Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil, 05. Juli 2007 - 11 U 29/07

ECLI:ECLI:DE:OLGSH:2007:0705.11U29.07.0A
bei uns veröffentlicht am05.07.2007

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin vom 26.02.2007 gegen das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 18.01.2007 - 6 O 196/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um Ersatz materieller und immaterieller Schäden aus einem Unfall der Klägerin auf dem Sportplatz der Beklagten, der durch eine lose Platte verursacht worden sein soll.

2

Das Landgericht Lübeck hat mit dem vorbezeichneten Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach der Beweisaufnahme zwar feststehe, dass die Klägerin über eine wackelnde Gehwegplatte gestolpert sei, dass die Beklagte jedoch ihren Verkehrssicherungspflichten nachgekommen sei, dass der Zeuge A. mindestens einmal die Woche den streitgegenständlichen Gehweg mit der Hand gefegt und darüber hinaus Müll aufgesammelt habe. Weiter stehe fest, dass der Zeuge in der Woche vor dem Sportfest einmal außer der Reihe auf dem Sportplatz gewesen sei, da er mit einem großen Besucherandrang gerechnet habe und den Platz entsprechend habe vorbereiten wollen. Eine darüber hinausgehende gezielte Kontrolle jeder Platte auf Kippeligkeit sei nicht angezeigt gewesen.

3

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass der Auffassung des Landgerichts nicht darin gefolgt werden könne, dass die Beklagte ihren Verkehrssicherungspflichten nachgekommen sei. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil und die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen in beiden Rechtszügen verwiesen.

II.

4

Die zulässige Berufung kann in der Sache keinen Erfolg haben.

5

Der Senat ist nach § 529 ZPO an die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts gebunden, nach denen an der Unfallstelle eine kippelnde Platte vorhanden war nach denen der Zeuge A. mindestens einmal in der Woche den streitgegenständlichen Gehweg mit der Hand (also ohne eine Kehrmaschine zu Hilfe zu nehmen) fegt und darüber hinaus Müll aufsammelt und nach denen weiter feststeht, dass der Zeuge in der Woche vor dem Sportfest einmal außer der Reihe auf dem Sportplatz war, da er mit einem großen Besucherandrang rechnete und den Platz entsprechend vorbereiten wollte.

6

Des Weiteren hat der Senat seiner Entscheidung die nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils unstreitige Tatsache zugrunde zu legen, dass auf der zur Straße hin gelegenen Seite des Gehweges oberhalb der Ränge des Sportplatzes in regelmäßigen Abständen fünf oder sechs Bäume gepflanzt sind, deren Alter und Größe zwischen den Parteien streitig geblieben ist.

7

Die Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nach der Art und dem Umfang der Benutzung eines Gehweges, auch auf einem Sportplatz, und umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Verkehrsteilnehmer, den Fußgänger, hinreichend sicheren Zustands. Dies bedeutet aber nicht, dass Gehwege schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sein müssen; denn eine vollständige Gefahrlosigkeit kann mit zumutbaren Mitteln nicht erreicht und vom Sicherungspflichtigen auch nicht verlangt werden. Vielmehr hat der Benutzer die Wege so hinzunehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbieten, und sich den gegebenen Verhältnissen mit der notwendigen Sorgfalt anzupassen. Der Verkehrssicherungspflichtige muss aber die Gefahren ausräumen, vor denen auch ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer sich nicht selbst schützen kann, weil die Gefahrenlage entweder völlig überraschend eintritt oder nicht ohne weiteres erkennbar ist.

8

Um eine solche „gefährliche Stelle“ handelt es sich in der Regel bei gelockerten Gehwegplatten; denn es fällt erfahrungsgemäß optisch nicht auf, dass eine Platte „hohl“ liegt. Da auch ein umsichtiger Fußgänger mangels Erkennbarkeit nicht damit rechnen und sich nicht darauf einstellen kann, dass eine Gehwegplatte beim Betreten kippelt, muss vom Verkehrssicherungspflichtigen grundsätzlich verlangt werden, dass Gehwege auf derartige Gefahren hin überprüft werden. Das gilt insbesondere auf Sportplätzen, auf denen die Aufmerksamkeit der Fußgänger weniger auf den Gehweg, sondern mehr auf das Geschehen auf dem Sportplatz gerichtet ist.

9

Der im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsauffassung zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht ist darin beizutreten, dass die Anforderungen an diese Kontrolle nicht dahingehend überspannt werden dürfen, dass die Kontrolleure der Städte und Gemeinden sämtliche Platten auf einem Gehweg, und zwar auch auf einem Gehweg auf einem Sportplatz, einzeln durch Begehen auf eine Lockerung zu untersuchen hätten; dies ist unzumutbar. Treten keine Auffälligkeiten im Belag hervor, wird der Kontrolleur sich im Allgemeinen auf eine „sorgfältige“ Sichtprüfung beschränken dürfen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1996, 518). Der Aufwand, jede einzelne Gehwegplatte daraufhin zu untersuchen, ob sich unter ihr ein Hohlraum befindet, würde einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern, welcher der verkehrssicherungspflichtigen Gemeinde grundsätzlich nicht abverlangt werden kann. Im Regelfall obliegt dem Verkehrssicherungspflichtigen lediglich die laufende Kontrolle der Gehwege daraufhin, ob sichtbare Veränderungen oder Mängel festzustellen sind. Maßnahmen zur Aufdeckung etwaiger unsichtbarer Schäden obliegen ihm nur dann, wenn deutliche Anhaltspunkte auf das mögliche Vorhandensein solcher Schäden hinweisen (vgl. BGH, NJW 1973, 277, 278; OLG Rostock, NZV 1998, 325, 326; OLG Jena, MDR 2006, 1289, 1290).

10

Nach dem Vortrag der Klägerin in der Klageschrift sollen Unebenheiten auf dem Plattenweg nicht erkennbar gewesen sein (S. 2, Bl. 2 GA). Zu den Bäumen am Rand des Gehweges heißt es in ihrem Schriftsatz vom 4.10.2005 (S. 3, Bl. 48 GA), dass es sich dabei um recht junge, kleine Bäume handele, bei welchen nicht mit einem so starken Wurzelwachstum gerechnet werden müsse, dass Platten angehoben würden o.ä. In ihrem Schriftsatz vom 3.2.2006 wiederholt sie dies und bestreitet ausdrücklich das Vorhandensein von alten größeren Bäumen (S. 2, Bl. 59 GA). In ihrem Schriftsatz vom 12.4.2006 schreibt sie, es möge sein, dass die Bäume im Durchmesser teilweise dicker seien als die zunächst angegebenen zehn Zentimeter. Jedenfalls seien sie aber so klein und so jung, dass mit dem von der Gegenseite behaupteten starken Wurzelwachstum keineswegs zu rechnen gewesen wäre. Eine Verkantung der Platten sei zumindest in dem Maße nicht ersichtlich gewesen, dass man dort damit hätte rechnen können, auf eine Stolperfalle zu treffen. (S. 4, Bl. 77 GA).

11

In der Berufungsbegründung vom 26.3.2007 hat die Klägerin auf ihr gesamtes erstinstanzliches Vorbringen Bezug genommen. Es ausdrücklich aufrechterhalten und zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht (S. 2, Bl. 187 GA).

12

Hiervon ausgehend reichten die vom Zeugen A. bekundeten, und vom Einzelrichter des Landgerichts durch die Beweisaufnahme als bestätigt angesehenen Kontrollmaßnahmen auf dem Sportplatz der Beklagten zur Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflichten aus. Der Zeuge hat hierzu ausgesagt, entsprechend seiner Arbeitszeitregelung sei es so gewesen, dass er pro Tag drei Stunden mit diesem Sportplatz verbracht habe und es aber de facto so gewesen sei, dass er mehrfach die Woche auf diesem Sportplatz gewesen sei, um dort nach dem rechten zu sehen. Insbesondere in der Woche vor dem Unfall sei er sehr lange dort gewesen, weil dort eins der Hauptereignisse im Sommer habe stattfinden sollen, nämlich die Jugendstadtmeisterschaft im Fußball. Im Vorfeld zu dieser Veranstaltung sei zum Beispiel die Sauberkeit des Platzes zu gewährleisten, der Plattenweg zu begehen und fegen gewesen. Er habe den Gehweg mit einem Besen gefegt. Dabei sei ihm nichts aufgefallen. Der Besen sei ungefähr 80 cm breit. Der Weg sei 100 m lang und ungefähr 2,50 m breit. Da trete man beim Fegen nicht auf jede Platte, sondern man fege mittig, mal ein bisschen links, mal ein bisschen rechts. Er könne also nicht ausschließen, dass, als er gefegt habe, irgendwo eine Platte gekippelt habe. Es gebe keine konkrete Anweisung der Stadt Heiligenhafen, wie häufig diese Platten zu kontrollieren seien. Das alles seien Regelarbeiten und das mache er eben nach Witterung oder nach der Tatsache, wie andere Aufträge da seien. Er könne aber sagen, dass er mindestens einmal in der Woche diesen Plattenweg betrete, wenn er dort fege, wenn er dort Müll aufsammle. Nach kaputten oder wackelnden Platten speziell suche er bei dieser Gelegenheit nicht. Sie würden ihm höchstens auffallen, weil er eben diesen Weg benutze. Seine Behauptung, hier und heute kippele keine Platte, mache er natürlich unter der Prämisse, dass er zweimal die Woche rauf und runter gehe und dort seine Arbeiten erledige. Er habe mehrfach gesagt, er trete natürlich nicht auf jede Platte, sondern er fege den Weg zum Beispiel oder ähnliches und dabei wären ihm Platten bestimmt aufgefallen, und unter der Prämisse könne er heute hier sagen, es kippele keine Platte.

13

Da diese Sichtprüfung als zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten ausreichend anzusehen ist, ändert es nichts, wenn die Beklagte selbst intensivere Kontrollmaßnahmen als die vom Zeugen A. bekundeten für erforderlich hält. Einerseits wird der Umfang der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten nicht von ihr bestimmt. Andererseits geht die Beklagte von einem anderen Zustand des Gehweges und der dort wachsenden Bäume als die Klägerin aus.

14

Das von der Klägerin angerufene Zivilgericht hat bei seiner Prüfung der geltend gemachten Ansprüche dieser jedoch wegen der im Zivilverfahren geltenden Parteiherrschaft (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Auflg., Vor § 284 Rn. 1 m.w.Nachw.) zunächst die Tatsachen zugrunde zu legen, die die klagende Partei zur Anspruchsbegründung vorträgt. Sind diese nicht schlüssig, d.h. folgt daraus nicht der geltend gemachte Anspruch, kommt es auf ein mögliches Bestreiten dieses Tatsachenvortrags durch die Beklagte nicht an. Das Gericht kann in einem solchen Fall nicht das der Klägerin günstigere Tatsachenvorbringen der Beklagten oder sonstige Tatsachenerkenntnisse seiner Entscheidung zugrunde legen.

III.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

16

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 63 Abs. 2 GKG.

IV.

17

Ein Anlass zur Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich.


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Zivilprozessordnung - ZPO | § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts


(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:1.die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidung

Referenzen

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.