Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 22. Nov. 2006 - 1 AK 38/06

bei uns veröffentlicht am22.11.2006

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung entbehrlich ist.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Auslieferungsverfahrens und die dem Verfolgten im Auslieferungsverfahren entstanden notwendigen Auslagen.

3. Eine Entschädigung für erlittene Auslieferungshaft wird nicht bewilligt.

4. Der Auslieferungshaftbefehl des Senates vom 31. August 2006 wird aufgehoben.

Gründe

 
Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe am 20.10.2006 ihren Antrag vom 7.9.2006, die Auslieferung des Verfolgten nach Polen für zulässig zu erklären, zurückgenommen hat, ist eine Senatsentscheidung hierüber entbehrlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 IRG i.V.m. § 467a Abs.1 StPO.
Auch die notwendigen Auslagen des Verfolgten fallen der Staatskasse zur Last. Dies ist immer dann der Fall, wenn eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung seitens der Generalstaatsanwaltschaft beantragt und die Auslieferung des Verfolgten durch den ersuchenden Staat zu Unrecht begehrt worden ist (BGHSt 32, 221 ff., 227; Senat NStZ-RR 2005, 252; Schomburg/Lagodny, IRG, 4. Aufl. 2006, § 77 Rn. 9, 40 Rn. 35). Hierfür ist es aber nicht erforderlich, dass der ersuchende Staat - was vorliegend nicht der Fall wäre - sein Auslieferungsersuchen wegen erwiesener Unschuld des Verfolgten zurücknimmt (zw. OLG Düsseldorf MDR 1987, 1049: keine Erstattung notwendiger Auslagen des Verfolgten nach abgelehnter Bewilligung der Auslieferung bei Fortbestehen eines hinreichenden Tatverdachts), sondern es reicht aus, wenn sich ein Auslieferungshindernis aus anderen Gründen ergibt (vgl. Senat NStZ-RR 2005, 252: Verurteilung zu einer nicht vollstreckbaren Strafe; Beschluss vom 28.8.2006, 1 AK 59/05: Amnestieerlass). Bereits dann ist nämlich das Auslieferungsverfahren i.S.d. §§ 77 IRG, 467 a StPO im Ergebnis zu Unrecht betrieben worden.
Hiervon ist vorliegend auszugehen, da die polnischen Justizbehörden mit Beschluss vom 14.9.2006 den gegen den Verfolgten wegen Unterhaltspflichtverletzung nach Art. 209 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches zum Zwecke der Strafverfolgung bestehenden Haftbefehl des Amtsgericht in B. vom 27.10.2005 außer Vollzug gesetzt haben, so dass ein vollstreckbare Haftgrundlage nach § 83a Abs.1 Nr. 3 IRG nicht mehr vorliegt und die Auslieferung des Verfolgten nicht mehr für zulässig erklärt werden könnte (anders Senat NStZ 2006, 112 bei Entbehrlichkeit einer Zulässigkeitsentscheidung aufgrund Zustimmung des Verfolgten zur vereinfachten Auslieferung).
Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 29.3.2005 (NStZ -RR 2005, 252) ausgesprochen hat, ist die Übernahme der Verfahrenskosten des Verfolgten durch die Staatskasse in einem solchen Fall aus Gründen der Gewährleistung eines fairen Verfahrens (vgl. BGHSt 32 , 221 ff, 229) geboten.
Eine Entschädigung für die erlittene Auslieferungshaft wird indes nicht bewilligt, weil eine Entschädigungspflicht nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen für die vollzogene Auslieferungshaft grundsätzlich ausgeschlossen ist und ein Fall, in welchem Behörden der Bundesrepublik Deutschland die unberechtigte Verfolgung zu vertreten hätten, nicht vorliegt (BGHSt 32, 221; Senat StV 2004, 444).
Der außer Vollzug gesetzte Auslieferungshaftbefehl des Senates vom 31.8.2006 war aufzuheben, so dass die dort festgelegten Auflagen und Weisungen entfallen.

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Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 22. Nov. 2006 - 1 AK 38/06 zitiert 5 §§.

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 77 Anwendung anderer Verfahrensvorschriften


(1) Soweit dieses Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften enthält, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und seines Einführungsgesetzes, der Strafprozeßordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, der Abgabenordnung und des Gesetzes

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 83a Auslieferungsunterlagen


(1) Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn die in § 10 genannten Unterlagen oder ein Europäischer Haftbefehl übermittelt wurden, der die folgenden Angaben enthält:1.die Identität, wie sie im Anhang zum Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl näher b

Strafprozeßordnung - StPO | § 467a Auslagen der Staatskasse bei Einstellung nach Anklagerücknahme


(1) Nimmt die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage zurück und stellt sie das Verfahren ein, so hat das Gericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben war, auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten die diesem erwachsenen notwendig

Referenzen

(1) Soweit dieses Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften enthält, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und seines Einführungsgesetzes, der Strafprozeßordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, der Abgabenordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinngemäß.

(2) Bei der Leistung von Rechtshilfe für ein ausländisches Verfahren finden die Vorschriften zur Immunität, zur Indemnität und die Genehmigungsvorbehalte für Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Räumen eines Parlaments Anwendung, welche für deutsche Straf- und Bußgeldverfahren gelten.

(1) Nimmt die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage zurück und stellt sie das Verfahren ein, so hat das Gericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben war, auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten die diesem erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. § 467 Abs. 2 bis 5 gilt sinngemäß.

(2) Die einem Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, § 438 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) erwachsenen notwendigen Auslagen kann das Gericht in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Nebenbeteiligten der Staatskasse oder einem anderen Beteiligten auferlegen.

(3) Die Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ist unanfechtbar.

(1) Soweit dieses Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften enthält, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und seines Einführungsgesetzes, der Strafprozeßordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, der Abgabenordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinngemäß.

(2) Bei der Leistung von Rechtshilfe für ein ausländisches Verfahren finden die Vorschriften zur Immunität, zur Indemnität und die Genehmigungsvorbehalte für Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Räumen eines Parlaments Anwendung, welche für deutsche Straf- und Bußgeldverfahren gelten.

(1) Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn die in § 10 genannten Unterlagen oder ein Europäischer Haftbefehl übermittelt wurden, der die folgenden Angaben enthält:

1.
die Identität, wie sie im Anhang zum Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl näher beschrieben wird, und die Staatsangehörigkeit des Verfolgten,
2.
die Bezeichnung und die Anschrift der ausstellenden Justizbehörde,
3.
die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justitielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung vorliegt,
4.
die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen,
5.
die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person, und
6.
die für die betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich vorgesehene Höchststrafe oder im Fall des Vorliegens eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe.

(2) Die Ausschreibung zur Festnahme zwecks Überstellung oder Auslieferung nach der Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission (ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 56), die die unter Absatz 1 Nr. 1 bis 6 bezeichneten Angaben enthält oder der diese Angaben nachgereicht wurden, gilt als Europäischer Haftbefehl.