Sozialgericht Magdeburg Beschluss, 08. Mai 2015 - S 43 AS 697/15

ECLI:ECLI:DE:SGMAGDE:2015:0508.S43AS697.15.0A
08.05.2015

Tenor

Das Sozialgericht Magdeburg erklärt sich für örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird dem Bundessozialgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende.

2

Die Klägerin mit Wohnsitz in ... erhob am 16. Februar 2015 bei dem Sozialgericht Braunschweig Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 4. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2015. Mit Verfügung vom 19. Februar 2015 wies der Kammervorsitzende die Beteiligten darauf hin, dass eine Verweisung an das örtlich zuständige Sozialgericht Stendal in Betracht komme. Er räumte Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ein. Das gerichtliche Schreiben ging bei dem Bevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 2. März 2015 ein. Mit Beschluss vom 11. März 2015 erklärte sich das Sozialgericht Braunschweig für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Sozialgericht Magdeburg.

3

Das Sozialgericht Magdeburg hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es Zweifel an der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses habe und beabsichtige, den Rechtsstreit dem Bundessozialgericht (BSG) zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorzulegen. Es hat ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen gegeben. Sie haben sich nicht geäußert.

II.

4

Der Rechtsstreit ist dem BSG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorzulegen.

5

Nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

6

So liegt es hier. Das Sozialgericht Braunschweig hat sich mit Beschluss vom 11. März 2015 für örtlich unzuständig erklärt. Diese Entscheidung ist gemäß § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar. Auch das Sozialgericht Magdeburg erklärt sich mit dem vorliegenden Beschluss für örtlich unzuständig. Das gemeinsame nächsthöhere Gericht ist das Bundessozialgericht.

7

Das Sozialgericht Braunschweig ist gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG örtlich zuständig, weil die Klägerin in dessen Gerichtsbezirk ihren Wohnsitz hat (1). Das Sozialgericht Magdeburg kann sich für örtlich unzuständig erklären, weil der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 11. März 2015 ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet (2).

8

1. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Klägerin zur Zeit der Klageerhebung ihren Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort hat; steht sie in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann sie auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen. Einen Wohnsitz haben natürliche Personen dort, wo sie ihre Wohnung unter solchen Umständen innehaben, die darauf schließen lassen, dass sie diese beibehalten und nutzen werden (vgl. § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil).

9

Nach dieser allgemeinen Zuständigkeitsregelung bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz der Klägerin. Diesen hat sie ausweislich der Klageschrift in ... Es ist nicht ersichtlich, dass sie unter dieser Adresse nicht ihre Wohnung innehat. Es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Magdeburg hat. Für die Stadt ist das Sozialgericht Braunschweig gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 2 Niedersächsisches Justizgesetz örtlich zuständig.

10

2. Dem Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Braunschweig kommt hier keine Bindungswirkung zu. Zwar ist gemäß § 98 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, bindend. Nach der Rechtsprechung des BSG entfällt jedoch die Bindungswirkung, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichem Verhalten beruht. Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt (BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 – B 12 SF 5/12 S –, Rn. 6 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung, zitiert nach juris).

11

Das ist hier der Fall. Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Braunschweig ist schon entgegen § 98 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet. Zudem wird im Tenor keine Rechtsgrundlage genannt, auf der die Entscheidung beruhen sollte. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, auf welche rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen die Entscheidung gestützt ist. Sie sind in der Gerichtsakte nicht dokumentiert. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ergibt sich nach den Zuständigkeitsregelungen des Sozialgerichtsgesetzes die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Magdeburg.

12

Außerdem erging der Beschluss unter Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Das Sozialgericht Braunschweig hat vor Ablauf der selbst gesetzten zweiwöchigen Stellungnahmefrist entschieden. Die gerichtliche Verfügung ging dem Bevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses erst am 2. März 2015 zu. Der Beschluss erging bereits am 11. März 2015. Aus Art. 103 Abs. 1 GG erwächst dem Gericht jedoch die Pflicht, vor Erlass seiner Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten das rechtliche Gehör tatsächlich gewährt wurde. Bemisst sich – wie hier – die den Beteiligten zur Äußerung gesetzten Frist nach dem Zugang der richterlichen Verfügung, ist der Zeitpunkt des Zugangs festzustellen und zu berücksichtigen. Nur dadurch wird gewährleistet, dass die Äußerungsfrist zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs effektiv ausgeschöpft werden kann. Ergeht die Entscheidung vor Ablauf der Frist, verletzt dies Art. 103 Abs. 1 GG (Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 19. Dezember 2013 – 1 BvR 859/13 –, Rn. 9 ff, zitiert nach juris).

13

Es ist nicht auszuschließen, dass die Verweisung an das Sozialgericht Magdeburg und damit der Entzug des für die Klägerin zuständigen Gerichts zumindest auch auf einer Verletzung dieses Verfassungsrechts beruht. Die Klägerin kann keine Anhörungsrüge gemäß § 178 a SGG erheben, da der Verweisungsbeschluss keine Endentscheidung im Sinne des § 178 a Abs. 1 Satz 2 SGG ist. Auch aus diesem Grund, kann diesem keine Bindungswirkung zukommen.

14

Nach alledem verstößt die Entscheidung gegen zwingendes Verfahrensrecht. Sie ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und beruht damit auf sachfremden Erwägungen.

15

Dieser Beschluss ist gemäß § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar.


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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 57


(1) Örtlich zuständig ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem fü

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 98


Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

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Bundessozialgericht Beschluss, 18. Juli 2012 - B 12 SF 5/12 S

bei uns veröffentlicht am 18.07.2012

Tenor Das Sozialgericht Berlin wird zum zuständigen Gericht bestimmt. Gründe 1 I.

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Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

(1) Örtlich zuständig ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen. Klagt eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, in Angelegenheiten nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch ein Unternehmen der privaten Pflegeversicherung oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts oder des Schwerbehindertenrechts ein Land, so ist der Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Beklagten maßgebend, wenn dieser eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts ist.

(2) Ist die erstmalige Bewilligung einer Hinterbliebenenrente streitig, so ist der Wohnsitz oder in Ermangelung dessen der Aufenthaltsort der Witwe oder des Witwers maßgebend. Ist eine Witwe oder ein Witwer nicht vorhanden, so ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die jüngste Waise im Inland ihren Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort hat; sind nur Eltern oder Großeltern vorhanden, so ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Eltern oder Großeltern ihren Wohnsitz oder in Ermangelung dessen ihren Aufenthaltsort haben. Bei verschiedenem Wohnsitz oder Aufenthaltsort der Eltern- oder Großelternteile gilt der im Inland gelegene Wohnsitz oder Aufenthaltsort des anspruchsberechtigten Ehemanns oder geschiedenen Mannes.

(3) Hat der Kläger seinen Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland, so ist örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat.

(4) In Angelegenheiten des § 51 Abs. 1 Nr. 2, die auf Bundesebene festgesetzte Festbeträge betreffen, ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesregierung ihren Sitz hat, in Angelegenheiten, die auf Landesebene festgesetzte Festbeträge betreffen, das Sozialgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.

(5) In Angelegenheiten nach § 130a Absatz 4 und 9 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die zur Entscheidung berufene Behörde ihren Sitz hat.

(6) Für Antragsverfahren nach § 55a ist das Landessozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Körperschaft, die die Rechtsvorschrift erlassen hat, ihren Sitz hat.

(7) In Angelegenheiten nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Auftraggeber seinen Sitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat dieser seinen Sitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz im Ausland, ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Auftragnehmer seinen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat.

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

Tenor

Das Sozialgericht Berlin wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit darüber, ob der Kläger, ein Verein mit Sitz im Zuständigkeitsbereich des SG Osnabrück, als Träger eines in Berlin ansässigen Krankenhauses einen Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse auf Auszahlung von 9660,45 Euro hat, die die Beklagte von den vom Krankenhaus abgerechneten Krankenhausleistungen in den Jahren 2006 bis 2008 einbehalten hat. Der Kläger macht mit der beim SG Osnabrück eingereichten Klage geltend, die Beklagte sei nicht berechtigt, die Beträge auf der Grundlage des § 140d Abs 1 S 1 SGB V zur Förderung der integrierten Versorgung von der an den Kläger gemäß § 85 Abs 1 SGB V zu entrichtenden Gesamtvergütung einzubehalten, weil diese Mittel ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs 1 S 1 SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden dürften, die Beklagte jedoch nicht gemäß § 140d Abs 1 S 4 SGB V nachgewiesen habe, dass die einbehaltenen Beträge gesetzeskonform verwendet worden seien. Die Beklagte macht geltend, als Nachweis genügten die sog Konformitätserklärungen für die Jahre 2006, 2007 und 2008 über die über den 31.12.2008 hinauslaufenden IV-Verträge "Verbundversorgung Berlin-Brandenburg" und "H.-Kliniken". Auf Anfrage des SG Osnabrück hat die Beklagte mitgeteilt, dass Verträge zur integrierten Versorgung ausschließlich in den Bundesländern und nicht auf Bundesebene bestünden und den Kläger betreffende Verträge für Berlin-Brandenburg vorlägen, es allerdings nicht nachvollziehbar sei, dass die Regelung des § 57a SGG einschlägig sein solle. Nach Anhörung der Beteiligten hat sich das SG Osnabrück mit Beschluss vom 29.11.2011 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit mit Hinweis auf § 57a Abs 3 SGG an das SG Berlin verwiesen.

2

Mit Beschluss vom 16.4.2012 hat sich das SG Berlin ebenfalls nach Anhörung der Beteiligten für örtlich unzuständig erklärt und die Streitsache dem BSG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt, weil die Verweisung des SG Osnabrück willkürlich sei bzw auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruhe und deshalb nicht binde. Die Zuständigkeit ergebe sich nicht aus § 57a Abs 3 SGG, da Verträge auf Landesebene nicht betroffen seien.

3

II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem SG Osnabrück und dem SG Berlin berufen, nachdem das SG Osnabrück seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das SG Berlin verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das SG Osnabrück mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht. Das SG Berlin konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl BSG SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 8).

4

Zum zuständigen Gericht ist das SG Berlin zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des SG Osnabrück vom 29.11.2011 gebunden ist.

5

Gemäß § 98 Abs 1 SGG iVm § 17a Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über die Anwendung von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrundeliegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist gerade nicht Aufgabe des gemeinsamen übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG.

6

Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichem Verhalten beruht (stRspr, vgl BSG SozR 3-1720 § 17a Nr 11 S 19 ff, SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 11, SozR 4-1500 § 58 Nr 6 RdNr 15 und SozR 4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4, sowie BVerfG Kammerbeschluss vom 19.12.2001 - 1 BvR 814/01 - NVwZ-RR 2002, 389; zuletzt Beschlüsse des Senats vom 4.1.2012 - B 12 SF 2/11 S - SGb 2012, 369 f, und vom 5.1.2012 - B 12 SF 4/11 S). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt (vgl BVerfG, aaO). Für eine abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts in Anwendung dieser strengen Maßstäbe, die das BSG in seiner Rechtsprechung ausgeformt hat, ist vorliegend noch kein Raum.

7

Zwar verletzt das SG Osnabrück zwingendes Recht, weil der Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs 4 S 2 GVG mit keiner Begründung versehen ist. Insoweit genügt nicht die Angabe der angewandten Rechtsnorm im Beschlusstenor. Vielmehr hat die Begründung mindestens auch die für erfüllt oder nicht erfüllt gehaltenen Tatbestandsmerkmale und die dafür ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe zu bezeichnen (zu den Mindestanforderungen an eine Begründung vgl BSG SozR 1500 § 136 Nr 10; BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R; Beschluss vom 6.2.2003 - B 7 AL 32/02 B). Diese Missachtung nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden Verfahrensrechts allein führt jedoch nicht dazu, dass der Beschluss grob verfahrensfehlerhaft bzw willkürlich wäre (vgl BSG Beschluss vom 25.10.2004 - B 7 SF 20/04 S). Vielmehr ist dem Akteninhalt noch mit ausreichender Sicherheit zu entnehmen, dass die Verweisung des SG Osnabrück zwar auf wohl unzutreffenden, aber nicht auf sachfremden Erwägungen beruht hat, was auch für die Beteiligten erkennbar war.

8

Den Verweisungsbeschluss hat das SG Osnabrück lediglich mit dem Hinweis auf § 57a Abs 3 SGG versehen. Jedoch kann im Hinblick auf seine vorhergehende, unter Verweis auf § 57a Abs 3 und 4 SGG an die Beklagte gerichtete Anfrage, "ob Integrationsverträge ausschließlich mit einzelnen Bundesländern oder auf Bundesebene" bestünden, und die diesbezügliche Antwort geschlossen werden, dass das SG Osnabrück von Verträgen zur integrierten Versorgung "in Bundesländern" ausging. Aufgrund seiner Auslegung des § 57a Abs 3 SGG ist es danach zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall diese Vorschrift die örtliche Zuständigkeit regele und danach das SG Berlin zuständig sei. Die mögliche fehlerhafte Anwendung des § 57a Abs 3 SGG durch das SG ist als solche nicht geeignet, die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses zu beseitigen. Das SG konnte sich nämlich für seine Rechtsauffassung immerhin auf Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen stützen (vgl zB Beschlüsse vom 11.12.2008 - L 4 B 79/08 KR - NdsRpfl 2009, 261, und vom 5.1.2009 - L 1 B 73/08 KR). Den Inhalt der in der Tendenz gegenteiligen Beschlüsse des erkennenden Senats vom 4.1.2012 (B 12 SF 2/11 S - SGb 2012, 369 f, und vom 5.1.2012 - B 12 SF 4/11 S) sowie der dazu verfassten Anmerkung von Bockholdt (SGb 2012, 317) konnte es dagegen noch nicht berücksichtigen. Ob § 57a Abs 3 SGG auch in dem Fall anwendbar ist, dass sich Entscheidungen oder Verträge auf mehrere Länder (hier: Berlin und Brandenburg?) beziehen, oder ob es bei der Zuständigkeitsregelung des § 57 Abs 1 SGG verbleibt(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 57a RdNr 6), kann hier offenbleiben, weil eine ggf insoweit fehlerhafte Rechtsanwendung durch das SG Osnabrück mangels Anhaltspunkt für besondere, auf ein willkürliches Verhalten hindeutende Umstände ebenfalls die Bindung der Verweisung nicht beseitigen könnte.

9

Allerdings weist der Senat für die Auslegung des § 57a Abs 3 SGG zur Vermeidung wechselseitiger Verweisungen in Fällen der vorliegenden Art darauf hin, dass ebenso wie in Bezug auf § 57a Abs 4 SGG(BSG Beschlüsse vom 4.1.2012 - B 12 SF 2/11 S - SGb 2012, 369 f, und vom 5.1.2012 - B 12 SF 4/11 S) auch für die Sonderregelung bzw Spezialzuweisung des § 57a Abs 3 SGG gelten dürfte, dass die letztgenannte Vorschrift für die örtliche Zuständigkeit Angelegenheiten voraussetzt, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene "betreffen", und nicht sämtliche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch diese Vorschrift zugewiesen werden sollten. Aus ähnlichen Gründen wie bei § 57a Abs 4 SGG(vgl Beschlüsse des Senats vom 4.1.2012 und 5.1.2012, aaO) spricht mehr dafür, dass die örtliche Zuständigkeit der dort genannten SGe nur für solche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der GKV angeordnet wird, die sich ausschließlich auf die Ebene der Entscheidung oder des Vertrages auf Landesebene beziehen, also Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene insoweit "betreffen", als diese selbst und unmittelbar im Streit stehen (vgl Bockholdt, aaO, speziell zu Vergütungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen S 322 f).

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.