Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Beschluss, 30. Mai 2005 - 16 W 47/05

ECLI:ECLI:DE:OLGSH:2005:0530.16W47.05.0A
bei uns veröffentlicht am30.05.2005

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Ablehnungsgesuch des Beklagten gegen den Richter am Landgericht X. wird für begründet erklärt.

Gründe

1

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gemäß § 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO.

2

Die sofortige Beschwerde ist begründet. Der abgelehnte Richter hat durch sein Verhalten in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2005 Gründe geliefert, die auch aus der Sicht einer ruhigen und besonnenen Partei in der Lage des Beklagten geeignet sind, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

3

Aufgrund des Protokolls dieser Verhandlung in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 7. Februar 2005 steht fest, dass der Richter auf die Rüge des Beklagtenvertreters, die Klage sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, Vertagung auf den 24. Januar 2005 beschlossen und verkündet hat.

4

Damit war der Termin beendet (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Auflage, § 227 Rn 3). Jede weitere Prozesshandlung konnte nur noch in dem anberaumten Fortsetzungstermin vorgenommen werden. Mit dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Sinne von § 136 Abs. 4 ZPO hat das nichts zu tun. Eine mündliche Verhandlung kann bekanntlich aus mehreren Terminen bestehen.

5

Der erlassene Vertagungsbeschluss unterlag nach § 336 Abs. 1 ZPO der sofortigen Beschwerde durch die Klägerin, weil er zugleich die Ablehnung des Antrages auf Erlass eines Versäumnisurteils bedeutete (Zöller/Herget, aaO., § 336 Rn 1).

6

Weder durfte der abgelehnte Richter nach Beendigung des Termins durch den Vertagungsbeschluss Gegenvorstellungen des Klägers entgegennehmen noch gar seinen Vertagungsbeschluss, ohne dass sofortige Beschwerde eingelegt worden wäre, formlos wieder aufheben.

7

Richtig ist nur, dass im Einverständnis aller Beteiligten auch ein bereits verkündeter Beschluss bei erkannter offensichtlicher Unrichtigkeit als nicht ergangen behandelt werden kann. Alles andere wäre nur sinnlose Förmelei.

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Davon kann hier keine Rede sein. Der Beklagtenvertreter hat sich gerade nicht mit einer Fortsetzung des Termins trotz seiner verkündeten Beendigung einverstanden erklärt.

9

Damit stellt sich die Vorgehensweise des abgelehnten Richters als ein grober Verfahrensverstoß dar, der jeder ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von den Regeln des Zivilprozesses entfernt, dass sich für den Beklagten der Eindruck einer sachwidrig auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängen konnte (Zöller/Vollkommer, aaO., § 42 Rn 24). Dabei ist das Verhalten des abgelehnten Richters in der mündlichen Verhandlung nicht isoliert zu betrachten. Aus der Sicht des Beklagten hat er beharrlich dessen Hinweise auf eine nicht ordnungsgemäße Zustellung einer prozessgemäßen Klage ignoriert.

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Es widerspricht allen Gepflogenheiten der Zivilgerichte, nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe Termin anzuberaumen, ohne zuvor Einreichung und Zustellung einer Klageschrift nach Maßgabe des § 253 Abs. 2 ZPO veranlasst zu haben. Durch seine Ladungsverfügung vom 21. Oktober 2004 hat der abgelehnte Richter hiergegen verstoßen. Hierauf vom Beklagten hingewiesen, hat er die „Leistungsklage“ vom 11. November 2004 als ordnungsgemäße Klage behandelt und damit beim Beklagten jedenfalls den Eindruck erweckt, zu einer Fehlerkorrektur nicht willig zu sein. Dass der Schriftsatz vom 11. November 2004 keine ordnungsgemäße Klage darstellt und jedenfalls bei Rüge des Gegners auch nicht als solche behandelt werden darf, entspricht einhelliger Ansicht (BGH NJW 1996, 1351).

11

Wenn nach dieser Vorgeschichte ein derart grober Verfahrensverstoß zu Gunsten der Klägerin erfolgt, wie in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2005 geschehen, darf auch eine noch so ruhige und besonnene Partei, zu deren Nachteil das gereicht, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters hegen, § 42 Abs. 2 ZPO.


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Referenzen - Gesetze

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Beschluss, 30. Mai 2005 - 16 W 47/05 zitiert 7 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 253 Klageschrift


(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift). (2) Die Klageschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;2.die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Ansp

Zivilprozessordnung - ZPO | § 42 Ablehnung eines Richters


(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt

Zivilprozessordnung - ZPO | § 569 Frist und Form


(1) Die sofortige Beschwerde ist, soweit keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Notfrist beginnt, soweit nichts ande

Zivilprozessordnung - ZPO | § 46 Entscheidung und Rechtsmittel


(1) Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluss. (2) Gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, fin

Zivilprozessordnung - ZPO | § 136 Prozessleitung durch Vorsitzenden


(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die Verhandlung. (2) Er erteilt das Wort und kann es demjenigen, der seinen Anordnungen nicht Folge leistet, entziehen. Er hat jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 336 Rechtsmittel bei Zurückweisung


(1) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückgewiesen wird, findet sofortige Beschwerde statt. Wird der Beschluss aufgehoben, so ist die nicht erschienene Partei zu dem neuen Termin nicht zu laden. (2) Die

Referenzen

(1) Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluss.

(2) Gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für begründet erklärt wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, findet sofortige Beschwerde statt.

(1) Die sofortige Beschwerde ist, soweit keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Notfrist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses. Liegen die Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, so kann die Beschwerde auch nach Ablauf der Notfrist innerhalb der für diese Klagen geltenden Notfristen erhoben werden.

(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt. Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.

(3) Die Beschwerde kann auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn

1.
der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist oder war,
2.
die Beschwerde die Prozesskostenhilfe betrifft oder
3.
sie von einem Zeugen, Sachverständigen oder Dritten im Sinne der §§ 142, 144 erhoben wird.

(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die Verhandlung.

(2) Er erteilt das Wort und kann es demjenigen, der seinen Anordnungen nicht Folge leistet, entziehen. Er hat jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen.

(3) Er hat Sorge zu tragen, dass die Sache erschöpfend erörtert und die Verhandlung ohne Unterbrechung zu Ende geführt wird; erforderlichenfalls hat er die Sitzung zur Fortsetzung der Verhandlung sofort zu bestimmen.

(4) Er schließt die Verhandlung, wenn nach Ansicht des Gerichts die Sache vollständig erörtert ist, und verkündet die Urteile und Beschlüsse des Gerichts.

(1) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückgewiesen wird, findet sofortige Beschwerde statt. Wird der Beschluss aufgehoben, so ist die nicht erschienene Partei zu dem neuen Termin nicht zu laden.

(2) Die Ablehnung eines Antrages auf Entscheidung nach Lage der Akten ist unanfechtbar.

(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).

(2) Die Klageschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;
2.
die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.

(3) Die Klageschrift soll ferner enthalten:

1.
die Angabe, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen;
2.
die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht;
3.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(4) Außerdem sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Klageschrift anzuwenden.

(5) Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Einer Beifügung von Abschriften bedarf es nicht, soweit die Klageschrift elektronisch eingereicht wird.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.