Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 25. Sept. 2014 - 4 U 136/13
Tenor
Das Oberlandesgericht Hamm erklärt sich für unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag der Berufungsklägerin an das Oberlandesgericht Düsseldorf – Kartellsenat – (§ 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1
G r ü n d e
2Das Oberlandesgericht Hamm ist für die Entscheidung über die Berufung der Beklagten gegen das am 29.08.2013 verkündete Urteil der II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund nicht zuständig.
3Für die Entscheidung über die Berufung ist das Oberlandesgericht Düsseldorf – Kartellsenat – nach §§ 91 Satz 2, 92 Abs. 1, 93, 95 GWB iVm § 2 der nordrhein-westfälischen „Verordnung über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte und über die gerichtliche Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Energiewirtschaftsgesetz“ vom 30.08.2011 (ausschließlich) zuständig.
41. Nach §§ 91 Satz 2, 95 GWB entscheidet der Kartellsenat (ausschließlich) über Berufungen gegen Endurteile in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 87 GWB (Kartellrechtsstreitigkeiten). Nach § 87 GWB hängt die Qualifikation einer Streitigkeit als Kartellrechtsstreitigkeit davon ab, ob für die Entscheidung des Rechtsstreits kartellrechtliche Vorschriften von Bedeutung sind oder zumindest sein können (materielle Anknüpfung). § 87 Satz 1 GWB betrifft dabei Prozesse mit einer kartellrechtlichen Hauptfrage, § 87 Satz 2 GWB Prozesse mit einer kartellrechtlichen Vorfrage (Karsten Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Auflage [2007], § 87 GWB Rdnr. 10). Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich um eine Kartellrechtsstreitigkeit im Sinne des § 87 Satz 1 GWB. Der Prozess hat eine kartellrechtliche Hauptfrage, wenn das Vorbringen des Klägers das Bestehen eines kartellrechtlichen Anspruches zumindest wahrscheinlich macht (Karsten Schmidt, a.a.O., Rdnr. 9); eine vollständige Schlüssigkeitsprüfung ist – entgegen der von der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 09.09.2014 vertretenen Auffassung – nicht erforderlich (Karsten Schmidt, a.a.O.).
5Das Bestehen kartellrechtlicher Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte ist im vorliegenden Fall zumindest wahrscheinlich. In der Klageschrift hat die Klägerin ihr Begehren zumindest gleichrangig neben lauterkeitsrechtlichen Regelungen auch auf kartellrechtliche Vorschriften gestützt. Angesichts des Bekanntheitsgrades der Beklagten bzw. des Konzerns, dem sie angehört, ist es auch plausibel, dass die Beklagte eine Marktstellung innehat, die den Anwendungsbereich kartellrechtlicher Regelungen eröffnen kann. Noch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils – und nach mehrfacher Umstellung der Klageanträge – hat sich das Landgericht mit der Frage des Bestehens kartellrechtlicher Ansprüche gegen die Beklagte befasst. Dass das Landgericht hierbei zu dem Schluss gelangt ist, die Klägerin habe derartige Ansprüche nicht schlüssig vorgetragen, ist nach dem oben Gesagten für die Zuständigkeitsfrage ohne Belang. Die Beantwortung der Frage, ob die vorerwähnte Auffassung des Landgerichts zutreffend ist, muss den für die Sachentscheidung in Kartellrechtsstreitigkeiten zuständigen Gerichten vorbehalten bleiben.
6Die in der ersten Instanz abgegebene Erklärung der Klägerin, sie stütze ihre Klage nicht mehr auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen, ist ebenfalls ohne Belang. Im Zivilprozess kann der Kläger dem Gericht nicht vorgeben, unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten dieses den ihm unterbreiteten Streitgegenstand prüft. Für die Würdigung, welche materiell-rechtlichen Fragen für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sein können, kommt es damit nicht auf die Rechtsauffassung der Parteien, sondern nur auf diejenige des Gerichts an (Karsten Schmidt, a.a.O.).
7Die vorerwähnte Erklärung der Klägerin hatte auch keinen Einfluss auf den Streitgegenstand des Rechtsstreits. Lauterkeitsrechtliche Ansprüche einerseits und kartellrechtliche Ansprüche andererseits stellen keine unterschiedlichen zivilprozessualen Streitgegenstände dar. Auch im Lauterkeits- und Kartellrecht wird der zivilprozessuale Streitgegenstand nicht durch einen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern – allein – durch den Klageantrag und den zu dessen Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt (BGH, GRUR 2013, 401 [Biomineralwasser]). Klagegrund ist hier der (frühere) Betrieb eines „D“ durch die Beklagte in den Räumlichkeiten der C-Klinik in C2. Ob sich das an diesen Klagegrund anknüpfende Unterlassungsbegehren der Klägerin auf lauterkeitsrechtliche und/oder auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen stützen lässt, ist allein Frage der materiell-rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes, nicht hingegen des prozessualen Streitgegenstandes.
8Soweit die Parteien nunmehr (sinngemäß) vorbringen, eine Entscheidung des Rechtsstreits unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten sei deshalb nicht (mehr) wahrscheinlich, weil die Klägerin ihr diesbezügliches Tatsachenvorbringen – namentlich das Vorbringen zur Marktstellung der Beklagten – nicht mehr aufrechterhalte, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin dieses – bereits in der Klageschrift enthaltene – Vorbringen jederzeit wieder aufgreifen kann. Die Prüfung der Frage, ob das entsprechende erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin im Übrigen tatsächlich, wie das Landgericht meinte, unsubstantiiert bzw. unschlüssig war, obliegt – wie bereits ausgeführt – ausschließlich den zuständigen Kartellgerichten.
92. Selbst wenn sich die Zuständigkeit des Kartellsenats im vorliegenden Falle nicht unter dem Gesichtspunkt einer materiellen Anknüpfung ergeben sollte, folgt dessen Zuständigkeit in der vorliegenden Sache jedenfalls aus dem Umstand, dass das Landgericht das angefochtene Endurteil ausweislich des Urteilsrubrums ausdrücklich als „Kartellgericht“ gefällt hat (formelle Anknüpfung). Der Senat schließt sich insoweit nunmehr der überzeugend begründeten Auffassung von Karsten Schmidt, a.a.O., § 91 GWB Rdnrn. 10, 14, an, wonach auch nach der Neufassung der Zuständigkeitsvorschriften des GWB im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit daran festzuhalten ist, dass der Kartellsenat (auch) für Berufungen gegen landgerichtliche Endurteile zuständig ist, die vom Landgericht – wie im vorliegenden Falle – in seiner Eigenschaft als ausschließlich zuständiges Kartellgericht gefällt worden sind (ebenso OLG Düsseldorf [1. Kartellsenat], Urteil vom 24.11.2010 – VI-U (Kart) 16/10 –
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(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.
(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.
(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.
Bei den Oberlandesgerichten wird ein Kartellsenat gebildet. Er entscheidet über die ihm gemäß § 57 Absatz 2 Satz 2, § 73 Absatz 4, §§ 83, 85 und 86 zugewiesenen Rechtssachen sowie über die Berufung gegen Endurteile und die Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 87.
(1) Vom Verbot des § 1 freigestellt sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen
- 1.
Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder - 2.
Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.
(2) Bei der Anwendung von Absatz 1 gelten die Verordnungen des Rates oder der Europäischen Kommission über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (Gruppenfreistellungsverordnungen) entsprechend. Dies gilt auch, soweit die dort genannten Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu beeinträchtigen.
Bei den Oberlandesgerichten wird ein Kartellsenat gebildet. Er entscheidet über die ihm gemäß § 57 Absatz 2 Satz 2, § 73 Absatz 4, §§ 83, 85 und 86 zugewiesenen Rechtssachen sowie über die Berufung gegen Endurteile und die Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 87.
Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die die Anwendung von Vorschriften des Teils 1, des Artikels 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder des Artikels 53 oder 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum betreffen, sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands die Landgerichte ausschließlich zuständig. Satz 1 gilt auch, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung, die nach diesem Gesetz zu treffen ist, oder von der Anwendbarkeit des Artikels 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder des Artikels 53 oder 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum abhängt.
Bei den Oberlandesgerichten wird ein Kartellsenat gebildet. Er entscheidet über die ihm gemäß § 57 Absatz 2 Satz 2, § 73 Absatz 4, §§ 83, 85 und 86 zugewiesenen Rechtssachen sowie über die Berufung gegen Endurteile und die Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 87.