Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 22. Dez. 2015 - 3 Ss OWi 1326/15

bei uns veröffentlicht am22.12.2015

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Gründe

Oberlandesgericht Bamberg

3 Ss OWi 1326/15

Beschluss

vom 22. 12. 2015

Zum Sachverhalt:

Das AG hat den seine Fahrereigenschaft zur Tatzeit einräumenden, im Übrigen keine Sacheinlassung abgebenden Betr. wegen einer am 22.11.2014 um 04.34 Uhr als Führer eines Pkw innerorts fahrlässig begangenen Nichtbeachtung einer schon länger als 1 Sekunde andauernden Rotphase einer Lichtzeichenanlage gemäß § 24 I StVG i. V. m. §§ 37 II Nr. 1 S. 7; 49 III Nr. 2 StVO (sog. qualifizierter Rotlichtverstoß) zu einer Geldbuße von 300 Euro verurteilt. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid neben einer Geldbuße von 200 Euro gegen den Betr. angeordneten Fahrverbots von 1 Monat hat es demgegenüber abgesehen. Nach den Feststellungen näherte sich der Betr. zur Tatzeit der ampelgesicherten innerörtlichen Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h, wobei die Lichtzeichenanlage für die Fahrtrichtung des Betr. Rotlicht anzeigte. Etwa 2 ½ Sekunden vor dem Umschalten nach der über 30 Sekunden andauernden Rotlichtphase auf Rot-Gelb und Grün für die Fahrtrichtung des Betr. schaltete die für den parallelen Fußgängerverkehr geltende Lichtzeichenanlage auf Grün um. „Infolgedessen“ hielt „der Betroffene nicht an der Haltelinie“ an, „sondern überquerte diese noch bei für die Fahrzeuge geltendem Rotlicht und fuhr in den Kreuzungsbereich ein“, ehe „unmittelbar danach [...] auch die für den Betr. geltende Lichtzeichenanlage Rot-Gelb und dann Grün“ wurde. Auf die gegen das Urteil eingelegte, mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete und ausweislich ihrer Begründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der StA hat das OLG den Rechtsfolgenausspruch zum Nachteil des Betr. dahin abgeändert, dass es gegen ihn unter Beibehaltung der vom AG festgesetzten Geldbuße von 300 Euro und der bewilligten Zahlungserleichterung zusätzlich ein Fahrverbot angeordnet hat.

Aus den Gründen:

I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der StA, die ausweislich ihrer ergänzenden Begründung vom07.09.2015 wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, erweist sich als begründet.

1. Aufgrund der Feststellungen des AG kam gemäß § 4 I 1 Nr. 3 BKatV i. V. m. lfd. Nr. 132.3 der Anl. zu § 1 I BKatV die Anordnung eines Regelfahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht. Dies hat das AG zwar nicht verkannt, jedoch von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes von 200 Euro auf 300 Euro aufgrund einer festgestellten Vorahndung des Betr. mit der Begründung abgesehen, „zugunsten des Betr. [sei] davon auszugehen, dass es sich um ein Augenblicksversagen durch Verwechslung der Ampel handelt“. Hinzu komme, dass „die hierdurch gegebene Gefährdung des Kreuzungsverkehrs nicht mit derjenigen zu vergleichen“ sei, „in der jemand am Beginn der Rotlichtphase nach länger als 1 Sekunde andauernder Phase oder in deren Mitte das Rotlicht missachtet [...]; da die parallele Fußgängerampel bereits grün war, als der Betr. die Haltelinie überfuhr und in die Kreuzung einfuhr, [sei] hieraus zwingend ersichtlich, dass der Querverkehr bereits Rot gehabt haben muss, so dass die Gefährdungslage zu diesem Zeitpunkt nicht größer war, als wie wenn der Betr. bereits selbst Rot-Gelb oder Grün gehabt hätte“.

2. Diese Begründung für ein Absehen vom verwirkten Regelfahrverbot hält einer rechtlichen Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Feststellungen des AG keinerlei Handhabe dafür abgeben, zugunsten des sich zum eigentlichen Tatvorwurf nicht einlassenden Betr. von einem privilegierenden sog. Augenblicksversagen auszugehen. Im Gegenteil: Die in der Rspr. insoweit bislang anerkannten Ausnahmefälle zeichnen sich ebenso wie die speziell auf Rotlichtverstöße zugeschnittenen Fallgruppen des sog. ‚Mitzieheffekts‘ und des sog. ‚Frühstarters‘ oder eines sonstigen ‚atypischen‘ Rotlichtverstoßes regelmäßig dadurch aus, dass der Betr. aufgrund eines Irrtums über tatsächliche Umstände das Rotlicht missachtet hat (zur Abgrenzung zu dem den Tatvorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 01.12.2015 - 3 Ss OWi 834/15 [bei juris]), was nicht zuletzt dadurch deutlich wird, dass der Betr. in diesen Fällen zunächst vor dem Rotlicht anhält, weshalb es im Einzelfall vertretbar sein kann, von einem herabgesetzten Handlungsunwert des im Grundsatz ‚rechtstreuen‘ Betr. auszugehen (zu diesen und vergleichbaren ‚atypischen‘ Fallgestaltungen vgl. u. a. OLG Bamberg, Beschl. v. 24.07.2008 - 3 Ss OWi 1774/07 = DAR 2008, 596 = OLGSt BKatV § 4 Nr. 7 = VRR 2008, 433 [Gieg] und OLG Bamberg, Beschl. v. 29.06.2009 - 2 Ss OWi 573/09 = NJW 2009, 3736 = NZV 2009, 616 = DAR 2009, 653 = OLGSt BKatV § 4 Nr. 8 = VRR 2010, 34 [Gieg]; ferner u. a. OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.11.2013 - 4 Ss 601/13 = Justiz 2014, 231 = VRR 2014, 111 [Deutscher]; KG, Beschl. v. 05.11.2014 - 122 Ss 150/14 = VRS 127 [2015], 311 und OLG Düsseldorf DAR 2015, 213; vgl. auch Burhoff/Deutscher, Handbuch OWi-Verfahren, 4. Aufl., Rn. 1535 ff., 1541 ff.; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 43. Aufl. § 37 StVO Rn. 54 f.; Burmann/Heß/Jahnke/Janke Straßenverkehrsrecht 23. Aufl. § 25 StVG Rn. 24 und Deutscher NZV 2015, 366, 368, jeweils m. w. N.).

3. Gründe dieser Art zeigen die Feststellungen des AG indes nicht auf, weshalb nicht verständlich ist, weshalb zugunsten des Betr. überhaupt eine irrtumsbedingte, in der Sache überdies fernliegende und selbst für sich genommen eine Privilegierung regelmäßig allein nicht rechtfertigende Verwechslung mit einer Grün anzeigenden Fußgängerampel (vgl. hierzu zuletzt treffend OLG Bamberg, Beschl. v. 10.08.2015 - 3 Ss OWi 900/15 [bei juris]) unterstellt werden sollte.

a) Mit dem gegen ein bußgeldrechtliches Fahrverbot inflationär eingewandten, aus der zivilrechtlichen Judikatur übernommenen Schlagwort des sog. ‚Augenblicksversagens‘ wird - wie die GenStA zutreffend ausführt - begrifflich zunächst nur ein (Fehl-) Verhalten bzw. ‚Versagen‘ des Betr. umschrieben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Handelnde für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum, nämlich nur für einen ‚Moment‘ oder nur für einen ‚Augenblick‘ lang die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Allein hieraus lässt sich allerdings nicht schon ein ausreichender Anlass ableiten, den Schuldvorwurf herabzustufen, sofern - wie hier - alle sonstigen (objektiven) Merkmale der groben Pflichtverletzung i. S. v. § 25 I 1 1. Alt. StVG ohne weiteres gegeben sind. Denn eine Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, insbesondere bei Regelverstößen im Straßenverkehr, beruht gerade darauf, dass der Handelnde für eine nur kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Gebot oder Verbot übersieht (BGH, Urt. v. 08.07.1992 - IV ZR 223/91 = BGHZ 119, 147/149 f. = NJW 1992, 2418 = DAR 1992, 369 = VerkMitt 1992, Nr. 78 = ZfS1992, 378 = VRS 84 [1993], 18; vgl. auch BGH, Beschl. v. 11.09.1997 - 4 StR 638/96 = BGHSt 43, 241/249 ff. = NJW 1997, 3252 = NZV 1997, 525).

b) Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung mit Blick auf die Anordnung, die Dauer oder den Umfang eines bußgeldrechtlichen Fahrverbots setzt vielmehr stets die Feststellung weiterer, in der Person des Handelnden liegender besonderer Umstände voraus, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände in einem gegenüber dem Regelfall milderen Licht erscheinen lassen (BGH a. a. O.; vgl. zuletzt auch OLG Düsseldorf DAR 2015, 213). Derartige besondere Umstände, etwa ein unübersichtliches, besonders schwieriges, überraschendes oder gar verwirrendes Verkehrsgeschehen, die im Einzelfall einen Wegfall des Fahrverbots rechtfertigen könnten, zeigen die Feststellungen und Wertungen des AG indes gerade nicht auf und legen ein solches auch nicht nahe. Jede andere Sicht der Dinge wäre mit der Intention des Verordnungsgebers unvereinbar, wonach grundsätzlich, nämlich soweit der Tatbestand des § 4 I 1 Nr. 3 BKatV erfüllt ist, das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 I 1 StVG indiziert ist, weshalb es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf.

II. Der Senat kann aufgrund der rechtsfehlerfreien Feststellungen des AG zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betr. in der Sache selbst entscheiden (§ 79 VI OWiG), so dass es einer Zurückverweisung an das AG nicht bedarf. Der Senat schließt insbesondere aus, dass weitere erhebliche Feststellungen getroffen werden können, welche etwa die Annahme einer Existenzgefährdung des Betr. rechtfertigen könnten. Neben der aufgrund der Voreintragung des Betr. gegenüber der im Bußgeldbescheid zu Recht auf 300 Euro erhöhten Geldbuße einschließlich der insoweit vom AG bewilligten und aufrechtzuerhaltenden Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG in Form von Ratenzahlungen war deshalb gegen den Betr. wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß §§ 25 I 1 1. Alt., 26a I Nr. 3, II StVG i. V. m. § 4 I 1 Nr. 3 BKatV i. V. m. lfd. Nr. 132.3 der Anl. zu § 1 I BKatV ein Regelfahrverbot für die Dauer 1 Monats anzuordnen. Sonstige Umstände, die es gebieten könnten, von dieser Regelfolge der begangenen Ordnungswidrigkeit ausnahmsweise abzuweichen, oder die die Annahme begründen könnten, der Zweck des Fahrverbots könnte allein mit einer Geldbuße erreicht werden, liegen nicht vor. Da gegen den Betr. erst mit seit dem 06.09.2014 rechtskräftigem Bußgeldbescheid ein Fahrverbot verhängt wurde, schied die Anordnung eines beschränkten Vollstreckungsaufschubs (sog. Vier-Monats-Regel) nach § 25 IIa 1 StVG aus. [...]

III. Der Senat entscheidet gemäß § 79 V 1 OWiG durch Beschluss. Der Beschluss wird mit Ablauf des Tages seines Erlasses rechtskräftig (§ 34a StPO i. V. m. § 46 I OWiG). [...]

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Bußgeldkatalog-Verordnung - BKatV 2013 | § 4 Regelfahrverbot


(1) Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes kommt die Anordnung eines Fahrverbots (§ 25 Absatz 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes) wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betr

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 18 Zahlungserleichterungen


Ist dem Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, die Geldbuße sofort zu zahlen, so wird ihm eine Zahlungsfrist bewilligt oder gestattet, die Geldbuße in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. Dabei kann angeordnet werden, d

Strafprozeßordnung - StPO | § 34a Eintritt der Rechtskraft bei Verwerfung eines Rechtsmittels durch Beschluss


Führt nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels ein Beschluß unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei, so gilt die Rechtskraft als mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung eingetreten.

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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 26. Nov. 2013 - 4 Ss 601/13

bei uns veröffentlicht am 26.11.2013

Tenor Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 3. Juni 2013 im Rechtsfolgenausspruch dahin a b g e ä n d e r t , dass die Geldbuße auf 180,00 EUR festgesetzt wird und das Fahrverbot e

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(1) Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes kommt die Anordnung eines Fahrverbots (§ 25 Absatz 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes) wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht, wenn ein Tatbestand

1.
der Nummern 9.1 bis 9.3, der Nummern 11.1 bis 11.3, jeweils in Verbindung mit Tabelle 1 des Anhangs,
2.
der Nummern 12.6.3, 12.6.4, 12.6.5, 12.7.3, 12.7.4 oder 12.7.5 der Tabelle 2 des Anhangs,
3.
der Nummern 19.1.1, 19.1.2, 21.1, 21.2, 39.1, 41, 50, 50.1, 50.2, 50.3, 50a, 50a.1, 50a.2, 50a.3, 83.3, 89b.2, 132.1, 132.2, 132.3, 132.3.1, 132.3.2, 135, 135.1, 135.2, 152.1 oder
4.
der Nummern 244, 246.2, 246.3 oder 250a
des Bußgeldkatalogs verwirklicht wird. Wird in diesen Fällen ein Fahrverbot angeordnet, so ist in der Regel die dort bestimmte Dauer festzusetzen.

(2) Wird ein Fahrverbot wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers zum ersten Mal angeordnet, so ist seine Dauer in der Regel auf einen Monat festzusetzen. Ein Fahrverbot kommt in der Regel in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht.

(3) Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a des Straßenverkehrsgesetzes ist ein Fahrverbot (§ 25 Absatz 1 Satz 2 des Straßenverkehrsgesetzes) in der Regel mit der in den Nummern 241, 241.1, 241.2, 242, 242.1 und 242.2 des Bußgeldkatalogs vorgesehenen Dauer anzuordnen.

(4) Wird von der Anordnung eines Fahrverbots ausnahmsweise abgesehen, so soll das für den betreffenden Tatbestand als Regelsatz vorgesehene Bußgeld angemessen erhöht werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 3. Juni 2013 im Rechtsfolgenausspruch dahin

a b g e ä n d e r t ,

dass die Geldbuße auf 180,00 EUR festgesetzt wird und das Fahrverbot entfällt.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.

Von den Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und den insoweit entstandenen Auslagen der Betroffenen tragen die Staatskasse ein und sie selbst zwei Drittel.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht Reutlingen hat gegen die Betroffene wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit der Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauerte, gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, § 24 StVG eine Geldbuße von 200,00 EUR festgesetzt und nach § 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2a Satz 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene das Verfahren und die Verletzung sachlichen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 349 Abs. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG als unbegründet zu verwerfen.
Das Rechtsmittel der Betroffenen hat lediglich hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs teilweise Erfolg. Darüber hinaus hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Begründung der Rechtsbeschwerde keine Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen lassen.
II.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht. Auch die Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden.
1. Soweit die Betroffene mit der Verfahrensrüge die Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht gem. § 265 Abs. 2 StPO i. V. m. § 71 OWiG rügt, ist diese Rüge nicht zulässig erhoben. Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG müssen, um die Zulässigkeit der Rüge zu begründen, die den Mangel enthaltenen Tatschen so genau bezeichnet und vollständig angegeben werden, dass das Beschwerdegericht schon anhand der Beschwerdeschrift ohne Rückgriff auf die Akte prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen. Bezugnahmen auf den Akteninhalt, dass Protokoll oder Schriftstücke sind dabei nicht zulässig (Göhler, OWiG, 16. Auflage, § 79 Rn. 27 mwN). Vorliegend nimmt der Beschwerdeführer zur Begründung der Verfahrensrüge auf den Bußgeldbescheid und die Sitzungsniederschrift Bezug, ohne jeweils Kopien dieser Aktenbestandteile beizufügen. Eine Prüfung der Rüge allein anhand der Beschwerdebegründung ist deshalb nicht möglich, weshalb die Verfahrensrüge insgesamt unzulässig ist. Sie ist jedoch darüber hinaus auch unbegründet. Der Beschwerdeführer führt zwar zutreffend aus, dass in der Regel bei einer fehlenden Angabe der Schuldform im Bußgeldbescheid vom Vorwurf fahrlässigen Handels auszugehen ist, weshalb es bei einer Verurteilung im gerichtlichen Verfahren wegen vorsätzlichen Handelns regelmäßig eines Hinweises der Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes bedarf (Göhler, aaO, § 66 Rn. 14). Der Senat geht im Einvernehmen mit der Generalstaatsanwaltschaft davon aus, dass der unterlassene gerichtliche Hinweis vorliegend die Rüge ausnahmsweise nicht begründet, da es sich mit Sicherheit ausschließen lässt, dass sich die Betroffene bei einem erteilten Hinweis anders als geschehen hätte verteidigen können (Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, § 265 Rn. 48 mwN). Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils entschloss sich die Betroffene nach eigenen Angaben zum Spurwechsel, nachdem sie an der Haltelinie der Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage zunächst gewartet hatte. Die Rechtsbeschwerdebegründung in diesem Punkt enthält deshalb auch keine Ausführungen zu einem hypothetischen Verteidigungsverhalten der Betroffenen im Falle eines Hinweises, sondern bezweifelt vielmehr die Tatbestandsmäßigkeit eines Rotlichtverstoßes durch den festgestellten Spurwechsel.
2. Auch die erhobene Aufklärungsrüge des Beschwerdeführers ist unbegründet. Das Amtsgericht hat nach den Urteilsfeststellungen sowohl die amtlichen Lichtbilder der beiden Kreuzungskameras als auch die vom Sachverständigen als Anlage zu seinem Gutachten vorgelegten 17 Lichtbilder, u. a. vom Kreuzungsbereich, in Augenschein genommen. Daneben hat der Sachverständige in der Hauptverhandlung ein mündliches Gutachten erstattet, das die örtlichen Verhältnisse der fraglichen Kreuzung zum Gegenstand hatte. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, welche weiteren Erkenntnisse durch eine Inaugenscheinnahme der Kreuzung oder eine über das mündliche Gutachten hinausgehende Befragung des Sachverständigen hätten gewonnen werden sollen. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Frage des Einfahrens der Betroffenen in den geschützten Kreuzungsbereich und zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer beziehen sich vielmehr auf die vom Gericht vorgenommene rechtliche Bewertung des festgestellten Sachverhalts, auf die im Rahmen der Sachrüge einzugehen sein wird und nicht auf einen unzureichend aufgeklärten Sachverhalt.
3. Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Betroffene das für ihre Fahrspur geltende rote Wechsellichtzeichen bei einer schon länger als 1 Sekunde andauernden Rotphase (39,02 Sekunden) vorsätzlich missachtet hat.
Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ordnete sich die ortskundige Betroffene in ... von Richtung ... kommend mit ihrem PKW auf der rechten von zwei Linksabbiegerspuren der ...-Straße in Richtung ... Straße bei der Annäherung an die durch eine Lichtzeichenanlage geregelte Kreuzung ein, wobei diese für sie Rotlicht zeigte, während sie für eine rechts daneben befindliche Spur, die geradeaus in Richtung ... führt, Grünlicht zeigte. Obgleich sie dies erkannt hatte, überfuhr die Betroffene zunächst die Haltelinie ihrer Linksabbiegerspur sowie die unmittelbar dahinter liegende ampelgesicherte Fußgänger- und Fahrradfurt und zog dabei auf einer Strecke von ca. 16 m nach der Haltelinie ihr Fahrzeug auf die sich rechts neben ihr verlaufende Geradeausspur, wo sie ihre Fahrt fortsetzte.
10 
Die Feststellungen des Amtsgerichts sind lediglich insoweit widersprüchlich, als dort festgestellt wird (UA S. 3), dass die Betroffene im Einmündungsbereich der Kreuzung ca. 16 m nach der Haltelinie auf die sich rechts neben ihr befindliche Geradeausspur herüberzog, wohingegen aus den Lichtbildern, auf die wegen der Einzelheiten gem. § 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich Bezug genommen wurde, ersichtlich wird, dass an diesem Ort der unmittelbare Einmündungsbereich der...-Straße in die ... Straße, d. h. der Bereich der sich jeweils kreuzenden Fluchtlinien beider Straßen, noch nicht erreicht war.
11 
Die Betroffene hat dennoch einen vorsätzlichen Rotlichtverstoß gem. §§ 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO i. V. m. § 24 StVG begangen. Dieser war bereits mit der Einfahrt in die hinter der Haltelinie liegende Fußgänger- und Fahrradfurt vollendet. Diese gehört ebenfalls zu dem durch das von der Betroffenen missachtete Lichtzeichen geschützten Verkehrsbereich. Dies gilt auch dann, wenn die dazu gehörige Lichtzeichenanlage für Fußgänger und Radfahrer wegen der Grünphase der für einen Teil der Fahrspur (hier der Geradeausspur) geltenden Ampel Rotlicht zeigt. Sinn und Zweck des Rotlichts einer Lichtzeichenregelung ist es, dass der gesamte berechtigt im Kreuzungsbereich einmündende Verkehr geschützt wird. Hierzu zählt auch der gerade im innerörtlichen Bereich häufig an durch Ampeln geregelten Kreuzungen und Einmündungen verlaufende Fahrrad- und Fußgängerverkehr, der die durch Rotlicht gesperrte Straße überquert. Die Fluchtlinie, die den Beginn des geschützten Bereichs markiert, ist daher nicht auf den Fahrbahnbereich allein für Kraftfahrzeuge bezogen, sondern wird auch durch Fußgängerüberwege und -furten sowie Fahrradwege, die regelmäßig vor der einmündenden Kraftfahrbahn liegen, bestimmt (KG Berlin VRS 119, 48-51; OLG Hamm, 3 Ss OWi 310/03 - zitiert nach juris; OLG Celle, Beschluss vom 01.02.2005 unter Aufgabe seiner entgegenstehenden Rechtsprechung, 22 Ss 261/04 (OWi); König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 37 Rn. 41). Der Rotlichtverstoß der Betroffenen war daher bereits beim Überfahren der Haltelinie der auf Rot geschalteten Lichtzeichenanlage verbunden mit dem Einfahren in die Fußgängerfurt ungeachtet aller weiterführenden Schutzzweckerwägungen erfüllt. Es kann in Fällen wie im Vorliegenden nicht darauf ankommen, ob ein Verkehrsteilnehmer, der die Haltelinie bei Rotlicht überfahren hat, noch im Bereich einer Fußgänger- oder Fahrradfurt oder erst kurz hinter einer solchen auf die freigegebene Fahrspur wechselt. Die Verkehrssicherheit verlangt gerade in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen eindeutige, von allen betroffenen Verkehrsteilnehmern schnell erfassbare und nicht erst nach Maßgabe von Schutzzweckerwägungen inhaltlich zu bestimmende Regeln (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997 - 4 StR 647/96 -, Rn. 26 - zitiert nach juris).
12 
Dagegen hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand.
13 
Das Amtsgericht hat ausgehend von der Regelbuße für Rotlichtmissachtungen bei länger als einer Sekunde andauernder Rotphase (qualifizierter Rotlichtverstoß) nach Nr. 132.3 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV und dem gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BKatV - in der bis zum 31. März 2013 geltenden Fassung - eine Geldbuße von 200,00 EUR und ein einmonatiges Regelfahrverbot verhängt. Zwar liegt ein solcher Sachverhalt - sogar als vorsätzliche Tat - nach den Feststellungen vor, die dafür vorgesehene Regelahndung ist aber nicht bei jedem Verstoß, der länger als eine Sekunde nach Beginn der Rotphase begangen wird, indiziert (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, aaO Rn. 54 mwN). Vielmehr soll Nr. 132.3 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV eine schärfere Ahnung besonders schwerwiegender Verstöße erlauben, da die Missachtung eines Wechsellichtzeichens bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase nach der amtlichen Begründung (VkBl. 1991, 702, 704) als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr, insbesondere auch Fußgänger, nach dieser Zeit im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können. Von einem derart gravierenden Rotlichtverstoß seitens der Betroffenen kann jedoch jedenfalls im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, da zu diesem Zeitpunkt andere Verkehrsteilnehmer, die durch das missachtete Lichtzeichen geschützt werden sollen (Fußgänger und Fahrradfahrer, die die unmittelbar hinter der Haltelinie liegende Fußgänger- und Fahrradfurt überqueren wollen), nicht in den geschützten Bereich eindringen durften, da die Fahrspuren für sie ebenfalls gesperrt war, wovon nach den Feststellungen des Amtsgerichts auszugehen ist (UA S. 3). Weiter ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt des Überquerens der Haltelinie bei Rotlicht durch die Betroffene Fußgänger oder Fahrradfahrer weder abstrakt noch konkret gefährdet wurden. Dasselbe gilt für Fahrzeuge auf der rechts neben der Fahrspur der Betroffenen verlaufenden Geradeausspur, da auf dieser Spur - wie aus den in Bezug genommenen Lichtbildern ersichtlich - im Ampelbereich kein Fahrzeugverkehr herrschte. Aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse im Kreuzungsbereich, insbesondere der Entfernung der Einmündung der Geradeausspur der ...-Straße in die ... Straße, kann auch eine nur abstrakte Gefährdung des durch das Rotlicht der Lichtzeichenanlage geschützten Gegenverkehrs auf der ...-Straße ausgeschlossen werden, nachdem sich die Betroffene nach den Feststellungen des Urteils (UA S. 3) mit ihrem Fahrzeug bereits 16 m nach der Haltelinie auf der sich rechts neben ihr befindlichen Geradeausspur befand. Zwar hat die Betroffene eingeräumt, die Fahrspur willentlich gewechselt zu haben, als sie sich beim Warten an der Ampel dazu entschloss, das von ihr angestrebte Fahrziel auf anderem Weg zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass durch ihre Fahrweise keine auch nur abstrakte Gefährdung anderer, durch das Rotlicht der Lichtzeichenanlage geschützter Verkehrsteilnehmer festgestellt werden konnte und die Betroffene nicht im Verkehrszentralregister eingetragen ist, ist angesichts dieser besonderen Umstände für die Anwendung des erhöhten Sanktionsrahmens kein Raum (vgl. zum Ganzen auch OLG Stuttgart, DAR 2003, 574-575). Danach ist die Regelrechtsfolge der Nr. 132 des Bußgeldkatalogs in der Fassung vom 1. November 2012 zu entnehmen. Die Regelgeldbuße beträgt dabei für einen vorsätzlichen Verstoß nach § 3 Abs. 4a Satz 1 BKatV 180,00 EUR, ein Regelfahrverbot ist nicht vorgesehen.
14 
Auf diesem Fehler beruht das Urteil.
III.
15 
Die fehlerhafte Rechtsfolgenentscheidung führt nicht zur Zurückweisung der Sache an das Amtsgericht.
16 
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass weitere, für die Höhe der Geldbuße oder die Anordnung eines Fahrverbots bedeutsame Feststellungen, insbesondere was die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer betrifft, getroffen werden können. Der Senat macht daher von der Befugnis zur eigenen Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch.
IV.
17 
Die Kosten und Auslagenentscheidung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 4 StPO. Für das Verfahren im ersten Rechtszug verbleibt es bei der amtsgerichtlichen Kostenentscheidung.

Ist dem Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, die Geldbuße sofort zu zahlen, so wird ihm eine Zahlungsfrist bewilligt oder gestattet, die Geldbuße in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. Dabei kann angeordnet werden, daß die Vergünstigung, die Geldbuße in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, entfällt, wenn der Betroffene einen Teilbetrag nicht rechtzeitig zahlt.

Führt nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels ein Beschluß unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei, so gilt die Rechtskraft als mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung eingetreten.