Sozialgericht München Urteil, 22. Jan. 2016 - S 28 KA 212/13
Gericht
Gründe
I.Der Bescheid vom 10.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die von der Klägerin für das Quartal abgerechneten Behandlungsfälle (Krankenhaus B.) nach Prüfung auf rechnerische und sachliche Richtigkeit nachzuvergüten.
II.Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung nachträglich abgerechneter Behandlungsfälle (ambulante Notfälle) eines Klinikums der Klägerin im Quartal streitig. Die Klägerin ist ein öffentlich-rechtlicher Krankenhausträger, der u.a. die C. Klinik Bad C-Stadt betreibt. Die C. Klinik Bad C-Stadt ist ein im Krankenhausplan des Freistaates Bayern ausgewiesenes Plankrankenhaus der ersten Versorgungsstufe.
Die C. Klinik Bad C-Stadt reichte am 22.11.2012 die Abrechnung der Behandlungsfälle (ambulante Notfälle) aus dem Quartal i.H.v. 30.565,11 € bei der Beklagten ein.
Mit Bescheid vom 10.12.2012 teilte die Beklagte der C. Klinik Bad C-Stadt mit, dass die Behandlungsfälle nicht mehr vergütet werden könnten. Sie verwies auf die Abrechnungsbestimmungen aus dem Honorarvertrag vom 01.01.2009, wonach die Abrechnung von Behandlungsfällen nach Ablauf von neun Monaten nach Ende des Quartals ausgeschlossen sei.
Hiergegen legte die Klinik am 12.12.2012 Widerspruch ein. Sie verwies darauf, dass die Mitarbeiterin, die für die Abrechnung der KV-Notfälle zuständig sei, in den Jahren 2011 und 2012 häufiger erkrankt gewesen sei, insgesamt länger als ein halbes Jahr. Aus diesem Grund habe man sich vor längerer Zeit telefonisch bei der Beklagten erkundigt. Aussage einer Sachbearbeiterin sei gewesen, dass es kein Problem sei, wenn die Abrechnung nicht zeitgerecht eingereicht würde, es bestünde dann lediglich kein Anspruch auf zeitgerechte Auszahlung. Von einer Ausschlussfrist von neun Monaten sei der Klinik nichts bekannt gewesen. Der Honorarvertrag liege der Klinik nicht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beklagte verwies auf die im Honorarvertrag geregelte neunmonatige Ausschlussfrist. Die amtliche Veröffentlichung des Vertrages sei in Ausgabe 3 der Bayerischen Staatszeitung vom 16.01.2009 erfolgt.
Die Klägerin hat am 07.03.2013 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, den Vergütungsanspruch aufgrund der Ausschlussfrist zu versagen. Die Ausschlussfrist sei ihr nicht bekannt gewesen. Für eine derartige Ausschlussfrist fehle es gegenüber Krankenhäusern an einer gesetzlichen Grundlage. Auch sei die Ausschlussfrist unangemessen kurz und verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Der – vollständige - Abrechnungsausschluss sei unverhältnismäßig. Die ambulante Notfallbehandlung mache im Vergleich zu stationären Versorgung nicht einmal 1% der Entgelte der Klinik aus. Im Gegensatz zur Abrechnung der stationären Leistungen stelle die Klägerin bei der Abrechnung der ambulanten Notfallbehandlung lediglich sicher, dass die Abrechnungskräfte der Klägerin die Grundbestimmungen kennen und in der Lage seien, die quartalsweise Abrechnung durchzuführen.
Die Klägerin beantragt:
Der Bescheid vom 10.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die von der Klägerin für das Quartal abgerechneten Behandlungsfälle (Krankenhaus Bad C-Stadt) nach Prüfung auf rechnerische und sachliche Richtigkeit nachzuvergüten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist u.a. auf Abschnitt 2.1 Teil A Nr. 2 Abs. 2 des Honorarvertrages vom 01.01.2011, wonach die Bestimmungen des Vertrags u.a. auch Anwendung finden auf die Abrechnung von Notfall-Leistungen, die von Nichtvertragsärzten und Krankenhäusern erbracht werden. Der Honorarvertrag sei am 18.02.2011 in der Nr. 7 des Bayerischen Staatsanzeigers veröffentlicht worden. Gem. § 1 Abs. 2 der Abrechnungsbestimmungen der Beklagten fänden diese auch Anwendung auf die Abrechnung von Notfall-Leistungen, die von Nichtvertragsärzten und Krankenhäusern erbracht werden. Nach der BSG-Rechtsprechung seien Regelungen hinsichtlich Abrechnungsfristen grundsätzlich rechtmäßig. Die Abrechnungsbestimmungen könnten schon immer über die Homepage der Beklagten eingesehen werden. Auch handele es sich vorliegend um ein Organisationsverschulden, dass sich die Klägerin zurechnen lassen müsse. Denn die Klägerin hätte dafür Sorge tragen müssen, dass Fehlzeiten der für die Abrechnung der ambulanten Notfälle allein zuständigen Mitarbeiterin entsprechend aufgefangen werden.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine Vergütung der von ihr nachträglich abgerechneten ambulanten Notfälle aus dem Quartal .
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen allesamt vor.
Die Klage ist auch begründet. Vorliegend würde die Anwendung der grundsätzlich einschlägigen Ausschlussfrist einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechtsposition der Klägerin bewirken.
§ 3 Abs. 4 der Abrechnungsbestimmungen der Beklagten (mit Wirkung ab 01.07.2011) lautet: „Die Abrechnung von Behandlungsfällen ist nach Ablauf der im Abschnitt 2.1 A – Allgemeine Bestimmungen des Honorarvertrages festgelegten Ausschlussfrist ausgeschlossen.“
In Abschnitt 2.1 A Nr. 3. Abs. 6 der Vereinbarung zwischen den Krankenkassen und der Beklagten über die Vergütung und Honorierung vertragsärztlicher Leistungen im Jahr 2011 (im Folgenden: „Honorarvertrag 2011“) ist geregelt: „Die Abrechnung von Behandlungsfällen ist nach Ablauf von neun Monaten, vom Ende des Quartals an gerechnet, in dem die Leistungen erbracht worden sind, ausgeschlossen.“
Diese im vertragsärztlichen Bereich geregelte Ausschlussfrist bezüglich verspätet eingereichter Abrechnungen gilt grundsätzlich auch für die Klägerin als Krankenhausträgerin.
Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 2 Abrechnungsbestimmungen der Beklagten sowie aus Abschnitt 2.1 A Nr. 2. Abs. 2 Honorarvertrag 2011, wonach die Bestimmungen dieser Regelungswerke u.a. auch auf die Abrechnung von Notfall-Leistungen, die von Nichtvertragsärzten oder Krankenhäusern erbracht werden, Anwendung finden (so im Ergebnis auch BayLSG, Urteil vom 23.07.2013, Az. L 12 KA 1/13, S. 9 ff.).
Die Klägerin ist, sofern sie bzw. eines ihrer Krankenhäuser an der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen von Notfallbehandlungen teilnimmt, verpflichtet, sich über die hierfür maßgeblichen gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften zu informieren (BayLSG, Urteil vom 23.07.2013, Az. L 12 KA 1/13, S. 11). Die Beklagte hat im Übrigen darauf verwiesen, dass die Abrechnungsbestimmungen über die Serviceseiten auf ihrer Homepage abrufbar sind. Der Honorarvertrag vom 01.01.2011 wurde im Bayerischen Staatsanzeiger vom 18.02.2011 veröffentlicht.
Es bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit solcher Ausschlussregelungen (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2005, Az. B 6 KA 19/04 R und BSG, Urteil vom 29.08.2007, Az. B 6 KA 29/06 R).
Nach der Rechtsprechung des BSG darf die Anwendung der Ausschlussregelung jedoch keinen Eingriff bewirken, der so schwer wiegt, dass er außer Verhältnis zu dem der Regelung innewohnenden Zweck steht (BSG, Urteil vom 29.08.2007, Az. B 6 KA 29/06 R, Rn. 13) In Anlehnung an diese Rechtsprechung geht das BayLSG von einer Unverhältnismäßigkeit des Abrechnungsausschlusses bei einer Kürzung des Gesamthonorars von 50% aus (BayLSG, Urteil vom 04.12.2013, Az. L 12 KA 139/12, Rn. 25 ff.; BayLSG, Urteil vom 25.03.2015, Az. L 12 KA 37/13, Rn. 17).
Im streitgegenständlichen Fall würde die Anwendung der Ausschlussfrist zu einem vollständigen Abrechnungsausschluss der C. Klinik Bad C-Stadt im Quartal führen.
Auch wenn die Klägerin mehrere Krankenhäuser betreibt, die im Rahmen von Notfallbehandlungen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, ist bei der Frage der Verhältnismäßigkeit auf das einzelne Krankenhaus abzustellen (vgl. auch Abschnitt 2.1 A Nr. 2. Abs. 2 Satz 2 Honorarvertrag 2011, wonach ambulante Notfall-Leistungen, die in Krankenhäusern erbracht werden, nur durch das jeweilige Krankenhaus abrechnungsfähig sind). Im Übrigen kommt es nur auf das Verhältnis des Kürzungsvolumens zum vertragsärztlichen Gesamthonorar der Klinik an und nicht darauf, dass die Krankenhäuser ihre überwiegenden Einkünfte aus stationären Entgelten beziehen.
Ein vollständiger Ausschluss ist nach Auffassung der Kammer unverhältnismäßig.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nichteinreichung der Abrechnung der C. Klinik Bad C-Stadt für das Quartal einen offensichtlichen Fehler darstellte, der für die Beklagte erkennbar war. Bei der C. Klinik Bad C-Stadt handelt es sich um ein öffentlich-rechtliches Plankrankenhaus, das der Grundversorgung dient und regelmäßig ein vertragsärztliches Gesamthonorar von ca. 30.000 €/Quartal für die Behandlung ambulanter Notfälle erzielt. Es erscheint undenkbar, dass diese Klinik in einem ganzen Quartal keine ambulanten Notfälle behandelt und infolgedessen keine Abrechnung einreicht. Der Beklagten hätte die Nichtabrechnung der C. Klinik Bad C-Stadt folglich auffallen müssen.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass es auf die Frage der Verhältnismäßigkeit des Abrechnungsausschlusses nicht ankommen soll, da der Klägerin ein Organisationsverschulden vorzuwerfen ist. Nach ihrer Ansicht hätte die Klägerin dafür Sorge tragen müssen, dass Fehlzeiten der für die Abrechnung der ambulanten Notfälle allein zuständigen Mitarbeiterin entsprechend aufgefangen werden. Ein Vertreter dieser Mitarbeiterin hätte dann die Abrechnung fristgemäß erstellen können.
Die Kammer teilt die Einschätzung der Beklagten, dass für die verspätet eingereichte Abrechnung ein - vermeidbarer - Organisationsfehler der Klägerin bzw. der C. Klinik Bad C-Stadt ursächlich ist. Derartige, schuldhafte Fehler sind jedoch geradezu typisch für Fallkonstellationen der verspäteten Einreichung der Abrechnung oder der nachträglichen Berichtigung oder Ergänzung der Abrechnung (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 22.06.2005, Az. B 6 KA 19/04 R, Rn. 28). Das BSG hat darauf verwiesen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit haben, Regelungen zu schaffen, um die Nichteinhaltung von sachgerecht festgesetzten Vorlagefristen für die vertragsärztliche Abrechnung zu sanktionieren. So könnten sie prozentuale Abschläge von dem vertragsärztlichen Honorar bei verspätet eingereichten Abrechnungen regeln. Dabei sind sie auch berechtigt, „hinsichtlich der Reaktion auf eine Versäumung des Einsendetermins danach zu differenzieren, ob ein Arzt einmalig, etwa infolge einer technischen Panne, verspätet abrechnet, oder regelmäßig den Termin schuldhaft versäumt“ (BSG, ebenda, Rn. 27; vgl. auch BSG, Urteil vom 29.08.2007, Az. B 6 KA 29/06 R, Rn. 15 zur Möglichkeit der Regelung des gestaffelten Honorarabzugs).
Vorliegend sind jedoch weder in den Abrechnungsbestimmungen der Beklagten noch im geltenden Honorarvertrag derartige gestaffelte Honorarabzüge geregelt. Nach Auffassung der Kammer kommt es, wenn derartige Regelungen nicht bestehen, auf die Frage eines etwaigen Verschuldensvorwurfs im Fall eines vollständigen Vergütungsausschlusses bei offensichtlicher Nichtabrechnung nicht an.
Die Kammer verkennt nicht, dass die in der Rechtsform einer GmbH organisierte Klägerin kommunal beherrscht ist und sich daher grundsätzlich nicht auf Grundrechtsschutz berufen kann. Das BSG differenziert jedoch nicht dahingehend und hat den Grundsatz aufgestellt, dass der Vergütungsanspruch der Krankenhäuser oder Nichtvertragsärzte für Notfallbehandlungen gegenüber dem Vergütungsniveau der Vertragsärzte nur dann reduziert oder im Umfang eingeschränkt werden darf, wenn dies durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Auch eine mittelbare Schlechterstellung von Notfallleistungen im Krankenhaus gegenüber vergleichbaren Leistungen von Vertragsärzten durch Regelungen der Honorarverteilung hat das BSG nicht gebilligt (BSG, Urteil vom 12.12.12, Az. B 6 KA 3/12 R, Rn. 28 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung geht die Kammer davon aus, dass die zur Frage der Rechtmäßigkeit von (vollständigen) Abrechnungsausschlüssen aufgestellten Grundsätze auch auf die Klägerin übertragbar sind.
Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass die nachträgliche Bearbeitung der Abrechnung der Klinik für die Beklagte keinen allzu hohen Verwaltungsaufwand bedeuten dürfte.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Annotations
(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.
(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.