Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 20. Juni 2013 - LVerfG 6/12

ECLI:ECLI:DE:LVGSH:2013:0620.LVERFG6.12.0A
bei uns veröffentlicht am20.06.2013

Gericht

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht

Tenor

Die Wahlprüfungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer, ein erfolglos gebliebener Einzelbewerber im Wahlkreis 3 (Flensburg), hat mit Schreiben vom 10. Mai 2012 Einspruch gegen das am 18. Mai 2012 bekannt gegebene Ergebnis der Landtagswahl vom 6. Mai 2012 eingelegt.

2

Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, er fühle sich durch die Gestaltung und Faltung des Stimmzettels in seinen Chancen als Wahlbewerber beeinträchtigt. Sein Name und der des anderen im Wahlkreis 3 kandidierenden Einzelbewerbers seien in der linken Spalte des Stimmzettels optisch abgesetzt von den Direktkandidaten der Parteien aufgeführt worden. Dadurch sei suggeriert worden, dass sie - die Einzelbewerber - „nicht direkt zum Block der anderen Direktkandidaten dazugehörten“. Zudem hätten er und der weitere Einzelbewerber vergleichsweise wenige Stimmen erhalten, weil ihre unten links platzierten Namen dadurch verdeckt gewesen seien, dass Rechtshänder den Stimmzettel beim Ankreuzen an dieser Stelle festhielten. Schließlich seien Handhabbarkeit und Übersichtlichkeit des Stimmzettels beeinträchtigt gewesen, weil er vor Ausgabe an die Wähler gefaltet gewesen sei.

3

Der Landtag hat auf entsprechende Empfehlung seines Innen- und Rechtsausschusses (Landtags-Drucksache 18/163, Anlage 24, S. 80 f.), wonach die Gestaltung des beanstandeten Stimmzettels den wahlrechtlichen Vorgaben entsprochen habe und auf die Sitzverteilung sich auswirkende Wahlfehler nicht erkennbar seien, den Einspruch durch Beschluss vom 26. September 2012 als unbegründet zurückgewiesen. Dies hat der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages dem Beschwerdeführer mit ihm am 2. Oktober 2012 zugestellten Bescheid vom 27. September 2012 mitgeteilt.

4

Am 4. Oktober 2012 hat der Beschwerdeführer Beschwerde erhoben, mit der er die Gründe seines Einspruchs wiederholt und vertieft. Ergänzend macht er geltend, § 33 Abs. 4 Landeswahlgesetz (LWahlG), der Regelungen zur Reihenfolge der Direktkandidaten auf den Stimmzetteln enthalte, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und müsse geändert werden.

5

Der Landtag und die Landeswahlleiterin haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

6

1. Die Wahlprüfungsbeschwerde ist zulässig. Sie ist als Beschwerde gegen die Entscheidung des Landtages über die Gültigkeit der Landtagswahl nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 Landesverfassung (LV) in Verbindung mit §§ 3 Nr. 5 Landesverfassungsgerichtsgesetz (LVerfGG), 43 Abs. 2 LWahlG statthaft. Der Beschwerdeführer ist als Wahlberechtigter, dessen Einspruch vom Landtag verworfen worden ist, gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 LVerfGG beschwerdeberechtigt.

7

Der Beschwerdeführer hat die Beschwerde auch fristgerecht beim Landesverfassungsgericht eingelegt und begründet. Gemäß §§ 49 Abs. 2 Halbsatz 1 1. Alt. LVerfGG, 43 Abs. 2 LWahlG ist sie binnen einer Frist von zwei Wochen seit der Zustellung des Beschlusses des Landtages zu erheben und gemäß § 49 Abs. 2 Halbsatz 2 LVerfGG innerhalb der genannten Frist zu begründen. Der den Einspruch zurückweisende Beschluss des Landtages ist dem Beschwerdeführer am 2. Oktober 2012 zugestellt worden; seine Beschwerde ist vor Ablauf von zwei Wochen am 4. Oktober 2012 mit Begründung versehen beim beschließenden Gericht eingegangen.

8

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Landtag hat den Einspruch des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen.

9

Materieller Prüfungsgegenstand ist gemäß Art. 3 Abs. 3 und 4, Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV in Verbindung mit §§ 3 Nr. 5, 50 Abs. 1 LVerfGG, 43 LWahlG die „Gültigkeit“ der Wahl. Das Wahlprüfungsverfahren ist dazu bestimmt, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Landtages zu gewährleisten. Eine Beschwerde nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV kann daher nur dann Erfolg haben, wenn sie auf Wahlfehler gestützt wird, die auf die Sitzverteilung von Einfluss sind oder sein können (vgl. Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10, Juris Rn. 49 m.w.N.). Dabei darf es sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handeln; sie muss vielmehr eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende sein; Vermutungen oder rein spekulative Annahmen genügen nicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 131 m.w.N., stRspr.).

10

Der vom Beschwerdeführer allein geltend gemachte Wahlfehler der unzulässigen amtlichen Wahlbeeinflussung im Sinne einer Verletzung der Chancengleichheit durch irreführende Gestaltung und Faltung der Stimmzettel im Wahlkreis 3 bei der Landtagswahl vom 6. Mai 2012 ist nicht erkennbar (a). Selbst wenn man das Vorliegen eines Wahlfehlers unterstellte, besteht keine reale Möglichkeit, dass dieser die Sitzverteilung im Landtag beeinflusst hat (b).

11

a) Das an den Staat gerichtete Verbot, auf den Wählerwillen Einfluss zu nehmen, ergibt sich aus den in Art. 3 Abs. 1 LV verankerten Grundsätzen der Gleichheit und Freiheit der Wahl (vgl. Caspar, in: ders./Ewer/Nolte/Waack, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, Kiel 2006, Art. 3 Rn. 12, 18, 35 ff., 64 ff.; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. September 2006 – VGH W 13/06 u.a., Juris Rn. 20 zum inhaltsgleichen Art. 76 Abs. 1 der rheinland-pfälzischen Landesverfassung).

12

Aus dem Gleichheitsgrundsatz folgt für alle Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber ein Recht auf Chancengleichheit im Sinne einer Gewährleistung gleicher Wettbewerbschancen (vgl. Caspar, a.a.O., Art. 3 Rn. 39). Der Grundsatz der Freiheit der Wahl besagt, dass jede Wählerin und jeder Wähler das Wahlrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben können muss (vgl. Caspar, a.a.O., Art. 3 Rn. 60; BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009 – 2 BvC 2/06 -, BVerfGE 124, 1 ff., Juris Rn. 95 m.w.N., stRspr.). Jeder soll sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen können (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009, a.a.O. m.w.N., stRspr.).

13

Da jede Wählerin und jeder Wähler in der einen oder anderen Weise jedoch Einflüssen und Beeinflussungsversuchen unterliegt oder Abhängigkeiten ausgesetzt ist und die Beeinflussung der Wählerinnen und Wähler durch die am öffentlichen Meinungsbildungsprozess Beteiligten notwendiger Bestandteil einer freien Wahl ist, wird die Freiheit der Wahl nur durch solche Maßnahmen beeinträchtigt, die objektiv tauglich und konkret wirksam sind, um die Wählerinnen und Wähler zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen und die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit trotz bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009, a.a.O. m.w.N.; Badura, in: Bonner Kommentar, Bd. 7, Anh. z. Art. 38 BWahlG, Rn. 29 ).

14

Daran fehlt es hier. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verletzen die einschlägigen wahlrechtlichen Vorschriften nicht die Chancengleichheit der Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber. Die Wahlorgane haben durch die Gestaltung und Faltung der Stimmzettel weder die ihnen obliegende Neutralitätspflicht verletzt noch auf die Willensbildung der Wählerinnen und Wähler in mehr als nur unerheblichem Maße zugunsten oder zu Lasten von Wahlbewerberinnen und -bewerbern eingewirkt.

15

Die Landesverfassung geht vom Leitbild der mündigen, verständigen und ihr Wahlrecht verantwortungsbewusst ausübenden Wahlbürgerinnen und Wahlbürger aus. Um ihrer Rolle als Souverän gerecht werden zu können, liegt es in ihrer Verantwortung, den Inhalt des gesamten Stimmzettels zu erfassen und insoweit ganz naheliegende Überlegungen anzustellen. Dazu gehört, den Stimmzettel vor Stimmabgabe in Gänze zu entfalten und sorgfältig zu lesen, ohne sich von Äußerlichkeiten desorientieren zu lassen (so auch VerfGH Rheinland-Pfalz, a.a.O., Juris Rn. 22; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2013 – VerfGH 16/12).

16

Zwar ist nicht auszuschließen, dass die Reihenfolge der Wahlbewerberinnen, Wahlbewerber und Parteien auf den Stimmzetteln tatsächlich das Wahlverhalten beeinflussen und die Bewerberinnen und Bewerber ungleich behandeln kann, weil mit der Platzierung auf den ersten Plätzen des Stimmzettels ein gewisser wahlpsychologischer Vorteil verbunden ist (vgl. Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 30 Rn. 8). Jedoch hat die optische Gestaltung des Stimmzettels allenfalls einen minimalen Einfluss auf das Wählerverhalten (vgl. VerfGH Saarland, Urteil vom 29. September 2011 - Lv 4/11, S. 56 nach Einholung zweier Sachverständigengutachten). Darin liegt aber nicht zwangsläufig eine Verletzung der Freiheit und Gleichheit der Wahl, sowie speziell der Chancengleichheit der Wahlbewerberinnen und -bewerber; denn eine Reihenfolge ist unabdingbar. Sofern sie - wie vorliegend - objektiven Kriterien folgt, ist diese hinzunehmen (vgl. Morlok, in: Dreier, Grundgesetzkommentar, 2. Aufl. 2006, Art. 38 Rn. 103; Schreiber, a.a.O., § 30 Rn. 4).

17

Die vom Beschwerdeführer beanstandete optische Absetzung der Namen der Einzelbewerber von denjenigen der übrigen Direktkandidatinnen und -kandidaten entspricht den Vorgaben von §§ 33 Abs. 4 LWahlG, 33 Abs. 1 Satz 1 und 2 Landesverordnung über die Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag (Landeswahlordnung – LWO –) sowie dem Muster der Anlage 18 der LWO. Gemäß § 33 Abs. 4 LWahlG richtet sich die Reihenfolge der Kreiswahlvorschläge nach der Reihenfolge der entsprechenden Landeslisten. Kreiswahlvorschläge sonstiger Parteien schließen sich in alphabetischer Reihenfolge des Namens dieser Parteien an. Es folgen Kreiswahlvorschläge von parteilosen Einzelbewerberinnen und Einzelbewerbern in alphabetischer Reihenfolge des Familiennamens. § 33 Abs. 1 Satz 1 und 2 LWO bestimmt, dass für den Stimmzettel das Muster der Anlage 18 maßgeblich ist und für jede Wahlkreisbewerberin und jeden Wahlkreisbewerber sowie für jede Landesliste jeweils ein abgegrenztes Feld vorzusehen ist.

18

Diese Regelungen dienen primär der Übersichtlichkeit für die Wählerinnen und Wähler (vgl. Schreiber, a.a.O., § 30 Rn. 7 zum im Wesentlichen inhaltsgleichen § 30 Abs. 3 Satz 3 und 4 BWahlG). Darauf haben die Landeswahlleiterin in ihrem Vorprüfungsbericht vom 13. Juli 2012 (Landtags-Umdruck 18/45, Nr. 24, S. 33 f.) und der Landtag in seinem an den Beschwerdeführer gerichteten Bescheid vom 27. September 2012 durch Bezugnahme auf die Landtags-Drucksache 18/163, Anlage 24, S. 80 f. bereits zutreffend hingewiesen. In seiner Stellungnahme hat der Landtag ergänzend ausgeführt, dass der Umstand, dass die Einzelbewerber erst im Anschluss an die Wahlvorschläge der Parteien aufgeführt seien, die praktische Konsequenz aus der Erfahrung sei, dass die überwiegende Zahl der Wählerinnen und Wähler sich an der Parteizugehörigkeit der Bewerberinnen und Bewerber orientiere und die Wahl von Einzelbewerberinnen und -bewerbern faktisch der seltenere Fall sei.

19

Außerdem erschließt sich der Durchschnittswählerin bzw. dem Durchschnittswähler durch einfachste Überlegung, dass jede in der linken Spalte des Stimmzettels angeführte Person mit der Erststimme wählbar ist.

20

Ferner ist nicht zu beanstanden, dass vorgefaltete Stimmzettel ausgegeben wurden. Diese Verfahrensweise ist weder nach dem LWahlG noch nach der LWO untersagt. Das Bereithalten gefalteter Stimmzettel stellt vielmehr einen Service des Wahlvorstandes zur Erleichterung der geheimen Stimmabgabe dar; denn die Wählerinnen und Wähler sind gemäß § 44 Abs. 3 Satz 1 LWO verpflichtet, den Stimmzettel nach Kennzeichnung so zusammenzufalten, dass dessen Inhalt verdeckt ist. Bei Missachtung hat der Wahlvorstand die Wählerin oder den Wähler gemäß § 44 Abs. 5 Nr. 2 LWO zurückzuweisen.

21

Der Einwand des Beschwerdeführers, sein Name werde beim Wahlvorgang dadurch verdeckt, dass mit rechts schreibende Wählerinnen und Wähler den Stimmzettel an dieser Stelle festhielten, um ihn zu fixieren, was dazu geführt habe, dass nur wenige ihn – den Beschwerdeführer – gewählt hätten, greift nicht durch, weil mündige Wahlberechtigte, die den vollständigen Inhalt des Stimmzettels zur Kenntnis nehmen, als Maßstab anzusetzen sind. Den Stimmzettel zunächst entfalten zu müssen, um ihn in Gänze lesen, und sodann dessen Inhalt – einschließlich der Spalte der Direktkandidatinnen und Direktkandidaten – insgesamt erfassen zu können, gehört zu den zumutbaren Obliegenheiten der Wählerinnen und Wähler.

22

Zudem besteht unmittelbar vor Ausübung des Wahlrechts die Möglichkeit, den ungefalteten Stimmzettel in voller Größe einzusehen; denn durch Aushang der Wahlbekanntmachung und eines als Muster gekennzeichneten Stimmzettels am oder im Eingang des Gebäudes, in dem sich der Wahlraum befindet (vgl. § 37 Abs. 2 LWO), wird sichergestellt, dass sich jede Wählerin und jeder Wähler rechtzeitig vor Stimmabgabe über die Wahlmöglichkeiten informieren kann.

23

b) Unterstellte man dennoch, dass einzelne Wählerinnen und Wähler durch die Anordnung der Direktkandidatinnen und -kandidaten auf dem Stimmzettel sowie die Faltung desselben bei der Stimmabgabe irritiert worden sind und anders gewählt haben als sie es bei richtiger Wahrnehmung des Inhalts des Stimmzettels beabsichtigt hätten, ist eine Mandatsrelevanz, das heißt eine Auswirkung auf die Sitzverteilung des Landtages, fernliegend. Die anderslautende Einschätzung des Beschwerdeführers ist reine Spekulation.

24

Der Abstand des Beschwerdeführers zur gewählten Bewerberin ist so groß, dass ein anderer Wahlausgang außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt. Nach dem endgültigen Ergebnis der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 6. Mai 2012 (Bekanntmachung der Landeswahlleiterin im Amtsblatt Nr. 23 vom 4. Juni 2012, S. 499, 502) hat der Beschwerdeführer 99 Stimmen erzielt, der weitere Einzelbewerber mit 212 Stimmen bereits mehr als doppelt so viele. Der Wahlkreisbewerber einer politischen Partei, der die geringste Stimmenzahl erreicht hat, hat mit 1.054 Stimmen mehr als das Zehnfache der Stimmenzahl des Beschwerdeführers errungen. Die im Wahlkreis 3 direkt gewählte Kandidatin hat 12.446 Stimmen auf sich vereint. Selbst wenn man zugunsten des Beschwerdeführers den unwahrscheinlichen Fall annähme, dass sämtliche in Flensburg abgegebenen ungültigen Erststimmen, insgesamt 589, ihm zugutegekommen wären, hätte dies das Wahlergebnis nicht beeinflusst.

25

Das Verfahren ist kostenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 1 und 4 LVerfGG).


ra.de-Urteilsbesprechung zu Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 20. Juni 2013 - LVerfG 6/12

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 20. Juni 2013 - LVerfG 6/12

Referenzen - Gesetze

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 20. Juni 2013 - LVerfG 6/12 zitiert 2 §§.

Bundeswahlgesetz - BWahlG | § 30 Stimmzettel


(1) Die Stimmzettel und die zugehörigen Umschläge für die Briefwahl (§ 36 Abs. 1) werden amtlich hergestellt. (2) Der Stimmzettel enthält 1. für die Wahl in den Wahlkreisen die Namen der Bewerber der zugelassenen Kreiswahlvorschläge, bei Kreiswah

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 20. Juni 2013 - LVerfG 6/12 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 20. Juni 2013 - LVerfG 6/12 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 30. Aug. 2010 - LVerfG 1/10

bei uns veröffentlicht am 30.08.2010

Tenor § 1 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2, § 3 Absatz 5 und § 16 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1991 (Gesetz-und Verordnungsblatt Seite 442, berichtigt Seite 637), zuletzt geä
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 20. Juni 2013 - LVerfG 6/12.

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 30. Sept. 2014 - 3 K 14.805

bei uns veröffentlicht am 30.09.2014

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen hat der Kläger zu tragen. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vol

Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss, 13. Juni 2014 - VGH N 14/14, VGH B 16/14

bei uns veröffentlicht am 13.06.2014

Tenor 1. Artikel 1 Nummer 12, Nummer 13 und Nummer 24 des Sechzehnten Landesgesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 8. Mai 2013 (GVBl. S. 139) sind mit Artikel 50 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 76 Absatz 1 der Verfassung

Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss, 04. Apr. 2014 - VGH A 15/14, VGH A 17/14

bei uns veröffentlicht am 04.04.2014

Tenor 1. Die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. 2. Auf die Anträge der Antragstellerinnen zu 1) und 2) sowie die Anträge der Beschwerdeführer zu 2) bis 5) wird der Vollzug von Artikel

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 13. Sept. 2013 - LVerfG 7/12

bei uns veröffentlicht am 13.09.2013

Tenor Die Wahlprüfungsbeschwerde wird verworfen, soweit mit ihr die Feststellung begehrt wird, Artikel 3 Absatz 3 der Landesverfassung sei unvereinbar mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 2a der Landesverfassung in Verbindung mit

Referenzen

Tenor

§ 1 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2, § 3 Absatz 5 und § 16 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1991 (Gesetz-und Verordnungsblatt Seite 442, berichtigt Seite 637), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. März 2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 392) verletzen in ihrem Zusammenspiel Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 10 Absatz 2 der Landesverfassung.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31. Mai 2011 eine mit der Landesverfassung übereinstimmende Rechtslage herbeizuführen.

Spätestens bis zum 30. September 2012 ist eine Neuwahl herbeizuführen.

Im Übrigen werden die Wahlprüfungsbeschwerden zurückgewiesen.

Das Land Schleswig-Holstein hat den Beschwerdeführern zu 1), 2) und 3) die notwendigen Auslagen zu Zweidritteln zu erstatten.

Gründe

A.

1

Gegenstand der Wahlprüfung sind Beschwerden einer Fraktion des Schleswig-Holsteinischen Landtages und mehrerer Wahlberechtigter gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 28. Januar 2010 über die Gültigkeit der Landtagswahl vom 27. September 2009 (Landtags-Drucksache 17/192 , PlPr 17/9, S. 681).

I.

2

1. Die maßgeblichen Vorschriften der Landesverfassung (LV) lauten:

3

Artikel 3

        

Wahlen und Abstimmungen

        

(1) Die Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und die Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.

        

(2)–(4) […]

        
Artikel 10

Funktion und Zusammensetzung des Landtages

(1)[…]

(2) Der Landtag besteht aus fünfundsiebzig Abgeordneten. Ab der 16. Wahlperiode besteht der Landtag aus neunundsechzig Abgeordneten. Sie werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Die in Satz 1 genannte Zahl ändert sich nur, wenn Überhangoder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Das Nähere regelt ein Gesetz, das für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss.

4

2. § 1 Abs. 1 Satz 1 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Landeswahlgesetz - LWahlG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1991 (GVOBl S. 442, ber. S. 637), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. März 2010 (GVOBl S. 392) legt fest, dass der Landtag aus 69 Abgeordneten vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen besteht. § 1 Abs. 2 LWahlG bestimmt, dass jede Wählerin und jeder Wähler zwei Stimmen hat; eine Erststimme für die Wahl einer Bewerberin oder eines Bewerbers im Wahlkreis, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG werden von der Gesamtzahl der Abgeordneten 40 durch Mehrheitswahl in den Wahlkreisen und die übrigen durch Verhältniswahl aus den Landeslisten der Parteien auf der Grundlage der abgegebenen Zweitstimmen und unter Berücksichtigung der in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber gewählt. Hierzu wird das Land in 40 Wahlkreise eingeteilt, § 16 Abs. 1 LWahlG. Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises darf nicht mehr als 25 v. H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise abweichen (§ 16 Abs. 3 Satz 1 LWahlG). Maßgebend ist die vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein fortgeschriebene Bevölkerungszahl nach dem Stand vom 30. Dezember des vierten Jahres vor der Wahl (§ 16 Abs. 3 Satz 2 LWahlG). Im Wahlkreis ist gewählt, wer die meisten Stimmen erhalten hat, § 2 Satz 1 LWahlG.

5

Das weitere Verfahren ist in § 3 LWahlG wie folgt geregelt:

6

§ 3 LWahlG

Wahl der Abgeordneten aus den Landeslisten

(1)An dem Verhältnisausgleich nimmt jede Partei teil, für die eine Landesliste aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern für sie in mindestens einem Wahlkreis eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter gewählt worden ist oder sofern sie insgesamt fünf v. H. der im Land abgegebenen gültigen Zweitstimmen erzielt hat. Diese Einschränkungen gelten nicht für Parteien der dänischen Minderheit.

(2)Von der Gesamtzahl der Abgeordneten (§ 1 Abs. 1 Satz 1) werden die Zahl der in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber einer Partei, für die keine Landesliste zugelassen oder die nicht nach Absatz 1 zu berücksichtigen ist, sowie die Zahl der in den Wahlkreisen erfolgreichen parteilosen Einzelbewerberinnen und Einzelbewerber (§ 24 Abs. 1) abgezogen.

(3)Für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze werden die für jede Landesliste einer am Verhältnisausgleich teilnehmenden Partei abgegebenen gültigen Zweitstimmen zusammengezählt. Anhand der Gesamtstimmenzahlen wird für jede ausgleichsberechtigte Partei nach der Reihenfolge der Höchstzahlen, die sich durch Teilung durch 1, 2, 3, 4 usw. ergibt (Höchstzahlenverfahren), festgestellt, wie viele der nach Absatz 2 verbleibenden Sitze auf sie entfallen (verhältnismäßiger Sitzanteil). Über die Zuteilung des letzten Sitzes entscheidet bei gleicher Höchstzahl das von der Landeswahlleiterin oder dem Landeswahlleiter zu ziehende Los.

(4)Die Parteien erhalten so viele Sitze aus den Landeslisten, wie ihnen unter Anrechnung der in den Wahlkreisen für sie gewählten Bewerberinnen und Bewerber an dem verhältnismäßigen Sitzanteil fehlen.

(5) Ist die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil, so verbleiben ihr die darüber hinausgehenden Sitze (Mehrsitze). In diesem Fall sind auf die nach Absatz 3 Satz 2 und 3 noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen so lange weitere Sitze zu verteilen und nach Absatz 4 zu besetzen, bis der letzte Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt ist. Die Anzahl der weiteren Sitze darf dabei jedoch das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze nicht übersteigen. Ist die nach den Sätzen 1 bis 3 erhöhte Gesamtsitzzahl eine gerade Zahl, so wird auf die noch nicht berücksichtigte nächstfolgende Höchstzahl ein zusätzlicher Sitz vergeben.

(6)Innerhalb der Parteien werden die aus den Landeslisten zu verteilenden Sitze nach der sich aus den Listen ergebenden Reihenfolge verteilt. Entfallen auf eine Partei mehr Sitze, als Bewerberinnen und Bewerber auf ihrer Landesliste vorhanden sind, so bleiben diese Sitze leer.

(7) Aus der Landesliste scheiden aus:

1. Bewerberinnen und Bewerber, die in einem Wahlkreis unmittelbar gewählt sind,

2. Bewerberinnen und Bewerber, die nach der Aufstellung der Landesliste einer Partei aus dieser ausgeschieden oder einer anderen Partei beigetreten sind.

7

2. Nach dem endgültigen Ergebnis der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 27. September 2009 (Bekanntmachung im Amtsblatt Nr. 44 vom 2. November 2009, S. 1129, Berichtigung im Amtsblatt Nr. 7 vom 15. Februar 2010, S. 214) entfielen von den gültigen Zweitstimmen

8

auf die CDU

31,5 %,

auf die SPD

25,4 %,

auf die FDP

14,9 %,

auf die GRÜNEN

12,4 %,

auf den SSW

4,3 %

und auf DIE LINKE

6,0 %.

9

Von den 69 zu vergebenden Sitzen entfielen nach § 3 Abs. 3 LWahlG

10

auf die CDU

23 Sitze,

auf die SPD

19 Sitze,

auf die FDP

11 Sitze,

auf die GRÜNEN

9 Sitze,

auf den SSW

3 Sitze

und auf DIE LINKE

4 Sitze.

11

Darüber hinaus sind für die CDU elf Mehrsitze entstanden (§ 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG), nachdem ihre Bewerberinnen und Bewerber in 34 von 40 Wahlkreisen erfolgreich waren. Nach § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG sind daraufhin 22 weitere Sitze verteilt worden. Davon entfielen

12

auf die CDU

8,   

auf die SPD

6,   

auf die FDP

3,   

auf die GRÜNEN

3 sowie

auf den SSW und DIE LINKE je

1 Sitz.

13

Die acht weiteren Sitze der CDU waren bereits als Direktmandate besetzt und wurden nach § 3 Abs. 4 LWahlG angerechnet.

14

Zuzüglich der danach ungedeckt gebliebenen drei Mehrsitze der CDU und eines Sitzes gemäß § 3 Abs. 5 Satz 4 LWahlG, der an DIE LINKE vergeben wurde, besteht der Landtag aus 95 Abgeordneten. Davon entfallen im Ergebnis

15

auf die CDU

34,

auf die SPD

25,

auf die FDP

14,

auf die GRÜNEN

12,

auf den SSW

4       

und auf DIE LINKE

6 Sitze.

16

Erstmals in der schleswig-holsteinischen Wahlgeschichte seit 1947 ist es damit zur Entstehung „ungedeckter“ Mehrsitze (Überhangmandate) gekommen (vgl. die Aufstellung „Wahlen in Schleswig-Holstein seit 1947“, Sitzverteilung, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2009). Mehrsitze waren zwar auch schon bei früheren Wahlen entstanden, doch wurden diese durch die Anzahl an weiteren Sitzen im Rahmen des Verhältnisausgleichs vollständig gedeckt: Nach dem endgültigen Wahlergebnis von 1992 errang die SPD einen verhältnismäßigen Sitzanteil von 38 Sitzen, gewann aber zugleich alle 45 Wahlkreise (Amtsbl. S. 292, 295). Im Jahr 2000 errang sie einen verhältnismäßigen Sitzanteil von 34 Sitzen und gewann 41 Wahlkreise (Amtsbl. S. 206, 219). Die jeweils errungenen sieben Mehrsitze gingen in den 14 weiteren Sitzen vollständig auf, der Landtag bestand aus 89 statt 75 Sitzen.

17

Gegen das am 2. November 2009 bekanntgemachte Ergebnis der Landtagswahl vom 27. September 2009 gingen bei der Landeswahlleiterin 438 Einsprüche ein, die sich überwiegend mit der Auslegung und / oder der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG befassten. Nach entsprechender Vorprüfung leitete die Landeswahlleiterin die Einsprüche zur Vorbereitung der Wahlprüfung durch den Landtag an den Innen- und Rechtsausschuss als Wahlprüfungsausschuss weiter. Die in den Einsprüchen geltend gemachten verfassungsrechtlichen Zweifel an § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG wurden von der Landeswahlleiterin nicht geteilt; im Übrigen sei es allein Sache des Landesverfassungsgerichts, über die Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsnormen zu befinden (Vorprüfungsbericht vom 14. Dezember 2009, Landtags-Umdruck 17/117).

18

Am 13. Januar 2010 beschloss der Wahlprüfungsausschuss, die Stimmzettel aus dem Wahlkreis Husum 003 in einer öffentlichen Sitzung durch den Landeswahlausschuss neu auszählen zu lassen (IR 17/7, S. 12). Nach der Neuauszählung am 22. Januar 2010 empfahl der Wahlprüfungsausschuss dem Landtag, das Wahlergebnis dem Ergebnis der Neuauszählung entsprechend zu berichtigen und die Einsprüche im Übrigen zurückzuweisen (Landtags-Drucksache 17/192). Am 28. Januar 2010 beschloss der Landtag mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP, diese Empfehlung anzunehmen (PlPr 17/9, S. 681 f.). Der Beschluss wurde den einspruchsführenden Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern in der Zeit vom 12. Februar bis zum 5. März 2010 jeweils gesondert zugestellt und das berichtigte Wahlergebnis neu bekanntgemacht (Amtsbl. Nr. 7 vom 15. Februar 2010 S. 214).

II.

19

Gegen den Beschluss des Landtages vom 28. Januar 2010 haben eine Fraktion und eine Vielzahl von Wahlberechtigten fristgerecht Beschwerden zur Korrektur des Wahlergebnisses erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 17. Mai 2010 unter dem Aktenzeichen LVerfG 1/10 zur gemeinsamen Entscheidung miteinander verbunden hat. Die Beschwerdeführerinnen und -führer begehren eine Änderung des Landtagsbeschlusses und eine Neufeststellung des Wahlergebnisses mit einer verhältnismäßigen Sitzverteilung, die alle Mehrsitze deckt.

20

Einige Beschwerdeführer beanstanden bereits das Verfahren der Wahlprüfung durch den Landtag. Tatsächlich habe nur die weisungsgebundene Landeswahlleiterin eine Prüfung der Einsprüche vorgenommen. Es fehle eine eigene sachliche Prüfung der Einsprüche gegen die Gültigkeit der Landtagswahl durch den Landtag. Zudem sei der Beschluss des Landtages nicht ausreichend begründet. Beide Verfahrensfehler seien wesentlich und entzögen der parlamentarischen Entscheidung die Grundlage. In einem „normalen“ Gerichtsverfahren wäre der Landtagsbeschluss deshalb aufzuheben und das Verfahren an den Landtag zur erneuten Beratung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Beschwerdeführer zu 16) rügt zudem, dass ihm die Einsicht in die Vorgänge anderer Einspruchsverfahren verweigert worden sei. Außerdem habe der Landtag auch die Verfassungswidrigkeit von Wahlnormen prüfen müssen.

21

Inhaltlich kritisieren die Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass die Sitzzuteilung nicht mit dem Wählerwillen übereinstimme. Obwohl CDU und FDP vom Zweitstimmenanteil her in der Minderheit seien, komme ihnen aufgrund der ungedeckten Mehrsitze eine Mehrheit an Landtagssitzen zu. Dies beruhe auf einem fehlerhaften Verständnis des § 3 Abs. 5 LWahlG und der in Satz 3 vorgesehenen Begrenzung des Sitzausgleichs. Wären die zum Zweck des Ausgleichs der Mehrsitze zu vergebenden weiteren Sitze vollständig den anderen Parteien zugewiesen worden, hätte dies zu einem vollen Ausgleich aller Mehrsitze und zu anderen Mehrheiten im Landtag geführt. Die Entstehungsgeschichte und die Parallelität zu § 10 Abs. 4 des Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz - GKWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1997 (GVOBl S. 151), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. September 2009 (GVOBl S. 572) seien nicht zur Auslegung heranzuziehen, nachdem 1997 für die Landtagswahlen das Zweistimmenwahlrecht eingeführt worden sei.

22

Außerdem sei die Mehrsitzbegrenzung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG im Rahmen der Ausgleichsregelung verfassungswidrig. Artikel 10 Abs. 2 Satz 5 LV konkretisiere den Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 LV und verpflichte den Gesetzgeber, für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorzusehen; einen vorzeitigen Abbruch des Ausgleichs dürfe das Gesetz deshalb nicht erlauben. Der Verbleib von ungedeckten Mehrsitzen verzerre die nach Art. 3 Abs. 1 LV gebotene Gleichheit der Wählerstimmen in ihrem Erfolgswert. Zumindest verstoße die Vorschrift des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG gegen das Gebot der Normenklarheit.

23

Das geltende Wahlrecht begünstige mit den § 2 und § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG über die Mehrheits- oder Persönlichkeitswahl in Verbindung mit der Wahlkreiseinteilung nach § 16 LWahlG in unverhältnismäßiger Anzahl das Entstehen von Überhangmandaten und verstoße auch insoweit gegen den Grundsatz der gleichen Wahl in Art. 3 Abs. 1 LV, ohne dass es noch auf die Ausgleichsregelung in Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV in Verbindung mit § 3 Abs. 5 LWahlG ankomme. Der Beschwerdeführer zu 11) wendet sich zudem gegen das Höchstzahlenverfahren nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG.

III.

24

1. Der Landtag hält die Wahlprüfungsbeschwerden für unbegründet. Abgesehen davon, dass die Wahlprüfung formell rechtmäßig durchgeführt worden sei, könne ein Verfahrensfehler nicht auf die materielle Rechtsanwendung in der Wahl selbst durchschlagen und diese ungültig oder ihr Ergebnis korrekturbedürftig machen. Im Übrigen sehe das Gesetz eine Zurückverweisung an den Landtag nicht vor.

25

Die Anwendung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG sei nicht zu beanstanden. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte oder Systematik der Norm geböten eine Auslegung im Sinne des sogenannten großen Ausgleichs. Der Begriff „weitere Sitze“ sei als Oberbegriff für die Begriffe Mehrsitze und Ausgleichsmandate zu verstehen und umfasse deshalb auch diejenigen Sitze, die als Mehrsitze auf nicht berücksichtigte Höchstzahlen der Mehrsitzpartei entfielen. Daran ändere auch die Einführung des Zweistimmenwahlrechts nichts, weil der Gesetzgeber dabei bewusst von einer Änderung des § 3 Abs. 5 LWahlG abgesehen und weiterhin am Vorbildcharakter des § 10 Abs. 4 GKWG festgehalten habe. Die Vorschrift des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG sei auch verfassungsgemäß und verstoße insbesondere nicht gegen das Gebot der Normenklarheit.

26

Der Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 LV gebiete keinen „Vollausgleich“. Er gebe in Satz 5 zwar vor, dass Ausgleichsmandate vorzusehen seien, besage aber nicht, wie viele. Insofern habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Entstehungsgeschichtlich sei die im zeitlichen Zusammenhang stehende Änderung des Landeswahlgesetzes als verfassungskonforme Konkretisierung des gleichzeitig beschlossenen Art. 10 Abs. 2 LV anzusehen. Obwohl Art. 10 Abs. 2 LV eine stärkere Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältniswahl bezwecke, sei ein Wahlverfahren allein nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen ausgeschlossen. Vielmehr sei vorrangig der in den Elementen der Persönlichkeitswahl zum Ausdruck kommende Wählerwille zu respektieren. Hier liege in Schleswig-Holstein traditionell und historisch gewachsen ein deutliches Mehrgewicht.

27

Die Einschränkung der verhältniswahlrechtlichen Erfolgswertgleichheit aller abgegebenen Stimmen bei der Entstehung nicht vollständig ausgeglichener Überhangmandate durch § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG sei im System der vom schleswigholsteinischen Verfassungsgeber vorgesehenen, um Elemente der Verhältniswahl ergänzten Persönlichkeitswahl angelegt. Der Erfolgswertgleichheit komme hier nur eine von vornherein begrenzte Tragweite zu, weil der Proporz nach Zweitstimmen nicht zum ausschließlichen Verteilungssystem erhoben werde. § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG diene zudem dem verfassungsrechtlich anerkannten Zweck, die Funktionsfähigkeit des Parlaments durch Begrenzung des Anwachsens der Zahl seiner Mitglieder zu gewährleisten. Die Entscheidung, ab wann eine Vergrößerung des Landtages nicht mehr hinnehmbar sei, obliege dem Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums.

28

2. Die Landeswahlleiterin weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass sie ihr Amt als unabhängiges Wahlorgan außerhalb der allgemeinen Verwaltungsorganisation und -hierarchie, unabhängig und frei von Weisungen Dritter wahrnehme. Bei der Anwendung des § 3 Abs. 5 LWahlG zur Feststellung des Ergebnisses der Landtagswahl vom 27. September 2009 sei auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zum inhaltsgleichen § 10 Abs. 4 GKWG zurückgegriffen worden, der als Vorbild für § 3 Abs. 5 LWahlG gedient habe. Danach seien Parteien, die über Mehrsitze verfügen, in den (weiteren) Verhältnisausgleich einzubeziehen, so dass bei der Verteilung der „weiteren Sitze“ auch die noch nicht verbrauchten Höchstzahlen der „Mehrsitzpartei“ zu verwenden seien.

29

Der dem Gesetzgeber für die Verbindung der beiden in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV vorgesehenen Wahlsysteme eingeräumte Gestaltungsspielraum sei gewahrt und dessen Ausgestaltung mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbar. Maßgeblich sei allein, dass die Wahlgleichheit in jedem der beiden miteinander verbundenen Wahlsysteme jeweils für sich betrachtet eingehalten werde. Wenn für das Bundesrecht anerkannt sei, dass sich das System der Mehrheitswahl gegenüber dem der Verhältniswahl so weit durchsetzen dürfe, dass bei Zulassung von Überhangmandaten keinerlei Ausgleich gewährt werde, müsse auch die vom Landesgesetzgeber gewählte „Zwischenlösung“ mit einem nur begrenzten Verhältnisausgleich zulässig sein. Für den Ausgleich von Überhangmandaten räume Art. 10 Abs. 2 LV dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum ein. Der Verfassungsgeber habe hier bewusst keine Festlegung getroffen, um mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments eine Begrenzung zu ermöglichen.

B.

30

Gegen die Entscheidung des Landtages vom 28. Januar 2010 über die Gültigkeit der Landtagswahl vom 27. September 2009 ist gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV, § 3 Nr. 5 LVerfGG die Beschwerde zum Landesverfassungsgericht gegeben. Zur Beschwerde befugt sind nicht nur die Wahlberechtigten, deren Einsprüche vom Landtag verworfen wurden (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 LVerfGG), sondern auch einzelne Landtagsfraktionen, § 49 Abs. 1 Nr. 3 LVerfGG.

31

Gegenstand der Wahlprüfung ist die Rechtmäßigkeit des die Wahlprüfung abschließenden Beschlusses des Landtages und die von ihm angenommene Gültigkeit der Wahl (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV, § 50 Abs. 1 LVerfGG, § 43 Abs. 2 LWahlG).

C.

32

Die Wahlprüfungsbeschwerden sind im tenorierten Umfang begründet. Zwar dringen die Rügen zum Verfahren der Wahlprüfung durch den Landtag (I.) und zur fehlerhaften Anwendung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG (II.) nicht durch. Zu Recht wird aber die Verfassungswidrigkeit des Landeswahlrechts geltend gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs in § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG für sich betrachtet gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit verstößt. Jedenfalls führen § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG im Zusammenspiel in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität derzeit und in Zukunft dazu, dass der Landtag die in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV vorgeschriebene Abgeordnetenzahl von 69 regelmäßig verfehlt und so Überhangmandate und ihnen folgend Ausgleichsmandate erst in einem nicht mehr vertretbaren Ausmaß entstehen können. Dies ist mit der Verfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) unvereinbar. Eine verfassungskonforme Auslegung der Regelungen in § 3 Abs. 5, § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 16 LWahlG ist nicht möglich (III.). Die festgestellten Verfassungsverstöße führen zu mandatsrelevanten Wahlfehlern. Sie können jedoch weder zur Neufeststellung des Ergebnisses noch zur Ungültigerklärung der Wahl zum 17. Landtag führen. Allerdings sind die Fehler so schwerwiegend, dass die Legislaturperiode auf den 30. September 2012 zu beschränken ist. Diese Frist ist notwendig, weil der Landtag zuvor das Landeswahlgesetz ändern muss, um eine mit der Landesverfassung übereinstimmende Rechtslage herbeizuführen. Für die notwendigen gesetzlichen Neuregelungen genügt eine Frist bis spätestens zum 31. Mai 2011 (IV.).

I.

33

Etwaige formelle Mängel im Verfahren der Wahlprüfung durch den Landtag vermögen weder zur Annahme eines entscheidungserheblichen Wahlfehlers noch zur Zurückverweisung an den Landtag führen. Solche Fehler können im Übrigen auch nicht festgestellt werden.

34

1. Trotz individuell möglichen Rechtsschutzes und Verwirklichung des aktiven und passiven Wahlrechts in der Wahlprüfung ist der Streitgegenstand der Beschwerde nach § 43 Abs. 2 LWahlG vom Grundsatz her auf die Sachentscheidung des Landtages beschränkt (vgl. zum Bundeswahlrecht: Achterberg/ Schulte, in: v. Mangoldt / Klein/ Starck , Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 5. Aufl. 2005, Art. 41 Rn. 56; Seifert , Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, GG Art. 41 Rn. 20; Rechenberg , in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Band 7, Zweitbearbeitung, Art. 41 Rn. 48 ). Ziel des Wahlprüfungsverfahrens ist nicht die Korrektur einer Verletzung subjektiver Rechte, sondern die Gewährleistung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. September 2009 - 2 BvR 1928/09 u.a. - Juris Rn. 11 m.w.N.; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu/ Klein/ Bethge , Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Kommentar - Band 1, § 48 Rn. 39a ).

35

Sollten dem Landtag im Rahmen der Wahlprüfung nach § 43 Abs. 1 LWahlG Verfahrensfehler unterlaufen, wäre die Gültigkeit der Wahl davon nicht betroffen. Denn die Wahlprüfung findet erst im Anschluss an die Wahl einschließlich der Ergebnisfeststellung durch den Landeswahlausschuss nach § 41 Abs. 3 LWahlG statt und stellt ein eigenes parlamentarisches Kontrollinstrument dar (vgl. zum Bundeswahlrecht: Morlok, in: Dreier , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rn. 7). Dass der angegriffene Landtagsbeschluss im Falle eines Verfahrensfehlers aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Beratung und Entscheidung zurückverwiesen wird, ist im Übrigen weder im Landesverfassungsgerichtsgesetz noch im ergänzend anzuwendenden Landeswahlgesetz vorgesehen und kommt wegen des geltenden Gebots der Verfahrensbeschleunigung auch grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. zum Bundeswahlrecht: Glauben , in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Band 7, Drittbearbeitung, Art. 41 Rn. 112 ; Klein, in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz - Kommentar -Band IV, Art. 41 Rn. 95). Vielmehr hat das Gericht nach Möglichkeit in der Sache selbst zu entscheiden (ebenso: Achterberg/ Schulte, a.a.O., Art. 41 Rn. 57; Rechenberg, a.a.O., Rn. 48).

36

2. Dessen ungeachtet wären Mängel in dem durch den Landtag durchgeführten Verfahren der Wahlprüfung allenfalls dann beachtlich, wenn sie wesentlich wären und dem angegriffenen Landtagsbeschluss so seine Grundlage entziehen würden (vgl. allgemein: BVerfG, Beschlüsse vom 20. Oktober 1993 - 2 BvC 2/91 - BVerf-GE 89, 243 ff., Juris Rn. 33 f.; vom 23. November 1993 - 2 BvC 15/91 - BVerfGE 89, 291 ff., Juris Rn. 39 f.; und Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 78; dem folgend Morlok, a.a.O., Art. 41 Rn. 23; Klein, a.a.O., Art. 41 Rn. 92). Das ist jedoch nicht der Fall.

37

a) Die Zuständigkeiten sind eingehalten. Landtag und parlamentarischer Wahlprü-fungsausschuss haben sich selbst jeweils hinreichend mit den Einsprüchen und der Gültigkeit der Wahl befasst und ihre Entscheidung in einem noch ausreichenden Maße begründet, ohne dass dabei ein unzulässiger Einfluss vonseiten der Landesregierung festzustellen wäre.

38

aa) Die Wahlprüfung nach Art. 3 Abs. 3 LV, § 43 Abs. 1 Satz 1 LWahlG liegt in der ausschließlichen Zuständigkeit des Landtages. Davor findet eine Vorprüfung durch einen hierfür bestellten parlamentarischen Ausschuss statt, § 43 Abs. 1 Satz 2 LWahlG. § 65 Satz 1 der Landeswahlordnung - LWO - vom 17. Juli 2009 (GVOBl S. 430) schaltet dieser eine Vorprüfung durch die Landeswahlleiterin vor. Diese Bestimmung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie greift insbesondere nicht unter Verstoß gegen höherrangiges Recht in die ausschließliche Zuständigkeit des Landtages ein.

39

Die vom Innenministerium zur Durchführung des Landeswahlgesetzes erlassene Landeswahlordnung beruht auf § 58 LWahlG. Sie regelt unter anderem die Vorbereitung der Wahlprüfung, § 58 Nr. 17 LWahlG. Entsprechend ist § 65 LWO nicht nur überschrieben, sondern auch seinem Inhalt nach zu verstehen. Hierzu gehört die Vorprüfung durch die Landeswahlleiterin nach § 65 Satz 1 LWO. Nach § 65 Satz 2 LWO übermittelt sie nach Abschluss der Vorprüfung das Ergebnis und die Unterlagen an den vom Landtag zur Vorprüfung bestellten Ausschuss (Wahlprü-fungsausschuss). Nach § 65 Satz 3 LWO führt die Landeswahlleiterin die weiteren vom Wahlprüfungsausschuss noch für erforderlich gehaltenen Ermittlungen durch. Dass die Vorbereitung durch die Landeswahlleiterin ihrerseits als Vorprüfung bezeichnet und konzipiert ist, stellt keinen Widerspruch zur eigentlichen Vorprüfung durch den zuständigen Wahlprüfungsausschuss des Landtages dar. Die Vorprüfung durch die Landeswahlleiterin entspricht vielmehr einer Selbstprüfung, wie sie im Verwaltungsvorverfahren bei einem Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt durch die Ausgangsbehörde als Abhilfebehörde zu erfolgen hat (vgl. § 72 VwGO), oder - wie es der Landtag formuliert - einer „Vorprüfung der Vorprüfung“.

40

bb) Der Wahlprüfungsausschuss hat die Einsprüche und die Gültigkeit der Wahl in eigener Verantwortung und in hinreichender Weise geprüft und eine entsprechende Beschlussvorlage (Landtags-Drucksache 17/192) für den Landtag beschlossen. Auch wenn er sich insoweit durch die Landeswahlleiterin nach dem beschriebenen Verfahren der Landeswahlordnung hat vorbereitend zuarbeiten lassen, hat er letztlich eine eigene Entscheidung getroffen. In seiner 1. Sitzung am 13. Januar 2010 ließen sich die Abgeordneten den Vorprüfungsbericht (Landtags-Umdruck 17/117) von der Landeswahlleiterin erläutern, stellten gezielt Fragen zu einzelnen Einsprüchen und befassten sich insbesondere auch mit dem Einspruch des Beschwerdeführers zu 16) (IR 17/7, S. 9). Für die 2. Sitzung am 28. Januar 2010 lag dem Ausschuss nicht nur ein Beschlussvorschlag der Landeswahlleiterin (Landtags-Drucksache 17/257 ) vor, sondern auch deren übrigen Berichte nebst zwei Anträgen, über die kontrovers diskutiert und abgestimmt wurde (IR 17/9). Unabhängig davon kann allein aus der Tatsache, dass die Protokolle nicht ausdrücklich erkennen lassen, dass sich der Ausschuss mit jedem einzelnen Einspruch befasst hat, nicht gefolgert werden, dass insoweit eine unzureichende parlamentarische Prüfung stattgefunden hätte. Weder gibt es normative Vorgaben für den äußeren Rahmen der Befassung, den inhaltlichen Umfang oder die Dokumentation der Vorprüfung durch den Wahlprüfungsausschuss noch ergeben sich solche aus der Natur der Sache.

41

cc) Die Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses ist im Ergebnis auch noch ausreichend begründet. Obwohl weder den Regelungen des Wahlrechts noch den allgemein für Ausschüsse des Landtages geltenden Vorschriften der Geschäftsordnung (§§ 14 ff. GO-LT) zu entnehmen ist, dass die Beschlussempfehlung mit einer schriftlichen Begründung zu versehen ist, folgt doch aus ihrer speziellen Aufgabe im Rahmen der Wahlprüfung, dass eine Begründung erforderlich ist, aus der sich die wesentlichen, zum Prüfungsergebnis führenden Umstände ergeben müssen. Nur so kann sie eine ausreichende Grundlage für die Beschlussfassung des Landtages sein. Folgt der Landtag der Beschlussempfehlung, so ist deren Begründung für die Einspruchsführenden zugleich „Antwort“ auf ihr Vorbringen. Erst anhand einer solchen Begründung können die Einspruchsführenden beurteilen, ob die Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden soll. Die Begründung dient damit nicht nur der Dokumentation. Sie ist, sofern der Landtag der Beschlussempfehlung folgt, Grundlage der späteren gerichtlichen Kontrolle.

42

Hiervon ausgehend wäre eine klarere Abgrenzung der parlamentarischen (Vor-) Prüfung von der Vorbereitung durch die Landeswahlleiterin im Interesse von Transparenz und Akzeptanz der Wahlprüfung wünschenswert. Dennoch wird das Vorgehen des Wahlprüfungsausschusses und des Landtages den genannten Anforderungen noch gerecht. Mit der Weiterleitung des ihm vorliegenden Vorprüfungsberichts nebst Anlagen hat der Ausschuss dem Landtag zu erkennen gegeben, dass er sich hierauf inhaltlich bezieht und dessen Begründung übernimmt, soweit nicht einigen Einsprüchen abgeholfen und das Wahlergebnis aufgrund der Nachzählung im Wahlbezirk Husum 003 (Wahlkreis 3) korrigiert worden ist. Einer ausdrücklichen Bezugnahme bedurfte es unter diesen Umständen nicht. Der Landtag wiederum hat gegenüber den Einspruchsführenden durch Übersendung entsprechender Auszüge aus dem Vorprüfungsbericht hinreichend deutlich gemacht, dass er sich ebenfalls dessen Begründung zu Eigen machen will.

43

dd) Die übernommene Begründung des Vorprüfungsberichts genügt auch inhaltlich diesen Anforderungen. Es spricht nichts dagegen, die verschiedenen Einsprüche nach Argumenten inhaltlich zusammengefasst darzustellen und abzuarbeiten. Dies gilt auch für die Einsprüche der Beschwerdeführer zu 4) und zu 16) - laufende Nr. 360 und 381 -, die unter Verweis auf die Würdigung des Einspruchs Nr. 18 abgehandelt wurden. Die Vorprüfung des Einspruchs Nr. 18 verweist unter anderem auf die umfängliche Vorprüfung des Einspruchs Nr. 17. Der Vorprüfungsbericht gibt damit nachvollziehbar zu erkennen, dass er Einspruchsziel und -argumente der Beschwerdeführer zu 4) und zu 16) inhaltlich denen der Einsprüche Nr. 17 und 18 zuordnet.

44

Den Einsprüchen der Beschwerdeführer zu 4) und zu 16) ist gemeinsam, dass sie sich gegen den mit § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG zur Anwendung gebrachten „kleinen Ausgleich“ wenden und eine Korrektur des Wahlergebnisses anstreben, die zu einer Gesamtzahl von 101 Sitzen im Landtag führt. Vorgebracht werden dazu sowohl einfachgesetzliche als auch verfassungsrechtliche Argumente, aus denen unterschiedlich weit reichende Konsequenzen gezogen werden, von der anderslautenden (verfassungskonformen) Auslegung im Sinne eines „großen Ausgleichs“ bis zur Unanwendbarkeit der Norm. Die hierzu in der übernommenen Begründung des Vorprüfungsberichts in Bezug genommenen Ausführungen zu den Einsprüchen Nr. 17 und 18 zeigen, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken ebenso wenig geteilt werden wie die Annahme, § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG könne anders als geschehen ausgelegt werden.

45

ee) Die Übernahme des Vorprüfungsberichts der Landeswahlleiterin begründet schließlich nicht die Sorge, dass die Wahlprüfung auf diesem Wege in unzulässiger Weise von der Landesregierung beeinflusst worden wäre. § 10 und § 11 LWahlG sichern die Stellung der Landeswahlleiterin als unabhängiges Wahlorgan ab. Um ihre Unabhängigkeit zu wahren, muss die Landeswahlleiterin außerhalb der allgemeinen Verwaltungshierarchie stehen und darf nicht an Weisungen gebunden sein (vgl. Antworten der Landesregierung auf die Kleinen Anfragen, Landtags-Drucksachen 17/75 und 17/150). Im Rahmen der mit diesem Amt verbundenen Aufgaben trägt sie eigenständig die Verantwortung für die Vorbereitung und Durchführung der Wahl im Land (§ 11 Abs. 2 Satz 2 LWahlG) und ist dem Grundsatz der Neutralität und Überparteilichkeit verpflichtet (vgl. zum Wahlleiter in Gemeinde und Kreis: Asmussen/ Thiel , GKWG, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Dezember 2007, § 12 Anm. 1.2; entsprechendes gilt für die Funktion der Landeswahlleiterin als Bundeswahlorgan nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 BWahlG und § 2 BWahlO). Zwar wird die Landeswahlleiterin von der Landesregierung auf unbestimmte Zeit ernannt und kann jederzeit abberufen werden (§ 11 Abs. 1 Satz 2 LWahlG). Auch ist es nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern allgemein in den Ländern üblich, höhere Beamte aus dem jeweiligen Innenministerium zu Landeswahlleitern zu ernennen (vgl. Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 9 Rn. 3). Diese Bestellungspraxis belegt für sich genommen jedoch noch keine unbefugte Einflussnahme. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dies anders wäre, die Landeswahlleiterin insbesondere nicht unabhängig entschieden oder von dritter Seite Weisungen erhalten und/ oder solche befolgt hätte, sind weder vorgebracht noch ersichtlich.

46

b) Soweit der Beschwerdeführer zu 16) rügt, dass ihm die Einsicht in die in Bezug genommenen Einsprüche Nr. 17 und 18 verweigert worden sei, bleibt diese Rüge ohne Erfolg. Sein Verfahrensbevollmächtigter hat die Akteneinsicht nicht in seinem Namen, sondern namens des SSW beantragt (vgl. dessen Schreiben vom 4. Februar 2010). Außerdem hatte sich sein darauf gerichtetes Begehren durch Erhalt der Unterlagen erledigt, nachdem der Landtag ihn darauf verwiesen hatte, zunächst bei den Einspruchsführern selbst nachzufragen. Diese Verweisung ist nicht zu beanstanden. Solange sich das Einsichtsbegehren auf Schriftstücke oder Daten Dritter beschränkt, ist vorrangig die Entscheidung der betroffenen Dritten selbst einzuholen.

47

c) Erfolglos rügt der Beschwerdeführer zu 16) schließlich, dass der Landtag die Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsnormen selbst nicht prüft. Dem Landtag steht nur eine Prüfungs-, aber keine Verwerfungskompetenz zu. Er ist auch in der Wahlprüfung bis zu deren Aufhebung an die von ihm erlassenen Gesetze gebunden (ebenso: Caspar, in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack < Hrsg. >, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 82; von Mutius, in: ders. / Wuttke/ Hübner , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 3 Rn. 30; für den Bundestag: BVerfG, Beschlüsse vom 22. Mai 1963 - 2 BvC 3/62 - BVerfGE 16, 130 ff., Juris Rn. 18; vom 23. November 1993 - 2 BvC 15/91 - BVerfGE 89, 291 ff., Juris Rn. 43; Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 80; Beschlüsse vom 15. Januar 2009 - 2 BvC 4/04 - BVerfGE 122, 304 ff. Juris Rn. 13; vom 9. Februar 2009 - 2 BvC 11/04 -, Juris Rn. 12; und vom 26. Februar 2009 - 2 BvC 6/04 -, Juris Rn. 13; vgl. auch Rauber , Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 56 ff.; Morlok, in: Dreier , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rn. 16). Dessen ungeachtet sind die damit aufgeworfenen Fragen (etwa nach einer Vorlagepflicht oder einer zwischengeschalteten Normenkontrolle, vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 80) vorliegend nicht entscheidungserheblich, weil der Beschwerdeführer zu 16) seine verfassungsrechtlichen Bedenken bereits im Einspruchsverfahren formuliert und die Gefahr einer etwaigen Präklusion für das Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht daher von vornherein nicht bestanden hat.

II.

48

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 28. Januar 2010 ist allerdings materiell rechtswidrig und kann im Ergebnis einen nur begrenzten Bestand haben. Zwar ist das geltende Landeswahlgesetz fehlerfrei ausgelegt und angewandt worden, dieses ist aber seinerseits in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität in wesentlichen Regelungen (§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG) nicht mehr mit der Landesverfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) vereinbar (sogleich III.).

49

Materieller Prüfungsgegenstand ist die „Gültigkeit“ der Wahl. Die Wahl ist ganz oder in Teilen ungültig, wenn und soweit ein erheblicher Wahlfehler festzustellen ist. Ein solcher Wahlfehler liegt immer dann vor, wenn die nach allgemeiner Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit besteht, dass durch die festzustellende Rechtsverletzung die gesetzmäßige Zusammensetzung der zu wählenden Körperschaft berührt sein kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 131 m.w.N., stRspr.).

50

Aus der einfachgesetzlichen Anwendung des geltenden Wahlrechts ergeben sich keine beachtlichen Wahlfehler. Soweit es an dieser Stelle auf die richtige Auslegung einer einzelnen Norm ankommt, hat das Landesverfassungsgericht - anders als im parallel zu entscheidenden Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zu § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG (LVerfG 3/09) - die Vorschrift selbst auszulegen und dies zum Maßstab der Wahlprüfung zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1998 - 2 BvC 28/96 - BVerfGE 97, 317 ff., Juris Rn. 15; und Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 90; Schreiber , a.a.O., § 49 Rn. 34 m.w.N.). Hiervon ausgehend sind insbesondere die wahlvorbereitende Wahlkreisbildung nach § 16 LWahlG und die Ergebnisfeststellung in Anwendung des die Sitzzuteilung regelnden § 3 Abs. 5 LWahlG nicht zu beanstanden.

51

1. Bei der Wahlkreisbildung sind die Vorgaben des § 16 Abs. 3 LWahlG zur Abweichung der Wahlkreisgrößen voneinander beachtet worden. Nach dieser Vorschrift darf die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises nicht mehr als 25 v.H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise abweichen (Satz 1). Maßgebend ist die vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein fortgeschriebene Bevölkerungszahl nach dem Stand vom 31. Dezember des vierten Jahres vor der Wahl (Satz 2).

52

Die hiernach zu beachtende 25 v.H.-Marge ist eingehalten worden. Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen nach dem Stand vom 31. Dezember 2006 - bezogen auf die regulär erst für das Jahr 2010 vorgesehene Landtagswahl - ergibt sich eine durchschnittliche Bevölkerungszahl aller 40 Wahlkreise von 70.857. Der kleinste Wahlkreis (Husum-Land) weicht von dieser durchschnittlichen Bevölkerungszahl um 22,23 v.H. ab, der größte Wahlkreis (Segeberg-Ost) um 23,30 v.H. (Anlage zur Stellungnahme der Landeswahlleiterin vom 22. April 2010 an den Landtag, Umdruck 17/738).

53

Die Beschwerdeführerin zu 1) beanstandet letztlich nicht, dass die 25 v.H.-Marge nicht eingehalten worden wäre. Selbst bei der von ihr zugrunde gelegten Zahl der Wahlberechtigten statt der Bevölkerungszahl stellt sie fest, dass bei durchschnittlich 55.603 Wahlberechtigten der kleinste Wahlkreis (Husum-Land) um 24,4 v.H. und der größte Wahlkreis (Segeberg-Ost) um 24,8 v.H. abweicht. Auch der Beschwerdeführer zu 16) geht ebenfalls - anders als das Gesetz - von der Zahl der Wahlberechtigten statt von der Bevölkerungszahl aus. Dass er demgegenüber zu einer Abweichung von mehr als 25 v.H. kommt, beruht darauf, dass er seiner Berechnung nicht die Zahlen des endgültigen Wahlergebnisses im Amtsblatt 2009, Seite 1131 f., sondern die des vorläufigen Wahlergebnisses vom 28. September 2009 zugrunde gelegt hat.

54

2. Bei der Sitzzuteilung für den Landtag sind die Vorgaben des § 3 LWahlG beachtet worden. Insbesondere haben die Landeswahlleiterin, der Landeswahlaus-schuss und ihnen folgend der Landtag § 3 Abs. 5 LWahlG zutreffend ausgelegt.

55

§ 3 Abs. 5 LWahlG regelt den Fall, dass die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer ist als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil. Diese über den verhältnismäßigen Sitzanteil hinausgehenden Sitze werden in Satz 1 als „Mehrsitze“ bezeichnet. Sie „verbleiben“ der jeweiligen Partei. Für diesen Fall gibt Satz 2 vor, dass „auf die nach Absatz 3 Satz 2 und 3 noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen solange weitere Sitze zu verteilen und nach Absatz 4 zu besetzen“ sind, „bis der letzte Mehrsitz gedeckt ist“. Satz 3 bestimmt schließlich, dass bei dieser weitergehenden Verteilung und Besetzung von Sitzen die Anzahl der weiteren Sitze das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze nicht übersteigen darf.

56

Streitig ist, wie der Begriff „weitere Sitze“ zu verstehen ist, insbesondere, ob die zahlenmäßige Begrenzung der weiteren Sitze zu einem nur „kleinen“ oder zu einem „großen Ausgleich“ führt. Als unklar gilt auch, wie sich die Regelungen in § 3 Abs. 5 Satz 1 und in Satz 2 LWahlG zueinander verhalten. In der wahlrechtlichen Praxis wird § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG im Sinne eines „kleinen Ausgleichs“ ausgelegt und angewendet. Verwiesen wird dabei auf die Entstehungsgeschichte der Norm und auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Parallelvorschrift des § 10 Abs. 4 GKWG (vgl. den Vorprüfungsbericht der Landeswahlleiterin vom 14. Dezember 2009, Landtags-Umdruck 17/117, S. 37). Bereits anlässlich der Ausschussberatung eines früheren Entwurfs für eine Änderung des Landeswahlgesetzes (Landtags-Drucksache 16/2152) hatte die Landeswahlleiterin erklärt, dass sie sich bei der Anwendung des § 3 Abs. 5 LWahlG an die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung der schleswig-holsteinischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu der parallel im Kommunalwahlrecht geltenden Regelung des § 10 Abs. 4 GKWG halte. Die Rechtslage sei deshalb so geklärt, wie sie auch das Innenministerium im Rahmen der Kommunalwahl immer vertreten habe (IR 16/103, Sitzung vom 3. Juni 2009, S. 10).

57

Bei der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 27. September 2009 ist wie folgt verfahren worden: Die CDU errang über die Mehrheitswahl in den Wahlkreisen nach § 2 LWahlG elf Sitze mehr als ihr bei verhältnismäßiger Aufteilung der 69 vorgesehenen Sitze nach ihrem Zweitstimmenanteil für die Landesliste zugestanden hätten. Diese Sitze waren ihr nach § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG (als Mehrsitze oder Überhangmandate) zu belassen. Zur Wiederherstellung der verhältnismäßigen Sitzanteile wurden 22 weitere Sitze nach dem in § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG beschriebenen Verfahren verteilt und besetzt. Bei der Verteilung dieser weiteren Sitze nach dem d’Hondtschen Verfahren (Höchstzahlenverfahren, § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG) wurden die nächstfolgenden acht auf die CDU entfallenden Höchstzahlen einbezogen. Die sich daraus ergebenden acht weiteren, über die Wahlkreise errungenen Sitze wurden wiederum auf den verhältnismäßigen Sitzanteil angerechnet und entsprechend besetzt (§ 3 Abs. 4 LWahlG). Auf diese Weise ergaben sich zusätzlich zu den 69 Sitzen 22 weitere Sitze, insgesamt also 91 Sitze (§ 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG), in denen die acht Mehrsitze der CDU enthalten waren, die nach dem Ausgleich durch ihren verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt waren, sowie 14 weitere Sitze für die anderen Fraktionen (Ausgleichsmandate). Dies hatte zur Folge, dass drei Mehrsitze auch nach dem Ausgleich ungedeckt blieben. Die sich so ergebende erhöhte Gesamtsitzzahl von 94 wurde gemäß § 3 Abs. 5 Satz 4 LWahlG auf die ungerade Zahl 95 erhöht (Amtsbl. 2009 S. 1129, 1139).

58

Nach Meinung eines Teils der Beschwerdeführer hätten hingegen bis zu 22 weitere Sitze allein auf die anderen Parteien entfallen müssen. Mit dem Begriff „weitere Sitze“ könnten nur Ausgleichsmandate gemeint sein, weil die nach Satz 1 „verbleibenden“ Mehrsitze nicht nach Satz 2 nochmals verteilt und besetzt werden könnten. Die Mehrsitzpartei sei bei der nach Satz 2 vorgesehenen weiteren Verteilung und Besetzung von Sitzen auf Höchstzahlen daher nicht zu berücksichtigen (sogenannter „großer Ausgleich“). Bei dieser Lesart hätte sich die Gesamtzahl der Sitze im Landtag um bis zu 33 Sitze (sowie einen weiteren Sitz nach Satz 4, also auf insgesamt 103 Abgeordnete) erhöhen können. Tatsächlich wäre es zu einer Erhöhung um 31 Sitze (sowie einen weiteren Sitz nach Satz 4, insgesamt also 101 Abgeordnete) gekommen, was nicht nur zu einer anderen Sitzverteilung, sondern auch zu anderen Mehrheitsverhältnissen und einem noch weiteren Anwachsen des Landtages geführt hätte.

59

Der Wortlaut des § 3 Abs. 5 LWahlG scheint noch offen. Ebenso wie die im Kommunalwahlrecht entsprechend geltende Vorschrift des § 10 Abs. 4 GKWG verwendet § 3 Abs. 5 LWahlG die Begriffe „Mehrsitze“ und „weitere Sitze“ und nicht wie Art. 10 Abs. 2 LV die Begriffe „Überhangmandate“ und „Ausgleichsmandate“. Seine Entstehungsgeschichte und seine systematische Auslegung auch im normativen Zusammenhang führen hingegen zu einer detaillierten, in sich geschlossenen Regelung, die auf die Gewährung eines nur „kleinen Ausgleichs“ gerichtet ist und eine andere Deutung nicht zulässt. Der Gedanke des „großen Ausgleichs“ argumentiert demgegenüber vom Ergebnis her und vermengt Ursache und Wirkung. Die innerhalb des Wahlverfahrens für das Entstehen von Mehrsitzen ursächlichen Faktoren unterstreichen zwar den Bedarf nach einem Ausgleich, rechtfertigen aber nicht die Annahme, dass das Gesetz von seiner Systematik her auf einen vollen Ausgleich angelegt wäre.

60

a) Eindeutig zu entnehmen ist § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG (ebenso § 10 Abs. 4 Satz 1 GKWG) lediglich, dass es sich bei den dort definierten „Mehrsitzen“ um die sonst allgemein als „Überhangmandate“ bezeichneten Sitze handelt (so auchAs- mussen/ Thiel , GKWG, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Dezember 2007, § 10 Anm. 4). Dies zeigt auch die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG („<…> Mehrsitze , <…>“, LandtagsDrucksache 12/834 S. 4). „Mehrsitze“ sind diejenigen Sitze, die eine Partei „mehr“ bekommt, als ihr zunächst nach dem verhältnismäßigen Anteil gemäß § 3 Abs. 3 LWahlG an regulären Sitzen zustehen. Die damit insgesamt auf die Mehrsitzpartei entfallenden Sitze werden sonst mit dem Begriffspaar „Grundmandate“ und „Über-hangmandate“ bezeichnet.

61

b) Die von der Landeswahlleiterin herangezogene Rechtsprechung der schleswigholsteinischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu § 10 Abs. 4 GKWG kommt zum gleichen Ergebnis wie die dargestellte wahlrechtliche Praxis. Das Verwaltungsgericht folgerte ursprünglich aus dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. November 2000 (- 2 L 25/00 -, NordÖR 2001, 69 ff. = NVwZ-RR 2001, 529 f. = Die Gemeinde SH 2001, 69 = SchlHA 2001, 190, Juris Rn. 38), dass die für den Verhältnisausgleich maßgeblichen Mehrsitze nicht auf die weiteren Sitze anzurechnen seien (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 6 A 237/05 -). Nach der Kommunalwahl im Mai 2008 änderte es seine Auffassung zur Sitzverteilung ausdrücklich. Seitdem interpretiert das Verwaltungsgericht § 10 Abs. 4 Satz 2 GKWG dahingehend, dass bei dem Verhältnisausgleich auf sämtliche nachfolgenden Höchstzahlen, die nach der auf den letzten regulären Sitz entfallenden Höchstzahl kämen, weitere Sitze zu verteilen seien. Der „weitere Sitz“ sei der Oberbegriff für Mehrsitze und für Ausgleichsmandate, die sich aus der Weiterrechnung ergäben (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2008 - 6 A 150/08 -; ebenso Urteil vom 2. Juni 2009 - 6 A 162/08 -). Dem schloss sich das Oberverwaltungsgericht an (vgl. Beschluss vom 15. September 2009 - 2 LA 36/09 -, Juris Rn. 7 f.). Auch die Kommentarliteratur zu § 10 GKWG stimmt mit der Praxis der Landeswahlleiterin und der zitierten Rechtsprechung überein (vgl. Asmussen/ Thiel , a.a.O., § 10 Anm. 5).

62

c) Eine teleologische Auslegung bleibt unergiebig. Sinn und Zweck der Gesamtregelung des § 3 Abs. 5 LWahlG ist es, das Mehrheitswahlrecht mit dem Verhältniswahlrecht zu verbinden und in Einklang zu bringen, indem für etwa entstandene Mehrsitze ein Verhältnisausgleich geschaffen wird (vgl. Becker/ Heinz , NordÖR 2010, 131 <135>; entsprechend zu § 10 Abs. 4 GKWG: Schl.-Holst. VG, Urteil vom 18. Dezember 2008, a.a.O.). Spezieller Zweck der Begrenzung dieses Mehrsitzausgleichs soll die Vermeidung eines unbegrenzten Anwachsens des Landtages und der Erhalt seiner Funktionsfähigkeit sein (vgl. Hübner , in: von Mutius / Wuttke/ ders. , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 10 Rn. 23; Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. < Hrsg. >, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 71). Dies besagt indes noch nichts darüber, ob die Grenze zur Funktionsunfähigkeit bereits bei Erreichen des „kleinen Ausgleichs“ oder erst bei Erreichen eines „großen Ausgleichs“ überschritten ist.

63

d) Die Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 5 LWahlG zeigt, dass die „weiteren Sitze“ nicht als Gegenbegriff zu den „Mehrsitzen“ konzipiert sind. Während die Mehrsitze ursprünglich der jeweiligen Partei verbleiben sollten, ohne die Zahl der auf die übrigen politischen Parteien entfallenden Sitze zu verändern, wurde der Begriff „weitere Sitze“ erst mit Einführung des Mehrsitzausgleichs in das Gesetz aufgenommen. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst an der Regelung des § 10 Abs. 4 GKWG orientiert und mit den „weiteren Sitzen“ die Gesamtzahl der über die reguläre Sitzzahl hinaus zu besetzenden Sitze im Landtag gemeint.

64

Landeswahlrecht und Gemeinde- und Kreiswahlrecht sahen ursprünglich eine Mehrheitswahl mit nur teilweisem Verhältnisausgleich vor (§§ 1 bis 3 LWahlG vom 31. Januar 1947, Amtsbl. S. 95; und vom 27. Februar 1950, GVOBl S. 77; § 11 GKWG vom 15. Juni 1948, GVOBl S. 95, dazu Landtagsvorlage Nr. 103/3 vom 19. Januar 1948, S. 496 ff.). In den 1950’er Jahren wurde der Verhältnisausgleich in beiden Wahlsystemen vom Teilproporz zum Vollproporz „in voller Konsequenz“ umgestellt. Die für den Verhältnisausgleich maßgebliche Stimmenanzahl bestand nicht mehr nur aus den „nicht durch die Mehrheitswahl verbrauchten Stimmen“, sondern aus allen Stimmen, die die Bewerberinnen und Bewerber der einzelnen Parteien in den Wahlkreisen erzielten. Seitdem kann es dazu kommen, dass mehr direkte Vertreterinnen und Vertreter einer Partei gewählt sind, als dieser nach dem Verhältniswahlsystem zustünden. Diese „Mehrsitze“ sollten der jeweiligen Partei nach dem damaligen § 3 Abs. 4 Satz 1 LWahlG (§ 11 Abs. 4 Satz 1 GKWG a.F.) belassen bleiben. Satz 3 bestimmte demgegenüber, dass die Zahl der auf die übrigen politischen Parteien entfallenden Sitze unverändert bleibt (Landeswahlgesetz vom 22. Oktober 1951, GVOBl S. 180; dazu 2. WP, Wortprotokolle 13.-15. Tg., 2. Lesung Tg 14/18 f; Gemeinde- und Kreiswahlgesetz vom 29. Januar 1955, GVOBl S. 10; dazu Drucksachen Nr. 47, S. 14; Nr. 100, S. 7 der 3. WP; 2. Lesung, PlPr. 6/304, S. 306).

65

aa) Das Gemeinde- und Kreiswahlgesetz wurde durch Gesetz vom 11. September 1965 (GVOBl S. 73) geändert. Der damalige § 11 Abs. 4 GKWG entspricht dem heutigen § 10 Abs. 4 GKWG. Die Vorschrift regelt die Problematik des Umgangs mit Mehrsitzen (Überhangmandaten) und deren Ausgleich seitdem unter Geltung des Einstimmenwahlrechts. Mit der einen Stimme wird der Wahlkreiskandidat oder die Wahlkreiskandidatin gewählt. Daran gekoppelt ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 GKWG die Wahl einer Liste. Hierfür werden sämtliche Stimmen, die die unmittelbaren Kandidatinnen und Kandidaten der vorschlagenden Partei oder Wählergruppe zusammen erhalten haben, nochmals addiert. Obwohl also ein Splitting von Erst- und Zweitstimme nicht möglich ist, kann es auch hier dazu kommen, dass die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei (oder Wählergruppe) gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer ist als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil (vgl. Böttcher , Kommunalrecht, Rn. 223).

66

Der Einführung des begrenzten Mehrsitzausgleichs lag die Überlegung zugrunde, dass sich die Gesamtzahl der zu verteilenden Sitze im Ergebnis um das Doppelte der Mehrsitze erhöht, um wenigstens noch einmal die gleiche Zahl an Sitzen verteilen zu können (vgl. schon Drucksache Nr. 511 der 4. WP). In der 1. Lesung während der 5. Wahlperiode wurde insoweit ausgeführt, dass nicht beabsichtigt sei, das Doppelte der Mehrsitze - also bei vier: acht - noch einmal hinzuzunehmen, sondern dass es sich um die einfache Erhöhung der Zahl der Mehrsitze - also bei vier um vier auf acht - handeln solle (1. Lesung PlPr 43/1489 f. zu Drucksache Nr. 501 der 5. WP).

67

bb) Die im Kommunalwahlrecht 1965 erfolgte Wende zum begrenzten Mehrsitzausgleich wurde im Landeswahlgesetz zunächst nicht nachvollzogen (vgl. zuletzt Fassung vom 30. Mai 1985, GVOBl S. 136, geändert durch Gesetz vom 26. Januar 1988, GVOBl S. 51). Erst im Zusammenhang mit der Verfassungsreform von 1990 erfolgte eine wortgleiche Anpassung. Mit der Änderung der Landessatzung durch Gesetz vom 13. Juni 1990 in die Landesverfassung wurde im neuen Art. 10 Abs. 2 LV erstmals die Zahl der Abgeordneten, das Wahlsystem und die Pflicht zum Ausgleich etwaiger Überhangmandate in der Verfassung selbst verankert (vgl. Hübner , a.a.O., Art. 10 A.I.). Bei diesem Stand wurde das Landeswahlgesetz durch Gesetz vom 20. Juni 1990 (GVOBl S. 419) einstimmig geändert (PlPr 12/56). Der damalige § 3 Abs. 4 LWahlG entspricht - mit Ausnahme redaktioneller Anpassungen an die neue Absatznummerierung - dem heutigen § 3 Abs. 5 LWahlG. Diese Änderung erfolgte einerseits, um dem neuen Art. 10 Abs. 2 LV zu genügen (Gesetzesbegründung, Landtags-Drucksache 12/834, S. 2 und 4), sollte sich andererseits aber auch an § 10 Abs. 4 GKWG anlehnen (LandtagsDrucksache 12/834, S. 4 und 5). Das Gesetz sehe einen beschränkten Mehrsitzausgleich vor. Die „Deckelung“ diene der Vermeidung einer unverhältnismäßigen Erhöhung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG bestimmten Abgeordnetenzahl. „Es werden - (…) - auf die noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen so lange weitere Sitze verteilt, bis der letzte Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt ist. Dies ist dann der Fall, wenn auf alle Höchstzahlen (auch der Partei mit Mehrsitzen), die höher sind als die Höchstzahl des letzten Mehrsitzes, weitere Sitze verteilt sind“ (Landtags-Drucksache 12/834, S. 5).

68

cc) In der Folgezeit sah der Gesetzgeber keine Veranlassung, an diesem Konzept des „kleinen Ausgleichs“ etwas zu ändern. Selbst die Einführung des Zweistimmenwahlrechts 1997 (GVOBl S. 462) und des damit möglichen Stimmensplittings zur Differenzierung zwischen persönlich bekannten Kandidatinnen und Kandidaten einerseits und Parteien andererseits (PlPr 14/3) war für den Gesetzgeber kein Anlass, das Prinzip des nur begrenzten Mehrsitzausgleichs und die hierfür 1990 maßgebliche Motivlage eines Gleichlaufs mit dem kommunalen Einstimmenwahlrecht verfassungsrechtlich in Frage zu stellen (vgl. PlPr 14/37, S. 2445; 1. Lesung, PlPr 14/3, S. 86; 2. Lesung, PlPr 14/37, S. 2450). Die seitdem geführte Diskussion zeigt, dass man die - unter anderem mit dem Stimmensplitting verbundene - Gefahr vermehrter Überhangmandate zwar gesehen hat, etwaige Folgerungen aber nur auf anderer Ebene zu ziehen gedachte.

69

Das Zweistimmenwahlrecht kam bei der Landtagswahl vom 27. Februar 2000 erstmals zum Zuge. Da die SPD 41 der 45 Direktmandate errang, entstanden sieben Mehrsitze und damit insgesamt 14 weitere Sitze, sodass sich die Gesamtsitzzahl von 75 auf 89 erhöhte. Sämtliche Mehrsitze konnten damit gedeckt werden. Die FDP- Fraktion nahm dieses Ergebnis zwar zum Anlass, erneut eine Reduzierung der Wahlkreise (von 45 auf 37) vorzuschlagen, stellte aber die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs nicht in Frage (Landtags-Drucksache 15/55). Am Ende der Debatte kam es zu einer Entschließung, nach der die Anzahl der Wahlkreise auf 40 begrenzt und Art. 10 Abs. 2 LV dahingehend geändert werden sollte, dass nur noch 69 Abgeordnete dem Landtag angehören (Landtags-Drucksache 15/2342). Dass ein Ansteigen der Überhangmandate zu einer wahlgleichheitsrelevanten Anwendung der Ausgleichsbegrenzung führen könnte, wurde nicht thematisiert (vgl. PlPr 15/76, S. 5724 ff.).

70

e) Gegen die Annahme, dass § 3 Abs. 5 LWahlG im Sinne eines „großen Aus-gleichs“ ausgelegt werden könnte, spricht ebenfalls die Gesetzessystematik. Sie belegt, dass „Mehrsitze“ nur für eine Partei entstehen, „weitere Sitze“ aber für den gesamten Landtag oder - wie es das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zu § 10 Abs. 4 Satz 2 GKWG formuliert -, dass die Bezugsgruppen der beiden Begriffe verschieden sind (Beschluss vom 15. September 2009 - 2 LA 36/09 -, Juris Rn. 8). Für die auf die anderen Parteien entfallenden Ausgleichsmandate hält das Gesetz keinen gesonderten Begriff vor. In den Gesetzesfassungen vor Einführung des begrenzten Mehrsitzausgleichs waren dies „die auf die übrigen politischen Parteien entfallenden Sitze“. Die erst später hinzukommenden „weiteren Sitze“ sind hingegen diejenigen Sitze, die über die in der Verfassung und - ihr folgend - in § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG festgelegte Zahl von 69 regulären Sitzen hinausgehen und als weitere Sitze den Landtag vergrößern. Dies zeigt sich anhand einer systematischen Auslegung der Norm unter Berücksichtigung ihrer Funktion bei der Verbindung der in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV vorgegebenen Wahlsysteme.

71

aa) Nach seiner Überschrift regelt § 3 LWahlG die (Verhältnis-) Wahl der Abgeordneten aus den Landeslisten. Hierzu bestimmt er in Absatz 1, welche Partei am Verhältnisausgleich teilnimmt und in Absatz 2, wie viele Sitze zur Verteilung zur Verfügung stehen. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 und 2 LWahlG sind die für jede teilnehmende Landesliste abgegebenen gültigen Zweitstimmen zu ermitteln. Von der jeweiligen Gesamtstimmenzahl ausgehend wird über das Höchstzahlenverfahren die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Sitze auf die Landeslisten verteilt und durch die Landeslisten besetzt .

72

Darüber hinaus kommt § 3 LWahlG die Funktion zu, die von Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV als Wahlsystem vorgegebene Verbindung der Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl herzustellen. Diese einfachgesetzliche Verbindung ist bereits in § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG angelegt. Schon hier kommt zum Ausdruck, dass die in den Landtag zu wählenden 69 Abgeordneten (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV, § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG) aus zwei zu einem einheitlichen Wahlsystem verbundenen Teilwahlsystemen zu ermitteln sind: Gewählt werden 40 Abgeordnete durch Mehrheitswahl (§ 2 LWahlG) und die übrigen durch Verhältniswahl aus den Landeslisten der Parteien auf der Grundlage der im Land abgegebenen Zweitstimmenund unter Berücksichtigung der in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber (§ 3 LWahlG). Letztlich umgesetzt wird diese Verbindung in § 3 Abs. 4 bis 7 LWahlG.

73

Nach Verteilung der Sitze auf die Landeslisten und Besetzung derselben durch die jeweiligen Landeslisten gemäß § 3 Abs. 3 LWahlG sind die in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber auf Grundlage der gültigen Erststimmen (§ 2 LWahlG) zu ermitteln und gemäß § 3 Abs. 4 LWahlG auf das Ergebnis der Listenwahl anzurechnen. Diese Anrechnung dient der Verknüpfung und notwendigen Harmonisierung von Personen- (oder Direkt-)wahl und Verhältniswahl. Methodisch erreicht der Gesetzgeber die Verknüpfung über eine „Verteilungsfikti-on“ (entsprechend zum Bundeswahlrecht: Wrege , Jura 1997, 113), denn die Verteilung der Gesamtzahl der Abgeordneten auf die Landeslisten nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG erfolgt zunächst nur fiktiv. Diese Fiktion wird durch die Anrechnung der erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber auf die jeweilige Landesliste nach § 3 Abs. 4 LWahlG wieder aufgelöst.

74

Vermag die Liste nicht alle erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber „aufzunehmen“, entstehen „Mehrsitze“, was die Verteilung und Besetzung „weiterer Sitze“ nach Maßgabe des Absatz 5 erforderlich macht. Dabei erschöpft sich der Aussagegehalt des § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG darin, dass der Partei, die Mehrsitze errungen hat, diese Mehrsitze „verbleiben“, obwohl sie zu einer Erhöhung der Gesamtzahl der Abgeordnetensitze und damit zu einer Verzerrung der nach Absatz 3 ermittelten verhältnismäßigen Sitzanteile führen. Alternativ hätte sich der Gesetzgeber auch dafür entscheiden können, eine solche Verzerrung erst gar nicht entstehen zu lassen, indem die über den Proporz hinausreichende Zahl von direkt gewählten Bewerberinnen und Bewerbern - angefangen bei der- oder demjenigen mit den wenigsten Stimmen - wieder ausscheiden (so bereits Jellinek in § 6 seines Formulierungsvorschlags, AöR 50 - 1926 - 74 ff.). Dies widerspräche jedoch dem Grundgedanken der Personenwahl (statt vieler: Ehlers/ Lechleitner , JZ 1997, 761 <762>). Um diesen zu wahren, ordnet § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG den „Verbleib“ der Mehrsitze an und schafft damit zugleich Bedarf nach einem Ausgleich, äußert sich aber nicht dazu, wie die deshalb zu vergebenden weiteren Sitzeverteilt und besetzt werden. Dies übernimmt Satz 2, indem er eine Weiterrechnung nach dem soeben beschriebenen Muster gemäß Absatz 3 und 4 vorschreibt.

75

Hinsichtlich der Verteilung nimmt § 3 Abs. 5 Satz 2 LWahlG uneingeschränkt Bezug auf die „nach Absatz 3 Satz 2 und 3 noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen“. Für einen vorab anzunehmenden „Verbrauch“ von Höchstzahlen durch Mehrsitze ist dabei kein Raum. Bei der Verteilung der weiteren Sitze ist vielmehr unmittelbar an die letzte Höchstzahl anzuknüpfen, auf die bei Ermittlung des verhältnismäßigen Sitzanteils ein Sitz entfallen ist. Dies bestätigt auch die Gesetzesbegründung, nach der die Verteilung auf alle Höchstzahlen erfolgen soll; dazu zählt der Gesetzgeber ausdrücklich auch die Höchstzahlen der Mehrsitzpartei (vgl. nochmals Landtags-Drucksache 12/834, S. 5). Ebenso uneingeschränkt schreibt § 3 Abs. 5 Satz 2 LWahlG sodann eineBesetzung dieser Sitze nach Absatz 4 vor. Dabei knüpft die Formulierung „zu besetzen“ wiederum an die Formulierung des Absatz 3 Satz 1 an („Verteilung der nach den Landeslisten zu besetzen den Sitze “) und meint wiederum eine Besetzung nach den Landeslisten unter Anrechnung der in den Wahlkreisen gewählten Bewerberinnen und Bewerber. Die Landesliste der Mehrsitzpartei ist bei alledem nicht ausgenommen (ähnlich Becker/ Heinz , NordÖR 2010, 131 <134 f.>).

76

bb) Zutreffend weist die Landeswahlleiterin darauf hin, dass sich ohne Einbeziehung der Mehrsitzpartei beim „Weiterrechnen“ nicht ermitteln ließe, auf welcher Stufe des Verhältnisausgleichs Mehrsitze von dem verhältnismäßigen Stimmenanteil abgedeckt sind (vgl. auch Becker/ Heinz , a.a.O., S. 135). Auf das entsprechende Problem bei § 10 Abs. 4 GKWG hatte bereits das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht (Urteil vom 18. Dezember 2008 - 6 A 150/08 -) hingewiesen: „Weiterhin kann auch nur bei Einbeziehung der Mehrsitze in den Verhältnisausgleich ermittelt werden, wann die Sitzverteilung dem verhältnismäßigen Stimmenanteil entspricht. Wären die auf die Mehrsitzpartei entfallenden Höchstzahlen rechtlich irrelevant, so könnte nicht rechnerisch festgestellt werden, wann ein Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Stimmenanteil einer Partei abgedeckt ist. Schließlich ergäbe sich eine für den Verhältnisausgleich unlösbare Konstellation im Falle mehrerer Mehrsitzparteien, wenn die auf die Listen dieser Parteien entfallenden Höchstzahlen für den Verhältnisausgleich unbeachtlich sein sollten. Die Partei oder Wählergruppierung mit zum Beispiel nur einem Mehrsitz wäre unverhältnismäßig benachteiligt, da sie von vornherein vom Verhältnisausgleich ausgeschlossen wäre.“

77

Dieses Problem lässt sich nur scheinbar durch eine „doppelte Legitimation des Mehrsitzes“ lösen, indem man die auf die Mehrsitze entfallenden Höchstzahlen zwar bei der Weiterrechnung einbezieht, diese (schon vorhandenen) Sitze aber nur gedanklich auf die nächstfolgenden Höchstzahlen verteilt . Nach diesem Ansatz soll das entsprechende Mandat durch die Höchstzahl nochmals legitimiert, die Höchstzahl aber durch einen bereits errungenen Mehrsitz und nicht durch einen „weite-ren“ Sitz besetzt werden. Dieser Ansatz würde das Sitzverteilungsverfahren in einer Weise verkomplizieren, die mit dem Willen des Gesetzgebers und der sich aus dem Aufbau des Gesetzes ergebenden Systematik nicht mehr vereinbar wäre. Er lässt zudem unberücksichtigt, dass § 3 LWahlG nicht allein die Sitzverteilung an Abgeordnete aus den Landeslisten regelt, sondern darüber hinaus die Verbindung der beiden vorgegebenen Wahlsysteme herstellt und so die endgültige Zahl der Sitze an die im Parlament vertretenen Parteien und deren Besetzung bestimmt. Insbesondere die in Absatz 4 vorgesehene und auch über Absatz 5 zur Geltung kommende Anrechnung der erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber zeigt, dass die „weiteren Sitze“ nicht zwingend und ausschließlich nur mit Listenbewerberinnen und -bewerbern besetzt werden.

78

Im Übrigen zwingt auch § 3 Abs. 7 Nr. 1 LWahlG zu keiner anderen Sichtweise. Er sieht vor, dass die in den Wahlkreisen unmittelbar gewählten Bewerberinnen und Bewerber, die schon als Direktkandidatinnen oder als Direktkandidaten einen Sitz erhalten, aus der Landesliste ausscheiden. Daraus lässt sich nicht schlussfolgern, dass „weitere Sitze“ nur aus der Landesliste besetzt würden, weil die unmittelbar gewählten Bewerberinnen und Bewerber aus der Landesliste ausscheiden. Denn Zweck des § 3 Abs. 7 Nr. 1 LWahlG ist es lediglich, eine doppelte Besetzung zu verhindern. Er kann nur soweit gelten, wie die unmittelbar gewählten Bewerberinnen und Bewerber tatsächlich zugleich auch als Landeslistenbewerberinnen und -bewerber aufgetreten sind. Dies wiederum ist nach § 26 Abs. 1 Satz 2 LWahlG zwar zulässig, aber keineswegs zwingend.

79

f) Eine andere Auslegung ergibt sich schließlich auch nicht aus einem Rechtsvergleich mit § 4 Abs. 6 des Landeswahlgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Landeswahlgesetz - LWG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Januar 2002 (GVOBl M-V S. 2). Die Beschwerdeführerin zu 1) weist darauf hin, dass § 3 Abs. 5 LWahlG für diese Vorschrift Vorbild gewesen sei; bei § 4 Abs. 6 LWG M-V seien mit den „weiteren Sitzen“ nur Ausgleichsmandate gemeint, dies müsse rechtsvergleichend auch für § 3 Abs. 5 LWahlG gelten. Zwar orientierte sich der Gesetzgeber Mecklenburg-Vorpommerns bei der Neugestaltung des Wahlrechts nach der Wende unter anderem am schleswig-holsteinischen Landeswahlrecht (allerdings wurde noch das Einstimmenwahlrecht praktiziert, M-V Landtags-Drucksache 1/3644 vom 6. Oktober 1993). Die sprachliche Fassung des § 4 Abs. 6 LWG M-V weicht aber von der des § 3 Abs. 5 LWahlG deutlich ab (Satz 2: „<…> werden den übrigen Landeslisten weitere Sitze zugeteilt“, Satz 3: „<…> bis unter Einbeziehung der Mehrsitze das nach den Absätzen 3 und 4 zu berechnende Verhältnis erreicht ist“). Im Übrigen geht es nicht an, von einer jüngeren Norm eines Landes auf eine ältere Norm eines anderen Landes zu schließen.

III.

80

Das geltende Landeswahlgesetz ist aber seinerseits in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität in wesentlichen Regelungen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 sowie § 16 LWahlG) nicht mehr mit der Landesverfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) vereinbar.

81

Das Landesverfassungsgericht prüft nicht nur die richtige Anwendung des formellen und des materiellen Wahlrechts, sondern auch die Vereinbarkeit des Wahlrechts mit der Landesverfassung. Denn Voraussetzung einer gesetzmäßig durchgeführten Wahl ist auch, dass sich die für die Wahl maßgeblichen Bestimmungen selbst als verfassungsgemäß erweisen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Mai 1963 - 2 BvC 3/62 - BVerfGE 16, 130 ff., Juris Rn. 18; und vom 26. Februar 2009 -2 BvC 6/04, Juris Rn. 13 m.w.N., stRspr.; vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 8. Dezember 2009 - Vf. 47-III-09 -, BayVBl 2010, 172 ff. = NVwZ-RR 2010, 213 f., Juris Rn. 21; Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 49 Rn. 42 m.w.N.).

82

1. § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken mit Blick auf das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit. Die Normenbestimmtheit und die Normenklarheit folgen aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, das über Art. 28 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 LV auch in der Landesverfassung verbürgt ist (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 ff., Juris Rn. 164).

83

Das Gebot der Normenklarheit verlangt, dass der Gesetzesadressat den Inhalt der rechtlichen Regelung auch ohne spezielle Kenntnisse mit hinreichender Sicherheit feststellen kann. Gesetze müssen verständlich, widerspruchsfrei und praktikabel sein, damit rechtliche Entscheidungen voraussehbar sind ( Schulze-Fielitz, in: Dreier , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 Rn. 141 m.w.N.). Zudem müssen die Gerichte in die Lage versetzt werden, getroffene Maßnahmen anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 - 2 BvR 782/94 u.a. - BVerfGE 114, 1 ff., Juris Rn. 189). Das rechtsstaatliche Gebot hinreichender Normenklarheit und -bestimmtheit verlangt vom Gesetzgeber, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Dabei lässt sich der Grad rechtsstaatlich gebotener Bestimmtheit nicht allgemein festlegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. September 1978

84

- 1 BvR 525/77 - BVerfGE 49, 168 ff., Juris Rn. 34; und Urteil vom 8. Februar 2001

- 2 BvF 1/00 - BVerfGE 103, 111 ff., Juris Rn. 91 m.w.N.; Schulze-Fielitz , a.a.O., Art. 20 Rn. 130).

85

Hieran gemessen ist die Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG nicht zu beanstanden. Ihr Aussagegehalt mag sich nicht unmittelbar erschließen; bei näherer Prüfung und unter Berücksichtigung der ohnehin komplizierten Regelungsmaterie stellt sie sich aber im Gesamtgefüge des normierten Wahlverfahrens als hinreichend klar, widerspruchsfrei und in sich logisch dar. Dass der einzelne Wähler und die einzelne Wählerin nicht voraussehen kann, was sie mit ihrer Stimmabgabe bewirken, ist ein generelles Phänomen bei Wahlen, weil die Wirkung der einzelnen Stimme stets vom Stimmverhalten der Wählerschaft insgesamt abhängt (vgl. StGH Bremen, Urteil vom 8. April 2010 - St 3/09 -, NordÖR 2010, 198 ff. Rn. 41).

86

2. Dahinstehen kann, ob die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs in § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG für sich betrachtet gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit verstößt. Jedenfalls führen die Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG in ihrem Zusammenspiel in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität derzeit und in Zukunft dazu, dass der Landtag die in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV vorgeschriebene Abgeordnetenzahl von 69 regelmäßig verfehlt und so Überhangmandate und ihnen folgend Ausgleichsmandate erst in einem nicht mehr vertretbaren Ausmaß entstehen können. Dies ist mit der Verfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) unvereinbar.

87

a) Anders als das Grundgesetz für den Bundestag (vgl. Art. 38 GG) enthält die Landesverfassung neben der Festlegung auf die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze in Art. 3 Abs. 1 LV verschiedene Regelungen über die Besetzung des Landtages und die Wahlen hierzu in Art. 10 Abs. 2 LV. Die Verfassungsbestimmung des Art. 10 Abs. 2 LV gibt nicht nur das Wahlsystem für die Landtagswahl vor. Sie verpflichtet zugleich den Gesetzgeber ein Landeswahlrecht zu schaffen, das in der politischen Realität die Entstehung von Überhang- und ihnen folgend Ausgleichsmandaten so weit wie möglich verhindert, um so seine weitere Vorgabe, nämlich die Zahl von möglichst nicht mehr als 69 Abgeordneten, einzuhalten.

88

Während Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV die Anzahl der für den Landtag vorgesehenen Abgeordneten festlegen, sieht Satz 4 vor, dass sich diese Zahl ändert, wenn nach einer Wahl Überhang- oder Ausgleichsmandate entstehen oder Sitze leer bleiben. Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV bestimmt als Wahlsystem eine Verbindung der Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl. Daran anknüpfend macht Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV eine weitere Vorgabe für den Gesetzgeber: Für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten muss das Wahlgesetz Ausgleichsmandate vorsehen. Diese Vorgabe dient der Wahrung und Stärkung des Grundsatzes der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 LV. Sie macht die Ausgleichsmandate „verfassungsfest“. Der Gesetzgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass die in der Verhältniswahl angelegte Übereinstimmung zwischen Stimmenverhältnis und Sitzverhältnis wieder hergestellt wird und es so bei einer repräsentativen Wiedergabe des Wählerwillens bleibt, und zwar unter der Vorgabe, dass die Größe des Landtages die Sitzzahl von 69 Abgeordneten möglichst erreicht, allenfalls geringfügig übersteigt.

89

aa) Nachdem die Zahl der Abgeordneten zunächst mit 75 festgelegt worden war (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LV), erfolgte zur 16. Wahlperiode durch Gesetz vom 13. Mai 2003 (GVOBl S. 279) eine Absenkung auf 69 Abgeordnete (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV). Auch wenn sich weder aus dem Nebeneinander dieser beiden Aussagen noch aus den originären Gesetzesmaterialien ergibt, dass der Verfassungsgeber damit eine zahlenmäßig unbedingt verbindliche Zielvorgabe treffen wollte, zeigt sich doch sowohl am Wortlaut als auch an den weiteren Debatten im Landtag, welche Bedeutung er dieser Festlegung in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV beimisst.

90

(1) Bereits der Umstand, dass die Vorgabe von 75 Abgeordneten in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LV nicht durch die nun geltende Zahl von 69 Abgeordneten ersetzt, sondern diese neue Vorgabe zusätzlich in die Verfassung aufgenommen wurde, zeigt, dass der Verfassungsgeber eine deutliche Verkleinerung des Landtages gewollt hat. In dem Nebeneinander dieser beiden Zielgrößen wird eine Tendenz aufgezeigt. Insgesamt kommt damit die Erwartung des Verfassungsgebers zum Ausdruck, dass der Landtag die Zahl von 69 Abgeordneten regelmäßig nicht überschreiten soll. Als Regelgröße verstanden folgt daraus, dass die Entstehung von Überhangmandaten - und der damit einhergehende Anfall von Ausgleichsmandaten - zu begrenzen ist. Zu einer Überschreitung soll es nur ausnahmsweise und dann nur in geringem Maße kommen.

91

(2) Dies wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Die erste Festschreibung der Abgeordnetenzahl in der Verfassung beruhte auf einem entsprechenden Vorschlag der Enquete-Kommission für eine neue Landesverfassung vom 7. Februar 1989 (Landtags-Drucksache 12/180). Die Abgeordnetenzahl sollte ungerade sein und im Interesse verfassungspolitischer Kontinuität nicht zur Disposition der jeweiligen Regierungsmehrheit stehen. Bei der Anzahl selbst orientierte man sich an den seit 1947 im Landeswahlgesetz vorgesehenen Zahlen von 70, 69, 73 und zuletzt 74 Abgeordneten (Landtags-Drucksache 12/180, S. 153 ff.), die bis dahin noch nie überschritten worden waren (vgl. die Aufstellung „Wahlen in Schleswig-Holstein seit 1947“, Sitzverteilung, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2009). Die von der Enquete-Kommission vorgeschlagene Zahl von 75 Abgeordneten wurde im weiteren Verlauf der Verfassungsreform nicht mehr diskutiert.

92

Zu einer Diskussion kam es jedoch nach der Wahl zum 13. Landtag 1992, bei der die SPD sämtliche 45 Direktmandate gewann und sich die Zahl der Abgeordneten von 75 auf 89 erhöhte. Eine interfraktionelle Verhandlungsgruppe sollte klären, wie man eine solche Vergrößerung des Landtages durch Überhangmandate künftig verhindern könne. CDU- und FDP- Fraktion reagierten mit einem (später abgelehnten) Gesetzentwurf, mit dem unter anderem die Zahl der Wahlkreise von 45 auf 37 reduziert werden sollte (Landtags-Drucksache 13/2026), um zu gewährleisten, dass der Landtag auch in Zukunft nur die in der Verfassung vorgesehenen 75 Abgeordneten habe und nicht weiter vergrößert werde. Schon nach Auffassung der Enquete-Kommission sei die Funktion des Landtages mit 75 Abgeordneten am besten gewährleistet; mehr als 75 Abgeordnete würden die Effizienz nicht mehr steigern (PlPr 13/65, S. 4431 f., 4438). Nach Auffassung der SPD- Fraktion war die Zahl von 75 Abgeordneten kein exaktes Ziel, sondern nur eine Ausgangszahl, die sich durch Überhang- und Ausgleichsmandate erhöhe, so dass auch 89 Abgeordnete noch von der Verfassung gedeckt seien (PlPr 13/65, S. 4436, 4447). Zugleich gab sie aber Anfang 1994 ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes in Auftrag und beantragte im Landtag eine Prüfung durch den Innen- und Rechtsausschuss, durch welche rechtlichen Maßnahmen bei künftigen Wahlen „die Zahl von 75 Landtagsmandaten nicht oder nicht wesentlich überschritten“ werden würde (Landtags-Drucksache 13/2003).

93

Nachdem der 15. Landtag nach der Wahl im Jahr 2000 erneut auf 89 Abgeordnete angewachsen war, brachte die FDP- Fraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlgesetzes ein. Dieser Gesetzentwurf sah unter anderem eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise vor (Landtags-Drucksache 15/55), um so „der Verfassung zu mehr Verfassungswirklichkeit zu verhelfen“. Nur so sei zu gewährleisten, dass die Einhaltung der verfassungsmäßig vorgegebenen Zahl von Abgeordneten kein Zufall bleibe, sondern zur Regel werde (PlPr 15/2, S. 74). In der nachfolgenden Debatte waren sich die Abgeordneten darüber einig, dass die Anzahl von 75 Abgeordneten „regulär und angemessen“ sei und eine „funktionsfähige Größe“ darstelle (PlPr 15/2, S. 76, 81). In der 2. Lesung sprach man von einem „Verfassungsziel“ und von einer „Regelgröße“, die nicht erheblich überschritten werden dürfe (PlPr 15/76, S. 5731, 5735). Mit Blick auf die mittlerweile geplante Absenkung auf 69 Abgeordnete zog der Abgeordnete Kubicki in Erwägung, ob der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen gezwungen sei, das Wahlrecht so auszugestalten, dass die vorgegebene Sollzahl optimal erreicht werde. Jedenfalls dürfe sich der Gesetzgeber von den Verfassungsgrundsätzen nicht entfernen (PlPr 15/76, S. 5736). Ebenso bestand schließlich während der Debatte zur Verfassungsänderung von 2003 Einigkeit darüber, dass es sich auch bei der Zahl von 69 Abgeordneten um eine regulär vorgesehene Zahl handeln könne, die sich im Einzelfall durch Überhang- und Ausgleichsmandate erhöht. Die Verkleinerung des Landtags war zwar im Wesentlichen motiviert durch eine erforderlich gewordene Diätenstrukturreform (vgl. IR 15/75, S. 13 und PlPr 15/86, Redebeiträge Puls, S. 6549; Kubicki, S. 6559; Hinrichsen, S. 6300, 6557), doch sollte es jedenfalls im Ergebnis nicht noch einmal zu einem Anwachsen des Landtags auf 89 Abgeordnete kommen. Als erstrebenswert wurde vielmehr eine endgültige Größe von höchstens 75 bis 77 Abgeordneten erachtet (PlPr 15/83, S. 6294 ff. und 15/86, S. 6548 ff.).

94

bb) Als weitere Verfassungsvorgabe schreiben Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV das Wahlsystem zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vor. Dieses lässt sich als „personalisierte Verhältniswahl“ charakterisieren und stellt ein verbundenes einheitliches Wahlsystem dar (Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV). In dem so charakterisierten Wahlsystem kommt dem aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 LV folgenden Grundsatz der Erfolgswertgleichheit nicht eine nur begrenzte, sondern eine das einheitliche Wahlsystem insgesamt umfassende Bedeutung zu. Dementsprechend konkretisiert und verstärkt die speziellere Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV den aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 LV folgenden Grundsatz der Erfolgswertgleichheit. Insoweit verbleibt dem Gesetzgeber nur ein eingeschränkter Gestaltungsspielraum.

95

(1) Die Wahlgrundsätze des Art. 3 Abs. 1 LV stimmen überein mit denjenigen, die nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG für die Wahlen zum Bundestag gelten. Zur Übernahme dieser Grundsätze war der Landesverfassungsgeber im Rahmen des Homogenitätsgebots gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet. Dies befolgend sind sie 1949 in die Landessatzung aufgenommen worden (vgl. Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 -, NordÖR 2010, 155 ff. = Die Gemeinde SH 2010, 79 ff. = SchlHA 2010, 131 ff., Juris Rn. 32 f.; Begründung der Landtagsvorlage 263/3 S. 188, VII.; Gross , DV 1950, 129 <131>). Deshalb kann für die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 LV auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zurückgegriffen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 95 m.w.N.), soweit sich aus den Wahlsystemen keine entscheidenden Unterschiede ergeben. Bei der Ausgestaltung des Wahlsystems genießen die Länder im Rahmen der Bindung an die Grundsätze des Art. 28 GG einen autonomen Spielraum (BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1998 - 2 BvR 1953/95 - BVerfGE 99, 1 ff., Juris Rn. 46; Urteil vom 8. Februar 2001 - 2 BvF 1/00 - BVerfGE 103, 111 ff., Juris Rn. 90; und Beschluss vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 29, Juris Rn. 29; vgl. auch Dreier, in: ders. , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rn. 70; Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 30; Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 64).

96

Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Staatsbürger und gebietet, dass alle Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht in möglichst gleicher Weise ausüben können. Historisch betrachtet verbietet er für das aktive Wahlrecht eine unterschiedliche Gewichtung der Stimmen etwa nach Vermögensverhältnissen, Klassenzugehörigkeit, nach Bildung, Religion oder Geschlecht. Heute ist er im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen. Daraus folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme einer und eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche Erfolgschance haben muss. Alle Stimmen sollen den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben (BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 -BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 67; vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 97; und vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 91 f.). Dieser lässt sich naturgemäß nur anhand einer ex postBetrachtung ermitteln (vgl. Ipsen , JZ 2002, 469 <472>).

97

Die Wahlgleichheit ist nach allgemeiner Auffassung kein Kriterium für die Auswahl des Wahlsystems, sondern bildet lediglich die Grundlage für dessen Ausgestaltung (vgl. Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 1 Rn. 42; kritisch Backhaus , DVBl. 1997, 737 <740>). Innerhalb der verschiedenen Wahlsysteme wirkt sie sich unterschiedlich aus (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 a.a.O., Juris Rn. 68; Beschluss vom 14. Februar 2005 a.a.O., Juris Rn. 29; und Urteil vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 98; vgl. auch Wild , Die Gleichheit der Wahl, 2003, S. 208 ff.), je nach dem, ob das Wahlsystem personen- oder parteibezogen ist (vgl. Pauly , AöR 123 - 1998 - 233 <241 f.>). Maßgeblich ist stets, dass im Ergebnis keine unsachliche Differenzierung des Stimmgewichts erfolgen darf (vgl. Caspar , a.a.O., Art. 3 Rn. 36 ff.).

98

(a) Da die Mehrheitswahl die enge persönliche Beziehung der Abgeordneten zum Wahlkreis sichert, führen nur die für die Mehrheitskandidatin oder den Mehrheitskandidaten abgegebenen Stimmen zur Mandatszuteilung, während die auf Minderheitskandidaten entfallenden Stimmen unberücksichtigt bleiben. Hier müssen - ex ante betrachtet - alle Wählerinnen und Wähler über den gleichen Zählwert ihrer Stimmen hinaus die gleiche Erfolgschance haben, indem sie auf der Grundlage möglichst gleich großer Wahlkreise und von daher mit annähernd gleichem Stimmgewicht am Kreationsvorgang teilnehmen können (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 a.a.O., Juris Rn. 65, 69; und vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 98).

99

(b) Die Verhältniswahl bezweckt demgegenüber eine spiegelbildliche Darstellung der parteipolitischen Ausrichtung der Wählerschaft im Parlament. Hierfür müssen alle Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Volksvertretung haben. Jede Partei soll im Parlament in der Stärke vertreten sein, die dem Gesamtanteil der für sie im Wahlgebiet abgegebenen Stimmen und damit ihrem politischen Gewicht entspricht (vgl. BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 115, 118 f.; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 64; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 93). Dies erfordert ein Rechenverfahren, welches das Verhältnis der Stimmen für die Parteilisten zu den Gesamtstimmen und eine entsprechende Sitzzuteilung ermittelt, so dass jeder Stimme über die gleiche Erfolgschance hinaus auch der gleiche Erfolgswert zukommt (vgl. BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 a.a.O., Juris Rn. 119; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - a.a.O., Juris Rn. 70; vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 41; vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 99; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 93, stRspr.; vgl. auch: Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 1 Rn. 55).

100

(c) Mehrheitswahl und Verhältniswahl lassen sich in verschiedener Weise miteinander verbinden (vgl. Seifert , Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, S. 11 f.; Wild , a.a.O., S. 211). Ist eine Verbindung beider Wahlsysteme vorgesehen, muss der Gesetzgeber das letztlich angestrebte Regelungsziel und das normative Umfeld mit der spezifischen Ordnungsstruktur des ausgewählten Wahlsystems systemgerecht und widerspruchsfrei aufeinander abstimmen (ebenso: StGH Bremen, Urteil vom 8. April 2010 - St 3/09 -, NordÖR 2010, 198 ff. Rn. 50). Das ausgewählte Wahlsystem ist in seinen Grundelementen einheitlich und folgerichtig zu gestalten und darf keine strukturwidrigen Elemente enthalten. Dabei ist die Gleichheit der Wahl nicht nur innerhalb des jeweiligen Abschnitts oder Systems zu wahren (vgl. BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 a.a.O., Juris Rn. 120; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - a.a.O., Juris Rn. 71; und vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 100 f., stRspr.; vgl. auch Hübner, in: von Mutius / Wuttke/ ders., Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 10 Rn. 19; Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 65), sondern es müssen darüber hinaus die Teilwahlsysteme sachgerecht zusammenwirken (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - a.a.O., Juris Rn. 71; ebenso Litten/ Wallerath , Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 2007, Art. 20 Rn. 30).

101

Entscheidend für die Ermittlung des Gleichheitsmaßstabs ist danach die Charakterisierung des vom Gesetzgeber gewählten Verbindungswahlsystems. Nur wenn das ausgewählte Wahlsystem beiden Teilwahlsystemen ihre Selbständigkeit belässt, können auch die jeweils zu definierenden Maßstäbe auf das jeweilige Wahlsystem beschränkt werden (sogenanntes Grabenwahlsystem). Wird hingegen das ausgewählte Wahlsystem im Ergebnis von einem der beiden Teilwahlsysteme maßgeblich definiert, muss dessen Gleichheitsmaßstab insgesamt Anwendung finden (vgl. Klein, in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz - Kommentar - Band IV, Art. 38 Rn. 179 ; Nohlen , Wahlrecht und Parteiensystem, 6. Aufl. 2009, S. 351 f.; Wild , a.a.O., S. 211 ff.).

102

(2) Das Wahlsystem zum Schleswig-Holsteinischen Landtag ist als „personalisierte Verhältniswahl“ zu charakterisieren. Es stellt sich als ein verbundenes einheitliches Wahlsystem dar, vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV. Ein Grabenwahlsystem, in dem die Grundsätze der beiden Wahlsysteme nebeneinander stehen, ist durch diese Verfassungsbestimmung ausgeschlossen. Das Schleswig-Holsteinische Landtagswahlsystem ist maßgeblich geprägt und im Ergebnis bestimmt von den Grundsätzen der Verhältniswahl. Dem Maßstab der Erfolgswertgleichheit kommt dabei eine übergreifende Tragweite zu; insgesamt muss jede Wählerstimme von gleichem Gewicht sein.

103

(a) Schon vor Einführung des begrenzten Mehrsitzausgleichs und unter Geltung des Einstimmenwahlrechts führte das Bundesverfassungsgericht in seiner Funktion als Landesverfassungsgericht in seiner ersten Entscheidung zur schleswigholsteinischen Sperrklausel aus, dass das Landtagswahlsystem Elemente der Mehrheitswahl mit solchen der Verhältniswahl verbinde. Hinter der Mehrheitswahl im Wahlkreis stehe der „Vollproporz in der radikalen Form“. Auch im Falle der Kombination zweier Wahlsysteme dürfe der Verhältnisausgleich nicht beliebig gestaltet werden. Eine ungleichmäßige Verwertung der Stimmen im Verhältnisausgleich sei nicht damit zu rechtfertigen, dass die Parteien bei einer Mehrheitswahl noch ganz anders benachteiligt würden. Wenn die Entscheidung für einen zusätzlichen Verhältnisausgleich falle, müsse in diesem Teil des Wahlverfahrens auch die Wahlgleichheit in ihrer spezifischen Ausprägung für die Verhältniswahl beachtet werden. Dies gelte erst recht für das in Schleswig-Holstein eingeführte Wahlsystem, „das letzten Endes auf eine rein verhältnismäßige Verteilung der Mandate nach dem Wahlergebnis im ganzen Land mit bloß zusätzlicher Prämie aus der Mehrheitswahl hinauslaufe“ (Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 2, 109, 121; zustimmend: von Mutius, in: ders. / Wuttke/ Hübner , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 3 Rn. 10.; Hübner , a.a.O., Art. 10 Rn. 19, 22 jeweils m.w.N.).

104

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht - wiederum als Landesverfassungsgericht - auch das bis heute mit nur einer Wählerstimme arbeitende kommunale Wahlsystem Schleswig-Holsteins den Grundsätzen der Verhältniswahl unterworfen. Die Möglichkeit der Erringung von Direktmandaten stelle keine Durchbrechung des Verhältniswahlsystems dar, weil die Wählerstimme zugleich als Votum für die Liste gelte und die Mandate unter Anrechnung der errungenen Direktsitze nach der Gesamtstimmenzahl verteilt würden. Mit der Entscheidung für das Verhältniswahlsystem sei der Gesetzgeber daran gebunden, sowohl die Zähl- als auch die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen sicherzustellen (Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 105).

105

(b) Das vom Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 (a.a.O., Juris Rn. 2, 109, 121) als einheitliches Wahlsystem in Form der personalisierten Verhältniswahl charakterisierte Wahlrecht zum Schleswig-Holsteinischen Landtag, das trotz vorgeschalteter Mehrheitswahl den Grundcharakter einer Verhältniswahl trägt, ist mittlerweile in der Verfassung in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV als Verbindungswahlsystem mit Überhang- und Ausgleichsmandaten festgeschrieben.

106

Die durch Gesetz vom 27. Oktober 1997 (GVOBl S. 462) erfolgte Umstellung auf das Zweistimmenwahlrecht sollte eine Differenzierung zwischen persönlich bekannten Kandidatinnen und Kandidaten einerseits und Parteien andererseits ermöglichen (PlPr 14/3, S. 81). Dabei blieben Art. 10 Abs. 2 LV und der Verhältnisausgleich nach § 3 LWahlG jedoch unverändert. Insoweit spricht auch die aktuelle Kommentarliteratur weiterhin von einer „personalisierten Verhältniswahl“ (vgl. Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 37; Waack , a.a.O., Art. 10 Rn. 65). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht - wiederum in seiner Eigenschaft als Landesverfassungsgericht - in seiner letzten Entscheidung zum schleswig-holsteinischen Landeswahlrecht den Inhalt seiner Entscheidung von 1952 bestätigt (Beschluss vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 2 und 31).

107

(c) Die personalisierte Verhältniswahl zum Landtag gemäß Art. 10 Abs. 2 LV wird im Landeswahlgesetz nach den §§ 1 bis 3 LWahlG durch die Verknüpfung einzelner Abschnitte von (Teil-) Wahlsystemen umgesetzt. Die Schritte zur Verknüpfung beschreibt § 3 LWahlG wie folgt: Zunächst wird die Anzahl der auf die einzelnen Landeslisten entfallenden Sitze auf Grundlage der gültigen Zweitstimmen ermittelt und die Gesamtzahl der Abgeordneten entsprechend auf die Landeslisten verteilt (§ 3 Abs. 3 LWahlG). Sodann sind die in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber auf Grundlage der gültigen Erststimmen (§ 2 LWahlG) zu ermitteln und auf das Ergebnis der Listenwahl anzurechnen (§ 3 Abs. 4 LWahlG). Diese Anrechnung dient der Verknüpfung und notwendigen Harmonisierung von Personen- (oder Direkt-) wahl und Verhältniswahl (vgl. für § 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG:Ipsen , Staatsrecht I, 21. Aufl. 2009, Rn. 114, 119). Methodisch erreicht der Gesetzgeber die Verknüpfung über eine „Verteilungsfiktion“ (so für das Bundeswahlrecht: Wrege , Jura 1997, 113), denn die Verteilung der Gesamtzahl der Abgeordneten auf die Landeslisten nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG erfolgt zunächst nur fiktiv. Diese Fiktion wird durch die Anrechnung der erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber auf die jeweilige Landesliste wieder aufgelöst (§ 3 Abs. 4 LWahlG). Schließlich schreibt § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG vor, dass einer Partei die in den Wahlkreisen errungenen Mandate auch dann verbleiben, wenn deren Anzahl größer ist als die des verhältnismäßigen Sitzanteils (entsprechend § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG). Zum Zwecke des Ausgleichs werden hierfür weitere Sitze nach dem in § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG beschriebenen Verfahren vergeben.

108

(d) Trotz dieser verschiedenen Abschnitte handelt es sich bei dem heutigen Landeswahlsystem somit nicht um ein (Mischwahl- oder) Grabensystem, sondern um ein einheitliches Wahlsystem, das erst aus der Verbindung der beiden Wahlsysteme entsteht. Gerade erst aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Systemabschnitte lassen sich die Landtagsmandate ermitteln. Zweck der Verbindung ist es, sowohl eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten nach Mehrheitswahl in den Wahlkreisen zu bestimmen und so das Persönlichkeitselement einzubringen (§ 1 Abs. 1 Satz 2, § 2 LWahlG) als auch, den parteibezogenen Proporz zu sichern (§ 1 Abs. 1 Satz 2, § 3 LWahlG).

109

Die Direktkandidatinnen und Direktkandidaten werden zwar in den Wahlkreisen nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt. Die von ihnen im Landtag besetzten Sitze werden aber nicht unter den Bedingungen der Mehrheitswahl vergeben, sondern unter Anrechnung auf die Landeslisten. Die von den erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerbern besetzten Sitze sind von ihnen im Ergebnis zwar persönlich gewonnen, zugleich sind sie aber Teil der verhältnismäßigen Abbildung der Stärke der Parteien und gehen in die mit der Verhältniswahl bezweckte Abbildung der relativen Stimmverteilung im Wahlvolk ein.

110

Aus dem Landtagswahlsystem wird auch nicht dadurch eine „Persönlichkeitswahl, ergänzt um Elemente der Verhältniswahl“, weil die Sitze nicht - wie im Bund - in einem prozentualen Verhältnis von 50:50 auf die Mehrheitswahl und die Verhältniswahl aufgeteilt werden, sondern gemäß § 1 Abs. 1 LWahlG - historisch gewachsen - in einem prozentualen Verhältnis von etwa 60:40 (heute: 40 Direktmandate zu 29 planmäßigen Listenmandaten). Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass der prozentuale Anteil der direkt gewählten Abgeordneten kleiner wird, sobald es zu Mehrsitzen kommt, die der jeweiligen Partei - zwecks Wahrung des Persönlichkeitselements - verbleiben. Das „Verbleiben“ dieser Mehrsitze führt zu einer Erhöhung der Gesamtsitzzahl im Landtag, während die gesetzlich festgelegte Zahl von 40 Direktmandaten gleich bleibt. Dies galt im Übrigen schon vor Einführung des Art. 10 Abs. 2 LV und des Mehrsitzausgleichs.

111

(3) Mit der Verpflichtung des Gesetzgebers auf einen Ausgleich der Überhangmandate (Mehrsitze) in Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV hat der Verfassungsgeber die Dominanz der Verhältniswahl nochmals bekräftigt und ihr Gewicht in Richtung Gesamtproportionalität gestärkt. Diese Stärkung drängt das Teilelement Mehrheitswahl zwangsläufig weiter zurück.

112

(a) Nach dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV ist nur eindeutig festgelegt, dass ein Ausgleich stattzufinden hat; eine Aussage über die Anzahl oder die Berechnung der Ausgleichsmandate fehlt demgegenüber. Auch aus der Entstehungsgeschichte des 1990 in die Landesverfassung eingefügten Art. 10 Abs. 2 LV lässt sich nicht entnehmen, wie der Verfassungsgeber den konkreten Ausgleich gestaltet wissen wollte.

113

(aa) Die frühere Landessatzung (LS) sah noch keine Bestimmungen über die Wahlen zum Landtag vor; auch die 1988 eingesetzte Enquete-Kommission „Verfassungs- und Parlamentsreform“ befasste sich nicht mit dem Wahlrecht (vgl. Landtags-Drucksache 12/180, S. 153 ff.). Der im Februar 1989 eingesetzte Sonderausschuss „Verfassungs- und Parlamentsreform“ - SoAVP - (Landtags-Drucksache 12/218) diskutierte die verfassungsmäßige Festlegung der Abgeordnetenzahl im Landtag und die damit zusammenhängende Frage, ob die Regelung von Überhang- und Ausgleichsmandaten dem einfachen Gesetzgeber überlassen werden könne.

114

In der 2. Sitzung des Sonderausschusses wurde die Gefahr des Entstehens von Überhangmandaten für den Fall, dass man wenige Listenmandate und viele Wahlkreise vorsehe, zwar angesprochen, in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen aber als gering erachtet (SoAVP 2/20 f.). In der 5. Sitzung einigte man sich darauf, die Zahl der Mandate in der Verfassung festzuschreiben. Da Abweichungen hiervon aus wahlsystematischen Gründen nicht ausgeschlossen seien, sollten auch Überhang- und Ausgleichsmandate in der Verfassung Erwähnung finden (SoAVP 5/3 ff.). In der 6. Sitzung wurde diskutiert, ob die Entscheidung über Überhang- und Ausgleichsmandate dem jeweiligen Gesetzgeber überlassen werden soll. Im Ergebnis war es der erklärte Wille des Ausschusses, in der Verfassung eine Formulierung zu wählen, die es dem Gesetzgeber verbiete, Überhang-, Ausgleichs- oder Leermandate auszuschließen; diese sollten grundsätzlich im Wahlgesetz möglich gemacht werden (SoAVP 6/5 ff.). Den Formulierungsvorschlag des wissenschaftlichen Dienstes, wonach das Wahlgesetz Überhang- und Ausgleichsmandate ermöglichen müsse (Landtags-Umdruck 12/479), übernahm der Ausschuss in seiner 7. Sitzung nahezu wortgleich (SoAVP 7/4). Der anschließende Vorschlag des Landeswahlleiters, sich hinsichtlich des geltenden Wahlsystems (kombinierte Persönlichkeits- und Verhältniswahl) und der Verpflichtung des Gesetzgebers zu Ausgleichsmandaten klarer festzulegen, scheiterte zunächst, weil man meinte, dass es einer weiteren Klarstellung nicht bedürfe. Die Festlegung auf das gemischte Wahlsystem sei schon so erkennbar (SoAVP 21/19 ff.).

115

Im Abschlussbericht des Sonderausschusses vom 28. November 1989 wurde folgender Art. 10 LV vorgeschlagen (Landtags-Drucksache 12/620, S. 9):

116

Art. 10 Funktion und Zusammensetzung des Landtages

(1) […]

(2) Der Landtag besteht aus fünfundsiebzig Abgeordneten. Diese Zahl ändert sich, wenn Überhang- oder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Das Nähere regelt ein Gesetz, das Überhang- und Ausgleichsmandate ermöglichen muss.

117

Der Sonderausschuss führte dazu aus: „Die in Satz 1 festgelegte Abgeordnetenzahl kann sich nur ändern, wenn Überhang- oder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Insoweit die Einzelheiten zu regeln, muss (…) dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben. Sein Regelungsspielraum wird allerdings durch Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV eingeengt. Wenn das Gesetz Überhang- oder Ausgleichsmandate ermöglichen muss, so wird damit mittelbar das Wahlsystem - nämlich das System einer kombinierten Persönlichkeits- und Verhältniswahl -vorgegeben“ (Landtags-Drucksache 12/620 , S. 40).

118

Die daraufhin eingebrachten Gesetzentwürfe (Landtags-Drucksache 12/637, S. 5 und 12/638 , S. 4) übernahmen den Vorschlag zu Art. 10 Abs. 2 LV. In der ersten Lesung am 16. Januar 1990 mahnte der damalige Innenminister - wie zuvor schon der Landeswahlleiter (Landtags-Umdruck 12/763) - eine klarere Formulierung der wahlrechtlichen Regelungen an. Es sei ein Mangel, wenn Einzelheiten eines bestimmten Wahlsystems geregelt würden, dabei aber nicht das Wahlsystem selbst bezeichnet werde, welches verfassungsfest gemacht werden solle (PlPr. 12/43 S. 2538). Auf Bitte des Sonderausschusses formulierte er die aus Sicht der Landesregierung wünschenswerten Änderungen und fügte in Art. 10 Abs. 2 LV die Festschreibung des bis dahin einfachgesetzlich schon geltenden kombinierten Persönlichkeits- und Verhältniswahlrechts ein (Umdruck 12/1292). Dem schlossen sich der Sonderausschuss (Landtags-Drucksache 12/826) und der Landtag an. Damit wurde Art. 9 Abs. 1 LS nach zweiter Lesung am 30. Mai 1990 (PlPr 12/55) durch Gesetz vom 13. Juni 1990 (GVOBl S. 391) durch folgenden Art. 10 LV ersetzt:

119

Art. 10 Funktion und Zusammensetzung des Landtages

(1) […]

(2) Der Landtag besteht aus fünfundsiebzig Abgeordneten. Sie werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Die in Satz 1 genannte Zahl ändert sich nur, wenn Überhangoder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Das Nähere regelt ein Gesetz, das für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss.

120

Soweit die ursprüngliche Fassung „(…) ermöglichen muss“ geändert wurde in „(…) vorsehen muss“, präzisiert und konkretisiert dies den an den Gesetzgeber gerichteten Auftrag (so auch der Vorsitzende des Sonderausschusses während der 21. Sitzung, SoAVP 21/22). Die Diskussion im Sonderausschuss gibt nicht her, dass der Verfassungsgeber durch diese Formulierung zwingend einen Vollausgleich vorschreiben wollte.

121

(bb) Vollständig würdigen lässt sich die Entstehungsgeschichte des Art. 10 Abs. 2 LV nur vor dem Hintergrund des geltenden Landeswahlrechts. Die Tatsache, dass sich der Verfassungsgeber im Rahmen der Beratungen zur Frage des Voll- oder Teilausgleichs nicht ausdrücklich geäußert hat, beruhte darauf, dass mit der Entstehung von Überhangmandaten (Mehrsitzen) in nennenswertem Umfang damals noch nicht gerechnet wurde.

122

Mit Inkrafttreten der neuen Landesverfassung musste auch das Landeswahlgesetz geändert werden, weil es bis zu dieser Zeit noch keinen Mehrsitzausgleich vorsah. Der Entwurf zum Landeswahlgesetz wurde bewusst an § 10 Abs. 4 GKWG angelehnt (Landtags-Drucksache 12/834, S. 2). Das Änderungsgesetz vom 20. Juni 1990 (GVOBl S. 419) trat am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Aus der parallel zur Verfassungsänderung vorgenommenen Einführung eines nur beschränkten Mehrsitzausgleiches - im damaligen § 3 Abs. 4 LWahlG - könnte geschlossen werden, dass der mit dem Gesetzgeber identische Verfassungsgeber nicht zwingend einen stets vollständigen Ausgleich von Überhangmandaten vorschreiben wollte. Wenn der Landtag erstmalig eine Pflicht zum Ausgleich von Überhangmandaten in die Landesverfassung aufnimmt und nicht nur in Kenntnis, sondern auch aus Anlass seiner eigenen Verfassungsvorgaben zeitgleich als Gesetzgeber das Wahlrecht ändert, ist es zwar naheliegend, dass er die durch diese Gesetzesänderung herbeigeführte Rechtslage - die Begrenzung des Ausgleichs in § 3 Abs. 4 Satz 3 LWahlG bei geltender Ausgleichspflicht nach Art. 10 Abs. 2 Satz 4 LV -für mit der Verfassung vereinbar hielt. Abgesehen davon, dass eine solche Annahme auch nicht zutreffen muss und insbesondere nicht vom einfachen Recht auf die richtige Auslegung der Verfassung geschlossen werden kann, gibt es dafür jedoch keine weiteren Anhaltspunkte.

123

Bei Verabschiedung der neuen Verfassung sah das Landeswahlgesetz noch das Einstimmenwahlrecht vor. Die Einführung des Zweistimmenwahlrechts war noch nicht in der parlamentarischen Diskussion, sie erfolgte erst durch Gesetz vom 27. Oktober 1997 (GVOBl S. 462). Die Möglichkeit, dass es bei einer Landtagswahl zu Überhangmandaten kommen würde, war dennoch nicht auszuschließen und hatte durch Übernahme der Formulierung aus § 10 Abs. 4 GKWG Berücksichtigung gefunden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese theoretische Möglichkeit tatsächlich realisieren würde, war von der praktischen Erfahrung her allerdings noch nicht belegt. Seit 1947 bis zur Verfassungsänderung war es bei Landtagswahlen nicht dazu gekommen, dass der Anteil der Direktmandate einer Partei größer gewesen wäre als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil. Die Wahlstatistik zeigt, dass die gesetzlich festgelegte Zahl von Abgeordneten erstmals aufgrund der Landtagswahl 1992 überschritten worden ist („Wahlen in Schleswig-Holstein seit 1947“, Sitzverteilung, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2009).

124

Umso fernliegender war im Jahre 1990 die Vorstellung, dass bei tatsächlicher Entstehung von Überhangmandaten (Mehrsitzen) die Gewährung von insgesamt doppelt so vielen weiteren Sitzen nicht ausreichen würde, um einen vollständigen Ausgleich zu erreichen. Tatsächlich hat es in Schleswig-Holstein nahezu 20 Jahre gedauert, bis dieser Fall bei der Landtagswahl 2009 erstmals eingetreten ist. Die Faktoren, die diese Entwicklung ermöglichten (Einführung des Zweistimmenwahlrechts mit der Möglichkeit des Stimmensplittings, zunehmend breiteres Parteienspektrum und infolgedessen breitere Streuung der Zweitstimmen), waren damals noch nicht voraussehbar.

125

Vergleichbar wurde etwa für Niedersachsen noch 1996 darauf hingewiesen, dass das Verbleiben ungedeckter Überhangmandate nach begrenztem Ausgleich ein Phänomen sei, das „in den vergangenen Jahrzehnten“ keine praktische Bedeutung erlangt habe, weshalb davon ausgegangen werden könne, „dass der Gesetzgeber (…) das Erforderliche getan hat, um die Folgen einer Verzerrung des Erfolgswerts von Wählerstimmen zu beseitigen“ (vgl. Ipsen/Koch , NdsVBl 1996, 269 <271>). Entsprechend soll der historische Bundesgesetzgeber Überhangmandate als vernachläs-sigenswerten Schönheitsfehler angesehen und deshalb den parteipolitischen Streitpunkt, ob das Wahlsystem den Schwerpunkt in der Mehrheitswahl oder in der Verhältniswahl habe, pragmatisch offen gelassen haben, um insoweit kein komplizierendes Ausgleichsverfahren schaffen zu müssen. Auch das Bundesverfassungsgericht ist dieser Annahme anfänglich gefolgt, zumal diese durch die Wahlergebnisse zunächst auch bestätigt wurde (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff. - Sondervotum -, Juris Rn. 181 ff.; Wrege , Jura 1997, 113 <115 f.> beide m.w.N.). Erst die Bundestagswahl 1994, bei der die CDU zwölf und die SPD vier Überhangmandate errangen, gab Anlass zu einer Neupositionierung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 10. April 1997 (a.a.O., Juris Rn. 23).

126

(b) Bis hierher lässt sich für den Gesetzgeber keine zwingende Pflicht zum Vollausgleich begründen. Sinn und Zweck des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV könnten in diese Richtung weisen. Die Pflicht, für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorzusehen, dient der Wahrung und Stärkung des auch bundesrechtlich über das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 (Satz 2) GG verankerten Grundsatzes der Wahlgleichheit in Art. 3 Abs. 1 LV.

127

Generell können Überhangmandate entstehen, wenn Persönlichkeitswahl und Verhältniswahl miteinander verbunden werden. Die für diesen Fall vorgesehene Gewährung von Ausgleichsmandaten stellt sicher, dass das Verhältnis der Sitze der einzelnen Parteien dem Verhältnis der für die einzelnen Landeslisten abgegebenen Stimmen entspricht, so dass sich die politischen Gewichte durch das Entstehen von Überhangmandaten im Ergebnis nicht verändern (vgl. Schreiber , Bundeswahlgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2009, § 6 Rn. 29; Litten/ Wallerath , Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 2007, Art. 20 Rn. 33).

128

Diese Zielsetzung hat auch Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV. Nach den Beratungen im Sonderausschuss sollten die Ausgleichsmandate mit dieser Regelung „verfassungsfest“ gemacht werden. Außerdem sollte unmissverständlich vorgeschrieben werden, dass durch die Ausgleichsmandate das Prinzip der Verhältniswahl zu wahren sei (SoAVP 21/21 f.). Entsprechend verpflichtet Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV den Gesetzgeber zur (Wieder-) Herstellung der nach dem Zweitstimmenanteil festgestellten politischen Gewichte der einzelnen im Landtag vertretenen Parteien und damit zur Übereinstimmung zwischen Stimmenverhältnis und Sitzverhältnis (ebensoWaack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 71). Unter Rückgriff auf den strengen Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 LV ergibt sich daraus, dass nach der spezielleren Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV der Vollausgleich die Regel, der Teilausgleich hingegen eine zwingend begründungsbedürftige Ausnahme darstellt (ebensoMorlok , Stellungnahme zu Landtags-Drucksache 17/10, Landtags-Umdruck 17/752, S. 4).

129

(4) Dient danach Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV der Wahrung und Stärkung des Grundsatzes der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 LV und legt den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlsystems insoweit von Verfassungs wegen fest, kann die Vorschrift nicht als Begründung dafür herhalten, dass der Gesetzgeber dahinter zurückbleiben oder den Grundsatz der Erfolgswertgleichheit gar relativieren dürfte. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV der Wahlgleichheit zu einer optimalen, „bestmöglichen“ Geltung zu verhelfen (so schonHübner, in: von Mutius / Wuttke/ ders., Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 10 Rn. 23). Überhangmandate dürfen daher grundsätzlich nur im unvermeidlichen Mindestmaß anfallen, es sei denn sie werden durch Ausgleichsmandate ausgeglichen. Der Ausgleich muss dann allerdings so durchgeführt werden, dass die eingetretene Verzerrung soweit wie möglich wieder beseitigt, also der Wahlgleichheit „bestmöglich“ genügt wird (im Ergebnis ebenso: StGH BW, Urteil vom 12. Dezember 1990 - 1/90 -, VBlBW 1991, 133 ff., Juris Rn. 53 ff.; Waack , a.a.O., Art. 10 Rn. 71; Hübner , a.a.O.).

130

(a) Das aus der Wahlgleichheit entwickelte Kriterium der Erfolgswertgleichheit beinhaltet zwar kein absolutes Differenzierungsverbot, belässt dem Gesetzgeber bei der Ordnung des jeweiligen Wahlsystems aber nur einen eng bemessenen Gestaltungsspielraum. Denn der Wahlgleichheit ist - anders als dem allgemeinen Gleichheitssatz - ein strikt formaler Charakter zu eigen. Ebenso wie die übrigen Wahlrechtsgrundsätze ist sie einer „flexiblen“ Auslegung nicht zugänglich (vgl. nur StGH BW, Urteil vom 23. Februar 1990 - 2/88-, VBlBW 1990, 214 ff., Juris Rn. 44; BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 108; und vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 91, 97; Schneider , in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Aufl. 2001, Art. 38 Rn. 67 ). Deshalb kann sich der Gesetzgeber nicht damit begnügen, überhaupt einen Ausgleich vorzusehen. Genüge getan ist dem Maßstab der Erfolgswertgleichheit nach Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV grundsätzlich erst dann, wenn sämtliche Überhangmandate ausgeglichen sind. Jedes ungedeckt bleibende Überhangmandat muss sich (wieder) den strengen Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 LV stellen und ist rechtfertigungsbedürftig.

131

(b) Selbst wenn dem Bundesgesetzgeber nach Art. 38 Abs. 1 GG insoweit ein größerer Gestaltungsspielraum zustünde (so BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 107), wäre dies auf die schleswigholsteinische Rechtslage nicht übertragbar. Denn das schleswig-holsteinische Landtagswahlsystem ist jedenfalls nicht darauf angelegt, die Ergebnisse der vorgeschalteten Mehrheitswahl in Form von überhängenden, das heißt im Ergebnis ungedeckten Mehrsitzen zu erhalten. Art. 3 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV verpflichten den Landesgesetzgeber vielmehr insgesamt auf den Proporz nach Zweitstimmen und auf einen Verhältnisausgleich, der grundsätzlich auch die Mehrsitze deckt (BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 109, 121; und Beschluss vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 31).

132

Das „sachgerechte Zusammenwirken“ der miteinander verbundenen Teilwahlsysteme erfordert eine Geltung des Gebots des gleichen Erfolgswerts „grundsätzlich für das gesamte Wahlverfahren“ (so schon von Mutius , in: ders. / Wuttke/ Hübner , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 3 Rn. 10). Sind aber - wie im Wahlrecht zum Schleswig-Holsteinischen Landtag -einzelne Abschnitte verschiedener Wahlsysteme so miteinander verbunden, dass sich die Zusammensetzung des Landtages erst und gerade aus ihrem Zusammenspiel ergibt, muss auch dieses Zusammenspiel dem Prinzip der Erfolgswertgleichheit unter dem Gesichtspunkt der Wahlgleichheit gehorchen (BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 a.a.O., Juris Rn. 109, 121). Hieraus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner letzten Entscheidung zum schleswig-holsteinischen Landeswahlrecht den Schluss gezogen, dass etwaige Differenzierungen in der Erfolgswertgleichheit nur unter den engen Voraussetzungen eines „zwingenden Grundes“ zulässig sind (Beschluss vom 14. Februar a.a.O., Juris Rn. 31; so auch von Mutius , a.a.O., Art. 3 Rn. 10; Hübner , a.a.O., Art. 10 Rn. 19, 22; Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 27, 49; Waack , a.a.O., Art. 10 Rn. 69).

133

Soweit das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss (a.a.O., Juris Rn. 47) in einem obiter dictum ausführt, dass der schleswig-holsteinische Verfassungsgeber bewusst darauf verzichtet habe, das Wahlsystem und dessen konkrete Ausgestaltung im Einzelnen verfassungsrechtlich vorzuschreiben, bezieht sich dies nicht auf die durch Ausgleichsmandate herzustellende Übereinstimmung zwischen Stimmenverhältnis und Sitzverhältnis.

134

Soweit vertreten wird, das Ausgleichsverfahren müsse kein „bestmögliches“ sein, sondern sich gegenüber dem Wahlwettbewerb lediglich neutral verhalten (unter Verweis auf Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 71), lassen sich auch damit keine Abstriche am strengen Maßstab der Erfolgswertgleichheit begründen. Dieses „Neutralitätsgebot“ entstammt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur ersten gesamtdeutschen Wahl (Urteil vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. -BVerfGE 82, 322 ff., Juris Rn. 46 f.). In dieser Entscheidung hat das Gericht nicht zur Lockerung des Maßstabs, sondern zur Sicherung der Erfolgswertgleichheit die Übernahme der Sperrklausel für das gesamte - erweiterte - Wahlgebiet angesichts der gegebenen besonderen Umstände für verfassungswidrig befunden.

135

(c) Dies wird durch die oben ((3) (a) (aa) ) dargestellte Entstehungsgeschichte eindrucksvoll bestätigt. Der mit der Verfassungsreform befasste Sonderausschuss zog aus dem bestehenden Wahlsystem die Konsequenz, dass sich die Anzahl der in der Verfassung festzulegenden Abgeordneten im Falle des Entstehens von Überhangmandaten erhöhen soll. Dem einfachen Gesetzgeber sollte nicht nur mit der Festlegung in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LV die Entscheidung über die Anzahl der regulären Gesamtsitze, sondern auch die Entscheidung über das Maß ihrer Erhöhung entzogen werden. Im Falle des Entstehens von Überhangmandaten soll sich die Zahl der Gesamtsitze um Überhang- und Ausgleichsmandate erhöhen (Art. 10 Abs. 2 Satz 4 LV), während es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, durch eine entsprechende Wahlrechts- oder Verfahrensgestaltung nach Möglichkeit schon die Entstehung von Überhangmandaten zu verhindern. Nur insoweit bleibt dem Gesetzgeber überhaupt ein Gestaltungsspielraum.

136

b) An diesen Verfassungsvorgaben ist das derzeitige Landeswahlrecht zu messen. Die im Zusammenspiel von § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 LWahlG sowie § 16 LWahlG angelegte Möglichkeit der deutlichen Überschreitung der Regelgröße des Landtages von 69 Abgeordneten bei gleichzeitigem Entstehen ungedeckter Mehrsitze führt zu einer ungleichen Gewichtung der Wählerstimmen. Dadurch werden sowohl der Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV als auch die Verfassungsvorgabe des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV, die Regelgröße von 69 Abgeordneten möglichst nicht zu überschreiten, verfehlt. Dies ist weder mathematisch unausweichlich noch durch anderweitige, sachlich legitimierende Gründe zu rechtfertigen.

137

aa) Selbst wenn die von einer Vielzahl von Beschwerdeführern in den Mittelpunkt ihrer Rügen gestellte Begrenzung des Mehrsitzausgleichs durch § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG und die damit nur eingeschränkte Wiedergabe des mit den Zweitstimmen zum Ausdruck gebrachten Wählerwillens im Wahlergebnis zunächst nur an Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV unter Berücksichtigung der aus der Wahlgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 LV abzuleitenden Anforderungen an den Gesetzgeber gemessen wird, ist festzustellen, dass die Vorschrift erst gemeinsam mit den sonstigen Regelungen in § 3 Abs. 5 sowie in § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 16 LWahlG unter den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen dazu führt, dass es zu einer Verzerrung der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen kommt, die sich nicht nur als vereinzelte und deshalb vernachlässigenswerte Ausnahme darstellt.

138

(1) Durch die Begrenzung des Verhältnisausgleichs können ungedeckte Mehrsitze entstehen, die ihrerseits zu einer ungleichen Gewichtung der Wählerstimmen führen. Dabei tritt das Ungleichgewicht erst in der Kombination von Erst- und Zweitstimme zutage. Über die Erststimme werden in den Wahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht 40 Direktmandate ermittelt. An ihrer Zahl ändert sich durch das Entstehen von ungedeckten Mehrsitzen nichts. Auch die Zweitstimmen erfahren - isoliert betrachtet - keine ungleiche Gewichtung. Die Ungleichheit ergibt sich erst daraus, dass für die Mehrsitzpartei - wenn Mandate ungedeckt bleiben - nicht nur die Zweitstimmen, sondern auch die erfolgreichen Erststimmen zählen (vgl. Ehlers / Lechleitner , JZ 1997, 761 <762> m.w.N.; Wrege , Jura 1997, 113 <115>) und deren Wählerinnen und Wähler damit einen stärkeren politischen Einfluss bekommen als die der anderen Parteien.

139

Dieses Phänomen der Stimmverdoppelung ergibt sich daraus, dass der am Ende der Sitzzuteilung stehende Verhältnisausgleich unter Anrechnung der Wahlkreismandate auf die Landesliste erfolgt, § 3 Abs. 3 und 4 LWahlG. Der Verhältnisausgleich bewirkt prinzipiell, dass jede Wählerin und jeder Wähler letztlich nur mit der Zweitstimme Einfluss auf die Zusammensetzung des Landtags nimmt. Fällt die Erststimme auf eine nicht erfolgreiche Wahlkreisbewerberin oder einen nicht erfolgreichen Wahlkreisbewerber, bleibt sie schon nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl ohne Gewicht. Fällt die Erststimme auf eine erfolgreiche Wahlkreisbewerberin oder einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber, wird sie durch die Anrechnung auf die Landesliste durch die Zweitstimme aufgezehrt. Fallen jedoch entsprechend § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG Mehrsitze an, verstärkt sich das Stimmgewicht derjenigen Wählerinnen und Wähler, die zur Entstehung der Mehrsitze beigetragen haben, dadurch, dass bei ihnen sowohl Erst- als auch Zweitstimme an der Bestimmung der Mandatszahl der Mehrsitzpartei im Landtag mitwirken. Werden die Mehrsitze schließlich nach § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG nicht vollständig ausgeglichen, verhelfen sie der Mehrsitzpartei mit ihrer Erststimme zu einem Mandat, das außerhalb des Proporzes steht.

140

(2) Diese im Wahlgesetz angelegte ungleiche Gewichtung der Stimmen hat sich im Ergebnis der Landtagswahl 2009 realisiert. Sie beeinträchtigt die Erfolgswertgleichheit, da es jedenfalls nach der gebotenen ex post - Betrachtung an einem gleich großen Einfluss aller Wählerstimmen auf die Verteilung der Landtagssitze fehlt.

141

Die der CDU verbliebenen drei ungedeckten Mehrsitze liegen außerhalb des Proporzes und führen dazu, dass denjenigen Wählerinnen und Wählern von Direktkandidatinnen und Direktkandidaten der CDU ein stärkeres Stimmgewicht zukommt, die mit der Summe ihrer Stimmen zu dem Überhang an Mandaten beigetragen haben. Diese nach dem endgültigen Wahlergebnis bestehende Ungleichbehandlung des Stimmgewichts der Wählerinnen und Wähler der CDU gegenüber dem der Wählerinnen und Wähler der anderen Parteien ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt:

142

1          

2          

3          

4          

5          

6          

7          

8          

Partei

Zweitstimmen

verhältnism. Sitzanteil

Stimmen je Mandat

Sitzanteil nach Mehrsitzausgl.

Stimmen je Mandat

mit unged. Mehrsitzen

Stimmen je Mandat

CDU

505.612

23   

21.983,13

31   

16.310,06

34   

14.870,91

SPD

407.643

19   

21.454,89 *

25   

16.305,72 *

                 

FDP

239.338

11   

21.758

14   

17.095,57

                 

GRÜNE

199.367

9       

22.151,88

12   

16.613,91

                 

SSW

69.701

3       

23.233,66

4       

17.425,25

                 

DIE LINKE

95.764

4       

23.941 *

5       

19.152,80 *

                 
143

*Differenz zwischen niedrigster und höchster Stimmenzahl (Marge) = 2.486,11 und 2.847,08 Stimmen

144

Während die Spalten 4 und 6 zeigen, wie viele Zweitstimmen jede Partei für die Zuteilung eines Sitzes innerhalb des Proporzes benötigt (bei einem verhältnismäßigen Sitzanteil gemäß § 3 Abs. 3 - Spalte 3 - und nach dem Mehrsitzausgleich gemäß Abs. 5 Satz 2 LWahlG - Spalte 5 -), zeigt Spalte 8, wie viele Zweitstimmen die CDU nur deshalb weniger braucht, weil sie mit den ungedeckten Mehrsitzen aufgrund eines Überschusses an Wahlkreismandaten, die mit Erststimmen gewonnen wurden, zusätzliche Sitze zugeteilt erhielt. Während die mathematisch unvermeidbare Differenz zwischen der größten und der kleinsten benötigten Stimmenzahl (Marge) innerhalb des Proporzes 2.847,08 Stimmen (Spalte 6) beträgt, kommt es nun zu einer Marge von 4.282,79 Stimmen.

145

Diese Zahlen zeigen, dass der vorgesehene Verhältnisausgleich nicht geeignet ist, die Wählerschaft spiegelbildlich im Landtag darzustellen. Die dabei eintretende Verzerrung geht über die unausweichlichen Folgen des hier zur Anwendung kommenden Verteilungsverfahrens nach d’Hondt hinaus. Mit den nach Spalte 8 benötigten Zweitstimmen verlässt die CDU den Rahmen, der sich aus einem Vergleich der niedrigsten (SPD: 16.305,72) mit der höchsten (DIE LINKE: 19.152,80) benötigten Stimmenzahl ergibt.

146

(3) Zwar besteht die Gefahr der Ungleichgewichtung infolge ungedeckter Mehrsitze nicht gleichermaßen für alle Wahlberechtigten und muss sich auch nicht bei jeder Wahl realisieren. Dies ist jedoch für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit nicht entscheidend (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. -BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 107 f.). Entscheidend ist, dass das Ergebnis der Landtagswahl 2009 sich nicht als vernachlässigenswerter Ausnahmefall darstellt; mit ungedeckten Mehrsitzen und einer Verzerrung der Stimmgewichtung bezogen auf den einzelnen Landtagssitz muss für die Zukunft vielmehr regelmäßig gerechnet werden. Denn abgesehen von dem unvorhersehbaren Zusammenspiel der verschiedenen Ursachen entwickelt sich die politische Wirklichkeit in eine Richtung, die das Entstehen von Mehrsitzen bei der derzeitigen Gestaltung des Wahlrechts auch künftig mehr als wahrscheinlich macht. Hierzu zählt etwa die Erweiterung des Parteienspektrums mit breiterer Streuung der Zweitstimmen (vgl. schon Ipsen , JZ 2002, 469 <472>). Diese Entwicklung hatte sich schon bei den Kommunalwahlen 2008 abgezeichnet, wo es in zahlreichen Gemeinden - auch ohne die Möglichkeit des Stimmensplittings - zu ungedeckten Mehrsitzen gekommen war (vgl. dazu: Landtags-Drucksache 16/2152 vom 2. Juli 2008; IR 16/104 vom 10. Juni 2009, S. 10 ff.; und PlPr 16/117, S. 8740). Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die zur Landtagswahl 2000 eingeführte Zweitstimme und das dadurch ermöglichte Stimmensplitting. Auch die Anzahl und die unterschiedliche Größe der Wahlkreise können zu Überhangmandaten führen (zum Ursachenzusammenhang allgemein: Wild , Die Gleichheit der Wahl, 2003, S. 246, 248; Nohlen , Wahlrecht und Parteiensystem, 6. Aufl. 2009, S. 343 ff.; Klein , in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz - Kommentar - Band IV, Art. 38 Rn. 177 , Ipsen, a.a.O., S. 471; speziell für Schleswig-Holstein: Stellungnahmen an den Landtag zu Landtags-Drucksache 17/10; Landtags-Drucksache 15/55; dazu noch unten bb) (2) (e) (cc) ).

147

bb) Rechtfertigungsgründe für diese Verzerrung der Erfolgswertgleichheit liegen in Anbetracht der diese Verzerrung zugleich, und zwar gemeinsam, bewirkenden weiteren Vorschriften des Landeswahlrechts derzeit nicht vor. Verantwortlich hierfür sind neben tatsächlichen Ursachen insbesondere die Gesamtregelung des § 3 Abs. 5 LWahlG und die weiteren Vorschriften der § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 16 LWahlG.

148

(1) Innerhalb des aufgezeigten engen Gestaltungsspielraums ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Gebot der Wahlrechtsgleichheit mit anderen, verfassungsrechtlich legitimen Zielen zum Ausgleich zu bringen. Ein Verstoß gegen die Wahlgleichheit liegt jedoch vor, wenn die differenzierende Regelung nicht an einem Ziel orientiert ist, das der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts verfolgen darf (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 115 m.w.N.). Kommt es zu Differenzierungen in der Erfolgswertgleichheit, sind diese nur zulässig, wenn hierfür ein zwingender Grund vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1979 - 2 BvR 193/79 u.a. - BVerfGE 51, 222 ff., Juris Rn. 53 m.w.N.; und Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 98 m.w.N., stRspr.; speziell für das schleswig-holsteinische Landeswahlrecht: Beschluss vom 14. Februar 2005

149

- 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 31).

150

„Zwingend“ sind dabei nicht nur Gründe, die zu mathematisch unausweichlichen Unschärfen führen. „Zwingend“ sind auch Differenzierungen, die von Verfassungs wegen zwangsläufig oder notwendig sind, weil eine Kollision mit Grundrechten oder anderen Wahlrechtsgrundsätzen vorliegt oder solche, die sonst durch die Verfassung legitimiert und von so einem Gewicht sind, dass sie der Wahlgleichheit die Waage halten können (ebenso: StGH BW, Urteil vom 14. Juni 2007 - 1/06 -, DÖV 2007, 744 ff. = VBlBW 2007, 371 ff., Juris Rn. 45 m.w.N.). Dazu gehört nach der Schleswig-Holsteinischen Verfassung die vorgegebene Regelgröße des Parlaments von 69 Abgeordneten (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV). Ausreichen kann aber auch ein „zureichender“, aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung sich ergebender Grund (vgl etwa: BVerfG, Urteile vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 - BVerfGE 6, 84 ff., Juris Rn. 30; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 124; und vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 44).

151

Darüber hinaus müssen die differenzierenden Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein. Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich ferner danach, mit welcher Intensität in das Wahlrecht eingegriffen wird. Bei der Einschätzung und Bewertung differenzierender Wahlrechtsbestimmungen hat sich der Gesetzgeber an der politischen Wirklichkeit zu orientieren (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - a.a.O., Juris Rn. 45; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 98 f. m.w.N., stRspr.). Deshalb lässt sich die verfassungsmäßige Rechtfertigung einer Wahlrechtsnorm auch nicht ein für alle mal abstrakt beurteilen, sondern kann durch neuere Entwicklungen tatsächlicher oder rechtlicher Art in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 -BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 112; Klein, in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz -Kommentar - Band IV, Art. 38 Rn. 123 ).

152

(2) Weder beruht die dargestellte Verzerrung Erfolgswertgleichheit auf Notwendigkeiten im Umrechnungsverfahren, noch dient sie der Prämierung und Stärkung der Personenwahl oder der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtages. Einen weiteren zwingenden Grund stellt die Zielvorgabe der Verfassung dar (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV), dass der Landtag mit möglichst nicht mehr als 69 Landtagsabgeordneten zu besetzen ist. Die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs nach § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG ist jedoch unter den gegenwärtigen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen nicht in der Lage, diese Zielvorgabe mit der Wahlgleichheit in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Sie ignoriert auch, dass vorrangig Überhangmandate zu vermeiden sind, die unter den derzeitigen politischen Verhältnissen aufgrund der Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG regelhaft entstehen.

153

(a) Als „zwingender Grund“ anerkannt ist zwar jede Differenzierung, die sich bei der Umrechnung von Zweitstimmen in Sitze und den dabei anfallenden Reststimmen und Bruchteilen in Anwendung des jeweiligen Verteilungsverfahrens schon aus mathematischen Gründen unausweichlich ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1988 - 2 BvC 4/88 - BVerfGE 79, 169 ff., Juris Rn. 5; und Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 104). Maßgeblich ist, ob die mit den ungedeckten Mehrsitzen benötigte durchschnittliche Stimmenzahl noch im Rahmen des höchsten und niedrigsten Durchschnittswerts aller Parteien liegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1988 a.a.O., Juris Rn. 10 bis 12). Hierum geht es indes unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen bei der begrenzenden Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG nicht. Wie zudem oben in der Tabelle (Rn. 137) beispielhaft dargestellt, verlässt die CDU nach Zuteilung dreier ungedeckter Mehrsitze mit den dann noch benötigten Zweitstimmen (14.870,91) deutlich den Rahmen, der vom Durchschnittswert der SPD (16.305,72) und der Partei DIE LINKE (19.152,80) gebildet wird. Als augenfällig problematisch unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswertgleichheit erweist sich hierbei bereits das angewandte Höchstzahlverfahren nach d’Hondt, das bei der Wahl zum 17. Landtag im reinen Verhältnisausgleich zu einem Stimmenunterschied von bis zu 2.847,08 Zweitstimmen geführt hat, den die einzelnen Parteien für einen weiteren Landtagssitz erringen mussten.

154

(b) Die durch die ungedeckten Mehrsitze eintretende Differenzierung im Stimmgewicht ist auch nicht mit dem Gedanken einer „Prämie“ aus der Mehrheitswahl zu rechtfertigen. Selbst wenn mit der „Prämie“ ein Anreiz für die Parteien geschaffen werden sollte, attraktive und überzeugungskräftige Wahlkreiskandidatinnen und Wahlkreiskandidaten aufzustellen und mit diesen orts- und bürgernahe Wahlkreisarbeit zu leisten (so Papier , JZ 1996, 265 <270>; ihm folgend Ehlers/ Lechleitner , JZ 1997, 761 <762>), wäre die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs schon kein geeignetes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, da der Eintritt dieses Anreizes generell nicht vorhersehbar ist und sich bis zur Landtagswahl 2009 tatsächlich auch noch nie realisiert hatte. Diese Prämie für erfolgreiche Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber wäre zudem daran gekoppelt, dass sich deren Erfolg nicht in vollem Umfang im Zweitstimmenanteil ihrer Partei umgesetzt hat. Insofern ist die systemkonforme „Prämie“ im Zweistimmenwahlsystem nicht das Überhangmandat, sondern das durch Wahlkreisbewerberinnen und Wahlkreisbewerber gewonnene Vertrauen für die Liste ihrer Partei.

155

(c) Zu den mit einer Parlamentswahl verfolgten Zielen zählt auch die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - a.a.O., Juris Rn. 44; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 98). Mit der Personenwahl im vorgeschalteten Mehrheitswahlsystem erhält jede Wählerin und jeder Wähler die Möglichkeit, einer oder einem der im eigenen Wahlkreis kandidierenden Bewerberinnen oder Bewerber ein Landtagsmandat zu verschaffen. Dadurch wird die Verbindung zwischen den Wählerinnen und Wählern und ihren Abgeordneten, die das Volk repräsentieren, gestärkt.

156

Auch wenn man die Verbindung zu den direkt gewählten Bewerberinnen und Bewerbern für auf diese Weise stärkungsbedürftig halten wollte (kritisch etwa Mahrenholz , in: Festgabe für Karin für Graßhof, 1998, S. 69 <78>), stellt dies ebenfalls keinen zwingenden Grund dar. Die Stärkung dieser Verbindung wird bereits durch § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG bewirkt, sobald die erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber auch dann einen (Mehr-) Sitz im Landtag erhalten, wenn die Zahl der Direktmandate ihrer Partei deren verhältnismäßigen Sitzanteil übersteigt (vgl. Papier , JZ 1996, 265 <269 f.>; Backhaus , DVBl. 1997, 737 <742>; und im Ergebnis ähnlich Mahrenholz , a.a.O., S. 77 f.).

157

(d) Die Verzerrung der Erfolgswertgleichheit durch Begrenzung des Sitzausgleichs ist auch nicht durch das Ziel der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtags zu rechtfertigen, obwohl dieses ein „verfassungsrechtlicher Belang von höchstem Rang“ ist (vgl. Becker/ Heinz , NordÖR 2010, 131 <132>).

158

Die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ist vor allem im Zusammenhang mit der 5 % - Sperrklausel als Differenzierungsgrund anerkannt. Im Fokus steht dabei die Sorge, dass das Parlament aufgrund einer Zersplitterung der vertretenen Kräfte funktionsunfähig wird, insbesondere nicht mehr in der Lage ist, aus sich heraus stabile Mehrheiten zu bilden und eine aktionsfähige Regierung zu schaffen (vgl. nur BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 127 f.; vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. - BVerfGE 82, 322 ff., Juris Rn. 45; und vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 121 m.w.N., stRspr.; Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 41). Auch hierum geht es bei § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG nicht.

159

Die zur Rechtfertigung der Sperrklausel anerkannten Argumente sind auf eine Verzerrung der Wahlgleichheit durch die zahlenmäßige Begrenzung der Gesamtsitzzahl nicht übertragbar. Anders als im Falle der fehlenden Sperrklausel kommt es ohne die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs noch nicht zu einer Erschwerung der Meinungsfindung und Mehrheitsbildung. Während die Sperrklausel den Einzug einer Vielzahl kleiner Parteien in das Parlament verhindern soll, verhindert die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs zunächst einmal nur eine Zuweisung weiterer Sitze an die im Landtag ohnehin vertretenen Parteien. Denn beim Mehrsitzausgleich erhöht sich nicht die Zahl der Fraktionen, sondern nur die Zahl der Angehörigen der dem Landtag ohnehin angehörenden Fraktionen.

160

Generell hängt die Arbeits- und Funktionsfähigkeit eines Parlaments eher vom Vorhandensein großer, durch gemeinsame politische Zielsetzungen verbundener Gruppen von Abgeordneten ab (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1979 - 2 BvR 193/79 u.a. - BVerfGE 51, 222 ff., Juris Rn. 76, 78) als von einer bestimmten Abgeordnetenzahl. Dies belegt schon der Umstand, dass größere Landesparlamente ebenso wie der Bundestag regulär aus deutlich mehr als 100 Abgeordneten bestehen, ohne dass ihre Arbeits- und Funktionsfähigkeit in Frage gestellt würde (vgl. Morlok , Stellungnahme zu Landtags-Drucksache 17/10, LandtagsUmdruck 17/752, S. 4). Entsprechend ist auch vorliegend weder ersichtlich noch geltend gemacht, dass der gegenwärtige Landtag mit 95 oder auch - nach vollem Ausgleich - mit 101 Abgeordneten nicht arbeitsfähig sein sollte.

161

(e) Dessen ungeachtet hat sich der Verfassungsgeber entschieden, selbst die Abgeordnetenzahl im Landtag festzulegen und damit eine größenmäßige Zielvorgabe zu schaffen (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV). Trotz der zugleich vorgesehenen Möglichkeit der Erhöhung durch Überhang- und Ausgleichsmandate (Art. 10 Abs. 2 Satz 4 LV) ist damit in der Verfassung ein Ziel formuliert, an dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts zu orientieren hat. Auch wenn die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs dieser Zielvorgabe zuträglich ist, stellt sie sich unter den bestehenden wahlgesetzlichen Bedingungen derzeit doch als unverhältnismäßig dar.

162

(aa) Das durch die Verfassung vorgegebene Ziel, im Ergebnis nur geringfügige Überschreitungen der Regelgröße von 69 Abgeordneten im Landtag zuzulassen , ist ein zumindest „zureichender“ Grund, um einen Eingriff in die Wahlgleichheit durch Begrenzung des Ausgleichs von Überhangmandaten zu rechtfertigen. Die beiden widerstreitenden Verfassungsvorgaben in Art. 10 Abs. 2 LV sind vom Gesetzgeber zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Der ihm dabei zur Verfügung stehende verfassungsrechtliche Gestaltungsrahmen ist vom Gericht zu achten, solange dessen Grenzen eingehalten sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 115 m.w.N.).

163

(bb) Unter den derzeitigen politischen Gegebenheiten eines erweiterten Parteienspektrums und der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung des übrigen Wahlgesetzes ist die Regelung aber schon nicht geeignet, im Sinne der verfassungsmäßigen Zielvorgabe von 69 Abgeordneten zu wirken. Ein Wahlergebnis wie das zum 17. Landtag im Jahr 2009 zeigt, dass die zahlenmäßige Begrenzung der weiteren Sitze zulasten der Ausgleichsmandate nicht im Sinne der verfassungsmäßigen Zielvorgabe in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV zu wirken vermag. Diese Zielvorgabe wird selbst mit der Begrenzung durch § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG deutlich verfehlt, wenn statt der regelhaft vorgesehenen 69 tatsächlich 95 Abgeordnetensitze vergeben werden.

164

Zudem erfolgt diese Begrenzung einseitig zulasten der Ausgleichsmandate und ignoriert damit, dass unter der verfassungsrechtlich zugleich gegebenen Vorgabe der Erfolgswertgleichheit unter den Bedingungen einer personalisierten Verhältniswahl nach Art. 3 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV vorrangig Überhangmandate zu vermeiden sind. Die damit verbundene Beeinträchtigung der Wahlgleichheit ist unter den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten jedenfalls nicht erforderlich, da der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, durch das Zusammenspiel anderer geeigneter Maßnahmen zu einer Reduzierung der Abgeordnetenzahl zu kommen, die weder die Wahlgleichheit noch andere von der Verfassung geschützten Belange beeinträchtigen. Diese Möglichkeit setzt bei der derzeitigen Ausgestaltung des Wahlrechts insbesondere in den § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 sowie § 16 LWahlG an (Zweistimmenwahlrecht, Anzahl der Wahlkreise und direkt gewählter Abgeordneter, Abweichung der Bevölkerungszahl eines Wahlkreises von bis zu 25 v.H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise). Denn das Zusammenwirken dieser Regelungen führt gegenwärtig in der politischen Realität eines Fünfparteiensystems - zuzüglich einer verfassungsfesten Sonderrolle des SSW - systemisch dazu, dass Überhang- (und Ausgleichs-) mandate in einer Größenordnung entstehen können und so die Gesamtzahl von Abgeordneten im Landtag derart ansteigen kann, dass die in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV zum Ausdruck gebrachte Zielgröße von 69 Abgeordneten regelmäßig überschritten wird.

165

(cc) Zu den Ursachen des Entstehens von Überhangmandaten und den gesetzgeberischen Möglichkeiten, diese zu verhindern, ist die Landeswahlleiterin als sachkundige Dritte in der mündlichen Verhandlung gehört worden. Ihre Bekundungen stimmen im Wesentlichen überein mit den jüngst vom Landtag eingeholten Stellungnahmen und Gutachten bei der Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (LandtagsDrucksache 17/10), die auch auf Erfahrungen bei den Wahlen in den anderen Ländern und im Bund eingehen. Nach dem gegenwärtigen Landeswahlrecht entstehen Überhangmandate bei Abweichung des prozentualen Erststimmenergebnisses vom Zweitstimmenergebnis, wenn eine Partei viele Wahlkreise direkt gewinnt, die für ihre Landesliste abgegebenen Zweitstimmen aber nicht ausreichen, um im Rahmen des Verhältnisausgleichs einen mindestens gleich großen Anteil an der Gesamtzahl der regulär zu vergebenden Mandate zu erlangen (Stellungnahme der Landeswahlleiterin vom 22. April 2010, Landtags-Umdruck 17/738, S. 2). Ursächlich hierfür sind verschiedene tatsächliche und rechtliche Vorbedingungen, die im Falle ihres Zusammentreffens kumulativ wirken und die Gesamtzahl der Landtagsabgeordneten weit über die Zielvorgabe anwachsen lassen.

166

Im Tatsächlichen sind etwa die Anzahl der Parteien mit Wahlkreisbewerberinnen und -bewerbern, die später am Verhältnisausgleich teilnehmen, die Wahlbeteiligung und die Anzahl ungültiger Zweitstimmen ursächlich (vgl. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes vom 26. April 2010, Landtags-Umdruck 17/761, S. 20 f.). Dabei werden die Wahlkreise nach wie vor nur von den großen Parteien (CDU und SPD) gewonnen. Ihre Zweitstimmenanteile sind demgegenüber rückläufig (vgl. Meyer , Stellungnahme vom 7. Juni 2010, Landtags-Umdruck 17/938, S. 2).

167

Einen besonders großen Einfluss auf das Entstehen von Überhangmandaten hat die Zahl der Wahlkreise. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG und § 16 Abs. 1 LWahlG gibt es derzeit 40 Wahlkreise. Den Wahlkreisabgeordneten stehen bei einer Größe des Landtages von 69 Abgeordneten (vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV, § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG) nur 29 Abgeordnete aus den Landeslisten gegenüber. Je mehr die Zahl der durch Mehrheitswahl in den Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten die Zahl der durch Verhältniswahl aus den Landeslisten zu wählenden Abgeordneten übersteigt, desto größer ist die Gefahr, dass die vorgesehene Regelgröße des Landtages überschritten wird (Stellungnahme der Landeswahlleiterin, a.a.O., S. 2 f.). Würde man die Zahl der in den Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten gegenüber den aus den Landeslisten zu wählenden Abgeordneten wenigstens auf ein ausgeglichenes Verhältnis reduzieren, ließe sich die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Überhangmandaten senken (Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes, a.a.O., S. 24; vgl. auch Meyer, a.a.O., S. 1; sowie die Rechenbeispiele in der Stellungnahme der Landeswahlleiterin Mecklenburg-Vorpommerns vom 22. April 2010, Landtags-Umdruck 17/739, Beispielsrechnung 1 und 1a, S. 2 f.).

168

Eine weitere rechtlich zu beeinflussende Ursache ist der Zuschnitt der Wahlkreise. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Partei mit vergleichsweise wenigen Erststimmen einen Wahlkreis gewinnt, hängt nicht zuletzt von der Größe dieses Wahlkreises im Vergleich zu den anderen Wahlkreisen ab (Stellungnahme der Landes-wahlleiterin, a.a.O., S. 3). Gegenwärtig werden die Wahlkreise nach § 16 Abs. 2 und 3 LWahlG auf der Grundlage der Bevölkerungszahl eingeteilt, wobei eine Abweichung von bis zu 25 v.H. von der durchschnittlichen Zahl der Bevölkerung in den Wahlkreisen zugelassen ist. Stattdessen wäre eine maximale Abweichung vom größten Wahlkreis von lediglich 15 v.H. zu den anderen Wahlkreisen anzustreben. Betrachtet man die Landtagswahl 2009, so betrug unter Zugrundelegung der Zahl der Wahlberechtigten die Durchschnittsgröße eines Wahlkreises 55.603. Im kleinsten Wahlkreis Husum-Land lebten 42.037 und im größten Wahlkreis Segeberg-Ost 69.408 Wahlberechtigte; dies entspricht Abweichungen von 24,4 % bzw. 24,8 % von der durchschnittlichen Zahl der Wahlberechtigten, absolut aber einer Abweichung von 39,4 % des kleinsten vom größten Wahlkreis.

169

Die für das Bundestagswahlrecht als verfassungskonform anerkannte Maximalabweichung von bis zu 25 v.H. (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWahlG) beruht auf Erwägungen, die auf die Verhältnisse in einem einzelnen Land nicht übertragbar sind. So ist für den Bundesgesetzgeber die gleiche Größe der Wahlkreise sowohl für den einzelnen Wahlkreis als auch berechnet auf die Bevölkerungsdichte jedes Landes eine aus der Wahlgleichheit folgende Bedingung (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 2 BvR 1252/99 u.a. -, NVwZ 2002, 71 f., Juris Rn. 22; weitere Nachweise in der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes, a.a.O., S. 14). Hiervon ausgehend hat der Bundesgesetzgeber dafür Sorge zu tragen, dass die Wahlkreise im Verhältnis der Bevölkerungsanteile auf die einzelnen Länder verteilt werden (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BWahlG; BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 97). Demgegenüber findet der Landesgesetzgeber ein einheitliches Wahlgebiet vor, weshalb er insoweit nicht eines vergleichbar großen Spielraums bedarf.

170

Hinzu kommt, dass die derzeit gewählte Bemessungsgrundlage beim Zuschnitt der Wahlkreise (durchschnittliche Bevölkerungszahl gemäß § 16 Abs. 2 und 3 LWahlG) keine Unterscheidung zwischen wahlberechtigten und nicht wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern vornimmt. Ist der Anteil des nicht wahlberechtigten Bevölkerungsanteils eines Wahlkreises größer als im Durchschnitt, erleichtert dies das Erreichen der relativen Mehrheit und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber erfolgreich sind, als es prozentual dem Zweitstimmenanteil der jeweiligen Partei entspricht. Die Gefahr von Überhangmandaten ließe sich hier reduzieren, wenn nur auf die Wahlberechtigten abgestellt wird (vgl. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes, a.a.O., S. 20 f. m.w.N.; Ipsen, JZ 2002, 469 <471>).

171

Schließlich ist es möglich, § 1 Abs. 2 LWahlG zu ändern, um das Zweistimmenwahlrecht und mit ihm das Überhangmandate fördernde Stimmensplitting abzuschaffen und das Einstimmenwahlrecht wieder einzuführen (vgl. Stellungnahme der Landeswahlleiterin, a.a.O., S. 2; Wissenschaftlicher Dienst, a.a.O., S. 21; Meyer , a.a.O., S. 2).

172

Alternativ wäre zu erwägen, das Wahlsystem grundlegender neu zu gestalten. Es könnte etwa derart umgestellt werden, dass die Zahl der Wahlkreise erheblich gesenkt und zugleich in den Wahlkreisen die Zahl der zu wählenden Bewerberinnen und Bewerber erhöht wird.

173

(dd) Solange diese Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden, erweist sich die Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG als ungeeignet und nicht erforderlich, das von der Verfassung vorgegebene Ziel eines Landtages mit allenfalls wenig mehr als 69 Abgeordneten zu erreichen. Ein Wahlsystem, das durch die Regelungen in § 3 Abs. 5, § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 16 LWahlG mit derzeit 95 Abgeordneten den von der Verfassung in Art. 10 Abs. 2 LV verbindlich vorgegebenen Auftrag, einen deutlich kleineren Landtag mit möglichst wenig Überhang- (und Ausgleichs-)mandaten zu erreichen, so grundlegend verfehlt, stellt sich insgesamt als verfassungswidrig dar.

174

c) Eine verfassungskonforme Auslegung der § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG ist nicht möglich.

175

Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch tritt. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 - NordÖR 2010, 155 ff. = Die Gemeinde SH 2010, 79 ff. = SchlHA 2010, 131 ff., Juris Rn. 104 m.w.N.). Sie ist aber auch dann nicht möglich, wenn in einer Norm zwei widerstreitende Verfassungsvorgaben zum Ausgleich gebracht werden müssten.

176

aa) Der eindeutige Wortlaut der § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und des § 16 LWahlG steht bereits einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschriften entgegen. § 1 Abs. 2 LWahlG bestimmt, dass jede Wählerin und jeder Wähler zwei Stimmen hat; eine Erststimme für die Wahl einer Bewerberin oder eines Bewerbers im Wahlkreis, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. Diese Vorschrift bietet keinen Ansatz, sie dahingehend auszulegen, dass ein Einstimmenwahlrecht möglich sein könnte. Die Zahl der Wahlkreise legen § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG und § 16 Abs. 1 LWahlG mit 40 fest. Auch sie bieten keinen Ansatz für eine Auslegung, die eine geringere Zahl der Wahlkreise zuließe. Die weiteren Vorschriften des § 16 LWahlG bestimmen für den Zuschnitt der Wahlkreise als Ausgangspunkt der Berechnung die Bevölkerungszahl und nicht die Wahlberechtigten eines Wahlkreises. Auch die mögliche Größe der Abweichung und ihr Bezugspunkt sind mit 25 v. H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise (§ 16 Abs. 3 Satz 1 LWahlG) eindeutig festgelegt und einer Auslegung nicht zugänglich.

177

bb) Einer verfassungskonformen Auslegung des § 3 Abs. 5 LWahlG, etwa im Sinne eines „großen Ausgleichs“, stünde bereits die weitere Vorgabe der Verfassung entgegen, den Landtag möglichst nicht über 69 Abgeordnete anwachsen zu lassen. Im Übrigen kommt eine solche Auslegung in Anbetracht der eindeutigen Entstehungsgeschichte, der klaren Gesetzessystematik und des darin zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers auch nicht in Betracht (vgl. II. 2. ).

IV.

178

Aufgrund der festgestellten Verfassungsverstöße ist die Legislaturperiode zeitlich zu beschränken und der Gesetzgeber zu verpflichten, zur Vorbereitung vorgezogener Neuwahlen unverzüglich ein verfassungskonformes Landeswahlrecht zu verabschieden.

179

1. Die festgestellten Verfassungsverstöße führen zu mandatsrelevanten Wahlfehlern. Die auf Grundlage der § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 sowie § 16 LWahlG vorbereiteten und durchgeführten Wahlen bewirken eine Beeinflussung und unrichtige Feststellung des Wahlergebnisses. Allein eine geringere Anzahl von Wahlkreisen hätte die Anzahl der nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG in den Wahlkreisen durch Mehrheitswahl zu wählenden Abgeordneten im Vergleich zu den durch Verhältniswahl aus den Landeslisten zu wählenden Abgeordneten reduziert und damit bei der Sitzverteilung und -besetzung zu einem anderen Ergebnis geführt. Insgesamt wäre es gemeinsam mit den anderen aufgezeigten Ursachen für das Entstehen von Überhangmandaten zu deutlich weniger Überhangmandaten und damit auch weniger Ausgleichsmandaten gekommen. Dies wiederum hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit bewirkt, dass die Regelung in § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG zur Begrenzung von Mehrsitzen nicht zur Anwendung gekommen wäre und der Landtag dennoch aus deutlich weniger als 95 Abgeordneten bestehen würde.

180

2. Die mandatsrelevanten Wahlfehler können zusammengenommen jedoch weder zu einer abweichenden endgültigen Feststellung des Ergebnisses gemäß § 47 Abs. 3 LWahlG noch zur Ungültigerklärung der Wahl zum 17. Landtag mit der gesetzlichen Folge einer Wiederholungswahl im Sinne des § 46 LWahlG führen. Stattdessen ist die Legislaturperiode zeitlich zu beschränken und der Gesetzgeber zu verpflichten, zur Vorbereitung vorgezogener Neuwahlen unverzüglich ein verfassungskonformes Landeswahlrecht zu verabschieden. Allerdings sind die Fehler so schwerwiegend, dass die Legislaturperiode auf den 30. September 2012 zu beschränken ist. Diese Frist ist notwendig, weil der Landtag zuvor das Landeswahlgesetz ändern muss, um eine mit der Landesverfassung übereinstimmende Rechtslage herbeizuführen. Für die notwendigen gesetzlichen Neuregelungen genügt eine Frist bis spätestens zum 31. Mai 2011.

181

a) Ein festgestellter mandatsrelevanter Wahlfehler führt nicht sogleich zur Ungültigkeit der gesamten Wahl, sondern - soweit möglich - im Sinne des „Verbesserungsprinzips“ zur Berichtigung, allerdings nur insoweit, wie der Wahlfehler (räumlich) wirksam geworden ist (ebenso: Schl.-Holst. OVG, Urteile vom 24. Juni 1993 - 2 K 4/93 -, SchlHA 1993, 194 ff. = NVwZ 1994, 179 ff., Juris Rn. 66; und vom 30. September 1997 - 2 K 9/97 -, NordÖR 1998, 70 ff., Juris Rn. 39). Um die demokratische Legitimation des Parlaments und derjenigen Verfassungsorgane, die ihre demokratische Legitimation vom Parlament ableiten, möglichst zu erhalten, gilt das „Gebot des geringstmöglichen Eingriffs“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 134 m.w.N.). Eine Ungültigerklärung der gesamten Wahl hätte eine umgehende Delegitimierung zur Folge und müsste nach dem Gesetz zu einer Wiederholungswahl spätestens sechs Wochen nach rechtskräftiger Feststellung der Ungültigkeit führen (§ 46 Abs. 6 LWahlG). Sie käme aus Verhältnismäßigkeitsgründen nur in Frage, soweit der Fehler nicht mit einer Nachzählung und / oder Berichtigung zu beheben ist. Zudem müsste sich der damit verbundene Eingriff in die Zusammensetzung der gewählten Volksvertretung für die Zeit von regulär fünf Jahren vor dem Interesse am Erhalt dieser Volksvertretung rechtfertigen lassen. Sie setzt deshalb - in den Worten des Bundesverfassungsgerichts für das Bundeswahlrecht - einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich schiene. Hierzu hat gegebenenfalls eine Folgenabwägung stattzufinden (vgl. BVerfG, Urteile vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 135; und vom 8. Februar 2001 - 2 BvF 1/00 - BVerfGE 103, 111 ff., Juris Rn. 88 m.w.N., stRspr.; vgl. auch HbgVerfG, Urteil vom 4. Mai 1993 - 3/92 -, NVwZ 1993, 1083 ff. = DVBl.1993, 1070 ff., Juris Rn. 155 ff.). Im Übrigen erfolgt eine Ungültigkeitserklärung aus den oben genannten Gründen stets nur ex nunc (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 138; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann/ Hopfauf , Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 41 Rn. 19, 21).

182

Für die grundsätzlich vorrangige und die demokratische Legitimation des Parlaments erhaltende Fehlerkorrektur durch Feststellung eines abweichenden Wahlergebnisses gemäß § 47 Abs. 3 LWahlG ist angesichts der miteinander verwobenen und nur in ihrer Gesamtheit bestehenden schwerwiegenden Wahlfehler trotz des Gebots des geringstmöglichen Eingriffs kein Raum. Das Zusammenwirken der Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG führt zu einer so erheblichen und komplexen Fehlerhaftigkeit der Wahl, dass ihr insgesamt die verfassungsmäßige Grundlage entzogen ist. Denn das Entstehen von elf Mehrsitzen (Überhangmandaten) mit der Folge, dass der Landtag nun aus 95 Abgeordneten besteht, verfehlt die in der Verfassung verbindlich vorgegebene Größe von 69 Abgeordneten in nicht mehr hinnehmbaren Ausmaß und führt zugleich durch die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs zu einer Beeinträchtigung des Grundsatzes der Wahlgleichheit, weil sie den Wählerwillen in einer nicht zu rechtfertigenden Weise verzerrt. Die einzelnen Wahlfehler lassen sich nicht trennen und isoliert korrigieren, denn sie bedingen und intensivieren sich in ihrem Zusammenwirken gegenseitig.

183

Aber auch die Anordnung einer binnen sechs Wochen abzuhaltenden Wiederholungswahl nach § 46 Abs. 3, Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 LWahlG kommt im Ergebnis nicht in Betracht, da dies nicht dem Umstand Rechnung tragen würde, dass die von § 46 LWahlG vorausgesetzte Unregelmäßigkeit der Wahl hier nicht auf der fehlerhaften Anwendung der Wahlvorschriften, sondern darauf beruht, dass die zu korrigierende „Unregelmäßigkeit“ in der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes selbst liegt. Allerdings sind die in der Summe festzustellenden Wahlfehler so weitgehend und so gewichtig, dass sie eine Wiederholungswahl auch unter Berücksichtigung der genannten Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte nach gebotener Folgenabwägung rechtfertigen würden. Denn der Fortbestand des in verfassungswidriger Weise zusammengesetzten Landtages für die Dauer von weiteren vier Jahren ist gegenüber dem hohen Verfassungsgut seiner richtigen Zusammensetzung nicht zu rechtfertigen. Der Landtag stellt das zentrale Organ der demokratischen Grundordnung dar, von dem alle andere staatliche Gewalt seine demokratische Legitimation ableitet. Über die Wahl des Landtages bekundet das Volk seinen Willen und übt die letztlich von ihm ausgehende Staatsgewalt aus (Art. 2 Abs. 1 und 2 LV).

184

Die Besonderheit, dass der Wahlfehler auf der Verfassungswidrigkeit von Normen des Landeswahlgesetzes beruht, erfordert daher zugleich eine abweichende Regelung, die das Wahlergebnis für eine Übergangszeit als weiterhin gültig anerkennt und damit dem Landtag einen vorübergehenden Bestandsschutz zugesteht. Denn zunächst muss das Landeswahlgesetz so geändert werden, dass der nächste Landtag auf der Grundlage eines verfassungskonformen Landeswahlgesetzes gewählt werden kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 138). Angesichts der verschiedenen Möglichkeiten, eine verfassungskonforme Gesetzeslage herbeizuführen, ist es vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers, also des Landtages, die dafür notwendigen Änderungen zu beschließen. Die in § 46 Abs. 6 LWahlG vorgesehene Frist von maximal sechs Wochen ist auf einen solchen Fall nicht zugeschnitten. Sie geht davon aus, dass nur die (gesetzmäßige) Durchführung der Wahl zu wiederholen ist, nicht aber, dass zuvor das der Wahl zugrunde liegende Gesetz zu ändern ist. Für die Durchführung einer Wahl auf der Grundlage eines geänderten Gesetzes bedarf es eines deutlich längeren Zeitraums, damit der Landtag zunächst ein verfassungsmäßiges Wahlrecht schafft. Während dieses Zeitraums bleiben die Abgeordneten im Amt und der Landtag behält seine volle Handlungs- und Arbeitsfähigkeit, denn bis zur Neuregelung und Durchführung der gebotenen Neuwahl verbleibt es bei dem festgestellten Wahlergebnis.

185

b) Als gegenüber der eigentlich gebotenen Ungültigkeitserklärung mit anschließender Wiederholungswahl geringerer Eingriff in den Bestand des Landtages ist die Legislaturperiode deshalb auf den 30. September 2012 mit der Auflage zu beschränken, unverzüglich ein verfassungskonformes Landeswahlgesetz zu verabschieden. Diese Frist ist notwendig, aber auch ausreichend, um den Landtag in die Lage zu versetzen, das Landeswahlgesetz zu ändern und die für die Vorbereitung einer Neuwahl erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

186

In Anbetracht der bereits laufenden Befassung des Landtages mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Landtags-Drucksache 17/10) hält das Gericht eine Frist bis spätestens zum 31. Mai 2011 für die notwendigen gesetzlichen Neuregelungen für angemessen und ausreichend. Der Gesetzentwurf ist nach der 1. Lesung in den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen worden (PlPr 17/3, S. 142). Dieser hat die weitere Befassung zwar bis zum Ergehen der Entscheidung des Gerichts zurückgestellt (Kurzbericht IR 17/31 vom 30. Juni 2010), aber zuvor bereits sowohl eine schriftliche als auch - am 9. Juni 2010 - eine mündliche Sachverständigenanhörung durchgeführt (vgl. IR 17/27, S. 4), sodass er nunmehr eine Beschlussempfehlung abgeben und den Entwurf in die 2. Lesung geben kann.

187

Bei der Fristbemessung für die Durchführung der vorgezogenen Neuwahl auf der Grundlage eines spätestens am 31. Mai 2011 vorliegenden neuen Wahlgesetzes hat das Gericht weiter die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass insbesondere der Zuschnitt der Wahlkreise nach § 16 LWahlG geändert und die Zahl der Wahlkreise grundlegend überprüft werden muss. Dies wird eine Neueinteilung der Wahlkreise durch den Wahlkreisausschuss erforderlich machen. Den Parteien ist ausreichend Gelegenheit zu geben, insbesondere ihre Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber neu aufzustellen. Unter Berücksichtigung der sonstigen erforderlichen Wahlvorbereitungen scheint dem Gericht damit eine insgesamt bis zum 30. September 2012 bemessene Frist als ausreichend, als äußerste Frist aber auch geboten, um den Bestand des auf verfassungswidriger Grundlage gewählten Landtags nicht länger als erforderlich andauern zu lassen.

V.

188

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Den Beschwerdeführern zu 1), 2) und 3) sind auf ihren Antrag hin nach § 33 Abs. 4 LVerfGG Zweidrittel ihrer notwendigen Auslagen vom Land zu erstatten. Die Beschwerdeführer zu 1), 2) und 3) rügen zwar zu Recht die Verfassungswidrigkeit wahlrechtlicher Normen, konnten jedoch mit ihrer Kritik an der Auslegung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG und ihrem Antrag auf eine korrigierte endgültige Feststellung des Wahlergebnisses nicht unmittelbar durchdringen. Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

VI.

189

Das Urteil ist einstimmig ergangen.


(1) Die Stimmzettel und die zugehörigen Umschläge für die Briefwahl (§ 36 Abs. 1) werden amtlich hergestellt.

(2) Der Stimmzettel enthält

1.
für die Wahl in den Wahlkreisen die Namen der Bewerber der zugelassenen Kreiswahlvorschläge, bei Kreiswahlvorschlägen von Parteien außerdem die Namen der Parteien und, sofern sie eine Kurzbezeichnung verwenden, auch diese, bei anderen Kreiswahlvorschlägen außerdem das Kennwort,
2.
für die Wahl nach Landeslisten die Namen der Parteien und, sofern sie eine Kurzbezeichnung verwenden, auch diese, sowie die Namen der ersten fünf Bewerber der zugelassenen Landeslisten.

(3) Die Reihenfolge der Landeslisten von Parteien richtet sich nach der Zahl der Zweitstimmen, die sie bei der letzten Bundestagswahl im Land erreicht haben. Die übrigen Landeslisten schließen sich in alphabetischer Reihenfolge der Namen der Parteien an. Die Reihenfolge der Kreiswahlvorschläge richtet sich nach der Reihenfolge der entsprechenden Landeslisten. Sonstige Kreiswahlvorschläge schließen sich in alphabetischer Reihenfolge der Namen der Parteien oder der Kennwörter an.