Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 14. Sept. 2016 - 2 (7) SsBs 397/16; 2 (7) SsBs 397/16 - AK 176/16

bei uns veröffentlicht am14.09.2016

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 21.3.2016 aufgehoben.

2. Das Verfahren wird eingestellt.

3. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO entsprechend).

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht Freiburg verurteilte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen §§ 75 Abs. 1 Nr. 10 (a.F.), 45 Abs. 1 Satz 1, 67 Abs. 4 LBO BW zu der Geldbuße von 5.000 EUR. Nach den Feststellungen war der Betroffene als Bauleiter für ein Bauvorhaben in Freiburg bestellt. Die Baugenehmigung war unter der Auflage einer Abnahme vor Ingebrauchnahme erteilt worden. Die Anlage war jedoch vor der am 28.2.2014 erfolgten Abnahme bereits ab dem 26.4.2013 sukzessiv bezogen worden, was der Betroffene hatte geschehen lassen und dem Bauamt nicht mitgeteilt hatte.
II.
Die hiergegen frist- und formgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einstellung des Verfahrens, weil es an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 260 Abs. 3 StPO).
1. Voraussetzung des gerichtlichen Verfahrens ist ein wirksamer Bußgeldbescheid, der den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Vorwürfen abgrenzt (BGHSt 23, 336, 339). Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn bei vernünftiger Betrachtung für den Betroffenen keine Zweifel über die Identität der Tat entstehen können, also keine Verwechslungsgefahr mit einem anderen einheitlichen Lebensvorgang besteht. Welche Angaben im Einzelnen zur zweifelsfreien Bestimmung der Tat erforderlich sind, ist dabei Sache des Einzelfalls (zum Ganzen Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 66 Rn. 39; KK-Kurz, OWiG, 4. Aufl., § 66 Rn. 48, 58 ff.; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., § 66 Rn. 25 jew. m.w.N.).
2. Vorliegend ist es nach Auffassung des Senats von entscheidender Bedeutung, dass dem Betroffenen die Beteiligung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 OWiG) an einer vom Bauherrn über einen längeren Zeitraum hinweg begangenen Ordnungswidrigkeit angelastet wird. Über die - hinreichend konkrete -Umschreibung der „Haupttat“ hinaus beschränken sich die Ausführungen zu den dem Betroffenen selbst angelasteten Handlungen auf folgende Angaben, die um die Wiedergabe des Inhalts der Vorschrift des § 45 Abs. 1 LBO BW ergänzt sind:
„Ihnen wird vorgeworfen, als Bauleiter (Bauleiterbestellung vom 26.10.2013) die vom Bauherrn unmittelbar begangene Ordnungswidrigkeit durch Ihr Verhalten kausal gefördert zu haben und somit an einer Ordnungswidrigkeit beteiligt gewesen zu sein. Eine Beteiligung liegt vor, wenn jemand an einer nicht allein von ihm begangenen Handlung bewusst und gewollt mitwirkt.“
Daraus ergibt sich zunächst eindeutig, dass dem Betroffenen nicht vorgeworfen wird, eine den Tatbestand (der „Haupttat“) unmittelbar verwirklichende Handlung vorgenommen zu haben. Auch unter Berücksichtigung des ergänzend heranzuziehenden Akteninhalts (Rebmann/Roth/Herrmann a.a.O., § 66 Rn. 25 m.w.N.) erschließt sich indes nicht, welche konkrete, als Tatbeiträge gewertete Handlungen des Betroffenen zum Anknüpfungspunkt für den Tatvorwurf gemacht werden. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass zwischen der (ersten) Ingebrauchnahme des Gebäudes und der Abnahme fast zehn Monate lagen, bleibt danach völlig unklar, welche der - zweifelsfrei - vielfältigen Handlungen des Betroffenen als Bauleiter den Gegenstand des Tatvorwurfs bilden sollen. Damit fehlt es an einer die Tatidentität sichernden hinreichend konkreten Beschreibung der Tat.
III.
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass im Übrigen auch Bedenken bestehen, ob das im Urteil festgestellte Geschehen die Verurteilung in sachlicher Hinsicht trägt. Das Amtsgericht hat nicht hinreichend den Pflichtenkreis des Betroffenen in den Blick genommen, der Grundlage des dem Betroffenen angelasteten Unterlassungsvorwurfs ist. Dabei war auch die Vorschrift des § 8 OWiG zu bedenken, wonach bei Erfolgsdelikten im Fall des (unechten) Unterlassens eine Rechtspflicht zur Abwendung des Erfolges Voraussetzung für die Ahndung ist. Es erscheint zweifelhaft, ob sich entsprechende Handlungspflichten des Bauleiters bezüglich der Ingebrauchnahme entgegen § 67 Abs. 4 LBO BW aus § 45 Abs. 1 LBO BW ergeben. Danach hat der Bauleiter zwar darüber zu wachen, dass die Bauausführung den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Die Reichweite der dem Bauleiter danach obliegenden Verpflichtungen wird allerdings durch seine Funktion bestimmt, stellvertretend für den Bauherrn die Ausführung der Arbeiten durch den oder die Unternehmer zu überwachen und dabei für die Sicherheit der Baustelle Rechnung zu tragen (Hager in Schlotterbeck/Hager/Busch/Gammerl, Landesbauordnung für Baden-Württemberg und LBOVAO, 6. Aufl., § 45 Rn. 1; Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., § 45 Rn. 6). Insoweit reicht die Verantwortlichkeit des Bauleiters nicht weiter als die der zu überwachenden Unternehmer nach § 44 Abs. 1 LBO BW (Sauter a.a.O., § 45 Rn. 16, 19), die sich nach dem Wortlaut auf die Ausführung der diesen übertragenen Arbeiten beschränkt, ohne dass ein Bezug zur Ingebrauchnahme der baulichen Anlage besteht. Auch nach der Fassung der Bußgeldnorm des § 75 Abs. 1 Nr. 10 LBO BW a.F bzw. Nr. 11 n.F., die bezüglich der vorzeitigen Ingebrauchnahme nur den Bauherrn als Adressaten benennt, liegt es eher fern, aus dem Gesetz Handlungspflichten des Bauleiters gegenüber dem Bauherrn oder der Baurechtsbehörde (§ 45 Abs. 1 Satz 2 und 3 LBO BW) hinsichtlich der Ingebrauchnahme abzuleiten. Feststellungen zu einer vertraglich oder anderweit begründeten Handlungspflicht des Betroffenen finden sich im angefochtenen Urteil nicht.

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Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 46 Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren


(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsge

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 14 Beteiligung


(1) Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig. Dies gilt auch dann, wenn besondere persönliche Merkmale (§ 9 Abs. 1), welche die Möglichkeit der Ahndung begründen, nur bei einem Beteiligten vorlieg

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 8 Begehen durch Unterlassen


Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand einer Bußgeldvorschrift gehört, handelt nach dieser Vorschrift nur dann ordnungswidrig, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der

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(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.

(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist

1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig.

(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.

(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.

(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.

(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.

(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.

(1) Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig. Dies gilt auch dann, wenn besondere persönliche Merkmale (§ 9 Abs. 1), welche die Möglichkeit der Ahndung begründen, nur bei einem Beteiligten vorliegen.

(2) Die Beteiligung kann nur dann geahndet werden, wenn der Tatbestand eines Gesetzes, das die Ahndung mit einer Geldbuße zuläßt, rechtswidrig verwirklicht wird oder in Fällen, in denen auch der Versuch geahndet werden kann, dies wenigstens versucht wird.

(3) Handelt einer der Beteiligten nicht vorwerfbar, so wird dadurch die Möglichkeit der Ahndung bei den anderen nicht ausgeschlossen. Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Möglichkeit der Ahndung ausschließen, so gilt dies nur für den Beteiligten, bei dem sie vorliegen.

(4) Bestimmt das Gesetz, daß eine Handlung, die sonst eine Ordnungswidrigkeit wäre, bei besonderen persönlichen Merkmalen des Täters eine Straftat ist, so gilt dies nur für den Beteiligten, bei dem sie vorliegen.

Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand einer Bußgeldvorschrift gehört, handelt nach dieser Vorschrift nur dann ordnungswidrig, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.