Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss, 10. Juni 2014 - VGH N 29/14

ECLI:ECLI:DE:VERFGRP:2014:0610.VGHN29.14.0A
bei uns veröffentlicht am10.06.2014

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Tenor

1. Die Zwischenverfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Präsident Dr. C. ist nicht von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.

3. Der von dem Präsidenten Dr. C. mit dienstlicher Äußerung vom 16. April 2014 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

1

Die Zwischenverfahren, in denen der Verfassungsgerichtshof entsprechend § 13a Abs. 3 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – ohne mündliche Verhandlung und Mitwirkung des betroffenen Mitglieds entscheidet, betreffen die dienstliche Äußerung des Präsidenten Dr. C. vom 16. April 2013.

I.

2

1. Die Antragsteller wenden sich in den Ausgangsverfahren gegen das vom Landtag Rheinland-Pfalz beschlossene Gesetz zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs vom 8. Oktober 2013 (GVBl. S. 349) in Verbindung mit dem Landeshaushaltsgesetz 2014/2015 (GVBl. S. 515) mit dem Ziel, die dort getroffene Neuregelung des kommunalen Finanzausgleich als verfassungswidrig feststellen zu lassen.

3

2. Präsident Dr. C. hat unter dem 16. April 2014 die folgende dienstliche Äußerung abgegeben:

4

„[Z]u den oben bezeichneten Verfahren weise ich vorsorglich auf folgenden Umstand hin:

5

Ich habe in dem Verfahren VGH N 3/11 betreffend §§ 5 bis 13 des Landesfinanzausgleichgesetzes vom 30. November 1999 (GVBl. S. 415) in der Fassung des Dritten Landesgesetzes zur Änderung des Landesfinanzausgleichsgesetzes vom 12. Juni 2007 (GVBl. S. 80) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Landeshaushaltsgesetzes 2007/2008 vom 19. Dezember 2006 (GVBl. S. 421) zu dem Vorlagebeschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Dezember 2010 – 2 A 10738/09.OVG – für den in diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren seinerzeit äußerungsberechtigten Landtag in meiner damaligen dienstlichen Funktion des Direktors beim Landtag den Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2012 wahrgenommen. In diesem Termin habe ich in Einklang mit der Stellungnahme des Landtags vom 15. Juni 2011 die Verfassungsmäßigkeit der im damaligen Verfahren zur Überprüfung gestellten Normen verteidigt. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Urteil vom 14. Februar 2012 die genannten Normen für unvereinbar mit Art. 49 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 bis 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz erklärt (AS 41, 29 ff.). Weder vor noch nach diesem Termin war ich unmittelbar mit dem Verfahren befasst.

6

Auch wenn die oben genannten Verfahren einen anderen Gegenstand als die nun zur Entscheidung anstehenden Normenkontrollverfahren betreffen, die Terminswahrnehmung bereits mehr als zwei Jahre zurückliegt und für einen weder an dem damaligen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof noch in dem Ausgangsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Beteiligten, sondern für einen lediglich Äußerungsberechtigten erfolgt ist, kann ich nicht ausschließen, dass dieser Umstand zum Anlass genommen wird, meine Unbefangenheit in den o.g. Verfahren in Frage zu stellen. Ich bitte daher um eine Entscheidung nach § 13a Abs. 4 VerfGHG (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 10. Januar 2014 - VGH B 35/12 -, NVwZ-RR 2014, 249 f.).“

7

3. Den Antragstellerinnen, dem Antragsteller, den Anschlussantragstellern sowie den Äußerungsberechtigten (§ 25 Abs. 1 VerfGHG) wurde die dienstliche Äußerung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Landtag hat mitgeteilt, es bestünden keine Bedenken gegen die Mitwirkung des Präsidenten Dr. C.. Die Antragstellerinnen, der Antragsteller und die Anschlussantragsteller sowie die Landesregierung haben von einer Stellungnahme abgesehen.

II.

8

Präsident Dr. C. ist von der Mitwirkung nicht gemäß § 13 VerfGHG kraft Gesetzes ausgeschlossen (1.). Auch besteht bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aus der hier maßgeblichen Sicht der Antragsteller und der in diesem Verfahren Äußerungsberechtigten (§ 25 Abs. 1 VerfGHG) kein Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (§ 13a VerfGHG) (2.).

9

1. Präsident Dr. C. ist in den vorliegenden Verfahren nicht kraft Gesetzes von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen (§ 13 VerfGHG).

10

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 VerfGHG ist ein Richter des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

11

Diese Bestimmung ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal „derselben Sache“ in § 13 Abs. 1 Nr. 2 VerfGHG ist stets in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinne zu verstehen. Zu einem Ausschluss kann deshalb regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen (vgl. zu § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG: BVerfG, Beschlüsse vom 19. März 2013 – 1 BvR 2635/12 –, NJW 2013, 1587 [1588], und Beschluss vom 26. Februar 2014 – 1 BvR 471/10 u.a. –, NJW 2014, 1227 m.w.N.). Auch die Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter oder -vertreter in einem sonstigen Verfahren genügt hierfür daher selbst dann nicht, wenn dessen Gegenstand mit demjenigen des zur Entscheidung anstehenden Verfahrens teilweise übereinstimmt (BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 2004 – 2 BvF 1/98 –, BVerfGE 109, 130 [131]).

12

Präsident Dr. C. war hiernach nicht von Amts wegen „in derselben Sache“ im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VerfGHG tätig. Die vorliegenden Verfahren der abstrakten Normenkontrolle sind gegenüber dem seinerzeitigen Verfahren VGH N 3/11 unabhängig. Gegenstand des damaligen und der jetzigen Verfahren sind verschiedene Gesetze, welche lediglich insoweit Bezüge zueinander aufweisen, als sie – jedoch in unterschiedlicher Ausgestaltung – den kommunalen Finanzausgleich regeln. Vorliegend stehen damit erst nach dem Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens in Kraft getretene „neue“ Normen zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung.

13

2. Der von Präsident Dr. C. angezeigte Umstand gibt  bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aus der hier maßgeblichen Sicht der Antragsteller und der Äußerungsberechtigten auch keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (§ 13a VerfGHG).

14

a) Bei der dienstlichen Äußerung des Präsidenten Dr. C. handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 13a Abs. 4 VerfGHG. Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es reicht vielmehr aus, dass er – wie vorliegend – Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen (VerfGH RP, Beschluss vom 10. Januar 2014 – VGH B 35/12 –, NVwZ-RR 2014, 249 f.; vgl. zu § 19 Abs. 3 BVerfGG: BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 2000 – 2 BvF 1/00 –, BVerfGE 102, 192 [194]; vom 18. Juni 2003 – 2 BvR 383/03 –, BVerfGE 108, 122 [126]; und vom 19. Januar 2004 – 2 BvF 1/98 –, BVerfGE 109, 130 [131]).

15

b) Der von dem Präsidenten Dr. C. mit dienstlicher Äußerung vom 16. April 2014 angezeigte Sachverhalt begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, der geeignet wäre, Zweifel an seiner Unparteilichkeit auszulösen.

16

aa) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Verfassungsgerichtshofs setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgeblich ist nicht, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 2/98 u.a. –, BVerfGE 101, 46 [50 f.]; vom 12. Juli 2000 – 2 BvF 1/00 –, BVerfGE 102, 192 [194 f.]; vom 18. Juni 2003 – 2 BvR 383/03 –, BVerfGE 108, 122 [126]; und vom 19. Januar 2004 – 2 BvF 1/98 –, BVerfGE 109, 130 [132]). Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es darum, bereits den „bösen Schein“ einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 122 [129]). Die Anwendung der §§ 13 und 13a VerfGHG garantiert den in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz verbürgten Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 2. Dezember 2003 – VGH B 13/03 –, AS 31, 85 [97]). Für die Entscheidung über die Selbstablehnung nach § 13a Abs. 4 VerfGHG gilt daher der gleiche Maßstab wie bei der Ablehnung durch Verfahrensbeteiligte nach § 13a Abs. 1 VerfGHG (VerfGH RP, Beschluss vom 10. Januar 2014 – VGH B 35/12 –, NVwZ-RR 2014, 249  f.).

17

Die Sorge, dass der Richter die streitige Rechtsfrage nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, kann danach bestehen, wenn er sich  als Bevollmächtigter eines an einem früheren Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof Beteiligten zu verfassungsrechtlichen Fragen geäußert hat und der in dem früheren Verfahren verfolgte Rechtsstandpunkt auch im anhängigen Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn der aktuelle Antrag die in dem seinerzeitigen Verfahren angegriffenen Vorschriften erneut zur Überprüfung stellt, sodass beide Verfahren zumindest teilweise denselben Gegenstand betreffen (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Februar 1997 – 1 BvR 2306/96 u.a. –, BVerfGE 95, 189 [191 f.]; vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 2/98 u.a. –, BVerfGE 101, 46 [51]; und vom 19. Januar 2004 – 2 BvF 1/98 –, BVerfGE 109, 130 [132]). Umgekehrt ist dies regelmäßig dann nicht der Fall, wenn neue Normen zur Überprüfung gestellt sind, welche lediglich thematische Überschneidungen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung aufwerfen.

18

Es kommt mithin letztlich darauf an, ob durch die Tätigkeit als Prozessvertreter in einem früheren Verfahren eine zeitliche und sachliche Verklammerung mit den zur Entscheidung anstehenden Verfahren gebildet wird, die auch nicht durch Zeitablauf oder andere Ereignisse zwischenzeitlich aufgelöst ist und die sich als Übernahme einer „Gewährfunktion“ für die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen gerade in den vorliegenden Verfahren darstellt. Die Übernahme einer solchen Gewährfunktion kann sich dabei auch aus einer Gesamtbetrachtung ergeben (BVerfG, Beschlüsse vom 5. April 1990 – 2 BvR 413/88 –, BVerfGE 82, 30 [39]; vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 2/98 u.a. –, BVerfGE 101, 46 [52 f.]; und vom 26. Februar 2014 – 1 BvR 471/10 u.a. -, NJW 2014, 1227 [1228]).

19

bb) Hieran gemessen vermag die Tatsache, dass Präsident Dr. C. in dem damaligen Verfahren für den seinerzeit äußerungsberechtigten Landtag in seiner seinerzeitigen dienstlichen Funktion des Direktors beim Landtag den Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2012 wahrgenommen und in diesem Termin in Einklang mit der Stellungnahme des Landtags vom 15. Juni 2011 die Verfassungsmäßigkeit der zur Überprüfung gestellten Normen verteidigt hat, eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu stützen.

20

In der Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass ohne Hinzutreten weiterer Umstände die bloße Prozessvertretung in einem abgeschlossenen Verfahren, auch wenn sich in diesem ähnliche verfassungsrechtliche Fragen wie in einem laufenden Verfahren gestellt haben, nicht die Übernahme eine Gewährfunktion erzeugt (BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 1999 – 2 BvF 2/98 u.a. –, BVerfGE 101, 46 [52 f.]). So liegen die Dinge hier: Die Tätigkeit des Präsidenten Dr. C. hat sich auf die Terminwahrnehmung als Beauftragter des Präsidenten des Landtags beschränkt, der für den Landtag in verfassungsgerichtlichen Verfahren Stellung nimmt und sich hierzu des Wissenschaftlichen Dienstes der Landtagsverwaltung als Justitiariat bedient. Es stehen vorliegend auch nicht identische Normen zur Überprüfung an (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 2004 – 2 BvF 1/98 –, BVerfGE 109, 130 [132]). Die seinerzeit angegriffenen Bestimmungen sind vielmehr vom Verfassungsgerichtshof mit der Wirkung des § 26 Abs. 2 VerfGHG für unvereinbar mit der Verfassung für Rheinland-Pfalz erklärt worden.

21

Schließlich kommen im konkreten Fall keine weiteren Umstände hinzu, welche geeignet wären, eine Gewährfunktion auszulösen und so die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass Präsident Dr. C. als Vertreter des in dem damaligen wie heutigen Verfahren äußerungsberechtigten Landtags in der mündlichen Verhandlung aufgetreten ist, keine andere Betrachtung. Er hat nach Abschluss des damaligen Verfahrens weder das alte noch das neue Regelungskonzept des kommunalen Finanzausgleichs kommentiert oder gar nachdrücklich verteidigt (vgl. dazu entsprechend BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2014 – 1 BvR 471/10 u.a. -, NJW 2014, 1227 [1228]), noch war er mit der Neukonzeption in irgendeiner Weise befasst.

22

Dies gilt auch im Hinblick auf seine damalige Funktion des Direktors beim Landtag und damit Amtschef der Landtagsverwaltung. So wie die bloße Zugehörigkeit zum Bereich der Verwaltung als solche noch nicht zwangsläufig an der nötigen Distanz und Unabhängigkeit der richterlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz hinsichtlich der von ihnen zu beurteilenden verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zweifeln lässt (VerfGH RP, Beschluss vom 2. Dezember 2003 – VGH B 13/03 –, AS 31, 85 [96]), gilt dies erst recht für eine Tätigkeit, die nicht neben dem Richteramt ausgeübt wird, sondern zeitlich vor der Ernennung zum Richter ausgeübt wurde (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. Mai 1953 – 1 BvR 344/51 –, BVerfGE 2, 299 [300]; vom 6. April 1976 – 2 BvR 812/74 –, BVerfGE 42, 88 [90]; vom 7. Dezember 1976 – 1 BvR 460/72 –, BVerfGE 43, 126 [128]).

23

Insoweit gibt es auch nicht zuletzt angesichts der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs (§§ 6 Abs. 2, 18 Abs. 1 VerfGHG) keine „Nachwirkung“ der früheren Tätigkeit.

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Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 18


(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er 1. an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 19


(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. (2) Die Ablehnung ist zu

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Bundesverfassungsgericht Beschluss, 19. März 2013 - 1 BvR 2635/12

bei uns veröffentlicht am 19.03.2013

Tenor 1. Die Richter Gaier und Paulus sowie die Richterin Britz sind von der Ausübung ihres Richteramtes in dieser Sache nicht ausgeschlossen.

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(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er

1.
an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist oder
2.
in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

(2) Beteiligt ist nicht, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.

(3) Als Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gilt nicht

1.
die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren,
2.
die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann.

Tenor

1. Die Richter Gaier und Paulus sowie die Richterin Britz sind von der Ausübung ihres Richteramtes in dieser Sache nicht ausgeschlossen.

2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, die seine dort erhobenen Klagen gegen die Festsetzung von Missbrauchsgebühren durch eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts als unzulässig erachtet haben. Damit stellt sich die Frage, ob die drei Mitglieder des Senats, die in der dazu damals berufenen Kammer die Nichtannahmeentscheidung sowie die Entscheidung über die Missbrauchsgebühren getroffen haben, von der Mitwirkung an der Entscheidung über die nunmehrige Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen sind.

I.

2

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat unter Mitwirkung der Richter Gaier und Paulus sowie der Richterin Britz in drei Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen den als Bevollmächtigten für seine Mandanten tätigen Beschwerdeführer im Rahmen von Nichtannahmebeschlüssen gemäß § 34 Abs. 2 BVerfGG Missbrauchsgebühren in Höhe von 250 € (1 BvR 2805/10), von 500 € (1 BvR 824/11) sowie von 1.000 € (1 BvR 1127/11) festgesetzt. Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer mit Klagen vor dem Verwaltungsgericht. Dieses wies seine Klagen als unzulässig ab, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei. Es handele sich nicht um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Vielmehr gehe es um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Die Entscheidung von Verfassungsbeschwerden sei erst- wie letztinstanzlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Die Verwaltungsgerichte könnten Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden nicht überprüfen oder gar aufheben. Die dagegen vom Beschwerdeführer gestellten Anträge auf Zulassung der Berufung hatten beim Verwaltungsgerichtshof keinen Erfolg. Auch die vom Beschwerdeführer dort beanstandeten Verfahrensmängel wurden für nicht durchgreifend erachtet.

II.

3

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs; er hält die Rechtsgrundlage für die Missbrauchsgebühr und deren Festsetzung gegen ihn für verfassungswidrig.

III.

4

Die Richter Gaier und Paulus sowie die Richterin Britz sind von der Mitwirkung an der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht ausgeschlossen. Das gilt auch für die Entscheidung über ihre Mitwirkungsbefugnis selbst (§ 18 Abs. 1 BVerfGG).

5

1. Der Senat hat von Amts wegen über seine ordnungsgemäße Besetzung zu befinden. Das schließt die Entscheidung über einen kraft Gesetzes greifenden Mitwirkungsausschluss nach § 18 BVerfGG ein (vgl. BVerfGE 65, 152 <154>; 89, 359 <362>). Die Frage, ob die Mitwirkung an der Festsetzung einer Missbrauchsgebühr in einem früheren Verfassungsbeschwerdeverfahren, die unzulässigerweise vor den Verwaltungsgerichten angefochten wird, bei einer Verfassungsbeschwerde gegen diese verwaltungsgerichtliche Entscheidung zum Ausschluss des Richters wegen einer vorangegangenen Tätigkeit "in derselben Sache" (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG) führt, ist bislang noch nicht entschieden.

6

2. Ein Mitwirkungsausschluss folgt aus der Beteiligung einer Richterin oder eines Richters an der Sache (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG) oder aus einer vorangegangenen Tätigkeit in derselben Sache (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG). Die Ausschlussregelung ist als Ausnahmetatbestand konstruiert und deshalb eng auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal "derselben Sache" in § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ist stets in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinne zu verstehen. Zu einem Ausschluss kann deshalb regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen (vgl. BVerfGE 47, 105 <108>; 72, 278 <288>; 78, 331 <336>; 82, 20 <35 f.>; 109, 130 <131>).

7

Eine richterliche Vorbefassung mit einer Sache führt nur dann zum Ausschluss, wenn sie in einem früheren Rechtszug erfolgt ist und eine Mitwirkung an der aktuell mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Entscheidung zum Inhalt hat. So ist etwa im fachrechtlichen Verfahren anerkannt, dass ein Richter in der Sache dann nicht ausgeschlossen ist, wenn er ein Versäumnisurteil in derselben Instanz erlassen oder an einer zurückverweisenden Rechtsmittelentscheidung mitgewirkt hat. Ausschließend wirkt nur eine richterliche Tätigkeit, die im Ausgangsverfahren erfolgte und die Gegenstand der anstehenden verfassungsrichterlichen Überprüfung ist (vgl. BVerfGE 78, 331 <337 f.>).

8

Entsprechend ist - zumindest in verfassungsgerichtlichen Verfahren - auch eine Mitwirkung an solchen Entscheidungen nicht mehr eine Tätigkeit in derselben Sache, die endgültig ein Verfahren abschließen und gegen die unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt Rechtsmittel gegeben sind. Werden gegen solche Entscheidungen dennoch Rechtsbehelfe eingelegt, gilt für die hierüber zu treffenden Entscheidungen und die hierbei durchzuführenden Verfahren auch kein Mitwirkungsausschluss. Durch den Schlusspunkt einer endgültig abschließenden Entscheidung soll ein Regress ad infinitum abgeschnitten werden. Dieser Regress ad infinitum ist auch nicht in der Form möglich, dass gegen abschließende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entgegen dem Prozessrecht Rechtsbehelfe bei anderen Gerichten eingelegt werden, um gegen diese dann unter Mitwirkungsausschluss der zuvor befassten Richterinnen und Richter eine neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen.

9

3. Bei den Nichtannahmebeschlüssen einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts, in denen die vom Beschwerdeführer bekämpften Missbrauchsgebühren festgesetzt worden sind, und die dem Ausgangsverfahren vor den Verwaltungsgerichten vorgelagert waren, handelt es sich nicht um "dieselbe Sache" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG.

10

Gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist fachgerichtlicher Rechtschutz ausgeschlossen. Auch eine etwa durch den Senat festgesetzte Missbrauchsgebühr ist vor den Fachgerichten nicht anfechtbar. Für stattgebende oder nichtannehmende Entscheidungen der Kammer statuiert das Gesetz ebenfalls deren Unanfechtbarkeit (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG) und stellt damit klar, dass richterlicher Rechtsschutz gegen eine solche Entscheidung im Rahmen der nationalen Rechtsordnung nicht mehr gegeben ist. Die Regelung zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung der Kammer in § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG bezieht sich ausdrücklich zwar nur auf ihre Nichtannahme- und Stattgabebefugnis nach §§ 93b, 93c BVerfGG. Da den Kammern aber auch die Missbrauchsgebührenkompetenz zukommt, die nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 BVerfGG uneingeschränkt für die Verfassungsbeschwerde gilt, erfasst die Unanfechtbarkeit auch den Ausspruch über die Missbrauchsgebühr. Somit kann die Entscheidung über die Missbrauchsgebühr nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sein. Eine Vorbefassung "mit derselben Sache" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG in einem weiteren Verfahren ist damit von vornherein ausgeschlossen.

11

Aus den angeführten Gründen scheidet auch die Annahme eines Mitwirkungsausschlusses unter dem Gesichtspunkt einer Beteiligung an der Sache im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG aus.

12

4. Die Richter Gaier und Paulus sowie die Richterin Britz sind damit an der Mitwirkung bei der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht gehindert. Sie können darüber hinaus an der Entscheidung über die Frage des Mitwirkungsausschlusses selbst mitwirken. Das folgt daraus, dass die wegen nicht gegebenen Rechtsweges offensichtlich unzulässigen Klagen zum Verwaltungsgericht in Ansehung der unanfechtbar abgeschlossenen vorgelagerten Verfahren völlig eigenständige, neue Verfahrensgegenstände bilden und von vornherein nicht geeignet sind, einen Mitwirkungsausschluss zu begründen (vgl. ähnlich zur Handhabung bei offensichtlich unzulässigen Ablehnungsgesuchen nach § 19 BVerfGG, die für unbeachtlich gehalten werden: BVerfGE 11, 1<3>; BVerfG, EuGRZ 2012, S. 547 <551>).

IV.

13

Im Übrigen liegen Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a BVerfGG). Die Möglichkeit einer Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Beschwerdeführers durch die Entscheidungen über die Unzulässigkeit seiner Klagen und die zugrunde liegenden Verfahren ist auf der Grundlage seines Vorbringens nicht erkennbar (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Verfassungsbeschwerde und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt es deshalb nicht mehr an.

(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(2) Die Ablehnung ist zu begründen. Der Abgelehnte hat sich dazu zu äußern. Die Ablehnung ist unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird.

(3) Erklärt sich ein Richter, der nicht abgelehnt ist, selbst für befangen, so gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung oder Selbstablehnung eines Richters für begründet erklärt, wird durch Los ein Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.