen Verwaltungsgericht München ein vom Kläger selbst gefertigter Schriftsatz, den er als Antrag auf Zulassung der Berufung bezeichnete, ein. Auf ein entsprechendes Hinweisschreiben des Gerichts vom 26. November 2014 teilte der Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 mit, dass er den Antrag auf Zulassung der Berufung als Beschwerde gegen den Beschluss vom 5. November 2014 verstanden haben wolle. Nach einem entsprechenden Nichtabhilfebeschluss legte das Verwaltungsgericht den Vorgang dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vor. Da zum Zeitpunkt des Eingangs des „Antrags auf Zulassung der Berufung“ das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München in der Hauptsache noch nicht ergangen war und somit außer dem Beschluss vom 5. November 2014 keine rechtsmittelfähige Entscheidung eines Gerichts vorlag, gegen die sich der Kläger mit seinem eindeutig als Rechtsmittel bezeichneten Schreiben hätte wenden können, liegt nach dem von Amts wegen zu ermittelnden wirklichen Rechtsschutzziel eine statthafte Beschwerde des Klägers vor.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht ist im Beschluss vom 5. November 2014 zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage gegen die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Der Kläger ist zwar ausweislich der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die Kosten für die von ihm beabsichtigte Prozessführung aufzubringen, die Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 22. Juli 2013 bietet aber abgesehen von der bereits vom Erstgericht festgestellten Verpflichtung der Beklagten, die Wirkung der Verlustfeststellung zu befristen, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG FreizügG/EU liegen in der Person des Klägers vor (1.). Die vorangegangene Ausweisung hindert die Verlustfeststellung nicht (a.). Der Kläger kann sich trotz seiner Inhaftierung auf sein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht berufen (b.). Die den strafrechtlichen Verurteilungen zugrunde liegenden Umstände lassen ein persönliches Verhalten des Klägers erkennen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Diese Gefährdung ist auch hinreichend schwer und berührt ein Grundinteresse der Gesellschaft (c.). Der Kläger kann sich hingegen nicht auf § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU berufen (2.). Art. 8 EMRK steht der Verlustfeststellung nicht entgegen (3.).

1. a. Zunächst ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die mit Bescheid vom 21. Mai 2001 verfügte Ausweisung des Klägers und die Abschiebung nach Kroatien die spätere Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nicht ausschließen. Zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung im Jahr 2001 war Kroatien noch nicht Mitglied der Europäischen Union (EU). Der Beitritt Kroatiens zur EU erfolgte erst mit Wirkung zum 1. Juli 2013. Eine bestandskräftige Ausweisung eines kroatischen Staatsbürgers vor dem Beitrittstermin Kroatiens hindert das Entstehen des Freizügigkeitsrechts für den Betreffenden zum Beitrittstermin jedoch nicht (Epe in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, FreizügG/EU, § 1 Rn. 10). Dies hat seinen Grund darin, dass eine Ausweisungsverfügung, die gegen einen Staatsangehörigen eines Staates gerichtet war, der nicht der EU angehört, von ihrem Regelungsgegenstand und ihrer Rechtsfolge nicht auf eine Beschränkung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts gerichtet sein kann. Sie unterscheidet sich darin von einer Ausweisungsverfügung, die vor Inkrafttreten des FreizügG/EU am 1. Januar 2005 gegenüber einem Unionsbürger erlassen worden ist (Epe in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, FreizügG/EU, § 1 Rn. 24). Diese sog. Altausweisungen gegenüber Unionsbürgern sind mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes nicht gegenstandslos geworden und gelten fort (vgl. Kurzidem in Beck’scher Online-Kommentar, AuslR, Stand 1.9.2014, FreizügG/EU, § 11 Rn. 7).

b. Die Beklagte hat die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt zu Recht auf § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU gestützt, weil der Kläger zumindest nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt ist. Eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU setzt den Bestand des Rechts auf Einreise und Aufenthalt voraus. Ist dagegen fraglich, ob der betreffende Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt i. S. des § 2 FreizügG/EU ist, ist diese Feststellung im Verfahren nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU zu treffen (Alexy in Hoffmann/Hoffmann, AuslR, FreizügG/EU, § 6 Rn. 8). Eine Freizügigkeitsberechtigung des Klägers nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU besteht offensichtlich nicht. Insbesondere hat der Kläger kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben (hierzu siehe 2.a.). Jedoch stellt auch das nur an den Besitz eines gültigen Ausweises oder Passes gebundene Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU ein Recht auf Einreise und Aufenthalt i. S. des § 2 Abs. 1 FreizügG/EU dar, dessen Verlust aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt werden kann. Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (RL 2004/38/EU) definiert als Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers sowohl das Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten (Art. 6 RL 2004/38/EG) als auch das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate (Art. 7 RL 2004/38/EG). Die Regelungen über die Verlustfeststellung finden daher auch auf Unionsbürger Anwendung, die lediglich unter Art. 6 RL 2008/38/EU, dessen Umsetzung durch § 2 Abs. 5 FreizügG/EU erfolgt ist, fallen (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, FreizügG/EU, § 2 Rn. 109; Epe in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, FreizügG/EU, § 2 Rn. 143). Unschädlich ist insoweit, dass sich der Kläger derzeit im Strafvollzug befindet und daher sein Recht auf Aufenthalt als Unionsbürger erst nach seiner Haftentlassung Bedeutung erlangt. Andernfalls müsste die Ausländerbehörde zunächst abwarten, ob der Kläger nach der Haftentlassung von seinem Recht nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU Gebrauch machen will, bevor sie die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU aussprechen könnte.

c. Jede „Ausweisungsverfügung“ gegenüber einem Unionsbürger setzt voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH, U. v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Ls. 2; s. § 6 Abs. 2 FreizügG/EU). Die Umstände, die den vom Kläger seit seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Jahr 2002 begangenen Straftaten zugrunde liegen, rechtfertigen eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU. Der Verurteilung vom 22. November 2004 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten lagen zahlreiche Straftaten zugrunde. Neben den Straftaten gegen Sachwerte stellen insbesondere die Körperverletzung mit einem Baseballschläger sowie die Bedrohung von zwei Personen, „ihnen beim nächsten Mal die Köpfe einzuhauen“, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dasselbe gilt für die der Verurteilung vom 13. Juni 2012 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten zugrunde liegenden Betäubungsmittelstraftaten. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Kläger aus der Justizvollzugsanstalt heraus einen Handel mit Betäubungsmitteln begonnen hat. Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (EuGH, U. v. 23.11.2010 - Tsakouridis, C-145/09 - juris; BVerwG, U. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 -juris Rn. 19).

Ebenso besteht die Gefahr, dass der Kläger sein strafbares Verhalten wiederholt. Vom Bestehen einer Wiederholungsgefahr ist auch dann auszugehen, wenn der Kläger, wie er vorbringt, nicht drogenabhängig wäre. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann grundsätzlich von den Gerichten regelmäßig ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden, denn die Gerichte bewegen sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind (BayVGH, B.v. 10.12.2014 - 19 ZB 13.2013 - juris Rn. 13 m. w. N.). Der Kläger ist seit seinem 16. Lebensjahr kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Dies führte letztlich zu seiner Ausweisung mit Bescheid vom 21. Mai 2001. Auch nach seiner illegalen Wiedereinreise beging der Kläger fortwährend gravierende Straftaten, die zur Verurteilung vom 22. November 2004 führten, und setzte seine kriminelle Karriere auch in der Justizvollzugsanstalt fort. Der im Strafverfahren, das zur Verurteilung vom 22. November 2004 führte, eingeschaltete Sachverständige wies bereits darauf hin, dass neben dem Hang zu übermäßigem Rauschmittelkonsum die Gefahr der erneuten Begehung erheblicher rechtswidriger Taten auch deshalb bestehe, weil beim Kläger eine dissoziale Fehlentwicklung vorhanden sei. Es kommt für die Annahme einer derzeit noch bestehenden Wiederholungsgefahr folglich nicht mehr darauf an, in welchem Umfang der Kläger derzeit Drogen zu sich nimmt oder ob er (noch) drogensüchtig ist. Umstände, die darauf schließen ließen, dass der Kläger, auch wenn er nicht drogensüchtig sein sollte, nach seiner Haftentlassung keine weiteren schwerwiegenden Straftaten, die gegen das Leben und die Gesundheit anderer Personen sowie gegen erhebliche Sachwerte gerichtet sind, mehr begehen werde, wurden vom Kläger nicht vorgetragen und liegen aufgrund der kontinuierlichen Begehung von Straftaten - auch in der JVA - nicht auf der Hand.

2. Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen, unter denen eine Verlustfeststellung nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen (§ 6 Abs. 4 FreizügG) (a.) oder nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit (§ 6 Abs. 5 FreizügG) (b.) getroffen werden kann, in der Person des Klägers nicht vorliegen.

a. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EG bzw. nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet voraus. Inzwischen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter dem Begriff des „rechtmäßigen Aufenthalts“ in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/EG, der durch § 4a FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt wurde, nur ein Aufenthalt zu verstehen ist, der im Einklang mit den in der RL 2004/38/EG vorgesehenen, insbesondere mit den in Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht. Der Betroffene muss also während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG erfüllt haben. Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht aber nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein (BVerwG, U. v. 31.5.2012 - 10 C 8.12 - juris Rn. 16 und 21; EuGH, U. v. 21.12.2011 - Ziolkowski, C-424/10 - juris Rn. 46). Insoweit ist eine hypothetische Prüfung vorzunehmen, ob auch die vor dem Beitritt liegenden Aufenthaltszeiten in Einklang mit den Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG zurückgelegt worden sind. Bei dieser Prüfung ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Zeiträume, in denen der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verbüßt (hat), nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden können, weil der Unionsgesetzgeber die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig macht, diese Integration nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat beruht, und die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht dazu angetan ist, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet, so dass die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts dem mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwider laufen würde (vgl. EuGH, U. v. 16.1.2014 - Onuokwere, C-378/12 - juris Rn. 25 und 26). Gemessen an diesen Kriterien erfüllen die Aufenthaltszeiten des Klägers im Bundesgebiet nicht die Kriterien eines rechtmäßigen Aufenthalts i. S. von Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU. Der Kläger reiste am 27. Februar 1996 im Alter von 15 Jahren nach Deutschland ein und erhielt am 9. September 1996 eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner hier lebenden Mutter, die zuletzt bis 6. September 2000 verlängert worden war. Vom 25. September 2000 bis 15. November 2000 befand sich der Kläger in Untersuchungshaft, ab dem 15. November verbüßte er seine Jugendstrafe. Die Abschiebung nach Kroatien erfolgte am 18. September 2001. Somit lag spätestens ab dem 15. November 2000 kein rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers mehr vor. Nach der illegalen Wiedereinreise in das Bundesgebiet erfüllte der Kläger nicht die Kriterien eines rechtmäßigen Aufenthalts nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a oder Art. 7 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/38/EU, ab dem 19. August 2003 befand sich der Kläger ohne Unterbrechung in Haft.

b. Der Kläger kann sich auch nicht auf § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, wonach eine Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden kann, wenn der Unionsbürger in den letzten zehn Jahren seinen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Anders als für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU i.V. mit Art. 16 RL 2004/38/EU ist für den Erwerb des erhöhten Schutzniveaus des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen ein rechtmäßiger Aufenthalt nicht erforderlich. Ob aber wegen des Systems aufeinander aufbauender und sich verfestigender Aufenthaltsrechte für Unionsbürger (Art. 6, Art. 7 und Art. 16 RL 2004/38/EU, vgl. BayVGH, U. v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 37 ff.) ein zehnjähriger rechtmäßiger Aufenthalt oder zumindest der Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU erforderlich ist, damit der Unionsbürger den erhöhten Ausweisungsschutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU für sich in Anspruch nehmen kann, ist in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur nicht abschließend geklärt (vgl. Kurzidem in Beck’scher Online-Kommentar, AuslR, Stand 1.1.2015, FreizügG/EU, § 6 Rn. 23). Der Senat hat insoweit die Rechtsauffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU nur dann einschlägig ist, wenn der betreffende Ausländer zuvor zumindest ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU bzw. Art. 16 RL 2004/38/EU erworben hat (BayVGH, U. v. 21.12.2011 - 10 B 11.182 - juris Rn. 31 ff.; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, 2013, FreizügG/EU § 6 Rn. 55). Auch wenn diese Rechtsfrage noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt ist, ergeben sich daraus keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die Klage des Klägers auf Aufhebung der Feststellung des Verlusts auf Einreise und Aufenthalt im Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2013. Ausgehend von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (U. v. 16.1.2014 - M. G., C-400/12 - juris Ls. 1 und 2), wonach der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren i. S. des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG, der durch die Bestimmung des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU umgesetzt wurde, ununterbrochen gewesen sein muss, vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen ist und der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung zu unterbrechen, liegt im Falle des Klägers kein zehnjähriger Aufenthalt i. S. des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU vor. Die wesentliche Grundlage für den Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen in Art. 28 RL 2004/38/EU ist der Grad der Integration des Betroffenen. Deshalb finden die Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe auch bei der Auslegung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU Berücksichtigung und unterbrechen die Kontinuität des Aufenthalts i. S. des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU. Die letzten zehn Jahre vor Erlass des Bescheides vom 22. Juli 2013, mit dem der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt wurde, befand sich der Kläger ununterbrochen in Haft. Auch wenn nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union allein die Diskontinuität des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung den Betroffenen nicht in jedem Fall daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EU zu kommen, und die nationalen Behörden auch weitere Anhaltspunkte bei der gebotenen umfassenden Beurteilung zu berücksichtigen haben, um festzustellen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (vgl. EuGH, a. a. O., Rn. 36), ändert sich für den Kläger insoweit nichts. Bereits vor seiner Inhaftierung im August 2003 waren die ursprünglich mit seiner Geburt in der Bundesrepublik und dem teilweisen Aufenthalt in der Bundesrepublik während seiner Kindheit entstandenen Verbindungen durch die Verbüßung seiner Jugendstrafe, die Ausweisung und Abschiebung abgerissen.

Hat sich der Kläger in den letzten zehn Jahren vor der Verlustfeststellung nicht kontinuierlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Januar 2014 im Bundesgebiet aufgehalten, kommt es folglich nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob das den strafrechtlichen Verurteilungen zugrunde liegende Verhalten des Klägers einen zwingenden Grund der öffentlichen Sicherheit im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 23. November 2010 (C-145/09 - juris) und 22. Mai 2012 (C-348/09 - juris) darstellt.

3. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass die Beklagte bei der Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten Belange des Klägers berücksichtigt und zutreffend gewichtet hat. Insbesondere erweist sich die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt als notwendig i. S. von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Der Kläger ist kein faktischer Inländer, weil er sich bis zu seinem 16. Lebensjahr teilweise in seinem Heimatland aufgehalten, dort die Schule besucht und einen Schulabschluss erreicht hat. Nach seiner Wiedereinreise ins Bundesgebiet konnte er beruflich nicht Fuß fassen und wurde kontinuierlich straffällig. Auf die familiären Bindungen zu seiner Mutter, seinem Stiefvater und seinen Stiefgeschwistern kommt es aufgrund des Alters des Klägers nicht entscheidungserheblich an. Der über zehnjährige Aufenthalt in der JVA ist nicht geeignet, eine Integrationsleistung des Klägers, die über die rein zeitliche Anwesenheit hinausgeht, zu belegen. Demgegenüber stellen sich die Schwierigkeiten, die dem Kläger bei einer Rückkehr nach Kroatien begegnen werden, nicht als unüberwindbar dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.

(2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.

(3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der am 25. September 1950 geborene Kläger begehrt die Berufungszulassung, um im Ergebnis die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 28. Februar 2013 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 21. Mai 2013 zu erreichen, in dem festgestellt worden ist, dass er sein Recht auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland gemäß § 6 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) verloren hat (Ziff. I des Bescheides), und er unter Fristsetzung zur Ausreise aufgefordert (Ziff. II des Bescheides), ihm die Abschiebung nach Österreich oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, angedroht worden ist (Ziff. III des Bescheides), und die Wirkungen der Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland und einer eventuellen Abschiebung auf die Dauer von 10 Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristet worden sind (Ziff. IV des Ergänzungsbescheides).

Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil vom 8. August 2013 trägt der Kläger vor, es fehle an ausreichenden Gründen für eine Aberkennung seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Insbesondere sei eine konkrete Gefahr, dass der Kläger die von ihm begangenen Straftaten wiederholen werde, auch im Hinblick auf sein Alter nicht gegeben. Auch habe die Behörde für den im Jahr 1950 geborenen Kläger faktisch ein lebenslängliches Einreiseverbot verhängt. Hingewiesen werde zudem darauf, dass der Kläger sich wegen einer Niereninsuffizienz in einem Peritonealdialyseprogramm befinde.

II.

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit er erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z. B. BVerfG, B. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B. v. 10.3.2010 - 7 AV 4/03 - DVBl. 2004, 838/839). Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.

a) Das Vorbringen des Klägers stellt nicht die Erwägungen des Verwaltungsgerichts betreffend die öffentliche Sicherheit in Frage.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich zunächst nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Januar 2014 (C-400/12 - juris). Der Gerichtshof hat hier für Recht erkannt, dass Art. 28 Abs. 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/38/EG (auf dem § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU beruht) dahin auszulegen ist, dass der Aufenthaltszeitraum von 10 Jahren grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein muss und vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung an zurückzurechnen ist (Rn. 24 ff.). Des Weiteren ist die Vorschrift dahin auszulegen, dass der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne der Bestimmung zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug 10 Jahre lang im Aufnahmemitgliedsstaat aufgehalten hat (Rn. 33 ff.). Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger angesichts der genannten Entscheidung des Gerichtshofs wegen seiner bereits ca. zweijährigen Inhaftierung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung und seiner weiteren ersichtlichen Inhaftierung von Dezember 2001 bis März 2009 nicht mehr auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen kann, die Verlustfeststellung vielmehr gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU bereits aus schwerwiegenden Gründen möglich ist. Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zugunsten des Klägers von dem erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU ausgegangen.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u. a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, § 6 Abs. 2 FreizügG/EU. Auch sind bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen, § 6 Abs. 3 FreizügG/EU. Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Absatz 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden, § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, § 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dient, setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (EuGH - U. v. 23.11.2010 - C-145/09 Rn. 40,41 - juris). Sie muss auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden und kann nur dann mit zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt werden, wenn sie angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist; Voraussetzung ist weiter, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann. Dabei ist insbesondere der außergewöhnliche Charakter der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit aufgrund des persönlichen Verhaltens der betroffenen Person, die zu der Zeit, zu der die Ausweisungsverfügung ergeht, zu beurteilen ist, nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung, gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Aufnahmemitgliedsstaat, in den er vollständig integriert ist, zu gefährden (EuGH - U. v.23.11.2010 - C-145/09 Rn. 49,50 - juris). Im Falle einer Verurteilung wegen Straftaten ist § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU im Übrigen dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Zudem setzt eine Verlustfeststellung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EUGH - U. v. 22.5.2012 - C-348/09 Rn. 33,34 - juris).

Das Verwaltungsgericht hat - wie die Beklagte davon ausgehend, dass der Kläger sich auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen kann - diese rechtlichen Vorgaben bei seiner Entscheidung beachtet und ist auf ihrer Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeben sind. Die das angefochtene Urteil tragenden Erwägungen hat der Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte und das Verwaltungsgericht die vom Kläger begangenen Straftaten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen haben, die geeignet ist, die Ruhe und die Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen und davon ausgehend zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für die Verlustfeststellung bejaht haben, auch weil die Art und Weise der Begehung der Straftaten hier besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Zu Recht hat die Beklagte (bestätigt durch das Verwaltungsgericht) u. a. ausgeführt, dass sich die zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit aus der Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten ergeben, die mehrfach gegen das Vermögen anderer gerichtet waren. Den Gründen des gegen den Kläger ergangenen rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts N. vom 22. April 1999 (Verurteilung wegen versuchten Betrugs sowie Betrugs mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, Bewährungszeit vier Jahre) ist zu entnehmen, dass der Kläger u. a. als Immobilienmakler unberechtigt Provisionsauszahlungen erreichte, um (vermögenslos und überschuldet) seinen eigenen Lebensstandard (u. a. als Dienstwagen ein Fahrzeug der Marke Porsche) zu sichern. Die Strafaussetzung wurde wegen weiterer Straftaten in der Bewährungszeit widerrufen (Strafvollstreckung erledigt am 7. Juni 2007). Mit Urteil des Landgerichts N. vom 20. März 2003 wurde der Kläger wegen gewerbsmäßigen Betrugs in zwanzig Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Den Gründen dieses Urteils ist zu entnehmen, dass der Kläger im August 2000 Schulden zwischen 50.000 und 60.000 DM aufgrund seines luxuriösen Lebensstils gehabt habe. Im Zeitraum Oktober 2000 bis Oktober 2001 sei er in insgesamt achtzehn Fällen als angeblicher Makler aufgetreten, der betrügerisch von Immobilienverkäufern Provisionszahlungen zwischen 1.700 und 43.460 Euro erhalten habe, insgesamt 188.053,15 Euro. Bei zwei weiteren Betrugshandlungen habe er einen Schaden von 10.895,63 Euro verursacht. Dem Urteil ist weiter zu entnehmen, dass einige Geschädigte durch die Taten des Klägers in finanzielle Bedrängnis gerieten, dass der Kläger, wie sich auch aus den Vorstrafen ergebe, der Drahtzieher, Initiator, Ideengeber und Hauptnutznießer des Geschehens gewesen sei, dass er die Verkäufer bewusst unter Zeitdruck gesetzt habe, dass er mehrfach und einschlägig erheblich vorbestraft gewesen sei und bei den Taten unter laufender einschlägiger Bewährung gestanden habe. Die teilweise Leistung einer Schadenswiedergutmachung spreche nur sehr eingeschränkt für den Kläger, da diese Zahlungen aus unrechtmäßig erlangten Provisionen erfolgt seien. Die Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 6 Monaten sei notwendig, um (u. a.) dem Angeklagten sein Fehlverhalten nochmals eindringlich vor Augen zu führen und ihn dazu anzuhalten, in Zukunft keine weiteren Straftaten mehr zu begehen. Es solle ihm durch die Verurteilung auch vor Augen geführt werden, dass, sollte er nach Strafverbüßung wiederum, insbesondere einschlägig, straffällig werden, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB in Betracht zu ziehen sein werde. Zu Recht weisen die Beklagte und das Verwaltungsgericht sodann darauf hin, dass der Kläger, nachdem die Strafvollstreckung aus diesem Urteil am 26. März 2009 erledigt war und Führungsaufsicht bis zum 25. März 2014 eingetreten war, bereits ab November 2009 wiederum einschlägig straffällig wurde. Dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts N. vom 10. Oktober 2011, mit dem der Kläger wegen Betrugs in 14 Fällen und versuchten Betrugs in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 8 Monaten verurteilt wurde, ist u. a. zu entnehmen, dass der Kläger bis zu seiner Verhaftung im Februar 2011 in 18 Fällen als Käufer von Immobilien auftrat, um unberechtigt Provisionen zu erhalten; in einem weiteren Fall erlangte er in betrügerischer Weise bei einem Autohaus einen Pkw, Typ Mercedes, zum Preis von 38.000 Euro, ohne das ihm überlassene Fahrzeug zu bezahlen. Gegeben sei (mit einer Ausnahme) jeweils ein besonders schwerer Fall des § 263 Abs. 3 StGB (Strafrahmen 6 Monate bis 10 Jahre). Schadenswiedergutmachung habe der Kläger nur auf Druck der Geschädigten und mit Geldern bewirkt, die er sich anderweitig wiederum durch Betrügereien beschafft habe. Der Kläger sei mehrfach und einschlägig vorbestraft. Das Bundeszentralregister weise für ihn insgesamt neunzehn Eintragungen auf. Allein sechs dieser Eintragungen hätten Verurteilungen wegen (versuchten) Betrugs sowie teils weiterer Delikte zum Gegenstand gehabt. Insbesondere der Verurteilung durch das Landgericht N. vom 20. März 2003 lägen nahezu identische Sachverhalte zugrunde, wie sie hier zur Aburteilung gestanden hätten. Strafschärfend sei auch heranzuziehen, dass der Kläger wegen einschlägiger Delikte bereits mehrere Jahre inhaftiert gewesen sei und dass er bereits rund 6 Monate nach seiner letzten Haftentlassung erneut straffällig geworden sei, mithin eine erhebliche Rückfallgeschwindigkeit an den Tag gelegt habe.

Es ist nachvollziehbar, wenn die Beklagte und das Verwaltungsgericht davon ausgehend zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für eine Verlustfeststellung bejahen, da die begangenen Straftaten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen sind, die geeignet ist, die Ruhe und die Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen. Insbesondere durch seine fortwährenden zahlreichen Betrugshandlungen im Immobilienbereich ist ein beträchtlicher Schaden für die Betrugsopfer entstanden, die teilweise in erhebliche finanzielle Bedrängnis geraten sind. Vermögensstraftaten eines Umfangs und einer Art und Weise, wie vom Kläger begangen, bedrohen die legale Wirtschaftstätigkeit sowie wirtschaftliche Existenzen und damit die innere Sicherheit. Dass der Gesetzgeber den betroffenen Rechtsgütern einen sehr hohen Stellenwert zumisst, ergibt aus dem Strafrahmen, der (bei den zuletzt abgeurteilten besonders schweren Fällen) gemäß § 263 Abs. 3 StGB von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe reicht, mithin ausnahmslos Freiheitsstrafen beinhaltet. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht auf die „extrem hohe Zahl der Betrugshandlungen, die der Kläger begangen hat“, und den Umstand hin, dass dieser von Dezember 2001 bis März 2009 inhaftiert war. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht N. vom 20. März 2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten Einzelstrafen in Höhe von insgesamt knapp 26 Jahren und der weiteren Verurteilung des Klägers durch das Landgericht N. vom 20. Oktober 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 8 Monaten Einzelstrafen in Höhe von insgesamt knapp 30 Jahren zugrunde gelegen hätten. Insgesamt seien damit verwirkte Einzelstrafen von über 50 Jahren im Raum gestanden. Zu Recht gehen die Beklagte und das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Art und Weise der Begehung der Straftaten hier besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Auch dies kann aus den Feststellungen der Strafgerichte hergeleitet werden. Zu Recht weisen die Beklagte und das Verwaltungsgericht auch darauf hin, dass die Initiative für die kriminellen Aktivitäten vom Kläger ausgegangen ist und er hohe kriminelle Energie entfaltet hat.

Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit, die zu einer Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berechtigen, können nicht nur dann angenommen werden, wenn es sich um Straftaten handelt, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aufgeführt sind. Zu Recht haben sich die Beklagte und das Verwaltungsgericht nicht durch den Umstand, dass die vom Kläger begangenen Delikte nicht unmittelbar in Art 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV genannt sind, daran gehindert gesehen, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zu bejahen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 22. Mai 2012 (C-348/09 - juris) ausgeführt, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, Straftaten wie die in Artikel 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen gemäß Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Wie sich schon aus der vom Gerichtshof verwendeten Formulierung („…Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten…“) ergibt, schließt der Gerichtshof nicht aus, dass auch andere als die in der genannten Vorschrift aufgeführten Straftaten zu zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die eine Verlustfeststellung rechtfertigen, führen können. Dies folgt zudem daraus, dass Art. 83 AEUV nicht dem Zwecke dient, abschließend festzulegen, welche Straftaten Voraussetzung für eine Verlustfeststellung im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU sein können. Vielmehr enthält Art. 83 Abs. 1 AEUV eine Befugnis für das Europäische Parlament und den Rat, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festzulegen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Als derartige Kriminalitätsbereiche werden genannt: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 AEUV). Dementsprechend hat der Gerichtshof (U. v. 22.5.2012 a. a. O.) ausgeführt, das Unionsrecht schreibe den Mitgliedstaaten keine einheitliche Werteskala für die Beurteilung von Verhaltensweisen vor, die als Verletzung der öffentlichen Sicherheit angesehen werden könnten; die zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit würden nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 von den Mitgliedstaaten festgelegt; grundsätzlich stehe es den Mitgliedstaaten im Wesentlichen frei, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein könnten, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordere, doch seien diese Anforderungen eng zu verstehen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV genannten Kriminalitätsbereiche der Geldwäsche, der Fälschung von Zahlungsmitteln und der Computerkriminalität betrugsähnliche Tatbestände beinhalten.

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. März 2013 (18 A 2263/08 Rn. 29 - juris) spricht nicht für die Auffassung, dass zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU im Falle einer Verurteilung wegen Straftaten nur dann angenommen werden können, wenn es sich um Straftaten handelt, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Bei der diesbezüglichen kursorischen Wendung im Urteil vom 14. März 2013 handelt es sich um ein nicht entscheidungserhebliches obiter dictum, denn das Urteil betraf die Frage der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU im Fall einer Verurteilung wegen an Minderjähriger begangener Sexualstraftaten (das Oberverwaltungsgericht hatte das Verfahren ausgesetzt und zur Vorabentscheidung an den EUGH vorgelegt, was zum Urteil des EUGH vom 22. Mai 2012 < C-348/09 - juris > führte). Mit Tatbeständen, die in der vom Gerichtshof herangezogenen Vertragsbestimmung nicht unmittelbar genannt werden, befasst sich das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil auch sonst nicht.

Zu Recht gehen die Beklagte und das Verwaltungsgericht auch davon aus, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaates berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EUGH, U. v. 22.5.2012 a. a. O.). Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann grundsätzlich von den Gerichten regelmäßig ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden, denn die Gerichte bewegen sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind (BVerwG, B. v. 4.5.1990 - 1 B 82/89, B. v. 14.3.1997 - 1 B 63/97, B. v. 22.10.2008 - 1 B 5/08 jeweils m. w. N. - jeweils juris). Bei der insoweit erforderlichen individuellen Beurteilung des Einzelfalls sind, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U. v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 -, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13/11 -, jeweils juris).

Dies zugrunde gelegt gehen die Beklagte und das Verwaltungsgericht zu Recht von einer Wiederholungsgefahr beim Kläger aus. Der Kläger hat über Jahre hinweg eine Vielzahl von Straftaten begangen, die insbesondere gegen das Vermögen anderer gerichtet waren. Die Beklagte und das Verwaltungsgericht führen zu Recht aus, dass beim Kläger unter Berücksichtigung der den letzten Verurteilungen zugrunde liegenden (überwiegend gewerbsmäßig begangenen) Betrugsdelikten, der im Vorfeld über Jahrzehnte von ihm begangenen zum Teil gravierenden Straftaten und dem Umstand, dass er sich durch die deshalb gegen ihn ergangenen Strafurteile nicht von der Begehung weiterer, in Art und Ausmaß stetig ansteigender Straftaten hat abhalten lassen, von erheblichen charakterlichen Mängeln auszugehen ist, die zusammen mit der Tatsache der gescheiterten Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse und seiner nicht vorhandenen Sozialisierung zu der Annahme führen, dass er auch künftig weiter schwere Straftaten begehen werde. Sein bisheriges Leben im Bundesgebiet sei im Wesentlichen auf Lug und Trug aufgebaut. Es sei offensichtlich, dass er der geltenden Rechtsordnung im Bundesgebiet keinerlei Bedeutung beimesse, sondern vielmehr bereit sei, zum eigenen Vorteil und zur Verschaffung einer regelmäßigen Einnahmequelle anderen Menschen auf betrügerische Weise großen finanziellen Schaden zuzufügen, wobei einige seiner Opfer durch die Straftaten sogar in finanzielle Bedrängnis gebracht worden seien. Dafür, dass der Kläger auch nach einer Haftentlassung seinen Lebensunterhalt, (ggf. einen - wie in der Vergangenheit - von ihm angestrebten luxuriösen Lebensstil) durch Vermögensstraftaten gegen Dritte finanzieren wird, spricht insbesondere der Umstand, dass der Kläger sich von der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten mit Strafurteil vom 20. März 2003, von der Warnung in diesem Urteil, dass für den Fall einer erneuten insbesondere einschlägigen Straffälligkeit nach Strafverbüßung die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB in Betracht zu ziehen sein werde, des Weiteren von einer Verwarnung durch die Ausländerbehörde unter Androhung einer Verlustfeststellung bei künftigen Straftaten und von der angeordneten Führungsaufsicht nicht abhalten ließ, bereits 8 Monate nach der Erledigung der Strafvollstreckung am 26. März 2009 erneut ab November 2009 einschlägig straffällig zu werden. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger nach Verbüßung der nunmehrigen Freiheitsstrafe davon ablassen wird, sein Leben durch die Begehung von Straftaten auf Kosten anderer zu finanzieren (zumindest in dem Bereich, der durch Sozialleistungen nicht abgedeckt wird). Auch im Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt S. wird die deutlich betrügerische Ader des Klägers erwähnt.

b) Das Verwaltungsgericht und die Beklagte haben auch die persönlichen Umstände des Klägers und sein Privatinteresse an einem weiteren Aufenthalt und Verbleib im Bundesgebiet angemessen gewürdigt und nach Abwägung alles Umstände gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt als nachrangig eingestuft.

Der Kläger trägt insoweit vor, nach seiner Entlassung aus der Strafhaft (voraussichtlich im Alter von 68 Jahren) werde er wohl nicht mehr überzeugend als Immobilienmakler auftreten können. Zudem leide er an Krankheiten, insbesondere befinde er sich in einem Peritonealdialyseprogramm.

Die Beklagte hat - bestätigt durch das Verwaltungsgericht - das Alter des Klägers und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet seit 1975 gewürdigt, andererseits aber darauf hingewiesen, dass er in Österreich aufgewachsen sei und im Bundesgebiet als alleinstehender, geschiedener, kinderloser Mann keine besonderen persönlichen Bindungen aufgebaut habe. Auch sei ihm eine wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet nicht gelungen, er habe mehrfache eine eidesstattliche Versicherung abgeben müssen, Einkommen vornehmlich aus Straftaten erzielt, zudem viele Jahre in Strafhaft verbracht. Im Hinblick auf die Erkrankungen des Klägers führte die Beklagte aus, in Österreich bestehe ein funktionierendes Sozialsystem, auch sei das Niveau der medizinischen Versorgung in Österreich derjenigen in Deutschland mindestens gleichwertig.

Damit wurden durch die Beklagte und das Verwaltungsgericht die vorgetragenen privaten Interessen des Klägers auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Kenntnis genommen und angemessen bewertet. Insbesondere wurden die nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange des Klägers, nämlich die Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zu seinem Heimatland zutreffend in die Abwägung eingestellt. Rechtsfehlerfrei wurde der Schutz der öffentlichen Sicherheit höher gewichtet als die berücksichtigungsfähigen Interessen des Klägers.

Die verfügte Verlustfeststellung ist auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK oder Art. 6 GG als unverhältnismäßig anzusehen. Folgend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerfG, B. v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07, BVerwG, U. v. 23.10.2007 - 1 C 10/07 - jeweils juris) und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hierzu entwickelten Kriterien (vgl. u. a. EGMR, U. v. 13.10.2011 - 41548/06 - juris) sind die persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sowie das öffentliche Interesse zutreffend abgewogen und gewichtet worden.

c) Wenn der Kläger schließlich erklärt, die Beklagte habe gegen ihn faktisch ein lebenslanges Einreiseverbot verhängt, wendet er sich sinngemäß gegen die mit dem Ergänzungsbescheid vom 21. Mai 2013 gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG verfügten zehnjährigen Sperrwirkungen. Zur Begründung des Einreise- und Aufenthaltsverbots hat die Beklagte, bestätigt durch das Verwaltungsgericht, auf das strafrechtlich geahndete Verhalten, insbesondere die vielfach begangenen, massiven Betrugsstraftaten über einen langen Zeitraum hinweg, welche über die erhebliche Schädigung Einzelner hinaus die legale Wirtschaftstätigkeit sowie das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs beeinträchtigten, und auf die (ausführlich begründete) hochgradige Wiederholungsgefahr hingewiesen. Gegeben sei eine außergewöhnlich schwere Bedrohung der öffentlichen Sicherheit, der Kläger sei Bewährungsversager, er habe immer wieder bewiesen, dass er nicht bereit sei, ein straffreies Leben zu führen. Eine Befristung auf zehn Jahre entspreche auch unter Berücksichtigung des langjährigen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet, der deshalb naturgemäß auch vorhandenen persönlichen Bindungen und seines Alters in Anbetracht der konkreten Umstände dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies ist auch unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 13.12.2012 - 1 C 14/12 - juris), nach der mit einer Befristung auf zehn Jahre der Zeithorizont gewählt wird, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann, nicht zu beanstanden. Die Beklagte und das Verwaltungsgericht vertreten zu Recht die Auffassung, dass vom Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) und die hohen Anforderungen für eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vorliegen. Es ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kläger im fortgeschrittenen Alter seine durch das Begehen von Straftaten gegen das Vermögen anderer geprägte Persönlichkeitsstruktur geändert hat oder ändern könnte. Bislang hat sich der Kläger keine der zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen und Haftstrafen zur Warnung dienen lassen. Auch ist er nach einer Entlassung aus der Strafhaft ersichtlich mittellos. Es drängt sich mithin aufgrund seines Verhaltens in der Vergangenheit auf, dass er erneut einschlägig straffällig wird, auch um - wie in der Vergangenheit durchgehend über Jahre praktiziert - einen Lebensstandard zu erreichen, der durch auf legalem Wege erzielte Einkünfte bzw. Sozialleistungen für ihn nicht finanzierbar ist. Das Alter des Klägers schließt es nicht aus, dass er in den Jahren nach seiner Haftentlassung erneut einschlägig straffällig wird. Dazu ist auch nicht erforderlich, dass er (wie teilweise, aber keineswegs durchgehend bei den von ihm begangenen Straftaten) Angestellter im Immobilienbereich ist. Er kann z. b. als selbstständig im Immobilienbereich auftretende Person oder als sonstiger Mittäter im Zusammenwirken mit Anderen Straftaten begehen. Ein konkretes Ende der vom Kläger ausgehenden Gefahren ist mithin derzeit nicht absehbar. Auch gebieten weder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen eine kürzere Frist. Der Kläger ist alleinstehend und kinderlos. Besondere persönliche Bindungen im Bundesgebiet hat er nicht vorgetragen, sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Der Kläger hat nichts dazu ausgeführt, dass die Versorgung durch das Sozialsystem, sollte er sie in Anspruch nehmen müssen, und die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Österreich für ihn nicht ausreichend sind. Im Übrigen kann der Kläger bei einer nachträglichen Änderung der für die Befristungsentscheidung maßgeblichen Tatsachen jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der festgesetzten Sperrfrist stellen (vgl. BVerwG, U. v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 Rn. 38 - juris).

2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist und die Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit, vgl. insgesamt Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36, § 124 a Rn. 72). Die Gründe dafür sind nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen. Eine solche Rechts- oder Tatsachenfrage hat der Kläger hier nicht aufgeworfen. Er möchte vielmehr (sinngemäß) wissen, ob in Anbetracht der von ihm begangenen Straftaten und seines Alters die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls, die im Rahmen des hiesigen Zulassungsantragsverfahrens durch die Auslegung des § 6 FreizügG/EU unter Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (insbesondere EuGH, Urteile vom 23.11.2010 - C-145/09 sowie vom 22.5.2012 - C-348/09 - jeweils juris) beantwortet werden kann.

Kosten des Zulassungsverfahrens: § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3 VwGO, § 52 Abs. 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags aus Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsantragsverfahren wird abgelehnt.

III.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens.

IV.

Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Berufungszulassung, um im Ergebnis die Aufhebung des Bescheides des Landratsamtes N. vom 6. März 2009 zu erreichen, soweit darin festgestellt wurde, dass er sein Recht auf Einreise und Aufenthalt als freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger verloren hat (Nr. I des Bescheides), und ihm die Abschiebung nach Österreich oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, angedroht worden ist (Nr. III).

Mit dem angefochtenen Urteil vom 9. April 2013 hat das Verwaltungsgericht die erhobene Anfechtungsklage insoweit abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das Landratsamt sei für die angefochtenen ausländerrechtlichen Maßnahmen örtlich zuständig gewesen. Die von der zuständigen Behörde verfügte Aberkennung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) halte einer rechtlichen Überprüfung stand. Ausreisefrist, Abschiebungsandrohung und Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre ab Ausreise des Klägers entsprächen den gesetzlichen Vorgaben.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Berufungszulassungsantrag. Das Landratsamt N. sei für den Erlass des Bescheides örtlich nicht zuständig gewesen. Es fehle an ausreichenden Gründen für eine Aberkennung des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Insbesondere hätte das Verwaltungsgericht weiter aufklären müssen, ob eine konkrete Gefährdung für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit bzw. eine Rückfallwahrscheinlichkeit bestehe. Das vorliegende psychiatrische Sachverständigengutachten sei veraltet, die vom Landratsamt getroffene Ermessensentscheidung fehlerhaft.

II.

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten), des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z. B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2010 - 7 AV 4/03 - DVBl 2004, 838/839). Solche ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.

Das Verwaltungsgericht hat unter Verweis auf § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 5 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten zur Ausführung des Aufenthaltsgesetzes und ausländerrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen (ZustVAuslR) die örtliche Zuständigkeit des Landratsamtes N. für den Erlass des Bescheides vom 6. März 2009 bejaht. Abzustellen sei auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers. Dieser sei mit seiner Familie mit „Einzugsdatum: 03.09.2002“ im Landkreis N. angemeldet worden. Seither sei die Familie im Landkreis N. wohnhaft geblieben. Die mit der Haftentlassung im Januar 2013 erfolgte Rückkehr zu seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen sei nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt in Frage gestanden. Deshalb habe der Kläger auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Haftanstalt begründet. Dies hält den Rügen des Klägers stand.

Zwar weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass er bei seiner Festnahme am 11. Januar 2001 noch im Landkreis R., also im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Landratsamts R., wohnhaft gewesen ist. Darauf kommt es aber wegen der Ummeldung in den Landkreis N. vor Einleitung des streitgegenständlichen Verwaltungsverfahrens (Aktenanforderung durch das Landratsamt N. unter dem 17.9.2002, Bl. 848 der Ausländerakte; Anhörung vor Erlass eines Ausweisungsbescheids vom 16.10.2003, Bl. 862 der Ausländerakte) und vor Erlass des Bescheides nicht an. Der Kläger konnte auch ab dem 3. September 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis N. trotz des Aufenthalts in einer nicht in diesem Landkreis befindlichen Haftanstalt begründen, denn im Landkreis N. befand sich ab diesem Zeitpunkt unstreitig die Hauptwohnung seiner Familie. Dementsprechend hat der Kläger in einem Schreiben vom 31. August 2010 an das Verwaltungsgericht im dortigen Verfahren RO 9 K 10.1606 (Bl.1) u. a. erklärt, er sei mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet, die Ehe bestehe auch über die Haftzeit weiter, sie hätten zwei gemeinsame Söhne, sodann: „Mein fester Wohnsitz ist bei meiner Ehefrau seit der Inhaftierung gemeldet: 92…H., S. …, zur Zeit aber in Haft.“. Bei der angegebenen Adresse handelt es sich um den mit dem Einzugsdatum 3. September 2002 begründeten Familienwohnsitz im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Landratsamts N. Seinen Hauptwohnsitz im Landkreis N. hat der Kläger auch bis heute beibehalten.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch nicht aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers, die Voraussetzungen für den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 FreizügG/EU seien nicht gegeben, insbesondere sei das psychiatrische Gutachten aus dem Jahr 2009 veraltet, es habe auch eine andere Zielsetzung gehabt, und das Verwaltungsgericht habe für den Kläger sprechende Umstände nicht ausreichend berücksichtigt.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u. a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, § 6 Abs. 2 FreizügG/EU. Auch sind bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen, § 6 Abs. 3 FreizügG/EU. Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Absatz 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden, § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, § 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Im Fall einer Verurteilung wegen Straftaten ist § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dient, dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter dem Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Zudem setzt eine Verlustfeststellung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EUGH - U.v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris).

Das Verwaltungsgericht hat - wie das Landratsamt davon ausgehend, dass der Kläger sich auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen kann - diese rechtlichen Vorgaben bei seiner Entscheidung beachtet und ist auf ihrer Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeben sind. Die das angefochtene Urteil tragenden Erwägungen hat der Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Soweit der Kläger vorträgt, die für eine Verlustfeststellung erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU könnten nicht hinreichend aus dem im Auftrag der Strafvollstreckungskammer erstellten Gutachten des Psychiaters Dr. B., W. vom 6. August 2009 abgeleitet werden, trifft dies nicht zu (vgl. S. 8 ff dieses Beschlusses). Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Prüfung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EUGH, U.v. 22.5.2012 a. a. O.), regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erfordert. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach einer strafrechtlichen Verurteilung kann von den Gerichten vielmehr regelmäßig ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden. Denn die Gerichte bewegen sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind (BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82/89, B.v. 14.3.1997 - 1 B 63/97, B.v. 22.10.2008 - 1 B 5/08 jeweils m. w. N. - jeweils juris). Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Ausnahme von dieser Regel deshalb in Betracht kommen könnte, weil die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzen würde, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich wäre (wie z. B. bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen, vgl. BVerwG, B.v. 4.5.1990, v.14.3.1997 und v. 22.10.2008, jeweils a. a. O.) hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Dem Gutachten vom 6. August 2009 ist zu entnehmen, dass die Persönlichkeit des Klägers zwar dissozial akzentuiert, aber nicht pathologisch entwickelt ist.

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das Landratsamt und das Verwaltungsgericht zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für die Verlustfeststellung deshalb bejaht haben, weil der Kläger mit Urteil des Landgerichts R. vom 15. November 2001, welches rechtskräftig vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 21. August 2002 bestätigt wurde, unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 8 Fällen, des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 305 Fällen, in 194 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, in 9 Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung verurteilt wurde. Zu Recht hat das Landratsamt (bestätigt durch das Verwaltungsgericht) u. a. ausgeführt, dass sich die zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit des Weiteren daraus ergeben, dass der Kläger in der Vergangenheit eine Vielzahl weiterer Straftaten begangen habe (14 noch nicht getilgte Eintragungen im Bundeszentralregister zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses), dass er die in dem rechtskräftigem Urteil des Landgerichts R. vom 15. November 2001 behandelten Straftaten ausschließlich aus persönlichen Motiven heraus und bewusst, ohne Druck oder Zwang, vielmehr frei und aus eigener Entscheidung begangen habe und dass sein Leben gekennzeichnet sei durch deliktische und antisoziale Verhaltensweisen, einen unsteten Lebenswandel sowie durch die Tendenz, in zwischenmenschlichen Situationen dem Gegenüber erhöhten Argwohn und Misstrauen entgegenzubringen. Auch sei die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe von 12 Jahren nicht zur Bewährung ausgesetzt worden. Ausschlaggebend für die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe seien neben der Vielzahl der Fälle insbesondere der lange Zeitraum, über den sich das deliktische Tun erstreckt habe, die Steigerung der Intensität des Vorgehens bei den strafrechtlichen Handlungen und die Herabsetzung der Hemmschwelle im Verlauf des kriminellen Geschehens gewesen. Auch stellten die genannten Sexualdelikte gegenüber einem Kind und einer Schutzbefohlenen eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar; der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gesellschaft. Zudem führe ein derartiger sexueller Missbrauch, hier der Stieftochter, regelmäßig zur Zerstörung der psychischen und physischen Persönlichkeit des Opfers. Der Kläger habe unter Missbrauch seiner Autorität als Erwachsener - besonders als Stiefvater und Erziehender - ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf das Opfer und auf die Familie jahrelang Sexualdelikte an der Stieftochter begangen. Ein minderschwerer Fall des sexuellen Missbrauchs liege nach dem Strafurteil in keinem Fall vor. Die Intensität und Dauer der Delikte habe sich bis hin zur Vergewaltigung gesteigert. Auf das körperliche und psychische Wohl der Stieftochter habe er keinerlei Rücksicht genommen, er habe sie zur Verschwiegenheit verpflichtet und angedroht, dass sonst sie und die Geschwister in ein Heim kämen. Dadurch habe er die Stieftochter zusätzlich unter erheblichen psychischen Druck gesetzt. Er habe seine Vertrauensstellung ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf die Folgen seines Tuns und auf die Familie ausgenutzt, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen und seinen Willen durchzusetzen. Diese Ausführungen des Landratsamtes, welche, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, belegen, dass die Taten des Klägers dem Bereich besonders schwerer Kriminalität im Sinne des Art. 83 Abs. 1 Satz 2 AEUV (sexuelle Ausbeutung von Kindern) zuzurechnen sind, bestätigen die Auffassung, es lägen hinreichend zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU vor. Sie belegen auch hinreichend die Neigung des Klägers, sein Verhalten in Zukunft beizubehalten. Dabei sind, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht ausführt, an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 -, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13/11, jeweils juris). Die Folgen der am 15. November 2001 abgeurteilten Straftaten des Klägers sind dem oberen Bereich der Schwereskala zuzurechnen.

Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit ergeben sich zudem aus dem Gutachten des Psychiaters Dr. B., W., vom 6. August 2009. Grundsätzlich kann das Gutachten eines Sachverständigen - auch wenn es die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern hierfür nur eine Hilfestellung bieten kann - als ein geeignetes Beweismittel zur letztlich maßgeblichen richterlichen Überzeugungsbildung über das Bestehen einer Wiederholungsgefahr in Betracht kommen (BVerwG, B.v 13.3.2009 - 1 B 20/08 - juris). Auch ist maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 - juris). Mithin konnte das Verwaltungsgericht dieses Gutachten, welches erst nach dem Bescheid des Landratsamtes vom 6. März 2009 erstellt wurde, bei seiner Beurteilung heranziehen.

Die Feststellungen dieses Gutachtens, wonach weiterhin gewichtige Anhaltspunkte für die Gefahr erneuter schwerer Straftaten bestehen, insbesondere auch Sexualstraftaten durch den Kläger, hat dieser im vorliegenden Verfahren beanstandet als überholt, alt, nicht mehr zutreffend und zudem zu einer anderen Fragestellung und zu einem anderen Zweck erstellt. Der Kläger befinde sich nun wieder (seit Januar 2013) bei seiner Familie; die Ausgangslage für die Beurteilung einer eventuell weiteren Straffälligkeit oder erheblichen Gefahr habe sich geändert. Auch dieser Vortrag begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, Anhaltspunkte dafür, dass das Gutachten des Psychiaters Dr. B. wegen seither eingetretener Umstände nicht mehr verwertbar sein könnte, seien nicht zu sehen. Dies ist nicht zu beanstanden. Zum einen ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger nach Erstellung des psychiatrischen Gutachtens seine Weigerung, die an seiner Stieftochter gegangenen Sexualstraftaten anzuerkennen, aufgegeben und begonnen hat, sich mit den Taten auseinanderzusetzen sowie sich einer nach dem Gutachten angezeigten psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. Vielmehr führt die Justizvollzugsanstalt A. in ihrer Stellungnahme vom 11. Juli 2012 an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht R. u. a. aus, der Kläger habe in allen hier durchgeführten Gesprächen stets seine Unschuld in den Vordergrund gestellt. Es handle sich um einen noch nicht therapierten Sexualstraftäter, der die Tat leugne. Eine sozialtherapeutische Behandlung wäre dringend erforderlich, habe jedoch aus Gründen, die in der Person des Klägers lägen, nicht durchgeführt werden können, da er während der Haft keinerlei Bereitschaft gezeigt habe, sich mit seiner Sexualdelinquenz auseinanderzusetzen. In den Delikten komme neben der Sexualproblematik insbesondere eine dissoziale Komponente zum Ausdruck. Hinsichtlich der Begehung erneuter Sexualstraftaten - besonders im häuslichen Nahbereich - bestehe aufgrund der nicht behandelten persönlichen Problematik und der Auseinandersetzung mit den Delikten ein hohes Rückfallrisiko. Diese Einschätzung hat die Justizvollzugsanstalt in ihrem gegenüber dem Verwaltungsgericht abgegebenen Führungsbericht vom 7. November 2012 wiederholt. Seine Ablehnung einer Aufarbeitung der von ihm begangenen Sexualstraftaten hat der Kläger sodann auch in der Folgezeit beibehalten. So hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 9. April 2013 auf die Frage, ob er inzwischen eine Therapie bei der Fachambulanz für Sexualstraftäter aufgenommen habe, geantwortet: „Ich habe einen ersten Termin am 18. April 2013. Sie werden aber von mir keine Therapie erwarten können, weil ich die mir zur Last gelegten Straftaten nicht begangen habe und die Beurteilung nur auf den Aussagen einer notorischen Lügnerin beruht“. Es ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kläger diese Haltung nunmehr geändert hätte.

Das Verwaltungsgericht konnte bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten des Klägers eine im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, auch auf das im Auftrag der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. erstellte Gutachten des Psychiaters Dr. B. zurückgreifen. Das Landgericht A. erteilte den Gutachtensauftrag im Rahmen der Klärung, ob die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren aus dem Urteil des Landgerichts R. vom 15. November 2001 gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dabei war das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zu berücksichtigen, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB. Dies steht auch im hiesigen Verfahren inmitten, wobei im Ausländerrecht ein größerer Zeitraum zu prognostizieren ist. Der Umstand, dass das Landgericht das Gutachten im Rahmen anderer gesetzlicher Vorschriften verwertete als das Verwaltungsgericht, ändert nichts an dessen Geeignetheit, im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU Verwendung zu finden.

Entscheidungserhebliche veränderte Umstände sind auch nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger im Januar 2013 aus der Haft entlassen wurde, seither mit seiner Ehefrau zusammenlebt und neue Straftaten nicht bekannt geworden sind. Das unauffällige Verhalten des Klägers seit der Haftentlassung ist nicht geeignet, den anderen vorliegenden Informationen über Persönlichkeit und Verhalten des Klägers ihre gewichtige Prognosebedeutung zu nehmen, zumal viel dafür spricht, dass das derzeitige Wohlverhalten des Klägers durch das anhängige verwaltungsgerichtliche Verfahren begründet ist. Der Senat verweist insoweit (wiederholend) darauf, dass der Kläger über einen langen Zeitraum seine zu Beginn der Taten zwölfjährige Stieftochter in einer Vielzahl von Fällen sexuell missbraucht hat. Dabei hat er sein schädigendes Tatverhalten bis zum erzwungenen Geschlechtsverkehr gesteigert. Der Kläger hat eine erhebliche kriminelle Energie aufgewandt und seine sexuellen Wünsche rücksichtslos durchgesetzt. Die Strafliste des Klägers weist für den Zeitraum von 1981 bis 2000 weitere 13 strafrechtliche Verurteilungen auf. Der Kläger leugnet die von ihm begangenen Sexualstraftaten und setzt sich dementsprechend nicht mit ihnen auseinander. Eine therapeutische Aufarbeitung der in den von ihm begangenen Straftaten zum Ausdruck kommenden erheblichen Persönlichkeitsdefizite wurde nicht vorgetragen, erst recht nicht deren erfolgreicher Abschluss. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass bei ihm eine Neigung besteht, das Verhalten, das er insbesondere bei der Begehung der Sexualstraftaten gezeigt hat, künftig beizubehalten (vgl. EuGH, , U.v. 22.5.2012 - C 348/09 - juris), ist mithin nicht erschüttert worden.

Das Verwaltungsgericht hat die nach Maßgabe von § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensausübung des Beklagten nicht beanstandet. Auch insoweit bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

Der Kläger trägt insoweit vor, in dem Bescheid des Beklagten und im Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass er seit 1987 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei, mit dieser sowie den beiden 1989 und 1993 geborenen gemeinsamen Söhnen wie seinem Schwiegervater, der auch zu pflegen sei, zusammenlebe, sich bereits seit 1970 anfangs mit kleinen Unterbrechungen, in Deutschland befinde, bereits über 60 Jahre alt sei (geboren am 25.5.1952), gesundheitlich angeschlagen sei, sich in Österreich nicht mehr in einen Arbeitsprozess eingliedern könne, dort für Jahre nicht ohne seine Familie auskommen könne, seine gesamte wirtschaftliche Position in Österreich verlieren würde, keinerlei Bindung mehr zu Österreich habe, der Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland sich als „zweite Strafe“ erweise und wegen der verhängten Führungsaufsicht die Gefahr einer Wiederholungstat - die tatsächlich nicht gegeben sei - von vornherein erheblich unwahrscheinlicher sei.

Dem gegenüber ist festzuhalten, dass das Landratsamt in seinem Bescheid vom 9. März 2009 die persönlichen Umstände des Klägers und sein Privatinteresse an einem weiteren Aufenthalt und Verbleib im Bundesgebiet gewürdigt und nach Abwägung aller Umstände gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalts als nachrangig eingestuft hat. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, das Landratsamt habe bei seiner Abwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die persönlichen Belange des Klägers berücksichtigt sowie fehlerfrei gewertet und gewichtet. Es habe rechtsfehlerfrei dem öffentlichen Interesse an der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts den Vorzug gegenüber den privaten Belangen des Klägers eingeräumt. Die Behörde habe insbesondere die lange Dauer der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaft des Klägers sehr wohl gesehen, die auch die zwölfjährige Inhaftierung überstanden habe. Sie habe Wege aufgezeigt, wie sich diese Lebensgemeinschaft nach der Aberkennung des Freizügigkeitsrechts aufrechterhalten lasse, sei es durch eine Übersiedlung der Familie nach Österreich, sei es durch Besuche und Telekommunikation während der auf fünf Jahre befristeten Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zu seinem angeblich angegriffenen Gesundheitszustand habe der Kläger weder etwas glaubhaft gemacht, noch dargetan, was einer etwaigen erforderlichen Behandlung in Österreich entgegenstehen würde. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass der Kläger zu keinem Mitglied seiner großen Herkunftsfamilie in Österreich noch Kontakt habe, so wäre dies auch kein Grund, seine Rückkehr dorthin als unzumutbar anzusehen. Insgesamt sei keinesfalls zu erkennen, dass die Folgen der Verlustfeststellung außer Verhältnis stünden zu dem mit ihr verfolgten Schutzzweck.

Damit wurden durch das Landratsamt und das Verwaltungsgericht die vorgetragenen privaten Interessen des Klägers auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Kenntnis genommen und angemessen bewertet. Insbesondere wurden die nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange des Klägers, nämlich die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zu seinem Heimatland zutreffend in die Abwägung eingestellt und rechtsfehlerfrei der Schutz der öffentlichen Sicherheit höher gewichtet als die berücksichtigungsfähigen gewahrten Interessen des Klägers.

Die verfügte Verlustfeststellung ist auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK oder Art. 6 GG als unverhältnismäßig anzusehen. Folgend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07, BVerwG, U.v. 23.10.2007 - 1 C 10/07 - jeweils juris) und den maßgeblichen Kriterien seitens des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, U.v.13.10.2011 - 41548/06 - juris) sind die persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sowie das öffentliche Interesse zutreffend abgewogen und gewichtet worden.

Nicht zu beanstanden ist auch, wenn das Verwaltungsgericht die Ausführungen des Beklagten in seinem Bescheid, der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Kosten für Betreuungs- und Therapiemaßnahmen verursacht werde, sei beträchtlich, nicht als Verstoß gegen § 6 Abs. 6 FreizügG/EU wertete. Nach dieser Vorschrift dürfen die Entscheidungen oder Maßnahmen, die den Verlust des Aufenthaltsrechts oder des Daueraufenthaltsrechts betreffen, nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, es handle sich ersichtlich nur um eine Aussage zu den Auswirkungen der vom Kläger begangenen und im Wiederholungsfall zu befürchtenden Verbrechen. Der Formulierung sei nicht zu entnehmen, dass die Aberkennung der Freizügigkeit der Einsparung von öffentlichen Leistungen dienen solle. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Beklagtenvertreter haben zudem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, die Verlustfeststellung sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, etwa um Sozialleistungen zu sparen. Damit haben sie, soweit die diesbezügliche Aussage im Bescheid vom 9. März 2009 als Teil der Ermessensausübung anzusehen sein sollte, ihre Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO zulässig klargestellt bzw. ergänzt.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Januar 2014 (C-400/12 - juris). Der EuGH hat für Recht erkannt, dass Art. 28 Abs.3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG (auf dem § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU beruht), dahin auszulegen ist, dass der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein muss und vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen ist (Rn. 24 ff.). Des Weiteren ist die Vorschrift dahin auszulegen, dass ein Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne der Bestimmung zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat (Rn. 33 ff.). Der Beklagte schließt daraus, der Kläger könne sich deshalb wegen seiner schon jahrelangen Inhaftierung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, die Verlustfeststellung sei vielmehr gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU bereits aus schwerwiegenden Gründen möglich. Der Kläger tritt dem entgegen. Es kann dahinstehen, ob durch die genannte Entscheidung des EuGH im vorliegenden Fall eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist. Jedenfalls ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, wenn die Behörde und das Verwaltungsgericht dem Kläger zu dessen Gunsten den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zugebilligt haben und die Bejahung der danach für die Verlustfeststellung erforderlichen Voraussetzungen nicht zu beanstanden ist.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.

a) Besondere tatsächliche Schwierigkeiten entstehen einer Rechtssache durch einen besonders unübersichtlichen und/oder einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt. Dies ist unter Würdigung der aufklärenden Tätigkeit des Verwaltungsgerichts zu beurteilen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 33). Davon ausgehend bietet der Sachverhalt keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten. Die für die Beurteilung der Frage, ob gegen den Kläger rechtmäßig eine Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU ausgesprochen werden kann, erforderlichen Tatsachen haben der Beklagte und das Verwaltungsgericht ermittelt.

b) Eine Rechtssache weist besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn eine kursorische, aber sorgfältige, die Sache überblickende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt. Die Offenheit des Ergebnisses charakterisiert die besondere rechtliche Schwierigkeit und rechtfertigt - insbesondere zur Fortentwicklung des Rechts - die Durchführung des Berufungsverfahrens (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 16, 25, 27).

Die erforderliche Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung erlaubt hier die Prognose, dass diese zurückzuweisen wäre. Dabei ist der unmittelbare sachliche Zusammenhang des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO mit Abs. 2 Nr. 1 VwGO in den Blick zu nehmen (Happ in Eyermann, a. a. O. Rn. 25). Da hier die von dem Kläger vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht bestehen (vgl. Nr. 1 des Beschlusses) ist die Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtlich nicht besonders schwierig. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Verlustfeststellung gemäß Art. 28 Abs. 2, Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG i.V. mit § 6 FreizügG/EU sind durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für den vorliegenden Fall geklärt (vgl. EuGH , U.v. 22.5.2012 - C 348/09, U.v. 16.1.2014 - C-400/12 - jeweils juris). Die Frage, ob die vom Kläger begangenen Straftaten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen sind, die geeignet sind, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen können, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (vgl. EuGH , U.v. 22.5.2012 a. a. O.), kann aufgrund der dem Senat vorgelegten behördlichen und gerichtlichen Akten geklärt werden. Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die eine Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. EuGH a. a. O.). Welche Erkenntnisse zur Kriminalprognose des Klägers erforderlich sind, insbesondere ob das psychiatrische Gutachten des Dr. B. vom 6. August 2009 Verwendung finden kann, lässt sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 4.5.1990 - 1 B 82.89, B.v. 14.3.1997 - 1 B 63.97, B.v. 22.10.2008 - 1 B 5.08 -, B.v. 13.3.2009 - 1 B 20/08 - jeweils juris) beantworten.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit, vgl. insgesamt Happ in Eyermann VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36, § 124a Rn. 72). Die Gründe dafür sind nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen. Eine solche Rechtsfrage hat der Kläger hier nicht aufgeworfen. Er hat vielmehr allgemein auf die möglichen erheblichen Folgen einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren für ihn und seine Familie hingewiesen. Damit hat er die unzweifelhaft gegebene Bedeutung des Rechtsstreits für ihn und seine Familie betont, ohne aber deren grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darzulegen.

4. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.

Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe die zum einen ausdrücklich beantragte und zum zweiten dem Gericht sich auch aufdrängende Begutachtung des Klägers nicht vorgenommen. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.

Ein Verfahrensbeteiligter kann regelmäßig nur dann mit Erfolg geltend machen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, wenn er die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, U.v. 22.8.1985 - 3 C 17.85 - Buchholz 310 § 108 Nr. 175). Daran fehlt es. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter - wie hier der Kläger - in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich beantragt hat (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2001 - 6 B 6.01 - juris). Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers wurde ausweisweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. April 2013 nicht gestellt. Nicht ausreichend ist, dass der Kläger im Schriftsatz vom 9. Januar 2013 zum Beweis der Tatsache, dass von ihm keinerlei Gefahren mehr ausgehen, die Bestellung eines Sachverständigen angeboten hat. Ein derartiges Beweisangebot stellt lediglich eine Anregung dar, die einen förmlichen, in der mündlichen Verhandlung zu stellenden (§ 86 Abs. 2 VwGO) Beweisantrag nicht ersetzt (BVerwG, B.v. 6.3.1995 - 6 B 81/94 - juris). Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich dem Gericht eine weitere Sachverhaltsermittlung oder Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen oder sonst geboten gewesen wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hatte keine Veranlassung, zu der Frage der Wiederholungsgefahr ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats ist geklärt, dass die Feststellung der vom Kläger ausgehenden Sicherheitsgefahren ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens getroffen werden kann. Zur Beurteilung künftiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedarf es nur in Ausnahmefällen - etwa bei der Begutachtung psychischer Erkrankungen - der Einholung eines Sachverständigengutachtens (BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82.89, B.v. 4.3.1997 - 1 B 63.97, 22.10.2008 - 1 B 5/08 - juris). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall liegen nicht vor. Auch war es dem Verwaltungsgericht nicht verwehrt, das psychiatrische Gutachten des Dr. B. vom 6. August 2009 heranzuziehen. Dazu wird auf die Ausführungen unter Nr. 1 verwiesen. Ebenso wenig musste es sich für das Verwaltungsgericht aufdrängen, zur Frage der Gefahrenprognose den Sachverhalt durch die Einvernahme von Zeugen weiter aufzuklären. Ein Beweisantrag zur Zeugeneinvernahme wurde in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Es musste sich dem Verwaltungsgericht auch in Anbetracht der sonstigen Erkenntnisquellen nicht aufdrängen, gemäß der schriftsätzlichen Beweisanregung die Ehefrau des Klägers und dessen Bewährungshelfer als Zeugen zur Beurteilung der Gefährlichkeit und der Kriminalprognose des Klägers zu vernehmen.

Abzulehnen war auch das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers, denn der Zulassungsantrag hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Bezug genommen wird auf die Ausführungen unter Nummern 1 bis 4.

Kosten des Zulassungsverfahrens: § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Der im Juli 1968 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Befristung der gegen ihn im Jahr 2000 verfügten Ausweisung mit sofortiger Wirkung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU (Befristung auf Null).

2

Der Kläger reiste im Juli 1984 zusammen mit seiner Mutter und Schwester zu seinem in Deutschland arbeitenden Vater ein und erhielt im Juli 1992 einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Seine im November 1990 geschlossene Ehe mit einer brasilianischen Staatsangehörigen scheiterte. Seine Ehefrau kehrte mit der im April 1992 geborenen gemeinsamen Tochter im April 1994 nach Brasilien zurück. Die Ehe wurde im April 1999 geschieden. Der Kläger leidet seit dem 8. Lebensjahr an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose und fiel immer wieder durch aggressives Verhalten bis hin zu Gewalttätigkeiten gegen sich selbst, seine Eltern, Nachbarn, behandelnde Ärzte und Mitpatienten auf. Wegen seiner Krankheit war er mehrmals stationär in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht.

3

1999 wurde er vom Landgericht Stuttgart zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Der Entscheidung lag ein Mordversuch des Klägers an seinem Vater zugrunde, der infolge eines Messerstichs in den Kopf schwerstpflegebedürftig wurde. Mit Bescheid vom 10. Januar 2000 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger unbefristet aus Deutschland aus. Im Mai 2000 wurde er nach Polen abgeschoben. Seine geschiedenen Eltern und seine Schwester leben weiterhin in Deutschland.

4

In Polen war der Kläger nach erneuter Straffälligkeit (Messerattacke auf einen Nachbarn) von 2005 bis 2013 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Das Amtsgericht in Bialystok hob mit Beschluss vom 1. Juli 2013 die Sicherungsmaßregel gegen den Kläger auf. Der Begründung ist zu entnehmen, dass zwei Gerichtsgutachten zu dem Ergebnis gekommen sind, dass beim Kläger wegen seines psychischen Gesundheitszustandes weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Begehung einer Straftat mit öffentlicher Gefährdung bestehe. Eine weitere stationäre Unterbringung des Klägers hat das Amtsgericht aber als unverhältnismäßig angesehen.

5

Auf den 2013 gestellten Antrag auf Befristung des bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots auf Null verfügte der Beklagte im Mai 2014 eine Befristung zum 21. Mai 2024. Diese Entscheidung begründete er damit, dass vom Kläger auch in den nächsten zehn Jahren wegen seiner paranoid-halluzinatorischen Psychose erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgingen und deshalb ein starkes Interesse bestehe, ihn vom Bundesgebiet fernzuhalten.

6

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zur Befristung auf sofort verpflichtet. Ein solcher Anspruch ergebe sich für den Kläger als Unionsbürger aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Zwar gehe vom Kläger weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, wie sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bialystok vom 1. Juli 2013 ergebe. Dennoch habe er einen Anspruch auf Befristung ohne weitere Sperre angesichts der Gesamtdauer des durch die Ausweisungsentscheidung bewirkten Einreiseverbots von nunmehr 14 Jahren. Das Verwaltungsgericht verweist hierzu auf die neuere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim, wonach - unabhängig von der Fortdauer des Ausweisungszwecks - eine Ausweisung grundsätzlich auf höchstens zehn Jahre zu befristen sei und diese Frist mit der Ausreise beginne (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 30. April 2014 - 11 S 244/14 - InfAuslR 2014, 365 Rn. 83). Die Aufrechterhaltung eines Einreiseverbots von mehr als zehn Jahren sei hier auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen.

7

Gegen das Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision und rügt eine Verletzung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Er hält die Auffassung des Verwaltungsgerichts für rechtsfehlerhaft, dass für die Befristung eine allgemeine Höchstfrist von zehn Jahren gelte, die auch in den Fällen einer erst nachträglichen Befristungsentscheidung immer vom Zeitpunkt der Ausreise an zu rechnen sei und nicht verlängert werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt das verwaltungsgerichtliche Urteil. Ergänzend verweist er darauf, dass Unionsbürger nicht schlechter behandelt werden dürften als Drittstaatsangehörige. Die nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU zu bemessende Frist dürfe daher nicht länger sein als eine nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu setzende Frist. Insofern müsse die für Drittstaatsangehörige geltende Rückführungsrichtlinie auch zu Gunsten von Unionsbürgern angewendet werden. In tatsächlicher Hinsicht ergebe sich aus einem neueren Beschluss des Amtsgerichts Bialystok vom November 2014, dass mittlerweile eine erhebliche Verbesserung seines psychischen Zustandes eingetreten sei.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige (Sprung-)Revision des Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Festsetzung der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU einen Maßstab zugrunde gelegt, der Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 VwGO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil zu den für die Befristung maßgeblichen Umständen kann der Senat weder zugunsten noch zulasten des Klägers selbst abschließend entscheiden. Daher ist das Verfahren zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der begehrten Befristung ist hier die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Als Anspruchsgrundlage für das Befristungsbegehren ist daher nunmehr § 7 Abs. 2 FreizügG/EU i.d.F. des am 9. Dezember 2014 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I 2014 S. 1922) heranzuziehen.

11

1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Der Kläger hat ein Rechtsschutzbedürfnis für sein Begehren. Die auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG 1990 verfügte Ausweisung des Klägers vom Januar 2000 hatte nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 ein gesetzliches Verbot der Wiedereinreise und des erneuten Aufenthalts im Bundesgebiet zur Folge. Dieses Verbot ist weder durch den EU-Beitritt Polens zum 1. Mai 2004 (a), noch durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU zum 1. Januar 2005 (b), noch durch die bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzende Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG (c) entfallen. Von der im Mai 2000 erfolgten Abschiebung des Klägers geht indes inzwischen keine Sperrwirkung mehr aus (d).

12

a) Die Wirkungen der Ausweisung des Klägers sind zunächst nicht bereits durch den EU-Beitritt Polens zum 1. Mai 2004 entfallen, auch wenn der Kläger damit die Unionsbürgerschaft erlangt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats zur früheren Rechtslage erstreckten sich die Rechtswirkungen einer Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 auch auf die aufenthaltsrechtliche Stellung von EG-Bürgern nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG. Das Ausländergesetz 1990 und das Aufenthaltsgesetz/EWG bildeten eine rechtliche Einheit, sodass sich die Sperrwirkungen des § 8 Abs. 2 AuslG 1990 auch im Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes/EWG auswirkten. Dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht war dadurch Rechnung getragen, dass der Ausländer spätestens bei Fortfall der die Einschränkung der Freizügigkeit rechtfertigenden Gründe die Befristung der Ausweisungswirkungen verlangen konnte (BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140, 149 f.). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach eine Einschränkung des primärrechtlichen Freizügigkeitsrechts nicht auf unbegrenzte Zeit gelten darf und ein Gemeinschaftsangehöriger deshalb das Recht hat, eine erneute Prüfung seines Falles zu verlangen, wenn die Umstände, die das Einreiseverbot gerechtfertigt hatten, seines Erachtens entfallen sind (EuGH, Urteil vom 17. Juni 1997 - C-65/95, C-111/95 [ECLI:EU:C:1997:300], Shingara und Radiom - Rn. 40).

13

b) Das gegenüber dem Kläger bestehende Einreise- und Aufenthaltsverbot ist auch nicht durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU am 1. Januar 2005 erloschen. Seitdem können Unionsbürger zwar nicht mehr ausgewiesen werden. § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU sieht im Anschluss an eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, die bei Unionsbürgern an die Stelle der Ausweisung getreten ist, aber ebenfalls ein Einreise- und Aufenthaltsverbot vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass nach der Übergangsregelung in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und der Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU die Wirkungen der "Altausweisung" eines Unionsbürgers grundsätzlich auch nach dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU fortbestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 14 f.). Dies gilt auch dann, wenn die Ausweisung - wie hier - erfolgt ist, bevor der Unionsbürger eine Freizügigkeitsberechtigung erlangt hatte und noch nach den für Drittstaatsangehörige geltenden Regeln ausgewiesen worden war (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 19. März 2012 - 3 Bs 234/11 - InfAuslR 2012, 247 Rn. 25 ff. für die nachträgliche Erlangung des Freizügigkeitsrechts eines Familienangehörigen; a.A. OVG Bremen, Urteil vom 28. September 2010 - 1 A 116/09 - InfAuslR 2011, 2 Rn. 44; VGH München, Beschluss vom 9. August 2012 - 19 CE 11.1893 - InfAuslR 2012, 404 Rn. 33).

14

Nichts anderes ergibt sich aus der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG, an der auf unionsrechtlicher Ebene die fortgeltenden gesetzlichen Rechtswirkungen der Altausweisung zu messen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12 [ECLI:EU:C:2013:569], Filev und Osmani - Rn. 40 f. zur intertemporalen Geltung der Rückführungsrichtlinie für die fortgeltenden Wirkungen vor ihrem Inkrafttreten ergriffener aufenthaltbeendender Maßnahmen). Insbesondere genügt die Befristungsregelung in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU, die in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen einer Altausweisung erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 17 zu § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F.), den Vorgaben in Art. 32 der Unionsbürgerrichtlinie hinsichtlich der zeitlichen Wirkungen eines Aufenthaltsverbots.

15

c) An der Fortgeltung des an die Ausweisung des Klägers geknüpften gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots hat schließlich auch die Rückführungsrichtlinie nichts geändert. Diese Richtlinie und ihre nationale Umsetzung in § 11 Abs. 1 AufenthG finden auf den Kläger als Unionsbürger keine Anwendung (aa). Der Kläger hat auch keinen Anspruch, aufenthaltsrechtlich nicht schlechter behandelt zu werden als ein Drittstaatsangehöriger in einer vergleichbaren Situation (bb). Dessen ungeachtet erfüllt er auch nicht die Voraussetzungen, unter denen einem ausgewiesenen Drittstaatsangehörigen das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot unabhängig von einer Befristung nicht mehr entgegengehalten werden dürfte (cc).

16

aa) Der personale Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst nach Art. 2 Abs. 1 nur Drittstaatsangehörige; auf Unionsbürger ist sie nicht anwendbar. Gleiches gilt für die nationale Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in § 11 Abs. 1 AufenthG1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 1 FreizügG/EU). Diese findet für nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger auch über die Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU keine Anwendung. Denn die Befristungsregelung in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU stellt eine Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 17 zu § 7 Abs. 2 FreizügG/EU a.F.). Der Kläger kann sich insoweit auch nicht auf das Günstigkeitsprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU berufen. Danach findet das Aufenthaltsgesetz auch dann Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das Freizügigkeitsgesetz/EU. Dies ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil es nach § 11 Abs. 1 AufenthG ebenfalls einer Befristungsentscheidung bedarf. Ob und in welchem Umfang sich in bestimmten Konstellationen bei Drittstaatsangehörigen in unmittelbarer Anwendung der Rückführungsrichtlinie ein automatischer Wegfall des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ergibt, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, da sich das Günstigkeitsprinzip nur auf das Aufenthaltsgesetz bezieht und nicht auf eventuell vorrangig anzuwendendes Unionsrecht. Im Übrigen kommt es bei dem Günstigkeitsvergleich auf eine Gesamtschau an. Bei der danach gebotenen Gesamtbetrachtung fehlt es hier an einer schlechteren Rechtsstellung. Denn das an die Ausweisung geknüpfte Einreiseverbot führt bei einem Drittstaatsangehörigen regelmäßig zu einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS) nach Art. 96 Abs. 3 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und damit zu einer Einreisesperre für das gesamte Gebiet der Schengen-Staaten (vgl. 11.1.0 der AVwV zum AufenthG), während das Einreiseverbot nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU nur für den Aufnahmemitgliedstaat gilt. Außerdem können Unionsbürger nach dessen Ablauf ohne erneute behördliche Gebietszulassungsentscheidung wieder von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen, während bei Drittstaatsangehörigen nur die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entfällt, das alte Aufenthaltsrecht aber nicht automatisch wieder auflebt.

17

bb) Eine Anwendung der für Drittstaatsangehörige geltenden Bestimmungen ist auch nicht zur Vermeidung einer unzulässigen Diskriminierung geboten. Denn das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 Abs. 1 AEUV) bezieht sich lediglich auf eine Ungleichbehandlung zwischen Unionsbürgern, nicht aber auf die hier vom Kläger gerügte Ungleichbehandlung zwischen Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - C-22/08 [ECLI:EU:C:2009:344], Vatsouras und Koupatantze - Rn. 51 f. zu Art. 12 Abs. 1 EG). Ebenso wenig verstößt die Ungleichbehandlung von Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen gegen das in Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie enthaltene Gebot der Gleichbehandlung, das nach der Rechtsprechung des EuGH als sekundärrechtliche Konkretisierung des in Art. 18 AEUV in allgemeiner Weise niedergelegten Diskriminierungsverbots zu verstehen ist (EuGH, Urteil vom 11. November 2014 - C-333/13 [ECLI:EU:C:2014:2358], Dano - Rn. 61). Die Vorschrift ist schon nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut auf Ungleichbehandlungen zwischen Unionsbürgern und den eigenen Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates beschränkt. Einer hierzu vom Kläger angeregten Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung bedarf es nicht, weil die Rechtslage insoweit geklärt und die aufgeworfene Frage außerdem nicht entscheidungserheblich ist. Soweit der Bundesgerichtshof für den Vollzug der Abschiebungshaft bei einem ausreisepflichtigen Unionsbürger die Regelungen der Rückführungsrichtlinie herangezogen hat (BGH, Beschluss vom 25. September 2014 - V ZB 194/13), betrifft diese Entscheidung die richtlinienkonforme Auslegung von § 62a AufenthG und verhält sich nicht generell zur Gleichstellung von Unionsbürgern mit Drittstaatsangehörigen. Auch aus dem nationalen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich kein Anspruch auf Gleichbehandlung, da die gesetzgeberische Differenzierung zwischen Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen auf unterschiedlichen unionsrechtlichen Vorgaben und damit auf einem hinreichenden sachlichen Grund beruht. Entsprechendes gilt für das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK.

18

cc) Dessen ungeachtet wären selbst bei Anwendung der für Drittstaatangehörige geltenden Bestimmungen die Wirkungen der gegen den Kläger verfügten Ausweisung nicht automatisch nach Ablauf von fünf Jahren ab Ausreise entfallen. Denn im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG i.V.m. Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie für ein über fünf Jahre dauerndes Einreise- und Aufenthaltsverbot vor. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie verbietet zwar grundsätzlich die Aufrechterhaltung der Wirkungen unbefristeter Einreiseverbote, die - wie hier - vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Richtlinie verhängt wurden, soweit sie über die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren hinausgehen. Dies gilt aber nicht, wenn diese Verbote gegen Drittstaatsangehörige verhängt wurden, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12 - Rn. 44). Das ist hier der Fall.

19

Die gegen den Kläger verfügte Ausweisungsverfügung war darauf gestützt, dass vom Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausging. Eine solche schwerwiegende Gefahr bestand nach den in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen (UA S. 8 oben) auch noch im hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts im Juli 2014. Daher kann auch bei Anwendung der für Drittstaatsangehörige geltenden Bestimmungen nicht von einem Erlöschen der Sperrwirkungen der Ausweisung aus dem Jahr 2000 ausgegangen werden. Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe die vorliegende Erkenntnislage fehlerhaft und ohne eigene Sachkenntnis gewürdigt, bleibt im Revisionsverfahren unberücksichtigt, da der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO an die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts gebunden ist.

20

d) Schließlich fehlt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger im Jahr 2000 abgeschoben worden ist, was nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 ebenfalls zu einem Einreise- und Aufenthaltsverbot führte. Denn diese gesetzliche Wirkung ist mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 entfallen. Wie sich aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU ergibt, führt bei Unionsbürgern nur eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU oder in Fällen, in denen das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt worden ist, inzwischen auch eine ausdrückliche Untersagung nach § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, nicht jedoch allein die Abschiebung zu einem Einreise- und Aufenthaltsverbot. Aufgrund dieser abschließenden Regelung im Freizügigkeitsgesetz scheidet hinsichtlich der Wirkungen einer vor dem 1. Januar 2005 erfolgten Abschiebung daher ein Rückgriff auf die Übergangsregelung in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG über die Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU aus.

21

2. Ob die Verpflichtungsklage begründet ist, lässt sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht abschließend entscheiden. Die Auslegung von § 7 FreizügG/EU a.F. durch das Verwaltungsgericht verletzt Bundesrecht.

22

a) Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Befristungsanspruch kommt nur § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU in seiner - während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen - aktuellen Fassung in Betracht, der auf den Kläger als ehemaligen Drittstaatsangehörigen und nunmehrigen Unionsbürger sinngemäß anzuwenden ist. Danach ist eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bereits mit Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewährt Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung ("ob"). Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 18). Nach der gesetzlichen Systematik handelt es sich aber weiterhin bei der Verlustfeststellung und der Befristung ihrer Wirkungen um zwei getrennte Verwaltungsakte (vgl. zum vergleichbaren Verhältnis zwischen der Ausweisung und der Befristung ihrer Wirkungen BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 30 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 39). Bei einer nach alter Rechtslage unbefristet ergangenen Verlustfeststellung ist die (nach neuem Recht gebotene) Befristung von Amts wegen nachzuholen. Entsprechendes gilt für eine vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes gegen einen Unionsbürger unbefristet verfügte Ausweisung.

23

Nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Bei dem Gebot zur Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls handelt es sich nach der Intention des Gesetzgebers lediglich um eine Klarstellung (vgl. BT-Drs. 18/2581 S. 17 zu Nr. 5 Buchstabe c). Der materiellrechtliche Prüfungsmaßstab hat sich hierdurch gegenüber der durch die Vorinstanz berücksichtigten Rechtslage nicht geändert. Die neu eingeführte Höchstfrist von fünf Jahren betrifft nur Fälle, in denen nach § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt worden ist, dass ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht und dem Betroffenen deshalb nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU untersagt worden ist, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten. Für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU und ihnen gleichzustellende Altausweisungen ist weiterhin keine Höchstfrist vorgesehen. Der Gesetzgeber geht nach der Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz davon aus, dass bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise bei fortbestehender Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose nicht ausgeschlossen ist (BT-Drs. 15/420 S. 105 zu § 7). Dies gilt auch für die Neufassung. Ein Wertungswiderspruch liegt in den unterschiedlichen Regelungen zur Höchstfrist nicht, weil die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU materiell eine vom Unionsbürger ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit voraussetzt, was bei § 2 Abs. 7 FreizügG/EU nicht der Fall ist. Die Gründe für die Einschränkung des Freizügigkeitsrechts wiegen damit im Fall einer Verlustfeststellung schwerer als in den Fällen des § 2 Abs. 7 FreizügG/EU.

24

Weitergehende Vorgaben für die Bestimmung der Dauer der Frist ergeben sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht auf Lebenszeit verhängt werden, seine Berechtigung ist vielmehr nach Ablauf angemessener Fristen auf Antrag des Betroffenen zu überprüfen. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juni 1997 - C-65/95, C-111/95 - Rn. 39 ff.). Diese Rechtsprechung wird im 27. Erwägungsgrund der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG aufgegriffen, in dem es heißt:

"Im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Mitgliedstaaten gegen die Begünstigten dieser Richtlinie kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit verhängen dürfen, sollte bestätigt werden, dass ein Unionsbürger oder einer seiner Familienangehörigen, gegen den ein Mitgliedstaat ein Aufenthaltsverbot verhängt hat, nach einem angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber nach Ablauf von drei Jahren nach Vollstreckung des endgültigen Aufenthaltsverbots, einen neuen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots stellen kann."

25

Diesem Anliegen entspricht die Regelung in Art. 32 der Unionsbürgerrichtlinie zu den zeitlichen Wirkungen eines Aufenthaltsverbots. Aus der Rechtsprechung des EuGH und aus der Unionsbürgerrichtlinie ergibt sich damit für die Bemessung der Sperrfrist nur die Vorgabe, dass diese nicht auf Lebenszeit ohne Möglichkeit der Verkürzung festgesetzt werden darf (vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: September 2013, § 7 FreizügG/EU, Rn. 21 - 23). Dem wird durch die Möglichkeit der nachträglichen Verkürzung in § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU Rechnung getragen.

26

b) Angesichts der auch nach neuer Rechtslage weitgehend unverändert gebliebenen normativen Vorgaben für die Bestimmung der Dauer der Frist kann zur weiteren Konkretisierung auf die Rechtsprechung des Senats zum Befristungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. zurückgegriffen werden.

27

Hiernach ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag. Im Fall einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19). Vom gleichen Ansatz ausgehend hat der Senat zum Befristungsanspruch nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausgeführt, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14.12 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 10 Rn. 14). Dies gilt auch für die im Rahmen von § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU zu treffende Prognose.

28

Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbot für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall auch zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 20).

29

c) Der Senat ist in seiner Rechtsprechung zu § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. davon ausgegangen, dass der Ausländerbehörde für die Bestimmung der Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots ein Auswahlermessen zusteht (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19). Bei Befristungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geht der Senat hingegen seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 von einer auch hinsichtlich der Dauer der Frist gebundenen Verwaltungsentscheidung aus, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33). Die für den Senat dabei maßgeblichen Erwägungen gelten auch hier. Daher ist die Rechtsprechung zu § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nach der Neufassung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU im Dezember 2014 und der durch sie bewirkten Aufwertung der Rechtsstellung des Freizügigkeitsberechtigten angesichts des offenen Wortlauts der Vorschrift auch auf die Fristbemessung der Einreisesperre nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU zu übertragen.

30

d) Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, für die Bemessung der Frist nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gelte eine Höchstfrist von zehn Jahren ab Ausreise, verstößt gegen Bundesrecht.

31

Der Senat hat bereits zur Befristungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU a.F. entschieden, dass diese auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage zu treffen und hierbei auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen ist (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19). Damit ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht vereinbar, wonach es nach einer Frist von zehn Jahren ab Ausreise nicht mehr auf eine aktuelle Gefahrenprognose ankomme. Das Verwaltungsgericht kann sich zur Stützung seiner Rechtsauffassung nicht auf die Rechtsprechung des Senats zu § 11 Abs. 1 AufenthG berufen, wonach in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann (so BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14.12 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 10 Rn. 14). Denn diese zeitliche Grenze ergibt sich allein aus der begrenzten Prognosefähigkeit und ist daher immer vom Zeitpunkt der Prognoseentscheidung aus zu berechnen. Das verkennen das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, auf den sich das Verwaltungsgericht beruft, wenn sie die Zehn-Jahres-Frist von dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt der Ausreise berechnen und es nach Fristablauf nicht mehr darauf ankommen soll, ob der Ausweisungszweck noch fortdauert (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 30. April 2014 - 11 S 244/14 - InfAuslR 2014, 365 Rn. 83). Der Senat stellt hingegen bei der Befristungsentscheidung immer auf den aktuellen Entscheidungszeitpunkt ab mit der Folge, dass auch in Fällen, in denen keine Ausreise stattgefunden hat - z.B. wegen Ausreisehindernissen aufgrund der Verfolgungsgefahr für einen Flüchtling - ggf. eine Befristung auf Null ohne Ausreise erfolgen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 f. m.w.N.).

32

e) Wendet man die für die Fristbestimmung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU maßgeblichen Grundsätze auf die in dem angefochtenen Bescheid bestimmte Frist für die Geltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bis zum 21. Mai 2024 an, erweist sich diese - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht von vornherein als unverhältnismäßig. Dies gilt auch mit Blick auf den Umstand, dass das Einreiseverbot im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts seit über 14 Jahren bestand und schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte befristet werden können. Denn bei fortbestehender Gefährdung kann, jedenfalls bei Vorliegen der für eine Verlustfeststellung erforderlichen Gefahrenlage, eine einmal getroffene Befristung von der Ausländerbehörde nachträglich auch verlängert werden. Umgekehrt hat der Kläger bei einer zukünftigen Veränderung der tatsächlichen Umstände zu seinen Gunsten nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU einen Anspruch auf Aufhebung oder Verkürzung der Frist.

33

Für eine abschließende Entscheidung fehlen dem Senat die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zur Dauer der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahr und zu seinem persönlichen Interesse an einem Aufenthalt in Deutschland. Dieser Feststellungen bedarf es, um die angemessene Sperrfrist zu bestimmen. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf den Beschluss des Amtsgerichts Bialystok vom 1. Juli 2013 lediglich festgestellt, dass vom Kläger weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (UA S. 8 oben). Es fehlt aber schon die gebotene prognostische Einschätzung, wie lange die vom Kläger ausgehende schwerwiegende Gefahr voraussichtlich noch andauern wird. Hierzu ist dem Beschluss des Amtsgerichts nichts zu entnehmen. Denn das Amtsgericht zitiert zunächst aus den ihm vorliegenden Gutachten, nach denen vom Kläger weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Begehung einer Straftat mit öffentlicher Gefährdung ausgehe, teilt die Einschätzung der Gutachter aber nicht und kommt zu dem Ergebnis, dass keine Notwendigkeit einer weiteren Unterbringung des Klägers mehr bestehe.

34

3. Das Verfahren ist mangels hinreichender gerichtlicher Feststellungen für die Fristbemessung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung erfolgt an den Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, weil die Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblich auf dessen Rechtsprechung beruht (§ 144 Abs. 5 VwGO). Für die neue Entscheidung wird insbesondere Folgendes zu berücksichtigen sein:

35

a) Der Verwaltungsgerichtshof wird zunächst auf aktueller Tatsachengrundlage aufzuklären haben, ob und gegebenenfalls welche konkrete Gefahr vom Kläger noch ausgeht. Hierbei sind auch für den Kläger nachteilige Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 30. April 2014 - 11 S 244/14 - (InfAuslR 2014, 365 Rn. 74) davon ausgeht, dass bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU nach Ablauf von sechs Monaten ab Antragstellung eingetretene Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu Lasten des Ausländers berücksichtigt werden dürften, steht dem bereits entgegen, dass § 7 Abs. 2 FreizügG/EU in seiner nunmehr maßgebenden Neufassung nicht für die - hier im Streit stehende - erstmalige Befristung (§ 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU), sondern nur für spätere Verkürzungsanträge (§ 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU) eine Bescheidungsfrist vorsieht. Dessen ungeachtet ergeben sich weder aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU noch aus Art. 32 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie Anhaltspunkte für eine Festschreibung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen zu Gunsten des Klägers. Insbesondere kann den einschlägigen Bestimmungen nicht entnommen werden, dass es sich bei der Sechs-Monats-Frist um mehr als eine bloße Bearbeitungsfrist zur effektiven Sicherung des unionsrechtlichen Anspruchs auf erneute Prüfung eines Einreiseverbots nach Änderung der maßgeblichen Umstände handelt.

36

Sollten vom Kläger weiterhin auf nicht absehbare Zeit schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, könnte dies die Aufrechterhaltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bis zum 21. Mai 2024 rechtfertigen. Ausschlaggebend ist hierfür zunächst das Gewicht der durch den Kläger bedrohten Rechtsgüter (Leib und Leben). Allerdings kann die Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen, wenn aufgrund der Ergebnisse einer im Herbst 2014 in Polen erfolgten erneuten Begutachtung des Klägers davon auszugehen ist, dass von ihm keine oder allenfalls eine geringe Gefahr ausgeht. Das Amtsgericht Bialystok kommt in seinem jüngsten Beschluss vom 26. November 2014 lediglich zu dem Ergebnis, dass vom Kläger "zurzeit keine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung" einer "Tat mit erheblichem sozialen Schädlichkeitsgrad besteht". Der Verwaltungsgerichtshof wird zu klären haben, ob bzw. mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit vom Kläger weiterhin eine Gefahr für bedeutende Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit ausgeht und für welchen Zeitraum diese Gefahrenprognose gilt.

37

b) Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine erhebliche Gefahr ausgeht, und es eine Prognose zu der Dauer der Gefährdung getroffen haben, wäre die zur Gefahrenabwehr als erforderlich angesehene Sperrfrist für die Wiedereinreise des Klägers in einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen des Klägers gegebenenfalls zu relativieren. Hierzu wird der Verwaltungsgerichtshof die zu schützenden Belange zu ermitteln und zu gewichten haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für eine Verkürzung der Frist auf der zweiten Stufe die zu schützenden persönlichen Belange umso gewichtiger sein müssen, je größer die vom Kläger ausgehende Gefahr ist.

38

Als schützenswertes Interesse kommt hier im Wesentlichen die Möglichkeit des Klägers zu einem Leben in Freiheit unter Betreuung durch seine in der Bundesrepublik lebende Mutter in Betracht. Es bedarf der Feststellung, ob die Mutter zu einer solchen Betreuung bereit und in der Lage ist. Zudem wird zu berücksichtigen sein, dass die Mutter in der Vergangenheit nicht in der Lage war, die Ausbrüche der psychischen Erkrankung des Klägers und die daraus resultierenden Gewaltakte zu verhindern. Insofern wird gegebenenfalls darzulegen sein, welche Umstände sich mittlerweile maßgeblich verändert haben. Der Gerichtshof wird sich zudem mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine ambulante Betreuung des Klägers in Polen möglich ist. Sollte er zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger gerade auf die Betreuung durch seine Mutter angewiesen ist, wird er zu prüfen haben, ob der Mutter zugemutet werden kann, die Pflege in Polen zu erbringen, zumindest für eine ein- oder zweijährige Übergangszeit (vgl. zur Angewiesenheit auf persönliche Betreuung: BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 10.12 - BVerwGE 146, 198 Rn. 37 - 39).

39

c) Was das Verhältnis des Klägers zu seiner heute erwachsenen Tochter anbelangt, ist nach Lage der Akten nicht ersichtlich, dass hier noch ein Kontakt besteht und ob sie sich überhaupt in der Bundesrepublik aufhält. Weiter ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass durch das Verbot der Wiedereinreise in die Bundesrepublik ein fortbestehendes Verhältnis des Klägers zu seiner Schwester und zu seinem Vater berührt sein könnte, die beide in der Bundesrepublik leben.

40

d) Hinsichtlich der Bindungen des Klägers an Deutschland wird zu berücksichtigen sein, dass der Kläger seit mittlerweile mehr als 14 Jahren nicht mehr in der Bundesrepublik lebt. Seine Ausweisung aus der Bundesrepublik ist seinerzeit auch auf sein Beitreiben hin erfolgt, wohl weil er dadurch vorzeitig der durch das Landgericht Stuttgart angeordneten Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung entgehen wollte. Außerdem gehört der Kläger nicht zu der Gruppe der Einwanderer der zweiten Generation, deren Bindungen an die Bundesrepublik besonders Rechnung zu tragen wäre. Er ist in Polen geboren und dort bis zum Alter von immerhin 16 Jahren aufgewachsen.

41

4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

I.

Auf Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. Juni 2015 insoweit zugelassen, als die Beklagte unter Aufhebung der Nummer 2 des Bescheides vom 1. Dezember 2014 verpflichtet wurde, die Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre ab Ausreise zu befristen.

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

III.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, soweit sein Zulassungsantrag abgelehnt worden ist.

IV.

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. Juni 2015 wird der Streitwert für das Verfahren in erster Instanz auf 10.000,-- Euro festgesetzt. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren des Klägers wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt, der Streitwert für die zugelassene Berufung vorläufig auf 5.000,-- Euro.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz überwiegend erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 1. Dezember 2014 weiter. Mit diesem Bescheid wurde der Verlust seines Freizügigkeitsrechts festgestellt (Nummer 1) und die Wirkungen der Verlustfeststellung wurden auf acht Jahre ab Ausreise befristet (Nummer 2) (II.). Die Beklagte beantragt demgegenüber, die Berufung zuzulassen, soweit mit dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. Juni 2015 die Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre ab Ausreise befristet wurden (I.).

I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil an der Richtigkeit des Urteils insoweit ernstliche Zweifel bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), als das Verwaltungsgericht die Frist für das mit der Verlustfeststellung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot von acht Jahren auf fünf Jahre ab Ausreise herabgesetzt hat. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Urteil, wonach als Orientierung für die Befristungsentscheidung die letzte strafrechtliche Verurteilung des Klägers dienen könne, steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei der Bemessung der Frist im Rahmen des § 7 Abs. 2 Satz 5 und 6 FreizügG/EU (in der ab 9. Dezember 2014 geltenden Fassung) in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen sind und es der prognostischen Einschätzung bedürfe, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liege, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge (vgl. BVerwG, U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 32; U. v. 25.3.2015 - 1 B 18.14 - juris Rn. 27; BayVGH, B. v. 19.5.2015 - 10 ZB 14.2019 - juris Rn. 5). Es ist auch nicht offensichtlich, dass sich die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Festsetzung der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 5 Jahre aus anderen Gründen als rechtmäßig erweisen könnte.

II. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Es liegen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.), noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; 2.). Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 3.) ist schon nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Ebenso wenig liegt der geltend gemachte Verfahrensmangel vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 4.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch weder bezüglich der Abweisung der Klage gegen die Verlustfeststellung (1.1) noch bezüglich der vom Verwaltungsgericht angeblich (noch) zu hoch bestimmten Dauer der Befristung der Wirkung der Verlustfeststellung (1.2) der Fall.

1.1 Das Verwaltungsgericht geht in seinem Urteil davon aus, dass die Verfügung in Nummer 1 des Bescheides vom 1. Dezember 2014 rechtmäßig sei, weil die Voraussetzungen für die von der Beklagten getroffene Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU selbst bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen nach § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU gegeben seien. Das den Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln sowie wegen Nötigung in Tatmehrheit mit schwerer räuberischer Erpressung zugrunde liegende persönliche Verhalten des Klägers begründe eine von ihm ausgehende gegenwärtige tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Eine Wiederholungsgefahr sei beim Kläger gegeben. Liege wie beim Kläger die Ursache der begangenen Straftaten in der Suchtmittelabhängigkeit, so sei nach ständiger Rechtsprechung die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr. Bisher habe der Kläger eine Drogentherapie nicht erfolgreich abgeschlossen. Auch die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU, wonach nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts die Verlustfeststellung nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden könne, und wonach bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt hätten, die Verlustfeststellung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erfolgen dürfe, lägen vor.

Der Kläger macht demgegenüber geltend, dass von ihm keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe. Er befinde sich seit dem 16. Juni 2015 im Rahmen einer Unterbringung nach § 64 StGB in der forensischen Klinik des Bezirkskrankenhauses K., wo er eine Suchttherapie absolviere, die voraussichtlich 24 Monate dauern werde. Es handle sich hierbei um die erste Drogentherapie, so dass die Chance eines erfolgreichen Therapieabschlusses deutlich erhöht sei. Zudem sei der Kläger nicht vorbestraft und befinde sich erstmals in Haft. Er arbeite bei der Therapie gut mit und erziele die zu erwartenden Fortschritte. Nach der Therapie werde der Kläger nicht abrupt, sondern Schritt für Schritt in ein normales Leben entlassen. Nach vorzeitiger Entlassung werde zwingend eine Führungsaufsicht angeordnet, welche sicherstelle, dass der Kläger stabil bleibe. Dies gelte in gleicher Weise für die strengeren Voraussetzungen nach § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU. Aufgrund der Therapiemotivation des Klägers und des Umstands, dass eine Wiedereingliederung Schritt für Schritt erfolge, die zwingend mittels staatlicher Führungsaufsicht begleitend überwacht werde, bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Kläger den zu erwartenden Auflagen nicht Folge leisten werde, so dass nicht von einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gesprochen werden könne. Die Kontinuität des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet sei durch die gegenwärtige Inhaftierung nicht abgerissen, so dass ihm auch der Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zustehe. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU lägen nur dann vor, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden sei und vom ihm eine Wiederholungsgefahr ausgehe, so dass für die Existenz des Staates wesentliche Belange gefährdet seien. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, weil bereits Maßnahmen ergriffen worden seien, um die von ihm ausgehende Gefahr, nämlich in seine Drogensucht zurückzukehren und weitere Straftaten zu begehen, in den Griff zu bekommen.

Diese Ausführungen stellen aber die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe sein Recht auf Freizügigkeit verloren, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Unionsbürgerstatus der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten ist (vgl. EuGH, U. v. 23.3.2004 - Collins, C-138/02 - juris Rn. 61), ist eine Verlustfeststellung nur dann gerechtfertigt, wenn sie sich ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Unionsbürgers stützt. Strafrechtliche Verurteilungen alleine können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten des Betroffenen muss eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaates berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH, U. v. 22.5.2012 - C-348/9 - juris Leitsatz 2; s. auch: § 6 Abs. 2 FreizügG/EU). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das der Verurteilung vom 14. April 2014 zugrunde liegende Verhalten des Klägers auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU erfüllt. Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (EuGH, U. v. 23.11.2010 - Tsakouridis, C-145/9 - juris Rn. 45 ff.; BayVGH, B. v. 6.5.2015 -10 ZB 15.231 - juris Rn. 4). Zwingende Gründe i. S.d § 6 Abs. 5 FreizügG/EU liegen jedoch nicht nur dann vor, wenn die Ausweisungsmaßnahme in Bezug auf einen Unionsbürger, der den Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat, die mit dem bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verbundene Kriminalität bekämpfen soll. Vielmehr steht es den Mitgliedstaaten frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sind, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen und eine Ausweisungsverfügung rechtfertigten können, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (EuGH, U. v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Leitsatz. 1; vgl. BayVGH, B. v. 10.12.2014 - 19 ZB 13.2013 - juris Rn. 7 m. w. N.). Illegaler Drogenhandel gehört zu den in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten Straftaten im Bereich der besonders schweren Kriminalität. Nach den Feststellungen des Strafurteils vom 31. Juli 2013 hat der Kläger zweimal von einem bislang unbekannten Lieferanten per Paket aus dem Raum Köln/Aachen mindestens 1 kg bzw. 1,78 kg Amphetamin bezogen und hierfür zur Verschleierung seiner Identität als Empfänger das Namensschild an seiner Wohnungstür ausgetauscht bzw. ergänzt. Das Amphetamin verkaufte der Kläger größtenteils aus seiner Wohnung heraus weiter und hat dadurch die Gesundheit und das Leben einer nicht unerheblichen Zahl von Menschen gefährdet. In unmittelbarer Nähe zu den für den Weiterverkauf bestimmten Amphetaminmengen bewahrte er einen Teleskopschlagstock und ein Kampfmesser auf. Den Weiterverkauf des Amphetamins hatte teilweise T. B. übernommen. Er wurde vom Kläger bzw. von vier von ihm angeworbenen Personen mit einem Küchenmesser eingeschüchtert, damit er weiter Amphetamin verkaufe bzw. bei sich in der Wohnung aufbewahre. Folglich ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Art und Begehungsweise des Drogenhandels seitens des Klägers besonders schwerwiegende Merkmale aufweist.

Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass die Gefahr bestehe, der Kläger werde sein strafbares Verhalten wiederholen. Das Erstgericht hat bezüglich der Wiederholungsgefahr entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass angesichts der langjährigen Drogensucht des Klägers der erfolgreiche Abschluss einer Drogentherapie von zentraler Bedeutung für die Prognose sei, ob der Kläger künftig weiterhin erhebliche Straftaten begehen werde. Liegt, wie beim Kläger, die Ursache der begangenen Straftaten (auch) in der Suchtmittelabhängigkeit, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr (BayVGH, B. v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 7). Auch wenn der Kläger nunmehr eine Langzeittherapie begonnen hat, derzeit abstinent in beschützender Umgebung lebt, motiviert und engagiert in der Therapie mitarbeitet und eine ausgeprägte Krankheitseinsicht zeigt, besteht die Wiederholungsgefahr nach wie vor fort. Sollte eine suchttherapeutische Behandlung nicht abgeschlossen werden, sei die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Rückfalls und eine Rückkehr zu delinquenten Verhaltensweisen als sehr hoch anzusehen (vgl. Schreiben d. Bezirkskrankenhauses K. v. 28.8.2015). Auch das Vorbringen des Klägers, er verhalte sich vorbildlich und werde auch nach Therapieende unter Führungsaufsicht und staatlicher Kontrolle stehen, lässt die Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Begehung weiterer Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität nicht entfallen. Ein Wohlverhalten unter dem Druck einer strafgerichtlich angeordneten Therapie und staatlicher Kontrolle lässt nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen. Um die erhebliche Wiederholungsgefahr im Fall des Klägers ernsthaft in Zweifel ziehen zu können, wäre nach ständiger Rechtsprechung des Senats erforderlich, dass er eine Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig straffreien Verhaltens auch nach Straf- bzw. Therapieende glaubhaft gemacht hätte (BayVGH, B. v. 10.10.2012 - 10 ZB 11.2454 - juris Rn. 9 m. w. N.).

Das Zulassungsvorbringen zur Verhältnismäßigkeit der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt vermag ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu begründen.

Insoweit bringt der Kläger vor, dass er im Falle einer Verlustfeststellung seine Therapie in Deutschland nicht zu Ende führen könne und zudem seine Resozialisierung gefährdet sei, weil sich sein gesamtes soziales Bezugsystem in Deutschland befinde. Dies sei vom Erstgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Überprüfung der Ermessensentscheidung bislang überhaupt nicht berücksichtigt worden. Zudem bestünden hinsichtlich des Zugangs des Klägers zum griechischen Gesundheitssystem keine gesicherten Erkenntnisse. Nach den allgemeinen Umständen in Griechenland sei davon auszugehen, dass er keinen Zugang zu einer erforderlichen Therapie habe. Weiterhin bringt der Kläger vor, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zur Verlustfeststellung sei verfrüht ergangen. Während des Zeitraums der Therapie und der anschließenden Führungsaufsicht gehe vom ihm keine Gefahr aus, so dass keine Notwendigkeit bestanden habe, schon jetzt die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts zu treffen. Das Verwaltungsgericht messe einer abgeschlossenen Drogentherapie eine maßgebliche Bedeutung für die zulasten des Klägers getroffene Gefahrenprognose zu, andererseits werde aber gerade durch die Verlustfeststellung eine erfolgreiche Therapie torpediert.

Gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sind bei der Entscheidung über eine Feststellung des Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt eines Unionsbürger insbesondere die Dauer des Aufenthalts in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Dieser Katalog ist zwar nicht abschließend (vgl. Kurzidem in Beck’scher Online Kommentar, AuslR, Stand: 1.8.2015, FreizügG/EU, § 6 Rn. 33). Jedoch sind bei einer Ermessensentscheidung für eine Verlustfeststellung lediglich diejenigen Faktoren zu berücksichtigen, die mit dem Zweck der Verlustfeststellung, nämlich eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu vermeiden, in Zusammenhang stehen. Ob eine solche gegenwärtige Gefährdung für den Aufnahmemitgliedstaat besteht, hängt jedoch nicht davon ab, ob der Kläger einen rechtlichen Anspruch auf Teilnahme an einer Drogentherapie hat, er in Griechenland Zugang zu einer entsprechenden Therapie hat und ob in Griechenland die Voraussetzungen für eine Rehabilitation weniger gut sind als im gewohnten sozialen Umfeld, sondern hängt vielmehr bei Straftätern, bei denen die Ursache der Straftaten in der Suchtmittelabhängigkeit liegt, vom erfolgreichen Abschluss einer entsprechenden Therapie ab (vgl. zur Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen BVerwG, B. v. 15.4.2013 - 1 B 22.12 - juris Rn. 19).

Soweit sich der Kläger zur Begründung der Unverhältnismäßigkeit der Verlustfeststellung auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. März 2012 (11 S 3269/11 - juris) bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 15. Januar 2013 (1 C 10.12 - juris) der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vertretenen Rechtsauffassung entgegengetreten ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat nochmals ausdrücklich betont, dass für die im Rahmen einer tatrichterlichen Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelte. Der Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit werde dadurch Rechnung getragen, dass an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine allzu geringen Anforderungen gestellt werden dürften. Der differenzierende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bei der Frage der Wiederholungsgefahr führe daher selbst bei Unionsbürgern nicht zu einem unionsrechtswidrigen Gefahrenexport zulasten anderer Mitgliedstaaten (BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 16).

Zum Vorbringen des Klägers, die Entscheidung der Verlustfeststellung sei ermessensfehlerhaft bzw. unverhältnismäßig, weil dem Kläger durch die verfrühte Entscheidung der Behörde die Möglichkeit abgeschnitten werde, seine positive Entwicklung im Rahmen der Therapie bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung zu berücksichtigen, ist festzustellen, dass „es nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Rechtmäßigkeit einer ausländerbehördlichen Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers darauf ankommt, ob der Betroffene eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für wichtige Rechtsgüter darstellt und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse am Verbleib des Unionsbürgers in Deutschland deutlich überwiegt. Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung ausspricht, ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus dem Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen „jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt“ (vgl. EuGH, U. v. 16.1.2014 - C-400/12 - juris Rn. 35). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich zudem, dass das Gericht keine Einwände gegen eine Verlustfeststellung nach Verbüßung von weniger als zwei Jahren einer auf insgesamt sechs Jahre und sechs Monate festgesetzten Haftstrafe erhoben hat (vgl. EuGH, U. v. 23.11.2010 - C-145/09 - juris Rn. 12 ff.). Einer positiven Entwicklung des Unionsbürgers nach Erlass der Verlustfeststellung, etwa durch eine erfolgreiche Therapie während der Strafhaft, kann durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU Rechnung getragen werden“ (vgl. zum Ganzen BVerwG, B. v. 11.9.2015 - 1 B 39.15 - juris Rn. 21 m. w. N.).

1.2 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bezüglich der durch das Verwaltungsgericht vorgenommenen (kürzeren) Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre hat der Kläger im Zulassungsantrag nicht hinreichend dargelegt. Er vertritt zwar die Auffassung, dass auch die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung auf fünf Jahre im Ergebnis unverhältnismäßig sei. Der Kläger hat aber insoweit nicht dargelegt, aufgrund welcher Belange das aus der Verlustfeststellung resultierende Einreise- und Aufenthaltsverbot auf nur ein Jahr befristet werden müsste. Auch für den Befristungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a. F. bzw. § 7 Abs. 2 Satz 5 und 6 FreizügG/EU n. F. ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie an dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d. h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und gegebenfalls relativieren lassen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange für Unionsbürger in Blick zu nehmen (vgl. zum Ganzen BVerwG, U. v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 27 ff.). Der Hinweis des Klägers auf die begonnene und - seiner Ansicht nach - voraussichtlich erfolgreiche Absolvierung einer Drogentherapie reicht hierfür jedenfalls nicht aus.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf. Eine Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 106). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die vom Kläger thematisierten Fragen zur Wiederholungsgefahr, wenn die Ursache der begangenen Straftaten in der Suchtmittelabhängigkeit liegt, und zur Berücksichtigung von Abwägungsfaktoren bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Verlustfeststellung sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 10.4.2014 - 10 ZB 13.71 - juris Rn. 6 m. w. N.) und in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hinreichend geklärt. Insoweit kann insbesondere auf die bereits genannten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 23. November 2010 (C-145/09 -juris Rn. 12) und vom 22. Mai 2012 (Tsakouridis, C-348/09 - juris Rn. 10) sowie vom 16. Januar 2014 (C-400/12 - juris) verwiesen werden. Auf die Frage, welche Auswirkungen eine Abschiebung des Klägers nach Griechenland auf dessen Resozialisierung und Gesundheit gehabt hätte, kommt es bei der hier streitgegenständlichen Verlustfeststellung nicht an, weil alleiniger Prüfungsmaßstab ist, ob vom Kläger derzeit eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaates berührt und eine Neigung des Betroffenen besteht, das Verhalten in Zukunft beizubehalten.

3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt. Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Der Kläger hat zwar drei konkrete Rechtsfragen formuliert. Er möchte geklärt haben, ob eine Wiederholungsgefahr dann nicht mehr besteht, wenn ein Betroffener durch aktive und positive Mitarbeit, insbesondere während des Vollzugs einer Strafhaft oder eines Maßregelvollzugs, welche erkennbar über ein bloßes Wohlverhalten hinausgeht, einen Resozialisierungsprozess in Gang gebracht hat. Weiter möchte er geklärt haben, ob ein positiver und erfolgversprechender Resozialisierungsprozess bei einem nicht vorbestraften, faktischen Inländer einen so gewichtigen Abwägungsfaktor bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ausmacht, dass eine Verlustfeststellung nur mit einer besonderen Begründung verfügt werden darf. Schließlich erachtet er als grundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine hinreichende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bereits dann entfällt, wenn ein betroffener faktischer Inländer, der sich erstmals in Haft befindet, gemäß § 64 StGB untergebracht wird, therapiemotiviert und bereit ist, alle Auflagen, welche ihm im Rahmen der Resozialisierung gemacht werden, zu erfüllen, und diese genannten Maßnahmen geeignet sind, sich positiv auf die Gefahrenprognose auszuwirken und das früheste Strafende zeitlich noch weit entfernt liegt. Er hat jedoch nicht dargelegt, dass die vorformulierten Fragen klärungsbedürftig sind und weshalb ihnen eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Zur Frage des Bestehens einer Wiederholungsgefahr, wenn die Ursache der begangenen Straftaten in der Suchtmittelabhängigkeit liegt, besteht umfangreiche obergerichtliche Rechtsprechung, nach der die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr ist und eine begonnene, erfolgversprechende Drogentherapie hierfür noch nicht ausreicht, sondern vielmehr die mit dem erfolgreichen Verlauf der Therapie verbundene Erwartung künftig straffreien Verhaltens auch nach Straf- bzw. Therapieende glaubhaft gemacht werden muss (BayVGH, B. v. 10.4.2014 - 10 ZB 13.71 - juris Rn. 6 m. w. N.; B. v. 21.2.2014 - 10 ZB 13.1861 - juris Rn. 6 für die Anordnung einer Maßnahme der Sicherung und Besserung nach § 64 StGB). Im Übrigen fehlt es an einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der aufgeworfenen Fragen. Die Prognose, ob der Betroffene auch in Zukunft eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, erfordert eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Beurteilung des persönlichen Verhaltens eines Unionsbürgers, das einer über den Einzelfall hinausgehenden Klärung nicht zugänglich ist.

4. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt, dass ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) durch das Verwaltungsgericht vorliege. Die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe es versäumt aufzuklären, ob und unter welchen Bedingungen dem Kläger eine Fortsetzung seiner erforderlichen Therapie in Griechenland möglich gewesen sei, greift nicht durch. Einen entsprechenden Beweisantrag hat der Kläger, der anwaltlich vertreten war, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form gestellt (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 25.7.2014 -10 ZB 14.633 - juris Rn. 19). Dem Verwaltungsgericht musste sich auch von Amts wegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Möglichkeit der Fortsetzung der Drogentherapie in Griechenland nicht aufdrängen. Die Aufklärungsrüge könnte insoweit nur dann erfolgreich sein, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem müsste der Rechtsmittelführer darlegen, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte (BayVGH, B. v. 8.10.2014 - 10 ZB 12.2742 - juris Rn. 52 m. w. N.). Die Frage, ob der Kläger in Griechenland Zugang zu einer entsprechenden Drogentherapie hätte, war für das Verwaltungsgericht jedoch nicht entscheidungserheblich, weil es zutreffend davon ausgegangen ist, dass es für das Entfallen einer Wiederholungsgefahr ausschließlich darauf ankommt, ob zum Zeitpunkt der zu treffenden Prognoseentscheidung eine Drogentherapie bereits erfolgreich absolviert ist.

Die Kostenentscheidung für den Zulassungsantrag des Klägers beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren der Beklagten bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 1 Satz 2 sowie § 52 Abs. 2 GKG. Das Verwaltungsgericht hat auch über die vom Kläger (zunächst hilfsweise) geltend gemachte Verkürzung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots entschieden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bezüglich der Verlustfeststellung und jedenfalls einer fünf Jahre ab Ausreise noch unterschreitenden Befristung der Wirkung der Verlustfeststellung rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tatbestand

1

Der im Juli 1968 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Befristung der gegen ihn im Jahr 2000 verfügten Ausweisung mit sofortiger Wirkung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU (Befristung auf Null).

2

Der Kläger reiste im Juli 1984 zusammen mit seiner Mutter und Schwester zu seinem in Deutschland arbeitenden Vater ein und erhielt im Juli 1992 einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Seine im November 1990 geschlossene Ehe mit einer brasilianischen Staatsangehörigen scheiterte. Seine Ehefrau kehrte mit der im April 1992 geborenen gemeinsamen Tochter im April 1994 nach Brasilien zurück. Die Ehe wurde im April 1999 geschieden. Der Kläger leidet seit dem 8. Lebensjahr an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose und fiel immer wieder durch aggressives Verhalten bis hin zu Gewalttätigkeiten gegen sich selbst, seine Eltern, Nachbarn, behandelnde Ärzte und Mitpatienten auf. Wegen seiner Krankheit war er mehrmals stationär in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht.

3

1999 wurde er vom Landgericht Stuttgart zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Der Entscheidung lag ein Mordversuch des Klägers an seinem Vater zugrunde, der infolge eines Messerstichs in den Kopf schwerstpflegebedürftig wurde. Mit Bescheid vom 10. Januar 2000 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger unbefristet aus Deutschland aus. Im Mai 2000 wurde er nach Polen abgeschoben. Seine geschiedenen Eltern und seine Schwester leben weiterhin in Deutschland.

4

In Polen war der Kläger nach erneuter Straffälligkeit (Messerattacke auf einen Nachbarn) von 2005 bis 2013 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Das Amtsgericht in Bialystok hob mit Beschluss vom 1. Juli 2013 die Sicherungsmaßregel gegen den Kläger auf. Der Begründung ist zu entnehmen, dass zwei Gerichtsgutachten zu dem Ergebnis gekommen sind, dass beim Kläger wegen seines psychischen Gesundheitszustandes weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Begehung einer Straftat mit öffentlicher Gefährdung bestehe. Eine weitere stationäre Unterbringung des Klägers hat das Amtsgericht aber als unverhältnismäßig angesehen.

5

Auf den 2013 gestellten Antrag auf Befristung des bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots auf Null verfügte der Beklagte im Mai 2014 eine Befristung zum 21. Mai 2024. Diese Entscheidung begründete er damit, dass vom Kläger auch in den nächsten zehn Jahren wegen seiner paranoid-halluzinatorischen Psychose erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgingen und deshalb ein starkes Interesse bestehe, ihn vom Bundesgebiet fernzuhalten.

6

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zur Befristung auf sofort verpflichtet. Ein solcher Anspruch ergebe sich für den Kläger als Unionsbürger aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Zwar gehe vom Kläger weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, wie sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bialystok vom 1. Juli 2013 ergebe. Dennoch habe er einen Anspruch auf Befristung ohne weitere Sperre angesichts der Gesamtdauer des durch die Ausweisungsentscheidung bewirkten Einreiseverbots von nunmehr 14 Jahren. Das Verwaltungsgericht verweist hierzu auf die neuere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim, wonach - unabhängig von der Fortdauer des Ausweisungszwecks - eine Ausweisung grundsätzlich auf höchstens zehn Jahre zu befristen sei und diese Frist mit der Ausreise beginne (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 30. April 2014 - 11 S 244/14 - InfAuslR 2014, 365 Rn. 83). Die Aufrechterhaltung eines Einreiseverbots von mehr als zehn Jahren sei hier auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen.

7

Gegen das Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision und rügt eine Verletzung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Er hält die Auffassung des Verwaltungsgerichts für rechtsfehlerhaft, dass für die Befristung eine allgemeine Höchstfrist von zehn Jahren gelte, die auch in den Fällen einer erst nachträglichen Befristungsentscheidung immer vom Zeitpunkt der Ausreise an zu rechnen sei und nicht verlängert werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt das verwaltungsgerichtliche Urteil. Ergänzend verweist er darauf, dass Unionsbürger nicht schlechter behandelt werden dürften als Drittstaatsangehörige. Die nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU zu bemessende Frist dürfe daher nicht länger sein als eine nach § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu setzende Frist. Insofern müsse die für Drittstaatsangehörige geltende Rückführungsrichtlinie auch zu Gunsten von Unionsbürgern angewendet werden. In tatsächlicher Hinsicht ergebe sich aus einem neueren Beschluss des Amtsgerichts Bialystok vom November 2014, dass mittlerweile eine erhebliche Verbesserung seines psychischen Zustandes eingetreten sei.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige (Sprung-)Revision des Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Festsetzung der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU einen Maßstab zugrunde gelegt, der Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 VwGO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil zu den für die Befristung maßgeblichen Umständen kann der Senat weder zugunsten noch zulasten des Klägers selbst abschließend entscheiden. Daher ist das Verfahren zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der begehrten Befristung ist hier die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Als Anspruchsgrundlage für das Befristungsbegehren ist daher nunmehr § 7 Abs. 2 FreizügG/EU i.d.F. des am 9. Dezember 2014 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I 2014 S. 1922) heranzuziehen.

11

1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Der Kläger hat ein Rechtsschutzbedürfnis für sein Begehren. Die auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG 1990 verfügte Ausweisung des Klägers vom Januar 2000 hatte nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 ein gesetzliches Verbot der Wiedereinreise und des erneuten Aufenthalts im Bundesgebiet zur Folge. Dieses Verbot ist weder durch den EU-Beitritt Polens zum 1. Mai 2004 (a), noch durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU zum 1. Januar 2005 (b), noch durch die bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzende Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG (c) entfallen. Von der im Mai 2000 erfolgten Abschiebung des Klägers geht indes inzwischen keine Sperrwirkung mehr aus (d).

12

a) Die Wirkungen der Ausweisung des Klägers sind zunächst nicht bereits durch den EU-Beitritt Polens zum 1. Mai 2004 entfallen, auch wenn der Kläger damit die Unionsbürgerschaft erlangt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats zur früheren Rechtslage erstreckten sich die Rechtswirkungen einer Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 auch auf die aufenthaltsrechtliche Stellung von EG-Bürgern nach dem Aufenthaltsgesetz/EWG. Das Ausländergesetz 1990 und das Aufenthaltsgesetz/EWG bildeten eine rechtliche Einheit, sodass sich die Sperrwirkungen des § 8 Abs. 2 AuslG 1990 auch im Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes/EWG auswirkten. Dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrecht war dadurch Rechnung getragen, dass der Ausländer spätestens bei Fortfall der die Einschränkung der Freizügigkeit rechtfertigenden Gründe die Befristung der Ausweisungswirkungen verlangen konnte (BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140, 149 f.). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach eine Einschränkung des primärrechtlichen Freizügigkeitsrechts nicht auf unbegrenzte Zeit gelten darf und ein Gemeinschaftsangehöriger deshalb das Recht hat, eine erneute Prüfung seines Falles zu verlangen, wenn die Umstände, die das Einreiseverbot gerechtfertigt hatten, seines Erachtens entfallen sind (EuGH, Urteil vom 17. Juni 1997 - C-65/95, C-111/95 [ECLI:EU:C:1997:300], Shingara und Radiom - Rn. 40).

13

b) Das gegenüber dem Kläger bestehende Einreise- und Aufenthaltsverbot ist auch nicht durch das Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU am 1. Januar 2005 erloschen. Seitdem können Unionsbürger zwar nicht mehr ausgewiesen werden. § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU sieht im Anschluss an eine Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, die bei Unionsbürgern an die Stelle der Ausweisung getreten ist, aber ebenfalls ein Einreise- und Aufenthaltsverbot vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass nach der Übergangsregelung in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und der Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU die Wirkungen der "Altausweisung" eines Unionsbürgers grundsätzlich auch nach dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes/EU fortbestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 14 f.). Dies gilt auch dann, wenn die Ausweisung - wie hier - erfolgt ist, bevor der Unionsbürger eine Freizügigkeitsberechtigung erlangt hatte und noch nach den für Drittstaatsangehörige geltenden Regeln ausgewiesen worden war (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 19. März 2012 - 3 Bs 234/11 - InfAuslR 2012, 247 Rn. 25 ff. für die nachträgliche Erlangung des Freizügigkeitsrechts eines Familienangehörigen; a.A. OVG Bremen, Urteil vom 28. September 2010 - 1 A 116/09 - InfAuslR 2011, 2 Rn. 44; VGH München, Beschluss vom 9. August 2012 - 19 CE 11.1893 - InfAuslR 2012, 404 Rn. 33).

14

Nichts anderes ergibt sich aus der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG, an der auf unionsrechtlicher Ebene die fortgeltenden gesetzlichen Rechtswirkungen der Altausweisung zu messen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12 [ECLI:EU:C:2013:569], Filev und Osmani - Rn. 40 f. zur intertemporalen Geltung der Rückführungsrichtlinie für die fortgeltenden Wirkungen vor ihrem Inkrafttreten ergriffener aufenthaltbeendender Maßnahmen). Insbesondere genügt die Befristungsregelung in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU, die in sinngemäßer Anwendung auch die fortwirkenden Rechtsfolgen einer Altausweisung erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 17 zu § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F.), den Vorgaben in Art. 32 der Unionsbürgerrichtlinie hinsichtlich der zeitlichen Wirkungen eines Aufenthaltsverbots.

15

c) An der Fortgeltung des an die Ausweisung des Klägers geknüpften gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots hat schließlich auch die Rückführungsrichtlinie nichts geändert. Diese Richtlinie und ihre nationale Umsetzung in § 11 Abs. 1 AufenthG finden auf den Kläger als Unionsbürger keine Anwendung (aa). Der Kläger hat auch keinen Anspruch, aufenthaltsrechtlich nicht schlechter behandelt zu werden als ein Drittstaatsangehöriger in einer vergleichbaren Situation (bb). Dessen ungeachtet erfüllt er auch nicht die Voraussetzungen, unter denen einem ausgewiesenen Drittstaatsangehörigen das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot unabhängig von einer Befristung nicht mehr entgegengehalten werden dürfte (cc).

16

aa) Der personale Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst nach Art. 2 Abs. 1 nur Drittstaatsangehörige; auf Unionsbürger ist sie nicht anwendbar. Gleiches gilt für die nationale Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in § 11 Abs. 1 AufenthG1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 1 FreizügG/EU). Diese findet für nicht (mehr) freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger auch über die Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU keine Anwendung. Denn die Befristungsregelung in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU stellt eine Sonderregelung im Sinne des § 11 Abs. 2 FreizügG/EU dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 17 zu § 7 Abs. 2 FreizügG/EU a.F.). Der Kläger kann sich insoweit auch nicht auf das Günstigkeitsprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU berufen. Danach findet das Aufenthaltsgesetz auch dann Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das Freizügigkeitsgesetz/EU. Dies ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil es nach § 11 Abs. 1 AufenthG ebenfalls einer Befristungsentscheidung bedarf. Ob und in welchem Umfang sich in bestimmten Konstellationen bei Drittstaatsangehörigen in unmittelbarer Anwendung der Rückführungsrichtlinie ein automatischer Wegfall des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ergibt, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, da sich das Günstigkeitsprinzip nur auf das Aufenthaltsgesetz bezieht und nicht auf eventuell vorrangig anzuwendendes Unionsrecht. Im Übrigen kommt es bei dem Günstigkeitsvergleich auf eine Gesamtschau an. Bei der danach gebotenen Gesamtbetrachtung fehlt es hier an einer schlechteren Rechtsstellung. Denn das an die Ausweisung geknüpfte Einreiseverbot führt bei einem Drittstaatsangehörigen regelmäßig zu einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS) nach Art. 96 Abs. 3 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und damit zu einer Einreisesperre für das gesamte Gebiet der Schengen-Staaten (vgl. 11.1.0 der AVwV zum AufenthG), während das Einreiseverbot nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU nur für den Aufnahmemitgliedstaat gilt. Außerdem können Unionsbürger nach dessen Ablauf ohne erneute behördliche Gebietszulassungsentscheidung wieder von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen, während bei Drittstaatsangehörigen nur die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entfällt, das alte Aufenthaltsrecht aber nicht automatisch wieder auflebt.

17

bb) Eine Anwendung der für Drittstaatsangehörige geltenden Bestimmungen ist auch nicht zur Vermeidung einer unzulässigen Diskriminierung geboten. Denn das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 Abs. 1 AEUV) bezieht sich lediglich auf eine Ungleichbehandlung zwischen Unionsbürgern, nicht aber auf die hier vom Kläger gerügte Ungleichbehandlung zwischen Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - C-22/08 [ECLI:EU:C:2009:344], Vatsouras und Koupatantze - Rn. 51 f. zu Art. 12 Abs. 1 EG). Ebenso wenig verstößt die Ungleichbehandlung von Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen gegen das in Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie enthaltene Gebot der Gleichbehandlung, das nach der Rechtsprechung des EuGH als sekundärrechtliche Konkretisierung des in Art. 18 AEUV in allgemeiner Weise niedergelegten Diskriminierungsverbots zu verstehen ist (EuGH, Urteil vom 11. November 2014 - C-333/13 [ECLI:EU:C:2014:2358], Dano - Rn. 61). Die Vorschrift ist schon nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut auf Ungleichbehandlungen zwischen Unionsbürgern und den eigenen Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates beschränkt. Einer hierzu vom Kläger angeregten Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung bedarf es nicht, weil die Rechtslage insoweit geklärt und die aufgeworfene Frage außerdem nicht entscheidungserheblich ist. Soweit der Bundesgerichtshof für den Vollzug der Abschiebungshaft bei einem ausreisepflichtigen Unionsbürger die Regelungen der Rückführungsrichtlinie herangezogen hat (BGH, Beschluss vom 25. September 2014 - V ZB 194/13), betrifft diese Entscheidung die richtlinienkonforme Auslegung von § 62a AufenthG und verhält sich nicht generell zur Gleichstellung von Unionsbürgern mit Drittstaatsangehörigen. Auch aus dem nationalen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich kein Anspruch auf Gleichbehandlung, da die gesetzgeberische Differenzierung zwischen Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen auf unterschiedlichen unionsrechtlichen Vorgaben und damit auf einem hinreichenden sachlichen Grund beruht. Entsprechendes gilt für das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK.

18

cc) Dessen ungeachtet wären selbst bei Anwendung der für Drittstaatangehörige geltenden Bestimmungen die Wirkungen der gegen den Kläger verfügten Ausweisung nicht automatisch nach Ablauf von fünf Jahren ab Ausreise entfallen. Denn im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG i.V.m. Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie für ein über fünf Jahre dauerndes Einreise- und Aufenthaltsverbot vor. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie verbietet zwar grundsätzlich die Aufrechterhaltung der Wirkungen unbefristeter Einreiseverbote, die - wie hier - vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Richtlinie verhängt wurden, soweit sie über die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren hinausgehen. Dies gilt aber nicht, wenn diese Verbote gegen Drittstaatsangehörige verhängt wurden, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 - C-297/12 - Rn. 44). Das ist hier der Fall.

19

Die gegen den Kläger verfügte Ausweisungsverfügung war darauf gestützt, dass vom Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausging. Eine solche schwerwiegende Gefahr bestand nach den in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen (UA S. 8 oben) auch noch im hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts im Juli 2014. Daher kann auch bei Anwendung der für Drittstaatsangehörige geltenden Bestimmungen nicht von einem Erlöschen der Sperrwirkungen der Ausweisung aus dem Jahr 2000 ausgegangen werden. Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe die vorliegende Erkenntnislage fehlerhaft und ohne eigene Sachkenntnis gewürdigt, bleibt im Revisionsverfahren unberücksichtigt, da der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO an die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts gebunden ist.

20

d) Schließlich fehlt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger im Jahr 2000 abgeschoben worden ist, was nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG 1990 ebenfalls zu einem Einreise- und Aufenthaltsverbot führte. Denn diese gesetzliche Wirkung ist mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 entfallen. Wie sich aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU ergibt, führt bei Unionsbürgern nur eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU oder in Fällen, in denen das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts festgestellt worden ist, inzwischen auch eine ausdrückliche Untersagung nach § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU, nicht jedoch allein die Abschiebung zu einem Einreise- und Aufenthaltsverbot. Aufgrund dieser abschließenden Regelung im Freizügigkeitsgesetz scheidet hinsichtlich der Wirkungen einer vor dem 1. Januar 2005 erfolgten Abschiebung daher ein Rückgriff auf die Übergangsregelung in § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG über die Rückverweisung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU aus.

21

2. Ob die Verpflichtungsklage begründet ist, lässt sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht abschließend entscheiden. Die Auslegung von § 7 FreizügG/EU a.F. durch das Verwaltungsgericht verletzt Bundesrecht.

22

a) Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Befristungsanspruch kommt nur § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU in seiner - während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen - aktuellen Fassung in Betracht, der auf den Kläger als ehemaligen Drittstaatsangehörigen und nunmehrigen Unionsbürger sinngemäß anzuwenden ist. Danach ist eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bereits mit Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewährt Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf Befristung ("ob"). Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 18). Nach der gesetzlichen Systematik handelt es sich aber weiterhin bei der Verlustfeststellung und der Befristung ihrer Wirkungen um zwei getrennte Verwaltungsakte (vgl. zum vergleichbaren Verhältnis zwischen der Ausweisung und der Befristung ihrer Wirkungen BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 30 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 39). Bei einer nach alter Rechtslage unbefristet ergangenen Verlustfeststellung ist die (nach neuem Recht gebotene) Befristung von Amts wegen nachzuholen. Entsprechendes gilt für eine vor Inkrafttreten des Freizügigkeitsgesetzes gegen einen Unionsbürger unbefristet verfügte Ausweisung.

23

Nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Bei dem Gebot zur Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls handelt es sich nach der Intention des Gesetzgebers lediglich um eine Klarstellung (vgl. BT-Drs. 18/2581 S. 17 zu Nr. 5 Buchstabe c). Der materiellrechtliche Prüfungsmaßstab hat sich hierdurch gegenüber der durch die Vorinstanz berücksichtigten Rechtslage nicht geändert. Die neu eingeführte Höchstfrist von fünf Jahren betrifft nur Fälle, in denen nach § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt worden ist, dass ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht und dem Betroffenen deshalb nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU untersagt worden ist, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten. Für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU und ihnen gleichzustellende Altausweisungen ist weiterhin keine Höchstfrist vorgesehen. Der Gesetzgeber geht nach der Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz davon aus, dass bei Unionsbürgern ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise bei fortbestehender Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose nicht ausgeschlossen ist (BT-Drs. 15/420 S. 105 zu § 7). Dies gilt auch für die Neufassung. Ein Wertungswiderspruch liegt in den unterschiedlichen Regelungen zur Höchstfrist nicht, weil die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU materiell eine vom Unionsbürger ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit voraussetzt, was bei § 2 Abs. 7 FreizügG/EU nicht der Fall ist. Die Gründe für die Einschränkung des Freizügigkeitsrechts wiegen damit im Fall einer Verlustfeststellung schwerer als in den Fällen des § 2 Abs. 7 FreizügG/EU.

24

Weitergehende Vorgaben für die Bestimmung der Dauer der Frist ergeben sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht auf Lebenszeit verhängt werden, seine Berechtigung ist vielmehr nach Ablauf angemessener Fristen auf Antrag des Betroffenen zu überprüfen. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juni 1997 - C-65/95, C-111/95 - Rn. 39 ff.). Diese Rechtsprechung wird im 27. Erwägungsgrund der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG aufgegriffen, in dem es heißt:

"Im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Mitgliedstaaten gegen die Begünstigten dieser Richtlinie kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit verhängen dürfen, sollte bestätigt werden, dass ein Unionsbürger oder einer seiner Familienangehörigen, gegen den ein Mitgliedstaat ein Aufenthaltsverbot verhängt hat, nach einem angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber nach Ablauf von drei Jahren nach Vollstreckung des endgültigen Aufenthaltsverbots, einen neuen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots stellen kann."

25

Diesem Anliegen entspricht die Regelung in Art. 32 der Unionsbürgerrichtlinie zu den zeitlichen Wirkungen eines Aufenthaltsverbots. Aus der Rechtsprechung des EuGH und aus der Unionsbürgerrichtlinie ergibt sich damit für die Bemessung der Sperrfrist nur die Vorgabe, dass diese nicht auf Lebenszeit ohne Möglichkeit der Verkürzung festgesetzt werden darf (vgl. auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: September 2013, § 7 FreizügG/EU, Rn. 21 - 23). Dem wird durch die Möglichkeit der nachträglichen Verkürzung in § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU Rechnung getragen.

26

b) Angesichts der auch nach neuer Rechtslage weitgehend unverändert gebliebenen normativen Vorgaben für die Bestimmung der Dauer der Frist kann zur weiteren Konkretisierung auf die Rechtsprechung des Senats zum Befristungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. zurückgegriffen werden.

27

Hiernach ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag. Im Fall einer langfristig fortbestehenden Rückfall- bzw. Gefährdungsprognose ist ein langfristiger Ausschluss der Wiedereinreise nicht ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19). Vom gleichen Ansatz ausgehend hat der Senat zum Befristungsanspruch nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausgeführt, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14.12 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 10 Rn. 14). Dies gilt auch für die im Rahmen von § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU zu treffende Prognose.

28

Die sich an der Erreichung des Zwecks der Verlustfeststellung orientierende äußerste Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet ein rechtsstaatliches Mittel dafür, fortwirkende einschneidende Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbot für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 6 Abs. 3 FreizügG/EU genannten schutzwürdigen Belange des Unionsbürgers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls nach Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen ist, kann im Extremfall auch zu einer Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt führen (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 20).

29

c) Der Senat ist in seiner Rechtsprechung zu § 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU a.F. davon ausgegangen, dass der Ausländerbehörde für die Bestimmung der Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots ein Auswahlermessen zusteht (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19). Bei Befristungen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG geht der Senat hingegen seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 von einer auch hinsichtlich der Dauer der Frist gebundenen Verwaltungsentscheidung aus, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33). Die für den Senat dabei maßgeblichen Erwägungen gelten auch hier. Daher ist die Rechtsprechung zu § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nach der Neufassung des § 7 Abs. 2 FreizügG/EU im Dezember 2014 und der durch sie bewirkten Aufwertung der Rechtsstellung des Freizügigkeitsberechtigten angesichts des offenen Wortlauts der Vorschrift auch auf die Fristbemessung der Einreisesperre nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU zu übertragen.

30

d) Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, für die Bemessung der Frist nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gelte eine Höchstfrist von zehn Jahren ab Ausreise, verstößt gegen Bundesrecht.

31

Der Senat hat bereits zur Befristungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU a.F. entschieden, dass diese auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage zu treffen und hierbei auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen ist (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19). Damit ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht vereinbar, wonach es nach einer Frist von zehn Jahren ab Ausreise nicht mehr auf eine aktuelle Gefahrenprognose ankomme. Das Verwaltungsgericht kann sich zur Stützung seiner Rechtsauffassung nicht auf die Rechtsprechung des Senats zu § 11 Abs. 1 AufenthG berufen, wonach in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann (so BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 14.12 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 10 Rn. 14). Denn diese zeitliche Grenze ergibt sich allein aus der begrenzten Prognosefähigkeit und ist daher immer vom Zeitpunkt der Prognoseentscheidung aus zu berechnen. Das verkennen das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, auf den sich das Verwaltungsgericht beruft, wenn sie die Zehn-Jahres-Frist von dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt der Ausreise berechnen und es nach Fristablauf nicht mehr darauf ankommen soll, ob der Ausweisungszweck noch fortdauert (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 30. April 2014 - 11 S 244/14 - InfAuslR 2014, 365 Rn. 83). Der Senat stellt hingegen bei der Befristungsentscheidung immer auf den aktuellen Entscheidungszeitpunkt ab mit der Folge, dass auch in Fällen, in denen keine Ausreise stattgefunden hat - z.B. wegen Ausreisehindernissen aufgrund der Verfolgungsgefahr für einen Flüchtling - ggf. eine Befristung auf Null ohne Ausreise erfolgen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 f. m.w.N.).

32

e) Wendet man die für die Fristbestimmung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU maßgeblichen Grundsätze auf die in dem angefochtenen Bescheid bestimmte Frist für die Geltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bis zum 21. Mai 2024 an, erweist sich diese - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht von vornherein als unverhältnismäßig. Dies gilt auch mit Blick auf den Umstand, dass das Einreiseverbot im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts seit über 14 Jahren bestand und schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte befristet werden können. Denn bei fortbestehender Gefährdung kann, jedenfalls bei Vorliegen der für eine Verlustfeststellung erforderlichen Gefahrenlage, eine einmal getroffene Befristung von der Ausländerbehörde nachträglich auch verlängert werden. Umgekehrt hat der Kläger bei einer zukünftigen Veränderung der tatsächlichen Umstände zu seinen Gunsten nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU einen Anspruch auf Aufhebung oder Verkürzung der Frist.

33

Für eine abschließende Entscheidung fehlen dem Senat die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zur Dauer der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahr und zu seinem persönlichen Interesse an einem Aufenthalt in Deutschland. Dieser Feststellungen bedarf es, um die angemessene Sperrfrist zu bestimmen. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf den Beschluss des Amtsgerichts Bialystok vom 1. Juli 2013 lediglich festgestellt, dass vom Kläger weiterhin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (UA S. 8 oben). Es fehlt aber schon die gebotene prognostische Einschätzung, wie lange die vom Kläger ausgehende schwerwiegende Gefahr voraussichtlich noch andauern wird. Hierzu ist dem Beschluss des Amtsgerichts nichts zu entnehmen. Denn das Amtsgericht zitiert zunächst aus den ihm vorliegenden Gutachten, nach denen vom Kläger weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Begehung einer Straftat mit öffentlicher Gefährdung ausgehe, teilt die Einschätzung der Gutachter aber nicht und kommt zu dem Ergebnis, dass keine Notwendigkeit einer weiteren Unterbringung des Klägers mehr bestehe.

34

3. Das Verfahren ist mangels hinreichender gerichtlicher Feststellungen für die Fristbemessung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung erfolgt an den Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, weil die Entscheidung des Verwaltungsgerichts maßgeblich auf dessen Rechtsprechung beruht (§ 144 Abs. 5 VwGO). Für die neue Entscheidung wird insbesondere Folgendes zu berücksichtigen sein:

35

a) Der Verwaltungsgerichtshof wird zunächst auf aktueller Tatsachengrundlage aufzuklären haben, ob und gegebenenfalls welche konkrete Gefahr vom Kläger noch ausgeht. Hierbei sind auch für den Kläger nachteilige Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Soweit der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 30. April 2014 - 11 S 244/14 - (InfAuslR 2014, 365 Rn. 74) davon ausgeht, dass bei Befristungsentscheidungen nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU nach Ablauf von sechs Monaten ab Antragstellung eingetretene Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr zu Lasten des Ausländers berücksichtigt werden dürften, steht dem bereits entgegen, dass § 7 Abs. 2 FreizügG/EU in seiner nunmehr maßgebenden Neufassung nicht für die - hier im Streit stehende - erstmalige Befristung (§ 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU), sondern nur für spätere Verkürzungsanträge (§ 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU) eine Bescheidungsfrist vorsieht. Dessen ungeachtet ergeben sich weder aus § 7 Abs. 2 FreizügG/EU noch aus Art. 32 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie Anhaltspunkte für eine Festschreibung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen zu Gunsten des Klägers. Insbesondere kann den einschlägigen Bestimmungen nicht entnommen werden, dass es sich bei der Sechs-Monats-Frist um mehr als eine bloße Bearbeitungsfrist zur effektiven Sicherung des unionsrechtlichen Anspruchs auf erneute Prüfung eines Einreiseverbots nach Änderung der maßgeblichen Umstände handelt.

36

Sollten vom Kläger weiterhin auf nicht absehbare Zeit schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, könnte dies die Aufrechterhaltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bis zum 21. Mai 2024 rechtfertigen. Ausschlaggebend ist hierfür zunächst das Gewicht der durch den Kläger bedrohten Rechtsgüter (Leib und Leben). Allerdings kann die Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen, wenn aufgrund der Ergebnisse einer im Herbst 2014 in Polen erfolgten erneuten Begutachtung des Klägers davon auszugehen ist, dass von ihm keine oder allenfalls eine geringe Gefahr ausgeht. Das Amtsgericht Bialystok kommt in seinem jüngsten Beschluss vom 26. November 2014 lediglich zu dem Ergebnis, dass vom Kläger "zurzeit keine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung" einer "Tat mit erheblichem sozialen Schädlichkeitsgrad besteht". Der Verwaltungsgerichtshof wird zu klären haben, ob bzw. mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit vom Kläger weiterhin eine Gefahr für bedeutende Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit ausgeht und für welchen Zeitraum diese Gefahrenprognose gilt.

37

b) Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine erhebliche Gefahr ausgeht, und es eine Prognose zu der Dauer der Gefährdung getroffen haben, wäre die zur Gefahrenabwehr als erforderlich angesehene Sperrfrist für die Wiedereinreise des Klägers in einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen des Klägers gegebenenfalls zu relativieren. Hierzu wird der Verwaltungsgerichtshof die zu schützenden Belange zu ermitteln und zu gewichten haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für eine Verkürzung der Frist auf der zweiten Stufe die zu schützenden persönlichen Belange umso gewichtiger sein müssen, je größer die vom Kläger ausgehende Gefahr ist.

38

Als schützenswertes Interesse kommt hier im Wesentlichen die Möglichkeit des Klägers zu einem Leben in Freiheit unter Betreuung durch seine in der Bundesrepublik lebende Mutter in Betracht. Es bedarf der Feststellung, ob die Mutter zu einer solchen Betreuung bereit und in der Lage ist. Zudem wird zu berücksichtigen sein, dass die Mutter in der Vergangenheit nicht in der Lage war, die Ausbrüche der psychischen Erkrankung des Klägers und die daraus resultierenden Gewaltakte zu verhindern. Insofern wird gegebenenfalls darzulegen sein, welche Umstände sich mittlerweile maßgeblich verändert haben. Der Gerichtshof wird sich zudem mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine ambulante Betreuung des Klägers in Polen möglich ist. Sollte er zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger gerade auf die Betreuung durch seine Mutter angewiesen ist, wird er zu prüfen haben, ob der Mutter zugemutet werden kann, die Pflege in Polen zu erbringen, zumindest für eine ein- oder zweijährige Übergangszeit (vgl. zur Angewiesenheit auf persönliche Betreuung: BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 10.12 - BVerwGE 146, 198 Rn. 37 - 39).

39

c) Was das Verhältnis des Klägers zu seiner heute erwachsenen Tochter anbelangt, ist nach Lage der Akten nicht ersichtlich, dass hier noch ein Kontakt besteht und ob sie sich überhaupt in der Bundesrepublik aufhält. Weiter ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass durch das Verbot der Wiedereinreise in die Bundesrepublik ein fortbestehendes Verhältnis des Klägers zu seiner Schwester und zu seinem Vater berührt sein könnte, die beide in der Bundesrepublik leben.

40

d) Hinsichtlich der Bindungen des Klägers an Deutschland wird zu berücksichtigen sein, dass der Kläger seit mittlerweile mehr als 14 Jahren nicht mehr in der Bundesrepublik lebt. Seine Ausweisung aus der Bundesrepublik ist seinerzeit auch auf sein Beitreiben hin erfolgt, wohl weil er dadurch vorzeitig der durch das Landgericht Stuttgart angeordneten Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung entgehen wollte. Außerdem gehört der Kläger nicht zu der Gruppe der Einwanderer der zweiten Generation, deren Bindungen an die Bundesrepublik besonders Rechnung zu tragen wäre. Er ist in Polen geboren und dort bis zum Alter von immerhin 16 Jahren aufgewachsen.

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4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsantragsverfahren wird abgelehnt.

III.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens.

IV.

Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Berufungszulassung, um im Ergebnis die Aufhebung des Bescheides des Landratsamtes N. vom 6. März 2009 zu erreichen, soweit darin festgestellt wurde, dass er sein Recht auf Einreise und Aufenthalt als freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger verloren hat (Nr. I des Bescheides), und ihm die Abschiebung nach Österreich oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, angedroht worden ist (Nr. III).

Mit dem angefochtenen Urteil vom 9. April 2013 hat das Verwaltungsgericht die erhobene Anfechtungsklage insoweit abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das Landratsamt sei für die angefochtenen ausländerrechtlichen Maßnahmen örtlich zuständig gewesen. Die von der zuständigen Behörde verfügte Aberkennung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) halte einer rechtlichen Überprüfung stand. Ausreisefrist, Abschiebungsandrohung und Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung auf fünf Jahre ab Ausreise des Klägers entsprächen den gesetzlichen Vorgaben.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Berufungszulassungsantrag. Das Landratsamt N. sei für den Erlass des Bescheides örtlich nicht zuständig gewesen. Es fehle an ausreichenden Gründen für eine Aberkennung des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Insbesondere hätte das Verwaltungsgericht weiter aufklären müssen, ob eine konkrete Gefährdung für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit bzw. eine Rückfallwahrscheinlichkeit bestehe. Das vorliegende psychiatrische Sachverständigengutachten sei veraltet, die vom Landratsamt getroffene Ermessensentscheidung fehlerhaft.

II.

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten), des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (z. B. BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546/547), mithin diese Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2010 - 7 AV 4/03 - DVBl 2004, 838/839). Solche ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.

Das Verwaltungsgericht hat unter Verweis auf § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 5 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten zur Ausführung des Aufenthaltsgesetzes und ausländerrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen (ZustVAuslR) die örtliche Zuständigkeit des Landratsamtes N. für den Erlass des Bescheides vom 6. März 2009 bejaht. Abzustellen sei auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers. Dieser sei mit seiner Familie mit „Einzugsdatum: 03.09.2002“ im Landkreis N. angemeldet worden. Seither sei die Familie im Landkreis N. wohnhaft geblieben. Die mit der Haftentlassung im Januar 2013 erfolgte Rückkehr zu seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen sei nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt in Frage gestanden. Deshalb habe der Kläger auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Haftanstalt begründet. Dies hält den Rügen des Klägers stand.

Zwar weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass er bei seiner Festnahme am 11. Januar 2001 noch im Landkreis R., also im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Landratsamts R., wohnhaft gewesen ist. Darauf kommt es aber wegen der Ummeldung in den Landkreis N. vor Einleitung des streitgegenständlichen Verwaltungsverfahrens (Aktenanforderung durch das Landratsamt N. unter dem 17.9.2002, Bl. 848 der Ausländerakte; Anhörung vor Erlass eines Ausweisungsbescheids vom 16.10.2003, Bl. 862 der Ausländerakte) und vor Erlass des Bescheides nicht an. Der Kläger konnte auch ab dem 3. September 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis N. trotz des Aufenthalts in einer nicht in diesem Landkreis befindlichen Haftanstalt begründen, denn im Landkreis N. befand sich ab diesem Zeitpunkt unstreitig die Hauptwohnung seiner Familie. Dementsprechend hat der Kläger in einem Schreiben vom 31. August 2010 an das Verwaltungsgericht im dortigen Verfahren RO 9 K 10.1606 (Bl.1) u. a. erklärt, er sei mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet, die Ehe bestehe auch über die Haftzeit weiter, sie hätten zwei gemeinsame Söhne, sodann: „Mein fester Wohnsitz ist bei meiner Ehefrau seit der Inhaftierung gemeldet: 92…H., S. …, zur Zeit aber in Haft.“. Bei der angegebenen Adresse handelt es sich um den mit dem Einzugsdatum 3. September 2002 begründeten Familienwohnsitz im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Landratsamts N. Seinen Hauptwohnsitz im Landkreis N. hat der Kläger auch bis heute beibehalten.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch nicht aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers, die Voraussetzungen für den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 FreizügG/EU seien nicht gegeben, insbesondere sei das psychiatrische Gutachten aus dem Jahr 2009 veraltet, es habe auch eine andere Zielsetzung gehabt, und das Verwaltungsgericht habe für den Kläger sprechende Umstände nicht ausreichend berücksichtigt.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u. a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, § 6 Abs. 2 FreizügG/EU. Auch sind bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen, § 6 Abs. 3 FreizügG/EU. Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Absatz 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden, § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, § 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Im Fall einer Verurteilung wegen Straftaten ist § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dient, dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter dem Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Zudem setzt eine Verlustfeststellung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EUGH - U.v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris).

Das Verwaltungsgericht hat - wie das Landratsamt davon ausgehend, dass der Kläger sich auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen kann - diese rechtlichen Vorgaben bei seiner Entscheidung beachtet und ist auf ihrer Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeben sind. Die das angefochtene Urteil tragenden Erwägungen hat der Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Soweit der Kläger vorträgt, die für eine Verlustfeststellung erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU könnten nicht hinreichend aus dem im Auftrag der Strafvollstreckungskammer erstellten Gutachten des Psychiaters Dr. B., W. vom 6. August 2009 abgeleitet werden, trifft dies nicht zu (vgl. S. 8 ff dieses Beschlusses). Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Prüfung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EUGH, U.v. 22.5.2012 a. a. O.), regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erfordert. Die inmitten stehende Frage der Wiederholungsgefahr nach einer strafrechtlichen Verurteilung kann von den Gerichten vielmehr regelmäßig ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden. Denn die Gerichte bewegen sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die den Richtern allgemein zugänglich sind (BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82/89, B.v. 14.3.1997 - 1 B 63/97, B.v. 22.10.2008 - 1 B 5/08 jeweils m. w. N. - jeweils juris). Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Ausnahme von dieser Regel deshalb in Betracht kommen könnte, weil die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzen würde, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich wäre (wie z. B. bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen, vgl. BVerwG, B.v. 4.5.1990, v.14.3.1997 und v. 22.10.2008, jeweils a. a. O.) hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Dem Gutachten vom 6. August 2009 ist zu entnehmen, dass die Persönlichkeit des Klägers zwar dissozial akzentuiert, aber nicht pathologisch entwickelt ist.

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das Landratsamt und das Verwaltungsgericht zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für die Verlustfeststellung deshalb bejaht haben, weil der Kläger mit Urteil des Landgerichts R. vom 15. November 2001, welches rechtskräftig vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 21. August 2002 bestätigt wurde, unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 8 Fällen, des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 305 Fällen, in 194 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, in 9 Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung verurteilt wurde. Zu Recht hat das Landratsamt (bestätigt durch das Verwaltungsgericht) u. a. ausgeführt, dass sich die zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit des Weiteren daraus ergeben, dass der Kläger in der Vergangenheit eine Vielzahl weiterer Straftaten begangen habe (14 noch nicht getilgte Eintragungen im Bundeszentralregister zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses), dass er die in dem rechtskräftigem Urteil des Landgerichts R. vom 15. November 2001 behandelten Straftaten ausschließlich aus persönlichen Motiven heraus und bewusst, ohne Druck oder Zwang, vielmehr frei und aus eigener Entscheidung begangen habe und dass sein Leben gekennzeichnet sei durch deliktische und antisoziale Verhaltensweisen, einen unsteten Lebenswandel sowie durch die Tendenz, in zwischenmenschlichen Situationen dem Gegenüber erhöhten Argwohn und Misstrauen entgegenzubringen. Auch sei die zuletzt verhängte Freiheitsstrafe von 12 Jahren nicht zur Bewährung ausgesetzt worden. Ausschlaggebend für die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe seien neben der Vielzahl der Fälle insbesondere der lange Zeitraum, über den sich das deliktische Tun erstreckt habe, die Steigerung der Intensität des Vorgehens bei den strafrechtlichen Handlungen und die Herabsetzung der Hemmschwelle im Verlauf des kriminellen Geschehens gewesen. Auch stellten die genannten Sexualdelikte gegenüber einem Kind und einer Schutzbefohlenen eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar; der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gesellschaft. Zudem führe ein derartiger sexueller Missbrauch, hier der Stieftochter, regelmäßig zur Zerstörung der psychischen und physischen Persönlichkeit des Opfers. Der Kläger habe unter Missbrauch seiner Autorität als Erwachsener - besonders als Stiefvater und Erziehender - ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf das Opfer und auf die Familie jahrelang Sexualdelikte an der Stieftochter begangen. Ein minderschwerer Fall des sexuellen Missbrauchs liege nach dem Strafurteil in keinem Fall vor. Die Intensität und Dauer der Delikte habe sich bis hin zur Vergewaltigung gesteigert. Auf das körperliche und psychische Wohl der Stieftochter habe er keinerlei Rücksicht genommen, er habe sie zur Verschwiegenheit verpflichtet und angedroht, dass sonst sie und die Geschwister in ein Heim kämen. Dadurch habe er die Stieftochter zusätzlich unter erheblichen psychischen Druck gesetzt. Er habe seine Vertrauensstellung ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf die Folgen seines Tuns und auf die Familie ausgenutzt, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen und seinen Willen durchzusetzen. Diese Ausführungen des Landratsamtes, welche, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, belegen, dass die Taten des Klägers dem Bereich besonders schwerer Kriminalität im Sinne des Art. 83 Abs. 1 Satz 2 AEUV (sexuelle Ausbeutung von Kindern) zuzurechnen sind, bestätigen die Auffassung, es lägen hinreichend zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU vor. Sie belegen auch hinreichend die Neigung des Klägers, sein Verhalten in Zukunft beizubehalten. Dabei sind, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht ausführt, an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 -, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13/11, jeweils juris). Die Folgen der am 15. November 2001 abgeurteilten Straftaten des Klägers sind dem oberen Bereich der Schwereskala zuzurechnen.

Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit ergeben sich zudem aus dem Gutachten des Psychiaters Dr. B., W., vom 6. August 2009. Grundsätzlich kann das Gutachten eines Sachverständigen - auch wenn es die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern hierfür nur eine Hilfestellung bieten kann - als ein geeignetes Beweismittel zur letztlich maßgeblichen richterlichen Überzeugungsbildung über das Bestehen einer Wiederholungsgefahr in Betracht kommen (BVerwG, B.v 13.3.2009 - 1 B 20/08 - juris). Auch ist maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 - juris). Mithin konnte das Verwaltungsgericht dieses Gutachten, welches erst nach dem Bescheid des Landratsamtes vom 6. März 2009 erstellt wurde, bei seiner Beurteilung heranziehen.

Die Feststellungen dieses Gutachtens, wonach weiterhin gewichtige Anhaltspunkte für die Gefahr erneuter schwerer Straftaten bestehen, insbesondere auch Sexualstraftaten durch den Kläger, hat dieser im vorliegenden Verfahren beanstandet als überholt, alt, nicht mehr zutreffend und zudem zu einer anderen Fragestellung und zu einem anderen Zweck erstellt. Der Kläger befinde sich nun wieder (seit Januar 2013) bei seiner Familie; die Ausgangslage für die Beurteilung einer eventuell weiteren Straffälligkeit oder erheblichen Gefahr habe sich geändert. Auch dieser Vortrag begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, Anhaltspunkte dafür, dass das Gutachten des Psychiaters Dr. B. wegen seither eingetretener Umstände nicht mehr verwertbar sein könnte, seien nicht zu sehen. Dies ist nicht zu beanstanden. Zum einen ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger nach Erstellung des psychiatrischen Gutachtens seine Weigerung, die an seiner Stieftochter gegangenen Sexualstraftaten anzuerkennen, aufgegeben und begonnen hat, sich mit den Taten auseinanderzusetzen sowie sich einer nach dem Gutachten angezeigten psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. Vielmehr führt die Justizvollzugsanstalt A. in ihrer Stellungnahme vom 11. Juli 2012 an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht R. u. a. aus, der Kläger habe in allen hier durchgeführten Gesprächen stets seine Unschuld in den Vordergrund gestellt. Es handle sich um einen noch nicht therapierten Sexualstraftäter, der die Tat leugne. Eine sozialtherapeutische Behandlung wäre dringend erforderlich, habe jedoch aus Gründen, die in der Person des Klägers lägen, nicht durchgeführt werden können, da er während der Haft keinerlei Bereitschaft gezeigt habe, sich mit seiner Sexualdelinquenz auseinanderzusetzen. In den Delikten komme neben der Sexualproblematik insbesondere eine dissoziale Komponente zum Ausdruck. Hinsichtlich der Begehung erneuter Sexualstraftaten - besonders im häuslichen Nahbereich - bestehe aufgrund der nicht behandelten persönlichen Problematik und der Auseinandersetzung mit den Delikten ein hohes Rückfallrisiko. Diese Einschätzung hat die Justizvollzugsanstalt in ihrem gegenüber dem Verwaltungsgericht abgegebenen Führungsbericht vom 7. November 2012 wiederholt. Seine Ablehnung einer Aufarbeitung der von ihm begangenen Sexualstraftaten hat der Kläger sodann auch in der Folgezeit beibehalten. So hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 9. April 2013 auf die Frage, ob er inzwischen eine Therapie bei der Fachambulanz für Sexualstraftäter aufgenommen habe, geantwortet: „Ich habe einen ersten Termin am 18. April 2013. Sie werden aber von mir keine Therapie erwarten können, weil ich die mir zur Last gelegten Straftaten nicht begangen habe und die Beurteilung nur auf den Aussagen einer notorischen Lügnerin beruht“. Es ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kläger diese Haltung nunmehr geändert hätte.

Das Verwaltungsgericht konnte bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten des Klägers eine im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, auch auf das im Auftrag der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts A. erstellte Gutachten des Psychiaters Dr. B. zurückgreifen. Das Landgericht A. erteilte den Gutachtensauftrag im Rahmen der Klärung, ob die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren aus dem Urteil des Landgerichts R. vom 15. November 2001 gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dabei war das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zu berücksichtigen, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB. Dies steht auch im hiesigen Verfahren inmitten, wobei im Ausländerrecht ein größerer Zeitraum zu prognostizieren ist. Der Umstand, dass das Landgericht das Gutachten im Rahmen anderer gesetzlicher Vorschriften verwertete als das Verwaltungsgericht, ändert nichts an dessen Geeignetheit, im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU Verwendung zu finden.

Entscheidungserhebliche veränderte Umstände sind auch nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger im Januar 2013 aus der Haft entlassen wurde, seither mit seiner Ehefrau zusammenlebt und neue Straftaten nicht bekannt geworden sind. Das unauffällige Verhalten des Klägers seit der Haftentlassung ist nicht geeignet, den anderen vorliegenden Informationen über Persönlichkeit und Verhalten des Klägers ihre gewichtige Prognosebedeutung zu nehmen, zumal viel dafür spricht, dass das derzeitige Wohlverhalten des Klägers durch das anhängige verwaltungsgerichtliche Verfahren begründet ist. Der Senat verweist insoweit (wiederholend) darauf, dass der Kläger über einen langen Zeitraum seine zu Beginn der Taten zwölfjährige Stieftochter in einer Vielzahl von Fällen sexuell missbraucht hat. Dabei hat er sein schädigendes Tatverhalten bis zum erzwungenen Geschlechtsverkehr gesteigert. Der Kläger hat eine erhebliche kriminelle Energie aufgewandt und seine sexuellen Wünsche rücksichtslos durchgesetzt. Die Strafliste des Klägers weist für den Zeitraum von 1981 bis 2000 weitere 13 strafrechtliche Verurteilungen auf. Der Kläger leugnet die von ihm begangenen Sexualstraftaten und setzt sich dementsprechend nicht mit ihnen auseinander. Eine therapeutische Aufarbeitung der in den von ihm begangenen Straftaten zum Ausdruck kommenden erheblichen Persönlichkeitsdefizite wurde nicht vorgetragen, erst recht nicht deren erfolgreicher Abschluss. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass bei ihm eine Neigung besteht, das Verhalten, das er insbesondere bei der Begehung der Sexualstraftaten gezeigt hat, künftig beizubehalten (vgl. EuGH, , U.v. 22.5.2012 - C 348/09 - juris), ist mithin nicht erschüttert worden.

Das Verwaltungsgericht hat die nach Maßgabe von § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensausübung des Beklagten nicht beanstandet. Auch insoweit bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

Der Kläger trägt insoweit vor, in dem Bescheid des Beklagten und im Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass er seit 1987 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei, mit dieser sowie den beiden 1989 und 1993 geborenen gemeinsamen Söhnen wie seinem Schwiegervater, der auch zu pflegen sei, zusammenlebe, sich bereits seit 1970 anfangs mit kleinen Unterbrechungen, in Deutschland befinde, bereits über 60 Jahre alt sei (geboren am 25.5.1952), gesundheitlich angeschlagen sei, sich in Österreich nicht mehr in einen Arbeitsprozess eingliedern könne, dort für Jahre nicht ohne seine Familie auskommen könne, seine gesamte wirtschaftliche Position in Österreich verlieren würde, keinerlei Bindung mehr zu Österreich habe, der Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland sich als „zweite Strafe“ erweise und wegen der verhängten Führungsaufsicht die Gefahr einer Wiederholungstat - die tatsächlich nicht gegeben sei - von vornherein erheblich unwahrscheinlicher sei.

Dem gegenüber ist festzuhalten, dass das Landratsamt in seinem Bescheid vom 9. März 2009 die persönlichen Umstände des Klägers und sein Privatinteresse an einem weiteren Aufenthalt und Verbleib im Bundesgebiet gewürdigt und nach Abwägung aller Umstände gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalts als nachrangig eingestuft hat. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, das Landratsamt habe bei seiner Abwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die persönlichen Belange des Klägers berücksichtigt sowie fehlerfrei gewertet und gewichtet. Es habe rechtsfehlerfrei dem öffentlichen Interesse an der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts den Vorzug gegenüber den privaten Belangen des Klägers eingeräumt. Die Behörde habe insbesondere die lange Dauer der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaft des Klägers sehr wohl gesehen, die auch die zwölfjährige Inhaftierung überstanden habe. Sie habe Wege aufgezeigt, wie sich diese Lebensgemeinschaft nach der Aberkennung des Freizügigkeitsrechts aufrechterhalten lasse, sei es durch eine Übersiedlung der Familie nach Österreich, sei es durch Besuche und Telekommunikation während der auf fünf Jahre befristeten Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zu seinem angeblich angegriffenen Gesundheitszustand habe der Kläger weder etwas glaubhaft gemacht, noch dargetan, was einer etwaigen erforderlichen Behandlung in Österreich entgegenstehen würde. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass der Kläger zu keinem Mitglied seiner großen Herkunftsfamilie in Österreich noch Kontakt habe, so wäre dies auch kein Grund, seine Rückkehr dorthin als unzumutbar anzusehen. Insgesamt sei keinesfalls zu erkennen, dass die Folgen der Verlustfeststellung außer Verhältnis stünden zu dem mit ihr verfolgten Schutzzweck.

Damit wurden durch das Landratsamt und das Verwaltungsgericht die vorgetragenen privaten Interessen des Klägers auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Kenntnis genommen und angemessen bewertet. Insbesondere wurden die nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange des Klägers, nämlich die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zu seinem Heimatland zutreffend in die Abwägung eingestellt und rechtsfehlerfrei der Schutz der öffentlichen Sicherheit höher gewichtet als die berücksichtigungsfähigen gewahrten Interessen des Klägers.

Die verfügte Verlustfeststellung ist auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK oder Art. 6 GG als unverhältnismäßig anzusehen. Folgend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07, BVerwG, U.v. 23.10.2007 - 1 C 10/07 - jeweils juris) und den maßgeblichen Kriterien seitens des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, U.v.13.10.2011 - 41548/06 - juris) sind die persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sowie das öffentliche Interesse zutreffend abgewogen und gewichtet worden.

Nicht zu beanstanden ist auch, wenn das Verwaltungsgericht die Ausführungen des Beklagten in seinem Bescheid, der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Kosten für Betreuungs- und Therapiemaßnahmen verursacht werde, sei beträchtlich, nicht als Verstoß gegen § 6 Abs. 6 FreizügG/EU wertete. Nach dieser Vorschrift dürfen die Entscheidungen oder Maßnahmen, die den Verlust des Aufenthaltsrechts oder des Daueraufenthaltsrechts betreffen, nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, es handle sich ersichtlich nur um eine Aussage zu den Auswirkungen der vom Kläger begangenen und im Wiederholungsfall zu befürchtenden Verbrechen. Der Formulierung sei nicht zu entnehmen, dass die Aberkennung der Freizügigkeit der Einsparung von öffentlichen Leistungen dienen solle. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Beklagtenvertreter haben zudem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, die Verlustfeststellung sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, etwa um Sozialleistungen zu sparen. Damit haben sie, soweit die diesbezügliche Aussage im Bescheid vom 9. März 2009 als Teil der Ermessensausübung anzusehen sein sollte, ihre Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO zulässig klargestellt bzw. ergänzt.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Januar 2014 (C-400/12 - juris). Der EuGH hat für Recht erkannt, dass Art. 28 Abs.3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG (auf dem § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU beruht), dahin auszulegen ist, dass der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein muss und vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen ist (Rn. 24 ff.). Des Weiteren ist die Vorschrift dahin auszulegen, dass ein Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne der Bestimmung zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat (Rn. 33 ff.). Der Beklagte schließt daraus, der Kläger könne sich deshalb wegen seiner schon jahrelangen Inhaftierung zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung nicht auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, die Verlustfeststellung sei vielmehr gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU bereits aus schwerwiegenden Gründen möglich. Der Kläger tritt dem entgegen. Es kann dahinstehen, ob durch die genannte Entscheidung des EuGH im vorliegenden Fall eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist. Jedenfalls ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, wenn die Behörde und das Verwaltungsgericht dem Kläger zu dessen Gunsten den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zugebilligt haben und die Bejahung der danach für die Verlustfeststellung erforderlichen Voraussetzungen nicht zu beanstanden ist.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.

a) Besondere tatsächliche Schwierigkeiten entstehen einer Rechtssache durch einen besonders unübersichtlichen und/oder einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt. Dies ist unter Würdigung der aufklärenden Tätigkeit des Verwaltungsgerichts zu beurteilen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 33). Davon ausgehend bietet der Sachverhalt keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten. Die für die Beurteilung der Frage, ob gegen den Kläger rechtmäßig eine Verlustfeststellung gemäß § 6 FreizügG/EU ausgesprochen werden kann, erforderlichen Tatsachen haben der Beklagte und das Verwaltungsgericht ermittelt.

b) Eine Rechtssache weist besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn eine kursorische, aber sorgfältige, die Sache überblickende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt. Die Offenheit des Ergebnisses charakterisiert die besondere rechtliche Schwierigkeit und rechtfertigt - insbesondere zur Fortentwicklung des Rechts - die Durchführung des Berufungsverfahrens (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 16, 25, 27).

Die erforderliche Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung erlaubt hier die Prognose, dass diese zurückzuweisen wäre. Dabei ist der unmittelbare sachliche Zusammenhang des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO mit Abs. 2 Nr. 1 VwGO in den Blick zu nehmen (Happ in Eyermann, a. a. O. Rn. 25). Da hier die von dem Kläger vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht bestehen (vgl. Nr. 1 des Beschlusses) ist die Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtlich nicht besonders schwierig. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Verlustfeststellung gemäß Art. 28 Abs. 2, Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG i.V. mit § 6 FreizügG/EU sind durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für den vorliegenden Fall geklärt (vgl. EuGH , U.v. 22.5.2012 - C 348/09, U.v. 16.1.2014 - C-400/12 - jeweils juris). Die Frage, ob die vom Kläger begangenen Straftaten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen sind, die geeignet sind, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen können, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (vgl. EuGH , U.v. 22.5.2012 a. a. O.), kann aufgrund der dem Senat vorgelegten behördlichen und gerichtlichen Akten geklärt werden. Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die eine Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. EuGH a. a. O.). Welche Erkenntnisse zur Kriminalprognose des Klägers erforderlich sind, insbesondere ob das psychiatrische Gutachten des Dr. B. vom 6. August 2009 Verwendung finden kann, lässt sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 4.5.1990 - 1 B 82.89, B.v. 14.3.1997 - 1 B 63.97, B.v. 22.10.2008 - 1 B 5.08 -, B.v. 13.3.2009 - 1 B 20/08 - jeweils juris) beantworten.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit, vgl. insgesamt Happ in Eyermann VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36, § 124a Rn. 72). Die Gründe dafür sind nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen. Eine solche Rechtsfrage hat der Kläger hier nicht aufgeworfen. Er hat vielmehr allgemein auf die möglichen erheblichen Folgen einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren für ihn und seine Familie hingewiesen. Damit hat er die unzweifelhaft gegebene Bedeutung des Rechtsstreits für ihn und seine Familie betont, ohne aber deren grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darzulegen.

4. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.

Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe die zum einen ausdrücklich beantragte und zum zweiten dem Gericht sich auch aufdrängende Begutachtung des Klägers nicht vorgenommen. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.

Ein Verfahrensbeteiligter kann regelmäßig nur dann mit Erfolg geltend machen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, wenn er die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, U.v. 22.8.1985 - 3 C 17.85 - Buchholz 310 § 108 Nr. 175). Daran fehlt es. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter - wie hier der Kläger - in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich beantragt hat (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2001 - 6 B 6.01 - juris). Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers wurde ausweisweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. April 2013 nicht gestellt. Nicht ausreichend ist, dass der Kläger im Schriftsatz vom 9. Januar 2013 zum Beweis der Tatsache, dass von ihm keinerlei Gefahren mehr ausgehen, die Bestellung eines Sachverständigen angeboten hat. Ein derartiges Beweisangebot stellt lediglich eine Anregung dar, die einen förmlichen, in der mündlichen Verhandlung zu stellenden (§ 86 Abs. 2 VwGO) Beweisantrag nicht ersetzt (BVerwG, B.v. 6.3.1995 - 6 B 81/94 - juris). Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich dem Gericht eine weitere Sachverhaltsermittlung oder Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen oder sonst geboten gewesen wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hatte keine Veranlassung, zu der Frage der Wiederholungsgefahr ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats ist geklärt, dass die Feststellung der vom Kläger ausgehenden Sicherheitsgefahren ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens getroffen werden kann. Zur Beurteilung künftiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedarf es nur in Ausnahmefällen - etwa bei der Begutachtung psychischer Erkrankungen - der Einholung eines Sachverständigengutachtens (BVerwG, B.v. 4.5.1990 - 1 B 82.89, B.v. 4.3.1997 - 1 B 63.97, 22.10.2008 - 1 B 5/08 - juris). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall liegen nicht vor. Auch war es dem Verwaltungsgericht nicht verwehrt, das psychiatrische Gutachten des Dr. B. vom 6. August 2009 heranzuziehen. Dazu wird auf die Ausführungen unter Nr. 1 verwiesen. Ebenso wenig musste es sich für das Verwaltungsgericht aufdrängen, zur Frage der Gefahrenprognose den Sachverhalt durch die Einvernahme von Zeugen weiter aufzuklären. Ein Beweisantrag zur Zeugeneinvernahme wurde in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Es musste sich dem Verwaltungsgericht auch in Anbetracht der sonstigen Erkenntnisquellen nicht aufdrängen, gemäß der schriftsätzlichen Beweisanregung die Ehefrau des Klägers und dessen Bewährungshelfer als Zeugen zur Beurteilung der Gefährlichkeit und der Kriminalprognose des Klägers zu vernehmen.

Abzulehnen war auch das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers, denn der Zulassungsantrag hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Bezug genommen wird auf die Ausführungen unter Nummern 1 bis 4.

Kosten des Zulassungsverfahrens: § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.