Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 19. Dez. 2018 - 10 B 1469/18.NE
Gericht
Tenor
Der Vollzug der 5. Änderung des Bebauungsplans „H. Weg West“ der Stadt U. wird bis zur Entscheidung über einen noch zu erhebenden Normenkontrollantrag ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
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Gründe:
2Der Antrag ist zulässig.
3Das Rechtsschutzinteresse für den Antrag ist nach inzwischen ständiger Rechtsprechung der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts nicht deshalb entfallen, weil für die Bebauung des Plangebiets in der Zwischenzeit eine Baugenehmigung erteilt worden ist.
4Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom am 31. Oktober 2016 – 10 B 821/16.NE –, und vom 31. März 2007 – 10 B 359/07.NE –.
5Er ist auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
6Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Bebauungsplan erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig nur gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich unwirksam und seine Umsetzung beeinträchtigt den Antragsteller konkret so, dass die einstweilige Anordnung deshalb dringend geboten ist.
7Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. April 2010 – 7 B 68/10.NE –, vom 27. April 2009 – 10 B 459/09.NE –, NVwZ-RR 2009, 799, und vom 29. April 2010 – 2 B 304/10.NE –.
8Der Antragsteller macht zu Recht einen Abwägungsfehler geltend, weil die vorgesehene Erschließung der festgesetzten Fläche für den Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung „Sozialen Zwecken dienende Gebäude und Einrichtungen“, auf der eine Kindertagesstätte errichtet werden soll, nicht nur ihn und seine Kinder, sondern auch die Allgemeinheit gefährde.
9Der Rat hat sich zwar mit der Erschließungsproblematik unter Berücksichtigung einer im Aufstellungsverfahren eingeholten verkehrstechnischen Stellungnahme auseinandergesetzt, den erkannten planbedingten Konflikt zwischen der gewollten baulichen Nutzung des Plangebiets und dem damit zusammenhängenden Kraftfahrzeug-, Fahrrad- und Fußgängerverkehr und der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der der Erschließung des Plangebiets dienenden H1.-N.-Straße in dem Abschnitt unmittelbar vor dem Grundstück des Antragstellers nicht abwägungsgerecht gelöst.
10Die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraße (RASt 06) liefern insoweit geeignete Anhaltspunkte zur Ermittlung und Bewertung der Belange des Verkehrs. Sie enthalten zwar keine verbindlichen Rechtsnormen, doch konkretisieren sie als von Fachleuten erstellte Vorschriften allgemein anerkannte Regeln des Straßenbaus im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW, wie Erschließungsstraßen im Normalfall nach ihrem Raumbedarf und zur Gewährleistung von Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu entwerfen und zu gestalten sind.
11Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. April 2016 – 10 D 44/14.NE –, juris, Rn. 34 zur Erschließung eines Altenheims über einen Wohnweg.
12Der Rat hat danach den im Zusammenhang mit der geplanten Kindertagesstätte zu erwartenden Verkehr wohl ausreichend ermittelt und in seine Abwägung eingestellt. Seine Einschätzung, dass dieser zusätzliche Verkehr auf der H1.-N.-Straße mit ihrer Widmung und straßenverkehrsrechtlichen Regelung als verkehrsberuhigter Bereich grundsätzlich vereinbar sei und die Anwohner nicht unzumutbar belaste, erscheint noch nachvollziehbar.
13Jedoch lässt die Verwirklichung der Kindertagesstätte mit der vorgesehenen Erschließung über die H1.-N.-Straße wegen der angesprochenen Engstelle auf Höhe des Grundstücks des Antragstellers unter Berücksichtigung der konkreten Umstände mit größter Wahrscheinlichkeit eine unvertretbare Gefährdung des Anliegerverkehrs erwarten. Die besagte Engstelle in unmittelbarer Nähe der geplanten Kindertagesstätte hat eine für eine Mischverkehrsfläche deutlich zu geringe Breite von insgesamt lediglich 3 m. Es ist zwar nicht grundsätzlich abwägungsfehlerhaft, unter Umständen – etwa wenn nur wenige Wohneinheiten erschlossen werden sollen – eine geringere als die nach der RASt 06 vorgesehene Straßenbreite vorzusehen,
14vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2007 – 10 B 226/07.NE –,
15doch stellt sich die planungsrechtliche Situation, der hier Rechnung zu tragen ist, als wesentlich anders dar. Auch wenn die Engstelle nach der Planung auf eine Länge von circa 12 m verkürzt werden soll und der Rat in gewissem Umfang auch ein der Verkehrssituation angepasstes Verhalten der Verkehrsteilnehmer unterstellen kann, erscheint die Verkehrssicherheit im Bereich der Engstelle bei gleichzeitiger Benutzung durch mehrere Verkehrsteilnehmer vor allem für Kinder, die als Radfahrer und Fußgänger zur Kindertagesstätte fahren beziehungsweise gehen, insbesondere in der morgendlichen Spitzenstunde bei Regen und in der dunklen Jahreszeit nicht ausreichend gewährleistet. Die im Aufstellungsverfahren eingeholte Verkehrstechnische Stellungnahme und dementsprechend die Begründung des Bebauungsplans verhalten sich nur dazu, dass ein Blockieren der Fahrbahn durch zwei sich entgegenkommende Kraftfahrzeuge wegen der Übersichtlichkeit der Engstelle ausgeschlossen sei, nicht aber zu dem Aspekt der Verkehrssicherheit bei einer konkurrierenden Nutzung der Mischverkehrsfläche durch Kraftfahrer, Radfahrer und Fußgänger. Die Umsetzung des Bebauungsplans würde – was der Rat übersehen hat – letztlich einen städtebaulichen Missstand begründen, den zu vermeiden eine der vordringlichsten Aufgaben der Bauleitplanung ist.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
17Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
18Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit
- 1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs - 2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.
(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.
(2a) (weggefallen)
(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.
(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.
(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.
(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.