Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 26. Okt. 2017 - 2 Ws (Reh) 36/17
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Gericht
Tenor
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Halle vom 25. Juli 2017 wird als unbegründet verworfen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
- 1
Die Kammer für Rehabilitierungssachen hat dem Antrag der Betroffenen auf Wiederaufnahme des Verfahrens des Landgerichts Magdeburg, Az.: Reh 2370/95, stattgegeben und sie für ihre Unterbringung im Jugendwerkhof Burg in der Zeit von Mai 1975 bis Februar 1977 rehabilitiert.
- 2
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Halle, die die Generalstaatsanwaltschaft vertritt. Wegen der Begründung der Beschwerde wird auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft (Bl. 70 ff. d. A.) und der Generalstaatsanwaltschaft (Bl. 82 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
- 3
Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
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Der Senat entscheidet in ständiger Rechtsprechung (bsp. Beschl. v. 21. März 2016 – 2 Ws(Reh) 8/16; Beschl. v. 3. Dezember 2015 – 2 Ws (Reh) 45/15), dass die Einweisung von Kindern und Jugendlichen in Spezialheime der Jugendhilfe in der Regel unverhältnismäßig ist, wenn der Eingewiesene nicht zuvor durch massive Straffälligkeit aufgefallen ist oder sich gemeingefährlich verhalten hat.
- 5
Dies zugrunde gelegt erweist sich die Einweisung der Betroffenen als unverhältnismäßig.
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Die hiergegen seitens der Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft vorgebrachten Bedenken dringen nicht durch.
- 7
Mit der grundsätzlichen Kritik an seiner Rechtsprechung hat sich der Senat im Beschluss vom 29. September 2017 (2 Ws (Reh) 17/17) auseinandergesetzt. Die dortigen Ausführungen gelten hier sinngemäß.
- 8
Ergänzend merkt der Senat an: Die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft lässt offen, warum eine Regelvermutung, die Einweisung in den Jugendwerkhof Torgau sei rechtsstaatswidrig, für diesen Werkhof gelten möge, für andere Jugendwerkhöfe aber nicht gelten könne.
- 9
Der Senat ist aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Überzeugung gelangt, dass auch außerhalb des Jugendwerkhofes Torgau die Erziehung in Spezialheimen der Jugendhilfe maßgeblich darauf ausgerichtet war, die Persönlichkeit der Betroffenen zu brechen, um aus ihnen Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen. Zu diesem Zwecke wurden schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt. Aus diesem Grund nimmt der Senat regelmäßig eine Rechtsstaatswidrigkeit bei einer Erziehung in einem Spezialheim an.
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Entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft verbleibt es auch hier bei einer Einzelfallprüfung. So sind für die Frage der Unverhältnismäßigkeit der Einweisungsentscheidung sowohl die konkreten Bedingungen im Heim in den Blick zu nehmen (Aufgabe der frühen anderslautenden Rechtsprechung des Senates, wonach nur die Einweisungsentscheidung selbst Gegenstand der Überprüfung ist; bei der Beurteilung der konkreten Bedingungen im Heim haben jedoch Exzesshandlungen einzelner Erzieher außer Betracht zu bleiben), als auch das Verhalten des Betroffenen vor der Einweisung. Die Beurteilung der Umstände des Einzelfalls kann dabei dazu führen, von der vom Senat vorgegebenen Regel abzuweichen.
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Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bedarf es keiner neuen gesetzlichen Regelung zur Begründung einer solchen Regelvermutung. Auch eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 13 Abs. 4 StrRehaG (was im Übrigen auch die vorhergehende Entscheidung zur Erziehung im Jugendwerkhof Torgau zeigt, KG Berlin, Beschl. v. 15.12.2004 – 5 Ws 169/04 REHA), kommt nicht in Betracht.
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Die Frage, ob die Bedingungen der Erziehung in den Spezialheimen maßgeblich darauf ausgerichtet waren, die Persönlichkeit der Betroffenen zu brechen, um aus ihnen Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen und zu diesem Zwecke schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt wurden, ist eine tatsächliche und keine Rechtsfrage. Soweit andere Oberlandesgerichte daher aufgrund einer anderen Beurteilung von Tatsachen keine Unverhältnismäßigkeit der Einweisung von Betroffenen in Spezialheime angenommen haben, kommt eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht in Betracht.
- 13
Soweit die Staatsanwaltschaft es bedenklich findet, dass die menschenverachtende Behandlung untergebrachter Jugendlicher in der DDR der Rehabilitierung zugänglich ist, während Menschen, die eine solche Behandlung in Heimen der Bundesrepublik Deutschland erdulden mussten, keine Rehabilitierung beantragen können, kann der Senat diese Bedenken nachvollziehen. Tatsächlich haben neue wissenschaftliche Untersuchungen zur Einweisungspraxis und den Zuständen in Kinderheimen der nunmehrigen alten Bundesländern ergeben, dass dort, wie auch in den Spezialheimen der DDR, teilweise ähnliche menschenunwürdige Zustände mit einhergehenden massiven Traumafolgestörungen der Untergebrachten geherrscht haben. Dies kann jedoch nicht dazu führen, den Betroffenen in den neuen Ländern, für die die Möglichkeit der Rehabilitierung besteht, diese trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu versagen.
III.
- 14
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 14 Abs. 1, Abs. 2 StrRehaG.
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Annotations
(1) Gegen den Beschluss kann innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung Beschwerde eingelegt werden.
(2) Der Beschluss unterliegt nicht der Beschwerde, soweit
- 1.
einem Rehabilitierungsantrag stattgegeben worden ist und kein Verfahrensbeteiligter dem Antrag widersprochen hat, - 2.
das Gericht einstimmig und auf Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, - a)
entschieden hat, dass die Rechtsfolgen der angegriffenen Entscheidung nicht in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen, oder - b)
einen Antrag nach § 1 Abs. 6 als unzulässig verworfen hat.
(3) Über die Beschwerde entscheidet das Bezirksgericht oder das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat, in Berlin das Kammergericht. Das Beschwerdegericht entscheidet durch besondere Beschwerdesenate für Rehabilitierungssachen. § 9 gilt entsprechend.
(4) Will der Beschwerdesenat bei der Entscheidung einer Rechtsfrage von einer Entscheidung eines anderen Bezirksgerichts oder eines Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofes abweichen, hat er die Sache dem Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung von § 121 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorzulegen.
(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben.
(2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragstellers ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, den Antragsteller damit zu belasten.
(3) Die Entscheidung nach Absatz 2 Satz 2 ist unanfechtbar.
(4) Für die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gilt § 473 Abs. 1 bis 4 der Strafprozessordnung entsprechend.