Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 22. Dez. 2015 - 3 Ss OWi 1326/15

published on 22/12/2015 00:00
Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 22. Dez. 2015 - 3 Ss OWi 1326/15
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Gründe

Oberlandesgericht Bamberg

3 Ss OWi 1326/15

Beschluss

vom 22. 12. 2015

Zum Sachverhalt:

Das AG hat den seine Fahrereigenschaft zur Tatzeit einräumenden, im Übrigen keine Sacheinlassung abgebenden Betr. wegen einer am 22.11.2014 um 04.34 Uhr als Führer eines Pkw innerorts fahrlässig begangenen Nichtbeachtung einer schon länger als 1 Sekunde andauernden Rotphase einer Lichtzeichenanlage gemäß § 24 I StVG i. V. m. §§ 37 II Nr. 1 S. 7; 49 III Nr. 2 StVO (sog. qualifizierter Rotlichtverstoß) zu einer Geldbuße von 300 Euro verurteilt. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid neben einer Geldbuße von 200 Euro gegen den Betr. angeordneten Fahrverbots von 1 Monat hat es demgegenüber abgesehen. Nach den Feststellungen näherte sich der Betr. zur Tatzeit der ampelgesicherten innerörtlichen Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h, wobei die Lichtzeichenanlage für die Fahrtrichtung des Betr. Rotlicht anzeigte. Etwa 2 ½ Sekunden vor dem Umschalten nach der über 30 Sekunden andauernden Rotlichtphase auf Rot-Gelb und Grün für die Fahrtrichtung des Betr. schaltete die für den parallelen Fußgängerverkehr geltende Lichtzeichenanlage auf Grün um. „Infolgedessen“ hielt „der Betroffene nicht an der Haltelinie“ an, „sondern überquerte diese noch bei für die Fahrzeuge geltendem Rotlicht und fuhr in den Kreuzungsbereich ein“, ehe „unmittelbar danach [...] auch die für den Betr. geltende Lichtzeichenanlage Rot-Gelb und dann Grün“ wurde. Auf die gegen das Urteil eingelegte, mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete und ausweislich ihrer Begründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der StA hat das OLG den Rechtsfolgenausspruch zum Nachteil des Betr. dahin abgeändert, dass es gegen ihn unter Beibehaltung der vom AG festgesetzten Geldbuße von 300 Euro und der bewilligten Zahlungserleichterung zusätzlich ein Fahrverbot angeordnet hat.

Aus den Gründen:

I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der StA, die ausweislich ihrer ergänzenden Begründung vom07.09.2015 wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, erweist sich als begründet.

1. Aufgrund der Feststellungen des AG kam gemäß § 4 I 1 Nr. 3 BKatV i. V. m. lfd. Nr. 132.3 der Anl. zu § 1 I BKatV die Anordnung eines Regelfahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht. Dies hat das AG zwar nicht verkannt, jedoch von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes von 200 Euro auf 300 Euro aufgrund einer festgestellten Vorahndung des Betr. mit der Begründung abgesehen, „zugunsten des Betr. [sei] davon auszugehen, dass es sich um ein Augenblicksversagen durch Verwechslung der Ampel handelt“. Hinzu komme, dass „die hierdurch gegebene Gefährdung des Kreuzungsverkehrs nicht mit derjenigen zu vergleichen“ sei, „in der jemand am Beginn der Rotlichtphase nach länger als 1 Sekunde andauernder Phase oder in deren Mitte das Rotlicht missachtet [...]; da die parallele Fußgängerampel bereits grün war, als der Betr. die Haltelinie überfuhr und in die Kreuzung einfuhr, [sei] hieraus zwingend ersichtlich, dass der Querverkehr bereits Rot gehabt haben muss, so dass die Gefährdungslage zu diesem Zeitpunkt nicht größer war, als wie wenn der Betr. bereits selbst Rot-Gelb oder Grün gehabt hätte“.

2. Diese Begründung für ein Absehen vom verwirkten Regelfahrverbot hält einer rechtlichen Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Feststellungen des AG keinerlei Handhabe dafür abgeben, zugunsten des sich zum eigentlichen Tatvorwurf nicht einlassenden Betr. von einem privilegierenden sog. Augenblicksversagen auszugehen. Im Gegenteil: Die in der Rspr. insoweit bislang anerkannten Ausnahmefälle zeichnen sich ebenso wie die speziell auf Rotlichtverstöße zugeschnittenen Fallgruppen des sog. ‚Mitzieheffekts‘ und des sog. ‚Frühstarters‘ oder eines sonstigen ‚atypischen‘ Rotlichtverstoßes regelmäßig dadurch aus, dass der Betr. aufgrund eines Irrtums über tatsächliche Umstände das Rotlicht missachtet hat (zur Abgrenzung zu dem den Tatvorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 01.12.2015 - 3 Ss OWi 834/15 [bei juris]), was nicht zuletzt dadurch deutlich wird, dass der Betr. in diesen Fällen zunächst vor dem Rotlicht anhält, weshalb es im Einzelfall vertretbar sein kann, von einem herabgesetzten Handlungsunwert des im Grundsatz ‚rechtstreuen‘ Betr. auszugehen (zu diesen und vergleichbaren ‚atypischen‘ Fallgestaltungen vgl. u. a. OLG Bamberg, Beschl. v. 24.07.2008 - 3 Ss OWi 1774/07 = DAR 2008, 596 = OLGSt BKatV § 4 Nr. 7 = VRR 2008, 433 [Gieg] und OLG Bamberg, Beschl. v. 29.06.2009 - 2 Ss OWi 573/09 = NJW 2009, 3736 = NZV 2009, 616 = DAR 2009, 653 = OLGSt BKatV § 4 Nr. 8 = VRR 2010, 34 [Gieg]; ferner u. a. OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.11.2013 - 4 Ss 601/13 = Justiz 2014, 231 = VRR 2014, 111 [Deutscher]; KG, Beschl. v. 05.11.2014 - 122 Ss 150/14 = VRS 127 [2015], 311 und OLG Düsseldorf DAR 2015, 213; vgl. auch Burhoff/Deutscher, Handbuch OWi-Verfahren, 4. Aufl., Rn. 1535 ff., 1541 ff.; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 37 StVO Rn. 54 f.; Burmann/Heß/Jahnke/Janke Straßenverkehrsrecht 23. Aufl. § 25 StVG Rn. 24 und Deutscher NZV 2015, 366, 368, jeweils m. w. N.).

3. Gründe dieser Art zeigen die Feststellungen des AG indes nicht auf, weshalb nicht verständlich ist, weshalb zugunsten des Betr. überhaupt eine irrtumsbedingte, in der Sache überdies fernliegende und selbst für sich genommen eine Privilegierung regelmäßig allein nicht rechtfertigende Verwechslung mit einer Grün anzeigenden Fußgängerampel (vgl. hierzu zuletzt treffend OLG Bamberg, Beschl. v. 10.08.2015 - 3 Ss OWi 900/15 [bei juris]) unterstellt werden sollte.

a) Mit dem gegen ein bußgeldrechtliches Fahrverbot inflationär eingewandten, aus der zivilrechtlichen Judikatur übernommenen Schlagwort des sog. ‚Augenblicksversagens‘ wird - wie die GenStA zutreffend ausführt - begrifflich zunächst nur ein (Fehl-) Verhalten bzw. ‚Versagen‘ des Betr. umschrieben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Handelnde für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum, nämlich nur für einen ‚Moment‘ oder nur für einen ‚Augenblick‘ lang die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Allein hieraus lässt sich allerdings nicht schon ein ausreichender Anlass ableiten, den Schuldvorwurf herabzustufen, sofern - wie hier - alle sonstigen (objektiven) Merkmale der groben Pflichtverletzung i. S. v. § 25 I 1 1. Alt. StVG ohne weiteres gegeben sind. Denn eine Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, insbesondere bei Regelverstößen im Straßenverkehr, beruht gerade darauf, dass der Handelnde für eine nur kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Gebot oder Verbot übersieht (BGH, Urt. v. 08.07.1992 - IV ZR 223/91 = BGHZ 119, 147/149 f. = NJW 1992, 2418 = DAR 1992, 369 = VerkMitt 1992, Nr. 78 = ZfS1992, 378 = VRS 84 [1993], 18; vgl. auch BGH, Beschl. v. 11.09.1997 - 4 StR 638/96 = BGHSt 43, 241/249 ff. = NJW 1997, 3252 = NZV 1997, 525).

b) Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung mit Blick auf die Anordnung, die Dauer oder den Umfang eines bußgeldrechtlichen Fahrverbots setzt vielmehr stets die Feststellung weiterer, in der Person des Handelnden liegender besonderer Umstände voraus, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände in einem gegenüber dem Regelfall milderen Licht erscheinen lassen (BGH a. a. O.; vgl. zuletzt auch OLG Düsseldorf DAR 2015, 213). Derartige besondere Umstände, etwa ein unübersichtliches, besonders schwieriges, überraschendes oder gar verwirrendes Verkehrsgeschehen, die im Einzelfall einen Wegfall des Fahrverbots rechtfertigen könnten, zeigen die Feststellungen und Wertungen des AG indes gerade nicht auf und legen ein solches auch nicht nahe. Jede andere Sicht der Dinge wäre mit der Intention des Verordnungsgebers unvereinbar, wonach grundsätzlich, nämlich soweit der Tatbestand des § 4 I 1 Nr. 3 BKatV erfüllt ist, das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 I 1 StVG indiziert ist, weshalb es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf.

II. Der Senat kann aufgrund der rechtsfehlerfreien Feststellungen des AG zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betr. in der Sache selbst entscheiden (§ 79 VI OWiG), so dass es einer Zurückverweisung an das AG nicht bedarf. Der Senat schließt insbesondere aus, dass weitere erhebliche Feststellungen getroffen werden können, welche etwa die Annahme einer Existenzgefährdung des Betr. rechtfertigen könnten. Neben der aufgrund der Voreintragung des Betr. gegenüber der im Bußgeldbescheid zu Recht auf 300 Euro erhöhten Geldbuße einschließlich der insoweit vom AG bewilligten und aufrechtzuerhaltenden Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG in Form von Ratenzahlungen war deshalb gegen den Betr. wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß §§ 25 I 1 1. Alt., 26a I Nr. 3, II StVG i. V. m. § 4 I 1 Nr. 3 BKatV i. V. m. lfd. Nr. 132.3 der Anl. zu § 1 I BKatV ein Regelfahrverbot für die Dauer 1 Monats anzuordnen. Sonstige Umstände, die es gebieten könnten, von dieser Regelfolge der begangenen Ordnungswidrigkeit ausnahmsweise abzuweichen, oder die die Annahme begründen könnten, der Zweck des Fahrverbots könnte allein mit einer Geldbuße erreicht werden, liegen nicht vor. Da gegen den Betr. erst mit seit dem 06.09.2014 rechtskräftigem Bußgeldbescheid ein Fahrverbot verhängt wurde, schied die Anordnung eines beschränkten Vollstreckungsaufschubs (sog. Vier-Monats-Regel) nach § 25 IIa 1 StVG aus. [...]

III. Der Senat entscheidet gemäß § 79 V 1 OWiG durch Beschluss. Der Beschluss wird mit Ablauf des Tages seines Erlasses rechtskräftig (§ 34a StPO i. V. m. § 46 I OWiG). [...]

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published on 26/11/2013 00:00

Tenor Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 3. Juni 2013 im Rechtsfolgenausspruch dahin a b g e ä n d e r t , dass die Geldbuße auf 180,00 EUR festgesetzt wird und das Fahrverbot e
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

(1) Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes kommt die Anordnung eines Fahrverbots (§ 25 Absatz 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes) wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht, wenn ein Tatbestand

1.
der Nummern 9.1 bis 9.3, der Nummern 11.1 bis 11.3, jeweils in Verbindung mit Tabelle 1 des Anhangs,
2.
der Nummern 12.6.3, 12.6.4, 12.6.5, 12.7.3, 12.7.4 oder 12.7.5 der Tabelle 2 des Anhangs,
3.
der Nummern 19.1.1, 19.1.2, 21.1, 21.2, 39.1, 41, 50, 50.1, 50.2, 50.3, 50a, 50a.1, 50a.2, 50a.3, 83.3, 89b.2, 132.1, 132.2, 132.3, 132.3.1, 132.3.2, 135, 135.1, 135.2, 152.1 oder
4.
der Nummern 244, 246.2, 246.3 oder 250a
des Bußgeldkatalogs verwirklicht wird. Wird in diesen Fällen ein Fahrverbot angeordnet, so ist in der Regel die dort bestimmte Dauer festzusetzen.

(2) Wird ein Fahrverbot wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers zum ersten Mal angeordnet, so ist seine Dauer in der Regel auf einen Monat festzusetzen. Ein Fahrverbot kommt in der Regel in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht.

(3) Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes ist ein Fahrverbot (§ 25 Absatz 1 Satz 2 des Straßenverkehrsgesetzes) in der Regel mit der in den Nummern 241, 241.1, 241.2, 242, 242.1 und 242.2 des Bußgeldkatalogs vorgesehenen Dauer anzuordnen.

(4) Wird von der Anordnung eines Fahrverbots ausnahmsweise abgesehen, so soll das für den betreffenden Tatbestand als Regelsatz vorgesehene Bußgeld angemessen erhöht werden.

Ist dem Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, die Geldbuße sofort zu zahlen, so wird ihm eine Zahlungsfrist bewilligt oder gestattet, die Geldbuße in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. Dabei kann angeordnet werden, daß die Vergünstigung, die Geldbuße in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, entfällt, wenn der Betroffene einen Teilbetrag nicht rechtzeitig zahlt.

Führt nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels ein Beschluß unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei, so gilt die Rechtskraft als mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung eingetreten.