Sozialgericht Trier Urteil, 19. Jan. 2015 - S 4 U 83/13

ECLI:ECLI:DE:SGTRIER:2015:0119.S4U83.13.0A
bei uns veröffentlicht am19.01.2015

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Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 8.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.6.2013 wird aufgehoben.

2. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung gewährter Vorschüsse auf eine mögliche, zukünftige Unfallrente in Höhe von 13.964,68 Euro.

2

Die Klägerin erlitt am 17.3.2006 einen Unfall, als sie anlässlich der in dem … Gymnasium in W. stattfindenden „Frühlingsrockparty“ in einen Schacht fiel und sich hierbei Frakturen mehrerer Wirbelkörper zuzog.

3

Mit dem Schreiben vom 31.8.2006 teilte die Beklagte gegenüber dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit:

4

„Bereits am 20.3.2006 wurden von uns umfangreiche Ermittlungen vor Ort durchgeführt. Die von ihnen gemachten Angaben wurden dabei auch erörtert. Sie sprechen aber nicht gegen das Vorliegen eines Schulunfalls. Vorbehaltlich einer Entscheidung unseres Entschädigungsausschusses erkennen wir daher den Unfall vom 16.4.1990 als Schulunfall an.“

5

Der damalige Bevollmächtigte stellte nachfolgend klar, bei dem in dem Schreiben angegebenen Unfalldatum handele es sich um das Geburtsdatum der Klägerin. Im Übrigen fehle eine nähere Begründung, warum ein Schulunfall angenommen worden sei. Das Schreiben endet mit dem Satz: „Wir bitten, uns umgehend von der Entscheidung des Entschädigungsausschusses in Kenntnis zu setzen.“

6

Noch am 24.3.2006 teilte die Beklagte der Mutter der Klägerin mit, sie habe Anspruch auf Kinderpflegeverletztengeld, da sie aufgrund der häuslichen Pflege der Tochter der Arbeit fernbleiben müsse. Am 11.4.2006 wurde für den Zeitraum vom 3.4.-30.4.2006 Kinderpflegeverletztengeld gewährt.

7

Die Beklagte übernahm durch Schreiben vom 21.7.2006 auch die Kosten für Förderunterricht im Fach Deutsch und Englisch sowie Mathematik. Die Übernahme von Förderunterricht erfolgte auch mit Schreiben vom 19.3.2007. Die Beklagte übernahm danach auch die Kosten für die Anschaffung neuer Schulbücher für die Klassenstufe 10, die erforderlich wurden, weil die Klägerin die zehnte Klassenstufe wiederholte. Daneben zahlte die Beklagte Fahrtkosten für Fahrten zu ärztlichen Behandlungen und Besuchsfahrten sowie einer Taxibeförderung der Klägerin zum Schulbesuch. Über Art und Umfang der zu gewährenden Leistungen kam es zwischen den Beteiligten wiederholt zum Streit. Bezüglich eines Teils der Fahrtkosten ergingen auch die Bescheide vom 16.8.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 25.2.2008. In dem Widerspruchsbescheid ist festgehalten, dass die Klägerin als Schülerin bei einer Schulveranstaltung verunglückt sei.

8

Nachdem die Mutter der Klägerin sich im November 2007 nach Möglichkeiten zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erkundigt hatte, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 18.12.2007 mit: „Dem Grunde nach ist die Unfallkasse zuständiger Rehabilitationsträger für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dies haben wir auch nie bestritten“. In dem Schreiben der Beklagten vom 11.2.2008 an die Eltern der Klägerin heißt es: „Die Unfallkasse R-P ist Kostenträger für die Behandlung der Folgen des Unfalles vom 17.3.2006“. Am 17.6.2008 gab die Beklagte gegenüber der Mutter der Klägerin an, ihr obliege die Steuerung und Kontrolle des Heilverfahrens.

9

Mit Bescheid vom 27.8.2008 gewährte die Beklagte der Klägerin auch einen Vorschuss auf den zu erwartenden Rentenanspruch in Höhe von 4.000,00 Euro. Es bestehe voraussichtlich ein Anspruch auf Geldleistungen nach dem Ergebnis der auf fachorthopädischem, neuropsychologischem und neurologischem Fachgebiet eingeholten Gutachten. Da ein erneuter operativer Eingriff vorgenommen worden sei, seien weitere Begutachtungen erforderlich, um die durch die OP eingetretenen Veränderungen am Gesundheitszustand zu berücksichtigen. Unter „Hinweise“ heißt es auch: „Diese Vorschusszahlung beinhaltet keine Anerkennung von Ansprüchen dem Grunde nach.“ Die weitere Gewährung eines Vorschusses über 6.300,00 Euro erfolgte mit Bescheid vom 14.10.2009. Daneben wurde in dem Bescheid ab dem 1.11.2009 laufend monatlich ein Vorschuss von 305,39 Euro gewährt. Zur Begründung wurde ausgeführt, es stünden noch Gutachten auf schmerztherapeutischem und urologischem Fachgebiet aus.

10

In der Folgezeit erfolgte bis Oktober 2010 die medizinische Sachverhaltsaufklärung zur Ermittlung der MdE. Hierzu wurden mehrere Gutachten eingeholt.

11

Noch am 1.9.2010 teilte die Beklagte dem Berufsförderungswerk in H. mit: „Frau R. verunglückte als Schülerin (Gymnasium) im Rahmen einer Schulveranstaltung. Der Unfall ist als Arbeitsunfall anerkannt. Ein Unfallrentenbescheid konnte bisher nicht erteilt werden, so dass wir die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit zurzeit nicht angeben können.“

12

Die Beklagte zog danach noch Stellungnahmen der Sachverständigen zur Bewertung der Gesamt-MdE bei.

13

Durch den Bescheid vom 23.11.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 17.3.2006 als „Arbeitsunfall“ ab. Durch den Widerspruchsbescheid vom 10.5.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

14

Durch Urteil vom 15.2.2013 hob das Sozialgericht Trier (Az.: S 4 U 98/11) die Bescheide auf und stellte fest, dass das Unfallereignis vom 17.3.2006 ein Arbeitsunfall sei. Die Beklagte legte hiergegen Berufung bei dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz ein. Das Berufungsverfahren ist noch rechtshängig.

15

Durch den Bescheid vom 8.2.2011 forderte die Beklagte von der Klägerin den Betrag von 13.964,68 Euro für geleistete Vorschüsse zurück. Aufgrund der Ablehnung des Versicherungsfalles stehe es fest, dass keine Ansprüche auf Leistungen bestünden. Gemäß § 42 Absatz 2 SGB I seien die gewährten Vorschüsse vollständig erstattet. Unter dem Punkt „Aussetzung der sofortigen Vollziehung“ heißt es dann weiter: „Die Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistungen nach § 42 Absatz 2 SGB I hängt von der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 23.11.2010 ab. Gegen diesen Bescheid wurde Rechtsmittel in der Form eines Widerspruchs eingelegt. Sofern dem Widerspruch durch die zuständige Stelle nicht abgeholfen wird, steht der Klageweg offen. Die sofortige Vollziehung […] wird daher bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 23.11.2010 ausgesetzt. Sofern der Bescheid bestandskräftig wird, ist die Forderung mit Eintreten der Bestandskraft sofort fällig.

16

Die Klägerin erhob durch ihre Bevollmächtigte hiergegen Widerspruch. Der Rückforderungsbescheid sei rechtswidrig. Es bestehe eine gegenwärtige Beschwer durch den Rückforderungsbescheid, weil damit die Rückzahlung angeordnet werde und für den Fall der Bestandskraft die sofortige Fälligkeit dieser Forderung angeordnet sei.

17

Den Widerspruch verwarf der Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 13.6.2013 als unzulässig. Der Widerspruchsbescheid wurde der Bevollmächtigten am 17.6.2013 zugestellt. Der Widerspruch sei nicht statthaft, weil die Vorschüsse nur zu erstatten seien, wenn der Anspruch auf Rentenzahlung nicht bestehe. Letztere Bedingung sei nicht eingetreten. Ein Nachteil könne der Klägerin nicht entstehen, solange der Rechtsstreit betreffend die Frage, ob ein Schulunfall vorliege, noch rechtshängig sei.

18

Am 15.7.2013 hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte Klage erhoben.

19

Die Klägerin beantragt durch ihre Bevollmächtigte,

20

den Bescheid der Beklagten vom 8.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.6.2013 aufzuheben.

21

Die Beklagte beantragt,

22

die Klage abzuweisen.

23

Es drohe der Klägerin kein rechtlicher Nachteil, solange das Berufungsverfahren rechtshängig sei. Die Bescheide seien auch unter der Bedingung ergangen, wenn sich in diesem Verfahren das Vorliegen eines Schulunfalls herausstelle, werde die Rückforderung nicht erfolgen.

Entscheidungsgründe

24

1. Die Klage ist zulässig. Es fehlt entgegen der Ausführungen der Beklagten in dem Widerspruchsbescheid nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage, weil der Bescheid mit dem Vorbehalt der rechtskräftigen Verneinung eines Versicherungsfalls in dem Berufungsverfahren zu dem Verfahren S 4 U 98/11 versehen ist. Dies ist schon deswegen falsch, weil es in dem Bescheid ausdrücklich heißt, dass mit der Bestandskraft „dieses Bescheides“ - also des Rückforderungsbescheides - die Forderung sofort fällig wird. Schon deswegen muss die Klägerin gegen den Bescheid vorgehen. Im Übrigen ist der Bescheid insoweit auch nicht mit einer Nebenbestimmung i. S. des § 32 SGB X als Bedingung versehen, wie die Beklagte meint, denn die Nebenbestimmung wird nicht als solche kenntlich gemacht und findet sich weder im Verfügungssatz, noch in der Begründung des Bescheides, sondern nur in dem Abschnitt, der die Vollziehung betrifft. Damit genügt dieser Satz nicht den formellen Anforderungen an eine wirksame Nebenbestimmung. Darüber hinaus hängt die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes auch nicht im Sinne einer Bedingung an einem künftigen Ereignis. Die Verpflichtung wird vielmehr unbedingt wirksam, wenn Widerspruch gegen den Bescheid vom 8.2.2013 nicht eingelegt wird und der Bescheid gemäß § 77 SGB X nach Bestandskraft bindend wird.

25

2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8.2.2013 und der Widerspruchsbescheid vom 13.6.2013, mit dem die Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 13.964,68 Euro zurückfordert, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Voraussetzungen des § 42 Absatz 2 Satz 2 SGB I liegen nicht vor.

26

a) Gemäß § 42 Absatz 1 Satz 1 SGB I gilt: Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Nach Absatz 2 der Norm sind die Vorschüsse auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten. § 50 Abs. 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend.

27

Die Rückforderung der Vorschussleistungen durch die Beklagte kann sich unmittelbar auf den Wortlaut Norm nicht stützen. Diese erfasst die Rückforderung von Vorschüssen in den Fällen, in denen ein Anspruch dem auf Leistungen dem Grunde nach besteht. Die Norm setzt damit in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich voraus, dass die Behörde bei Erlass der Vorschussbescheide davon ausgeht, dass ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und lediglich die Höhe der Leistung noch nicht ermittelt werden kann. Die Erstattungspflicht greift ein, wenn der Vorschuss die Höhe der später zu gewährenden Leistungen übersteigt. Dem Normgefüge des § 42 SGB I liegt grundsätzlich zu Grunde, dass die Behörde eine Entscheidung über den Anspruchsgrund nach Ausschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten bereits treffen konnte.

28

Allerdings ist es in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anerkannt und wird auch in Teilen der Literatur vertreten, dass der Anwendungsbereich des § 42 SGB I entweder im Wege der Auslegung (so das Bundessozialgericht vgl. Urteil vom 26.6.2007, B 2 U 5/06 R) oder in entsprechender Anwendung (so z. B. Seewald, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 83. Ergänzungslieferung 2014, § 42 Rn. 3a) der Norm eröffnet sein kann, wenn die Behörde anlässlich der Vorschusszahlung davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des Anspruchs dem Grunde nach vorliegen, sich aber später herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht. Dies wird in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts z. B. damit begründet, dass der endgültige Anspruch auch „Null“ Euro betragen kann und die Norm damit den vollständigen Wegfall der Leistung miteinschließt. Das Bundessozialgericht hat dies etwa in der oben zitierten Entscheidung angenommen, weil in dem Vorschussbescheid ausdrücklich darauf hingewiesen worden war, dass die Gewährung nur „auf der Basis des Ergebnisses der bisherigen Ermittlungen“ erfolge. In diesem Fall sei dem Empfänger von vornherein klar, dass das Gezahlte mit dem wirtschaftlichen Risiko der möglichen Rückzahlungspflicht belastet sei. Der Anwendungsbereich des § 42 SGB I kann daher – unmittelbar oder in Analogie – auch die Fallgruppe umfassen, in denen von Anfang an – also bei Gewährung des Vorschusses – bereits Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen „dem Grunde nach“ bestanden (Fallgruppe 1) oder sich erst später herausgestellt hat, dass der Anspruch nicht besteht (Fallgruppe 2) (vgl. dazu Seewald, aaO).

29

Das Gericht kann es dahinstehen lassen, inwiefern diese erweiternde Auslegung des § 42 Absatz 2 SGB I überzeugt, oder ob ihr vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Absatz 3 GG), des Vertrauensschutzgedankens und den Regelungen der §§ 45 ff. SGB X, die die Rückforderung von Leistungen betreffen - sowie des Gesetzesvorbehalts - Bedenken gegenüber stehen (vgl. dazu nur das BSG in den im Folgenden zur Fallgruppe 1 zitierten Entscheidungen; auch Seewald, aaO § 42 Rn. 40 f.).

30

Beide Fallgruppen sind vorliegend nicht einschlägig, denn die Beklagte hat zum Zeitpunkt der Vorschussgewährung Zweifel am Vorliegen eines Versicherungsfalles gehabt, noch hat sie diese Zweifel erkennen lassen.

31

(1) Im Rahmen der Fallgruppe 1 zieht das Bundessozialgericht die Vorschusszahlung als „Vorwegzahlung“ in Betracht, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Vorschuss eine abschließende Entscheidung über den Anspruch dem Grunde nach noch nicht möglich ist, d.h. wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale die den Anspruchsgrund betreffen, aus Sicht der Verwaltung in diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegen (BSG, Urteil vom 11.06.1987 - 7 RAr 105/85 -, BSGE 62, 32 ff.; BSG, Urteil vom 17. Juli 1996 - 5 RJ 42/95 -). Gefordert wird in jedem Fall eine Fallkonstellation, in der „die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach Schwierigkeiten bereitet und die Ermittlungen dazu voraussichtlich noch längere Zeit erfordern“ (BSG, Urteil vom 17. Juli 1996 – 5 RJ 42/95 –, SozR 3-1200 § 42 Nr 5, BSGE 79, 61-66 Rn. 16 nach juris). Die Befugnis, auch in diesen Fällen einen Vorschuss zu gewähren, wird auch mit dem Rechtsgedanken etwa der §§ 328 ff. SGB III begründet, die vorläufige Entscheidungen gestatten.

32

Nach Maßgabe dieser Erwägungen des Bundessozialgerichts scheitert die Rückforderung nach Maßgabe des § 42 Absatz 2 SGB I hier schon daran, dass im Zeitpunkt der Vorschussgewährung mit den Bescheiden vom 27.8.2008 und 14.10.2009 schon gar keine Zweifel am Vorliegen eines Versicherungsfalls dem Grunde nach vorlagen. Daran ändert auch der den Bescheiden beigefügte Hinweis, „Diese Vorschusszahlung beinhaltet keine Anerkennung von Ansprüchen dem Grunde nach“, nichts. Selbst wenn man Zweifel der Beklagten am Anspruchsgrund bejahen würde, liegt aber die weitere Voraussetzung nicht vor, dass diese Zweifel in der Schwierigkeit und Ungewissheit der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse im Entscheidungszeitpunkt begründet sein müssen.

33

Die Kammer verweist in Anwendung des § 136 Absatz 3 SGG auf die Entscheidungsgründe in dem Rechtsstreit der Klägerin mit dem Aktenzeichen S 4 U 98/11 (Urteil vom 15.2.2013). Danach steht es fest, dass die Beklagte das Unfallereignis bereits mit Schreiben vom 31.8.2006 als Versicherungsfall anerkannt hat. Es handelte sich auch um einen Schulunfall.

34

Soweit die Beklagte eingewandt hat, sie habe nur das Heilverfahren effektiv steuern und eine abschließende Entscheidung erst in der Zukunft treffen wollen, steht dem das Verhalten der Beklagten entgegen. Das Gericht hat bereits in dem zitierten Urteil darauf hingewiesen, dass die Beteiligten das Unfallereignis faktisch bis zu dem Ablehnungsbescheid vom 23.11.2010 wie einen Versicherungsfall behandelt haben. Die Beklagte hat vor und nach dem Schreiben vom 31.8.2006 durch alle ihre Handlungen nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie von ihrer Einstandspflicht ausgeht. Dies zeigt schon die Gewährung von Kinderpflegeverletztengeld an die Mutter der Klägerin unmittelbar nach dem Unfallereignis. Auch danach wurden über mehrere Jahre die Kosten für Förderunterricht anlässlich der mehrfachen Wiederholung der 10ten Klasse durch die Klägerin erbracht und die Anschaffung neuer Schulbücher gefördert. Die Beklagte übernahm die Fahrkosten für Fahrten zu ärztlichen Behandlungen sowie Taxifahrten der Klägerin zur Schule. Auf die Nachfrage der Mutter der Klägerin hin, die sich nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erkundigt hatte, teilte die Beklagte am 18.12.2007 mit, dass sie nie bestritten habe, der zuständige Rehabilitationsträger für solche Leistungen zu sein. Auch in den Schreiben vom 11.2.2008 und 17.6.2008 wurde unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagte Kostenträger für die Behandlung der Folgen des Unfalls vom 17.3.2006 sei und das Heilverfahren steuere. Auch die Bescheide über die Gewährung der Vorschüsse selbst zeigen, dass die Beklagte lediglich davon ausging, die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch durch die Einholung einer Vielzahl von Gutachten aufklären zu müssen. Denn dies wurde als Begründung der Entscheidung ausdrücklich angeführt. Genau dies ist in dem Zeitraum zwischen dem 27.8.2008 und 14.10.2009 sowie dem Bescheid vom 23.11.2010 auch geschehen. In diesem Zeitraum wurde eine Vielzahl von Gutachten eingeholt und Stellungnahmen zur Bemessung der Gesamt-MdE angefordert. Eine Aufklärung des Sachverhalts „dem Grunde“ nach ist in diesem gesamten Zeitraum nicht erfolgt, die letzten Aufklärungsmaßnahmen diesbezüglich trugen sich unmittelbar nach dem Unfallereignis am 20.3.2006 zu.

35

Soweit die Beklagte darauf hinweist, sie habe nie eine abschließende Entscheidung getroffen und nur das Heilverfahren effektiv steuern wollen, ist ihr ergänzend ihr Schreiben vom 1.9.2010 - also knapp drei Monate vor dem Bescheid vom 23.11.2010 - entgegenzuhalten, in dem die Beklagte gegenüber dem Berufsförderungswerk in H. ausdrücklich mitgeteilt hat „Der Unfall ist als Arbeitsunfall anerkannt.“

36

Es ist auch nicht zu erkennen, dass bei Erlass der Vorschussbescheide aufgrund einer tatsächlichen oder rechtlichen Ungewissheit eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich war. Die Beklagte hatte den Sachverhalt bis zum 20.3.2006 und dem Bescheid vom 31.8.2006 ermittelt. Danach sind in einem viereinhalbjährigen Zeitraum keine weiteren Ermittlungen zur Sachverhaltsaufklärung durchgeführt wurden. Dies gilt sowohl für den Zeitraum vor Erlass der Vorschussbescheide, als auch vor dem Erlass des Bescheides, mit dem der Versicherungsfall am 23.11.2010 abgelehnt wurde. Die Beklagte hätte daher ohne weiteres im Zeitpunkt der Vorschussgewährung eine Sachentscheidung zum Vorliegen eines Versicherungsfalles treffen können, denn sie hat dies auch am 23.11.2010 getan, ohne irgendeine weitere Sachverhaltsaufklärung nach dem 31.8.2006 zu unternehmen.

37

§ 42 Absatz 2 SGB I ist nicht das geeignete Instrument, um Vorschusszahlungen unter Verweis auf den fehlenden Anspruchsgrund zurückzufordern, wenn im Zeitpunkt der Vorschusszahlung die Entscheidung über den Anspruchsgrund möglich und zumutbar war. Denn sonst könnte eine Behörde unter Anwendung dieser Norm den gesetzlich normierten Vertrauensschutz der §§ 45 ff. SGB X umgehen. Dieser würde in diesen zugunsten des Versicherten eingreifen, wenn die Behörde das ihr Mögliche und Zumutbare bei Gewährung des Vorschusses getan hätte, nämlich über das Vorliegen eines Versicherungsfalles zu entscheiden. Es steht der Behörde nach dem Gesetz nicht zu, im Gewand eines Vorschusses faktisch eine vorläufige Entscheidung zu treffen, wenn die Voraussetzungen einer vorläufigen Entscheidung gar nicht vorliegen, weil schon abschließend entschieden werden kann. Das zeigt schon der Wortlaut des § 42 SGB I. Denn die Behörde kann danach einen Vorschuss erst dann gewähren, wenn Sie sich die Gewissheit verschafft hat, dass der Anspruch dem Grunde nach besteht (hier, dass ein Versicherungsfall vorlag). Die Entscheidung über den Anspruchsgrund ist damit von Amts wegen zu treffen, bevor ein Vorschuss gewährt wird, wenn dies möglich und zumutbar ist.

38

Eine andere Auslegung wäre auch mit dem Rechtsgedanken, der der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 42 SGB I zu Grunde liegt, nicht zu vereinbaren. Das Bundessozialgericht hat zutreffend anerkannt, dass es Situationen geben kann, in denen die Vorauszahlungen bei ungeklärtem Sachverhalt das einzig sinnvolle Instrument ist, um den Versicherten zu schützen. Denn der Versicherte stünde sonst gegebenenfalls in einer existenziellen Notlage ohne Leistungen dar. Die Regelung des § 42 SGB I soll nach Auslegung des Bundessozialgerichts bei der Vorwegzahlung also den potentiell Leistungsberechtigten schützen und sicherstellen, dass er in der Gegenwart bereits Leistungen erhalten kann, wenn ein Anspruch wahrscheinlich besteht. Sie ist danach auch Ausdruck des Gedankens, wie er z. B. in § 328 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III zum Ausdruck kommt, wonach vorläufige Leistungen gewährt werden können, wenn „zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.“

39

Die entsprechende Anwendung des § 42 Absatz 2 Satz 2 SGB I außerhalb dieser Fallkonstellation ist von dem Schutzgedanken nicht mehr gedeckt. Im Gegenteil würde der Behörde dann – auch wenn über den Anspruchsgrund gar keine Unklarheit besteht – ein Weg zur Verfügung stehen, mit welchem sie die Voraussetzungen der §§ 45 ff. SGB X unterlaufen könnte. Dies würde nicht zu einer Erweiterung des Schutzes des Versicherten, sondern zu einer Einschränkung des Schutzes führen. Die Behörde könnte in den Fällen, in denen keine vernünftigen Zweifel am Anspruchsgrund bestehen, eine abschließende Sachentscheidung vermeiden, die Leistung als Vorschuss gewähren und mit der Begründung, dass dem Empfänger die „Vorläufigkeit“ der Regelung bekannt gewesen sei, den gesetzlichen Vertrauensschutz aushebeln. Eine solche Auslegung der Norm widerspricht dem hier neben dem SGB I anwendbaren, speziellen Regelungssystems des SGB X (Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch). Sie kann, weil sie mit dem Grundgesetz nicht im Einklang stünde, auch nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein. Bestehen an den Anspruchsvoraussetzungen keine vernünftigen Zweifel – die sich in einer entsprechenden Sachverhaltsaufklärung äußern – kann von der Regelung des § 42 Absatz 1 SGB I nur im unmittelbaren Anwendungsbereich (Zweifel über die Höhe des Anspruchs) Gebrauch gemacht werden.

40

Der Hinweis in den Vorschussbescheiden der Beklagten: „Diese Vorschusszahlung beinhaltet keine Anerkennung von Ansprüchen dem Grunde nach“, ändert an dieser Beurteilung nichts. Er ist nicht einmal Teil der Begründung der Bescheide gewesen, die nur auf die medizinische Sachverhaltsaufklärung abstellen. Er hat vor dem Hintergrund des Sachverhalts auch ausschließlich deklaratorischen Charakter und ist nicht auf die spezifische Fallkonstellation der Klägerin bezogen, in der seit dem August 2006 gar keine Zweifel am Vorliegen des Versicherungsfalles mehr bestanden.

41

(2) Auch die Fallgruppe 2) ist nicht einschlägig. Danach soll die Rückforderung eines Vorschusses erfolgen können, wenn dieser, wie hier wegen Zweifeln an der Höhe künftiger Leistungen gewährt wurde, sich aber im Laufe des Verwaltungsverfahrens nachträglich herausstellt, dass bereits der Anspruch nicht bestand.

42

Diese Fallgruppe ist vorliegend nicht anwendbar, weil die Neubewertung unveränderter Verhältnisse hiervon nicht erfasst wird, sondern der Regelung des § 45 SGB X unterfällt (vgl. Landessozialgericht Sachsen Anhalt, Urteil vom 24.2.2010, L 10 KN 11/07, Rn. 45 nach juris; BSG, Urteil vom 26.6.2007, B 2 U 5/06 R). Den Grund hierfür hat Seewald, aaO, Rn. 22c f.) zutreffend benannt: Für die Anwendung des § 42 Absatz 1 SGB I ist kein Raum, wenn die Anspruchsvoraussetzungen mit Ausnahme der Höhe des Anspruchs im Zeitpunkt der Vorschussgewährung vorlagen, und später nur der identische Sachverhalt neu bewertet wird, ohne dass diese Neubewertung in der Sphäre des Leistungsberechtigten (hier des Versicherten) begründet ist. Denn in diesen Fällen wirkt die Vorschussgewährung nur hinsichtlich der Anspruchshöhe „vorläufig“. Nur insoweit können bei dem Versicherten Zweifel am endgültigen „Behaltendürfen“ der Vorschüsse bestehen. Soll die Aufhebung dann aber damit begründet werden, dass von vornherein kein Anspruch vorlag, müssen die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes in den §§ 45 ff. beachtet werden. Insoweit ist durch den Bescheid über den Vorschuss für den Versicherten keine Vorläufigkeit erkennbar gewesen. In jedem Fall ist zu fordern – und dies entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts –, dass der Versicherungsträger bei Erlass der Bescheide den Versicherten deutlich darauf hinweist, dass der Anspruch nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit besteht.

43

Dem genügt der schlichte Hinweis der Beklagten „Diese Vorschusszahlung beinhaltet keine Anerkennung von Ansprüchen dem Grunde nach“ hier nicht, weil die Begründung des Bescheides klar zum Ausdruck bringt, dass nur der medizinische Sachverhalt hinsichtlich der MdE noch aufgeklärt werden soll. Auch nach dem Gesamtverhalten der Beteiligten war es seit dem August 2006 nicht erkennbar, dass in dem konkreten Rechtsverhältnis am Vorliegen eines Versicherungsfalles überhaupt irgendwelche Zweifel bestanden.

44

b) Der Rückforderungsvorbehalt nach § 42 Absatz 2 Satz 2 SGB I greift auch deshalb nicht ein, weil es derzeit noch an einer bestandskräftigen Entscheidung dazu fehlt, dass die Leistungen dem Grunde nach tatsächlich nicht zu gewähren waren. Denn das Berufungsverfahren in dem Rechtsstreit S 4 U 98/11 ist noch rechtshängig (vgl. zur Voraussetzung der bestandskräftigen Feststellung LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.12.2008, L 6 U 129/05 nach juris, Rn. 24).

45

2. Auch eine Rückforderung aufgrund anderer gesetzlicher Grundlage - etwa der entsprechenden Anwendung des § 42 Absatz 2 Satz 2 SGB I oder der §§ 43 SGB I, 45 SGB X - kommt im Wege der Umdeutung nicht in Betracht. Die Regelung des § 43 SGB I ist nicht anwendbar, weil sie einen Streit zwischen Sozialversicherungsträgern über die Leistungspflicht voraussetzt. Ein solcher Streit bestand in dem vorliegenden Fall zu keinem Zeitpunkt. Die Umdeutung des Rückforderungsbescheides in einen Bescheid nach der Maßgabe des § 45 SGB X scheitert schon daran, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen und Ermessen durch die Beklagte nicht ausgeübt wurde. Im Übrigen wäre der Klägerin nach Maßgabe des § 45 Absatz 2 SGB X Vertrauensschutz zu gewähren, weil die Neubewertung des Sachverhalts durch die Beklagte nicht auf neuen Tatsachen beruht, sondern auf einer Änderung der Rechtsauffassung.

46

Die Klage hat daher Erfolg.

47

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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(1) Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschußzahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.

(2) Die Vorschüsse sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten. § 50 Abs. 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend.

(3) Für die Stundung, Niederschlagung und den Erlaß des Erstattungsanspruchs gilt § 76 Abs. 2 des Vierten Buches entsprechend.

(1) Ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, darf mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden.

(2) Unbeschadet des Absatzes 1 darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden mit

1.
einer Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt (Befristung),
2.
einer Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt (Bedingung),
3.
einem Vorbehalt des Widerrufs
oder verbunden werden mit
4.
einer Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (Auflage),
5.
einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage.

(3) Eine Nebenbestimmung darf dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen.

(1) Die Übermittlung von Sozialdaten an Personen oder Stellen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie in diesen nach § 35 Absatz 7 des Ersten Buches gleichgestellten Staaten ist zulässig, soweit

1.
dies für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe der in § 35 des Ersten Buches genannten übermittelnden Stelle nach diesem Gesetzbuch oder zur Erfüllung einer solchen Aufgabe von ausländischen Stellen erforderlich ist, soweit diese Aufgaben wahrnehmen, die denen der in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen entsprechen,
2.
die Voraussetzungen des § 69 Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 oder des § 70 oder einer Übermittlungsvorschrift nach dem Dritten Buch oder dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorliegen und die Aufgaben der ausländischen Stelle den in diesen Vorschriften genannten entsprechen,
3.
die Voraussetzungen des § 74 vorliegen und die gerichtlich geltend gemachten Ansprüche oder die Rechte des Empfängers den in dieser Vorschrift genannten entsprechen oder
4.
die Voraussetzungen des § 73 vorliegen; für die Anordnung einer Übermittlung nach § 73 ist ein inländisches Gericht zuständig.
Die Übermittlung von Sozialdaten unterbleibt, soweit sie zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen in Widerspruch stünde.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Übermittlung an Personen oder Stellen in einem Drittstaat sowie an internationale Organisationen, wenn deren angemessenes Datenschutzniveau durch Angemessenheitsbeschluss gemäß Artikel 45 der Verordnung (EU) 2016/679 festgestellt wurde.

(3) Liegt kein Angemessenheitsbeschluss vor, ist eine Übermittlung von Sozialdaten an Personen oder Stellen in einem Drittstaat oder an internationale Organisationen abweichend von Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe a und Artikel 49 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe g der Verordnung (EU) 2016/679 unzulässig. Eine Übermittlung aus wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses nach Artikel 49 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe d und Absatz 4 der Verordnung (EU) 2016/679 liegt nur vor, wenn

1.
die Übermittlung in Anwendung zwischenstaatlicher Übereinkommen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit erfolgt, oder
2.
soweit die Voraussetzungen des § 69 Absatz 1 Nummer 1 und 2 oder des § 70 vorliegen
und soweit die betroffene Person kein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung hat.

(4) Die Stelle, an die die Sozialdaten übermittelt werden, ist auf den Zweck hinzuweisen, zu dessen Erfüllung die Sozialdaten übermittelt werden.

(1) Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschußzahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.

(2) Die Vorschüsse sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten. § 50 Abs. 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend.

(3) Für die Stundung, Niederschlagung und den Erlaß des Erstattungsanspruchs gilt § 76 Abs. 2 des Vierten Buches entsprechend.

(1) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
den Ort und Tag der mündlichen Verhandlung,
4.
die Urteilsformel,
5.
die gedrängte Darstellung des Tatbestands,
6.
die Entscheidungsgründe,
7.
die Rechtsmittelbelehrung.

(2) Die Darstellung des Tatbestands kann durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zu Protokoll erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. In jedem Fall sind jedoch die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben.

(3) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(4) Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe nicht, wenn Kläger, Beklagter und sonstige rechtsmittelberechtigte Beteiligte auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten.

(1) Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschußzahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.

(2) Die Vorschüsse sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten. § 50 Abs. 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend.

(3) Für die Stundung, Niederschlagung und den Erlaß des Erstattungsanspruchs gilt § 76 Abs. 2 des Vierten Buches entsprechend.

(1) Über die Erbringung von Geldleistungen kann vorläufig entschieden werden, wenn

1.
die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist,
2.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht ist oder
3.
zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat.
Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 3 ist auf Antrag vorläufig zu entscheiden.

(2) Eine vorläufige Entscheidung ist nur auf Antrag der berechtigten Person für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.

(3) Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten; auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachtes Kurzarbeitergeld und Wintergeld ist vom Arbeitgeber zurückzuzahlen.

(4) Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 und 3, Absatz 2 sowie Absatz 3 Satz 1 und 2 sind für die Erstattung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung entsprechend anwendbar.

(1) Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschußzahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.

(2) Die Vorschüsse sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten. § 50 Abs. 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend.

(3) Für die Stundung, Niederschlagung und den Erlaß des Erstattungsanspruchs gilt § 76 Abs. 2 des Vierten Buches entsprechend.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Januar 2007 – S 8 KN 22/06 – wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die nachträgliche Befristung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sowie deren nachfolgende vollständige Entziehung vor Ablauf der Befristung.

2

Die 19 geborene Klägerin arbeitete nach Abschluss der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule sowie einer Ausbildung als "Maschinist" von August 1980 bis September 1985 als Maschinistin. Wegen der Unvereinbarkeit der Schichtzeiten mit der Betreuung ihrer Kinder war sie von Oktober 1985 bis September 1990 als Krippenhelferin bzw. Küchenhilfe beschäftigt. Vom 1. Oktober 1990 bis zum 12. März 1991 nahm die Klägerin an einem PC-Lehrgang teil, anschließend war sie arbeitslos. Von September 1991 bis Juli 1993 war die Klägerin im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Waldarbeiterin tätig. Nach weiterer Arbeitslosigkeit arbeitete sie im Rahmen einer Reintegrationsmaßnahme von Mai 1996 bis Januar 1997 als Bürohilfskraft; von November 1997 bis Juli 1998 nahm sie an einem Lehrgang für Bürohilfskräfte teil. Von August 1998 bis April 1999 war sie als Hilfskraft auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt.

3

Im Jahre 1993 unterzog sich die Klägerin einer Bandscheibenoperation. Am 29. Juni 1999 wurde bei ihr eine Operation wegen eines Schilddrüsenkarzinoms durchgeführt. Vom 18. Juli bis 8. August 2000 befand sich die Klägerin in stationärer medizinischer Rehabilitation in der Reha-Klinik M. Sch. GmbH. Im Entlassungsbericht vom 25. September 2000 ist ausgeführt, dass die Klägerin aus "medizinisch-onkologischer Sicht" nach entsprechender Rekonvaleszenz unter Berücksichtigung der Bandscheibenvorerkrankung vollschichtig für mittelschwere Arbeiten bei zusätzlichen Leistungseinschränkungen einsetzbar sei (ohne ständiges Stehen sowie Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten und bei Vermeidung von Gasen, Dämpfen, Lösungsmitteln etc. sowie ohne Bergbau).

4

Am 24. Oktober 2000 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ein von der Beklagten veranlasstes Gutachten ihres Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 19. Februar 2001 (Arzt für Allgemeinmedizin D. ) führte zu den klinischen Befunden "verzweifelte Stimmung", geminderter Antrieb und "Angstgefühl, lustlos" und attestierte trotz "optimaler" Behandlung des Schilddrüsenkarzinoms und nachfolgender Rehabilitation noch eine erhebliche körperliche Schwäche, unklare Schmerzzustände im Bereich des Bewegungsapparates und eine anhaltende depressive Reaktion. Wegen der daraus resultierenden vorzeitigen Erschöpfbarkeit könne eine Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule nur noch zweieinhalb Stunden pro Tag ausgeübt werden. Es handele sich um einen Dauerzustand seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 19. Juli 1999. In dem Gutachten wurde eine Nachuntersuchung in drei Jahren empfohlen, da eine längerfristige Besserung des Gesundheitszustandes "im Bereich des Möglichen" liege.

5

Mit Bescheid vom 27. März 2001 gewährte die Beklagte der Klägerin eine unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU-Rente) ab 9. August 2000. Für die Anerkennung des Rentenanspruchs seien "die Verhältnisse des Arbeitsmarktes ausschlaggebend gewesen". Wegen noch zu klärenden versicherungsrechtlichen Zeiten machte die Beklagte den Vorbehalt, dass überzahlte Beträge nach § 42 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) zu erstatten seien, wenn sich daraus eine geringere Rente ergebe (S 4 des Bescheides). Mit Bescheid vom 5. Oktober 2001 (Bl 86 der Verwaltungsakten = VA) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass keine Änderung eintrete und der erteilte Rentenbescheid vom 27. März 2001 als endgültiger Bescheid anzusehen sei.

6

Im Jahr 2002 stellte sich die Klägerin wegen Beschwerden an der Narbe im Halsbereich in der Klinik St. G. in L. vor. Nach eigenen Angaben bewirkte die Behandlung dort aber keine Besserung für sie.

7

In einer von der Beklagten veranlassten Nachuntersuchung beim SMD am 15. April 2004 gab die Klägerin an, weiterhin nicht belastbar zu sein (Schweißausbrüche bei Belastungen, sehr nervös, leicht aufgeregt, Hektik und Stress könnten nicht mehr toleriert werden wie früher, Leistungsvermögen für Dauertätigkeit insgesamt reduziert). Der Gutachter (Internist Dr. W. ) kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin untervollschichtig drei bis unter sechs Stunden täglich regelmäßig einer beruflichen Tätigkeit nachgehen könne (unter Berücksichtigung zusätzlicher Einschränkungen). Die letzte berufliche Tätigkeit als Bürohilfskraft könne in diesem zeitlichen Umfang ausgeübt werden. Die bisherige Hauptdiagnose (Schilddrüsenkarzinom) habe sich positiv entwickelt (kein Rezidiv, keine Metastasen). Hinweise für eine depressive Symptomatik fänden sich nicht, die Klägerin sei auch nicht in entsprechender fachärztlicher Behandlung. Trotz fortbestehenden Beschwerden sei von einem verbesserten Leistungsvermögen auszugehen. In dem Gutachten wird eine Nachuntersuchung in zwei Jahren vorgeschlagen, da mit einer weiteren Leistungssteigerung nach beruflicher Wiedereingliederung zu rechnen sei.

8

Mit Schreiben vom 12. Mai 2004 hörte die Beklagte die Klägerin wegen verbesserten Leistungsvermögens auf "untervollschichtig drei bis unter sechs Stunden täglich" zu der Absicht an, die EU-Rente auf die Zeit bis zum 31. August 2006 zu befristen. Bei halb- bis untervollschichtiger Einsatzfähigkeit beruhe der Leistungsfall nicht mehr ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern auch auf der Arbeitsmarktlage, weshalb die Rente zu befristen sei (Bl 103 bis 105 VA).

9

Mit Schreiben vom 19. Juni 2004 verwies die Klägerin auf eine Verschlechterung ihres psychischen und physischen Zustandes, deretwegen sie nicht in der Lage sei, täglich drei bis sechs Stunden einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie befinde sich in ständiger ärztlicher Behandlung (Hausarzt Dr. Sch. ). Die Beklagte holte dort die Auskunft vom 21. Juni 2004 ein, wonach die Klägerin u. a. wegen Tachykardie behandelt werde und an einer ausgeprägten Klaustrophobie leide. Weiterhin sei die Klägerin nicht fahrtüchtig (Bl. 69 des Gutachterheftes = GH, ausgestellt vom Urlaubsvertreter MR F. ). In einer von der Beklagten veranlassten weiteren ärztliche Stellungnahme vom 4. August 2004 gelangte der SMD (Dr. M. ) zu der Einschätzung, dass auch angesichts dieser Befunde an den Feststellungen des SMD-Gutachtens vom 19. April 2004 festzuhalten sei (Bl 70 bis 71 des GH).

10

Mit Bescheid vom 13. August 2004 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 27. März 2001 auf und wandelte die EU-Rente auf Dauer in eine bis zum 31. August 2006 befristete EU-Rente auf Zeit um (Bl 124 bis 125 VA). Auf den Widerspruch der Klägerin vom 10. September 2004 holte die Beklagte einen weiteren Befundbericht des Dr. Schulze vom 3. Oktober 2004 ein. Danach bestand bei der Klägerin eine ausgeprägte Klaustrophobie, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine progrediente depressive Neurose, rezidivierende Neuralgien im Narbenbereich; in den letzten sechs Monaten sei es zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesamtzustandes gekommen. In einem von der Beklagten veranlassten weiteren Gutachten des SMD vom 10. Januar 2005 stellten die Internistinnen Dr. M. /DM Ö. nach Untersuchung am 13. Dezember 2004 eine akute depressive Symptomatik aufgrund einer im Oktober 2004 bekannt gewordenen Krebserkrankung der Mutter fest und empfahlen die Einholung eines psychiatrischen Zusatzgutachtens. Entsprechend hatte sich bereits Prof. M. von der Universitätsklinik und Polyklinik für Nuklearmedizin der M. -L. -U. H. -W. H. in einem Schreiben vom 10. Dezember 2004 an den Hausarzt der Klägerin Dr. Sch. geäußert (Bl 84 bis 85 d. GH).

11

In dem daraufhin von der Beklagten eingeholten nervenärztlichen Gutachten gelangte die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. unter dem 22. Februar 2005 zu der Diagnose einer generalisierten Angststörung mit geringgradiger Depressivität und zunehmender Somatisierung (Bl 90 bis 97 des GH). Trotz eines verminderten Umstellungs- und Anpassungsvermögens in neuen Situationen sei die Klägerin insbesondere in ihrer letztgenannten Umschulungstätigkeit als Bürokraft aus psychiatrischer und neurologischer Sicht sechs Stunden und mehr täglich unter Berücksichtigung von zusätzlichen Leistungseinschränkungen belastbar. In seiner "abschließenden" sozialmedizinischen Stellungnahme schätzte der SMD (Dr. M. /DM Ö. ) am 16. März 2005 ein, dass die Klägerin danach körperlich leichte Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich ausüben könne (Bl. 88 bis 89 des GH). Dieses Leistungsvermögen gelte ab dem Tag der körperlichen Untersuchung im Rentenwiderspruchsverfahren am 13. Dezember 2004. Auf Bitten der Beklagten gab der SMD unter dem 14. Juli 2005 eine ergänzende Stellungnahme ab (Dr. N. /DM Ö. ), wonach die Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin im Vergleich zur Untersuchung vom 15. April 2004 in der positiven Entwicklung der damaligen Haupterkrankung (Schilddrüsenkarzinom) liege. Die nunmehr im Vordergrund stehende psychische Erkrankung der Klägerin begründe keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin unter die Grenze von sechs Stunden und mehr täglicher Tätigkeit. Aus sozialmedizinischer Sicht werde die Klägerin für fähig erachtet, eine leichte Tätigkeit mit den genannten Einschränkungen acht Stunden täglich (vollschichtig) auszuüben (Bl 100 bis 101 GH).

12

In dem daraufhin von der Beklagten eingeleiteten Anhörungsverfahren zur vollständigen Entziehung der Rente wandte die Klägerin ein, dass sich ihr Gesundheitszustand nicht gebessert habe und sie nicht leistungsfähiger geworden sei. Nach fünf Jahren Rentenbezug sei sie auch nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar. Mit Bescheid vom 26. September 2005 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 13. August 2004 auf und entzog der Klägerin die EU-Rente mit Wirkung vom 1. Oktober 2005, da die Klägerin in der Lage sei, acht Stunden täglich einer gewinnbringenden Tätigkeit nachzugehen. Ab dem 1. Oktober 2005 bestehe nur noch Anspruch auf eine Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau. Den dagegen eingelegten Widerspruch sowie den Widerspruch vom 31. August 2005 gegen den Umwandlungsbescheid (Befristung) wies die Beklagte mit Bescheid vom 3. Februar 2006 als unbegründet zurück.

13

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 15. Februar 2006 beim Sozialgericht eingegangenen Klage, mit der sie eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend macht.

14

Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt. Unter dem 13. Mai 2006 hat Dr. Sch. mitgeteilt, dass sich seit einem Jahr die Befunde verschlechtert hätten. Hinzugekommen seien ein rezidivierendes Schulter-Nacken-Arm-Syndrom und massive depressive Neurosen. In seinem Befundbericht vom 2. Mai 2006 hat der Orthopäde Dr. H. angegeben, dass auf seinem Fachgebiet in der Zeit von November 2004 bis April 2006 keine Veränderungen eingetreten seien.

15

Ferner hat das Sozialgericht ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Facharztes für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Dr. D. vom 2. August 2006 eingeholt. Dr. D. hat aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 22. Juni 2006 eine im Vordergrund stehende Angstneurose, Spondylosis deformans im Bereich HWS/LWS nach Bandscheiben-OP und einen Zustand nach Strumektomie wegen eines Schilddrüsenkarzinoms 1999 ohne Rezidiv diagnostiziert. Er ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin leichte körperliche Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten könne. In zeitlicher Hinsicht hat er aufgrund der körperlichen Beschwerden eine Tätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich für möglich gehalten. Im Hinblick auf die psychischen Beschwerden der Klägerin hat er jedoch eine vollschichtige Arbeitstätigkeit ausgeschlossen; maximal käme eine sechsstündige tägliche Arbeitsleistung in Betracht. Da sich die neurotischen Fehlentwickelungen bei der Klägerin seiner Einschätzung nach verstärkt hätten, hat er eine erneute Zweitbegutachtung aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht empfohlen. Zur Entwicklung der Befunde und der Leistungsfähigkeit hat er ausgeführt, dass sich die im Vordergrund stehende Angstneurose durchgehend seit dem Jahr 2000 progredient entwickelt habe (S 16 ff des Gutachtens, Bl 44 ff dA). Insbesondere im Zeitraum 2000/2001 bis 2004 habe sich die Entwicklung "deutlich verstärkt", so dass sich aus seiner Sicht das Leistungsbild trotz einer körperlichen Stabilisierung verschlechtert habe. Der von der Beklagten hierzu befragte SMD (Dr. N. ) hat unter dem 3. Januar 2007 eine ergänzende psychiatrische Begutachtung ebenfalls für sinnvoll eingeschätzt und hinzugefügt, dass seinerseits die von Dr. D. festgestellte Verschlechterung der neurotischen Fehlentwicklung nicht widerlegt werden könne (Bl 68 bis 70 dA).

16

Mit Urteil vom 18. Januar 2007 hat das Sozialgericht antragsgemäß

17

die Bescheide der Beklagten vom 13. August 2004 und vom 26. September 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2006 aufgehoben.

18

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte den Ausgangsbescheid vom 27. März 2001 bereits deshalb nicht habe aufheben oder abändern können, weil als Rechtsgrundlage hierfür allein § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Betracht komme. Danach sei ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintrete. Der Rentenbescheid vom 27. März 2001 sei jedoch von vornherein rechtswidrig gewesen, weil er der Klägerin zu Unrecht eine unbefristete Rente gewährt habe; die gesundheitliche Lage der Klägerin habe damals nur die Gewährung einer befristeten EU-Rente gerechtfertigt. Für die Aufhebung oder Abänderung eines somit rechtswidrigen Verwaltungsaktes käme als Rechtsgrundlage allein § 45 SGB X in Betracht. Dessen Voraussetzungen lägen bereits deshalb nicht vor, weil er die – hier nicht vorgenommene – Ausübung von Ermessen voraussetze.

19

Gegen das am 26. Februar 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. März 2007 Berufung eingelegt. Darin macht sie geltend, dass das Sozialgericht zu Unrecht den Ausgangsbescheid vom 27. März 2001 als rechtswidrig angesehen habe. Nach § 102 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung sei eine Befristung der Rente nur möglich gewesen, sofern begründete Aussicht auf eine Behebung der geminderten Erwerbsfähigkeit bestanden habe. Eine begründete Aussicht idS bestehe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wenn eine Besserung "nach medizinischen Erkenntnissen überwiegend wahrscheinlich ist" (BSG 1 RJ 102/80). Dies sei bei Erlass des Ausgangsbescheides am 27. März 2001 nicht der Fall gewesen. Nach dem Gutachten des SMD vom 19. Februar 2001 (Dedek) habe eine längerfristige Besserung des Gesundheitszustandes lediglich "im Bereich des Möglichen" gelegen. Eine solche Prognose habe nach altem Recht eine Befristung nicht gerechtfertigt.

20

Die Beklagte beantragt,

21

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

22

Die Klägerin beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen

24

und bezieht sich zur Begründung auf das erstinstanzliche Urteil.

25

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf ihren Inhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

26

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

A.

27

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 26. September 2005 ist begründet. Die Entziehung der Rente mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 war rechtswidrig. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse konnte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 26. September 2005 nicht festgestellt werden; dies geht zu Lasten der Beklagten (dazu I). Der Bescheid erweist sich auch nicht aus anderen Gründe als rechtmäßig (dazu II).

I.

28

Die Beklagte kann die Entziehung der Rente nicht auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse stützen.

29

1. Rechtsgrundlage für die Entziehung ist insoweit § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Gewährung einer EU–Rente ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. § 48 SGB X ist nicht deshalb unanwendbar, weil bereits der aufgehobene Bescheid möglicherweise rechtswidrig war. Ob dies der Fall ist, kann an dieser Stelle offen bleiben; denn § 48 SGB X findet entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch auf die Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte Anwendung. Der Begünstigte muss sowohl bei rechtmäßiger als auch bei rechtswidriger Leistungsbewilligung damit rechnen, dass eine Überprüfung der für die Bewilligung maßgeblichen Verhältnisse auf Änderung erfolgt (vgl BSG vom 7. Juli 2005 – B 3 P 8/04 R, BSGE 95, 57).

30

Danach ist § 48 SGB X die maßgebliche Rechtsgrundlage, wenn sich die Entziehung einer EU–Rente auf eine Besserung des Gesundheitszustandes stützt. In den Anwendungsbereich des § 45 SGB X fällt es dagegen, wenn eine bloße Neubewertung des ansonsten unverändert fortbestehenden Gesundheitszustandes geltend gemacht wird.

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2. Auf der Grundlage von § 48 SGB X erweist sich die Entziehung der Rente als rechtswidrig, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt nicht festgestellt werden kann.

32

a. Maßgeblich für die Feststellung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ist ein Vergleich der Sach– und Rechtslage bei Erlass des Ausgangsverwaltungsaktes und im Zeitpunkt des Abänderungsbescheides (Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl., § 48 Rn 4). Ausgangsverwaltungsakt ist derjenige, der zuletzt über die – jetzt möglicherweise geänderte – nach wie vor maßgebliche Leistungsvoraussetzung entschieden hat. Als geänderte Leistungsvoraussetzung macht die Beklagte allein eine verbesserte Leistungsfähigkeit der Klägerin geltend. Darüber hatte zuletzt der Bescheid vom 13. August 2004 befunden (Umwandlung in befristete Rente wegen nicht mehr unterhalbschichtiger Leistungsfähigkeit).

33

Zu fragen ist daher, ob bei Erlass des Umwandlungsbescheides vom 13. August 2004 in Bezug auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin tatsächlich Verhältnisse vorgelegen haben, die sich gut 13 Monate später bei Erlass des Bescheides vom 26. September 2005 wesentlich geändert hatten. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Beklagte unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht mehr hätte erlassen dürfen. Welche Änderungen wesentlich sind, ist daher nach dem jeweiligen Leistungsrecht zu beurteilen, im vorliegenden Falle also nach § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (Art 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl I S 2261, 1990 I S 1337), die für die Rente der Klägerin gemäß § 302b Abs 1 Satz 1 SGB V weiterhin maßgeblich ist. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iSv § 48 Abs 1 SGB X kann auch vorliegen, wenn der Leistungsträger infolge falscher Subsumtion die Rente von Anfang an zu Unrecht gewährt hat und sich die von ihm erkennbar (doch fälschlich) als maßgeblich zugrunde gelegten Verhältnisse nachfolgend wesentlich geändert haben (st Rspr, vgl BSG vom 28. März 1973 – 5 RKn 37/71, BSGE 35, 277; BSG vom 9. September 1986 – 5b RJ 66/85, BSGE 60, 218; Schütze in von Wulffen, aaO § 48 Rz 6 mwN). Maßgeblich ist damit, ob sich der Gesundheitszustand der Klägerin im Zeitraum vom 13. August 2004 bis zum 26. September 2005 insoweit gebessert hat, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs entfallen sind.

34

b. Im vorgenannten Zeitraum ist eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht feststellbar. Ein Vergleich des Gutachtens des SMD vom 19. April 2004 (Internist Dr. W. ) und der nachfolgenden Gutachten spricht eher für eine Verschlechterung.

35

Ausgangspunkt ist die Nachuntersuchung durch den SMD im April 2004. Dort hatte die Klägerin wie bereits im Jahre 2001 eine mangelnde Belastbarkeit angegeben (Schweißausbrüche bei Belastungen, sehr nervös, leicht aufgeregt, Hektik und Stress könnten nicht mehr toleriert werden wie früher, Leistungsvermögen für Dauertätigkeit insgesamt reduziert). Nach Ansicht des Gutachters Dr. W. bestanden gleichwohl keine Hinweise für eine depressive Symptomatik, zumal sich die Klägerin auch nicht in entsprechender fachärztlicher Behandlung befand. Die bisherige Haupterkrankung (Schilddrüsenkarzinom), die sich schon nach dem erstgenannten Gutachten positiv entwickelt hatte (kein Rezidiv, keine Metastasen), habe sich weiter stabilisiert.

36

Hiervon ausgehend berichten die nachfolgenden ärztlichen Stellungnahmen, soweit sie tatsächliche Befunde erheben, durchweg nur über Verschlechterungen des Gesundheitszustands der Klägerin. Nach dem Bericht von Dr. Sch. vom 3. Oktober 2004 bestand bei der Klägerin eine ausgeprägte Klaustrophobie, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine progrediente depressive Neurose, rezidivierende Neuralgien im Narbenbereich; in den letzten sechs Monaten sei es zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesamtzustandes gekommen. Bei der Untersuchung durch den SMD am 13. Dezember 2004 hat die Klägerin eine deutliche Befundverschlechterung angegeben; es wurde eine psychiatrische Erkrankung (akute depressive Symptomatik) diagnostiziert. Dabei hat sich der SMD (Dr. M. /DM Ö. ) außerstande gesehen, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin zu beurteilen, und die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens angeregt. Dr. Sch. hat in ihrem Gutachten vom 22. Februar 2005 dann eine generalisierte Angststörung mit geringgradiger Depressivität und zunehmender Somatisierung festgestellt. Mit diesen Befunden hat sie eine Verschlechterung konstatiert, wie sie selbst ausdrücklich angibt.

37

Diese Einschätzung bestätigt der gerichtliche Gutachter Dr. D ... Er hat ausgeführt, die Beschwerden aus der neurotischen Fehlentwicklung hätten im Vergleich des Gutachtens vom 19. April 2004 zu dem vom 10. Januar 2005 (Gutachten Dr. M. /DM Ö. ) zugenommen. Diese Feststellung wiederholt er bei dem Vergleich des Gutachtens von Dr. Sch. mit den Vorgutachten noch einmal ausdrücklich. Dem hat sich Dr. N. (SMD) in seiner Stellungnahme zum Gutachten von Dr. D. vom 3. Januar 2007 letztlich angeschlossen.

38

Gesundheitlichen Änderungen können auch der Stellungnahme des SMD vom 14. Juli 2005 nicht entnommen werden, obwohl ausdrücklich von der Beklagten danach gefragt war. Es wird lediglich auf den Gesichtspunkt der Heilungsbewährung hingewiesen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass etwa fünf bis sechs Jahre nach der Schilddrüsenoperation in dem fraglichen Zeitabschnitt von ca 13 Monaten eine wesentliche Verbesserung insoweit eingetreten wäre. Die allein maßgeblichen objektiven Funktionseinschränkungen haben sich in dem hier zu untersuchenden Zeitraum wie dargelegt eher verschlechtert.

39

Da jedenfalls eine Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht feststellbar ist, kann offen bleiben, ob die Einschätzung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin damals zu Recht erfolgt ist und zu einem späteren Zeitpunkt jemals wieder eine volle Erwerbsfähigkeit der Klägerin vorlag (vgl § 302b Abs 1 Satz 1 SGB VI). Die Feststellungslast trägt die Beklagte, die eine Änderung der Verhältnisse geltend macht (§ 48 SGB X; hA, vgl KassKomm/Steinwedel, SGB X §&8196;48 Rz&8196;12; Schütze in von Wulffen, aaO, § 48 Rz 9, jeweils mwN).

II.

40

Die Entziehung der Rente erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtmäßig. Sollten – wofür allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen und wovon auch die Beteiligten nicht ausgehen – bereits bei Erlass des Ausgangsbescheides am 13. August 2004 die Voraussetzungen für eine weitere Rentengewährung nicht (mehr) vorgelegen haben und sich daran in der Folge nichts geändert haben, wäre diese daher von Anfang an rechtswidrig gewesen. Gleichwohl wäre ihre Entziehung durch den Bescheid vom 26. September 2005 unwirksam. Als Rechtsgrundlage käme nur § 45 SGB X in Betracht, da es sich um die bloße Neubewertung einer ansonsten unverändert fortbestehenden Sachlage (der Leistungsfähigkeit) handelte. Nach Abs 1 der Norm "darf" ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden. Dies erfordert nach allgemeiner Meinung die Ausübung von Ermessen durch die Verwaltung, dh eine Abwägung von "Für und Wider" der Rücknahme unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles (vgl Schütze in von Wulffen, aaO, § 45 Rz 89 ff mwN). Daran fehlt es im vorliegenden Fall, wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat. Für einen Fall, in dem ausnahmsweise eine so genannte Ermessensreduzierung auf "Null" gegeben ist, die nur eine einzige Entscheidung ermöglicht und eine Ausübung von Ermessen also erübrigt (vgl Schütze in von Wulffen, aaO, Rz 91), ist nichts ersichtlich.

B.

41

Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Umwandlungsbescheid vom 13. August 2004 ist ebenfalls begründet. Die Umwandlung in eine befristete EU–Rente ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Auch in diesem Zusammenhang kann weder eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iSv § 48 SGB X noch eine anderweitige Rechtsgrundlage für den Umwandlungsbescheid festgestellt werden.

I.

42

Die Beklagte kann sich auch hier für die nachträgliche Befristung nicht auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse berufen.

43

1. Rechtsgrundlage für die Umwandlung in eine befristete EU–Rente wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ist wiederum § 48 SGB X (vgl oben A I).

44

2. Die Voraussetzungen des § 48 SGB X sind nicht erfüllt. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bei Erlass des Umwandlungsbescheides vom 13. August 2004 im Vergleich zum Ausgangsbescheid kann nicht festgestellt werden.

45

Ausgangsverwaltungsakt ist die ursprüngliche Gewährung der unbefristeten EU–Rente vom 27. März 2001. Darin war zuletzt über die jetzt möglicherweise geänderte und für die Rentengewährung nach wie vor maßgebliche Leistungsfähigkeit der Klägerin entschieden worden. Soweit dieser Bescheid Leistungen gemäß § 42 SGB I vorschussweise gewährte, sollte nach seinem Inhalt gerade nur die Leistungshöhe, nicht aber der Leistungsgrund unter Vorbehalt stehen. Ein weitergehender Vorbehalt hätte in dem Bescheid im Übrigen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden müssen (vgl KassKomm/Seewald, § 42 SGB I Rz 18 ff mwN). Die endgültige Rentenfestsetzung vom 5. Oktober 2001 verhielt sich demgemäß ausschließlich über die Berücksichtigung von rentenrechtlichen Zeiten und betraf damit nur die Rentenhöhe, nicht aber die Frage der Leistungsfähigkeit der Klägerin.

46

Nach § 102 Abs 2 Nr 1 und 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (Art 1 des Gesetzes vom 18. Dezember 1989, BGBl. I, S 2261, 1990 I, S 1337), die gemäß § 302b Abs 1 Satz 1 SGB VI weiter anzuwenden ist, wurden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur auf Zeit geleistet, wenn die begründete Aussicht bestand, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein könne (Nr 1) oder der Anspruch auch von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängig war (Nr 2). Nicht von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängig war der Rentenanspruch seinerzeit bei nur unterhalbschichtiger Erwerbsfähigkeit iSv § 44 Abs 2 SGB VI aF. In diesem Fall war nach damaliger Rechtsprechung von einer dauerhaften Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen mit der Folge, dass volle Erwerbsunfähigkeit bestand und diese ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten und nicht auch auf der (jeweiligen) Arbeitsmarktlage beruhte (BSG vom 7. April 1992 – 8 RKn 2/91, BSGE 70, 236 (Rz 8, 20) und – 8 RKn 1/91 – und – 8 RKn 6/91; BSG vom 6. Mai 1999 – B 10 LW 3/98 R, SozR 3-5868 § 21 Nr 1 unter Rz 22 f.; BSG vom 10. Dezember 1976 – GS 2/75, 3/75, 4/75 und 3/76, BSGE 43, 75; KassKomm/Niesel, § 43 SGB VI Rz 34).

47

Als wesentliche Änderung der Verhältnisse kommen danach eine gesundheitliche Besserung mit Anstieg der täglichen Leistungsfähigkeit der Klägerin auf mindestens vier Stunden (dazu a) sowie der nachträgliche Eintritt einer begründeten Aussicht auf Behebung der Erwerbsminderung in absehbarer Zeit in Betracht (dazu b).

48

a. Die tägliche Leistungsfähigkeit der Klägerin hat sich zwischen dem 27. März 2001 und dem 13. August 2004 nicht wesentlich (von unterhalbschichtig auf mindestens halbschichtig) verbessert. Vielmehr kann überhaupt keine Besserung objektiv festgestellt werden.

49

Maßgeblich sind nur solche Änderungen, die tatsächlich feststellbar sind. Erforderlich sind ausreichende Vergleichsunterlagen, dh bei der hier fraglichen Änderung der medizinischen Verhältnisse insbesondere genügend vergleichbare Befunde. Dabei kann eine Änderung auch dann als erwiesen anzusehen sein, wenn aus dem aktuellen Untersuchungsbefund medizinisch hinreichend sichere Schlüsse auch hinsichtlich des Zustandes im Zeitpunkt der letzten Rentenfeststellung und seiner Änderung möglich sind (BSG 17.07.1958 – 5 RKn 34/57, BSGE 7, 295). Kann der Sachverhalt jedoch auch bei Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten nicht aufgeklärt werden, geht dies grundsätzlich zu Lasten dessen, der die Änderung geltend macht (hA, vgl KassKomm/Steinwedel, SGB X §&8196;48 Rn&8196;12; Schütze in von Wulffen, aaO, § 48 Rn 9, jeweils mwN). Das ist hier die Beklagte.

50

aa. Bereits die Tatsachengrundlage für die (nur unterhalbschichtige) Leistungsfähigkeit der Klägerin ist beim Ausgangsbescheid vom 27. März 2001 außerordentlich dürftig.

51

Das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dedek (SMD) vom 19. Februar 2001 attestiert der Klägerin eine Leistungsfähigkeit für körperlich leichte Arbeiten von maximal 2,5 Stunden am Tag. Hierfür stellt es vor dem Hintergrund der Diagnose "Zustand nach Schilddrüsenkrebsoperation" wesentlich auf von der Klägerin geschilderte subjektive Beschwerden ab (allgemeine körperliche Schwäche, gesteigerte innere Unruhe, Herzrasen, Schlafstörungen, schnelle Ermüdung). Die erhobenen Befunde (ua "verzweifelte Stimmung", etwas geminderter Antrieb, Angststörung, lustlos) erschöpfen sich in diesen Angaben. Objektivierende Tests oder auch nur substantiierte Angaben zum Tagesablauf der Klägerin, die Rückschlüsse auf ihr Leistungsvermögen zuließen, fehlen gänzlich. Auch die darauf gründenden Folgerungen, dass trotz "optimaler Behandlung" des Schilddrüsenkarzinoms und nachfolgender Rehabilitation noch eine erhebliche körperliche Schwäche, unklare Schmerzzustände im Bereich des Bewegungsapparates und eine anhaltend depressive Reaktion bestünden, entbehren der Substanz. Der bloße Befund "Zustand nach Schilddrüsenkrebsoperation" allein hat schließlich in Bezug auf die Frage einer unterhalbschichtigen oder mindestens halbschichtigen Leistungsfähigkeit und deren voraussichtlicher Dauer nur äußerst begrenzte Aussagekraft. Dieser Zustand beschreibt keine Funktionseinschränkung und kann sich naturgemäß auch nicht verändern.

52

Die wenig greifbare Tatsachenbasis überrascht insbesondere angesichts der nur wenige Monate zuvor im Abschlussbericht der Reha–Klinik M. Sch. vom 25. September 2000 getroffenen Feststellungen. Dieser Bericht enthält über psychische Erkrankungen trotz gewisser Beschwerdeangaben überhaupt keinen Befund und gelangt ua auf der Grundlage der Diagnose "Zustand nach Schilddrüsenkrebsoperation" zu der dem Gutachten D. diametral entgegengesetzten Einschätzung, dass die Klägerin nach entsprechender Rekonvaleszenz vollschichtig (also acht Stunden und mehr) leichte bis mittelschwere Arbeiten dauerhaft verrichten könne. Damit bestehen erhebliche Zweifel an der Feststellung des Leistungsvermögens der Klägerin im SMD-Gutachten vom 19. Februar 2001. Angesichts der Hauptdiagnose "Zustand nach Schilddrüsenkrebsoperation", die sich nach "optimaler" Therapie im Juni 1999 inzwischen positiv entwickelt hatte, wäre eher eine Verbesserung zu erwarten gewesen.

53

Ausreichende Anhaltspunkte dafür, warum sich der Gesundheitszustand der Klägerin nach Einschätzung des Gutachters D. zwischen September 2000 und Februar 2001 gleichwohl so deutlich verschlechtert haben soll, lassen sich nicht erkennen. Im Gutachten vom 19. Februar wird demgemäß ein Vergleich mit dem – vorliegenden – Entlassungsbericht nicht angestellt. In den wenigen objektiven Tatsachen, die den Leistungseinschätzungen jeweils zugrunde gelegt werden, vermag der Senat keine greifbaren Unterschiede festzustellen. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, als seien die weitgehend gleichbleibenden subjektiven Angaben der Klägerin im September 2000 von der Reha-Einrichtung als unerheblich angesehen und im Februar 2001 als Beleg einer erheblichen körperlichen Schwäche, von Schmerzzuständen und einer anhaltenden depressiven Reaktion bewertet worden.

54

bb. Von dieser vagen Basis aus vermag der Senat eine Verbesserung des Gesundheitszustandes im Zeitpunkt der Umwandlung der Rente am 13. August 2004 nicht festzustellen.

55

Bei der Begutachtung im April 2004 wurden zwar "fortbestehende Beschwerden" festgestellt, die im Übrigen den gegenüber dem Gutachter D. im Jahre 2001 geklagten sehr ähnlich waren. Doch maß der Gutachter Dr. W. im Jahre 2004 diesen Beschwerdeangaben weniger Bedeutung bei. Objektive oder nachvollziehbare Befunde fehlten wiederum. Mit Ausnahme einer weiteren Heilungsbewährung nach Schilddrüsenkrebsoperation von gut drei Jahren lässt sich den Ausführungen von Dr. W. zum hier im Vordergrund stehenden psychischen Beschwerdebild objektiv nur die Einschätzung entnehmen, dass sich die Klägerin nicht in entsprechender fachärztlicher Behandlung befunden habe. In dieser Hinsicht hatte sich allerdings nichts verändert. Wenn aber weder eine objektive Änderung der subjektiven Beschwerdeangaben noch der klinischen Befunde konstatiert wurde, bleibt unklar, warum von einem verbesserten Leistungsvermögen auszugehen war.

56

Diese Einschätzung des Senats stimmt mit der Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen überein. Ausdrücklich zur Frage einer Besserung befragt hat Dr. D. aus den Feststellungen im Gutachten von Dr. W. gefolgert, dass sich die seiner Meinung nach im Vordergrund stehende Angstneurose seit dem Jahr 2000 progredient entwickelt habe (S 16 ff. des Gutachtens, Bl 44 ff dA). Insbesondere habe sich eine deutliche Verstärkung der neurotischen Symptomatik im Vergleich zur Ausgangslage ergeben, so dass sich aus seiner Sicht das Leistungsbild trotz einer körperlichen Stabilisierung verschlechtert habe.

57

Damit in Einklang steht der Befundbericht des Hausarztes Dr. Sch. vom 3. Oktober 2004 (der Bericht vom 21. Juni 2004 stammt offenbar von seiner Urlaubsvertretung MR F. ), wonach bei der Klägerin ua ein chronisches Schmerzsyndrom und eine progrediente depressive Neurose bestünden und es in den letzten sechs Monaten zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesamtzustandes gekommen sei. Ferner sprechen indiziell gegen eine Verbesserung der Befundlage der Arztbrief von Prof. Mende vom 10. Dezember 2004 und die Einschätzungen der Ärztinnen für Innere Medizin Dr. M. und DM Ö. aufgrund ihrer Untersuchung am 13. Dezember 2004, die nur vier Monate nach der Befristung der Rente von einem "dringenden psychiatrischen Diagnostik- und Therapiebedarf" ausgehen. Es erscheint zweifelhaft, diese Befunde allein auf die im Oktober 2004 bekannt gewordene Krebsdiagnose der Mutter der Klägerin zurückzuführen. Aus dem Gutachten von Dr. Sch. lassen sich schließlich keine weiteren Anhaltspunkte für eine Verbesserung der Befundlage im hier fraglichen Zeitraum entnehmen. Das gleiche gilt für die verbleibenden Stellungnahmen des SMD vom 4. August 2004, 16. März 2005 und 14. Juli 2005, die im Übrigen allesamt nach Aktenlage ergingen.

58

Bei diesem Bild konnte der Senat nicht die Überzeugung gewinnen, dass zwischen dem 27. März 2001 und dem 13. August 2004 eine für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin wesentliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten wäre.

59

b. Als wesentliche Veränderung der Verhältnisse käme grundsätzlich auch eine nachträgliche Verbesserung der Prognose in Betracht. Ob eine solche (stets vage) Prognose allerdings überhaupt als "wesentliche Änderung der Verhältnisse" angesehen werden kann, zumal bei tatsächlichem Eintritt der Besserung die Möglichkeit einer Rentenentziehung besteht, braucht aber nicht entschieden zu werden. Denn eine solche Verbesserung der Aussichten lässt sich nicht feststellen.

60

Begründete Aussicht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein könne (§ 102 Abs 2 Nr 1 SGB VI), bestand nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zum insoweit gleichlautenden § 1276 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) nur dann, wenn die Behebung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren ab Rentenbewilligung "wahrscheinlich" war (vgl. BSG vom 17. Februar 1982 – 1 RJ 102/80, BSGE 53,100). Wahrscheinlich war nach dieser Rechtsprechung diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter und vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt; es musste sich unter Würdigung des Ergebnisses der Sachaufklärung ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausschieden (BSG aaO mwN unter Rz 23). Die hiernach anzustellende Prognose war im Allgemeinen aus der Sicht des Versicherungsträgers im Zeitpunkt der Erteilung des Rentenbescheides zu stellen (BSG vom 12. Februar 1981 – 4 RJ 3/80, SozR 2200 § 1276 Nr 4).

61

Kein Arzt hat ausgeführt, dass bei Befristung der Rente im Gegensatz zur Ausgangslage ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit für eine Wiederherstellung der vollschichtigen, also achtstündigen Leistungsfähigkeit der Klägerin innerhalb von drei Jahren bestanden habe, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausschieden. Es fehlt sogar – ohne dass es darauf noch ankommt – an einer ärztlichen Feststellung, dass zu diesem Zeitpunkt überhaupt eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine künftige gesundheitliche Besserung der Klägerin bestand; dies behauptet die Beklagte auch nicht. Hierfür ist auch nichts erkennbar. Der soweit feststellbar gleichbleibend schlechte Gesundheitszustand der Klägerin spricht eher für das Gegenteil.

II.

62

Die nachträgliche Befristung kann auch nicht auf andere Gründe gestützt werden, insbesondere nicht auf eine etwaige anfängliche Rechtswidrigkeit der unbefristeten Rentengewährung. Auf die Ausführungen zu § 45 SGB X (siehe oben A II) wird Bezug genommen. Hier tritt hinzu, dass die Frist des § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (hier vom 27. März 2001) nur bis zum Ablauf von zwei Jahren seit seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann, am 13. August 2004 bereits abgelaufen war.

C.

63

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

64

Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, da es sich um eine Einzelfallentscheidung auf geklärter Rechtsgrundlage handelt.


(1) Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1 zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt; die Vorschußzahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.

(2) Die Vorschüsse sind auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten. § 50 Abs. 4 des Zehnten Buches gilt entsprechend.

(3) Für die Stundung, Niederschlagung und den Erlaß des Erstattungsanspruchs gilt § 76 Abs. 2 des Vierten Buches entsprechend.

(1) Besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen und ist zwischen mehreren Leistungsträgern streitig, wer zur Leistung verpflichtet ist, kann der unter ihnen zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt. Er hat Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt; die vorläufigen Leistungen beginnen spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des Antrags.

(2) Für die Leistungen nach Absatz 1 gilt § 42 Abs. 2 und 3 entsprechend. Ein Erstattungsanspruch gegen den Empfänger steht nur dem zur Leistung verpflichteten Leistungsträger zu.

(3) (weggefallen)

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.