Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 17. Feb. 2012 - LVerfG 2/11

ECLI:ECLI:DE:LVGSH:2012:0217.LVERFG2.11.0A
17.02.2012

Tenor

Der von dem Richter Brock mit dienstlicher Äußerung vom 27. Januar 2012 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I.

1

1. Die Beschwerdeführer begehren in der Hauptsache mit der am 16. Dezember 2011 eingegangenen kommunalen Verfassungsbeschwerde die Feststellung, dass das Land Schleswig-Holstein für die Mehrbelastungen, die den Beschwerdeführern durch zusätzliche Aufgaben im Bereich der Kinderförderung entstanden seien, einen finanziellen Ausgleich hätte schaffen müssen.

2

Mit am 16. Januar 2012 eingegangenem Schriftsatz vom 12. Januar 2012 hat Rechtsanwalt ..., Partner im Kieler Büro der überörtlichen Rechtsanwaltskanzlei „BMZ“ angezeigt, dass die Kanzlei in diesem Verfahren die Vertretung der Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein übernommen hat und beabsichtigt, innerhalb der gesetzten Frist in der Sache Stellung zu nehmen.

3

2. Richter Brock hat unter dem 27. Januar 2012 die folgende dienstliche Äußerung abgegeben:

4

„Gemäß § 16 Abs. 1 Landesverfassungsgerichtsgesetz des Landes Schleswig-Holstein gebe ich dem Landesverfassungsgericht hiermit Kenntnis von Umständen, die nach meiner Überzeugung die Besorgnis meiner Befangenheit in dem Verfahren LVerfG 2/11 begründen können.

5

§ 16 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes setzt nicht voraus, dass sich der Richter selbst für befangen hält; es genügt, dass Umstände vorliegen, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen.

6

Derartige Umstände ergeben sich aus folgendem Sachverhalt:

7

Ich bin Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichtes und zugleich inaktiver Partner der Partnerschaft BMZ. Mit Wirkung zum 1. Januar 2010 bin ich aus meiner aktiven Tätigkeit in der Partnerschaft BMZ ausgeschieden.

8

Die diesen Status betreffende Regelung des Partnerschaftsvertrages lautet:

9

„6. Mit Wirkung zum 1. Januar des Jahres, welches dem Jahr folgt, in dem das 70. Lebensjahr vollendet wird, scheidet ein Partner aus der aktiven Tätigkeit aus. Der aus der aktiven Tätigkeit ausgeschiedene Partner ist am Gesellschaftsvermögen, an der Rücklage und am Ergebnis nicht mehr beteiligt und nimmt an der Beschlussfassung der Partnerschaft nicht mehr teil. Seine fortbestehenden Rechte und Pflichten können nur mit seiner Zustimmung geändert werden.“.

10

Ich erhalte keine Bezüge, habe keine Anteile an der Kanzlei und übe keine notarielle Tätigkeit mehr aus. Mir stehen aber in den Räumlichkeiten der Partnerschaft in Lübeck ein Büro und eine Sekretärin zu Verfügung. Zudem bin ich einer der drei Namensgeber der Partnerschaft „BMZ“, die diese Bezeichnung als Schriftzug auf Briefköpfen, Schildern, im Internet usw. verwendet. Ich bin nach wie vor auf den Briefköpfen der Partnerschaft mit der Bezeichnung „Dr. Klaus Brock, Notar a. D.“ aufgeführt. Ein Ausscheiden ist nicht durch einen entsprechenden Zusatz etwa „bis 31. Dezember 2010“ oder Ähnliches kenntlich gemacht. Auch im Internetauftritt der Partnerschaft werde ich nach wie vor mit Lichtbild, Kontaktdaten, Kurzlebenslauf und Beratungsfeldern als Rechtsanwalt des Lübecker Standortes aufgeführt, ohne dass mein Ausscheiden kenntlich gemacht wäre. Es heißt dort:

11

„Dr. Klaus Brock ist seit 25 Jahren im Arzthaftungsrecht tätig. Seit 15 Jahren liegt ein weiterer Schwerpunkt in der laufenden Beratung bei Unternehmensveräußerungen und der Beratung von Wohnungsunternehmen.“.

12

Darüber hinaus bin ich in den Jahren von 1986 bis 1992 ehrenamtlicher Senator der Hansestadt Lübeck gewesen und damit Teil des gesetzliches Vertretungsorganes der Stadt.

13

Ich kann nicht ausschließen, dass meine Beteiligung an dem vorgenannten Verfahren zu der Befürchtung führen könnte, meine Einstellung würde entweder durch meine Verbindungen zur Hansestadt Lübeck oder zur Partnerschaft BMZ beeinflusst.“

14

3. Den Verfahrensbeteiligten ist die dienstliche Äußerung übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Beschwerdeführer haben mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 9. Februar 2012 Stellung genommen.

II.

15

Bei dieser dienstlichen Äußerung handelt es sich um eine Erklärung im Sinne von § 16 Abs. 3 LVerfGG. Die von Richter Brock mitgeteilten Umstände geben zu einer Entscheidung des Gerichts gemäß § 16 Abs. 3 in Verbindung mit § 16 Abs. 1 LVerfGG Anlass. Hierbei ist vorab zu prüfen, ob ein Ausschließungsgrund nach § 15 Abs. 1 LVerfGG vorliegt.

16

1. Richter Brock ist nicht nach § 15 Abs. 1 LVerfGG von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen. Hiernach ist ein Mitglied des Landesverfassungsgerichts von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn es an der Sache beteiligt oder mit einer oder einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist (1) oder in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist (2). Nach § 15 Abs. 2 LVerfGG ist nicht beteiligt, wer aufgrund seines Familienstandes, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.

17

Der Begriff „in derselben Sache“ wird durch das Bundesverfassungsgericht eng ausgelegt in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinne. Zu einem Ausschluss von der Ausübung des Richteramts kann regelmäßig nur eine Tätigkeit im verfassungsrechtlichen Verfahren selbst oder im Ausgangsverfahren führen (BVerfG, Beschluss vom 11. August 2009 - 2 BvR 343/09 - Juris Rn. 8). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da Richter Brock weder als Rechtsanwalt oder als Notar für die Hansestadt Lübeck, den Kreis Schleswig-Flensburg oder für das Land Schleswig-Holstein noch als Senator der Hansestadt Lübeck in Bezug auf die Thematik der Aufgabenträgerschaft für die Kindertagesbetreuung und die diesbezüglichen Kosten tätig war.

18

2. Der von Richter Brock angezeigte Sachverhalt begründet aber die Besorgnis der Befangenheit.

19

a) Die Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Es kommt nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich "parteilich" oder "befangen" ist oder ob er sich selbst für befangen hält (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 5. April 1990 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 82, 30 ff., Juris Rn. 24; vom 26. Mai 1998 - 1 BvL 11/94 - BVerfGE 98, 134 ff., Juris Rn. 9; vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 2/98 u.a. - BVerfGE 101, 46 ff., Juris Rn. 17; und vom 10. Mai 2000 - 1 BvR 539/96 - BVerfGE 102, 122 ff., Juris Rn. 8; stRspr.).

20

Dies gilt auch für die Selbstablehnung im Sinne des § 16 Abs. 3 LVerfGG (entsprechend § 19 Abs. 3 BVerfGG). Diese setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Vielmehr genügt es, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis seiner Befangenheit zu treffen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. Dezember 1992 - 1 BvR 1213/85 - BVerfGE 88, 1 ff., Juris Rn. 10; vom 26. Mai 1998, a. a. O., Juris Rn. 8; und vom 10. Mai 2000, a. a. O., Juris Rn. 6).

21

Umstände, die nach § 15 Abs. 2 LVerfGG ausdrücklich nicht als Ausschließungsgründe gelten (Familienstand, Beruf, Abstammung, Zugehörigkeit zu einer politischen Partei), können die Besorgnis der Befangenheit nur begründen, wenn ein zusätzliches besorgniserregendes Moment hinzutritt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2003 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 108, 122 ff., Juris Rn. 19 zu § 18 Abs. 2 BVerfGG).

22

b) Nach diesen Maßstäben ist die Besorgnis der Befangenheit von Richter Brock gegeben. Ein wirtschaftliches Interesse von Richter Brock an dem Ausgang des Verfahrens besteht zwar nicht. Angesichts der zumindest nach außen hin weiter bestehenden engen Verbundenheit von Richter Brock mit der Kanzlei BMZ hat aber ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Die Anwälte der Kanzlei BMZ sind als Prozessbevollmächtigte eines Verfahrensbeteiligten unmittelbar von dem Ausgang des Verfahrens betroffen.

23

Dem steht nicht entgegen, dass die Vertretung durch den Kieler Standort erfolgen soll, während Richter Brock dem Lübecker Standort angehört, denn die Kanzlei BMZ tritt unter dieser Bezeichnung und mit dem entsprechenden Briefkopf und Schriftzug landesweit einheitlich auf. Dass Richter Brock an dem wirtschaftlichen Erfolg der Kanzlei nicht mehr beteiligt ist, kann ein Außenstehender nicht erkennen. Durch seine Nennung als Rechtsanwalt der Kanzlei auf dem Briefkopf und im Internet und durch das Fehlen eines das Ausscheiden anzeigenden Zusatzes – der bei anderen Partnern auf dem Briefkopf vorhanden ist – entsteht vielmehr der Eindruck, Richter Brock sei nach wie vor aktives Mitglied.

24

Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass Richter Brock immer noch Räumlichkeiten innerhalb der Kanzlei und eine Sekretärin zur Verfügung stehen. Dieser Eindruck lässt sich durch eine Erläuterung des Status eines inaktiven Partners nicht vollständig beseitigen. Zumindest bleibt für einen objektiven Betrachter die Besorgnis, dass Richter Brock als namensgebender Partner wenn auch nicht am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt, so aber doch am Ansehen der Kanzlei interessiert ist und daher in Bezug auf den Ausgang des Verfahrens vor dem Landesverfassungsgericht nicht gänzlich unvoreingenommen sein könnte. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richter des Landesverfassungsgerichts über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden. Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es aber auch darum, bereits den Anschein einer möglichen Voreingenommenheit zu vermeiden (BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2003, a. a. O., Juris Rn. 25). Aus diesem Grunde begründet der von dem Richter Brock mit dienstlicher Äußerung vom 27. Januar 2012 angezeigte Sachverhalt die Besorgnis der Befangenheit.


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(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er 1. an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 19


(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. (2) Die Ablehnung ist zu

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Tenor Der von dem Richter Brock mit dienstlicher Äußerung vom 27. Januar 2012 angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit. Gründe I. 1 1. Die Beschwerdeführer begehren in der Hauptsache mit der am 16. Dezember

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(1) Wird ein Richter des Bundesverfassungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet das Gericht unter Ausschluß des Abgelehnten; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(2) Die Ablehnung ist zu begründen. Der Abgelehnte hat sich dazu zu äußern. Die Ablehnung ist unbeachtlich, wenn sie nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärt wird.

(3) Erklärt sich ein Richter, der nicht abgelehnt ist, selbst für befangen, so gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Hat das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung oder Selbstablehnung eines Richters für begründet erklärt, wird durch Los ein Richter des anderen Senats als Vertreter bestimmt. Die Vorsitzenden der Senate können nicht als Vertreter bestimmt werden. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.

(1) Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er

1.
an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist oder war, eine Lebenspartnerschaft führt oder führte, in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist oder
2.
in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.

(2) Beteiligt ist nicht, wer auf Grund seines Familienstandes, seines Berufs, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlich allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.

(3) Als Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 gilt nicht

1.
die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren,
2.
die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann.