Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 25. März 2010 - L 5 KR 118/08

ECLI: ECLI:DE:LSGSH:2010:0325.L5KR118.08.0A
published on 25/03/2010 00:00
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 25. März 2010 - L 5 KR 118/08
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Gericht

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Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 29. August 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine bereits durchgeführte Brustverkleinerungsoperation hat.

2

Die im Jahr 1967 geborene Klägerin stellte bereits im Frühjahr 2002 bei der Beklagten zwei Anträge auf eine stationäre Behandlung zur Durchführung einer Mammareduktion. Nach Beteiligung des M. D. der K. S-H (MDK) lehnte die Beklagte die Anträge mit den Bescheiden vom 31. Mai 2002 und 3. September 2002 ab.

3

Am 26. Januar 2004 stellte die Klägerin einen erneuten Antrag auf Gewährung einer Mammareduktion als Sachleistung. Die Beklagte beteiligte wiederum den MDK, der im Gutachten von Dr. Ma. vom 29. März 2004 ausführte, dass bei der Klägerin eine erhebliche Adipositas und eine reaktive Depression beständen. Krankhafte Veränderungen an den Brüsten seien nicht feststellbar. Eine Kostenübernahme könne daher nicht empfohlen werden. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid (ohne Rechtsmittelbelehrung) vom 26. April 2004 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des MDK ab und empfahl eine drastische Gewichtsreduzierung.

4

Am 23. August 2004 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie habe die Operation am 26. Juli 2004 durchführen lassen. Auf der rechten Seite seien 1.080 g und auf der linken Seite 935 g entfernt worden. Hierdurch sei eine deutliche Schmerzerleichterung eingetreten. Sie bat um eine erneute Überprüfung und Erstattung der entstandenen Kosten. Ergänzend legte sie eine Kostenvereinbarung vom 6. Juli 2004 vor. Danach betrugen die Kosten pauschal 4.500,00 EUR.

5

Die Beklagte sah das Schreiben der Klägerin als Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. April 2004 an und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2004 als unbegründet zurück. Nach den eingeholten Gutachten des MDK bestehe kein Zusammenhang zwischen den geklagten Rückenbeschwerden und der Brustgröße. Die Rückenbeschwerden könnten auch durch das Übergewicht insgesamt bedingt sein.

6

Hiergegen hat die Klägerin am 18. November 2004 Klage vor dem Sozialgericht Lübeck erhoben und geltend gemacht, dass sie nach der ersten Ablehnung der Operation im Jahre 2002 versucht habe, ihre Rückenschmerzen auf andere Art und Weise in den Griff zu bekommen. Sie habe sich insbesondere um eine Gewichtsreduktion bemüht. Ihre Versuche seien jedoch erfolglos geblieben. Sie habe den Eingriff schließlich durchführen lassen, nicht weil sie psychisch unter den großen Brüsten gelitten habe, sondern weil diese zu erheblichen körperlichen Problemen und Schmerzen geführt hätten. Das Gewicht ihrer Brüste habe vor der Operation deutlich über dem gelegen, was ihr Körperbau bei einer Körpergröße von 166 cm ohne Schäden zu tragen vermocht habe. Ihr behandelnder Arzt habe daher aus medizinischer Sicht dringend zu der Operation geraten.

7

Die Klägerin hat beantragt,

8

den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die durchgeführte Brustverkleinerung zu erstatten, soweit die Beklagte leistungspflichtig gewesen wäre.

9

Die Beklagte hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und auf das von ihr vorgelegte Gutachten von Dr. W. vom 26. August 2008 (MDK) Bezug genommen.

12

Das Sozialgericht hat Berichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Der Neurologe und Psychiater Dr. R. führte in seinem Befundbericht vom 20. April 2005 aus, die Klägerin habe sich im Dezember 2003 vorgestellt, über Minderwertigkeitsgefühle wegen zu großer Brüste geklagt und um ein Attest für die Krankenkasse gebeten. Im April 2004 habe sie dann über psychosomatische Beschwerden geklagt, die sie auf eine reaktive Depression wegen der zu großen Brüste bezogen habe. Als Diagnosen stellte Dr. R. eine reaktive Depression, eine Mammahyperplasie sowie ein Karpaltunnelsyndrom fest. Der Facharzt für Chirurgie Dr. B. führte in seinen Berichten vom 7. Oktober 2002 und 13. Juni 2005 aus, er habe die Klägerin u. a. wegen Cervikalneuralgien und Lumbago behandelt. Im Vordergrund hätten degenerative Veränderungen der Gelenke und der Wirbelsäule gestanden. Im Röntgenbild habe an der Lendenwirbelsäule ein altersentsprechender Normalbefund bestanden. Der Internist Dr. K. führte in seinem Bericht vom 21. Juni 2005 insbesondere aus, bei der Klägerin hätten migräneartige Spannungskopfschmerzen vom Nacken zum Hinterkopf ausstrahlend bestanden. Bei zunehmender Adipositas habe eine glaubhaft starke psychische Belastung durch die Mammahypertrophie bestanden. Er habe die Diagnose einer Adipositas, einer Refluxösophagitis und einer chronisch venösen Insuffizienz gestellt. Der Orthopäde und Chirotherapeut P. führte in seinem Bericht vom 23. Februar 1999 insbesondere aus, die Klägerin habe bereits seit ihrer Jugend unter Migräneanfällen gelitten. Eine starke Verspannung der Schulter-Nacken-Muskulatur sei anlagebedingt und durch Massagen nicht zu ändern. An der Halswirbelsäule habe sich im Röntgenbild kein Befund ergeben. Als Diagnosen habe er eine rezidivierende Migräne und eine anlagebedingte chronische Verspannung der Schulter-Nacken-Muskulatur festgestellt.

13

Das Sozialgericht hat darüber hinaus ein schriftliches Gutachten der Ärztin für Chirurgie, Unfallchirurgie, Sozialmedizin und Sportmedizin Dr. S. aus H. vom 13. Juni 2007 eingeholt. Dr. S. kam zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen den geklagten Rückenbeschwerden und der Brustgröße nicht hergestellt werden könne. Auch habe im Bereich der Brüste keine behandlungsbedürftige Krankheit vorgelegen.

14

Das Sozialgericht hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Orthopäden Dr. Ba. aus H. vom 12. Juni 2008 eingeholt. Dr. Ba. kam zu dem Ergebnis, dass präoperativ eine Haltungsfehlfunktion aufgrund der Brustgröße bei der Klägerin vorgelegen habe. Er führte insbesondere aus, sowohl im Stehen als auch im Sitzen sei es zu einer fortgesetzten Fehlbelastung des Halteapparats mit Schmerzen gekommen. Die Klägerin habe präoperativ unter den typischen Folgen einer chronifizierten Schmerzsituation, wie z. B. auch reaktiven depressiven Tendenzen gelitten. Die Mammahyperplasie sei mittelbar und unmittelbar für die Verschlechterung des Gesamtzustandsbildes ursächlich.

15

Mit Urteil vom 29. August 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass eine krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht nur dann bestehe, wenn die Versicherte in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder wenn eine anatomische Abweichung entstellend wirke. Eine Makromastie sei jedenfalls dann keine Krankheit, wenn die Größe der Brüste proportional zum Körperhabitus sei. Anspruch auf eine Mammareduktionsplastik zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe dann grundsätzlich nicht. An die Notwendigkeit einer Brustverkleinerungsoperation zur Behandlung orthopädischer Leiden seien besonders strenge Anforderungen zu stellen, da in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen werden solle. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gebe es bisher nicht. Daran gemessen stelle die frühere Größe der Brüste der Klägerin keine körperliche Anormalität dar, die als Krankheit in diesem Sinne zu bewerten gewesen wäre. Keiner der Sachverständigen und keiner der behandelnden Ärzte habe krankhafte Veränderungen im Bereich der Brüste feststellen können. Die Größe der Brüste habe auch keine darüber hinausgehende gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen. Insoweit sei den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. S. zu folgen. Danach habe sich kein Nachweis finden lassen, dass aufgrund der Brustgröße eine wesentliche Fehlfunktion bzw. Einschränkung von Körperfunktionen vor der Operation vorgelegen habe. Bei der Klägerin habe kein wirklich krankhafter Befund im Bereich der Hals-, Brust- oder Lendenwirbelsäule vorgelegen. Als Grund für die von der Klägerin geklagten funktionellen Wirbelsäulenbeschwerden komme nach den Ausführungen der Sachverständigen in erster Linie ein ausgeprägtes Übergewicht und eine daraus resultierende dezent ausgeprägte Hohlrundrückenfehlstatik bei Insuffizienz der rumpfstabilisierenden Muskulatur als Ursache in Betracht. Demgegenüber sei das Gutachten des Dr. Ba. insgesamt unbrauchbar. Soweit Dr. Ba. eine Haltungs-Fehlfunktion aufgrund der Brustgröße festgestellt habe, sei er den hierfür erforderlichen Nachweis bzw. die Begründung schuldig geblieben. Seine Begründung bestehe überwiegend aus allgemeinen Ausführungen und Literaturzitaten. Soweit die Klägerin neben den behaupteten Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und des Nackens auch über psychische Probleme berichtet habe, seien diese im Rahmen des hier gestellten Anspruches nicht weiter relevant. Vorrangig sei insoweit eine Behandlung durch Psychiater und Psychotherapeuten durchzuführen.

16

Gegen dieses den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8. Dezember 2008 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die am 22. Dezember 2008 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung führt die Klägerin aus: Das Sozialgericht habe dem Sachverständigen Dr. Ba. vorgeworfen, dass eine Haltungsfehlfunktion aufgrund der Brustgröße festgestellt worden sei, wofür der Sachverständige aber den erforderlichen Nachweis bzw. die Begründung schuldig geblieben sei. Der Sachverständige habe lediglich allgemeine Ausführungen und Literaturzitate wiedergegeben ohne Bezug zum konkreten Fall. Diese Ausführungen des Sozialgerichts seien nicht nachvollziehbar. Der Sachverständige habe anlässlich einer Untersuchung einen umfassenden Befund erhoben und seine gutachterliche Einschätzung durch Heranziehung der medizinisch-wissenschaftlichen Fachliteratur untermauert. Außerdem sei das Urteil verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. In der mündlichen Verhandlung habe das Sozialgericht nicht zum Ausdruck gebracht, dass es das Gutachten von Dr. Ba. für „insgesamt unbrauchbar“ halte. Hierzu wäre das Gericht verpflichtet gewesen, um im Rahmen des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Klägerin Gelegenheit zu geben, sich hierzu zu äußern.

17

Die Klägerin beantragt,

18

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 29. August 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die durchgeführte Brustverkleinerung in Höhe von 4.500,00 EUR zu erstatten.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Sie ist der Auffassung, dass das Urteil des Sozialgerichts nicht zu beanstanden sei. Die frühere Größe der Brüste der Klägerin habe keine körperliche Anormalität dargestellt, so dass kein regelwidriger Körperzustand und somit keine Krankheit im Rechtssinne vorgelegen habe. Die Brustgröße der Klägerin habe keine darüber hinausgehende gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen. In erster Linie sei das ausgeprägte Übergewicht und eine daraus resultierende dezent ausgeprägte Hohlrundrückenfehlstatik ursächlich für die von der Klägerin geklagten funktionellen Wirbelsäulenbeschwerden gewesen. Ein Eingriff in ein gesundes Organ – hier die Brüste – sei nur dann gerechtfertigt, wenn keinerlei andere Behandlungsmethoden zum Erfolg führen könnten. Vorrangig sei therapeutisch auf einen Ausgleich der Bindegewebsstrukturen und der Rückenmuskulatur durch krankengymnastische Übungen und auf eine Gewichtsreduktion hinzuwirken. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gebe es keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Brustgröße und Wirbelsäulenbeschwerden. Zu Recht habe das Sozialgericht das Gutachten von Dr. Ba. für nicht überzeugend gehalten. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liege nicht vor.

22

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2010 Beweis erhoben durch Anhörung des Arztes für Orthopädie Dr. N. aus A. als medizinischen Sachverständigen, dessen Gutachten vom 8. März 2010 den Beteiligten vorab übersandt worden war.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

24

Die insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

25

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ablehnung der Kostenübernahme für die bei der Klägerin durchgeführte Brustverkleinerungsoperation durch die Beklagte ist rechtmäßig.

26

Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerin ist § 13 Abs. 3 Satz 1 zweite Alternative Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach muss die durchgeführte Brustverkleinerungsoperation als Maßnahme der Krankenbehandlung notwendig gewesen sein. Eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne ist ein regelwidriger Körperzustand, der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Eine Regelwidrigkeit liegt vor, wenn der Körperzustand vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Eine für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht maßgebende Krankheit liegt nur vor, wenn die Versicherte in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Juli 2004, B 1 KR 11/04 R, Urteil vom 19. Juli 2004, B 1 KR 9/04 R). In diesem Sinne stellen übergroße Brüste grundsätzlich keine Krankheit dar (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. August 2008, L 1 KR 7/07).

27

Die Klägerin ist nicht wegen einer äußeren Entstellung behandlungsbedürftig. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit bewirkt und erwarten lässt, dass die betroffene Person ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Betrachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht (Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R). Danach liegt eine Entstellung bei der Klägerin hier nicht vor. Eine Dysproportion zwischen Figur, Körperbau und Brustgröße in dem dafür erforderlichen Maße lässt sich den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht entnehmen.

28

Ein psychischer Leidensdruck wegen der übergroßen Brüste wird von der Klägerin ausdrücklich verneint. Unabhängig davon wäre dieser vorrangig durch Psychiater/Psychologen zu behandeln und rechtfertigt keinen operativen Eingriff. Ebenso klar ist, dass kosmetische Defizite keine Krankheit darstellen.

29

Was bleibt, ist die Frage, ob die durchgeführte Operation zur Behandlung der von der Klägerin geklagten Wirbelsäulenbeschwerden notwendig war. Die Operation erfolgte mithin zur nur mittelbaren Bekämpfung der auf orthopädischem Gebiet bestehenden Beschwerden. Zwar können grundsätzlich auch solche Maßnahmen notwendig sein, wenn sie gezielt der Krankheitsbekämpfung dienen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2003, B 1 KR 1/02 R). Eine solche mittelbare Behandlung bedarf einer besonderen Rechtfertigung, indem eine Abwägung zwischen dem voraussichtlichen medizinischen Nutzen und möglichen gesundheitlichen Schäden erfolgen muss. Wird dabei – wie hier – in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen, sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wobei Art und Schwere der Erkrankung, das Risiko und der eventuelle Nutzen der Therapie gegeneinander abzuwägen sind (Bundessozialgericht ebenda). Zu fordern ist auf jeden Fall eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule und die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen (vgl. etwa Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. Mai 2007, L 5 KR 118/04 und Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Februar 2009, L 10 KR 25/06). In diesem Zusammenhang wird unter Hinweis auf fehlende medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse bereits generell in Frage gestellt, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gibt (so wohl auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2002, L 4 KR 4692/01; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. August 2008, L 1 KR 7/07).

30

Diese grundsätzlichen Bedenken des Baden-Württembergischen und des Hessischen Landessozialgerichts können hier dahinstehen, da jedenfalls bei der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für den Senat feststeht, dass die Brustverkleinerung zur Behandlung der geltend gemachten Wirbelsäulenbeschwerden nicht notwendig war. Die Operation war nicht vorrangig geeignet, das Beschwerdebild zu bessern. Vor dem Hintergrund einer fehlenden erheblichen, schwerwiegenden Erkrankung der Wirbelsäule wäre eine Besserung der Beschwerden auch durch eine drastische Gewichtsreduktion, Absetzen der Ovulationshemmer sowie durch sportliche Aktivitäten zum Ausgleich der muskulären Insuffizienz und der Bandschwäche erreicht worden. Im Wesentlichen übereinstimmend haben Dr. S. und Dr. N. ausgeführt, dass bei der Klägerin eine Fehlstatik der Lendenwirbelsäule/Brustwirbelsäule vorliegt im Sinne eines mäßig verstärkten Hohlrundrückens. Die Klägerin hat vor der Geburt ihres ersten Kindes 1988 etwa 60 kg bei einer Körpergröße von etwa 170 cm gewogen. Nach der zweiten Geburt 1993 betrug das Gewicht etwa 85 kg. Danach kam es aufgrund einer hormonellen Behandlung zu einer rasanten Gewichtszunahme von etwa 37 kg innerhalb von gut drei Monaten. Das höchste in den Akten dokumentierte Körpergewicht betrug 107 kg. Wie der Sachverständige Dr. N. in diesem Zusammenhang gestützt auf wissenschaftliche Studien ausgeführt hat, nimmt die weibliche Brust bei einer Zunahme des Körpergewichts je kg etwa um 20 g zu. Allein schon dadurch erklären sich die übergroßen Brüste nach der erheblichen Zunahme des Körpergewichts der Klägerin (37 kg entsprechen 740 g je Brust). Im August 2002 wurde die Hormongabe wegen einer Thrombose beendet. Heute wiegt die Klägerin wieder 83 kg (BMI 28,5 kg/m²).

31

Die Rückenbeschwerden der Klägerin traten etwa 1999/2000 auf. In den Jahren zuvor gab es keine Hinweise auf Beschwerden wegen zu großer Brüste. Die Klägerin befand sich damals in einer schwierigen Situation. Einerseits lag das dargestellte massive Übergewicht vor, andererseits psychische Belastungen sowohl durch das Übergewicht als auch durch die häuslichen Probleme mit den Kindern. Wegen der andauernden Hormongabe bestand bis zum Jahre 2002 auch keine realistische Chance auf Gewichtsreduktion.

32

Vor diesem Hintergrund schließt sich der Senat der Bewertung der medizinischen Sachverständigen Dr. S. und Dr. N. an, dass die Rückenbeschwerden der Klägerin seinerzeit auf das erhebliche Übergewicht und auf die durch die Gewichtszunahme stark vergrößerten Brüste zurückzuführen waren. Sie wären durch Reduzierung des Körpergewichts und sportliche Aktivitäten daher auch vorrangig gegenüber der Brustverkleinerungsoperation zu bessern gewesen. Dies korrespondiert damit, dass die Klägerin heute nach Gewichtsabnahme bei einem BMI von 28,5 kg/m² weitgehend beschwerdefrei ist. Die Reduzierung des Gesamtgewichts hätte auch eine Verkleinerung der Brüste zur Folge gehabt. Wenngleich dabei in der Regel nicht ganz 20 g je Brust pro kg Körpergewichtsverlust erreicht werden, wären jedenfalls die übergroßen Brüste – die der Klägerin Veranlassung zur Operation gegeben hatten – deutlich reduziert worden.

33

Der hiervon abweichenden gutachterlichen Bewertung von Dr. Ba. vermochte der Senat nicht zu folgen. Die dortige Untersuchung der Klägerin erbrachte keine relevanten Einschränkungen bei beschwerdearmem Zustand. Dies bestätigt auch den von den anderen Gutachtern erhobenen Befund, wonach keine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule vorliegt. Der Gutachter Dr. Ba. kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die Operation erforderlich war, weil die Klägerin vor der Operation unter einer chronischen Schmerzkrankheit mit reaktiven depressiven Mustern gelitten habe. Durch die Operation seien Besserungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen in Bezug auf die statische Fehlbelastung, die Schmerzen und die psychische Belastungssituation. Dies sei dann auch bei unveränderter Adipositas eingetreten, die deswegen als Ursache für die Wirbelsäulenbeschwerden ausscheide. Dieses Gutachten hat den Senat nicht überzeugt. Der Gutachter geht von einer chronischen Schmerzerkrankung der Klägerin vor der Operation aus, obwohl dies den Berichten der behandelnden Ärzte nicht zu entnehmen ist. Eine spezielle Schmerztherapie, die vor einer Brustoperation angezeigt gewesen wäre, wurde von keinem der behandelnden Ärzte empfohlen und hat auch nicht stattgefunden. Hierzu hat der Gutachter Dr. N. zutreffend ausgeführt, dass Dr. Ba. in seinem Gutachten im Wesentlichen die Entstehung chronischer Schmerzen erklärt habe, jedoch die Benennung eines nachvollziehbaren anzuschuldigenden pathomorphologischen Substrats bei der Klägerin schuldig geblieben sei. Letztlich geht Dr. Ba. von einer unzutreffenden Prämisse aus und auf alternative Behandlungsmöglichkeiten überhaupt nicht ein.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

35

Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.


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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt 1. Ärztliche Behandlung einsc
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published on 14/06/2013 00:00

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. Oktober 2010 - 12 K 527/09 - geändert.Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für die mit Antrag vom 21.9.2006 geltend gemachten Aufwendungen weitere Kas
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(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.