Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 26. Mai 2015 - I-2 W 9/15
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Gericht
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Zwangsgeldbeschluss der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 12. Februar 2015 aufgehoben; der Zwangsmittelantrag der Gläubigerin wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Zwangsvollstreckungsverfahrens werden der Gläubigerin auferlegt.
III. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.500 € festgesetzt.
1
Gründe:
2Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist zulässig und seit der mit Schriftsatz vom 8. April 2015 erfolgten Vorlage des Rückrufschreibens vom 27. Februar 2015 (Anlage AG 4) auch begründet.
31.
4Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gegeben sind, nachdem der Gläubigerin eine vollstreckbare Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils erteilt, das Urteil der Schuldnerin zugestellt worden ist und die Gläubigerin darüber hinaus den Nachweis der Sicherheitsleistung nach § 752 Abs. 2 ZPO erbracht hat. Dass die Vollstreckungsbürgschaft durch die Zustellung des Originals von Anwalt zu Anwalt wirksam zustande gekommen ist und die Unterzeichner der Bürgschaftsurkunde (F. S. und J. M.) im Erklärungszeitpunkt berechtigt waren, das Dokument im Namen der von ihnen vertretenen Landesbank B.-W. zu unterzeichnen, hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung (Umdruck Seite 4/5, Bl. 25/26 d.A.) und in der Nichtabhilfeentscheidung vom 11. März 2015 (Umdruck Seite 1/2, Bl. 67/68 d.A.) zutreffend dargelegt. Auf diese Ausführungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug; die Schuldnerin hat ihre Bedenken gegen die Wirksamkeit des Bürgschaftsvertrages nach der Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts zu Recht nicht wieder aufgegriffen.
52.
6Mit Erfolg macht die Schuldnerin jedoch geltend, sie habe ihre Verpflichtung zum Rückruf der schutzrechtsverletzenden Nadelschutzvorrichtungen gemäß Absatz IV der Entscheidungsformel des landgerichtlichen Urteils erfüllt. Der Erfüllungseinwand ist auch im Vollstreckungsverfahren zu beachten (BGH NJW 2005, 367, 369).
7a)
8Rückruf aus den Vertriebswegen bedeutet die ernsthafte Aufforderung an den gewerblichen Besitzer des patentverletzenden Erzeugnisses, entweder dieses zur Verfügung zu halten und nicht weiter zu vertreiben oder, sofern der Störungszustand dadurch nicht hinreichend beseitigt würde, das Erzeugnis freiwillig zurückzugeben. Das setzt voraus, dass der Rückruf dem Verletzer möglich ist, er also den gegenwärtigen Verbleib des Erzeugnisses kennt oder zumindest mit ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen wie Geschäftsunterlagen und Rückfragen beim Abnehmer, der seinerseits weiter geliefert hat, feststellen kann. Unbekannte Besitzer zu ermitteln ist der Verletzer nicht verpflichtet. Der Rückruf darf ferner nicht als bloße nicht weiter begründete Bitte formuliert werden, sondern er muss den Grund der Rückrufaktion erläutern und die rechtlichen Folgen deutlich machen, die ein etwaiger Weitervertrieb der zurückgerufenen Ware nach sich zieht. Erläuternde Bemerkungen etwa des Inhalts, die gegen das Verletzungsurteil eingelegte Berufung werde sicher Erfolg haben oder das Patent werde sicher vernichtet werden, nehmen der Rückrufaufforderung ihre Ernsthaftigkeit. Außerdem müssen eine Erstattung des Kaufpreises oder ein sonstiges Äquivalent für die zurückgerufene Ware, etwa eine patentfreie Ersatzlieferung, und eine Übernahme der Transport- bzw. Verwendungskosten einschließlich etwaiger mit dem Rücktransport verbundener Lager- und Zollkosten angeboten werden (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl., Rdnrn. 1439 bis 1443; Schulte/Voß/Kühnen, PatentG, 9. Aufl., § 140 a Rdnr. 31; Haedicke/Timmann/Kamlah, Handbuch des Patentrechts, 2012, § 10 Rdnrn. 247 - 250).
9b)
10Dass die Schuldnerin gegenüber ihren Abnehmern eine diesen Anforderungen entsprechende Erklärung abgegeben hätte, ließ sich, als das Landgericht über die Verhängung des Zwangsgeldes und über die Abhilfe bezüglich der sofortigen Beschwerde der Schuldnerin entschieden hat, nicht feststellen. Als das Landgericht am 12. Februar 2015 das Zwangsgeld gegen die Schuldnerin festsetzte, hatte die Schuldnerin mit dem Rückruf nicht einmal begonnen, sondern in ihrer Erwiderungsschrift vom 9. Februar 2015 (dort S. 4, Bl. 17 d.A.) lediglich angekündigt, sie gehe davon aus, dass die Erfüllung des Rückrufanspruchs voraussichtlich bis Ende Februar 2015 erfolgt sein werde.
11Im Zeitpunkt der Entscheidung über die Abhilfe (11. März 2005) hatte die Schuldnerin lediglich die Bestätigungsschreiben vom 23. Februar 2015 (Anl. AG 1) und vom 27. Februar 2015 (Anl. AG 2) vorlegt. Beides genügte nicht, um den behaupteten Erfüllungseinwand auf das Bestreiten der Gläubigerin hin zu substantiieren. Das erstgenannte Schreiben enthält nur die Bestätigung der Schuldnerin, der Rückruf werde bis zum 27. Februar 2015 vollständig durchgeführt, und damit das Eingeständnis, dass am 23. Februar 2015 - dem Datum des Schreibens - der Rückruf jedenfalls noch nicht vollständig erfolgt war, und das letztgenannte Schreiben enthält lediglich die Bestätigung, dass der Rückruf nunmehr vollständig durchgeführt worden sei. Diese Unterlagen ermöglichten dem Gericht nicht die Nachprüfung, ob die Rückruferklärung ernsthaft war oder nicht. Eine solche Nachprüfung setzt voraus, dass der genaue Wortlaut der Erklärung unterbreitet wird.
12Selbst das nach Ergehen der Nichtabhilfeentscheidung von der Schuldnerin mit Schriftsatz vom 16. März 2015 vorgelegte Bestätigungsschreiben und die auszugsweise vorgelegte Rückruferklärung ließen eine Überprüfung der Ernsthaftigkeit nicht zu. Neben der Adresse des Empfängers sind auch Textpassagen aus der Rückruferklärung selbst geschwärzt. Zu Recht hat die Gläubigerin insoweit darauf hingewiesen, dass die geschwärzten Passagen möglicherweise Ausführungen enthalten, die der Erklärung ihre Ernsthaftigkeit nehmen, indem sie beispielsweise prognostizieren, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts oder ein Angriff auf den Rechtsbestand des verletzten Schutzrechtes hätten mit Sicherheit Erfolg.
13c)
14Dies änderte sich erst, nachdem die Schuldnerin als Anlage AG 4 zu ihrem Schriftsatz vom 8. April 2015 das an ihre Kunden versandte Rückrufschreiben vom 27. Februar 2015 im vollständigen Wortlaut vorgelegt hatte. Nunmehr lässt sich feststellen, dass die Schuldnerin ihrer Rückrufverpflichtung vollständig nachgekommen ist.
15aa)
16Es kann nun nicht mehr ernsthaft bezweifelt werden, dass die Erklärung ernst gemeint und auch mehr als eine bloße nicht weiter begründete Bitte war. In dem Schreiben gemäß Anlage AG 4 hat die Schuldnerin darauf hingewiesen, das Landgericht Düsseldorf habe in einem Urteil vom 16. Dezember 2014 das Produkt XXX als eine Verletzung des europäischen Patentes 2 319 556 bewertet, weshalb sie - die Schuldnerin - verpflichtet sei, das Produkt in den angegebenen Größen 14 G bis 22 G zurückzurufen. Die anschließende Bitte an den Empfänger, das Produkt zurückzugeben, soweit es sich noch in seinem Besitz befinde, und die Zusage der Erstattung des bereits gezahlten Kaufpreises und der Kosten der Rückgabe bringt hinreichend zum Ausdruck, dass die Schuldnerin ernsthaft gewillt war und ist, der Rückrufverpflichtung nachzukommen.
17bb)
18Das Schreiben macht dem Empfänger auch hinreichend deutlich, welche rechtlichen Folgen ein etwaiger Weitervertrieb der zurückgerufenen Ware nach sich zieht. Um den Empfänger des Rückrufschreibens diese Folgen vor Augen zu führen, müssen sie nicht in jedem Fall ausdrücklich dargelegt werden. Das ist nur dann erforderlich, wenn der Verletzer damit rechnen muss, dass der Empfänger der Rückruferklärung sich nicht darüber im Klaren ist, dass er sich mit dem Weitervertrieb oder etwa dem Gebrauch der zurückgerufenen Erzeugnisse ebenfalls dem Vorwurf einer Patentverletzung und der damit verbundenen Gefahr einer gerichtlichen Inanspruchnahme aussetzt. Ein ausdrücklicher Hinweis ist dagegen verzichtbar, wenn davon ausgegangen werden kann, dass dem Abnehmer bewusst ist, dass auch er mit dem Vertrieb oder dem Gebrauch als patentverletzend beurteilter Ware das jeweilige Schutzrecht verletzt. Eine solche Fallgestaltung ist auch hier gegeben.
19Die Verletzungsgegenstände sind medizin-technische Erzeugnisse. Auf diesem Gebiet kann davon ausgegangen werden, dass nicht nur die Hersteller, sondern auch die Abnehmer der angegriffenen Erzeugnisse – unstreitig Kliniken sowie Groß- und Fachhändler für Medizinprodukte – durchgängig gewerblich tätige Unternehmen sind, die ständig mit patentgeschützten Gegenständen umgehen und deren Entscheidungsträger infolgedessen in patentrechtlichen Fragen jedenfalls so viel Sachkunde besitzen, dass ihnen bekannt ist, dass auch die Weiterveräußerung oder das Gebrauchen schutzrechtsverletzender Ware in die Ausschließlichkeitsrechte des Schutzrechtsinhabers eingreift. Gründe, die eine entsprechende Sachkunde jedenfalls der Entscheidungsträger in Frage stellen können, hat die Gläubigerin auch in ihrer Stellungnahme vom 29. April 2015 auf den Hinweis des Senats vom 23. April 2015 nicht aufgezeigt. Dass der Weitervertrieb oder das Gebrauchen patentverletzender Ware das betreffende Schutzrecht ebenfalls verletzt, ist entgegen ihrer Ansicht keine Feinheit der gesetzlichen Regelung, sondern gehört zu den grundlegenden Prinzipien des Patentrechts. Gegenüber Abnehmern, bei denen entsprechende Kenntnisse vorausgesetzt werden können, genügt ein klarer Hinweis im Rückrufschreiben, dass der Grund für den Rückruf die gerichtliche Beurteilung des betreffenden Erzeugnisses als patentverletzend ist. Einen solchen Hinweis hat die Schuldnerin in ihrem Rückrufschreiben eindeutig gegeben. Ihm konnten und mussten die fachkundigen Abnehmer klar entnehmen, dass auch sie eine gerichtliche Inanspruchnahme wegen Patentverletzung zu gewärtigen haben, wenn sie mit der zurückgerufenen Ware statt der Rückgabe eine dem Schutzrechtsinhaber vorbehaltene Handlung vornehmen.
20Dass das Schreiben im weiteren Verlauf ausdrücklich betont, der Rückruf beruhe nicht auf sicherheitsrelevanten Umständen, nimmt ihm nicht die Ernsthaftigkeit, sondern trägt dem legitimen Interesse der Schuldnerin Rechnung, klarzustellen, dass das angegriffene Erzeugnis im Hinblick auf Sicherheit und Funktionalität einwandfrei ist.
21d)
22Der Hinweis der Gläubigerin, sie habe noch am 8. April 2015 ein angegriffenes Erzeugnis über die K.-A. in Düsseldorf bezogen, widerlegt nicht, dass die Schuldnerin ihre Rückrufverpflichtung vollständig erfüllt hat. Zum einen hat die Schuldnerin darauf hingewiesen, dass die K.-A. nicht zu ihren Abnehmern gehört, zum anderen ist die Rückgabe des zurückgerufenen Produktes durch den Abnehmer freiwillig, und im Übrigen kann auch bei vollständiger Erfüllung der Rückrufpflicht nicht stets davon ausgegangen werden, dass mit dem Rückruf alle in den Verkehr gebrachten Verletzungsgegenstände wieder an den Verletzer zurückgelangen.
23e)
24Nicht beizutreten vermag der Senat ferner der Ansicht der Gläubigerin, die Schuldnerin habe zur Erfüllung ihrer Verpflichtung zum Rückruf die Namen und Anschriften aller Adressaten des Rückrufschreibens anzugeben. Hierzu ist die Schuldnerin schon deshalb nicht verpflichtet, weil der den Rückruf betreffende Teil des landgerichtlichen Urteilstenors sie nicht dazu verurteilt hat. Da die Schuldnerin zu II.2. des Entscheidungsausspruches auch dazu verurteilt worden ist, der Gläubigerin über die gewerblichen Abnehmer der angegriffenen Erzeugnisse Rechnung zu legen, zu denen die Empfänger der Rückruferklärung gehörten, kann die Gläubigerin anhand dieser Auskünfte durch entsprechende Nachfrage überprüfen, ob sie den Rückruf der Schuldnerin erhalten haben.
253.
26Als unterlegene Partei hat die Gläubigerin die Kosten des Zwangsmittelverfahrens zu tragen.
27Zur Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine Veranlassung, weil die Voraussetzungen des § 574 ZPO ersichtlich nicht vorliegen.
28Dr. K. F. Dr. B.
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Annotations
Vollstreckt der Gläubiger im Fall des § 751 Abs. 2 nur wegen eines Teilbetrages, so bemisst sich die Höhe der Sicherheitsleistung nach dem Verhältnis des Teilbetrages zum Gesamtbetrag. Darf der Schuldner in den Fällen des § 709 die Vollstreckung gemäß § 712 Abs. 1 Satz 1 abwenden, so gilt für ihn Satz 1 entsprechend.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.