Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 23. Jan. 2015 - III-2 RVs 11/15
Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
1
G r ü n d e :
3I.
4Das Amtsgericht Moers hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht als unbegründet verworfen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
5II.
6Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge (vorläufig) Erfolg.
7Der Angeklagte beanstandet zu Recht, dass das ärztliche Attest vom 20. November 2013 in der Hauptverhandlung verlesen worden ist.
8Dem Sitzungsprotokoll lässt sich nicht entnehmen, auf welcher rechtlichen Grundlage das ärztliche Attest verlesen wurde. Da kein Beschluss der Strafkammer nach § 251 Abs. 4 StPO ergangen ist, scheidet § 251 Abs. 1 StPO als Rechtsgrundlage aus. Es kann entgegen dem Protokollvermerk („Das Attest Bl. 18 d.A. wird verlesen.“) auch nicht davon ausgegangen werden, dass das ärztliche Attest dem Zeugen W lediglich vorgehalten worden ist. Denn in den Urteilsgründen werden die zu der Verletzung getroffenen Feststellungen sowohl auf die Aussage des Zeugen W als auch auf die „Verlesung des Attestes“ gestützt. Daher kommt für die Verlesung allein § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO als Rechtsgrundlage in Betracht.
9Dass der Angeklagte die Anordnung des Vorsitzenden in der Berufungshauptverhandlung nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat, steht der Zulässigkeit der Verfahrensrüge nicht entgegen (vgl. BGH NStZ 2012, 585). Denn bei einer auf § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützten Verlesung handelt es sich um die Anwendung zwingenden Rechts.
10Das ärztliche Attest vom 20. November 2013 durfte nicht gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden. Denn es lässt mangels Unterzeichnung nicht erkennen, welcher Arzt die Kopfprellung des Zeugen W festgestellt und die Verantwortung für den Befund übernommen hat. Am Ende des Attestes finden sich maschinenschriftlich die Namen Dr. C (Chefarzt) und F (Assistenzarzt), jedoch keine Unterschrift(en). Es bleibt unklar, auf wessen Erkenntnisse die in dem Attest niedergelegten Befundtatsachen zurückgehen. Dies kann vorliegend auch nicht anhand sonstiger Unterlagen (z.B. Liquidation) festgestellt werden (vgl. hierzu: BGH StraFO 2007, 331).
11Somit hat das Landgericht seiner Entscheidung unter Verstoß gegen § 250 StPO Erkenntnisse zugrunde gelegt, die nicht durch Verlesung in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden dürfen.
12Das Urteil beruht auf diesem Verstoß. Denn das Landgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, dass die Feststellungen zu den Verletzungsfolgen „zumeinen auf den auch insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen sowie auf der Verlesung des Attestes Blatt 18 der Akten“ beruhen. Da beide Beweismittel kumulativ genannt werden, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne Berücksichtigung des Attestes zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre.
13Im Übrigen bemerkt der Senat, dass nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO nur die Teile eines Attestes verlesbar sind, welche die von dem Arzt erhobenen Befunde selbst betreffen, nicht aber die Angaben des Patienten über die Herkunft und Auswirkungen der erlittenen Verletzungen (vgl. BGH StV 1984, 142; StV 2011, 715).
14III.
15Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei der Beurteilung der Notwehrfrage zu klären sein wird, ob der Angeklagte bereits in der ersten Phase der Auseinandersetzung eine Straftat begangen hat und zu welchem Zweck der Zeuge W den Motorroller des Angeklagten festgehalten hat.
16Das Richten der Anscheinswaffe auf den Hund des Zeugen W erfüllt für sich genommen keinen Straftatbestand. Das Führen einer Anscheinswaffe stellt lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar (§§ 42a Abs. 1 Nr. 1, 53 Abs. 1 Nr. 21a WaffG), die nicht zu Festhaltemaßnahmen nach § 127 Abs. 1 StPO berechtigt.
17Sollte zugunsten des Angeklagten eine Notwehrlage bestanden haben, wird in den Blick zu nehmen sein, dass das Notwehrrecht eingeschränkt ist, wenn die Notwehrlage durch ein rechtswidriges, jedenfalls aber sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten des Betroffenen verursacht worden ist (vgl. BGH NStZ 2006, 332; NStZ-RR 2011, 74).
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(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,
- 1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind; - 2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen; - 3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann; - 4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.
(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn
- 1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen; - 2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann; - 3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.
(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.
(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.
(1) Verlesen werden können
- 1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen - a)
öffentlicher Behörden, - b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie - c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
- 2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen, - 3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben, - 4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung, - 5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und - 6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.
(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.
(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.
(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.
(1) Verlesen werden können
- 1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen - a)
öffentlicher Behörden, - b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie - c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
- 2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen, - 3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben, - 4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung, - 5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und - 6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.
(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.
Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.
(1) Verlesen werden können
- 1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen - a)
öffentlicher Behörden, - b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie - c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
- 2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen, - 3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben, - 4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung, - 5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und - 6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.
(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.
(1) Es ist verboten
- 1.
Anscheinswaffen, - 2.
Hieb- und Stoßwaffen nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.1 oder - 3.
Messer mit einhändig feststellbarer Klinge (Einhandmesser) oder feststehende Messer mit einer Klingenlänge über 12 cm
(2) Absatz 1 gilt nicht
- 1.
für die Verwendung bei Foto-, Film- oder Fernsehaufnahmen oder Theateraufführungen, - 2.
für den Transport in einem verschlossenen Behältnis, - 3.
für das Führen der Gegenstände nach Absatz 1 Nr. 2 und 3, sofern ein berechtigtes Interesse vorliegt.
(3) Ein berechtigtes Interesse nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 liegt insbesondere vor, wenn das Führen der Gegenstände im Zusammenhang mit der Berufsausübung erfolgt, der Brauchtumspflege, dem Sport oder einem allgemein anerkannten Zweck dient.
(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.
(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.
(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.
(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend.