Oberlandesgericht Köln Beschluss, 15. Aug. 2013 - 1 RBs 233/13
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Wipperfürth zurückverwiesen.
1
G r ü n d e
2Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, der wie folgt begründet worden ist:
3„I.
4Der Landrat des Oberbergischen Kreises hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 05.10.2012 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalt geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 620,00 Euro festgesetzt und zugleich ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten angeordnet (Bl. 32 f. d. VV).
5Gegen diesen Bescheid hat der Betroffene mit anwaltlichem Schreiben vom 15.10.2012 Einspruch eingelegt. Zugleich hat er einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widersprochen (Bl. 37 f. d. VV).
6Mit Schreiben vom11.03.2013 hat das Amtsgericht dem Betroffenen mitgeteilt, das beabsichtigt sei, über den Einspruch ohne Hauptverhandlung durch Beschluss zu entscheiden (Bl. 3 f. d. A.). Nachdem der Betroffene darauf nicht reagiert hat, hat das Amtsgericht Wipperfürth mit Beschluss vom 04.04.2013 ‑ 4 OWi 116/13 ‑ gegen den Betroffenen gemäß § 72 OWiG im schriftlichen Verfahren wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 620,00 Euro und ein Fahrverbot von drei Monaten festgesetzt (Bl. 7 f. d. A.).
7Gegen diesen, dem Verteidiger am 28.05.2013 zugestellten (Bl. 13 d. A.), Beschluss hat der Betroffene mit anwaltlichem Schreiben vom 28.05.2013, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt (Bl. 14 f. d. A.), mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
8II.
9Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 5 OWiG statthaft und begegnet auch hinsichtlich der Erfüllung ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. In der Sache erweist sie sich als begründet.
10Die ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen § 72 Abs. 1 OWiG im Beschlussverfahren entschieden, greift durch.
11Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG müssen die Verfahrensvorgänge vollständig vorgetragen werden, die den rechtzeitigen Widerspruch gegen das Beschlussverfahren belegen oder sonst das schriftliche Verfahren sperren. Es muss demnach vorgetragen werden, dass der Betroffene einer Beschlussentscheidung rechtzeitig widersprochen hat oder dass der Tatrichter aus sonstigen Gründen nicht von einem Einverständnis des Betroffenen mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren ausgehen konnte (vgl. u. a. SenE vom 07.01.2002 ‑ Ss 545/01 B ‑). Der vorliegenden Begründungsschrift ist eine diesen Anforderungen genügende Rüge zu entnehmen.
12In der Sache hat das Rechtsmittel insofern (vorläufigen) Erfolg, als es gemäß § 353 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG) führt.
13Bei dem vorliegenden Verfahrensgang durfte das Amtsgericht keine Entscheidung durch Beschluss (§ 72 OWiG) treffen. Denn der von dem Verteidiger des Betroffenen bereits mit dem Schreiben vom 15.10.2012 erklärte Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung hat dem Amtsgericht gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG den Weg in das schriftliche Verfahren versperrt. Insoweit kommt der Tatsache, dass der Widerspruch nicht gegenüber dem Amtsgericht, sondern gegenüber der Verwaltungsbehörde erklärt wurde, keine Bedeutung zu. Mit dem Eingang der Akten beim Amtsgericht gilt nämlich auch der im Vorverfahren erklärte Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung als gegenüber dem Gericht abgegeben (vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 72 Rdnr. 11 und 29 m. w. N.).
14Dass der Betroffene auf das Schreiben des Amtsgerichts vom 11.03.2013 nicht reagiert hat, ändert an dieser Verfahrenslage nichts. Denn ein wirksam erklärter Widerspruch gegen das Beschlussverfahren kann nur durch eine eindeutige Rücknahmeerklärung seine Bedeutung verlieren. Eine solche kann jedoch in einem bloßen Schweigen des Betroffenen auf den Hinweis des Gerichts nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG nicht erkannt werden (vgl. Göhler, a. a. O., § 72 Rdnr. 25 m. w. N.).“
15Der Senat stimmt diesen Ausführungen, die in Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung stehen, zu (vgl. zum Widerspruch vor Anhänigkeit der Sache bei Gericht: SenE v. 03.01.1986 - Ss 794/85 -; SenE v. 03.04.2002 - Ss 134/02 B -; SenE v. 24.10.2007 - 83 Ss-OWi 77/07 -; zum späteren Schweigen auf die Belehrung ferner: SenE v. 29.04.2003 - Ss 174/03 B -) .
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(1) Hält das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich, so kann es durch Beschluß entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Das Gericht weist sie zuvor auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hin und gibt ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Hinweises zu äußern; § 145a Abs. 1 und 3 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Das Gericht kann von einem Hinweis an den Betroffenen absehen und auch gegen seinen Widerspruch durch Beschluß entscheiden, wenn es den Betroffenen freispricht.
(2) Geht der Widerspruch erst nach Ablauf der Frist ein, so ist er unbeachtlich. In diesem Falle kann jedoch gegen den Beschluß innerhalb einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist beantragt werden; hierüber ist der Betroffene bei der Zustellung des Beschlusses zu belehren.
(3) Das Gericht entscheidet darüber, ob der Betroffene freigesprochen, gegen ihn eine Geldbuße festgesetzt, eine Nebenfolge angeordnet oder das Verfahren eingestellt wird. Das Gericht darf von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zum Nachteil des Betroffenen abweichen.
(4) Wird eine Geldbuße festgesetzt, so gibt der Beschluß die Ordnungswidrigkeit an; hat der Bußgeldtatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur Bezeichnung der Ordnungswidrigkeit verwendet werden. § 260 Abs. 5 Satz 1 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Die Begründung des Beschlusses enthält die für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit sieht. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Ferner sind die Umstände anzuführen, die für die Zumessung der Geldbuße und die Anordnung einer Nebenfolge bestimmend sind.
(5) Wird der Betroffene freigesprochen, so muß die Begründung ergeben, ob der Betroffene für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die als erwiesen angenommene Tat nicht als Ordnungswidrigkeit angesehen worden ist. Kann der Beschluß nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist.
(6) Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn die am Verfahren Beteiligten hierauf verzichten. In diesem Fall reicht der Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides; das Gericht kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen zusätzliche Ausführungen machen. Die vollständigen Gründe sind innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen, wenn gegen den Beschluß Rechtsbeschwerde eingelegt wird.
(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn
- 1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 2.
eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich um eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art handelt, deren Wert im Urteil oder im Beschluß nach § 72 auf nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 3.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als sechshundert Euro festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war, - 4.
der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist oder - 5.
durch Beschluß nach § 72 entschieden worden ist, obwohl der Beschwerdeführer diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde.
(2) Hat das Urteil oder der Beschluß nach § 72 mehrere Taten zum Gegenstand und sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder Satz 2 nur hinsichtlich einzelner Taten gegeben, so ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig.
(3) Für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend. § 342 der Strafprozeßordnung gilt auch entsprechend für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1.
(4) Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung des Beschlusses nach § 72 oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.
(5) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß. Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.
(6) Hebt das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf, so kann es abweichend von § 354 der Strafprozeßordnung in der Sache selbst entscheiden oder sie an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.
(1) Hält das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich, so kann es durch Beschluß entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Das Gericht weist sie zuvor auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hin und gibt ihnen Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Hinweises zu äußern; § 145a Abs. 1 und 3 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Das Gericht kann von einem Hinweis an den Betroffenen absehen und auch gegen seinen Widerspruch durch Beschluß entscheiden, wenn es den Betroffenen freispricht.
(2) Geht der Widerspruch erst nach Ablauf der Frist ein, so ist er unbeachtlich. In diesem Falle kann jedoch gegen den Beschluß innerhalb einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist beantragt werden; hierüber ist der Betroffene bei der Zustellung des Beschlusses zu belehren.
(3) Das Gericht entscheidet darüber, ob der Betroffene freigesprochen, gegen ihn eine Geldbuße festgesetzt, eine Nebenfolge angeordnet oder das Verfahren eingestellt wird. Das Gericht darf von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zum Nachteil des Betroffenen abweichen.
(4) Wird eine Geldbuße festgesetzt, so gibt der Beschluß die Ordnungswidrigkeit an; hat der Bußgeldtatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur Bezeichnung der Ordnungswidrigkeit verwendet werden. § 260 Abs. 5 Satz 1 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. Die Begründung des Beschlusses enthält die für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit sieht. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Ferner sind die Umstände anzuführen, die für die Zumessung der Geldbuße und die Anordnung einer Nebenfolge bestimmend sind.
(5) Wird der Betroffene freigesprochen, so muß die Begründung ergeben, ob der Betroffene für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die als erwiesen angenommene Tat nicht als Ordnungswidrigkeit angesehen worden ist. Kann der Beschluß nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist.
(6) Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn die am Verfahren Beteiligten hierauf verzichten. In diesem Fall reicht der Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides; das Gericht kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen zusätzliche Ausführungen machen. Die vollständigen Gründe sind innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen, wenn gegen den Beschluß Rechtsbeschwerde eingelegt wird.