Sozialgericht Landshut Urteil, 13. Juni 2017 - S 1 R 5018/16 FdV

bei uns veröffentlicht am13.06.2017

Gericht

Sozialgericht Landshut

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Verfahrenskosten zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 127.085,70 € festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Betriebsprüfungsbescheides nach § 28 p Abs. 1 SGB IV, mit dem die Beklagte Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Umlagen und Säumniszuschläge in Höhe von 127.085,70 Euro vom Kläger fordert.

Der Forderung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Firma L. AG, A., ein deutschlandweit operierendes Trockenbauunternehmen, hatte sich zur Ausführung von Montagearbeiten bei einer Vielzahl von Bauvorhaben neben eigenen gemeldeten Arbeitskräften auch zahlreicher Subunternehmer bedient. Bei einer Überprüfung der Subunternehmer wurde festgestellt, dass diese die Bauleistungen teilweise nicht selbst erbracht haben, sondern lediglich als „Rechnungsschreiber“ fungierten. Die zugrundeliegenden Werkverträge der L. AG mit den „Rechnungsschreibern“ wurden dabei nur zum Schein abgeschlossen und hatten den Zweck, den Einsatz illegal beschäftigten Personals zu vertuschen und der L. AG gleichwohl den Ansatz von Betriebsausgaben und den Abzug der hierauf ausgewiesenen Umsatzsteuer als Vorsteuer zu ermöglichen.

Im Zusammenhang mit mehreren Strafverfahren gegen Verantwortliche der Firma L. AG verpflichtete sich diese, im Wege des Täter-Opfer-Ausgleichs Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2,55 Millionen Euro zu bezahlen. Hierzu schlossen die L. AG und die Beklagte nachstehenden Vergleichsvertrag über Haftungsfreistellung gegen Leistung einer pauschalen Beitragsnachzahlung

I. Vertragsgegenstand

Die vorstehenden Parteien schließen hiermit im Rahmen der Verständigung mit den Strafverfolgungsbehörden in dem Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der L. AG und gleichzeitig im Rahmen und zur Beendigung der Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung-Bayern Süd zum Thema Nachunternehmer der L. AG für Zeiträume bis 31.12.2003 den folgenden Vergleich.

Die vergleichsweise Einigung besteht darin, dass die L. AG - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht oder Haftung dem Grund oder der Höhe nach - eine pauschale Beitragszahlung leistet, welche die Deutsche Rentenversicherung-Bayern Süd einem oder mehreren von ihr zu bestimmenden Gläubigern durch einen in Vollzug des Vergleichs zu erlassenden Bescheid (Umsetzungsbescheid) zuweist, und die DRV die L. AG im Gegenzug von jeglicher etwa bestehender Beitragsschuld und jeglicher Haftung für Beiträge in allen Zweigen der Sozialversicherung (einschließlich Nebenleistungen) freistellt, gleich welchem Gläubiger aus dem Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung nach der Rechtslage eine Forderung zustünde.

II. Beitragsnachzahlung; Umsetzungsbescheid

II.1. Die Parteien vereinbaren im Wege der einvernehmlichen tatsächlichen Verständigung und des gegenseitigen Nachgebens eine Beitragsnachzahlung von € 2.550.000,00 EURO (Zweimillionenfünfhundertfünfzigtausend) für den gesamten Zeitraum bis 31.12.2003.

II.2. Die Deutsche Rentenversicherung-Bayern-Süd erlässt in Ausführung dieses Vergleichs über den gesamten Betriebsprüfungszeitraum bis 31.12.2003 einen Bescheid (Umsetzungsbescheid), welcher als Anlage diesem Vergleich beigefügt ist.

Die L. AG verpflichtet sich, gegen den Umsetzungsbescheid keinen Widerspruch einzulegen und erklärt schon jetzt Rechtsmittelverzicht.

Im Umsetzungsbescheid bestimmt die DRV diejenigen Einzugsstelle(n), welche den Vergleichsbetrag/Nachforderungsbetrag erhalten. Die L. AG verpflichtet sich, an die bezeichnete(n) Einzugsstelle(n) die ausgewiesenen Beträge binnen 14 Tagen ab Bekanntgabe des Bescheids zu bezahlen.

III. Endgültige Haftungsfreistellung der L. AG für Sozialversicherungsbeiträge und Nebenleistungen für die Zeit bis 31.12.2003; Zahlung auf Haftungsschuld; Nebenleistungen; Beendigung der Betriebsprüfung

III.1. Die Parteien sind sich einig, dass damit die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung aller Nachunternehmer der L. AG - d.h. insbesondere nicht nur derjenigen, die Gegenstand des eingangs erwähnten Ermittlungsverfahrens waren, sind oder noch sein werden - bis zum 31.12.2003 abgeschlossen und die mit dem Umsetzungsbescheid der DRV getroffene Festsetzung der Sozialversicherungsbeiträge für den gesamten Zeitraum bis 31.12.2003 - d.h. auch für Zeiträume, in denen keine Betriebsprüfung mehr anhängig ist - endgültig ist. Dies gilt nicht für Beitragsforderungen für Nachunternehmer, über die etwa bereits sozialgerichtliche Streitverfahren zwischen der L. AG und Sozialversicherungsträgern (auch Einzugsstellen) anhängig sind (Beispiel Grabert).

Soweit Grundlage der gegen die L. AG geltend gemachte Forderung eine Bürgenhaftung ist, wird klargestellt, dass Zahlungen der L. AG jedenfalls auf deren etwaige eigene (Haftungs-)Schuld erfolgen und nicht auf (fremde) Schuld der Nachunternehmer.

III.2. Mit diesem Vertrag wird die L. AG durch die DRV von etwaiger Beitragsschuld und Beitragshaftung für Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Nebenleistungen für die Zeit bis 31.12.2003 freigestellt. Damit sind - über die Zahlung gem. Ziffer II. hinaus - weitere Sozialversicherungsbeiträge für Nachunternehmer, gleich ob diese im eigenen Namen, als Strohmänner oder Hintermänner tätig waren, für deren Beschäftigte, deren Leiharbeitnehmer wie überhaupt für alle Personen, welche mit der Erbringung von Arbeitsleistungen auf und für die Baustellen der L. AG tätig waren (die Betriebsprüfung für die eigenen Arbeitnehmer der L. AG bis 31.12.2003 ist unabhängig von den eingangs genannten Verfahren ohnehin bereits abgeschlossen), von der L. AG nicht zu leisten. Mit der in Ziffer II geregelten Zahlung sind gleichzeitig alle nicht ohnehin bereits erfüllten Beitragsansprüche gegen die L. AG für Nachunternehmer und die vorgenannten Personenkreise in allen Zweigen der Sozialversicherung für die Zeit bis 31.12.2003, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten und erledigt. Abgegolten und erledigt sind insbesondere etwaige Ansprüche von Einzugsstellen unter dem Gesichtspunkt der Bürgenhaftung gemäß § 28e Abs. 3a ff. SGB IV, Beitragsschuld und Beitragshaftung im Zusammenhang mit § 10 AÜG und § 28e, Abs. 2 SGB IV, etwaige Ansprüche wegen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (z.B. Hinterziehungs- und Betrugstatbestände, illegale Arbeitsnehmerüberlassung) und Teilnahme an solchen Delikten einschließlich etwaiger Ansprüche aufgrund zivilrechtlicher Haftungsbestände und Schadensersatznormen (z.B. §§ 823, 831, 31 DGB) und zwar gegen die L. AG selbst und gleichzeitig gegen weitere Personen aus dem (… unleserlich) bestimmt.

III.3. Freigestellt sind - ebenso wie in Ziffer III. 2. für die L. AG geregelt - außer der L. AG selbst Personen, und abgegolten und erledigt sind Ansprüche - wie in Ziffer III. 2. für Ansprüche gegen die L. AG selbst geregelt - auch Ansprüche gegen Personen, die als Arbeitnehmer oder Dienstnehmer (…unleserlich) für die L. AG tätig waren.

III.4. Klargestellt wird, dass dieser zwischen der DRV und der L. AG abgeschlossene Vergleich über die Regelungen gem. III. 2. und III.3. hinaus keine Erlasswirkung gegenüber natürlichen und juristischen Personen aus dem Bereich der Nachunternehmer haben soll und hat, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei Schuldnern aus dem Bereich der Nachunternehmer um Primärschuldner oder Mit-Gesamtschuldner oder Mit-Haftende handelt. Die DRV verzichtet mit diesem Vergleich in keiner Weise - weder für sich noch für sonstige Gläubiger - auf Ansprüche wegen Beiträgen oder Nebenleistungen gegenüber allen Nachunternehmern, gleich ob diese im eigenen Namen, als Strohmänner oder Hintermänner tätig waren, und auch nicht auf Ansprüche wegen Haftungen, die sich gegen sonstige Dritte aus dem Bereich der Nachunternehmer richten (z.B. gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter von Strohmannfirmen o.ä.). Insoweit wird klargestellt, dass weder die gesetzliche Regel gem. § 840, Abs. 2 BGB abbedungen sein soll (vorrangige Haftung der Täter) noch auf Ansprüche gegen Täter verzichtet wird, nur weil wegen der rechtlichen Unsicherheit, ob die L. AG überhaupt mithaftet, mit dieser der gegenständliche Vergleich geschlossen wird.

Soweit die L. AG nach dem Vorstehenden fremde Beitragsschulden bezahlt, gehen die Ansprüche auf sie über.

III.5. Säumniszuschläge, Zinsen oder sonstige Nebenleistungen für die Zeit bis zur Fälligkeit der Zahlung gem. Ziffer II. werden nicht erhoben. Sollten Einzugsstellen gleichwohl für diesen Zeitraum solche erheben, vermindert sich um diese der Vergleichsbetrag und ist von der Deutschen Rentenversicherung-Bayern-Süd insoweit zurückzuerstatten, so dass die L. AG insgesamt nicht mehr bezahlt als in Ziffer II.1. bestimmt.

III.6. Die Parteien sind sich einig, dass mit diesem Vergleich die Betriebsprüfung für die Zeit bis 31.12.2003 rechtskräftig abgeschlossen ist.

IV. Kosten

Verfahrenskosten sind wechselseitig unter keinem Gesichtspunkt geschuldet. Jede Partei trägt die ihr entstandenen Kosten selbst.

Dem Kläger wird vorgeworfen, im Zeitraum 11/2000 bis 10/2002 erbrachte Leistungen ebenfalls illegal mit der Fa. L. abgerechnet und sich hierbei als „Rechnungsschreiber“ der Firmen B. GmbH, S. Bau …, C.C.C. GmbH, … Trockenbau GmbH und D. Trockenbau GmbH bedient zu haben.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Landshut vom 24.09.2008 wurde gegen ihn wegen Steuerhinterziehung, Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verhängt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Dem Strafbefehl lag eine Verständigung mit dem damaligen Verteidiger des Klägers zugrunde.

Bei seiner polizeilichen Vernehmung am 19.09.2008 hatte der Kläger zu Protokoll gegeben:

"Ich war nur Vorarbeiter und nie Geschäftsführer oder Inhaber dieser Firmen. Ich kenne auch nur die B. Bau, die S. Bau und die D. Bau. Die Firma … sagt mir nichts. Inhaber dieser Firmen war D. S. Soviel ich gehört habe, ist S. in F. in Haft. Er wurde vor ein paar Monaten eingesperrt. Ich nehme an, dass es um die Steuerangelegenheiten geht, die mir auch vorgeworfen werden …

S. war Subunternehmer für die L. AG. Ich war wiederum nur der Baustellenleiter für S. Ich habe damals schon mitbekommen, dass S. die Bauarbeiter so bezahlt, dass keine Steuer in Deutschland angefallen ist. Ich habe hierbei aber nicht mitgemacht, ich war bloß der Bauleiter, habe mich darum gekümmert, dass die Bauaufträge ordentlich ausgeführt worden sind.

Die Arbeiter sind bar bezahlt worden. Der S. hat das meistens selber gemacht, manchmal ist er auch zu mir gekommen und hat mir das Geld gegeben und ich habe die Leute bezahlt. Ich war bei den Firmen von S. zu keiner Zeit unterschriftsberechtigt und hatte weder mit der Geschäftsleitung, noch mit der Buchführung oder dem Personalwesen und schon gar nicht mit dem Finanzamt zu tun. Ich wollte bloß arbeiten und mein Geld verdienen, das mir zusteht…".

Nach Auswertung der ihr vom Hauptzollamt Landshut zur Verfügung gestellten Unterlagen errechnete die Beklagte eine Nachforderung für den Prüfzeitraum vom 01.11.2000 bis 31.10.2002 in Höhe von insgesamt 127.085,70 Euro (einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 42.708,19 Euro) und machte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 27.11.2008 diese Forderung gegenüber dem Kläger geltend. Aus den im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gemachten Zeugenaussagen bzw. den vorgefundenen Beweismitteln würde hervorgehen, dass er mit nicht gemeldetem Personal Arbeiten ausgeführt und unter den genannten Firmen abgerechnet habe.

In den Fällen, in denen keinerlei personenbezogene Stundenaufzeichnungen vorgefunden wurden, bzw. die Abrechnungen als Umsatz- oder Pauschalzahlen durchgeführt wurden, sei die Ermittlung des maßgeblichen Entgelts in Gleichklang mit der Steuerfandung Landshut erfolgt.

Für die Berechnung des beitragspflichtigen Entgelts seien, analog der Berechnung der Steuerschuld durch die Steuerfandung Landshut, 60% des Nettoumsatzes angesetzt worden. Nach der Rechtsprechung der Strafgerichte sei bei namentlich nicht bekannten Arbeitnehmern eine Schätzung zwischen 60% und 80% des Nettoumsatzes nicht zu beanstanden.

Ab 01.08.2002 sei die Rechtsnorm des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV in Fällen der illegalen Beschäftigung anzuwenden. Dies gelte auch für Lohnsummen, die in Höhe des Umsatzes festgestellt und folglich das Arbeitsentgelt unter Beachtung von § 28 f SGB IV geschätzt werden müsse.

Auf die nicht bezahlten Sozialversicherungsbeiträge würden zusätzlich Säumniszuschläge erhoben. Aus den vorliegenden Ermittlungen sei ersichtlich, dass die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen wurde.

Die Beitragsschuld sei nicht verjährt, da für vorsätzlich vorenthaltene Beiträge die 30-jährige Verjährungsfrist gelte.

Die Bekanntgabe des Bescheides an den Kläger erfolgte durch öffentliche Zustellung.

Auch das Anhörungsschreiben vom 07.10.2008 war wegen „unbekannten Aufenthaltes“ bereits öffentlich zugestellt worden.

Mit der Begründung, dass am österreichischen Wohnort des Klägers Kontenpfändung veranlasst worden sei, beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 17.07.2012 die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass der Kläger weder vom Anhörungsschreiben noch vom Bescheid aus dem Jahre 2008 Kenntnis erlangt habe.

Mit weiterem Schreiben vom 29.07.2012 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.11.2008 ein und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde damit begründet, dass der Aufenthalt des Klägers im Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung nicht unbekannt gewesen sei, außerdem hätte der Bescheid dem Bevollmächtigten zugestellt werden können.

Am 16.08.2012 übersandte die Beklagte den angefochtenen Bescheid an den Bevollmächtigten des Klägers per Einschreiben.

Mit Schriftsatz vom 24.08.2012 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers erneut Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.11.2008 ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor:

- Die Schätzungsgrundlagen seien nicht Bestandteil des Bescheides, die Berechnung somit nicht nachvollziehbar

- Gem. § 28 f Abs. 2 SGB IV sei nur eine monatliche Schätzung zulässig

- Die Anschrift des Klägers in Österreich sei der Beklagten spätestens am 27.11. 2008 bekannt, eine öffentliche Zustellung daher nicht rechtens gewesen

- Es habe keine wirksame Anhörung stattgefunden

- Ferner werde eine Amtspflichtverletzung und ein Ermessenfehlgebrauch gerügt Mit Schreiben vom 29.08.2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Vollzug der Beitragsforderung in voller Höhe bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt werde. Mit weiterem Schreiben vom 15.11.2012 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen Versäumnis der Widerspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Mit Schreiben vom 02.01.2013 wurde die Anhörung nachgeholt. In dem Schreiben wird u.a. ausgeführt:

„Die Nachberechnung für November 2000 begründet sich mit der Rechnung der Firma … Trockenbau GmbH an die Firma L. Die Auszahlung erfolgte an M.-M., bei dem es sich um Herrn A. gehandelt hat (vgl. hierzu Anlage I). Für Mai 2001 bis August 2001 wird beispielhaft ein Wochenbericht mit der Firma “Truppe A.„vorgelegt (Anlage II) bzw. ein Materialausgabebeleg der Firma S. Bau mit der Abkürzung “Rado„für A. (Anlage III)“.

Den Ausführungen des Beklagten widersprach der Bevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom 21.02.2013. Bei der Unterschrift von „Rado“ auf dem Materialausgabeschein an Subunternehmer handle es sich nicht um die Unterschrift des Herrn A., sondern um die des R., was man bei einem nur flüchtigem Vergleich der Unterschriften mühelos hätte feststellen können. Bei dem Beleg zur Pauschalzahlung „… Trockenbau“ sei auf der Kopie deutlich vermerkt, dass es sich um die Auszahlung für die Kontingentfirma M. handle, die ihre Arbeitnehmer im Rahmen der damaligen Arbeitnehmerüberlassungsverträge mit der BRD ordnungsgemäß versteuert und versichert habe. Dieser Sachverhalt sei eindeutig nachprüfbar und feststellbar.

Ähnlich verhalte es sich mit dem Vermerk „Truppe A.“. Herr A. sei als Vorarbeiter am Objekt Hotel S. in F. Flughafen als Arbeiter beschäftigt gewesen und nicht als selbständiger Unternehmer. A. sei innerhalb des Arbeitsverhältnisses als Vorarbeiter mit einer Hilfskraft mit der Ablösung alter Tapeten von einer Betonwand beschäftigt gewesen, die sich im Altbau des Hotels S. befanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2013 wies die Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück und führte ergänzend aus: Zwar habe der Rentenversicherungsträger grundsätzlich die Beweislast für seine Beitragsnachforderung zu tragen. Da es der Kläger als Arbeitgeber durch die Verletzung der ihm obliegenden Aufzeichnungs- und Nachweispflichten schuldhaft vereitelt habe, dass die Einzugsstellen bzw. der Rentenversicherungsträger die für die Beitragserhebung erforderlichen Angaben erhalten, liege die Beweislast nicht beim Rentenversicherungsträger, sondern beim Kläger (Umkehr der Beweislast).

Die vom Hauptzollamt Landshut und der Steuerfandungsstelle des Finanzamtes Landshut ermittelten Sachverhalte seien schlüssig und nachvollziehbar.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage.

In der Begründung wurde, wie bereits im Widerspruchsverfahren, die fehlende Bestimmtheit der angefochtenen Entscheidung gerügt. Weder im angefochtenen Bescheid noch im Widerspruchsbescheid seien die geltend gemachte Forderung und deren Grundlage nachvollziehbar dargestellt.

Aus dem „Vergleichsvertrag über Haftungsfreistellung gegen Leistung einer pauschalen Beitragsnachzahlung“ zwischen der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd und der L. AG ergebe sich in eindeutiger Weise, dass die L. AG sämtliche Ansprüche aus dem Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung, gleich auf welche Art sie zustande gekommen sein mögen, für die Zeit bis 31.12.2003 gegen Leistung eines Pauschalbetrages gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd abgegolten habe. Aus dem Vergleich ergebe sich ferner, dass damit die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung aller Nachunternehmer der L. AG, die Gegenstand der eingangs erwähnten Ermittlungsverfahren waren oder noch sein werden, abgeschlossen sind. Unabhängig von der Tatsache, dass der Kläger als Nachunternehmer behandelt wurde, obwohl er es nicht war, sei mit dieser Pauschalregelung die gesamte Behandlungsweise gedeckelt, die sich auf Tätigkeiten für die L. AG beschränkt haben.

Die Beklagte übersandte hierzu eine Stellungnahme vom 14.04.2014 gegenüber dem Sozialgericht Hamburg. Darin vertritt sie in einem vergleichbaren Fall die Auffassung, dass durch die Zahlungen der L. AG in Höhe von 2,55 Mio die Beitragsforderungen gegen den dortigen Kläger nicht abgegolten seien. Eine solche Erlasswirkung lasse sich dem Vergleich zwischen der Beklagten und der L. AG nicht entnehmen. Dies folge schon aus dem Wortlaut in Ziffer III.4 des Vergleichsvertrages. Darin sei festgehalten, dass die DRV mit diesem Vergleich in keiner Weise - weder für sich noch für sonstige Gläubiger - auf Ansprüche wegen Beiträgen oder Nebenleistungen verzichte.

Eine Erlasswirkung gegenüber den Nachunternehmern sei auch zu keiner Zeit beabsichtigt gewesen. Die Beklagte habe den Vergleich geschlossen, um rechtliche Unsicherheiten über die Mithaftung der L. AG zu überwinden und einen Teil der geschuldeten Beiträge zu erhalten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung nahm der Kläger ausführlich zu den Umständen seiner Beschäftigung im hier maßgeblichen Zeitraum Stellung. Auf die Angaben in der Sitzungsniederschrift wird insoweit Bezug genommen.

Zum Schluss der mündlichen Verhandlung stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag,

den Bescheid der Beklagten vom 27.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 aufzuheben.

Der Beklagtenvertreter stellte den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen stellten keine Anträge.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die ebenfalls beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft Landshut (Az: 54 JS 14167/06) sowie auf die zwischen den Beteiligten im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Die erhobene Anfechtungsklage ist zulässig; sie ist auch begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ergibt sich bereits darauf, dass die Arbeitgebereigenschaft des Klägers nicht erwiesen ist (1) und auch nicht durch eine Umkehr der Beweislast fingiert werden kann (2). Auch liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines kombinierten Summen-/Schätzbescheides nicht vor (3). Schließlich ist die Klage auch deswegen begründet, weil im streitgegenständlichen Bescheid keinerlei Ermessenserwägungen getätigt wurden, obwohl solche, jedenfalls im Hinblick auf die mit der Fa. L. vereinbarte Haftungsfreistellung im Zusammenhang mit den Nachunternehmern, zwingend notwendig gewesen wären (4).

Im Einzelnen:

1. Die Beklagte nimmt den Kläger auf der Grundlage des § 28 e SGB IV in Anspruch. Danach hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen.

Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Sie erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28 p Abs. 2 SGB IV).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sieht die Kammer keine hinreichenden Belege dafür, dass der Kläger tatsächlich im Zeitraum November 2000 bis Oktober 2002 Arbeitgeber im Sinne der o.g. Bestimmungen war.

Der Begriff des „Arbeitgebers“ ist nicht gesetzlich definiert. Die ständige Rechtsprechung definiert ihn als denjenigen, der einen anderen beschäftigt, zu dem der Beschäftigte also in persönlicher Abhängigkeit steht. Arbeitgebereigenschaft ist gekennzeichnet durch Tragung des Unternehmerrisikos und Lohn-/Gehaltszahlungspflichten (vgl. Kassler Kommentar SGB IV, § 28 e Anm. 3, m.w.N.).

Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid soll der Kläger für die Firma L. AG Bauleistungen erbracht und sich bei der Abrechnung verschiedener Fremdfirmen („Rechnungsschreiber“) bedient haben. Die von der Beklagten hierbei vorgelegten „Beweismittel“ rechtfertigen diese Schlussfolgerung nicht. Der Umstand, dass der Kläger Regieberichte geschrieben und sein Name auf Materialausgabelisten an Subunternehmer erscheint, beweist nicht, dass er auf „eigene Rechnung“ gearbeitet hat. In den vorgelegten Unterlagen finden sich keine Nachweise, dass der Kläger eigene Leistungen über Drittfirmen abgerechnet hätte. Nach den Angaben des Klägers in der polizeilichen Vernehmung vom 19.09.2008 war Inhaber der … Bau, der S. Bau und der D. Bau ein gewisser D. S., er selbst habe für S. die Baustellen geführt und in diesem Zusammenhang auch Regiestundenberichte geschrieben. Er sei weder Geschäftsführer noch unterschriftsberechtigt gewesen.

In der mündlichen Verhandlung machte der Kläger hierzu nähere Angaben. Dabei räumte er ein, für S. auch „schwarz“ gearbeitet zu haben. Die Abrechnung mit der Firma L. sei auch in diesen Fällen durch S. bzw. einen Herrn S. erfolgt. Ansonsten, so der Kläger, habe er in einem regulären Beschäftigungsverhältnis gestanden.

Die Kammer hält die Angaben des Klägers im Wesentlichen für glaubhaft. Dies auch deshalb, weil sich in den Akten keine Unterlagen befinden, die einen Geldfluss zum Kläger für erbrachte Bauleistungen über den Umweg „Rechnungsschreiberfirmen“ belegen.

Dass die Argumentationskette der Beklagten nicht stichhaltig ist, ergibt sich hinreichend deutlich aus den der nachgeholten Anhörung vom 02.01.2013 beispielhaft beigefügten Unterlagen und der hierzu abgegebenen Stellungnahme des Bevollmächtigten des Klägers. Auf den Schriftsatz vom 21.02.2013 wird insoweit Bezug genommen.

Es wäre Aufgabe des Beklagten gewesen, auf Basis der Unterlagen des Hauptzollamtes bzw. der Steuerfandung Landshut eigene Ermittlungen durchzuführen. Das Gericht ist aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes nicht verpflichtet, bei einer reinen Anfechtungsklage Ermittlungen nachzuholen, die die beklagte Behörde unterlassen hat, um die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes selbst festzustellen (BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 30/14 R).

2. Die Arbeitgebereigenschaft des Klägers und eine damit verbundene Zahlungspflicht lässt sich auch nicht mit einer „Umkehr der Beweislast“ begründen.

Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegung zur Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen.

Damit trägt die Beklagte die Beweislast dafür, dass der Kläger tatsächlich Arbeitgeber im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften war. Das Argument der Beklagten, der Kläger habe die ihm obliegenden Aufzeichnungs- und Nachweispflichten verletzt, deshalb komme es zu einer Umkehrung der Beweislast, geht fehl und gleicht einem Zirkelschluss: Eine Verletzung der Aufzeichnungs- und Nachweispflichten kann nur dann zu einer Umkehr der Beweislast in Bezug auf die Beitragsschuld und evtl. Ausschlusstatbestände führen, wenn die Arbeitgebereigenschaft feststeht. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall.

3. Selbst wenn man, entgegen dem Ergebnis der Beweisaufnahme, dass der Kläger - jedenfalls zeitweise - Arbeitgeberfunktion innehatte, wäre der angefochtene Bescheid dennoch rechtswidrig. Es handelt sich nämlich hierbei um einen kombinierten Summen-/Schätzbescheid, für dessen Zulässigkeit bestimmte Anforderungen gelten. Diese sind vorliegend nicht gegeben.

Die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid hat grundsätzlich personenbezogen zu erfolgen. Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der prüfende Träger der Rentenversicherung nach § 28 f Abs. 2 Satz 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sogenannter Summenbescheid), wenn ein Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden kann.

Unter bestimmten Voraussetzungen ist ein Rentenversicherungsträger im Rahmen der Betriebsprüfung auch zur Schätzung der Entgelte einzelner Beschäftigter berechtigt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 28 f Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB IV.

Eine Schätzung von Entgelten ist jedoch nicht in jedem Fall fehlender oder fehlerhafter Arbeitgeberaufzeichnungen zulässig. Diese Befugnis besteht nur dann, wenn der prüfende Träger Arbeitsentgelte „nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand“ ermitteln kann. Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassens weiterer Feststellungen durch den Rentenversicherungsträger unterliegt dabei gerichtlicher Überprüfung.

Die Schätzung ist so exakt vorzunehmen, wie dies unter Wahrung eines noch verhältnismäßigen Verwaltungsaufwands möglich ist. Sie ist nicht zu beanstanden, wenn sie auf sorgfältig ermittelten Tatsachen gründet und nachvollziehbar ist. Dabei sind die Anforderungen an eine Schätzung umso höher, je größer die für die Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile sind. Schließlich sind Schätzungsgrundlagen und Berechnungsmethode vom Versicherungsträger in der Begründung seines Bescheides im Einzelnen darzulegen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.2015, B 12 R 11/14 R).

Wegen der erheblichen Bedeutung einer personenbezogenen Zuordnung der Entgelte für den einzelnen Beschäftigten darf der Rentenversicherungsträger dabei nicht von vornherein von eigenen Ermittlungsbemühungen absehen. Je höher die Summe der nachfolgenden Beiträge ist, desto intensiver muss der prüfende Rentenversicherungsträger vielmehr versuchen, eine personenbezogene Zuordnung vorzunehmen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.01.2014, L 5 R 1191/13 B ER m.w.N.).

Diesen skizzierten Anforderungen an den Erlass eines Summen-/Schätzbescheides genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Weder hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid die Schätzungsgrundlagen und Berechnungsmethode, wie von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gefordert, dargestellt noch hat sie ausreichende eigene Ermittlungen durchgeführt. Auch nach intensiver Auseinandersetzung mit dem dem Bescheid beigefügten Zahlenwerk erschließt sich für die Kammer nicht, worauf die geltend gemachten Sozialversicherungsbeiträge im Einzelnen beruhen. Allein die Angabe, man habe von den sich aus dem Aufmaß errechneten Rechnungssummen 60% als Lohnsumme zugrunde gelegt, genügt diesen Anforderungen nicht. Nach Auffassung der Kammer wäre es notwendig gewesen, im Einzelnen darzulegen, welche Bauvorhaben und welche Zahlungsflüsse dem Kläger im Einzelnen zugerechnet werden. Hierzu hätte es allerdings eigener, intensiver Ermittlungen der Beklagten bedurft. Auch wenn dies ein deutlicher Mehraufwand gewesen wäre, wäre dies der Beklagten schon in Anbetracht ihrer möglicherweise existenzvernichtenden Forderung über 127.000 Euro (deren Zahlung auch keine personenbezogenen Anwartschaften begründet!) zumutbar gewesen. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Beklagte keinerlei Anstrengungen unternahm, um den Kläger persönlich anzuhören, obwohl dessen österreichischer Wohnsitz im Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung des Bescheides vom 27.11.2008 positiv bekannt war. Auch eine Befragung des Herrn S. und ein Abgleich der Meldedaten des Klägers hinsichtlich der angegebenen Beschäftigung bei der Kontingentfirma M.-M. hätte sich angeboten.

Dass die Beklagte keine Bemühungen unternommen hat, mit dem Kläger vor Erlass des Bescheides einen persönlichen Kontakt herzustellen, wiegt auch deswegen schwer, weil dieser dadurch „aus heiterem Himmel“ mit Vollstreckungsmaßnahmen der Einzugsstelle überzogen wurde, ohne sich hiergegen angemessen verteidigen zu können.

4. Der angefochtene Bescheid ist schließlich wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig.

§ 28 f Abs. 2 Satz 1 SGB IV stellt den Erlass eines Summenbeitragsbescheides in das Ermessen des Rentenversicherungsträgers („kann“), d.h. der Rentenversicherungsträger muss nicht jeder Aufzeichnungspflichtverletzung mit einem Summenbeitragsbescheid begegnen. Die Ausübung des Ermessens ist gerichtlich überprüfbar (LSG Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 30.12.2013, L 8 R 406/13 B ER; SG Landshut, Urteil vom 06.11.2013, S 10 R 5003/11; juris Praxiskommentar § 28 f SGB IV RdNr. 55 mit weiteren Nachweisen).

Der streitgegenständliche Bescheid enthält keinerlei Ermessenserwägungen. Die Beklagte ging offenbar davon aus, dass ihr kein Entscheidungsspielraum zusteht.

Es liegt somit ein Ermessensnichtgebrauch vor, der nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führt.

Selbst wenn man § 28 f Abs. 2 SGB IV als sogenannte „intendierte Entscheidung“ auslegen wollte, d.h. dass für den Regelfall eine bestimmte Entscheidung vorgegeben ist, so hätte die Beklagte zumindest prüfen müssen, ob ein „atypischer Fall“ vorliegt. Dies ist nach Auffassung der Kammer insbesondere im Hinblick auf den zwischen der Firma L. AG und der Beklagten geschlossenen „Vergleichsvertrag über Haftungsfreistellung gegen Leistung einer pauschalen Beitragsnachzahlung“ der Fall.

Mit dieser, im Strafverfahren gegen Verantwortliche der Firma L. getroffenen, Vereinbarung stellte die Beklagte die L. AG gegen Zahlung einer Pauschalsumme in die Kassen der Sozialversicherung von jeder Haftung im Zusammenhang mit dem Einsatz illegaler Sub- und Nachunternehmer für die Zeit bis 31.12.2003 frei. Die Vereinbarung gilt ausdrücklich auch für „Nachunternehmer, gleich ob diese im eigenen Namen, als Strohmänner oder Hintermänner tätig waren, für deren Beschäftigte, deren Leiharbeitnehmer wie überhaupt für alle Personen, welche mit der Erbringung von Arbeitsleistungen auf und für die Baustellen der L. AG tätig waren“. Offenbar um Missverständnisse aus der gewählten weitgehenden Formulierung zu vermeiden, haben die Beteiligten in Ziffer III.4. „klargestellt“, dass diese Vereinbarung keine Erlasswirkung gegenüber natürlichen und juristischen Personen aus dem Bereich der Nachunternehmer haben soll und die DRV mit diesem Vergleich in keiner Weise auf Ansprüche wegen Beiträgen oder Nebenleistungen gegenüber den Nachunternehmern verzichtet.

Nach Auffassung der Kammer irrt die Beklagte, wenn sie im Schreiben gegenüber dem Sozialgericht Hamburg die Auffassung vertritt, dass dieser Vergleichsvertrag keinerlei Auswirkungen auf beitragsrechtliche Ansprüche gegenüber den in das „System L.“ involvierten Subunternehmern besitzt. Es ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schwer vereinbar, den Hauptverantwortlichen für den illegalen Einsatz von Nachunternehmern durch Zahlung einer pauschalen Summe in die Sozialkassen freizustellen, von den betroffenen Nachunternehmern, Rechnungsschreibern oder Hintermännern aber nochmal die vollen Beiträge zu fordern. Die Beklagte kann nicht einerseits wegen Ermittlungsschwierigkeiten auf Beiträge (möglicherweise in Millionenhöhe) verzichten, andererseits gegen die betroffenen Nachunternehmer Summen-/Schätzbescheide erlassen, die sich auf die gleichen Lebenssachverhalte gründen, ohne die von der L. AG geleisteten Zahlungen in irgendeiner Form zu berücksichtigen.

Unabhängig davon, ob die mit der Firma L. getroffene Vereinbarung eine teilweise Sperr- bzw. Erfüllungswirkung gegenüber den mittelbar betroffenen Nachunternehmern besitzt, hätte dieser Umstand jedenfalls im Rahmen der notwendigen Ermessensausübung wegen Vorliegens eines „atypischen Falles“ einer Würdigung bedurft.

Dies ist nicht geschehen.

Damit liegt nach Ansicht der Kammer ein weiterer Umstand vor, der die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides begründet und zu dessen Aufhebung führt.

Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197 a SGG i.V.m. §§ 52, 53 Gerichtskostengesetz (GKG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Landshut Urteil, 13. Juni 2017 - S 1 R 5018/16 FdV

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Landshut Urteil, 13. Juni 2017 - S 1 R 5018/16 FdV

Referenzen - Gesetze

Sozialgericht Landshut Urteil, 13. Juni 2017 - S 1 R 5018/16 FdV zitiert 11 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 14 Arbeitsentgelt


(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus de

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG | § 10 Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit


(1) Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehene

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28e Zahlungspflicht, Vorschuss


(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des v

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 840 Haftung mehrerer


(1) Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner. (2) Ist neben demjenigen, welcher nach den §§ 831, 832 zum Ersatz des von einem anderen verursachten Sch

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Sozialgericht Landshut Urteil, 13. Juni 2017 - S 1 R 5018/16 FdV zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Sozialgericht Landshut Urteil, 13. Juni 2017 - S 1 R 5018/16 FdV zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2015 - B 12 R 11/14 R

bei uns veröffentlicht am 16.12.2015

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufgehoben. Die S

Bundessozialgericht Urteil, 25. Juni 2015 - B 14 AS 30/14 R

bei uns veröffentlicht am 25.06.2015

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 geändert.

Referenzen

(1) Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen; tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen. Das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt als befristet, wenn die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher nur befristet vorgesehen war und ein die Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigender Grund vorliegt. Für das Arbeitsverhältnis nach Satz 1 gilt die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher vorgesehene Arbeitszeit als vereinbart. Im übrigen bestimmen sich Inhalt und Dauer dieses Arbeitsverhältnisses nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen; sind solche nicht vorhanden, gelten diejenigen vergleichbarer Betriebe. Der Leiharbeitnehmer hat gegen den Entleiher mindestens Anspruch auf das mit dem Verleiher vereinbarte Arbeitsentgelt.

(2) Der Leiharbeitnehmer kann im Fall der Unwirksamkeit seines Vertrags mit dem Verleiher nach § 9 von diesem Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Leiharbeitnehmer den Grund der Unwirksamkeit kannte.

(3) Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 unwirksam ist, so hat er auch sonstige Teile des Arbeitsentgelts, die bei einem wirksamen Arbeitsvertrag für den Leiharbeitnehmer an einen anderen zu zahlen wären, an den anderen zu zahlen. Hinsichtlich dieser Zahlungspflicht gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(4) und (5) weggefallen

(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht. Ist ein Träger der Kranken- oder Rentenversicherung oder die Bundesagentur für Arbeit der Arbeitgeber, gilt der jeweils für diesen Leistungsträger oder, wenn eine Krankenkasse der Arbeitgeber ist, auch der für die Pflegekasse bestimmte Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als gezahlt; dies gilt für die Beiträge zur Rentenversicherung auch im Verhältnis der Träger der Rentenversicherung untereinander.

(2) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers haftet bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes unwirksam ist, so hat er auch den hierauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Hinsichtlich der Zahlungspflicht nach Satz 3 gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(2a) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht, die sich für den Arbeitgeber knappschaftlicher Arbeiten im Sinne von § 134 Absatz 4 des Sechsten Buches ergibt, haftet der Arbeitgeber des Bergwerkbetriebes, mit dem die Arbeiten räumlich und betrieblich zusammenhängen, wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers von Seeleuten nach § 13 Absatz 1 Satz 2 haften Arbeitgeber und Reeder als Gesamtschuldner.

(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Satz 1 gilt entsprechend für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3b) Die Haftung nach Absatz 3a entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Ein Verschulden des Unternehmers ist ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach § 6a der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2019 (BAnz. AT 19.02.2019 B2) erfüllt.

(3c) Ein Unternehmer, der Bauleistungen im Auftrag eines anderen Unternehmers erbringt, ist verpflichtet, auf Verlangen der Einzugstelle Firma und Anschrift dieses Unternehmers mitzuteilen. Kann der Auskunftsanspruch nach Satz 1 nicht durchgesetzt werden, hat ein Unternehmer, der einen Gesamtauftrag für die Erbringung von Bauleistungen für ein Bauwerk erhält, der Einzugsstelle auf Verlangen Firma und Anschrift aller Unternehmer, die von ihm mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt wurden, zu benennen.

(3d) Absatz 3a gilt ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275 000 Euro, wobei für Schätzungen die Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624) in der jeweils geltenden Fassung gilt.

(3e) Die Haftung des Unternehmers nach Absatz 3a erstreckt sich in Abweichung von der dort getroffenen Regelung auf das von dem Nachunternehmer beauftragte nächste Unternehmen, wenn die Beauftragung des unmittelbaren Nachunternehmers bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände als ein Rechtsgeschäft anzusehen ist, dessen Ziel vor allem die Auflösung der Haftung nach Absatz 3a ist. Maßgeblich für die Würdigung ist die Verkehrsanschauung im Baubereich. Ein Rechtsgeschäft im Sinne dieser Vorschrift, das als Umgehungstatbestand anzusehen ist, ist in der Regel anzunehmen,

a)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder selbst eigene Bauleistungen noch planerische oder kaufmännische Leistungen erbringt oder
b)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder technisches noch planerisches oder kaufmännisches Fachpersonal in nennenswertem Umfang beschäftigt oder
c)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer in einem gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Hauptunternehmer steht.
Besonderer Prüfung bedürfen die Umstände des Einzelfalles vor allem in den Fällen, in denen der unmittelbare Nachunternehmer seinen handelsrechtlichen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat.

(3f) Der Unternehmer kann den Nachweis nach Absatz 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch für den Zeitraum des Auftragsverhältnisses durch Vorlage von lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen der zuständigen Einzugsstellen für den Nachunternehmer oder den von diesem beauftragten Verleiher erbringen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält Angaben über die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und die Zahl der gemeldeten Beschäftigten.

(3g) Für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist und der einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragt, gelten die Absätze 3a, 3b Satz 1, 3e und 3f entsprechend. Absatz 3b Satz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass die Präqualifikation die Voraussetzung erfüllt, dass der Nachunternehmer in einem amtlichen Verzeichnis eingetragen ist oder über eine Zertifizierung verfügt, die jeweils den Anforderungen des Artikels 64 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 (ABl. L 337 vom 19.12.2017, S. 19) geändert worden ist, entsprechen. Für einen Unternehmer, der im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördert, gilt Absatz 3c entsprechend. Beförderung von Paketen im Sinne dieses Buches ist

a)
die Beförderung adressierter Pakete mit einem Einzelgewicht von bis zu 32 Kilogramm, soweit diese mit Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen erfolgt,
b)
die stationäre Bearbeitung von adressierten Paketen bis zu 32 Kilogramm mit Ausnahme der Bearbeitung im Filialbereich.

(3h) Die Bundesregierung berichtet unter Beteiligung des Normenkontrollrates zum 31. Dezember 2023 über die Wirksamkeit und Reichweite der Haftung für Sozialversicherungsbeiträge für die Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragen, insbesondere über die Haftungsfreistellung nach Absatz 3b und Absatz 3f Satz 1.

(4) Die Haftung umfasst die Beiträge und Säumniszuschläge, die infolge der Pflichtverletzung zu zahlen sind, sowie die Zinsen für gestundete Beiträge (Beitragsansprüche).

(5) Die Satzung der Einzugsstelle kann bestimmen, unter welchen Voraussetzungen vom Arbeitgeber Vorschüsse auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag verlangt werden können.

(1) Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.

(2) Ist neben demjenigen, welcher nach den §§ 831, 832 zum Ersatz des von einem anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der andere für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander der andere allein, im Falle des § 829 der Aufsichtspflichtige allein verpflichtet.

(3) Ist neben demjenigen, welcher nach den §§ 833 bis 838 zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, ein Dritter für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander der Dritte allein verpflichtet.

(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.

(2) Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.

(3) Wird ein Haushaltsscheck (§ 28a Absatz 7) verwendet, bleiben Zuwendungen unberücksichtigt, die nicht in Geld gewährt worden sind.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 geändert.

Die Berufung der Klägerin wird als unzulässig verworfen, soweit die Aufhebung des Bescheids vom 27. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2007 auch hinsichtlich ihres Sohnes beantragt wurde.

Im Übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin 3/4 der Kosten des Rechtsstreits in allen drei Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Rücknahme einer Leistungsbewilligung ab dem 1.10.2006. Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin und ihrem minderjährigen Sohn mit Bescheid vom 14.7.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom 1.7. bis zum 31.12.2006 in Höhe von 592,23 Euro monatlich. In ihrem Leistungsantrag hatte die Klägerin angegeben, mit ihrem geschiedenen Ehemann K. als Mitmieter in einer gemeinsam ab dem 1.3.2005 angemieteten Wohnung zu leben. K. erklärte nach Antragstellung, er und die Klägerin bildeten keine Bedarfsgemeinschaft. Zugleich legte er Verdienstbescheinigungen für die Monate Oktober 2005 bis April 2006 vor. Nach einem im August 2006 durchgeführten Hausbesuch in der Wohnung der Klägerin ging der Beklagte vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann aus und forderte beide mit Schreiben vom 20.9.2006 unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auf, bis zum 26.9.2006 die Verdienstabrechnungen des K. für Mai bis August 2006 sowie seine Kontoauszüge der letzten drei Monate einzureichen. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten vom 27.9.2006 hatte die Klägerin auf dieses Schreiben telefonisch mitgeteilt, dass K. seine Unterlagen nicht vorlegen wolle, da keine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihnen bestehe.

2

Daraufhin hat der Beklagte mit Bescheid vom 27.9.2006 die Leistungen ab 1.10.2006 wegen Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff SGB I eingestellt und den Bewilligungsbescheid ab dem 1.10.2006 aufgehoben. Den eingelegten Widerspruch hat der Beklagte nach einem Anhörungsschreiben zu einer Änderung der Rechtsgrundlage mit Widerspruchsbescheid vom 20.6.2007 zurückgewiesen. Der Bewilligungsbescheid sei zu Recht nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben worden, da bei dessen Erlass nicht bekannt gewesen sei, dass die Klägerin und K. eine Bedarfsgemeinschaft bildeten. Die Klägerin habe nicht darlegen können, dass sie hilfebedürftig sei. Es sei davon auszugehen, dass die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten.

3

Auf ihre am 24.7.2007 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) K. als Zeugen vernommen und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.7.2010). Im von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren hat K. dem Landessozialgericht (LSG) Einkommensunterlagen zugeschickt mit dem Hinweis, dass diese lediglich für das Gericht bestimmt seien. Daraufhin hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hilfsweise beantragt, Beweis darüber zu erheben, dass K. im streitigen Zeitraum monatlich weiterhin 1700 Euro brutto an Einkünften gehabt habe, durch die von K. bei Gericht eingereichten Unterlagen und das Zeugnis des K. Das LSG hat das Urteil des SG sowie den Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt seien(Urteil vom 13.6.2013). Der Beklagte trage die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach der genannten Vorschrift und sei verpflichtet gewesen, die Auskünfte bei K. selbst unmittelbar nach § 60 Abs 4 SGB II einzufordern. Da der Beklagte dies unterlassen habe, "greife" sein in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellter Beweisantrag nicht. Eine Leistungsentziehung gegenüber der Klägerin wegen fehlender Mitwirkung komme in einem solchen Fall nicht in Betracht; für die Annahme einer fehlenden Hilfebedürftigkeit sei der Beklagte mangels Umkehr der Beweislast beweispflichtig geblieben. Im Übrigen sei die Aufhebungsentscheidung nicht ausreichend iS von § 35 Abs 1 SGB X begründet worden, da lediglich von dem Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen worden sei; dies allein führe jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der bewilligten Leistungen.

4

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung von § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil das LSG dem hilfsweise gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Verfahrensfehlerhaft sei insbesondere, dass das LSG nicht mitgeteilt habe, warum es den Beweisantrag abgelehnt habe. Im Hinblick auf die Aktenlage sei die Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum Bruttobezüge von 1700 Euro gehabt habe. Die Höhe seiner angenommenen Einkünfte ergebe sich aus den von ihm vorgelegten Unterlagen, wonach er zwischen November 2005 und April 2006 konstante Bruttoeinkünfte ("Festlohn") von 1700 Euro gehabt habe, teilweise zuzüglich Urlaubsgeld. Das LSG habe, ausgehend von seiner Auffassung, dass ihm - dem Beklagten - die Beweislast für das Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen einer Rücknahme des Leistungsbescheids, also insbesondere die mangelnde Hilfebedürftigkeit, oblegen habe, dem Beweisantrag nachgehen müssen. Außerdem verletze das Urteil des LSG Bundesrecht, weil es die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 SGB X mit Wirkung nur für die Zukunft verkannt habe.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Juli 2010 zurückzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Dieses sei nicht vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen, weshalb das Bundessozialgericht (BSG) über die Sache ohne Zurückverweisung an das LSG abschließend entscheiden könne.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist nur zum Teil begründet, insofern ist das Urteil des LSG vom 13.6.2013 zu ändern (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG), im Übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

9

Die Revision ist begründet und das Urteil des LSG ist zu ändern, soweit in ihm der angefochtene Bescheid vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 auch hinsichtlich des Sohnes der Klägerin aufgehoben wurde. Die Berufung der Klägerin war hinsichtlich der vom Beklagten aufgehobenen Einzelansprüche des Sohnes als unzulässig zu verwerfen, weil nur die anwaltlich vertretene Klägerin sich gegen den Bescheid gewandt hat, der Sohn an dem Klageverfahren von Anfang an nicht beteiligt war und die Übergangsfrist bis zum 30.6.2007 (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 11) zur Zeit der Klageerhebung am 24.7.2007 abgelaufen war. Der Bescheid des Beklagten ist insoweit bestandskräftig geworden.

10

Im Verhältnis zur Klägerin ist die Revision des Beklagten unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 14.7.2006 durch den angefochtenen Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 nach § 45 SGB X nicht erfüllt sind.

11

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben dem Urteil des LSG, mit dem das für den Beklagten günstige Urteil des SG aufgehoben worden ist, der Bescheid des Beklagten vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007, mit dem die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung ab dem 1.10.2006 eingestellt, der zuvor ergangene Bewilligungsbescheid vom 14.7.2006 für die Klägerin und ihren Sohn für die Zeit ab dem 1.10.2006 aufgehoben und ein gesonderter Bescheid hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligung für den Zeitraum von Juli bis September 2006 sowie ein Erstattungsbescheid angekündigt worden sind. Sowohl die Klägerin als auch ihr minderjähriger Sohn waren in dem Bewilligungsbescheid namentlich im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft aufgeführt, gegen sie richtete sich sowohl der ursprüngliche Bescheid vom 27.9.2006 als auch der Widerspruchsbescheid vom 20.6.2007 (im Folgenden: Rücknahmebescheid).

12

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Gegen den genannten Rücknahmebescheid geht die Klägerin zu Recht mit einer reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG vor. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage war vorliegend nicht notwendig, denn wenn der Rücknahmebescheid durch das Gericht aufgehoben wird, bleibt es bei der ursprünglichen Leistungsbewilligung des Bescheids vom 14.7.2006 für den Zeitraum vom 1.10.2006 bis 31.12.2006.

13

3. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde die Klägerin im Laufe des Widerspruchsverfahrens zu einer Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß § 24 SGB X angehört. Ebenso wenig fehlt es dem Bescheid iS von § 35 SGB X deshalb an einer Begründung, weil der Beklagte lediglich Ausführungen zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft gemacht hat und im Übrigen davon ausgegangen ist, die Bedarfsgemeinschaft sei in der Lage, den notwendigen Unterhalt aus vorhandenem Einkommen zu bestreiten. Selbst wenn diese Begründung unzureichend oder fehlerhaft ist, würde sich dies als bloßer Begründungsmangel oder Begründungsfehler bei einem gebundenen Verwaltungsakt nicht auf dessen formelle Rechtmäßigkeit selbst auswirken (vgl BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9 mwN).

14

4. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Feststellungen des Beklagten (zur Ermittlungspflicht des LSG unter 5.) die aufgeführten Rücknahmevoraussetzungen nicht tragen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte, der nach § 85 Abs 2 SGG iVm § 44b Abs 1 Satz 3 und § 6d SGB II für die Widerspruchsentscheidung zuständig war, im Rahmen seiner umfassenden Prüfungskompetenz(siehe nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 85 RdNr 4a) die im Ausgangsbescheid vom 27.9.2006 angeführte Rechtsgrundlage im Widerspruchsbescheid durch eine andere Rechtsgrundlage ersetzen durfte. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen von § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II in der in der strittigen Zeit geltenden Fassung sowie von § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X als der in dem Widerspruchsbescheid genannten Rechtsgrundlage für den in die Zukunft gerichteten Rücknahmebescheid nicht vor.

15

a) Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X kann sich der Begünstigte dabei nicht auf sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach der genannten Vorschrift setzt nach deren systematischen Stellung im Gefüge der §§ 44 ff SGB X voraus, dass eine ursprüngliche Rechtswidrigkeit vorlag, der Verwaltungsakt also bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war(stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 1.6.2006 - B 7a AL 76/05 R - BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4, RdNr 13; ebenso Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 31 mwN).

16

Diese Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 14.7.2006 sind dem Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat zur Begründung der Rücknahme in dem Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt habe, weil sie nicht habe nachweisen können, dass sie hilfebedürftig nach § 9 SGB II gewesen sei, da sie mit ihrem früheren Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II gebildet habe. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauen berufen, da ihr die näheren Umstände ihres Zusammenlebens bekannt gewesen seien.

17

Diese Begründung trägt indes nicht die Rücknahme der Leistungsbewilligung, weil es an einer entscheidenden Voraussetzung für eine solche Rücknahme fehlt. Notwendig für die Verneinung der Hilfebedürftigkeit ist in derartigen Konstellationen nicht nur das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, sondern ebenfalls, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft ein ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen erzielt wird (§ 9 Abs 2 SGB II). Zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens hat der Beklagte aber keine Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden getroffen und insbesondere nicht ein Auskunftsverlangen nach § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II gegen den früheren Ehemann K. der Klägerin eingeleitet, sondern nur ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten. Dies war keine Feststellung aufgrund von Ermittlungen, sondern eine bloße Vermutung, auf die jedoch ein Rücknahmebescheid nicht gestützt werden kann.

18

b) Dass es Aufgabe des beklagten Jobcenters ist, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind, folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, dessen Reichweite sich nach dem jeweiligen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens richtet(vgl Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 20 RdNr 5). Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind. Ein Absehen von Ermittlungen ist nur zulässig, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, sie offenkundig ist oder als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar ist (siehe Siefert, aaO, § 20 RdNr 15; Luthe in jurisPK-SGB X, 2013, § 20 RdNr 13).

19

Dementsprechend durfte es der Beklagte bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine Rücknahme des Leistungsbescheids vorlagen, nicht dahingestellt sein lassen, ob und ggf in welcher Höhe Einkommen vorhanden war, das für die Deckung der Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft ganz oder teilweise ausgereicht hätte. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist der Beklagte seiner Ermittlungspflicht hier insoweit nachgekommen, als er nach einem durchgeführten Hausbesuch und Abwägung weiterer Tatsachen, wie der Zeitdauer des Zusammenlebens der Klägerin und des K. und der Übernahme finanzieller Forderungen, zu der Folgerung gelangt ist, dass zwischen der Klägerin und dem K. eine eheähnliche Gemeinschaft und eine Bedarfsgemeinschaft vorgelegen habe. Es kam dann bei der folgenden Prüfung aber nicht - wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid nochmals ausgeführt hat - darauf an, ob die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit darlegen konnte, sondern in der Rücknahmesituation war der Beklagte gehalten, die erforderlichen Ermittlungen zum zu berücksichtigenden Einkommen und der sich daraus ergebenden Folgen für die Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzustellen, wozu er zunächst das angesprochene Verfahren nach § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II gegenüber dem K. hätte einleiten müssen.

20

c) Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl allgemein bereits BSG Urteil vom 24.10.1957 - 10 RV 945/55 - BSGE 6, 70). Damit trägt der Beklagte nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Rücknahmeentscheidung (siehe nur BSG Urteil vom 13.9.2006 - B 11a AL 13/06 R - RdNr 18; BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 13 ff; BSG Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8), sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann.

21

Das ist auch ausnahmsweise deshalb nicht unbeachtlich, weil von Ermittlungen abgesehen werden konnte, da die ungeklärte Tatsache nicht oder nur unter unzumutbar erschwerten Bedingungen zu erreichen war. Vielmehr stand dem Beklagten gerade für Sachverhalte wie dem vorliegenden, bei dem das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft bestritten wird und mit einer Weigerung des Partners, die geforderte Auskunft über die Einkommens- und Vermögenssituation zu erteilen, einhergeht (§ 60 Abs 4 SGB II), die Möglichkeit zur Verfügung, sich zur Ermittlung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs unmittelbar an den Dritten zu wenden. Der Beklagte kann auf der Grundlage des § 60 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB II einen Verwaltungsakt erlassen und bei unterbliebener oder pflichtwidriger Erfüllung der Auskunftspflicht durch den Dritten die Rechte und Befugnisse nach den §§ 62 und 63 SGB II (Schadenersatz, Ordnungswidrigkeitenrecht) in Anspruch nehmen, zudem wäre ein vollstreckungsrechtlicher Zwangsgeldbescheid gemäß § 40 Abs 6 SGB II nach Erlass des Auskunftsverwaltungsakts gemäß § 60 Abs 4 SGB II zu erwägen(vgl Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 60 RdNr 56 ff mwN).

22

5. Das LSG war aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG nicht verpflichtet, die vom Beklagten unterlassene Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens als Voraussetzung für seinen Rücknahmebescheid hinsichtlich des Bewilligungsbescheids nachzuholen.

23

a) Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl § 54 Abs 2 Satz 1, § 103 SGG); die beklagte Behörde kann deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe "nachschieben" (stRspr: BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; zuletzt etwa BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1; vgl zudem BSG Urteil vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation"). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; BSGE 29, 129, 132; BSGE 38, 157, 159; BSGE 87, 8, 12; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN; Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 189 ff). Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht andernfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art 20 Abs 2 Satz 2 Grundgesetz) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen (BSGE 9, 277, 280). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts, das in Anlehnung an den Streitgegenstand eines Gerichtsverfahrens bestimmt werden kann (vgl dahingehend schon BSGE 9, 277, 280 sowie Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69), ist ua angenommen worden, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, zB bei einem Streit um die Höhe einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe des Gerichtsverfahrens ein weiteres Element der Rentenberechnung vom Rentenversicherungsträger in Abrede gestellt wird (BSGE 38, 157, 159; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56), oder wenn auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden soll, die einem anderen Zweck dient (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, RdNr 16).

24

b) Neben dieser Entwicklung der Rechtsprechung hat der Gesetzgeber einerseits in § 41 Abs 2 SGB X die Heilungsmöglichkeiten für Verfahrens- und Formfehler der Behörde bei Erlass eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens erleichtert(vgl dazu kritisch und zum Verhältnis von Verwaltung und Gericht: Dolderer, DÖV 1999, 104 ff) und andererseits die Möglichkeit der Zurückverweisung vom Gericht an die Behörde eingeführt, wenn diese Ermittlungen unterlässt (§ 131 Abs 5 SGG), sowie dem Gericht das Recht eingeräumt, der Behörde die Kosten einer von ihr unterlassenen und vom Gericht nachgeholten Ermittlung aufzuerlegen (§ 192 Abs 4 SGG). Hierdurch sind die Heilungs- und Nachbesserungsmöglichkeiten der Behörde in formeller Hinsicht erweitert worden, während sie auf der anderen Seite ihre Ermittlungsarbeit nicht auf die Gerichte verlagern soll, weil diese für die materielle Entscheidung von zentraler Bedeutung ist und deren Kern und damit das Wesen des erlassenden Verwaltungsakts bestimmt. Ausgehend von diesen Konkretisierungen des Gesetzgebers und der zuvor dargestellten Rechtsprechung ist in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben eines Grundes durch die Behörde regelmäßig unzulässig (vgl zur gesetzlich ausdrücklich angeordneten Pflicht der Gerichte zur Nachermittlung neuer Sachverhalte im Asylrecht etwa BVerwG Urteil vom 29.6.2015 - 1 C 2/15 - juris RdNr 14 f), wenn dieser umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt - bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen - mit einer wesentlich anderen Begründung bestand hätte (vgl Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 190 f).

25

c) Nach diesen Voraussetzungen zielte der Beweisantrag des Beklagten auf eine Wesensänderung des angefochtenen Rücknahmebescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ab, weil dieser ausschließlich auf das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und K. sowie die nicht nachgewiesene Hilfebedürftigkeit der Klägerin gestützt und mangels weiterer Ermittlungen des Beklagten zum Einkommen des K. offenkundig rechtswidrig war. Erst wenn das LSG dem gestellten Beweisantrag des Beklagten zur Ermittlung des Einkommens des K. nachgekommen wäre, hätte das Gericht die Grundlagen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts legen können. Trotz des Zusammenhangs zwischen dem Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft und der Erzielung von Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs 2 SGB II sind es grundlegend verschiedene Prüfungspunkte, bei denen eigenständige Ermittlungen erforderlich sind, wie zB die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB II zeigen. Es handelt sich also nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, sondern um die umfassende Prüfung einer weiteren Voraussetzung für den angefochtenen Rücknahmebescheid, die der Beklagte bisher nicht beachtet hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie von ihm durchzuführen war. Außerdem wären hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Klägerin erheblich erschwert worden, weil - zumal im Stadium des Berufungsverfahrens - die gesonderte Prüfung der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens seitens des Beklagten gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann hinsichtlich des auf der Grundlage von § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II zu führenden Verfahrens entfallen wäre. Im Rahmen einer Anfechtungsklage der vorliegenden Art ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 75 364,13 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach Feststellung der Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen (CGZP).

2

Die Klägerin - eine GmbH - betreibt behördlich erlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Auf die Arbeitsverträge der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer wurden (jedenfalls seit Dezember 2005) die Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der CGZP angewandt. Die hierin vorgesehene Vergütung war Bemessungsgrundlage der von der Klägerin für ihre Arbeitnehmer zur Sozialversicherung und an die Bundesagentur für Arbeit (BA) abgeführten Beiträge. Nach einer (ersten) Betriebsprüfung am 16. und 17.3.2009 hatte die Beklagte für den Prüfungszeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 von der Klägerin Beiträge in Höhe von 1889,19 Euro nachgefordert; zugleich waren überzahlte Beiträge in Höhe von 349,50 Euro erstattet worden (Bescheid vom 17.3.2009).

3

Das BAG bestätigte mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Verfassungsbeschwerde verworfen durch Beschluss des BVerfG vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496) die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP (Beschluss des ArbG Berlin vom 1.4.2009 - 35 BV 17008/08 - NZA 2009, 740 = ArbuR 2009, 276; auf mehrere Beschwerden hin bestätigt durch Beschluss des LArbG Berlin-Brandenburg vom 7.12.2009 - 23 TaBV 1016/09 - ArbuR 2010, 172 = BB 2010, 1927). Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 23.12.2010 auf den Beschluss des BAG hin und führte ua aus, trotz noch fehlender schriftlicher Entscheidungsbegründung sehe sie sich, um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, ... verpflichtet "hiermit fristwahrend Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen".

4

Vom 5. bis 7.3.2012 führte die Beklagte bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung (Prüfungszeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2011) durch. Daraufhin forderte sie die Entrichtung weiterer Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vor dem 31.12.2009 in Höhe von 75 364,13 Euro, da der bei der Klägerin angewandte Tarifvertrag unwirksam gewesen sei, woraus für den Prüfungszeitraum höhere Lohnansprüche der beschäftigten Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) resultierten(Bescheid vom 8.3.2012). Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 25.6.2012 zurück.

5

Die von der Klägerin hiergegen erhobene - vornehmlich auf Vertrauensschutzerwägungen gestützte - Klage hat das SG abgewiesen: Der Nachforderungsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in den Regelungen des SGB IV über Betriebsprüfungen. Für die Höhe des Beitragsanspruchs komme es allein auf den bei den betroffenen Leiharbeitnehmern entstandenen (die tatsächlich gezahlten Entgelte übersteigenden) Entgeltanspruch an. Dieser Entgeltanspruch richte sich hier nach den für einen vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers geltenden Bedingungen. Da nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 feststehe, dass die CGZP nicht tariffähig gewesen sei, kämen abweichende Vergütungsregelungen in mit der CGZP geschlossenen Tarifverträgen (die an sich geeignet seien, geringere Entgeltansprüche zu bewirken), nicht zur Anwendung. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Tariffähigkeit der CGZP niemals arbeitsgerichtlich festgestellt worden sei. Schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin lasse sich nicht auf Regelungen gründen, die allein eine Abweichung von dem Gleichstellungsgebot des § 10 Abs 4 AÜG bezweckten. Die Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt. Die Klägerin habe aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 zumindest eine Nacherhebung für möglich gehalten, weshalb dafür die 30-jährige Verjährungsfrist gelte. Entgegen der Rechtsprechung des Bayerischen LSG habe es einer Aufhebung des nach der vorhergehenden Betriebsprüfung ergangenen Nachforderungsbescheides vom 17.3.2009 nicht bedurft. Die Beklagte sei zur Schätzung der Arbeitsentgelte berechtigt gewesen, da die Klägerin Dokumentationspflichten nicht erfüllt habe. Sachgerecht habe die Beklagte die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Unterlagen ausgewertet und auf dieser Grundlage die Entgelte der Arbeitnehmer geschätzt, deren konkrete Vergütungsansprüche im Entleiherbetrieb in den Unterlagen nicht ausgewiesen gewesen seien (Urteil vom 25.6.2014).

6

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung des Vertrauensschutzgebotes gemäß Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, zugleich eine Verletzung des nach der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gebotenen Vertrauensschutzes, ferner des Verbots der Rückwirkung nach Art 20 Abs 3 iVm Art 2 Abs 1 GG, des § 25 SGB IV, der §§ 3, 9 AÜG sowie von § 28f Abs 1, Abs 2 S 1 und Abs 3 SGB IV: Das SG habe verkannt, dass die mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge im Tarifregister eingetragen gewesen seien, und dass sogar die Bundesagentur für Arbeit als nach dem AÜG zuständige Behörde die Anwendung dieser Tarifverträge empfohlen habe. Zugleich hätten Entscheidungen des BAG und des BVerfG sowie Äußerungen der Bundesregierung und Äußerungen in Gesetzgebungsverfahren das Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Tarifverträge gestärkt. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe dagegen eine überraschende rückwirkende verschärfende Rechtsänderung bewirkt, die europarechtlichen Vorgaben sowie innerstaatlich anerkannten Rückwirkungsgrundsätzen widerspreche. Dem einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot verneinenden Beschluss des BVerfG vom 25.4.2015 (Kammerbeschluss - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757) könne nicht gefolgt werden, da er von falschen Annahmen ausgehe. Das SG habe § 25 SGB IV verletzt, weil sie (die Klägerin) weder aufgrund des ausdrücklich gegenwartsbezogenen Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 noch wegen des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 eine Nachzahlung von Beiträgen für zurückliegende Zeiträume habe für möglich halten müssen. Die Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 seien daher - entsprechend einer erhobenen Einrede - verjährt. Ohnedies sei die Beitragsforderung zu hoch bemessen, da die Beklagte zur Ermittlung des Vergleichslohns allein auf eine bestimmte berufliche Qualifikation der Leiharbeitnehmer abstelle, ohne deren individuelle Handicaps zu berücksichtigen. Zu Unrecht habe die Beklagte ferner gewährte und verbeitragte Zulagen (zB für Verpflegungsaufwand und Fahrtkosten) nicht entgeltdifferenzmindernd berücksichtigt. Die Beklagte sei schließlich zur Entgeltschätzung nicht berechtigt gewesen, weil ihr (der Klägerin) eine Verletzung von Aufzeichnungspflichten nicht angelastet werden könne und es auch an der Kausalität der - vermeintlichen - Verletzung von Aufzeichnungspflichten für die unterbliebene Feststellung der konkreten Beitragshöhe fehle. Die Beklagte sei vielmehr verpflichtet gewesen, den jeweils zutreffenden Vergleichslohn durch Anfragen bei den Entleihern zu ermitteln, habe dies aber rechtswidrig unterlassen.

7

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 aufzuheben,

 hilfsweise,

        

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 2014 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bzw das Sozialgericht Hannover zurückzuverweisen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere könne sich die Klägerin angesichts der allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesenen Kompetenz zur Feststellung fehlender Tariffähigkeit für einen Vertrauensschutz nicht auf Handlungen anderer Stellen - zB der Exekutive - berufen. Der Beschluss des BAG vom 14.12.2010 habe zu keiner einen vergangenheitsbezogenen Vertrauensschutz begründenden Rechtsprechungsänderung geführt, wie das BAG selbst und das BVerfG zwischenzeitlich bestätigt hätten. Zuvor ergangene Rechtsprechung habe nämlich durchweg nicht die Tariffähigkeit der CGZP betroffen. Die für Beitragsnachforderungen bei vorsätzlicher Vorenthaltung geltende 30-jährige Verjährungsfrist sei jedenfalls ab Zugang des Schreibens vom 23.12.2010 wegen der schon darin enthaltenen Geltendmachung von Ansprüchen anwendbar. Der von der Klägerin zur Entgeltermittlung für jeden Leiharbeitnehmer geforderte, individuelle Umstände berücksichtigende Gesamtvergleich sei ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand nicht möglich gewesen, weshalb die vorgenommene Schätzung der Beitragshöhe rechtlich nicht zu beanstanden sei.

10

Die vom SG zum Rechtsstreit beigeladenen 25 Kranken- und Pflegekassen haben weder Anträge gestellt noch Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 Abs 1 SGG) der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen SG-Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen begründet.

12

Das Urteil des SG vom 25.6.2014 weist revisionsrechtlich bedeutsame Fehler auf, sodass es aufgehoben werden muss. Der Senat selbst kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang das SG die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.6.2012 zu Recht vollständig abgewiesen hat sowie ob und ggf in welchem Umfang diese Bescheide rechtmäßig sind. Das führt zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG nach § 170 Abs 4 S 1 SGG. Die Zurückverweisung an das LSG (und nicht an das SG als Ausgangsgericht) dient der Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und entspricht den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Vorstellungen von Klägerin und Beklagter.

13

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem Bescheid vom 8.3.2012 um einen sog Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV handele, weshalb neben der erfolgten notwendigen Beiladungen von Versicherungsträgern noch weitere notwendige Beiladungen hätten vorgenommen werden müssen; dies hat das SG verfahrensfehlerhaft versäumt (hierzu 1.). Demgegenüber hat das SG zutreffend entschieden, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht (hierzu 2.). Auf die in den Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen beruft sich die Beklagte auch nicht etwa schon deshalb zu Unrecht, weil die Feststellung des BAG zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP (zunächst) durch Beschluss vom 14.12.2010 nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte bzw der Umsetzung der hierdurch festgestellten Rechtslage durch die Beklagte ein über die allgemeinen Verjährungsregeln hinausgehender Vertrauensschutz entgegenstünde (hierzu 3.). Gleichwohl ist die Revision im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache erfolgreich: Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend selbst darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen und ob sie bei Durchführung der Entgeltschätzung die hieran zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu 4.). Desgleichen vermag der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend darüber zu befinden, ob die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung bezüglich der Beiträge für Dezember 2005 bis Dezember 2006 bereits verjährt war (hierzu 5.).

14

Vorwegzuschicken ist bei alledem, dass der Senat an die vom SG getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden ist (§ 163 SGG); im Rahmen der vorliegenden Sprungrevision sind die mit der Revisionsbegründung zum Teil sinngemäß geltend gemachten Tatsachenrügen ebenso unzulässig (§ 161 Abs 4 SGG) wie in der Begründung des Rechtsmittels teilweise enthaltener neuer Tatsachenvortrag (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 5).

15

1. Das SG hat - ausgehend von unzutreffenden materiell-rechtlichen Erwägungen - notwendige Beiladungen unterlassen. Insoweit handelt es sich um einen im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel (vgl zB BSG SozR 1500 § 75 Nr 10 S 11 und Nr 21 S 17; BSG Urteil vom 25.10.1990 - 12 RK 22/90 - Die Beiträge 1991, 98, 99 mwN).

16

Unzutreffend hat das SG angenommen, dass es sich bei dem angefochtenen und den Gegenstand des Rechtsstreits auch in der Revision bildenden Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides um einen Summenbescheid iS von § 28f Abs 2 S 1 SGB IV(Regelung idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) handelt. Welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten; es ist nicht an die Auslegung eines Bescheides durch das SG gebunden (stRspr - vgl zB BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 - unter Hinweis auf BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 und BFHE 214, 18, 23 mwN; BSG Urteil vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - USK 2012-1, Juris RdNr 21).

17

Rechtsgrundlage des im Anschluss an eine Betriebsprüfung ergangenen Bescheides vom 8.3.2012 und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs 1 S 1 und S 5 SGB IV(ebenfalls idF der Neubekanntmachung vom 12.11.2009, aaO). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (S 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (verkörpert im sog Prüfbescheid) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht(S 5).

18

Die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid hat grundsätzlich personenbezogen zu erfolgen (hierzu und zum Folgenden vgl zB BSGE 89, 158, 159 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 ff mwN). Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann der prüfende Träger der Rentenversicherung nach § 28f Abs 2 S 1 SGB IV den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen (sog Summenbescheid), wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Dieser Verzicht auf die grundsätzlich erforderliche Personenbezogenheit der Feststellungen ist charakteristisch für den Summenbescheid; erfolgt allein eine Schätzung der Entgelte einzelner Arbeitnehmer (§ 28f Abs 2 S 3 und S 4 SGB IV) bei fortbestehender personenbezogener Feststellung der Beitragshöhe, so liegt kein Summenbescheid iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV vor.

19

Dies ist hier der Fall: Die Beklagte hat im Bescheid vom 8.3.2012 nicht nur die Höhe der insgesamt festgesetzten Nachforderung ausgewiesen, sondern in den Anlagen zum Bescheid die jeweiligen Teilbeträge getrennt nach Versicherungszweigen den einzelnen Arbeitnehmern und den für diese jeweils zuständigen Einzugsstellen zugeordnet. Auf diese Anlagen hat die Beklagte auf Seite 3 des Bescheides unter der Überschrift "Berechnungsanlagen" ausdrücklich hingewiesen und zugleich die Zahlung der nachgeforderten Beiträge an die für den jeweiligen Beschäftigten zuständige Einzugsstelle verlangt.

20

Wegen der erfolgten personenbezogenen Beitragsfestsetzung war - anders als bei Summenbescheiden - die notwendige Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) der betroffenen Beschäftigten geboten (vgl zB BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4; BSGE 64, 289, 293 = SozR 1300 § 44 Nr 36 S 102; BSG Beschluss vom 15.6.1993 - 12 BK 74/91 - Juris; zuvor bereits aus der Rspr des BSG: SozR 1500 § 75 Nr 15 S 13 mwN und Nr 72 S 87; Urteil vom 16.12.1976 - 12/3/12 RK 23/74 - Breith 1977, 846 = USK 76212; Urteile vom 27.1.1977 - 12/3 RK 90/75 - USK 7733 und - 12 RK 8/76 - USK 7727; Urteile vom 23.2.1977 - 12/3 RK 30/75 - USK 7739 und - 12 RK 14/76 - USK 7736 = DAngVers 1977, 297; Urteil vom 28.4.1977 - 12 RK 30/76 - USK 7743 = SozSich 1977, 338; vgl auch zur Beteiligung betroffener Arbeitnehmer durch die Einzugsstelle bei Einleitung eines Verwaltungsverfahrens über das Bestehen von Versicherungspflicht BSGE 55, 160 = SozR 1300 § 12 Nr 1). Das hat das SG verfahrensfehlerhaft unterlassen.

21

Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Senats die von den Beitragsnachforderungen begünstigten, jeweils zuständigen (Fremd-)Sozialversicherungsträger und die BA zum Rechtsstreit notwendig beizuladen (vgl BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 16 RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 10 mwN; BSGE 89, 158, 159 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 4 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 75 RdNr 10f mwN). Dem ist das SG nur teilweise nachgekommen, nämlich allein in Bezug auf Krankenkassen und offenbar nur mit Blick auf ihre Funktion als Einzugsstellen.

22

Die vorbeschriebenen Beiladungen, die im Revisionsverfahren (vgl § 168 S 2 SGG) wegen notwendiger Zurückverweisung auch aus weiteren Gründen (BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1, RdNr 14; BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 17) sowie abgeschnittener Äußerungsmöglichkeiten der Betroffenen in der Tatsacheninstanz nicht sachdienlich war, wird nun das LSG vor der erneuten Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben. Dabei könnte es vorliegend (vor allem in Bezug auf die Beschäftigten) vom Verfahren nach § 75 Abs 2a SGG Gebrauch machen, da ausweislich der Anlagen zum angefochtenen Prüfbescheid mehr als 20 Personen beizuladen sind.

23

2. Zutreffend hat das SG angenommen, dass der Prüfbescheid vom 17.3.2009 über die im März 2009 für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.12.2008 durchgeführte Betriebsprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht entgegensteht, auch soweit diese denselben Zeitraum betreffen. Zu solchen Fallgestaltungen hat der Senat bereits entschieden, dass der entgegenstehenden Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen LSG (zB Urteil vom 18.1.2011 - L 5 R 752/08 - Juris = ASR 2011, 250) nicht gefolgt werden kann. Dabei hat er auch die Argumente gegen die einen "Bestandsschutz" aufgrund vorangegangener Betriebsprüfungen ablehnende ständige Rechtsprechung des erkennenden 12. Senats des BSG berücksichtigt, welche die Klägerin unter Hinweis auf Äußerungen in der Literatur (vgl zB Rittweger, DB 2011, 2147 ff; Brand, NZS 2013, 641, 644) noch mit der Klage vorgetragen, jedoch mit der Revision nicht wiederholt hat (BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 23 ff; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch vorliegend fest.

24

3. Die mit den angefochtenen Bescheiden geltend gemachten Beitragsforderungen sind auch - anders als die Klägerin meint - nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil die durch Beschluss des BAG vom 14.12.2010 rechtskräftig gewordene Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht auf den streitigen Prüfzeitraum zurückwirken könnte. Die Beitragsschuld der Klägerin richtet sich nach dem entstandenen Entgeltanspruch (hierzu a). Dieser entsprach während des Zeitraums der vorliegend bestrittenen Nachberechnungen dem im Betrieb eines Entleihers während der Zeit der Überlassung für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers üblichen Arbeitsentgelt (hierzu b). Auf ein etwaiges Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP kann sich die Klägerin demgegenüber nicht berufen (hierzu c).

25

a) In der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung liegt bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß §§ 28d, 28e SGB IV das Arbeitsentgelt zugrunde(§ 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, § 57 Abs 1 SGB XI, § 162 Nr 1 SGB VI, § 342 SGB III, jeweils in den für die streitige Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2011 geltenden Fassungen). Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung gemäß § 7 Abs 1 SGB IV, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden(§ 14 Abs 1 S 1 SGB IV). Für die Bestimmung des Arbeitsentgelts gilt im Rahmen der Beitragsbemessung grundsätzlich das Entstehungsprinzip. Das für die Sozialversicherung zentrale Entstehungsprinzip hat zum Inhalt, dass Versicherungspflicht und Beitragshöhe bei dem Beschäftigten nach dem arbeitsrechtlich geschuldeten (etwa dem Betroffenen tariflich zustehenden) Arbeitsentgelt zu beurteilen sind - was sich etwa bei untertariflicher Bezahlung auswirkt - und nicht lediglich nach dem einkommensteuerrechtlich entscheidenden, dem Beschäftigten tatsächlich zugeflossenen Entgelt (stRspr; vgl zuletzt BSGE 115, 265 = SozR 4-2400 § 17 Nr 1, RdNr 30 mit zahlreichen Nachweisen). Zugleich ist es für die Beitragsbemessung unerheblich, ob der einmal entstandene Entgeltanspruch zB wegen tarifvertraglicher Verfallklauseln oder wegen Verjährung vom Arbeitnehmer (möglicherweise) nicht mehr realisiert werden kann. Der Zufluss von Arbeitsentgelt ist für das Beitragsrecht der Sozialversicherung nur entscheidend, soweit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr leistet als ihm unter Beachtung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen zusteht, dh dann, wenn ihm also über das geschuldete Arbeitsentgelt hinaus überobligatorische Zahlungen zugewandt werden (vgl BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 62 f). Für einen solchen Sachverhalt, der zur Anwendung des Zuflussprinzips führen würde, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.

26

b) Arbeitsrechtlich geschuldet im Sinne des Entstehungsprinzips und damit der Beitragsbemessung im Prüfzeitraum zugrunde zu legen ist das von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt (§ 10 Abs 4 AÜG idF durch Gesetz vom 23.12.2002, BGBl I 4607, bzw ab 30.4.2011 idF durch Gesetz vom 28.4.2011, BGBl I 642). Ein nach § 9 Nr 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigender Tarifvertrag besteht - soweit es den oder die von der Klägerin nach den Feststellungen des SG auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Leiharbeitnehmer angewandten Tarifvertrag bzw Tarifverträge zwischen der AMP und CGZP betrifft - nicht. Dem steht das mit Bindungswirkung auch für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit festgestellte Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP bei Abschluss dieser Tarifverträge entgegen, was die Unwirksamkeit der Tarifverträge von Anfang an (vgl BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 21 ff) zur Folge hat.

27

Unwirksam sind daher zumindest alle von der CGZP bis zum 14.12.2010 geschlossenen Tarifverträge, denn nach der Rechtsprechung der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit steht rechtskräftig fest, dass die CGZP vom Zeitpunkt ihrer Gründung am 11.12.2002 bis jedenfalls zum 14.12.2010 nicht tariffähig war (für die Zeit vor dem 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; für die Zeit ab 8.10.2009 vgl BAG Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302 = AP Nr 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.3.2014 - 1 BvR 1104/11 - NZA 2014, 496; BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; insgesamt vgl auch BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11, aaO, Juris RdNr 20).

28

An diese Feststellungen zur mangelnden Tariffähigkeit der CGZP ist der Senat - wie alle Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - gebunden. In subjektiver Hinsicht erfasst die Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit nicht nur die Personen und Stellen, die im jeweiligen Verfahren nach § 97 Abs 2 iVm § 83 Abs 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) angehört worden sind, sondern die Entscheidung entfaltet Wirkung gegenüber jedermann. Insbesondere sind alle Gerichte an einen in einem Verfahren nach § 97 ArbGG ergangenen Ausspruch über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung gebunden, wenn diese Eigenschaften als Vorfrage in einem späteren Verfahren zu beurteilen sind, sofern nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Rechtskraft endet(so bereits BAG Beschluss vom 23.5.2012, aaO, mwN; vgl nunmehr auch § 97 Abs 3 S 1 ArbGG, mit Wirkung ab 16.8.2014 eingefügt durch Art 2 Nr 4 Buchst d des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11.8.2014, BGBl I 1348).

29

Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Rechtskraftwirkung der das Fehlen der Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Entscheidungen des BAG durch die zum 30.4.2011 erfolgte Einfügung von § 3a AÜG durch Art 1 Nr 6 des Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011 (BGBl I 642) wieder entfallen ist (dafür etwa: Lützeler/Bissels, DB 2011, 1636; Lembke, NZA 2011, 1062). Zwar betreffen die streitbefangenen Bescheide der Beklagten einen Prüfzeitraum bis 31.12.2011. Zugleich hat es das SG versäumt im Einzelnen festzustellen, wann die bei der Klägerin im Prüfzeitraum zur Anwendung kommenden Tarifverträge der CGZP geschlossen wurden bzw für welche Zeiträume sie angewandt wurden. Jedoch lässt sich den angefochtenen Bescheiden und den darin in Bezug genommenen Anlagen entnehmen, dass Beitragsnachberechnungen nur für Zeiträume bis 31.12.2009 vorgenommen worden sind. Damit kann es auf die genannte Frage nicht ankommen, denn § 9 Nr 2, § 10 Abs 4 S 2 AÜG setzen einen zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses wirksamen Tarifvertrag voraus(vgl nur BAG Urteil vom 13.3.2013, aaO, Juris RdNr 20 mwN), was auch auf Grundlage der genannten Rechtsauffassung, die ein Entfallen der Rechtskraft der die fehlende Tariffähigkeit der CGZP feststellenden Beschlüsse des BAG zum 30.4.2011 vertritt, jedenfalls bis dahin nicht der Fall war.

30

c) Ein etwaiges Vertrauen der Arbeitnehmerüberlassung betreibenden Personen in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BAG (hierzu aa) und des BVerfG (hierzu bb) an. Die von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen (hierzu cc). Schließlich kann die Klägerin Vertrauensschutz gegenüber den streitigen Beitragsnachforderungen auch nicht aus der älteren Rechtsprechung des BSG herleiten (hierzu dd). Vermeintliche europarechtliche Bezüge rechtfertigen - jedenfalls gegenwärtig - keine Vorlage durch den Senat an den EuGH (hierzu ee).

31

aa) Das BAG hat einen Schutz des Vertrauens der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP verneint und hierzu Folgendes ausgeführt (BAG Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 - BAGE 144, 306 = AP Nr 31 zu § 10 AÜG, Juris RdNr 24 f; BAG Urteil vom 28.5.2014 - 5 AZR 422/12 - AP Nr 37 zu § 10 AÜG = NZA 2014, 1264, Juris RdNr 18 ff): Der aus Art 20 Abs 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es, obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, zwar gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen (BVerfGE 122, 248, 277 f; vgl dazu auch BAG Urteil vom 19.6.2012 - 9 AZR 652/10 - Juris RdNr 27 mwN; zur diesbezüglichen Rspr des BSG vgl zB BSGE 51, 31 = SozR 2200 § 1399 Nr 13; BSGE 95, 141 RdNr 41 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 49). Die Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP waren aber nicht mit einer Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das BAG noch Instanzgerichte hatten in dem dafür nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren zuvor jemals die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. In der von der Revision - im Fall des BAG aber auch im vorliegend vom BSG zu entscheidenden Verfahren - herangezogenen Entscheidung (BAG Urteil vom 24.3.2004 - 5 AZR 303/03 - BAGE 110, 79, 87 f) hatte der - beim BAG zuständige - Senat bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eines Leiharbeitnehmers zwar auch einen von der CGZP abgeschlossenen Entgelttarifvertrag herangezogen, eine Feststellung von deren Tariffähigkeit war damit aber nicht verbunden. Die bloße Erwartung, das BAG werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (Koch, SR 2012, 159, 161 mwN). Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der BA oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP ist - so das BAG weiter - nicht geschützt. Die Tariffähigkeit der CGZP wurde bereits nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich diskutiert (Hinweis auf Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 4. Aufl 2010, § 9 RdNr 107 ff mwN; Ulber, NZA 2008, 438; Rolfs/Witschen, DB 2010, 1180; Lunk/Rodenbusch, RdA 2011, 375). Wenn ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbarte, bevor die dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden hatten, ging er ein Risiko ein, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP realisierte.

32

bb) Das BVerfG hat eine gegen die Erstreckung der Feststellung, dass die CGZP nicht tariffähig ist und damit keine wirksamen Tarifverträge abschließen kann, auf Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 gerichtete und im Hinblick auf einen vermeintlichen Vertrauensschutz - im Wesentlichen mit denselben Argumenten wie die vorliegende Revision - begründete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie offensichtlich unbegründet war (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; die Beschwerde richtete sich gegen BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2012, 623; BAG Beschluss vom 22.5.2012 - 1 ABN 27/12).

33

Hierzu hat das BVerfG (aaO) ua ausgeführt, dass die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch eine Änderung der Rechtsprechung den im Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG verankerten Vertrauensschutz verletzen kann, in Bezug auf die Rechtsprechung zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nicht vorlagen. Es fehlte an einem ausreichenden Anknüpfungspunkt für das von den (dortigen) Beschwerdeführerinnen geltend gemachte Vertrauen. Diese konnten nicht auf höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen, denn eine solche lag zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen nicht vor. Das BAG habe in dem Beschluss vom 14.12.2010 nämlich erstmals ausgeführt, dass Gewerkschaften einer Spitzenorganisation iS des § 2 Abs 2 und 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) ihre Tariffähigkeit vollständig vermitteln müssen. Das entsprach nicht demjenigen, was die Beschwerdeführerinnen für richtig hielten. Die bloße Erwartung aber, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantworten, begründet jedoch kein verfassungsrechtlich in Art 20 Abs 3 GG geschütztes Vertrauen. Die Beschwerdeführerinnen mussten damit rechnen, dass der CGZP die Tariffähigkeit fehlte, denn an deren Tariffähigkeit bestanden von Anfang an erhebliche Zweifel (Hinweis auf Böhm, NZA 2003, 828, 829; Reipen, NZS 2005, 407, 408 f; Schüren in Schüren/Hamann, AÜG, 3. Aufl 2007, § 9 AÜG RdNr 115). Mit den angegriffenen Entscheidungen der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit realisierte sich das "erkennbare Risiko", dass später in einem Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt werden könnte. Allein der Umstand, dass die genaue Begründung des BAG nicht ohne Weiteres vorhersehbar war, begründete - so das BVerfG weiter - keinen verfassungsrechtlich zu berücksichtigenden Vertrauensschutz. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerinnen in die Wirksamkeit der CGZP-Tarifverträge lässt sich nicht mit dem Verhalten der Sozialversicherungsträger und der BA sowie der Heranziehung dieser Tarifverträge durch das BAG bei der Ermittlung der branchenüblichen Vergütung begründen. Die Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung obliegt nämlich allein den Gerichten für Arbeitssachen in dem in § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG geregelten Beschlussverfahren. Das Handeln anderer Stellen sowie die Bezugnahme auf diese Tarifverträge in einem gänzlich anders gelagerten Rechtsstreit waren auch vor dem Hintergrund der bereits damals umstrittenen Tariffähigkeit der CGZP nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 ff).

34

cc) Dieser Rechtsprechung des BAG und BVerfG schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an. Die zuletzt von der Klägerin hiergegen vorgetragenen Argumente vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen.

35

So möchte die Klägerin unterscheiden zwischen (einerseits) rechtsstaatlichem Vertrauensschutz, der durch eine rückwirkende arbeitsgerichtliche Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP nach Auffassung der Klägerin verletzt sein könnte - nach den zitierten Entscheidungen des BAG und BVerfG jedoch nicht verletzt ist - und (andererseits) einem weiterreichenden, vom Beschluss des BVerfG vermeintlich nicht betroffenen Vertrauensschutz, den der Einzelne in das staatliche Handeln von Exekutive und Legislative sowie der Rechtsprechung setzen könne. Aber auch unter diesem Blickwinkel fehlt es bereits an einem Tatbestand, an den das geltend gemachte Vertrauen in schützenswerter Weise anknüpfen könnte. Dem steht, wenn es wie hier um Vertrauen in die Tariffähigkeit einer Vereinigung und die hieran geknüpften Rechtsfolgen geht, die bereits von BAG und BVerfG in den vorstehend zitierten Entscheidungen hervorgehobene ausschließliche Zuweisung der Entscheidung hierüber an die Gerichte für Arbeitssachen entgegen, die darüber in dem besonderen Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG zu befinden haben.

36

Andere - insbesondere nach Art 20 Abs 3 GG an das Gesetz gebundene staatliche - Stellen, denen gerade keine eigene Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Vereinigung oder die Wirksamkeit eines Tarifvertrags zugewiesen ist, haben - jedenfalls soweit es hierauf rechtlich ankommt - bis zur Rechtskraft eines Beschlusses im genannten Verfahren von der Tariffähigkeit einer Vereinigung und der Wirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge auszugehen. Ein Vertrauen darauf, dass diese Stellen im Anschluss an einen auch sie bindenden, die Tarifunfähigkeit einer Vereinigung feststellenden Beschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht die hiermit rechtlich zwingend verbundenen Folgen umsetzen, wäre daher von vornherein nicht gerechtfertigt und ist nicht schutzwürdig.

37

Zu einem anderen Ergebnis führt weder die Behauptung der Klägerin, die Annahme des BVerfG, die Beschwerdeführerinnen in dem zum Beschluss vom 25.4.2015 führenden Verfahren hätten Kenntnis von der Diskussion um Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP gehabt, sei unzutreffend, noch die Behauptung, auch die Annahme des BVerfG, durch die Anwendung der Tarifverträge der CGZP seien die Unternehmen in den Genuss besonders niedriger Vergütungssätze gekommen, entspreche nicht den wahren Verhältnissen. Insoweit verkennt die Klägerin, dass beide Gesichtspunkte die Begründung des BVerfG für seine Ablehnung des geltend gemachten, aus Art 20 Abs 3 GG hergeleiteten Vertrauensschutzes in der Ausprägung eines Rückwirkungsverbots nur ergänzen. In erster Linie fehlt es bereits am notwendigen Anknüpfungspunkt für ein nach Art 20 Abs 3 GG zu schützendes Vertrauen, nämlich einer die Tariffähigkeit der CGZP bestätigenden ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757, Juris RdNr 15 f; zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen schutzwürdigen Vertrauens in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen, insbesondere dem Erfordernis einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung vgl allgemein BVerfGE 131, 20, 42 mwN zur Rspr des BVerfG).

38

dd) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die von ihr in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG berufen.

39

Zwar hat das BSG entschieden, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die zum Nachteil eines Arbeitgebers geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend zu dessen Lasten anzuwenden ist, wenn dieser aufgrund der "neuen" Rechtsprechung nunmehr Beiträge auf bestimmte Arbeitnehmerbezüge abzuführen hat, die noch nach der zuvor maßgebend gewesenen Rechtsprechung beitragsfrei waren (zu diesem Grundsatz: BSGE 51, 31, 36 ff und Leitsatz = SozR 2200 § 1399 Nr 13; wie die Klägerin: Giesen, SGb 2015, 544, 545 f mwN; Rieble, BB 2012, 2945, 2948 mwN). Für das Eingreifen dieses Grundsatzes fehlt es (wiederum) bereits an einer "bisherigen Rechtsprechung", auf die sich ein nach Art 20 Abs 3 GG oder - wie vom BSG damals angenommen - einfachrechtlich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu schützendes Vertrauen der Klägerin gründen könnte.

40

Soweit es die Rechtsprechung des BSG betrifft, gibt es keine Entscheidungen, wonach die Nachforderung von Beiträgen für die Vergangenheit generell oder speziell von Beiträgen aus dem Differenzentgelt im Falle nachträglich festgestellter Unwirksamkeit von Tarifverträgen und dadurch bedingter höherer Entgeltansprüche der Arbeitnehmer unzulässig wäre.

41

In Bezug auf die Rechtsprechung des BAG ist der Klägerin (wiederum) entgegenzuhalten, dass dieses Gericht niemals zuvor im Beschlussverfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4 iVm § 97 ArbGG positiv die Tariffähigkeit der CGZP und die Wirksamkeit der von dieser geschlossenen Tarifverträge während des Nacherhebungszeitraums festgestellt hatte. Vielmehr ist eine bis dahin ungeklärte Rechtsfrage erstmals durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 geklärt worden, wenn auch das Ergebnis nicht den Vorstellungen der Klägerin entsprach. Dies gilt auch, soweit sich die Klägerin auf eine vermeintlich überraschende Verschärfung der Anforderungen an die Tariffähigkeit eines Spitzenverbandes durch die Rechtsprechung des BAG beruft (vgl zB auch Rieble, BB 2012, 2945; Giesen, SGb 2015, 544 f mwN). Auch insoweit fehlt es an einer vorangegangenen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die dann durch den Beschluss des BAG vom 14.12.2010 aufgegeben worden wäre und durch die zuvor allein zu schützendes Vertrauen begründet worden sein könnte; weder war die Frage der Ableitung der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation von der Tariffähigkeit ihrer Mitgliedsverbände bis zu diesem Zeitpunkt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen (vgl LArbG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 9.1.2012 - 24 TaBV 1285/11 ua - BB 2012, 1733 = DB 2012, 693) noch gab es eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, derzufolge die vom BAG in seinem Beschluss vom 14.12.2010 als entscheidungserheblich angesehenen Gesichtspunkte bis dahin für die Frage der Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation ausdrücklich ohne Bedeutung gewesen wären. Deshalb - sowie mit Blick auf die allein der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesene Kompetenz zur Feststellung des Fehlens der Tariffähigkeit einer Vereinigung - liegt auch keine rückwirkende Korrektur einer bereits zuvor fragwürdigen Verwaltungspraxis vor, wie sie dem Urteil des BSG vom 27.9.1983 (BSGE 55, 297 = SozR 5375 § 2 Nr 1) zugrunde lag, auf das sich die Klägerin ebenfalls beruft.

42

ee) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es vorliegend auch keiner Vorlage an den EuGH zur Klärung der Frage, ob die Beitragsnacherhebung wegen "equal pay"-Ansprüchen bei Unanwendbarkeit von der CGZP geschlossener Tarifverträge auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (aaO) vermittelt über die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG gegen das Transparenzgebot bei der Richtlinienumsetzung und die Unternehmerfreiheit nach Art 16 Grundrechtecharta verstößt (vgl Rieble, BB 2012, 2945, 2949 ff).

43

Ein nationales letztinstanzliches Gericht - wie vorliegend das BSG - ist zur Vorlage an den EuGH (nur) verpflichtet, wenn sich in einem Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, die nicht bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war (acte éclairé) und wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair). Die Vorlagepflicht steht ua unter dem Vorbehalt, dass die gestellte Frage entscheidungserheblich ist (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.5.2012 - 1 BvR 3201/11 - NZA 2013, 164 mwN; EuGH Urteil vom 6.10.1982 - 283/81 - EuGHE 1982, 3415 RdNr 21 - CILFIT).

44

An der Entscheidungserheblichkeit einer - in der Revisionsbegründung allenfalls grob angedeuteten - europarechtlichen Frage fehlt es vorliegend bereits deshalb, weil der Senat unabhängig von deren Beantwortung wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen des SG an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Auf diese - noch zu präzisierende - Frage könnte es erst dann ankommen, wenn das LSG (an welches die Sache vorliegend zurückverwiesen wird) nach Feststellung und auf Grundlage aller für eine abschließende Entscheidung nach dem nationalen Recht notwendigen Tatsachen zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die angegriffenen Bescheide der Beklagten jedenfalls teilweise rechtmäßig sind. Zudem erscheint es zur Wahrung rechtlichen Gehörs aller Beteiligten geboten, zunächst die notwendigen Beiladungen der betroffenen Arbeitnehmer und der weiteren Versicherungsträger vorzunehmen, um diesen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Gelegenheit zur Stellungnahme zu allen sich im Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit stellenden entscheidungserheblichen Fragen zu geben.

45

4. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, in welcher Höhe die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden geltend gemachte Beitragsnachforderung rechtmäßig ist. Das SG hat bereits nicht festgestellt, in welcher Höhe die Beitragsforderung auf konkret nachgewiesenen Entgeltansprüchen und in welcher Höhe sie auf Schätzungen beruhte (hierzu a). Insbesondere kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt war, die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte zu schätzen (hierzu b), und ob sie hierbei die an die Durchführung einer Entgeltschätzung zu stellenden Anforderungen eingehalten hat (hierzu c). Die Feststellungen zu den vorgenannten Punkten muss das LSG nachholen (vgl § 170 Abs 5 SGG).

46

a) Anhand der Feststellungen des angegriffenen SG-Urteils ist für den Senat schon nicht nachvollziehbar, inwieweit die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung auf konkret festgestellten Entgelten oder auf Entgeltschätzungen beruht.

47

Wie dargelegt ist der Bemessung der von der Klägerin für den Prüfzeitraum abzuführenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge das von ihr ihren Leiharbeitnehmern für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher geschuldete, den im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen entsprechende Arbeitsentgelt iS von § 10 Abs 4 AÜG zugrunde zu legen(vgl oben II.3.a und b). Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen dem nicht entgegen (vgl oben II.3.c). Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und daher den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des SG stellte die Klägerin anlässlich der Betriebsprüfung im März 2012 einen Aktenordner mit Auskünften der Entleiherunternehmen über Bezüge der Stammarbeitnehmer in den Betrieben zur Verfügung, in welchem - nach Auffassung der Beklagten - die überwiegende Anzahl der "Beschäftigungsverhältnisse" dokumentiert war. Diesen Ordner wertete die Beklagte aus und nahm Schätzungen nur für diejenigen Arbeitnehmer vor, "die in diesen Unterlagen nicht mit konkreten Vergütungsansprüchen im Entleiherbetrieb ausgewiesen waren".

48

Ausgehend davon dürfte ein wesentlicher Teil der Beitragsforderung der Höhe nach nicht zu beanstanden sein. Denn für die in diesem Ordner nachgewiesenen Arbeitnehmerüberlassungen nahm die Beklagte offenkundig keine Schätzung vor; dass die in den von ihr vorgelegten Unterlagen enthaltenen konkreten Vergütungsansprüche nicht zuträfen, hat die Klägerin bisher nicht geltend gemacht. Für eine derartige Unrichtigkeit bestehen auch keine sonstigen Anhaltspunkte. Jedoch hat das SG diesen Teil der Beitragsforderung weder betragsmäßig festgestellt noch ist der Teil aufgrund der festgestellten Tatsachen bestimmbar; schon deshalb ist der Senat auch bezogen auf diesen Teil der Beitragsforderung an einer abschließenden Entscheidung gehindert.

49

Zudem kann der Senat aufgrund fehlender Tatsachenfeststellungen des SG auch nicht entscheiden, ob - wie im Revisionsverfahren gerügt - bestimmte von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern gewährte Zulagen bei der Ermittlung der Differenz zwischen dem von der Klägerin der Beitragsabführung zugrunde gelegten Entgelt und den in Höhe des Vergleichslohns entstandenen konkreten Vergütungsansprüchen differenzmindernd zu berücksichtigen sind. So richtet sich nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 13.3.2013 - 5 AZR 294/12 - AP Nr 25 zu § 10 AÜG = NZA 2013, 1226, Juris RdNr 34 ff) die Berücksichtigung von Aufwendungsersatz beim Gesamtvergleich zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt gemäß § 10 Abs 4 AÜG danach, ob damit - wenn auch in pauschalierter Form - ein dem Arbeitnehmer tatsächlich entstandener Aufwand, zB für Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten, erstattet werden soll (echter Aufwendungsersatz) oder ob die Leistung Entgeltcharakter hat. Echter Aufwendungsersatz ist im Sinne des Arbeitsrechts kein Arbeitsentgelt (BAG, aaO, Juris RdNr 35). Ob solche Zulagen überhaupt gewährt wurden und ggf welchen rechtlichen Charakter sie hatten, hat das SG nicht festgestellt. Das ist vom LSG nachzuholen.

50

b) Ebenso lassen die vom SG getroffenen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung des Senats nicht ausreichend erkennen, ob bzw inwieweit die Beklagte die der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Entgelte schätzen durfte.

51

Die Beklagte war zwar grundsätzlich zur Schätzung der von der Klägerin ihren Leiharbeitnehmern während der jeweiligen Überlassung an einen Entleiherbetrieb geschuldeten Entgelte berechtigt, soweit die Klägerin keine Unterlagen über die konkreten Vergütungsansprüche vorlegen konnte (hierzu aa). Auf ein Verschulden der Klägerin bei der Verletzung ihrer Aufzeichnungspflichten kommt es dafür ebenso wenig an, wie auf deren Kenntnis vom konkreten Inhalt dieser Pflichten (hierzu bb). Jedoch ist im Einzelfall zu prüfen, ob die konkreten Vergütungsansprüche nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand zu ermitteln sind (hierzu cc). Auch hierzu bedarf es im Rahmen der Befassung der Sache durch das LSG weiterer Feststellungen.

52

aa) Grundsätzlich ist ein Rentenversicherungsträger - vorliegend mithin die Beklagte - im Rahmen der Betriebsprüfung auch zur Schätzung der Entgelte einzelner Beschäftigter berechtigt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 28f RdNr 67 f). Zwar sollte es diese Vorschrift den Gesetzesmaterialien zufolge in erster Linie ermöglichen, die Lohnsumme für den Erlass eines Summenbescheides iS des § 28f Abs 2 S 1 SGB IV zu schätzen, wenn aufgrund unzureichender oder fehlender Buchhaltung nicht einmal diese ermittelt werden kann(Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - , BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Dann muss es aber erst recht zulässig sein, im Rahmen der Beitragsüberwachung das Entgelt einzelner Arbeitnehmer zu schätzen, wenn infolge der Verletzung von Aufzeichnungspflichten zwar eine personenbezogene Zuordnung möglich ist, nicht aber die genaue Bestimmung der Entgelthöhe.

53

Bestätigt wird diese Auslegung des § 28f Abs 2 S 4 SGB IV durch die spätere Übernahme der Schätzungsbefugnis in § 28h Abs 2 S 2 und 3 SGB IV durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs(vom 30.6.1995, BGBl I 890), durch die ausdrücklich nach dem Vorbild der bis dahin in der Praxis analog angewandten Vorschrift des § 28f Abs 2 S 3 und 4 SGB IV(vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 13/1559 S 13 zu Art 1 Nr 2 Buchst b) eine vom Erlass eines Summenbescheides unabhängige Schätzungsbefugnis der Einzugsstellen geschaffen wurde.

54

bb) Auch eine solche - mithin grundsätzlich zulässige - Entgeltschätzung bei personenbezogenen Beitragsfestsetzungen erfordert indessen eine "Verletzung der Aufzeichnungspflichten" des Arbeitgebers. Eine solche Verletzung kann hier nicht ohne Weiteres bejaht werden.

55

Dazu ist vielmehr in den Blick zu nehmen, dass es eines Verschuldens des Arbeitgebers insoweit ebenso wenig bedarf (BSGE 89, 158, 161 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 6) wie überhaupt einer Kenntnis des Arbeitgebers vom konkreten Inhalt der ihn treffenden sozialversicherungsrechtlichen Pflicht. Grund dafür ist, dass die ausnahmslose Aufzeichnungspflicht gerade dazu dient, Fragen der Versicherungs- und Beitragspflicht rückwirkend prüfen zu können (vgl Regierungsentwurf SGB IV, aaO, BT-Drucks 11/2221 S 23 zu § 28f). Diese Prüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sicherzustellen (vgl BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 24 mwN; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R). Zur Gewährleistung einer vollständigen Beitragsentrichtung ist es aber erforderlich, die Erhebung der vom Arbeitgeber objektiv geschuldeten Beiträge auch dann zu ermöglichen, wenn die Feststellung der genauen Beitragshöhe oder - im hier nicht betroffenen Fall des Summenbescheides - die Zuordnung der Entgelte zu einzelnen Arbeitnehmern wegen - gleich aus welchem Grunde - fehlender oder unvollständiger Aufzeichnungen nicht möglich ist. Der erforderliche Ausgleich (einerseits) der Interessen der Versicherten und Versicherungsträger an einer vollständigen Beitragsfeststellung und -erhebung sowie (andererseits) dem Interesse der Arbeitgeber, nicht im Nachhinein mit unerwarteten Beitragsforderungen belastet zu werden, die sie mit Rücksicht auf § 28g S 3 SGB IV häufig auch hinsichtlich des Versichertenanteils im Ergebnis wirtschaftlich zu tragen haben, erfolgt nach der gesetzlichen Konzeption dabei vorrangig über die Verjährungsregelungen. Diese Regelungen schützen gutgläubige Arbeitgeber vor Nachforderungen von Beiträgen, die nicht innerhalb der vier zurückliegenden Kalenderjahre fällig geworden sind.

56

cc) Näher geprüft werden muss zudem, ob sich die für die Beitragsbemessung den Ausgangspunkt bildenden maßgebenden konkreten Vergütungsansprüche der Leiharbeitnehmer "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln" lassen.

57

Eine Schätzung von Entgelten ist jedoch nicht in jedem Fall fehlender oder fehlerhafter Arbeitgeberaufzeichnungen zulässig, worauf die Klägerin zutreffend hinweist. Eine Befugnis zur Schätzung von Entgelten besteht nur dann, wenn aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Aufzeichnungen des Arbeitgebers - soweit vorliegend relevant - die Beitragshöhe nicht konkret festgestellt werden kann. Die Feststellung der Beitragshöhe muss dabei nicht gänzlich objektiv unmöglich sein; ausdrücklich ordnet § 28f Abs 2 S 3 SGB IV eine Entgeltschätzung vielmehr bereits für den Fall an, dass der prüfende Träger Arbeitsentgelte "nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand" ermitteln kann. Damit suspendiert § 28f Abs 2 SGB IV indessen weder die Amtsermittlungspflicht des prüfenden Trägers, noch die Mitwirkungspflichten des zu prüfenden Arbeitgebers (zB nach § 28f Abs 1 und 3, § 28p Abs 5 SGB IV). Dementsprechend haben sich die Träger im Rahmen ihrer Amtsermittlung nach Maßgabe der §§ 20 ff SGB X grundsätzlich sämtlicher in Betracht kommender Beweismittel zu bedienen; insbesondere können sie beim Versicherten selbst, beim Entleiherunternehmen oder bei anderen Stellen und Behörden Auskünfte über die beim Entleiher für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Beschäftigungsbedingungen einholen. Die Verhältnismäßigkeit des Unterlassens weiterer Feststellungen durch den Rentenversicherungsträger unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung, wofür auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen ist (BSGE 89, 158, 162 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 8).

58

Prüfungsmaßstab ist im Falle einer personenbezogenen Entgeltschätzung - wie sie Gegenstand dieses Rechtsstreits ist - vorrangig eine Abwägung zwischen dem im Einzelfall zu erwartenden Verwaltungsaufwand und den Interessen des Versicherten wie auch des Arbeitgebers (zu den Anforderungen beim Verzicht auf personenbezogene Feststellungen vgl BSGE 89, 158, 161 f = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 7 f; vgl auch Werner in jurisPK-SGB IV, aaO, § 28f RdNr 59 f)an einer exakten Feststellung der Entgelte im Hinblick auf spätere Leistungsansprüche bzw im Hinblick auf die Vermeidung überobligatorischer Beitragslasten. Deshalb wird es wesentlich auch auf die zu erwartende Genauigkeit einer möglichen Schätzung ankommen: Je genauer die Schätzung, desto geringer sind die für den Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile und desto geringer der Ermittlungsaufwand, der noch als verhältnismäßig gelten kann (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75). Allein der Umstand, dass bei einem Arbeitgeber Entgelte einer großen Anzahl von Arbeitnehmern zu ermitteln sind, begründet für sich genommen jedoch noch keinen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand; insoweit kann es keine Rolle spielen, ob ein bestimmter Verwaltungsaufwand mehrfach bei einem Arbeitgeber oder jeweils in wenigen Fällen bei mehreren Arbeitgebern anfällt.

59

c) Stellt sich ausgehend von Vorstehendem im Fall heraus, dass eine Schätzung grundsätzlich zulässig ist, so sind auch für deren Durchführung bestimmte rechtliche Anforderungen einzuhalten.

60

Die Schätzung ist so exakt vorzunehmen, wie dies unter Wahrung eines nach den genannten Maßstäben noch verhältnismäßigen Verwaltungsaufwands möglich ist. Sie ist nicht zu beanstanden und - bis zum Nachweis der tatsächlichen Höhe des Arbeitsentgelts (§ 28f Abs 2 S 5 SGB IV)- verbindlich, wenn sie auf sorgfältig ermittelten Tatsachen gründet und nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (so zur Einkommensprognose nach dem BErzGG vgl BSG SozR 4-7833 § 6 Nr 4 mwN). Innerhalb dieses Rahmens sind die an eine Schätzung zu stellenden Anforderungen wiederum abhängig von einer Abwägung zwischen der Bedeutung einer größeren Genauigkeit der Schätzung für Versicherte und Arbeitgeber und dem mit einem bestimmten Vorgehen verbundenen Verwaltungsaufwand. Dabei sind die Anforderungen an eine Schätzung umso höher, je größer die für die Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile sind (vgl Berchtold, SozSich 2012, 70, 75).

61

Diese Notwendigkeit der Abwägung im Einzelfall schließt es aus, eine verallgemeinerungsfähige Antwort auf die von der Klägerin im Revisionsverfahren aufgeworfene Frage zu geben, ob für die Ermittlung des Vergleichslohns allein auf die berufliche Qualifikation des Leiharbeitnehmers abgestellt werden darf, oder ob hierfür auch dessen "individuelle Handicaps" zu berücksichtigen sind (vgl hierzu etwa Thüsing/Stiebert, Equal Pay in der Arbeitnehmerüberlassung - unter Berücksichtigung des CGZP-Beschlusses in Brand/Lembke, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, 2012, S 67 mwN). Sollte Letzteres - was der Senat hier nicht beantworten muss - arbeitsrechtlich geboten sein, so wären solche "Handicaps" nur dann im Rahmen der Entgeltschätzung zu berücksichtigen, wenn sich deren Vorliegen und deren Auswirkungen auf den Vergleichslohn im Einzelfall mit noch verhältnismäßigem Verwaltungsaufwand abschätzen ließen.

62

Schließlich sind Schätzungsgrundlagen und Berechnungsmethode vom Versicherungsträger in der Begründung seines Bescheides im Einzelnen darzulegen (so bereits BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 3 S 17). Das Fehlen dieser Angaben führt vorliegend allerdings nicht schon ohne Weiteres zur - auch nicht teilweisen - Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen einer fehlenden Begründung des Verwaltungsaktes (§ 35 Abs 1 S 1 und 2 SGB X), sondern lediglich zur Aufhebung des SG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an die Tatsacheninstanzen, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen des SG zu dem auf Schätzungen beruhenden Teil der Beitragsforderung (vgl oben II.4.a) auch insoweit an einer abschließenden Entscheidung gehindert ist. Im Rahmen der erneuten Verhandlung wird das LSG - an das der Senat die Sache hier zurückverweist - auch § 41 Abs 2 SGB X zu beachten haben.

63

5. Schließlich kann der Senat wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des SG ebenfalls nicht abschließend entscheiden, ob die von der Klägerin hinsichtlich der Beiträge für den Zeitraum 1.12.2005 bis 31.12.2006 erhobene Verjährungseinrede dem insoweit möglicherweise bestehenden Anspruch der Beklagten auf weitere Beiträge für diesen Zeitraum entgegensteht. Insoweit kommt es darauf an, ob Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind und ob Vorsatz aufgrund positiver Kenntnis von der Pflicht zur Beitragsentrichtung unterstellt werden kann (hierzu a). Eine solche Kenntnis wird jedoch weder durch den Inhalt des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 (hierzu b) noch durch den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 23.12.2010 vermittelt (hierzu c), das auch keine Hemmung des Fristlaufs bewirkte (hierzu d). Daher sind ua weitere tatrichterliche Feststellungen zur Frage eines möglichen Vorsatzes auf Seiten der Klägerin erforderlich (hierzu e).

64

a) Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Hingegen verjähren solche Ansprüche erst in 30 Jahren (§ 25 Abs 1 S 2 SGB IV), wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind. Der Begriff "vorsätzlich" schließt den bedingten Vorsatz ein (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 mwN). Hierfür ist ausreichend, dass der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35). Die 30-jährige Verjährungsfrist ist auch anzuwenden, wenn ein anfänglich gutgläubiger Beitragsschuldner vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist bösgläubig geworden ist (BSG, aaO, S 34). Der subjektive Tatbestand ist dabei bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls und den betreffenden Beitragsschuldner individuell zu ermitteln; die Feststellungslast für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft (BSG, aaO, S 35 f). Ist - wie im Idealfall, von dem § 25 SGB IV ausgeht - eine natürliche Person Beitragsschuldner, wird im Regelfall die Feststellung ihrer Kenntnis von der Beitragspflicht und der Umstand, dass die Beiträge nicht (rechtzeitig) gezahlt wurden, genügen, um gleichermaßen feststellen zu können, dass dieser Beitragsschuldner die Beiträge (zumindest bedingt) vorsätzlich vorenthalten hat. Denn die Rechtspflicht zur Beitragszahlung hat zur Folge, dass das Unterlassen der Zahlung einem aktiven Handeln gleichzustellen ist. Aus einem aktiven Handeln im Bewusstsein, so vorzugehen, folgt aber in aller Regel auch das entsprechende Wollen (im Einzelnen vgl BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 29 ff).

65

"Kenntnis" im vorstehend beschriebenen Sinne ist das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung der Beiträge verpflichtet zu sein. Solche den Vorsatz indizierende Kenntnis von der Beitragspflicht kann nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig angenommen werden, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt (zB bei "Schwarzarbeit") überhaupt keine Beiträge entrichtet werden; sie liegt auch noch nahe, wenn Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" zum Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung eine bekannte oder ohne Weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht. Demgegenüber muss der Vorsatz bei wenig verbreiteten Nebenleistungen, bei denen die Steuer- und die Beitragspflicht in komplizierten Vorschriften geregelt sind und inhaltlich nicht voll deckungsgleich sind, eingehend geprüft und festgestellt werden. Fehler bei der Beitragsentrichtung dürften in diesen Fällen nicht selten nur auf fahrlässiger Rechtsunkenntnis beruhen. Bloße Fahrlässigkeit schließt jedoch die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist aus. Dies gilt auch für die Form der "bewussten Fahrlässigkeit", bei welcher der Handelnde die Möglichkeit der Pflichtverletzung zwar erkennt, jedoch - im Gegensatz zum bedingt vorsätzlich Handelnden, der den Erfolg billigend in Kauf nimmt - darauf vertraut, die Pflichtverletzung werde nicht eintreten (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 33, 35 f; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R).

66

Im vorliegenden Fall, in dem es sich bei der Beitragsschuldnerin um eine juristische Person des Privatrechts handelt, kommt es zunächst auf die Kenntnis zumindest eines Mitglieds eines Organs der Klägerin von der Beitragspflicht an. Das Wissen eines vertretungsberechtigten Organmitglieds ist als Wissen des Organs anzusehen und damit auch der juristischen Person zuzurechnen (BGHZ 109, 327, 331; BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 194, 195). Darüber hinaus kann jedoch auch die Kenntnis weiterer im Rahmen einer betrieblichen Hierarchie verantwortlicher Personen der betroffenen juristischen Person zuzurechnen sein, nämlich dann, wenn keine Organisationsstrukturen geschaffen wurden, um entsprechende Informationen aufzunehmen und intern weiterzugeben (vgl BGH Urteil vom 15.12.2005 - IX ZR 227/04 - WM 2006, 195 ff; BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 19).

67

b) Nach diesen Grundsätzen kann dem SG nicht gefolgt werden, soweit es einen Vorsatz der Klägerin bezüglich der unterlassenen Beitragsentrichtung schon deshalb bejaht hat, weil mit dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 die naheliegende Möglichkeit bestanden habe, dass auf die Differenz zwischen den gezahlten Arbeitsentgelten und den nach § 10 Abs 4 S 1 AÜG geschuldeten Arbeitsentgelten Beiträge nachzuzahlen waren. Aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist allerdings die Aussage des SG, die Vorlage von Unterlagen über die Löhne in Entleiherbetrieben belege, dass die Klägerin zumindest die Nacherhebung von Beiträgen für möglich gehalten habe. Gleiches gilt auch für die damit verbundene, unausgesprochene Annahme, die Vorstellung von der Möglichkeit einer Beitragserhebung habe (wenn auch nicht unbedingt vor dem 1.1.2011) bei zumindest einer deren Zurechnung zur Klägerin ermöglichenden Person vorgelegen.

68

Das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragserhebung steht jedoch dem vorsatzindizierenden sicheren Wissen um die rechtliche und tatsächliche Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge nicht gleich. Insbesondere kann selbst nach der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BAG-Beschlusses vom 14.12.2010 zu Anfang des Jahres 2011 ein solches sichereres Wissen nicht ohne Weiteres unterstellt werden, weil - umgangssprachlich ausgedrückt - jeder informierte Mensch nunmehr genau gewusst hätte, dass Beiträge auch für diese Jahre nachzuzahlen waren. Eine solche Unterstellung scheidet schon wegen der seinerzeit auch arbeitsrechtlich noch nicht abschließend geklärten Frage nach der zeitlichen Wirkung eines im Verfahren nach § 2a Abs 1 Nr 4, § 97 Abs 1 ArbGG ergangenen Beschlusses aus. Das Bestehen einer unsicheren Rechtslage wird bereits durch die erhebliche Zahl von Aussetzungsbeschlüssen verschiedener ArbGe und LArbGe nach § 97 Abs 5 ArbGG zur Klärung der Frage der Tariffähigkeit der CGZP zu verschiedenen Zeitpunkten vor Ergehen des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 belegt, ebenso durch die hiermit zusammenhängende Diskussion (vgl zB LArbG Hamm Beschluss vom 28.9.2011 - 1 TA 500/11 - Juris RdNr 17 ff mit zahlreichen Nachweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum; nachgehend BAG Beschluss vom 23.5.2012 - 1 AZB 58/11 - BAGE 141, 382 = AP Nr 18 zu § 97 ArbGG 1979 und BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 25.4.2015 - 1 BvR 2314/12 - NJW 2015, 1867 = NZA 2015, 757; vgl auch Berchtold, SozSich 2012, 70, 72).

69

Vor diesem Hintergrund kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Arbeitnehmerüberlassung beruflich betreibende Personen allgemein die Möglichkeit einer Pflicht zur Beitragszahlung auch für zurückliegende Zeiträume erkannten. Es kann aber jedenfalls für die hier entscheidungserhebliche Zeit bis einschließlich 31.12.2010 nicht im Sinne eines vorsatzindizierenden Wissens schlechthin unterstellt werden, dass solche Personen nicht auf eine Klärung der Rechtslage zu ihren Gunsten vertrauten und deshalb mit der nicht nachgeholten Zahlung dieser Beiträge eine Verletzung ihrer Beitragsabführungspflichten billigend in Kauf nahmen.

70

c) Etwas anderes folgt zum Nachteil der Klägerin auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010.

71

In diesem - nach gleichem Muster bundesweit an zahlreiche Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung versandten - Schreiben erläuterte die Beklagte unter Hinweis auf eine beigefügte Presseerklärung des BAG, dass die CGZP nach dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 nicht tariffähig sei und deshalb keine Tarifverträge habe abschließen können, welche geeignet gewesen seien, in der Zeitarbeitsbranche vom "equal pay"-Prinzip abzuweichen. Weiter führte die Beklagte wörtlich aus:

        

"Da eine schriftliche Entscheidungsbegründung noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit sagen, wie die Frage der Rückwirkung dieser Entscheidung auf Beitragsansprüche, die seit Januar 2006 fällig geworden sind, zu beantworten ist. Um Schaden von den Sozialversicherungen abzuwenden, sehen wir uns deshalb verpflichtet, hiermit fristwahrend die Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend zu machen."

72

Soweit es die Frage eines die Anwendbarkeit der 30-jährigen Verjährungsfrist auslösenden Bösgläubigkeit angeht, war dieses Schreiben der Beklagten lediglich geeignet, dem Empfänger das Wissen um die (bloße) Möglichkeit einer Beitragsabführungspflicht für "equal pay"-Ansprüche auch für Zeiträume vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 zu verschaffen. Die gewählten Formulierungen vermitteln selbst schon nicht einmal das eigene sichere Wissen der Beklagten um die rückwirkenden Folgen des BAG-Beschlusses, sondern die Äußerung einer - seriösem ordnungsgemäßem Verwaltungshandeln auch entsprechenden - eher abwartenden und zurückhaltenden Tendenz, die den Gesichtspunkt der Wahrung eigener Rechte in den Vordergrund rückt. Schließlich wird in dem Schreiben auch des Weiteren nur auf die Pflicht der Adressaten zur "Prüfung" ihrer Beitrags- und Meldepflichten hingewiesen. Ein vorsatzindizierendes "sicheres" Wissen um die Verpflichtung, diese Beiträge abführen zu müssen, konnte damit bei verständiger Würdigung nicht vermittelt werden, was schon aus den in diesem Schreiben enthaltenen - zutreffenden - Hinweisen auf die fehlende Entscheidungsbegründung des BAG und - nicht nur deshalb - die fortbestehende Unsicherheit bezüglich dieser Frage folgt (hierüber hinausgehend - auch im Hinblick auf eine Pressemitteilung der Beklagten vom 21.12.2010 - Schlegel, NZA 2011, 380, 383). All dies schließt gleichwohl im Einzelfall die Annahme zumindest bedingten Vorsatzes aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellung anderer, ein individuelles Vertrauen der Klägerin auf einen aus ihrer Sicht "guten Ausgang" widerlegender Tatsachen nicht von vornherein aus.

73

d) Das Schreiben der Beklagten vom 23.12.2010 war auch nicht geeignet, die drohende Verjährung von im Jahre 2006 fälligen Beitragsansprüchen mit Ablauf des 31.12.2010 zu hemmen. Hierzu hätte es nämlich des Erlasses eines Beitragsbescheides oder jedenfalls der tatsächlichen Vornahme einer Arbeitgeberprüfung (§ 25 Abs 2 S 2 SGB IV) bzw bezüglich der Rentenversicherungsbeiträge der Einleitung eines Beitragsverfahrens (§ 198 SGB VI) bedurft. Letzteres erfordert die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass insbesondere eines Verwaltungsaktes gerichtet ist (§ 8 SGB X). Das genannte Schreiben der Beklagten erfüllt keinen dieser Hemmungstatbestände. Insbesondere wurde hierdurch weder bereits ein Prüf- noch ein Beitragsverfahren eingeleitet. Vielmehr wurde lediglich erst die spätere Durchführung einer Arbeitgeberprüfung im Jahr 2011 angekündigt.

74

e) Ob der Klägerin in Bezug auf eine vorsätzliche Beitragsvorenthaltung das Verschulden von Personen zugerechnet werden kann, die in der Zeit vor dem 1.1.2011 nicht nur um die Möglichkeit einer (Nach-)Zahlungspflicht von weiteren Beiträgen für die Zeit vom 1.12.2005 bis 31.12.2006 wussten, sondern eine Verletzung dieser Pflicht zumindest billigend in Kauf genommen hatten, hat das SG - von seinem Standpunkt aus konsequent - nicht festgestellt. Tatrichterlich sind insoweit die konkreten Umstände zur inneren (subjektiven) Seite beim Beitragsschuldner festzustellen und zu würdigen. Dies führt auch bezüglich des möglicherweise verjährten Teils der Beitragsforderung zur Zurückverweisung der Sache an das LSG zwecks Ermittlung eines möglichen, eine 30-jährige Verjährungsfrist auslösenden Vorsatzes ( vgl bereits BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7; BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7; jüngst BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R ).

75

Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, dass die bis 31.12.2006 fälligen Beitragsansprüche verjährt sind, wird es weiter auch zu prüfen haben, ob dies die Beitragsansprüche für den Monat Dezember 2006 vollständig mitumfasst oder ob ein Teil dieser Ansprüche nach § 23 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB IV(idF der Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86) erst im Januar 2007 fällig wurde.

76

6. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

77

7. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der streitigen Beitragsforderung festzusetzen.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.