Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 13. Jan. 2016 - 2 RBs 181/15
Tenor
1.)
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2.)
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Schwelm zurückverwiesen.
1
Gründe:
2I.
3Das Amtsgericht Schwelm hat den Betroffenen mit Urteil vom 03.07.2015 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h – außerorts, nach Abzug der Toleranzen - zu einer Geldbuße von 120,00 Euro verurteilt.
4Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete und dem Verteidiger auf Anordnung des Vorsitzenden vom 05.08.2015 am 21.08.2015 zugestellte hat der Betroffene mit dem am 09.07.2015 bei dem Amtsgericht Schwelm eingegangenen (Telefax-)Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und den Antrag mit dem am 21.09.2015 bei dem Amtsgericht in Schwelm eingegangenen (Telefax-)Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag mit der näher ausgeführten Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.
5Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 27.11.2015 beantragt wie erkannt.
6II.
7Der rechtzeitig angebrachte sowie form– und fristgerecht begründete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache – zumindest vorläufig - Erfolg.
8Die Rechtsbeschwerde war wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen und das angefochtene Urteil aufzuheben.
9Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 27.11.2015 u.a. Folgendes ausgeführt:
10„Da das Amtsgericht Schwelm den Betroffenen zu einer Geldbuße von mehr als 100,00 Euro, aber nicht mehr als 250,00 Euro verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 OWiG).
11Die Rechtsbeschwerde ist vorliegend wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen.
12Das Rügevorbringen muss dabei den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02.08.2007 - 2 Ss OWi 464/07 - zitiert nach juris; Göhler, OWiG, 16. Aufl. § 80, Rn. 16d), was vorliegend der Fall ist.
13Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen eines Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Überlegungen einzubeziehen (zu vgl. KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 80, Rn. 41). Die wesentlichen der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen dabei in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen eines Betroffenen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (zu vgl. OLG Köln, Beschluss vom 17.07.1998 - Ss 351/98 - zitiert nach juris; OLG Köln, Urteil vom 12.04.2002 - Ss 141/02 - zitiert nach juris).
14Das Amtsgericht hat den von dem Betroffenen im Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisantrag auf Vernehmung und ggf. sachverständige Begutachtung des ebenfalls als Fahrer in Betracht kommenden Bruders (Bl. 79 R, 201 d.A.) pauschal zusammen mit weiteren Beweisanträgen gem. § 77 Abs. 2 S. 1 OWiG zurückgewiesen (Bl. 89, 172 d.A.) und sich dabei auf die gem. § 77 Abs. 3 OWiG zulässige Kurzbegründung beschränkt. In der Urteilsbegründung geht das Amtsgericht auf den gestellten Beweisantrag und die Gründe für dessen Ablehnung mit keinem Wort ein (Bl. 182 d.A.). Vielmehr ist in den Urteilsgründen ausgeführt, dass Umstände, die gegen die Fahreridentität des Betroffenen sprechen würden, dem Gericht nicht bekannt geworden seien (Bl. 182 d.A.). Zur Identifizierung des Betroffenen stützt sich das Amtsgericht dabei im Wesentlichen auf ein anthropologisches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. H, erwähnt aber nicht, dass das Gutachten unter dem Vorbehalt erstattet worden ist, dass kein naher Blutsverwandter als alternativer Fahrer in Frage kommt (Bl. 82 d.A.), obwohl dem Gutachter Lichtbilder des Bruders des Betroffenen bei der Gutachtenerstattung vorgelegen haben. Der Gutachter sah sich damit offenbar nicht in der Lage, den Bruder des Betroffenen ohne dessen persönliche Inaugenscheinnahme als möglichen Fahrer auszuschließen. Bei dieser Sachlage hätte es sich für das Amtsgericht Schwelm aufdrängen müssen, den Bruder des Betroffenen als Zeugen zu laden. Die pauschale Ablehnung des Beweisantrages und die Tatsache, dass der entsprechende Vortrag des Betroffenen in den Urteilsgründen keinen Niederschlag gefunden hat, lassen den Schluss zu, dass dieses - nachvollziehbare - Verteidigungsvorbringen des Betroffenen von dem erstinstanzlichen Gericht entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidungsfindung zumindest nicht in Erwägung gezogen worden ist. Dies verletzt den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör.
15Die damit gem. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs ebenfalls begründet.
16Da das Urteil bereits aus den dargestellten Gründen aufzuheben ist, bedarf es einer Erörterung der weiteren von dem Betroffenen erhobenen Rügen nicht.“
17Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Das angefochtene Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und an das Amtsgericht Schwelm zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, zurückzuverweisen. Für die von dem Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Schwelm bestand kein Anlass.
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(1) Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es geboten ist,
- 1.
die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, soweit Absatz 2 nichts anderes bestimmt, oder - 2.
das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
(2) Die Rechtsbeschwerde wird wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von anderen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts zugelassen, wenn
- 1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt oder eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art angeordnet worden ist, deren Wert im Urteil auf nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt worden ist, oder - 2.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder im Strafbefehl eine Geldbuße von nicht mehr als einhundertfünfzig Euro festgesetzt oder eine solche Geldbuße von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.
(3) Für den Zulassungsantrag gelten die Vorschriften über die Einlegung der Rechtsbeschwerde entsprechend. Der Antrag gilt als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde. Die Vorschriften über die Anbringung der Beschwerdeanträge und deren Begründung (§§ 344, 345 der Strafprozeßordnung) sind zu beachten. Bei der Begründung der Beschwerdeanträge soll der Antragsteller zugleich angeben, aus welchen Gründen die in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 35a der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
(4) Das Beschwerdegericht entscheidet über den Antrag durch Beschluß. Die §§ 346 bis 348 der Strafprozeßordnung gelten entsprechend. Der Beschluß, durch den der Antrag verworfen wird, bedarf keiner Begründung. Wird der Antrag verworfen, so gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen.
(5) Stellt sich vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag heraus, daß ein Verfahrenshindernis besteht, so stellt das Beschwerdegericht das Verfahren nur dann ein, wenn das Verfahrenshindernis nach Erlaß des Urteils eingetreten ist.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn
- 1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 2.
eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich um eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art handelt, deren Wert im Urteil oder im Beschluß nach § 72 auf nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 3.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als sechshundert Euro festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war, - 4.
der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist oder - 5.
durch Beschluß nach § 72 entschieden worden ist, obwohl der Beschwerdeführer diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde.
(2) Hat das Urteil oder der Beschluß nach § 72 mehrere Taten zum Gegenstand und sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder Satz 2 nur hinsichtlich einzelner Taten gegeben, so ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig.
(3) Für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend. § 342 der Strafprozeßordnung gilt auch entsprechend für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1.
(4) Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung des Beschlusses nach § 72 oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.
(5) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß. Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.
(6) Hebt das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf, so kann es abweichend von § 354 der Strafprozeßordnung in der Sache selbst entscheiden oder sie an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.
(1) Das Gericht bestimmt, unbeschadet der Pflicht, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen, den Umfang der Beweisaufnahme. Dabei berücksichtigt es auch die Bedeutung der Sache.
(2) Hält das Gericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt, so kann es außer in den Fällen des § 244 Abs. 3 der Strafprozeßordnung einen Beweisantrag auch dann ablehnen, wenn
- 1.
nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist oder - 2.
nach seiner freien Würdigung das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache ohne verständigen Grund so spät vorgebracht wird, daß die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde.
(3) Die Begründung für die Ablehnung eines Beweisantrages nach Absatz 2 Nr. 1 kann in dem Gerichtsbeschluß (§ 244 Abs. 6 der Strafprozeßordnung) in der Regel darauf beschränkt werden, daß die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.
(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn
- 1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 2.
eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich um eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art handelt, deren Wert im Urteil oder im Beschluß nach § 72 auf nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist, - 3.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als sechshundert Euro festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war, - 4.
der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist oder - 5.
durch Beschluß nach § 72 entschieden worden ist, obwohl der Beschwerdeführer diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde.
(2) Hat das Urteil oder der Beschluß nach § 72 mehrere Taten zum Gegenstand und sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder Satz 2 nur hinsichtlich einzelner Taten gegeben, so ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig.
(3) Für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend. § 342 der Strafprozeßordnung gilt auch entsprechend für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1.
(4) Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung des Beschlusses nach § 72 oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.
(5) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß. Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.
(6) Hebt das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf, so kann es abweichend von § 354 der Strafprozeßordnung in der Sache selbst entscheiden oder sie an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.