Oberlandesgericht Köln Beschluss, 20. Sept. 2016 - 1 RVs 203/16


Gericht
Tenor
Das Verfahren 180 Js 814/14 Staatsanwaltschaft Köln wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
1
G r ü n d e:
2Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, welche mit Vorlageverfügung vom 16.08.2016 wie folgt zu dem Rechtsmittel Stellung genommen hat:
3„I.
4Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 15.06.2016 - 581 Ds 104715 - wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen, verwarnt und sich die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 Euro vorbehalten (Bl. 91 ff. d. A.).
5Gegen dieses, seinem Verteidiger am 24.06.2016 zugestellte (Bl. 98 d. A.) Urteil hat der Angeklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 15.06.2016, bei Gericht eingegangen am 16.06.2016 Revision eingelegt (Bl. 94 d. A.) und diese mit weiterem anwaltlichen Schreiben vom 24.06.2016, bei Gericht eingegebenen am 27.06.2016, begründet (Bl. 100 ff. d. A.). Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses.
6II.
7Die gemäß § 335 StPO statthafte und auch ansonsten zulässige (Sprung-)Revision hat in der Sache insoweit Erfolg, als sie zur Einstellung des Verfahrens führt.
8Die durch die Erhebung der (allgemeinen) Sachrüge veranlasste Prüfung, ob von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse vorliegen (BGHSt 21, 242; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur SenE v. 12.12.2000 - Ss 446/00 - = VRS 100, 45 = NJW 2001, 1223), führt hinsichtlich des im Urteil des Amtsgerichts Köln vom 15.06.2016 - 581 Ds 104/15 - festgestellten Tatvorwurfs des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln am 06.11.2014 zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO, weil es bezüglich dieser Tat ausweislich der Akten an einer wirksamen Anklageschrift und einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt und der Strafverfolgung insoweit ein dauerndes Verfahrenshindernis entgegensteht (BGH, NJW 1991, 2716; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 200, Rdnr. 26 m.w.N.).
9In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln vom 06.03.2015 wird dem Angeklagten vorgeworfen:
10„...am 06.07.2014 in L Betäubungsmittel besessen zu haben, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein. ... Er verfügte am Tattag in seiner Wohnung an verschiedenen Stellen neben diversen Arzneimitteln, 65 Cannabissamen und ungewogenen Marihuana-Tabak-Gemischmengen über 4 Ecstasytabletten, 0,96g netto Amphetamin und insgesamt 2,77g netto Marihuana.“
11Ein wesentliches Ergebnis der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft nicht verfasst. Diese Anklage wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 30.03.2015 - 581 Ds 104/15 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen.
12Die verurteilte Tat vom 06.11.2014 wird nicht von der Anklageschrift erfasst.
13Die Anklageschrift benennt fälschlicherweise den 06.07.2014 als Tatzeit. Fehler bei der Bezeichnung der Tatzeit stellen die Identität der Tat und damit die sachliche Abgrenzungsfunktion der Anklage zwar nicht in Frage, wenn die Tat durch andere Umstände so genügend konkretisiert bleibt, dass ihre Individualität und Unterscheidbarkeit von anderen Taten gewahrt ist (Oberlandesgericht Karlsruhe, MDR 1982, 248, juris), dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Angesichts des Umstandes, dass der Zeuge C den Angeklagten in seiner Aussage vom 06.07.2014 beschuldigte hat, unerlaubt Betäubungsmittel zu besitzen, kommt nach dem Inhalt der Akte auch dieses Datum als Tatzeit in Betracht. In der Anklageschrift wird keine weitergehende Individualisierung, insbesondere keine Bezugnahme auf die am 06.11.2014 erfolgte Wohnungsdurchsuchung vorgenommen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte auch am 06.07.2014 im Besitz der in der Anklage aufgeführten Betäubungsmittel war.
14Dieser Mangel wurde weder mit dem Eröffnungsbeschluss noch in der Hauptverhandlung behoben. Zwar heißt es in den Urteilsgründen:
15„Soweit in der Anklage versehentlich der 06.07.2014 angegeben worden ist, handelt es sich - wie erörtert - offensichtlich um einen Schreibfehler bzw. Übertragungsfehler aus dem handschriftlichen Entwurf.“
16Diese Feststellung versetzt das Revisionsgericht jedoch nicht in die Lage, zu überprüfen, ob eine Heilung des vorliegenden funktionellen Mangels der Anklageschrift und des Eröffnungsbeschlusses stattgefunden hat. Dazu hätte es im Einzelnen der Wiedergabe, was, wann und zwischen wem „erörtert“ worden ist bedurft. Darüber hinaus ergibt sich eine Klarstellung durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft oder durch das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung auch nicht aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, in welchem der Vorgang der Heilung als wesentliche Förmlichkeit zu protokollieren gewesen wäre (BGH GA 73, 111; BGH NStZ 1984, 133). Das vorliegende Hauptverhandlungsprotokoll verhält sich zu dieser Problematik jedoch nicht.
17Mit der Einstellung des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz wird das davon betroffenen voraufgegangene Urteil gegenstandslos, ohne dass es seiner Aufhebung bedarf (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 289 [296] [Kusch]; OLG Karlsruhe VRS 105, 345 [346]; SenE v. 04.01.2013 - III-1 RBs 334/12 - = DAR 2013, 337 [338]; SenE v. 20.05.2014 - III-1 RVs 72/14 -; SenE v. 05.08.2014 - III-1RVs 126/14 -).
18Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO (vgl. SenE v. v. 14.11.2003 - Ss 435/03 -).
19Eine weitergehende Nachprüfung des Urteils auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ist entbehrlich.“
20Dem stimmt der Senat zu.


Annotations
(1) Ein Urteil, gegen das Berufung zulässig ist, kann statt mit Berufung mit Revision angefochten werden.
(2) Über die Revision entscheidet das Gericht, das zur Entscheidung berufen wäre, wenn die Revision nach durchgeführter Berufung eingelegt worden wäre.
(3) Legt gegen das Urteil ein Beteiligter Revision und ein anderer Berufung ein, so wird, solange die Berufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen ist, die rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form eingelegte Revision als Berufung behandelt. Die Revisionsanträge und deren Begründung sind gleichwohl in der vorgeschriebenen Form und Frist anzubringen und dem Gegner zuzustellen (§§ 344 bis 347). Gegen das Berufungsurteil ist Revision nach den allgemein geltenden Vorschriften zulässig.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.