vorgehend
Landgericht Augsburg, 031 O 3546/17, 05.06.2018

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 05.06.2018, Az. 031 O 3546/17, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 79,62 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.05.2017 sowie weitere 440,15 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2017 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.141,79 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.08.2017 zu bezahlen, aus einem Betrag von 2.771,05 € vom 15.07.2017 bis zum 14.08.2017, aus einem Betrag von 2.400,31 € vom 15.06.2017 bis zum 14.07.2017, aus einem Betrag von 2.029.57 € vom 15.05.2017 bis zum 14.06.2017, aus einem Betrag von 1.658,83 vom 15.04.2017 bis zum 14.05.2017, aus einem Betrag von 1.288,09 € vom 15.03.2017 bis zum 14.04.2017, aus einem Betrag von 917,35 € vom 15.02.2017 bis zum 14.03.2017, aus einem Betrag von 553,10 € vom 15.01.2017 bis zum 14.02.2017, aus einem Betrag von 200,06 € vom 15.12.2016 bis zum 14.01.2017.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.289,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.05.2017 zu bezahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger die von diesem auf den Ersatz des Verdienstausfalls zu bezahlenden Steuern zu erstatten.

5. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Prozessbevollmächtigten des Klägers außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 650,34 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.10.2017 zu bezahlen.

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

III. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall vom 29.06.2016 an der Einmündung der B.straße in die B. Allee in A. geltend. Am Unfall beteiligt waren der Kläger als Motorradfahrer und der Beklagte zu 2) als Fahrer eines Pkws. Die Beklagte zu 1) ist Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Pkws.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagten als Gesamtschuldner zu 100% für den unfallbedingten Schaden haften.

Der Kläger erlitt bei dem Unfall folgende Verletzungen:

- Unterarmschaftfraktur rechts

- Querfortsatzfrakturen an den Lendenwirbelkörpern 2 - 4

- Fraktur des Nasenbeins

- Schürfwunden.

Der Kläger befand sich vom 29.09.2016 bis zum 04.10.2016 in stationärer Behandlung im Zentralklinikum A. Dort erfolgte ein offene Reposition der Frakturen. Elle und Speiche wurde mittels einer Plattenosteosynthese fixiert. In der Folgezeit heilte die Unterarmfraktur nicht wie gewünscht aus. Der Kläger musste sich deshalb Ende Mai/Anfang Juli 2017 einem weiteren stationären Eingriff in der H.-Klinik in A. unterziehen.

Der Kläger hat in der Klageschrift vom 07.07.2017 geltend gemacht, er sei wegen der Verletzung des rechten Arms fortdauernd arbeitsunfähig. Er hat die Beklagten deshalb vor dem Landgericht auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen.

1. a) Zuzahlungen für Medikamente und Kosten für Krankengymnastik in Höhe von zusammen 79,62 €.

b) Kosten für das Rasieren, das der Kläger aufgrund der Verletzung seines rechten Arms nicht vornehmen konnte, sowie Zuzahlungen für Ergotherapie, Medikamente und Hilfsmittel sowie für Nachbehandlungen des Klinikums und Kosten der Übersendung der Krankmeldungen an den Arbeitgeber in Höhe von zusammen 440,15 € (vgl. Schriftsatz vom 15.05.2018, Bl. 49/50 d. A.).

c) Insoweit hat das Landgericht die Beklagten in dem angefochtenen Urteil vom 05.06.2018 antragsgemäß verurteilt. Berufung und Anschlussberufung wenden sich nicht dagegen.

2. Verdienstausfall für die Zeit vom 14.11.2016 (nach Ablauf der Lohnfortzahlung) bis einschließlich Juli 2017 in Höhe von 3.141,79 € (nach Abzug des Krankengeldes) nebst Zinsen aus der Tätigkeit des Klägers als angestellter Maler für die Fa. V.

Insoweit hat das Landgericht der Klage stattgegeben.

3. Verdienstausfall für die Zeit vom Unfall bis einschließlich Juli 2017 in Höhe von 2.543,80 € nebst Zinsen aus der Nebentätigkeit des Klägers als Limousinenfahrer für die Fa. E.-Limousines W. L. in K.

Insoweit hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil der Kläger insoweit den ihm zustehenden Anspruch auf Lohnfortzahlung nicht geltend gemacht habe, wozu er aber verpflichtet gewesen sei.

4. Feststellung der Pflicht zur Erstattung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen auf den Verdienstausfall.

Insoweit hat das Landgericht der Klage stattgegeben.

5. Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 746,73 € nebst Zinsen.

Insoweit hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil der Kläger seine Aktivlegitimation nicht nachgewiesen habe.

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er die Klageabweisung in den Punkten 3. und 5. angreift. Zum Verdienstausfall aus der Nebentätigkeit als Limousinenfahrer wendet der Kläger ein, der Anspruch werde nicht dadurch beseitigt, dass er gegenüber seinem Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung geltend gemacht habe. Die Freistellung des Schädigers sei nicht Zweck der Lohnfortzahlung; bei deren Geltendmachung hätte er den Anspruch nach § 6 EFZG verloren.

Den Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagten hätten keine Zahlung durch eine Rechtsschutzversicherung behauptet, sondern nur bestritten, dass der Kläger bereits bezahlt habe. Der Kläger stellt seinen Klageantrag in der Berufungsinstanz auf Zahlung an seinen Rechtsanwalt um.

Der Kläger beantragt unter Abänderung des am 05.06.2018 verkündeten Urteils des Landgericht Augsburg

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 79,62 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 09.05.2017 zu bezahlen sowie weitere 440,15 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 01.01.2017.

2. Die Beklagten werden als samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 3.141,79 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 15.08.2017 zu bezahlen, aus einem Betrag von 2.771,05 € vom 15.07.2017 bis zum 14.08.2017, aus einem Betrag von 2.400,31 € vom 15.06.2017 bis zum 14.07.2017, aus einem Betrag von 2.029.57 € vom 15.05.2017 bis zum 14.06.2017, aus einem Betrag von 1.6.58,83 vom 15.04.2017 bis zum 14.05.2017, aus einem Betrag von 1.288,09 € vom 15.03.2017 bis zum 14.04.2017, aus einem Betrag von 917,35 € vom 15.02.2017 bis zum 14.03.2017, aus einem Betrag von 553,10 € vom 15.01.2017 bis zum 14.02.2017, aus einem Betrag von 200,06 € vom 15.12.2016 bis zum 14.01.2017.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.543,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 10.08.2017 zu bezahlen, aus einem Betrag von 2.289,42 € vom 05.07.2017 bis zum 14.08.2017, aus einem Betrag von 2.035,04 € vom 15.06.2017 bis zum 14.07.2017, aus einem Betrag von 1.780,66 vom 15.05.2017 bis zum 14.06.2017, aus einem Betrag von 1.528,28 € vom 15.04.2017 bis zum 14.05.2017, aus einem Betrag von 1.271,90 € vom 15.03.2017 bis zum 14.04.2017, aus einem Betrag von 1.017,52 € vom 15.02.2017 bis zum 14.03.2017, aus einem Betrag von 763,14 € vom 15.01.2017 bis zum 14.02.2017, aus einem Betrag von 508,76 € vom 15.12.2016 bis zum 14.01.2017, aus einem Betrag von 254,38 € vom 15.11.2016 bis zum 14.12.2016 zu bezahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger die von diesem auf den Ersatz des Verdienstausfalls zu bezahlenden Steuern zu erstatten.

5. Die Beklagten werden verpflichtet, gesamtschuldnerisch an den Prozessbevollmächtigten des Klägers außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 746,73 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen

1. die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

2. das Urteil Landgericht Augsburg, 031 O 3546/17 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit

a) die Beklagten samtverbindlich verurteilt worden sind, an den Kläger mehr als 79,62 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 09.05.2017 zu bezahlen sowie weitere 440,15 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 01.01.2017.

b) die Beklagten samtverbindlich verurteilt worden sind, an den Kläger mehr als 2.827,61 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5% über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 15.08.2017 zu bezahlen, aus einem Betrag von 2.771,05 € vom 15.07.2017 bis zum 14.08.2017, aus einem Betrag von 2.400,31 € vom 15.06.2017 bis zum 14.07.2017, aus einem Betrag von 2.029.57 € vom 15.05.2017 bis zum 14.06.2017, aus einem Betrag von 1.6.58,83 vom 15.04.2017 bis zum 14.05.2017, aus einem Betrag von 1.288,09 € vom 15.03.2017 bis zum 14.04.2017, aus einem Betrag von 917,35 € vom 15.02.2017 bis zum 14.03.2017, aus einem Betrag von 553,10 € vom 15.01.2017 bis zum 14.02.2017, aus einem Betrag von 200,06 € vom 15.12.2016 bis zum 14.01.2017, zu bezahlen.

Sie beanstanden, dass das Landgericht keinen Abzug für berufsbedingt ersparte Aufwendungen vorgenommen hat.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Anschlussberufung.

Der Senat hat mit den Parteien am 12.02.2019 mündlich verhandelt und den Kläger angehört. Ergänzend wird auf das angefochtene Urteil, die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie das Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2019 Bezug genommen.

II.

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden. Während die Berufung des Klägers überwiegend begründet ist, erweist sich die Anschlussberufung der Beklagten als unbegründet.

1. Weder die Berufung noch die Anschlussberufung wenden sich gegen die Verurteilung der Beklagten unter Ziffer 1 des landgerichtlichen Urteils und gegen die Zinsstaffel in Ziffer 2 des Urteils.

2. Berufung des Klägers

2.1. Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet, soweit er Verdienstausfall aufgrund seiner Nebentätigkeit als Limousinenfahrer geltend macht. Der Kläger hat insoweit einen Anspruch gemäß §§ 7 Abs. 1, 11 StVG, 823 Abs. 1, 252 BGB, bezüglich der Beklagten zu 1) i. V. m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG.

a) Die Haftung der Beklagten zu 100% für die Folgen des Verkehrsunfalls vom 29.09.2016 ist unstreitig.

b) Ebenso unstreitig ist, dass der Kläger jedenfalls bis zum Ende des streitgegenständlichen Zeitraums bis Juli 2017 aufgrund des Unfalls arbeitsunfähig war. Wie er in seiner Anhörung durch den Senat angegeben hat, ist er nach einer sechswöchigen Eingliederung erst seit Mitte November 2018 wieder bei seinem bisherigen Arbeitgeber als Maler tätig.

c) Zu dem ersatzfähigen Schaden zählt nach §§ 252 BGB, 11 StVG der Verdienstausfall. Für die Schadensfeststellung gilt nach § 252 S. 2 Alt. 1 BGB derjenige Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Zweck der Bestimmung ist es, dem Geschädigten den Beweis zu erleichtern. Ist ersichtlich, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, dann wird vermutet, dass er gemacht worden wäre. Volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 26. 07. 2005 - X ZR 134/04 - NJW 2005, 3348 m. w. N.). Der Kläger war zur Zeit des Unfalls seit vier Monaten, seit dem Juni 2016 als Limousinenfahrer tätig. Er hat den Nebenjob aufgrund der unfallbedingten Verletzungen verloren. Anhaltspunkte dafür, dass er ihn aus anderen Gründen im streitgegenständlichen Zeitraum verloren hätte, liegen nicht vor. Daher haben die Beklagten den Verdienstausfall aus dieser Tätigkeit zu ersetzen.

d) Entgegen der Ansicht des Landgerichts entfällt der Anspruch nicht deshalb, weil der Kläger gegen seinen Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung geltend gemacht hat. Die Geltendmachung von Lohnfortzahlungsansprüchen ist keine Obliegenheit, die der verletzte Arbeitnehmer dem Schädiger zur Schadensminderung schuldet. Sie hat nur eine Abwälzung des Schadens zur Folge, die dem Schädiger, weil der Anspruch kraft Gesetzes - § 6 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz - auf den Arbeitgeber übergeht. Damit kommt eine Entgeltfortzahlung im Ergebnis dem Schädiger nicht zugute (BGH, Urteil vom 28. 01. 1986 - VI ZR 151/84 -, Rn. 12, NJW 1986, 1486). Ohnehin hätte ein Anspruch auf Lohnfortzahlung nur für sechs Wochen bestanden, während dem Kläger wenigstens für zehn Monate ein Verdienstausfallschaden entstanden ist.

e) Bei der Ermittlung der Einkünfte, die der Kläger ohne die Verletzung in den Monaten Oktober 2016 bis Juli 2017 erzielt hätte, ist auf die durchschnittlichen Einkünfte aus den Monaten Juni bis September 2016 abzustellen, auch wenn diese stark schwanken. Unstreitig ergibt sich ein durchschnittlicher monatlicher Verdienst von 254,38 €.

f) Der Kläger hat sich durch den Wegfall seiner Beschäftigung berufsbedingte Aufwendungen erspart, die im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sind, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit dem erlittenen und vom Schädiger zu tragenden Erwerbsschaden stehen. In Ermangelung anderer Angaben nimmt der Senat mit dem 10. Zivilsenat (OLG München, Urteil vom 29. April 2011 - 10 U 4208/10 -, Rn. 43) eine Pauschalierung der berufsbedingten Aufwendungen in Höhe von 10% des Nettoeinkommens vor, wenn keine besonderen, vom Geschädigten vorzutragenden (und ggfs. zu beweisenden) Umstände vorliegen, aus denen sich niedrigere Aufwendungen ergeben.

Dies ist hinsichtlich des Nebenjobs als Limousinenfahrer nicht der Fall. Der Kläger hatte Fahrtkosten zur Arbeit, da er von seiner Wohnung zunächst im Zentrum von A., später in L., zum Firmensitz in K. eine Strecke von einfach jeweils ca. 13 km zurückzulegen hatte. Seine Angabe, er wäre mit dem Fahrrad gefahren, hat der Kläger in der Anhörung dahin eingeschränkt, dass er bei schönem Wetter mit dem Fahrrad gefahren wäre. Da in die Zeit der Arbeitsunfähigkeit auch das Winterhalbjahr fällt, ist davon auszugehen, dass regelmäßig auch Fahrtkosten angefallen wären.

Zudem musste der Kläger im Nebenjob selbst für seine Arbeitskleidung sorgen. Für die vorgeschriebene elegante Kleidung - der Kläger erwähnte selbst den Smoking, den er bei manchen Fahrten trug - wären Reinigungskosten entstanden, die der Kläger selbst hätte tragen müssen.

Im Hinblick auf beide Positionen ist der Ansatz von berufsbedingten Aufwendungen in Höhe von 10% des Nettoeinkommens - entspricht ca. 25,50 € im Monat - angemessen.

g) Daraus folgt ein Anspruch auf Ersatz des monatlichen Erwerbsschadens in Höhe von 254,38 € minus 10% = 228,94 €. Für zehn Monate von Oktober 2016 bis Juli 2017 ergeben sich 2.289,40 €.

h) Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagten befanden sich erst mit Ablauf der im Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.04.2017 (Anlage A4) gesetzten Frist bis zum 08.05.2017 in Verzug. Ein Anspruch auf Verzinsung ab Fälligkeit der fiktiven Ansprüche gegen den Arbeitgeber besteht nicht.

2.2. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren an den Klägervertreter, wie er ihn in der Berufungsinstanz gemäß Schriftsatz vom 22.01.2019 geltend gemacht hat, jedoch nur in Höhe von 650,34 €.

a) Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gehören zu den nach § 249 Abs. 1 BGB ersatzfähigen Rechtsverfolgungskosten.

b) Der Kläger ist als Schuldner der Gebühren gegenüber seinem Anwalt hinsichtlich der Schadensersatzforderung aktivlegitimiert. Nach der Umstellung des Antrags kommt es nicht darauf an, ob er sich vor der Zahlung der Gebührenrechnung auf einen Freistellungsanspruch verweisen lassen muss (vgl. Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, BGB § 249 Rn. 365). Jedenfalls den Freistellungsanspruch, der auch den jetzt geltend gemachten Anspruch auf Zahlung an den Klägervertreter umfasst, kann der Kläger bereits geltend machen.

c) Einen Forderungsübergang auf eine Rechtsschutzversicherung gemäß § 86 VVG haben die Beklagten noch nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen. Der Klageerwiderung vom 07.12.2017 (S. 5 = Bl. 39 d. A.) ist lediglich zu entnehmen: „Im Zweifel ist ohnehin eine Rechtsschutzversicherung eintrittspflichtig, sodass die Forderung gem. § 86 VVG übergegangen ist.“ Damit haben die Beklagten lediglich das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung als Erfahrungstatsache in den Raum gestellt. Darin liegt keine substantiierte Behauptung, dass eine Rechtsschutzversicherung besteht. Voraussetzung für den Anspruchsübergang wäre ohnehin, dass die Rechtsschutzversicherung auch eingetreten ist. Dies haben die Beklagten nicht behauptet. Der Kläger hat es vorsorglich bestritten.

d) Die Höhe des Anspruchs ergibt sich nach dem vorprozessual berechtigt geltend gemachten Schadensersatzanspruch von (mindestens) 6.468,56 €, der auch die außergerichtlich regulierten Positionen der Abschleppkosten und der Fahrbahnreinigung umfasst. Dem Kläger steht Ersatz einer 1,3 Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu, nicht aber der geltend gemachten 1,5 Gebühr. Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (Gesetzliche Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG, vgl. BGH, Urteil vom 11. 07. 2012 - VIII ZR 323/11 -, juris). Auch auf Hinweis des Senats hat der Kläger nicht ausreichend zum Umfang der Tätigkeit vorgetragen. Dass sämtliche Verdienstausfallpositionen berechnet und die Unterlagen dafür teilweise sogar selbst beschafft werden mussten, genügt dafür nicht, zumal es sich um jeweils einfache Verdienstausfallberechnungen bei einem abhängig Beschäftigten gehandelt hat.

Damit ergibt sich folgender Anspruch:

VV RVG

Streitwert

6.468,56 €

Nr. 2300

405

1,3

526,50 €

Nr. 7002

Portopauschale

20,00 €

546,50 €

Nr. 7008

MWSt.

19%

103,84 €

650,34 €

e) Der Zinsanspruch ergibt sich ab Rechtshängigkeit gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren wurden erstmals in dieser Höhe in der Anspruchsbegründung vom 07.07.2017 geltend gemacht, die der Beklagten zu 1) am 10.10.2017 zugestellt wurde. Dass damals ein Zahlungsanspruch geltend gemacht wurde, schadet nicht, weil der Zahlungsanspruch als Weniger auch den Freistellungsanspruch umfasst (vgl. Jahnke a.a.O., § 249 Rn. 365).

3. Anschlussberufung der Beklagten

3.1. Nach dem im Schriftsatz vom 09.11.2018 gestellten Antrag wenden sich die Beklagten mit der Anschlussberufung gegen das landgerichtliche Urteil mit Ausnahme der Ziffern 1 (insgesamt) und 2 (soweit die Verurteilung 2.827,61 € nebst Zinsen übersteigt). Damit ist auch der Feststellungsausspruch in ZIffer 3 des Urteils angegriffen. Der Antrag aus dem Schriftsatz 09.11.2018 wurde nach einem Hinweis des Senats auf die insoweit fehlende Begründung der Berufung in der Berufungsverhandlung gestellt.

Hinsichtlich des Feststellungsausspruchs enthält der Schriftsatz vom 09.11.2018 keine Ausführungen. Die Anschlussberufung ist daher insoweit unzulässig, §§ 524 Abs. 3 S. 2, 520 Abs. 3 ZPO.

3.2. Soweit sie sich gegen eine 2.827,61 € übersteigende Verurteilung in Ziffer 2 des Urteils wendet, ist die Anschlussberufung gemäß § 524 Abs. 1 - 3 ZPO zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Zwar sind grundsätzlich im Weg der Vorteilsausgleichung berufsbedingten Aufwendungen in Höhe von 10% des Nettoeinkommens abzuziehen, wenn keine besonderen, vom Geschädigten vorzutragende (und ggfs. zu beweisende) Umstände vorliegen, aus denen sich niedrigere Aufwendungen ergeben (vgl. oben 2.1. f). Die Anhörung des Klägers hat jedoch ergeben, dass sich der Kläger in seinem Hauptberuf als Maler durch die Arbeitsunfähigkeit keine berufsbedingten Aufwendungen erspart hat. Ihm stand ein Firmenfahrzeug zur Verfügung, das er in der Nähe seiner Wohnung parken konnte und für das der Arbeitgeber die gesamten Betriebskosten einschließlich des Benzingeldes bezahlte. Die Berufsbekleidung und Ausrüstung wurde zur Verfügung gestellt. Mitgliedsbeiträge für die Gewerkschaft oder andere Berufsverbände und Kosten für Fachliteratur sind nicht angefallen. Schließlich sind dem Kläger während seiner Berufstätigkeit auch keine Mehrkosten für Verpflegung entstanden. Er hat glaubhaft angegeben, dass er sich meistens eine Brotzeit von Zuhause in die Arbeit mitgenommen hat. Damit hat der Kläger sich in den streitgegenständlichen zehn Monaten, während derer er infolge der unfallbedingten Verletzung nicht arbeiten konnte, keine Verpflegungskosten erspart.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

(1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen,

1.
wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder
2.
wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist oder
3.
wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist.
Der Anspruch besteht im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des § 117 Abs. 1 bis 4. Der Versicherer hat den Schadensersatz in Geld zu leisten. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherungsnehmer haften als Gesamtschuldner.

(2) Der Anspruch nach Absatz 1 unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer beginnt; sie endet jedoch spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an. Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer wirken auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer und umgekehrt.

Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 134/04 Verkündet am:
26. Juli 2005
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Grundsatz, daß sich der Tatrichter seiner Aufgabe, eine Schadensermittlung
vorzunehmen, nicht vorschnell unter Hinweis auf die Unsicherheit möglicher
Prognosen entziehen darf (BGH, Urt. v. 17.2.1998 - VI ZR 342/96, NJW
1998, 1633), gilt auch im Bereich der Vertragshaftung.
BGH, Urt. v. 26.7.2005 - X ZR 134/04 - OLG München
LG München I
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die
Richter Scharen, Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter
Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 3. Februar 1999 verkündete Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe von 1.150.000,- DM (entsprechend 587.985,66 EUR) nebst Zinsen abgewiesen worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin und die während des Verfahrens insolvent gewordene M. A. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) schlossen im Jahr 1989 eine Vereinbarung über die Produktion, Nachentwicklung und den Vertrieb eines von der Klägerin entwickelten, als "Mi. " bezeichneten Analy-
segeräts, das in einer isokratischen und einer binären Version hergestellt werden sollte. In der Vereinbarung war festgelegt, daß die Schuldnerin, die zum B. gehörte, zunächst fünf Geräte einer Nullserie, und zwar drei in der isokratischen und zwei in der binären Version, herstellen sollte. Die Klägerin rief diese Geräte im Juli 1989 ab. Die Schuldnerin lieferte im Frühjahr 1990 die drei Geräte in der isokratischen Version aus, von denen die Klägerin eines bezahlte. Die Herstellung der binären Geräte bereitete der Schuldnerin Schwierigkeiten. Die Schuldnerin entschloß sich deshalb, die Zusammenarbeit zu beenden , und kündigte nach einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Klägerin den Vertrag fristgemäß zum 30. Juni 1991. Die Klägerin und die Schuldnerin einigten sich darauf, die noch nicht erledigten Bestellungen in eine solche über zwei isokratische Geräte abzuändern, die seitens der Schuldnerin auch bereitgestellt, aber von der Klägerin nicht mehr abgerufen wurden. Die Schuldnerin führte die Bemühungen wegen der binären Version nicht weiter; die Klägerin tätigte keine weiteren Bestellungen.
Die Klägerin machte gegen die Schuldnerin einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.150.000,- DM nebst Zinsen mit der Behauptung geltend, ihr sei bis zum 30. Juni 1991 ein Gewinn aus der Vermarktung der Geräte in dieser Höhe entgangen. Außerdem stritten die Klägerin und die Schuldnerin über die Vergütung für die drei ausgelieferten Geräte; insoweit ist das Verfahren nach Ablehnung der Annahme der Revision der Klägerin abgeschlossen. Das Landgericht hat dem Schadensersatzanspruch zunächst durch Teil- und Grundurteil zur Hälfte stattgegeben. Nach Aufhebung und Zurückverweisung durch das Oberlandesgericht hat es der Klage wiederum teilweise entsprochen. Im Berufungsverfahren hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen und einer Widerklage der Schuldnerin im wesentlichen stattgegeben. Der Senat hat die Revision der Klägerin nur insoweit angenommen, als die Klage in Höhe von 1.150.000,- DM nebst Zinsen abgewiesen worden ist. In diesem Umfang hat die Klägerin ihr Begehren zunächst weiterverfolgt. Wäh-
rend des Revisionsverfahrens ist über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Klägerin hat den Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter aufgenommen und beantragt nunmehr, zur Insolvenztabelle festzustellen, daß der Klägerin eine Insolvenzforderung in Höhe von 587.985,66 EUR nebst bezifferter Zinsen zusteht. Der Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Revision führt im Umfang der Annahme zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht , dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
I. Das Berufungsgericht hat Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen Pflichtverletzungen hinsichtlich der isokratischen Analysegeräte durch die Schuldnerin verneint. Die Revision rügt, daß das Berufungsgericht insoweit einen möglichen Interessewegfall bei der Klägerin auch im Hinblick auf diese Geräte nicht berücksichtigt habe. Das Berufungsgericht wird im wiedereröffneten Berufungsrechtszug die Möglichkeit haben, sich mit diesem Gesichtspunkt näher zu befassen.
II. Nicht beigetreten werden kann dem Berufungsgericht im Ergebnis in seiner Verneinung von Schadensersatzansprüchen auch hinsichtlich der binären Geräte.
1. Das Berufungsgericht hat insoweit eine schuldhafte Pflichtverletzung durch die Schuldnerin jedenfalls im Ergebnis zutreffend bejaht.

a) Insoweit ergibt sich aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen , daß die Schuldnerin dadurch in Verzug geraten ist, daß sie die für die Herstellung dieser Version erforderlichen Leistungen nicht erbracht hat. Allerdings fehlt es an einer nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. grundsätzlich notwendigen Ablehnungsandrohung. Jedoch war diese dann nicht erforderlich, wenn bezüglich des binären Geräts eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung vorlag. Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Verhalten der Schuldnerin (Stornierung der Bestellung neuer Pumpen und Abbruch der Weiterentwicklung des binären Geräts sowie Schreiben vom 13. September 1990) ist jedenfalls für das Revisionsverfahren von einer endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung auszugehen.

b) Die Klägerin kann, soweit sich nach erneuter Prüfung kein Interessewegfall hinsichtlich der isokratischen Geräte ergeben sollte, allerdings nur Schadensersatz wegen des nicht erfüllten Teils verlangen (§ 326 Abs. 1 Satz 3 BGB i.V.m. § 325 Abs. 1 Satz 2 BGB, jeweils in der vor dem 1.1.2002 geltenden Fassung - nachfolgend: a.F. -; Art. 229 Abs. 5 EGBGB).

c) Soweit das Berufungsgericht mangelnde Vertragstreue und Mitverschulden der Klägerin verneint hat, treten Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin nicht hervor.
2. Das Berufungsgericht hat gleichwohl Schadensersatzansprüche der Klägerin im Ergebnis daran scheitern lassen, daß diese einen Schaden nicht nachgewiesen habe. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Das Berufungsgericht hat sich dabei darauf gestützt, daß es die hierzu gehörte Sachverständige für unmöglich gehalten habe, hierüber eine Aussage zu treffen. Nach ihren Bekundungen habe zwar ein Gewinn, aber glei-
chermaßen auch ein Verlust entstehen können, da derartige Geräte noch niemals gebaut worden seien.

b) Das Berufungsgericht hat es für möglich gehalten, daß das binäre Gerät bis zum 30. Juni 1996 habe fertiggestellt werden können. Hiervon ist auch im Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin auszugehen. Damit kommt, nachdem die Schuldnerin hierzu auch verpflichtet war, ein Schaden, der einen Schadensersatzanspruch begründen konnte, grundsätzlich in Betracht.

c) Für die Schadensfeststellung gilt nach § 252 Satz 2 1. Alt. BGB derjenige Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Zweck der Bestimmung ist es, dem Geschädigten den Beweis zu erleichtern (vgl. BGHZ 74, 221, 224 m.w.N.; BGHZ 100, 36, 49). Ist ersichtlich, daß der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, dann wird vermutet, daß er gemacht worden wäre. Volle Gewißheit, daß der Gewinn gezogen worden wäre, ist nicht erforderlich (vgl. BGHZ 29, 393, 398; BGHZ 100, 36, 50; BGH, Urt. v. 2.5.2002 - III ZR 100/01, NJW 2002, 2556 = BGHR BGB § 252 Kapitalanlage 1). Insoweit dürfen an das Vorbringen eines selbständigen Unternehmers, ihm seien erwartete Gewinne entgangen, wegen der damit regelmäßig verbundenen Schwierigkeiten keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden (BGH, Urt. v. 9.4.1992 - IX ZR 104/91, NJW-RR 1992, 997, 998 = BGHR ZPO § 287 Abs. 1 Gewinnentgang

6).


Die Klägerin hat einen Gewinnentgang dahin substantiiert, daß sie nach einem von ihr mit der Schuldnerin erstellten Absatzplan 60 Geräte, und zwar je 30 beider Versionen, davon 17 Geräte fix, mit einem Gewinn von jeweils mindestens 26.800 DM hätte absetzen können. Damit hat sie Ausgangs- und Anknüpfungstatsachen für eine Wahrscheinlichkeitsprognose nach § 252 BGB
und eine daran anknüpfende Schadensschätzung nach § 287 ZPO dargelegt. Auf dieser Grundlage konnte - wie das Berufungsgericht dies auch versucht hat - Beweis erhoben werden. Die erstinstanzlich gehörte Sachverständige hat sich dazu dahin geäußert, daß sowohl ein höherer Gewinn als 30.000 DM in Betracht komme als auch ein Verlust.
Das Berufungsgericht durfte nach § 252 Satz 2 BGB einen Schadensersatzanspruch nur dann verneinen, wenn ein Schadenseintritt nicht mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Eine entsprechende Gewinnerwartung bestand jedenfalls hinsichtlich der isokratischen Geräte und führte insoweit jedenfalls dann zu einem Schaden, wenn sich, was noch zu klären ist, die Klägerin insoweit auf Interessewegfall berufen kann. Aber auch hinsichtlich der binären Geräte kann mit der Argumentation des Berufungsgerichts ein Schaden nicht verneint werden. Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es um die Markteinführung eines neu entwickelten Geräts geht, ist die Wahrscheinlichkeitsprognose notwendig unsicher; eine Differenzierung zwischen "gewisser" oder "überwiegender" Wahrscheinlichkeit führt hier nicht ohne weiteres weiter. Dieser Schwierigkeit muß auch im Bereich der Vertragshaftung nach den gleichen Grundsätzen Rechnung getragen werden, wie sie der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für Ansprüche aus unerlaubter Handlung entwickelt hat (BGH, Urt. v. 17.2.1998 - VI ZR 342/96, NJW 1998, 1633, 1634; vgl. BGH, Urt. v. 3.3.1998 - VI ZR 385/96, NJW 1998, 1634, 1636 = BGHR BGB § 842 Selbständige 1; v. 20.4.1999 - VI ZR 65/98, VersR 2000, 233; v. 6.2.2001 - VI ZR 339/99, NJW 2001, 1640, 1641 = BGHR BGB § 252 Satz 2 Verdienstausfall 8). Demnach darf sich der Tatrichter seiner Aufgabe, auf der Grundlage der §§ 252 BGB und 287 ZPO eine Schadensermittlung vorzunehmen , nicht vorschnell unter Hinweis auf die Unsicherheit möglicher Prognosen entziehen. Wird dem Geschädigten durch vertragswidriges Verhalten des Schädigers die Möglichkeit genommen oder beschränkt, sein neues Produkt auf den Markt zu bringen, darf der Wahrscheinlichkeitsnachweis nicht schon
deshalb als nicht geführt angesehen werden, weil sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht feststellen läßt. Vielmehr liegt es im Bereich der Vertragshaftung in einem solchen Fall nahe, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge von einem angemessenen Erfolg des Geschädigten beim Vertrieb auszugehen und auf dieser Grundlage die Prognose hinsichtlich des entgangenen Gewinns und des infolgedessen entstandenen Schadens anzustellen, wobei auch ein Risikoabschlag in Betracht kommen mag.

d) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an die zu treffende Prognoseentscheidung ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es hat sich von Rechtsirrtum beeinflußt die Bekundung der Sachverständigen zu eigen gemacht, eine Voraussage des wirtschaftlichen Erfolgs sei letztlich nicht möglich. Es hat damit versäumt, aus den tatsächlichen Grundlagen, von denen es ausgegangen ist, die nach § 252 BGB erforderlichen Schlüsse zu ziehen und die demnach auf der Grundlage des § 287 ZPO zumindest gebotene Schätzung eines Mindestschadens (vgl. u.a. Sen.Urt. v. 1.2.2000 - X ZR 222/98, NJW-RR 2000, 1340, 1341) selbst vorzunehmen.
III. Bei der erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht zunächst zu prüfen haben, ob hinsichtlich der isokratischen Geräte ein Interessewegfall bei der Klägerin eingetreten ist. Es wird weiter unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen , die sich aus den §§ 252 BGB, 287 ZPO ergeben, die Höhe des entgangenen Gewinns festzustellen haben.
Melullis Scharen Keukenschrijver
Mühlens Kirchhoff

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

(1) Steht dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, geht dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden.

(2) Der Versicherungsnehmer hat seinen Ersatzanspruch oder ein zur Sicherung dieses Anspruchs dienendes Recht unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren und bei dessen Durchsetzung durch den Versicherer soweit erforderlich mitzuwirken. Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit vorsätzlich, ist der Versicherer zur Leistung insoweit nicht verpflichtet, als er infolgedessen keinen Ersatz von dem Dritten erlangen kann. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer.

(3) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann der Übergang nach Absatz 1 nicht geltend gemacht werden, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 323/11 Verkündet am:
11. Juli 2012
Ermel
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
RVG § 14 Abs. 1; RVG-VV Nr. 2300
Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur
gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig
war, und ist deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Toleranzrechtsprechung bis
zu einer Überschreitung von 20 % der gerichtlichen Überprüfung entzogen (Fortführung
von BGH, Urteile vom 13. Januar 2011 - IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603; vom
8. Mai 2012 - VI ZR 273/11, juris).
BGH, Urteil vom 11. Juli 2012 - VIII ZR 323/11 - LG Memmingen
AG Memmingen
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. März 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Achilles und
Dr. Schneider

für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Memmingen vom 7. Oktober 2011 wird zurückgewiesen. Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Das Amtsgericht hat die Beklagten im schriftlichen Vorverfahren mit TeilVersäumnisurteil und Endurteil aufgrund einer Kündigung wegen Mietrückständen zur Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung sowie zur Zahlung von 2.660 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 808,25 € verurteilt. Hinsichtlich weiterer 98,05 € vorgerichtlicher Anwaltskosten hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass von den Klägern entgegen VV-RVG Nr. 2300 eine Begründung für einen 1,3 überschreitenden Satz der Geschäftsgebühr nicht gegeben worden sei, weshalb die verlangte 1,5fache Gebühr nicht zugesprochen werden könne.
2
Die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Kläger hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung weiterer 98,05 € vorgerichtlicher Anwaltskosten weiter.

Entscheidungsgründe:

3
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

4
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
5
VV-RVG Nr. 2300 sehe vor, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dementsprechend sei bei der vom Gericht anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung vor Erlass eines Versäumnisurteils nicht nur zu prüfen, ob die verlangte Gebühr unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG sei, sondern auch, ob eine Überschreitung der Kappungsgrenze von 1,3 gerechtfertigt sei. Tatsachenvortrag , der die Überschreitung dieser Kappungsgrenze rechtfertige, sei vorliegend nicht erfolgt. Dementsprechend habe das Amtsgericht im angegriffenen Urteil mangels schlüssigen Vortrags zu Recht keine 1,5-fache Gebühr, sondern nur eine 1,3-fache Gebühr angesetzt.
6
Zwar stehe dem Rechtsanwalt nach der sogenannten Toleranzrechtsprechung bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 % zu, so dass eine sich innerhalb dieser Grenze bewegende Gebühr nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG und deshalb grundsätzlich hinzunehmen sei. Die Kammer teile aber die Ansicht des Amtsgerichts und anderer Amtsgerichte , dass die sogenannte Toleranzrechtsprechung erst dann zum Zuge kommen könne, wenn die Kappungsgrenze nach VV-RVG Nr. 2300 zu Recht überschritten sei, weil es sich um eine umfangreiche oder schwierige Sache handele oder aber sich die Gebühren unterhalb dieser Grenze bewegten, so dass die Kappungsgrenze nicht tangiert sei. Ob eine Tätigkeit umfangreich oder schwierig im Sinne der VV-RVG Nr. 2300 sei, sei vom Gericht genauso zu überprüfen, wie es auch sonst zu überprüfen habe, ob gesetzliche Tatbestandsmerkmale vorlägen. Andernfalls könnte ein Rechtsanwalt den Regelfall stets mit der 1,5-fachen Gebühr abrechnen, ohne darlegen zu müssen, weshalb im konkreten Fall eine höhere Gebühr als 1,3 angemessen sei. Dies könne angesichts des eindeutigen Wortlauts in VV-RVG Nr. 2300 nicht richtig sein. Der eindeutige Gesetzeswortlaut sei insoweit bindend und könne auch nicht mit der Toleranzrechtsprechung umgangen werden.

II.

7
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
8
1. Gemäß § 2 Abs. 2 RVG in Verbindung mit Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses in der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG kann eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, mithin "überdurchschnittlich" war (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420 Rn. 6 mwN zu der wortgleichen Vorgängerbestimmung in Nr. 2400). Dementsprechend ist, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, bei der vom Gericht anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung vor Erlass eines Versäumnisurteils zu prüfen, ob eine Überschreitung der "Kappungsgrenze" von 1,3 wegen überdurchschnittlichen Umfangs oder überdurchschnittlicher Schwierigkeit gerechtfertigt ist. Die Kläger haben dazu nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nichts vorgetragen. Übergangenen Sachvortrag zeigt die Revision nicht auf. Daher haben die Vorinstanzen zu Recht keine 1,5-fache Gebühr, sondern nur eine 1,3-fache Gebühr für gerechtfertigt gehalten. Denn die Schwellengebühr von 1,3 ist die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05, aaO Rn. 8; Urteil vom 13. Januar 2011 - IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603 Rn. 16; BTDrucks. 15/1971, S. 207).
9
2. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der sogenannten Toleranzrechtsprechung nichts anderes.
10
Zwar steht dem Rechtsanwalt, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gemäß § 14 Abs. 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 ein Ermessensspielraum zu. Solange sich die vom Rechtsanwalt im Einzelfall bestimmte Gebühr innerhalb einer Toleranzgrenze von 20 % bewegt , ist die Gebühr nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG und daher von einem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 - IX ZR 110/10, aaO Rn. 18; Urteil vom 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05, aaO Rn. 5).
11
Das Berufungsgericht hat aber mit Recht angenommen, dass diese Toleranzrechtsprechung zu Gunsten des Rechtsanwalts, der eine Gebühr von mehr als 1,3 beansprucht, nur dann eingreift, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Nr. 2300 für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 vorliegen (ebenso OLG Celle, ZfSch 2012, 20; AG Halle, Beschluss vom 20. Juli 2011 - 93 C 57/10, juris; AG Kehl, Urteil vom 9. September 2011 - 4 C 59/11, juris; vgl. auch FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Juli 2011 - 2 KO 225/11, juris). Das ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, nach der eine Ausnutzung des Gebührenrahmens unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 RVG bis zum 2,5-fachen der Gebühr nur bei schwierigen oder umfangreichen Sachen im billigen Ermessen des Anwalts steht, während es bei der Regelgebühr von 1,3 verbleibt, wenn Umfang und Schwierigkeit der Sache nur von durchschnittlicher Natur sind (BT-Drucks. 15/1971, aaO).
12
Daher ist eine Erhöhung der Regelgebühr von 1,3 auf eine 1,5-fache Gebühr hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 entgegen der Auffassung der Revision nicht der gerichtlichen Überprüfung entzogen (ebenso OLG Celle, aaO mwN). Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne Weiteres eine 1,5-fache Gebühr verlangen. Das verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes in Nr. 2300, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war. Der IX. Zivilsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er ebenfalls dieser Auffassung sei und sich aus seinem Urteil vom 13. Januar 2011 (IX ZR 110/10, aaO Rn. 18) nichts anderes ergebe. Der VI. Zivilsenat hat mitgeteilt, dass er im Hinblick auf die Äußerung des IX. Zivilsenats, dessen Entscheidung er sich angeschlossen hatte (Urteil vom 8. Mai 2012 - VI ZR 273/11, juris), keine Bedenken gegen die in Aussicht genommene Entscheidung des VIII. Zivilsenats hat.
Ball Dr. Frellesen Dr. Hessel Dr. Achilles Dr. Schneider

Vorinstanzen:
AG Memmingen, Entscheidung vom 06.07.2011 - 12 C 745/11 -
LG Memmingen, Entscheidung vom 07.10.2011 - 12 S 1187/11 -

Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.

*

(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.

(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.

(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Sie ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Diese Frist gilt nicht, wenn die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen (§ 323) zum Gegenstand hat.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. Die Vorschriften des § 519 Abs. 2, 4 und des § 520 Abs. 3 sowie des § 521 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.