Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 24. Feb. 2010 - L 2 VG 16/08
Gericht
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 5. März 2008 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs.
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Die 1969 geborene Klägerin absolvierte nach Abschluss der Realschule und dem Besuch eines Fachgymnasiums von 1988 bis 1990 Ausbildungen mit dem Abschlüssen „Geprüfte Fremdsprachensekretärin DSV“ und „Staatlich anerkannte Fremdsprachensekretärin ABW“, anschließend einen Schwesternhelferinnenlehrgang und war von November 1991 bis ca. Juli 1992 als Schwesternhelferin und von Februar 1994 bis Juli 1994 als Eisverkäuferin beschäftigt. Im Zeitraum von ca. Juni 1995 bis Juli 1997 nahm sie an einer Qualifizierungs- bzw. AB-Maßnahme als Erziehungshelferin teil. Nach Arbeitslosigkeit seit August 1997 bezog und bezieht sie seit dem 1. Juli 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
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Seit 1984 war die Klägerin wiederholt in psychiatrischer Behandlung. Hierzu ergibt sich aus der Akte zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes: Im Rahmen stationärer Behandlungen in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie S. vom 23. August bis 2. November 1984 und erneut vom 10. November bis 20. Dezember 1984 wurde die Diagnose einer narzisstischen Neurose bzw. Adoleszentenkrise bei narzisstischer Neurose gestellt. Im Februar 1985 erfolgte in derselben Klinik eine „Krisenintervention nach erneutem Suizidversuch“; dazwischen und danach bis 1987 wurde eine ambulante Psychotherapie in der Klinik durchgeführt. Von 1990 bis 1992 war die Klägerin bei der Psychotherapeutin R. Ra. in Behandlung, die eine Borderline-Störung annahm. Auffällig seien die sehr distanzierte Beziehung zur Mutter und die starke Abwehrhaltung gegen den Vater bei gleichzeitiger Abgrenzungsschwierigkeit. Die Klägerin neige zur positiven wie negativen Überbewertung der Eltern, insbesondere des Vaters, den sie früher stark und fehlerlos erlebt habe, jetzt fürchte. Sie ekle sich vor den Eltern. Von Anfang 1991 bis Mitte 1993 wurde die Klägerin ausweislich der Bescheinigung der Dipl.-Psychologin A. aus März 1999 außerdem durch die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern der Stadt F. betreut und seit April 1992 durch den Allgemeinarzt Dr. H. wegen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung behandelt. Wegen einer Verschlimmerung der psychischen und psychosomatischen Symptome erfolgte von März 1993 bis Januar 1994 die stationäre Behandlung in der Klinik G., wo die Diagnosen Essstörung, PTBS, Panikstörung mit Agoraphobie, Borderline-Persönlichkeitsstörung gestellt wurden. Die Klägerin gab dort u. a. an, von ihrem Vater sexuell missbraucht worden zu sein und sich an entsprechende Erlebnisse vom dritten Lebensjahr an erinnern zu können. Die sexuellen Übergriffe des Vaters hätten bis zu ihrem 10. Lebensjahr gedauert. Seit März 1994 erfolgte eine psychiatrische Behandlung durch Dr. Sa., Pro Familia. Hier wurde von einer schweren Borderline-Persönlichkeitsstörung vor dem Hintergrund frühkindlicher Vernachlässigung und fortgesetzter seelischer und körperlicher Traumatisierung und Fremdbestimmung ausgegangen. Seit August 1995 erfolgte die Behandlung durch den Psychiater Dr. Sb.; die Diagnose lautete „Borderline-Persönlichkeitsstörung“. Die Therapeutin E. von der Fa. e.V. F. bescheinigte im Rahmen der ambulanten Behandlung seit November 1998 eine schwere Borderline-Erkrankung und Panikstörung. Im Rahmen einer stationären Behandlung von März bis Juli 2000 in der Fachklinik Ha. wurden die Hauptdiagnose „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ und die Nebendiagnosen „Posttraumatische Belastungsstörung; Panikstörung“ genannt. Die Klägerin gab dort u. a. an, der Vater habe sie im Alter von 3 Jahren bzw. bereits im Alter von 2 1/2 Jahren missbraucht; sie sei auch geschlagen und weggesperrt oder durch Kälte und Missachtung bestraft worden. Seit Oktober 2002 befand sich die Klägerin in tiefenpsychologisch fundierter psychologischer Behandlung bei der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Aa. M., die eine Borderline-Persönlichkeitsstörung und posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierte; sexueller Missbrauch durch den Vater spiele bei der Entwicklung der psychischen Erkrankung die wesentliche Rolle und sei deshalb auch zentrales Thema in der jetzigen Psychotherapie. Die Dres. Fb. und J. bescheinigten im Rahmen der seit September 2003 durchgeführten Therapie eine PTBS sowie Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativen Tendenzen.
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Den Kontakt zu ihrer Familie hat die Klägerin vollständig abgebrochen und ihren Namen ändern lassen.
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Im Juni 2003 stellte die Klägerin bei dem Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein (LAsD) den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab zum Tathergang „vollzogener sexueller Missbrauch im Elternhaus 1971-1982, sexuelle Übergriffe und emotionaler Missbrauch bis 1992, Vernachlässigung 1969 – 1987“ an. Hinsichtlich der Folgen der Taten machte sie Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Borderline-Störung, Asthma bronchiale, Allergien, seronegative Polyarthritis, chronifizierte Schlafstörung, geltend und wies darauf hin, dass sie aufgrund der Schädigung eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer beziehe. Sie übersandte dazu zahlreiche Entlassungsberichte und Bescheinigungen über die stationären psychiatrischen Behandlungen. Im weiteren Verlauf legte sie außerdem eigene handschriftliche (Tagebuch-)Aufzeichnungen aus (soweit datiert) 1986, August 1989 und aus dem Zeitraum von Juni 1990 bis April 1992 vor.
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Das LAsD zog weitere Entlassungsberichte über die stationären psychiatrischen Behandlungen der Klägerin, eine Aufstellung der AOK-Schleswig-Holstein über Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin und die zugrunde liegenden Diagnosen, Befundberichte der Dipl.-Psychotherapeutin Ra. (7/03) nebst beigefügter Bescheinigung zur Vorlage beim Rentenversicherungsträger, des Facharztes für Allgemeinmedizin/Psychotherapie P. (7/03 und 2/04) und der Ärzte für Neurologie und Psychiatrie J. und Fb. (2/04), die Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte aus dem Rentenverfahren sowie eine schriftliche Zeugenaussage der ehemaligen Klassenlehrerin der Klägerin in der 1. und 2. Klasse der Grundschule, I.-Ma. S., vom 17. Mai 2004 bei und führte im Mai 2004 eine persönliche Befragung der Klägerin durch seine Mitarbeiterin Frau Sc. durch (Wortlautprotokoll Bl. 206 ff. Verwaltungsakte).
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Durch Bescheid vom 11. Juni 2004 lehnte das LAsD den Antrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Zu den vorliegenden medizinischen Unterlagen sei zusammenfassend festzustellen, dass sich in den Berichten über die ersten stationären Behandlungen 1984 und 1985 weder Hinweise auf sexuellen Missbrauch noch auf rohe Misshandlungen oder böswillige Vernachlässigung im strafrechtlichen Sinne fänden. Es sei eine „Adoleszentenkrise bei narzisstischer Neurose“ diagnostiziert worden. Ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch habe sich offenbar erstmals im Rahmen der ambulanten Behandlung durch die Psychotherapeutin R. Ra. 1990 bis 1992 ergeben. Nach den Aufzeichnungen der Klägerin setzten ihre Erinnerungen ca. im Januar 1991 ein. In den früheren Aufzeichnungen fänden sich dazu keine Angaben. In dem Bericht der Psychotherapeutin Dr. Sa. aus September 1999 werde festgestellt, dass wenige bewusste Erinnerungen an die geltend gemachten Taten vorlägen, die bereits im vorsprachlichen Bereich begonnen haben sollten. Auch im Rahmen der Anhörung am 5. Mai 2004 habe die Klägerin auf Nachfragen kaum detaillierte Angaben zu Einzelheiten der Tatgeschehen machen können, die sich auf Realitätskennzeichen untersuchen ließen. Wie es zu den ersten Erinnerungen an Übergriffe gekommen sei, lasse sich nicht mehr feststellen. Es habe aber in der Folgezeit mehrfache, auch länger andauernde psychotherapeutische Behandlungen gegeben, in denen die mutmaßlichen Taten wiederholt thematisiert worden seien (z. B. in der Klinik für psychosomatische Medizin G., in der Fachklinik H. und bei der Psychotherapeutin Dr. Sa.). Aus der einschlägigen Forschung sei bekannt, dass es in einer derartigen Konstellation zu Überlagerungen des Originalgedächtnisses durch Inhalte kommen könne, die erst im Zuge einer späteren Aufarbeitung der berichteten Vorfälle entstanden sein könnten. Die vielfache Auseinandersetzung mit dieser Thematik führe gerade bei ohnehin vorhandenen psychischen Problemen häufig dazu, dass ein vermeintlich traumatisches Erlebnis als Erklärung für diese Probleme betrachtet werde. Die so gefundene Erklärung sei subjektiv erleichternd, da sie eine gewisse Kontrolle über die Probleme vermittle. Die Therapeutin Dr. Sa. weise in ihrem Bericht aus September 1999 ausdrücklich auf die hohe Motivation der Klägerin hin, „an ihrer Problematik zu arbeiten“ und auf das „tiefe Bedürfnis, sich selbst und was in ihr vorgeht, umfassend zu verstehen“. Es sei daher nicht auszuschließen, dass die tatsächlichen Erinnerungen der Klägerin durch Therapieinhalte überlagert und/oder umgedeutet worden seien. Weitere Ermittlungsansätze böten sich leider nicht. Das Gespräch der Klägerin mit der Zeugin Sd. habe erst lange nach Therapiebeginn stattgefunden. Die Zeugin habe nicht von eigenen früheren Wahrnehmungen berichten können, die eindeutige Rückschlüsse auf die angegebenen Taten zuließen. Eine Befragung der Eltern sei auf den ausdrücklichen Wunsch der Klägerin nicht erfolgt. Mit den zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen diagnostischen Methoden der Aussagepsychologie, wie sie auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung gefordert würden, sei es nicht möglich, zwischen tatsächlichen Erinnerungen und nachträglicher Überlagerung und Umdeutung zu unterscheiden. Eine aussagepsychologische Begutachtung komme daher hier zur Sachverhaltsaufklärung nicht in Betracht. Im sozialen Entschädigungsrecht müssten die Tatbestandsvoraussetzungen nachgewiesen sein. Es gelte der Grundsatz der objektiven Beweislast. Danach habe diejenige, die aus einer Tatsache ein Recht herleiten wolle, die Folgen der Nichtfeststellbarkeit oder Nichtbeweisbarkeit einer Tatsache zu tragen.
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Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend: Das LAsD habe bei seiner Entscheidung einen unzutreffenden Beweismaßstab angelegt. Dies ergebe sich aus dem ablehnenden Bescheid, aber auch bereits aus den Äußerungen der Sachbearbeiterin Frau Sc. im Rahmen der persönlichen Anhörung, in der diese davon gesprochen habe, dass sie das Geschehen nach den Schilderungen der Klägerin für wahrscheinlich halte, dass eine Wahrscheinlichkeit aber hier nicht ausreiche, und weiter, dass andere Ursachen völlig auszuschließen sein müssten. Demgegenüber reiche in Anwendung des § 15 KOV-VfG die überwiegende Wahrscheinlichkeit aus. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entspreche dieser Beweismaßstab dem bei sonstigen - später eingeführten - Tatbeständen der Beweiserleichterung im Sozialrecht Üblichen, wonach eine Tatsache glaubhaft gemacht sei, wenn Ihr Vorliegen nach den Ergebnissen der Ermittlungen überwiegend wahrscheinlich sei, und zwar auch dann, wenn der Leistungsbewerber aus eigenem Wissen keine Angaben machen, sondern nur eine Behauptung aufstellen könne. Gerade in Fällen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit, an die sich die Betroffenen erst Jahre später erinnerten, sei diese Beweiserleichterung häufig entscheidend. Da es in der Regel keine Zeugenaussagen gebe, Strafanzeige durch das Opfer (im Kindesalter) nicht gestellt worden sei und Unterlagen über Verletzungen oder über Auffälligkeiten des missbrauchten Kindes nicht oder nicht mehr existierten, befänden sich die Opfer in erheblicher Beweisnot, so das „Handbuch Opferschutz und Opferhilfe“. Hier sei die Beweissituation insofern noch etwas günstiger, als sie sexuellen Missbrauch und Misshandlungen durch den Vater und Übergriffe schildern könne. Zwar sei in dem ältesten Klinikbericht über den Aufenthalt in der Fachklinik S. im Zeitraum von August bis Dezember 1984 sexueller Missbrauch nicht ausdrücklich erwähnt, es sei aber von Ekelgefühl gegenüber den Eltern, positiver und negativer Überbewertung der Eltern, insbesondere des Vaters, wochenlanger Weigerung, die Eltern zu sehen, Autoaggressionen die Rede. Diese Beobachtungen passten zu ihrer Schilderung, der Vater sei gegen ihren Willen in die Klinik gekommen, er habe ihr in einem Brief ein Schweigegebot auferlegt. Zu diesen Unterlagen passten auch die Erinnerungen der beiden Lehrerinnen Sd. und Dr. Ja. Das Gespräch mit Frau Sd. habe allerdings nach ihrer Erinnerung deutlich früher als von der Zeugin angegeben stattgefunden. Die Zeugin Sd. schildere sie in der 1. und 2. Grundschulklasse als bedrücktes Kind mit guten Schulleistungen. Bei schulischen Problemen habe der Vater massiv die Kollegen beschuldigt. Die spätere Klassenlehrerin, Dr. Ja., habe sich an die Zeit des Selbstmordversuches, der Grund für die Einweisung in die Fachklinik S. gewesen sei, erinnert sowie daran, dass sie ihre Eltern nicht habe sehen wollen und dass der Vater alle Schuld von sich und seiner Familie gewiesen habe. Es sei typisch, dass ein traumatisierter Mensch nicht in der Lage sei, zeitnah über das Erlebte zu sprechen. Ab 1990 lägen zahlreiche ärztliche oder psychologische Gutachten vor, in denen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werde, ein Krankheitsbild, das nur bei Vorliegen streng klassifizierter Störungsbilder diagnostiziert werde und dessen Vorliegen unstreitig sein dürfte. Eine solche Störung erfordere ein zugrunde liegendes Trauma oder mehrere Traumata. Unstreitig sei auch, dass bei ihr eine Störung bereits im Jugendalter, spätestens 1984, vorgelegen habe. Ein anderes Trauma sei nicht ersichtlich. Das wiedergegebene Zitat von Dr. Sa. sei falsch bzw. aus dem Zusammenhang gerissen; die Therapeutin betone gerade ihren verzweifelten Kampf gegen die Krankheit und um Normalität.
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Das LAsD wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 2005 zurück, im Wesentlichen mit der Begründung: Der für eine Versorgung nach § 1 OEG zu fordernde Nachweis einer durch vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff verursachten gesundheitlichen Schädigung sei im Falle der Klägerin nicht erbracht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 15 KOV-VfG. Glaubhaft im Sinne dieser Vorschrift seien die Angaben der Antragstellerin dann, wenn sie überwiegend wahrscheinlich seien. Könne die Antragstellerin nur Behauptungen aufstellen, so sei unter Würdigung der weiteren Beweismittel zu prüfen, ob die Behauptungen überwiegend wahrscheinlich seien. Die Klägerin habe lediglich allgemein gehaltene Angaben gemacht. Bei deren Untersuchung auf ihre Glaubwürdigkeit würden die vom Bundesgerichtshof zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung aufgestellten Kriterien angewandt. Es werde dazu eine Methode angewendet, bei der von der so genannten Nullhypothese ausgegangen werde, d. h. eine Aussage werde so lange als unwahr angesehen, bis dies mit den erzielten Ergebnissen nicht mehr vereinbar sei. Wenn also schon eine einzige Alternativhypothese nicht mehr ausgeschlossen werden könne, könne bereits zu diesem Begutachtungszeitpunkt nicht mehr ausgeschlossen werden, dass die Aussage unwahr sei. In einem solchen Fall könne von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 15 KOV-VfG nicht mehr die Rede sein. In Fällen, in denen bereits eine Vielzahl von Therapien stattgefunden habe, sei es möglich, dass die Aussage durch einen Therapeuten suggeriert worden sei. Wenn jemand eine durch Suggestion verursachte Aussage mache, beständen keine qualitativen Unterschiede zu wahren Aussagen wie bei einem Vergleich zwischen bewusst unwahren und wahren Behauptungen. Denn die aussagende Person halte in Fällen der Suggestion ihre eigene Aussage subjektiv für wahr. In derartigen Konstellationen sei es erforderlich, die Entstehung und Entwicklung der Aussage, die so genannte Geburtsstunde der Aussage aufzuklären. Es seien daher Angaben unbeteiligter Zeugen zu berücksichtigen, denen gegenüber sich das Opfer zu den Tatvorwürfen geäußert habe. Wichtig sei, dass Zeugen, denen möglichst früh von den Tatvorwürfen berichtet worden sei, die Geburtsstunde der Aussage belegten. Diese habe hier jedoch nicht ermittelt werden können. Weder die Klägerin noch die von ihr benannten Zeugen machten detaillierte Schilderungen zu den Taten. Auch habe sich der Verdacht des Missbrauchs erst nach längerer Therapiezeit in den Vordergrund geschoben. Das Gespräch mit der Zeugin Sd. habe nach Durchführung mehrerer Therapien stattgefunden.
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Zur Begründung ihrer dagegen am 28. Januar 2005 bei dem Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen die Widerspruchsbegründung wiederholt und ergänzend vorgetragen: Die Vorgehensweise des LAsD, wonach sexueller Missbrauch nur angenommen werden könne, wenn ihre Aussage bei keinem anderen Erlebnishintergrund zustande gekommen sein könne, überspanne die Beweisanforderungen deutlich. Die genannten Maßstäbe würden im Strafrecht zum Schutz des Angeklagten im Sinne des Grundsatzes „in dubio pro reo“ angewandt. Die von dem LAsD angedeutete Möglichkeit einer therapieinduzierten Erinnerung sei durch nichts belegt. Aus keinem Bericht in der Akte ergäben sich Hinweise darauf, dass eine Therapeutin das Thema „sexuelle Übergriffe“ in die Therapie eingebracht hätte. Im Gegenteil ergebe sich aus dem Bericht der Frau Ra., das diese bereits 1990-1992 den Verdacht auf sexuellen Missbrauch gehabt habe, dass aber eine Aufarbeitung des Problems wegen ihrer (der Klägerin) Überforderung und ihren starken Verdrängungsmechanismen nicht möglich gewesen sei. Frau Ra. habe festgestellt, dass ein therapeutisches Angehen dieser Verdrängung wegen der ausgeprägten Borderline-Störung der Klägerin kontraindiziert gewesen wäre. Bereits aus dem Bericht über den ersten stationären Klinikaufenthalt ergebe sich zudem, dass sie ihre Eltern wochenlang nicht haben sehen wollen; sie ekle sich vor diesen. Die von ihrem Vater verfassten, während des ersten Klinikaufenthaltes an sie gerichteten Briefe seien von ihr vernichtet worden. Im weiteren Verlauf des sozialgerichtlichen Verfahrens hat sich die Klägerin die Beurteilung aus dem von dem Sozialgericht eingeholten Gutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Dr. O. und der Klinischen Psychologin Dipl.-Psychologin Hb.-D. vom 22. Juni 2007 zu eigen gemacht, wonach bei ihr das klassische Bild einer schwer traumatisierten, sexuell missbrauchten Betroffenen bestehe und dass, abgesehen von der neu entwickelten sozialen Phobie, alle anderen bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen auf die Ursache des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater zurückgeführt werden könnten. Auch die Vorgaben aus der Rechtsprechung des BSG seien damit erfüllt. Ein langjähriger, früh beginnender sexueller Missbrauch rechtfertige es nach der herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft, dass das Opfer auf diese traumatischen Gewalterlebnisse mit Furcht, Hoffnungslosigkeit oder Verzweiflung reagiere, wie es bei ihr der Fall sei. Sie hat sich weiter auf eine Bescheinigung der Nervenärztin Dr. Pa. aus Dezember 2007 bezogen, wonach sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung nach schweren Traumata in ihrer Kindheit sowie zusätzlich unter einer Angst- und Panikstörung leide.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2005 zu verurteilen, ihr Versorgung nach dem OEG nach einer MdE von mindestens 80 v. H. gewähren.
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Das beklagte Land hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es hat sich auf die angefochtenen Bescheide bezogen und ergänzend dargelegt: Es gebe keine wissenschaftlich anerkannte Methode, aus einer psychischen Symptomatik Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis zu ziehen. Nach Eingang des genannten Gutachtens des Dr. O. und der Dipl.-Psychologin Hb.-D. hat sich das beklagte Land auf die Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B. aus Juli 2007 (Bl. 114-116 d. A.) bezogen. Darin ist zusammengefasst dargelegt, dass das Gutachten nicht den Anforderungen an ein Gutachten im sozialen Entschädigungsrecht genüge. Angaben zur somatischen Vorgeschichte fehlten gänzlich. Es fehle zudem die chronologische Darstellung der Entwicklung der psychischen Beschwerdesymptomatik im Zusammenhang mit lebensgeschichtlich bedeutsamen Ereignissen und deren Behandlung. Die Erhebung der biografischen Anamnese sei unvollständig, und auch bezüglich der aktuellen Symptomatik wären genauere Angaben wünschenswert. Die Symptomatik werde dann unter Vorwegnahme der Frage des ursächlichen Zusammenhangs als komplexe PTBS sowie als dissoziative Störung eingeordnet, ohne dass mitwirkende Bedingungen genannt und in ihrer Bedeutung hinsichtlich der Genese der vorliegenden Störung abgewogen würden. Eindeutig nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch, vorausgesetzt ein solcher sei als OEG-Tatbestand bei der Klägerin anerkannt, ständen die von den Gutachtern genannten organischen Erkrankungen. Zudem sei die MdE mit 100 v. H. zu hoch bewertet. Im Übrigen sei auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. November 2005 (L 2 VG 7/02) hinzuweisen, in dem in einem vergleichbaren Fall entschieden worden sei, dass die Art der Erkrankung, an der die Klägerin leide, nicht den Schluss zulasse, dass es zu einem sexuellen Missbrauch oder einer anderen Gewalttat gekommen sein müsse. Allenfalls könne mit einer Wahrscheinlichkeit hierauf geschlossen werden, was für die Gewährung von Leistungen nach dem OEG jedoch nicht ausreichend sei.
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Das Sozialgericht hat zunächst das Gutachten des Dr.O./ der Dipl.-Psychologin Hb.-D. (vom 15. September 2006) zu der Frage der Zumutbarkeit der Mitwirkung der Klägerin an der Sachverhaltsaufklärung (u. a. bei einer Zeugenvernehmung der Eltern und des Bruders) eingeholt und bei der Psychotherapeutin Ra. betreffend Aufzeichnungen aus der dortigen Therapie angefragt. Nach Mitteilung der Frau Ra. seien kaum noch Unterlagen vorhanden, daher erfolge eine Schilderung dessen, was sie noch erinnere (Schreiben vom 19. Februar 2006). Die an die Mutter und den Vater der Klägerin, die Zeug(inn)en K. und Hc. L., gerichtete Anfrage wegen einer schriftlichen Zeugenaussage zu dem Beweisthema „Sexueller Missbrauch der Klägerin durch ihren Vater“, die unter dem neuen Nachnamen der Klägerin erfolgte, ist von den Zeugen dahin beantwortet worden, dass sie bereit wären, sich zu den Fragen zu äußern, sofern es sich um ihre Tochter Ma. L. handeln sollte (Schreiben vom 24. April 2007).
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Das Sozialgericht hat zudem das bereits genannte Gutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters Dr. O. (vom 13. Dezember 2007, Bl. 131-133 d. A.) eingeholt, den Gutachter in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung des Gutachtens vernommen und durch Urteil vom 5. März 2008 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und das beklagte Land verurteilt, der Klägerin Versorgung nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren. In den Entscheidungsgründen ist im Wesentlichen dargelegt: Die Kammer sehe die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG als mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt an. Die Angaben der Klägerin wirkten nicht nur glaubhaft und seien durch Tagebucheintragungen unterlegt, sondern hätten auch die vom Gericht beauftragten Sachverständigen bereits bei der Begutachtung 2006 veranlasst, das klassische Bild einer schwer traumatisierten, sexuell missbrauchten Betroffenen zu konstatieren. In ihrem Gutachten vom 22. Juni 2007 führten die Sachverständigen aus, dass davon auszugehen sei, dass die PTBS der Klägerin ohne die massive sexuelle Traumatisierung in der Kindheit und Jugend nicht entstanden wäre. Als Nebendiagnose hätten sie eine dissoziative Störung angenommen, da diese Störung in ihrer Massivität eine eigene Diagnose rechtfertige. Die PTBS stehe unmittelbar und kausal mit einem sexuellen Missbrauch durch den Vater der Klägerin im Zusammenhang. Die Entwicklung einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, wie sie bei der Klägerin bestehe, sei nach Aussage der Gutachter umso wahrscheinlicher und entwicklungspsychologisch auch kohärenter, je früher auf die Entwicklung eines Menschen schädigend eingewirkt werde. Die Tatsache, dass ein direkter Zeugenbeweis nicht vorliege, führe zu keiner anderen Beurteilung. Zutreffend habe bereits das beklagte Land im Verwaltungsverfahren auf Wunsch der Klägerin von einer Zeugeneinvernahme der Eltern der Klägerin abgesehen. Bereits bei ihren Krankenhausaufenthalten habe die Klägerin einen Besuch durch den Vater nicht hinnehmen wollen und ängstlich abgewehrt. Sie habe ihren Namen zweimal geändert, um Nachforschungen ihrer Eltern zu entgehen. Die Reaktion der Eltern auf das Anschreiben des Gerichts hinsichtlich einer schriftlichen Zeugenaussage lasse nicht den Schluss zu, durch eine Vernehmung höheren Erkenntnisgewinn erlangen zu können. Zudem müsste nach dem Gutachten aus September 2006 befürchtet werden, dass eine Zeugenvernehmung jedenfalls im Sinne einer Konfrontation der Klägerin mit den Zeugen ihrer Gesundheit abträglich wäre. Die Kammer halte es nicht für opportun, es zu einer solchen Konfrontation kommen zu lassen. Die medizinischen Aussagen seien eindeutig genug. In der Vergangenheit habe nach Angaben der Klägerin deren Vater immer damit gedroht, dass sie in ein Heim komme und er immer wüsste und sähe, was sie tue, denke und fühle. Gleichzeitig habe er immer wieder gesagt, dass das, was er mit ihr mache, nur das sei, was sie auch wolle. Dies habe sie immer sehr verunsichert und sie habe sich dessen geschämt, weil sie ihren Vater nicht habe verlieren wollen. Nach Aussage der Sachverständigen sei diese Ambivalenz und Konfusion von Gefühlen in Bezug auf den Täter bei sexuellem Missbrauch von Kindern relativ typisch, da die Kinder sehr früh in eine emotionale Diskoordonanz gerieten, in der das eigene Erleben von Liebe, Demütigung und Angst durch die Täter, von denen sie abhängig seien, abgesprochen und, schlimmer noch, selbstverschuldet oder gewollt suggeriert werde. Die Drohung des elterlichen Verlustes bedeute für diese Kinder eine existenzielle Bedrohung, die mit Schuldgefühlen und Scham einher gehe und in der Regel das Kind effizient zum Schweigen bringe. Infolge dieser klassischen Manipulationen blieben traumatisierte Menschen häufig sehr verunsichert bezüglich der eigenen Wahrnehmung und trauten ihren eigenen Empfindungen nicht mehr. Die Auffassung der Sachverständigen werde nach Auffassung des Gerichts gestützt durch die Berichte der Diplom-Psychologin/Psychotherapeutin Ra. aus Juli 2003 und Februar 2006. Diese habe darauf hingewiesen, dass die Beziehung der Klägerin zu ihrem Vater extrem ambivalent gewesen sei. Sie habe zwischen Angst und Abwehr und einer gleichzeitigen „Grenzenlosigkeit“ zwischen ihm und ihr geschwankt. Das Verhältnis zur Mutter sei schlecht gewesen, weil diese auf die Klägerin sehr eifersüchtig gewesen sei („der Vati liebt Dich mehr als mich“). Die Angst der Klägerin vor ihrem Vater sei nachvollziehbar, wenn sie davon spreche, dass allein die in ihr auftauchenden Bilder vom Vater in einem dunklen Raum auf sie so verstörend und beängstigend wirkten, dass sie sich nicht weiter darauf einlassen wolle. Die Kammer sehe keine Möglichkeiten, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Die seinerzeit gehörte Lehrerin könnte ebenfalls nur Angaben vom Hörensagen machen. Naturgemäß sei bei einem sexuellen Missbrauch von Kindern der Zeugenbeweis selten. Die in den angefochtenen Bescheiden angeführte Möglichkeit, dass die Aussage der Klägerin durch ihre Therapeuten suggeriert worden sein könnte, halte die Kammer nach den Äußerungen der Sachverständigen Dr. O. und Hb.-D. für eher unwahrscheinlich. Die Klägerin sei u. a. wegen Selbstmordversuchen in psychiatrischer Behandlung gewesen. Für andere Gesundheitsstörungen, die zu den Selbstmordversuchen geführt hätten, hätten die Sachverständigen keine Anhaltspunkte gefunden. Nachvollziehbar führten die Sachverständigen die PTBS und die dissoziative Störung sowie auch die soziale Phobie der Klägerin unmittelbar kausal auf einen sexuellen Missbrauch und lang anhaltende Traumatisierung zurück. Diese Gesundheitsstörungen seien als Schädigungsfolgen anzuerkennen und insgesamt mit einer MdE um 80 v. H. zu bewerten. Die Kammer halte diese Einschätzung durch die Sachverständigen unter Berücksichtigung der „Anhaltspunkte für die Begutachtung im sozialen Entschädigungsrecht“ (Nr. 26.3) für zutreffend.
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Gegen das ihm am 5. Mai 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. Mai 2008 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangene Berufung des beklagten Landes, zu deren Begründung das beklagte Land im Wesentlichen vorträgt: Über die Gewalttaten im Sinne des OEG bestehe im Falle der Klägerin keine Klarheit. Ein Strafverfahren gegen den Vater habe nicht stattgefunden. In der von der Klägerin zu dem Antrag überreichten Tabelle seien die Tathandlungen jeweils nur allgemein umschrieben; in keinem Fall würden nähere Umstände einer einzelnen Tat geschildert. Als Täter werde der Vater genannt; es solle auch zu sexuellen Belästigungen durch Gäste der Eltern gekommen sein. Letzteres werde nicht wieder aufgegriffen. Außerdem würden in der Tabelle die Vernachlässigung durch die Mutter sowie problematische Erziehungsmethoden des Vaters oder auch beider Elternteile erwähnt, die aber nicht als Gewalttaten im Sinne des OEG anzusehen seien. Bei der Anhörung in der Außenstelle S. des LAsD habe die Klägerin, wie sich bei einem nachträglichen Vergleich der Niederschrift der Anhörung mit den von der Klägerin überreichten Aufzeichnungen ergeben habe, Letztere nicht lediglich als Gedächtnisstütze benutzt, vielmehr stimmten ihre Angaben in der Anhörung vor Gericht mit den Aufzeichnungen überein. Hinsichtlich einer Tat, die sich im Urlaub im Harz ereignet haben solle, bleibe die Beschreibung ebenfalls so vage, dass eine Nachprüfung nicht möglich sei. Die Tatortangaben seien in der zunächst eingereichten Liste geschwärzt. Soweit die Klägerin die Tatzeit in dieser Liste mit ca. 1971 bis 1980 angegeben und im Rahmen der Anhörung und auch an anderer Stelle den Beginn des Missbrauchs im Lebensalter von zwei Jahren bzw. im vorsprachlichen Bereich angegeben habe, sei dies ungewöhnlich, weil normalerweise an diese Zeit keine Erinnerungen vorlägen. Die Angabe der Klägerin im Rahmen der Anhörung, wonach der Missbrauch beendet worden sei, als sie mit 15 Jahren ihren ersten Freund gehabt habe, stehe nicht in Einklang mit früheren Angaben, wonach der Missbrauch 1980 geendet habe. Im Antrag sei das Ende der Taten noch mit 1992 angegeben worden. In einem nach der Anhörung eingereichten „Situationsbericht“ vom 26. April 1992 schreibe die Klägerin, dass sie seit 15 Monaten zweimal wöchentlich in die Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche gehe und sich seit 15 Monaten daran erinnere, dass sie in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sei, was ihrer Meinung nach ihre Störungen ausgelöst habe. In Tagebucheinträgen aus Dezember 1991 werde der Missbrauch erwähnt, jedoch seien auch darin keine Tatschilderungen enthalten. Diese Angaben seien zwar kürzere Zeit nach den dem Antrag zu Grunde liegenden Taten gemacht worden, aber noch unpräziser als die späteren Angaben. Die von der Klägerin als Zeugin benannte Klassenlehrerin Sd. habe aus eigener Anschauung nichts über die Taten sagen können sondern nur geschildert, dass die Klägerin ihr vor einigen Jahren von einem sexuellen Missbrauch durch den Vater berichtet und sie daran nicht gezweifelt habe. Insgesamt sei es damit im Verfahren bisher nicht gelungen aufzuklären, welche Gewalttaten die Klägerin erlitten habe. Die Befragung der Eltern habe das Sozialgericht begonnen, aber nicht zu Ende geführt. Der Bruder der Klägerin sei nicht gehört worden. Seit 1983 lägen zwar zahlreiche Arzt- und Therapeutenberichte vor, in denen seit einigen Jahren auch ein sexueller Missbrauch erwähnt werde. Genaueres ergebe sich jedoch auch hieraus nicht. Die ohne Zweifel sehr schwere psychische Beeinträchtigung der Klägerin erlaube keinen Rückschluss auf einen stattgefundenen sexuellen Missbrauch. Seiner Auffassung nach reichten allein die Angaben der Klägerin auch nicht aus, um auf der Grundlage von § 15 KOV-VfG zu einer Anerkennung von Schädigungsfolgen zu gelangen. Auch hierfür müsste eine genauere Schilderung der Tatumstände vorliegen, als sie hier gegeben sei. Das von dem Sozialgericht trotz Unklarheit über die Gewalttaten im Sinne des OEG in Auftrag gegebene Gutachten sei mangelhaft. Der Gutachter erhebe keine ausführliche Anamnese. Die Tatsachen, die Grundlage des Gutachtens seien, seien offensichtlich den Akten entnommen und blieben demnach unbestimmt. Die einzelnen Symptome der von den Gutachtern festgestellten PTBS würden nicht dargestellt. Weitere belastende Umstände, etwa die von der Klägerin ebenfalls geltend gemachte Vernachlässigung durch die Mutter, würden überhaupt nicht erwähnt. Insoweit hätte eine Erörterung auch im Hinblick auf die Kausalität erfolgen müssen. Die körperlichen Gesundheitsstörungen würden pauschal als Folge eines sexuellen Missbrauchs angesehen, ohne dass deren Art und Ausmaß näher bezeichnet würden.
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Das beklagte Land beantragt,
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das angefochtene Urteil vom 5. März 2008 aufzuheben
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und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie stellt ferner folgende Anträge,
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den Sachverständigen Dr. O. zu dem Beweisthema zu vernehmen, dass die bei ihr festgestellten Folgen auf einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit/Jugend zurückzuführen sind, und, soweit der Senat die Sachkunde des Sachverständigen in Zweifel zieht, hilfsweise, ein Sachverständigengutachten zum selben Beweisthema einzuholen,
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die Diplompsychologin und Psychotherapeutin R. Ra. zum selben Beweisthema zu vernehmen; die näheren Einzelheiten ergeben sich aus dem Schriftsatz vom 18. August 2009,
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die Zeugin U. E. zum Beweisthema zu vernehmen, dass sie im Zeitraum von 1998 bis 2005 unter schweren und dauerhaften Ängsten, Erinnerungen, Flashbacks, Körpererinnerungen an den sexuellen Missbrauch im Rahmen der Alltagsbegleitung berichtet hat; die ladungsfähige Anschrift ergibt sich aus dem Schriftsatz vom 18. August 2009,
- 28
die Zeugin Ia. Z. zu dem gleichen Beweisthema zu vernehmen; die näheren Einzelheiten zu dem Beweisantrag und die ladungsfähige Anschrift ergeben sich aus dem Schriftsatz vom 18. August 2009,
- 29
den ehemaligen Hausarzt F. G. H. zu dem Beweisthema zu vernehmen, dass sie diesem gegenüber von ihren Ängsten gegenüber ihren Eltern und ihren daraus resultierenden Panikattacken berichtet hat; die ladungsfähige Anschrift ergibt sich aus dem Schriftsatz vom 18. August 2009,
- 30
Frau Se. C. als Zeugin zu vernehmen zu dem Beweisthema, dass sie ihr gegenüber von ihren Ängsten gegenüber ihrem Vater berichtet hat. Die Zeugin C. kann darüber hinaus Bekundungen dazu machen, dass bei ihr durch Rückblenden und Körpererinnerungen/Panikattacken erhebliche Probleme in der Alltagsbewältigung aufgetreten sind, weiterhin dazu, dass massive Alltagseinschränkungen bei ihr zu beobachten waren, die nach den wissenschaftlichen Kriterien auf einen verübten sexuellen Missbrauch in der Kindheit/Jugend zurückzuführen sind; die ladungsfähige Anschrift ergibt sich aus dem Schriftsatz vom 18. August 2009,
- 31
den Zeugen Rb. Sf. zu vernehmen zu massiven Ängsten bis hin zu Todesangst.
- 32
Frau Ab. Ga. zum Beweisthema zu vernehmen, dass die bei ihr festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in physischer und psychischer Hinsicht auf einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit/Jugend zurückzuführen sind.
- 33
die Sachverständige Frau Hb.-D. zu dem Beweisthema zu vernehmen, dass die bei ihr festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in physischer und psychischer Hinsicht auf einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit/Jugend zurückzuführen sind.
- 34
Darüber hinaus habe sie in der mündlichen Verhandlung am 7. Januar 2010 weitere im Protokoll aufgeführte Personen namentlich benannt, die ebenfalls als Zeugen in dieser Sache gehört werden müssten. Dies betreffe den von ihr geschilderten Sachverhalt, als ihr Vater in die Klinik gestürmt sei und dabei einen Mitarbeiter der Klinik zur Seite gestoßen und sie sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert habe. In diesem Zusammenhang habe sie namentlich eine Mitpatientin benannt, die als Zeugin zu hören sei. Zudem habe sie die Ärztin Dr. Hb. benannt, der sie den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater berichtet habe.
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Die Klägerin schließt sich den aus ihrer Sicht überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts Schleswig an und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Substantiierte Einwände gegen die Feststellungen des Sozialgerichts bringe das beklagte Land nicht vor. Mit Schriftsätzen vom 5. September 2008 und 18. August 2009 hat die Klägerin weitere Zeugen und Zeuginnen genannt, mit denen sie im Rahmen von Therapien oder aufgrund privater Freundschaft/Bekanntschaft über den sexuellen Missbrauch und über die Ängste in Bezug auf ihre Familie gesprochen habe; insoweit wird auf Bl. 189/190 sowie Bl. 221-223 d. A. Bezug genommen. Die Klägerin hat außerdem eine „psychologische Stellungnahme“ der Diplom-Psychologin Ab. Ga vom 6. Oktober 2009 (Bl. 231/232) überreicht und zum Gegenstand ihres Vorbringens gemacht. Danach sei das Gesamtbild der bei ihr bestehenden Symptomatik typisch für einen über einen längeren Zeitraum anhaltenden sexuellen Missbrauch in der Kindheit durch eine Bezugsperson. Dieser Missbrauch müsse, um eine solch starke Symptomatik auszulösen, mit Todesangst, Hilflosigkeit und einem Kippen des Weltbildes (der oft so lieb erlebte Vater begehe gleichzeitig schreckliche Taten) verbunden sein. Durch die Erinnerungsfragmente, die typisch in einem solchen Fall seien, gebe es zusätzlich erhebliche Hinweise auf Sexualdelikte durch den Vater. Des Weiteren gebe es keine Hinweise auf weitere Ereignisse in der Vergangenheit der Klägerin, die diese drei Kriterien erfüllten und über einen längeren Zeitraum angehalten hätten. Von daher könne davon ausgegangen werden, dass sie Opfer einer Straftat bzw. von Straftaten, die über einen längeren Zeitraum angedauert hätten, geworden sei. Aufgrund der durch die Straftaten bedingten PTBS sei von einer MdE um 100 v. H. auszugehen.
- 36
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts den Befundbericht von Dr. Pa., Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, (11/08) über die Behandlung der Klägerin seit April 2007 beigezogen und in der mündlichen Verhandlung am 14. Oktober 2009 die Eltern der Klägerin Hb. L. und K. L., den Bruder der Klägerin, Ba. L., und die ehemaligen Lehrerinnen der Klägerin I.-Ma. Sd. und Dr. Hd. Ja. sowie in der mündlichen Verhandlung am 7. Januar 2010 die früheren Schulfreundinnen der Klägerin Mb. He. und Hf. Da. sowie den früheren Freund der Klägerin, Jb. T., als Zeug(inn)en vernommen. Außerdem ist die Klägerin persönlich in der mündlichen Verhandlung am 7. Januar 2010 angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Zeugenvernehmung und der Anhörung der Klägerin wird auf die Sitzungsniederschriften vom 14. Oktober 2009 und 7. Januar 2010 Bezug genommen. Der Senat hat die Beteiligten zudem auf Urteile des Senats vom 8. November 2005 (L 2 VG 7/02), des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 2004 (L 6 VG 14/02) und des LSG Niedersachsen-Bremen vom 5. August 2008 (L 13 VG 1/05) betreffend die Problematik des Verhältnisses zwischen medizinischen Diagnosen und Feststellung eines stattgehabten sexuellen Missbrauchs hingewiesen und Gutachten/gutachtliche Stellungnahmen aus dem Parallelverfahren S 14 VG 4/06/L 2 VG 28/08 bei dem Sozialgericht Schleswig/Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Insoweit wird auf Bl. 350-376 d. A. verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes Bezug genommen, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der abschließenden Beratung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe
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Die statthafte (§ 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG hat.
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Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) auf Antrag Versorgung, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
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Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kann ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff zu Lasten der Klägerin nicht festgestellt werden. Es kann dahinstehen, ob insoweit als Beweismaßstab der Vollbeweis, d. h. die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zu fordern ist oder in Anwendung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) eine Glaubhaftmachung ausreicht. Unabhängig davon sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG nicht erfüllt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hält der Senat einen wiederholten sexuellen Missbrauch der Klägerin durch ihren Vater, wie er hier nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin als rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des OEG allein in Betracht kommt, nicht für bewiesen und auch nicht für glaubhaft gemacht. Dabei geht der Senat von Folgendem aus:
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Ein sexueller Missbrauch zu Lasten der Klägerin kann zunächst nicht aufgrund der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt und damit als bewiesen angesehen werden. Keiner der durch den Senat vernommenen Zeugen hat einen sexuellen Missbrauch zu Lasten der Klägerin bestätigt. So hat der vermeintliche Täter, der Vater der Klägerin, die ihm von der Klägerin vorgeworfenen Taten auch auf Vorhalt im Einzelnen ausdrücklich verneint. Auch die Mutter und der drei Jahre jüngere Bruder der Klägerin, Ba. L., die mit dieser und dem Ehemann bzw. Vater jeweils in der gemeinsamen Wohnung lebten, die von der Klägerin als einer der regelmäßigen Tatorte angegeben wird, haben Missbrauchshandlungen zu Lasten der Klägerin nicht bestätigt. Dabei haben sowohl der Vater als auch die Mutter und der Bruder der Klägerin einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Sie haben die Fragen des Gerichts jeweils offen und erkennbar um Genauigkeit bemüht beantwortet und dabei auch Umstände nicht verschwiegen, die einen negativen Eindruck hinterlassen könnten. So hat z. B. die Mutter der Klägerin eingeräumt, zwischen ihrer Tochter und ihr sei es Thema gewesen, dass sie sich nicht genug um Mc. gekümmert habe, dass sie zu wenig Zeit für sie habe. Auch hat sie die von der Klägerin in der Aufstellung zu den Taten angegebene Begebenheit bestätigt, wonach es 1981 während eines Spanienurlaubs, in dem sie mit den Kindern in einem gemeinsamen Zimmer geschlafen hätten, zu Geschlechtsverkehr zwischen ihr und ihrem Ehemann gekommen sei, was ihre Tochter mitbekommen habe. Ebenfalls hat sie eingeräumt, einen Zettel aus einem Buch ihrer Tochter genommen und diesen gelesen zu haben. Dafür, dass der Zeuge Ba. L. nichts von einem sexuellen Missbrauch zu Lasten der Klägerin weiß, spricht neben dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung auch die Aussage der Zeugin Da., wonach Ba. L. geschockt gewesen sei, als sie ihm – nach den Angaben des Zeugen ca. 2006, nach den Angaben der Zeugin Da. etwa 2008 - von dem Gespräch mit der Klägerin betreffend sexuellen Missbrauch berichtet habe; er habe von nichts gewusst, so der Eindruck der Zeugin. Hierfür spricht auch die Schilderung des eigenen Verhaltens durch den Zeugen Ba. L. nach dem Gespräch mit der Zeugin Da. Er hat sehr offen und in jeder Hinsicht plausibel geschildert, dass er erst einmal habe nachdenken müssen, wie er mit diesem Vorwurf innerhalb der Familie habe umgehen sollen, dies vor allem deshalb, weil er drei Kinder habe, die auch regelmäßig bei den Großeltern seien. Er habe sich das zwar nicht vorstellen können, habe dann auch mit seiner Frau gesprochen und schließlich das Gespräch mit seinem Vater gesucht, das im Rahmen eines längeren Spaziergangs stattgefunden habe. Er habe seinen Vater auf den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs angesprochen was dieser abgestritten und dabei auch geäußert habe, dass er von dem Vorwurf wisse. Sie hätten länger miteinander gesprochen, und seine Äußerungen seien für ihn glaubwürdig gewesen. Er habe auch noch hinterher mit seiner Frau gesprochen, und dann sei das Thema für sie „abgehakt gewesen“. Diese glaubhafte Schilderung belegt zur Überzeugung des Senats, dass der Zeuge Ba. L. durch das Gespräch mit der Zeugin Da. mit einem für ihn gänzlich neuen Geschehen konfrontiert wurde.
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Auch von den übrigen Zeug(inn)en hat keine(r) Tathandlungen unmittelbar beobachtet - was auch nicht zu erwarten wäre - oder Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin erinnert, die als Indiz für das behauptete Geschehen angesehen werden könnten. Dies gilt zunächst für die Schulfreundin der Klägerin, die Zeugin Mb. He., die nach eigener Aussage mit der Klägerin etwa im Alter von 13 bis 14 Jahren, d.h. 1982/83, eng befreundet war. Nach Aussage der Zeugin sei die Klägerin zur dieser Zeit ihre „beste Freundin“ gewesen. Die Zeugin He. hat erklärt, die Klägerin habe ihr gegenüber nie berichtet, sexuell missbraucht worden zu sein. Über die Eltern hätten sie damals gar nicht gesprochen. Sie konnte auch keine auf einen sexuellen Missbrauch hindeutenden Begebenheiten erinnern. Sie konnte sich lediglich daran erinnern, dass die Klägerin ihr einmal geschildert habe, ihr Vater habe ihr in den Nacken gefasst, was sie als unangenehm empfunden habe. Die Zeugin habe dies damals als überzogene Reaktion der Klägerin angesehen. Allein der Umstand, dass die Zeugin sich nach so langer Zeit an eine solche, aus ihrer Sicht harmlose Begebenheit erinnern kann, bietet kein Indiz dafür, dass die Zeugin entgegen ihrem Bekunden hinter dieser Begebenheit einen Hinweis auf sexuelle Übergriffe des Vaters der Klägerin dieser gegenüber gesehen hat. Denn auf ausdrückliche Nachfrage hierzu hat sie für den Senat überzeugend geschildert, dass sie sich nach Erhalt der Ladung Gedanken über das Beweisthema gemacht und ihre Erinnerung bemüht habe, dass ihr aber nichts weiter eingefallen sei als diese einzige Begebenheit, die überhaupt einen Hinweis auf eine Reaktion der Klägerin auf eine Berührung ihres Vaters beinhaltete. Auch die näheren Umstände des seitens der Klägerin gemeinsam mit der Zeugin He. unternommenen Suizidversuchs geben keinen Hinweis auf sexuellen Missbrauch der Klägerin als Ursache hierfür. Die Zeugin He. hat hierzu geschildert, damals sei bei der Klägerin die Stimmung umgekippt von „zack auf gleich“. Sie sei hektisch, unruhig und nervös geworden. Sie habe dann nur gesagt, sie wolle sich jetzt umbringen. Sie, die Zeugin, sei mit der Situation komplett überfordert gewesen. Auch gegenüber der Zeugin Hf. Da., mit der die Klägerin eng befreundet war, als sie die achte Klasse wiederholte, berichtete die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt nicht über sexuellen Missbrauch. Die Zeugin erinnerte auch im Übrigen nichts, was auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin durch ihren Vater hätte hindeuten können. Gleiches gilt für den Zeugen Jb. T., mit dem die Klägerin von Mai bis Dezember 1985 befreundet war, was nach der Aussage des Zeugen T. auch eine sexuelle Beziehung mit Geschlechtsverkehr beinhaltete. Mit dem Zeugen T. sprach die Klägerin nach dessen Bekunden auch über persönliche Dinge. Einen sexuellen Missbrauch berichtete sie jedoch zu keinem Zeitpunkt. Auch unabhängig davon konnte der Zeuge hinsichtlich des Sexualverhaltens der Klägerin keine Auffälligkeiten berichten, die ein Indiz für sexuellen Missbrauch hätten sein können. Auch die ehemaligen Lehrerinnen der Klägerin, die Zeuginnen Sd. und Dr. Ja., konnten aus der Schulzeit nichts erinnern, was ein Indiz für sexuellen Missbrauch der Klägerin beinhalten könnte. Dass die Zeugin Sd. zu dem – worauf noch näher einzugehen sein wird, etwa 1998 geführten - Gespräch mit der Klägerin, in dem diese ihr erst- und einmalig von sexuellem Missbrauch durch ihren Vater berichtete, sinngemäß erklärte, sie habe der Schilderung der Klägerin geglaubt, „weil sie mir logisch nachvollziehbar erschien“ (vgl. das Schreiben der Zeugin vom 17. Mai 2004, Bl. 252 Verwaltungsakte), hat die Zeugin auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung näher erläutert. Sie habe Biologie unterrichtet, wozu auch die Aufklärung von Schülern und in diesem Rahmen auch ein Film „Sag nein“ gehört habe, in dem eine Kette ablaufe, die sie zu der zitierten Äußerung veranlasst habe. In dem Film werde auch geschildert, dass Missbrauch von Familienangehörigen ausgehen könne und auch mit Drohungen verbunden sei in dem Sinne, dass die Betroffenen darüber nicht reden dürften, weil ihnen sonst Schlimmes passieren könnte. Ihre Kenntnisse aus dem Film und die Schilderung der Klägerin auf dem Spaziergang hätten für sie gut zusammengepasst. Aufgrund dieser nachvollziehbaren und uneingeschränkt glaubhaften Erklärung der Zeugin sowie deren eindeutiger Bekundung in der mündlichen Verhandlung, wonach sie während der Schulzeit der Klägerin keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch den Vater der Klägerin gesehen habe, kann deren Äußerung in dem Schreiben vom 17. Mai 2004 nicht als Indiz für den behaupteten sexuellen Missbrauch angesehen werden. Weitere unmittelbare Tatzeugen oder -zeuginnen, von denen aufgrund ihrer Nähe zu der Klägerin und deren Familie im Zeitraum der behaupteten Taten eine eigene Wahrnehmung eines Tatgeschehens unmittelbar oder von Indizien für ein solches Geschehen zu erwarten sein könnte, sind nicht ersichtlich und insbesondere auch von der Klägerin selbst nicht benannt worden. Insbesondere lebt auch keine(r) der Großmütter und –väter der Klägerin mehr.
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Auch durch die zahlreichen medizinischen Unterlagen in der Akte sind die behaupteten rechtswidrigen tätlichen Angriffe nicht bewiesen. Objektive Befunde, die z.B. auf gewaltsamen Geschlechtsverkehr hindeuten könnten, sind in keinem der Entlassungsberichte/Arztbriefe erfasst. Demnach beruhen die in den jeweiligen Befundunterlagen wiedergegebenen anamnestischen Daten zu sexuellem Missbrauch durch den Vater in der Kindheit allein auf den Angaben der Klägerin. Befundunterlagen, die lediglich die Erinnerungen der Klägerin wiedergeben, können nicht zum Beweis des Tatgeschehens herangezogen werden. Sie können, worauf noch einzugehen sein wird, wie die übrigen Angaben der Klägerin selbst allein im Zusammenhang mit der Frage einer Glaubhaftmachung gewürdigt werden.
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Auch die im Rahmen der Therapien gestellten Diagnosen erlauben nicht den sicheren Rückschluss auf sexuellen Missbrauch und können damit nicht zum Beweis des Tatgeschehens dienen. Dies gilt zunächst hinsichtlich der Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, die sich in nahezu allen Entlassungsberichten/Arztbriefen über psychiatrische Behandlungen der Klägerin findet. Insoweit ergibt sich aus dem in einem weiteren Verfahren des Senats (L 2 VG 28/08) im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ta. vom 2. Juli 2007, das in anonymisierter Form in dieses Verfahren eingeführt wurde, dass die Borderline-Störung eine Persönlichkeitsstörung ist, die zwar in der Literatur teilweise kausal mit traumatischen Kindheitserinnerungen in Verbindung gebracht und insoweit als Subtyp eines chronischen posttraumatischen Belastungssyndroms angesehen werde, dass diese Annahme auf wissenschaftlicher Ebene aber keine Evidenz finde. Dazu hat Dr. Ta. auf die Veröffentlichung von Prof. Dr. Bb., Deutsches Ärzteblatt 2006 (S. A-3345) hingewiesen. In dieser Veröffentlichung („Psychopathologie und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung“) ist dargelegt, dass sich in einer Zwillingsstudie eine erhebliche genetische Bedeutung für die Entstehung der Borderline-Störung gezeigt habe. Ein weiterer, indirekter Hinweis auf genetische Beteiligung sei, dass etwa 50 % der Betroffenen retrospektiv über ein manifestes Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) in der Kindheit berichteten, bei dem eine klare genetische Prädisposition gesichert sei. An biographisch relevanten psychosozialen Belastungsfaktoren ließen sich sexuelle Gewalterfahrung (etwa 65 %), körperliche Gewalterfahrungen (etwa 60 %) und schwere Vernachlässigung (etwa 40 %) identifizieren. Bei der sexuellen Gewalt handele es sich zum Teil um sehr frühe, langwierige Traumatisierungen und es zeige sich, dass Borderline-Patienten diese Erfahrungen eher in der Familie machten. Dennoch erscheine es wichtig darauf hinzuweisen, dass sexuelle Traumatisierung weder eine notwendige noch hinreichende Voraussetzung für die Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung darstelle. Die unter Klinikern stark verbreitete Annahme, dass es sich bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung um ein chronisches posttraumatisches Belastungssyndrom handele, finde auf wissenschaftlicher Ebene keine Evidenz. Damit kommt ein Nachweis der behaupteten Taten durch Rückschluss aus der Diagnose einer Borderline-Störung nicht in Betracht. Denn unabhängig davon, ob man diese Störung nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung überhaupt mit einer frühkindlichen Traumatisierung in ursächlichen Zusammenhang bringen kann (vgl. zu dieser Anforderung BSG, Urt. v. 18. Oktober 1995 - 9/9a RVg 4/92, BSGE 77, 1, juris Rn. 15 ff; BSG, Urt. v. 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R, BSGE 91, 107) oder nicht, ergibt sich aus dem Vorstehenden jedenfalls, dass es keinerlei gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse dahingehend gibt, dass eine Borderline-Persönlichkeitsstörung zwingend eine Traumatisierung voraussetzt. Erst recht kann nicht auf die Art des Traumas, hier auf einen sexuellen Missbrauch durch den Vater, geschlossen werden. Dass die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bei der Klägerin vor allem deshalb gestellt worden sei, weil diese Diagnose, ebenso wie diejenige einer narzisstischen Neurose, ihre „diagnostische Blütezeit“ in den 8oer Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt habe, wie es in dem Gutachten von Dr. O./Frau Hb.-D. anklingt, überzeugt vor dem Hintergrund der Darlegungen in der von Dr. Ta. zitierten Veröffentlichung und auch vor dem Hintergrund, dass die genannte Diagnose sowohl im ICD-10 (F 60.31 „Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Borderline-Typ“ (WHO-Version 2006)) als auch im DSM IV (vgl. 301.83) erfasst ist, nicht. Auch in dem Entlassungsbericht der Klinik Ha. über die stationäre Behandlung der Klägerin im Jahr 2000 wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung weiterhin als Hauptdiagnose genannt.
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Nichts anderes würde hinsichtlich des Rückschlusses von der Diagnose auf sexuellen Missbrauch im Übrigen gelten, wenn man von einer dissoziativen Störung ausgeht, wie dies Dr. O./Frau Hb.-D. tun. Wie dem Senat aus dem weiteren Verfahren L 2 VG 7/02 bekannt ist, wird die Häufigkeit von kindlichen Traumatisierungen im Vorfeld der Entwicklung dissoziativer Störungen in der Literatur überwiegend mit Werten zwischen 60% und 80% angegeben. Als Traumatisierungen kommen Vernachlässigung, körperliche Misshandlung oder sexueller Missbrauch in Betracht. Auf Grund des klinischen Bildes lässt sich nicht differenzieren, welche Form der Traumatisierung im Einzelfall vorgelegen hat. Auch gibt es kein spezifisches Krankheitsbild, welches sich infolge frühkindlicher Traumatisierung herausbildet. So gibt es keine kausale Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch und einer spezifischen Psychopathologie im Erwachsenenalter. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass kindliche Traumatisierungen häufig für die spätere Entwicklung einer dissoziativen Störung ursächlich sind, dass aber nicht jede Traumatisierung zur Ausprägung einer dissoziativen oder anderen psychischen Störung führt und dass dissoziative Störungen auch auftreten können, ohne dass sich in der Vorgeschichte ein sexueller Missbrauch oder eine andersartige Traumatisierung sichern lässt. Danach spricht zwar bei Unterstellung einer dissoziativen Störung eine statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin Opfer kindlicher Traumatisierungen geworden ist. Eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit lässt sich jedoch nicht feststellen. Zudem lässt das Vorliegen einer dissoziativen Störung keinen Rückschluss darauf zu, ob es sich bei der Traumatisierung ggf. um eine Vernachlässigung, körperliche Misshandlung oder sexuellen Missbrauch gehandelt hat (vgl. Urt. vom 8. November 2005, veröffentl. in juris, Rn. 27; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13. Januar 2004 - L 6 VG 14/02, juris Rn. 20, 21; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 5. Juni 2008 - L 13 VG 1/05, juris Rn. 36). Der Senat hat die Erkenntnisse aus dem Verfahren L 2 VG 7/02 durch Hinweis auf das veröffentlichte Urteil in das Verfahren eingeführt. Auch in diesem Verfahren lassen sich daher gesicherte Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch selbst dann nicht ziehen, wenn man mit Dr. O./Frau Hb.-D. davon ausgeht, dass die Klägerin unter einer dissoziativen Störung leidet.
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Eine posttraumatische Belastungsstörung, die ihrerseits Rückschlüsse auf ein Trauma und dabei auf eine bestimmte Art der Traumatisierung erlaubt, kann ebenfalls nicht angenommen werden. Zwar wird diese Diagnose in verschiedenen Befundberichten/Entlassungsberichten gestellt, und auch die durch das Sozialgericht vernommenen Sachverständigen Dr. O./Frau Hb.-D. nehmen als Hauptdiagnose eine komplexe PTBS an. Diese Diagnose setzt jedoch schon begriffslogisch eine Traumatisierung voraus. Der sexuelle Missbrauch zu Lasten der Klägerin als Grundlage der Diagnose steht jedoch gerade nicht fest. Der Neurologe und Psychiater Dr. Ta. stellt deshalb in seinem in dem Verfahren S 14 VG 4/06/L 2 VG 28/08 erstatteten Gutachten zur Recht fest, dass eine PTBS als komorbide Störung durchaus angenommen werden könne, „soweit der sexuelle Missbrauch belegt werden kann“. Gerade bei der PTBS, bei der die Diagnosestellung bereits ein Trauma voraussetzt, kann nicht erst aus Symptomen auf das Trauma geschlossen werden. Allenfalls kann von einer Verdachtsdiagnose gesprochen werden, so lange das Trauma nicht feststeht. Die Sachverständigen Dr. O./Frau Hb.-D. berücksichtigen diese Problematik nicht hinreichend, wenn sie auf Seite 4 ihres Gutachtens vom 22. Juni 2007 darlegen, sexueller Missbrauch gehöre zu den typischen Ereigniskriterien/A nach DSM-IV, die diese Diagnose rechtfertigten, sodann ohne nähere Begründung dieses Kriterium bejahen und auf Seite 2 ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 13. Dezember 2007 lediglich darlegen, dass die Klägerin bereits bei der ersten Begutachtung im September 2006 das klassische Bild einer schwer traumatisierten sexuell missbrauchten Betroffenen gegeben habe. Das sog. Ereigniskriterium/A kann jedoch nicht seinerseits schlüssig damit begründet werden, dass die übrigen Kriterien einer PTBS in klassischer Weise vorliegen. Vielmehr muss das „Ereigniskriterium“ zunächst festgestellt sein, bevor zu der Frage des Vorliegens einer PTBS eine schlüssige gutachtliche Stellungnahme erfolgen kann.
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Allein auf die Aussage der Klägerin kann die Feststellung, dass sie Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater geworden sei, nicht gestützt werden. Zwar hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats am 7. Januar 2010 einzelne Handlungen ihres Vaters geschildert, die jeweils einen Straftatbestand erfüllen und auch unabhängig davon einen rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG beinhalten würden. Auch hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen und der Senat geht auch davon aus, dass sie selbst davon überzeugt ist, dass sich die von ihr geschilderten Taten so ereignet haben wie von ihr dargestellt. Der Senat hat, wie bereits dargelegt, allerdings auch keine Anhaltspunkte dafür gewonnen, dass der Vater der Klägerin oder einer der anderen vernommenen Zeugen und Zeuginnen die Unwahrheit gesagt hat. Bei umfassender Würdigung der Aussage der Klägerin im Lichte der Gesamtumstände sprechen jedoch insgesamt mehr Indizien gegen als für die Darstellung der Klägerin, so dass der Senat nicht die Überzeugung von der Richtigkeit der Schilderung der Klägerin zu gewinnen vermag, dies auch nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 KOV-Vfg. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Urt. v. 22. September 1977 - 10 RV 15/77, BSGE 45, 1; vgl. auch BSG, Beschl. v. 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; juris Rn. 5 m.w.Nw.). Hier überwiegen nach den Gesamtumständen die Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung Klägerin, d.h. es verbleiben deutlich mehr als nur gewisse Zweifel, so dass der Senat sich im Ergebnis auch von der „guten Möglichkeit“ in dem genannten Sinne nicht zu überzeugen vermag. Im Einzelnen:
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Bestimmte Schilderungen der Klägerin lassen sich nicht mit der Wahrnehmung mehrerer Zeugen in Einklang bringen. So ist den Angaben der Klägerin nicht allein sexueller Missbrauch durch den Vater zu entnehmen, sondern sie schildert auch andere körperliche Misshandlungen im Rahmen einer insgesamt aufbrausenden und zur Gewalttätigkeit neigenden Persönlichkeitsstruktur ihres Vaters. Insbesondere hat sie wiederholt geschildert, ihr Vater habe sie und ihren Bruder nachts aus dem Schlaf gerissen, um sie zu beschimpfen und ihnen aufzuzählen, was sie alles falsch gemacht hätten. Ihre Mutter habe ihn angefleht, doch aufzuhören, doch er habe nicht von ihnen abgelassen. An eine solche Situation konnte sich der Bruder der Klägerin, der Zeuge Ba. L., jedoch, für den Senat glaubhaft, nicht erinnern. Angesichts der von der Klägerin geschilderten Gewalttätigkeit und Lautstärke dieser Vorfälle, die sie selbst mit Angst erfüllt hätten, und die auch nicht nur als ein einmaliges Ereignis geschildert sondern als sich über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholend dargestellt werden, müsste sich ihr drei Jahre jüngerer Bruder an derartige Vorkommnisse erinnern, hätten sie sich tatsächlich so ereignet wie von der Klägerin geschildert. Der Zeuge Ba. L. hat derartige Vorkommnisse jedoch eindeutig verneint, wobei sich auch insoweit keine Anhaltspunkte für eine Unglaubwürdigkeit des Zeugen ergeben haben. Ebenso hat er nicht bestätigt, dass die Klägerin aus Angst immer gewollt habe, dass er bei ihr schlafe und er dies auch des Öfteren getan habe.
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Nicht bestätigt werden konnte von den Zeuginnen Mb. He. und Hf. Da. die Angabe der Klägerin, dass diese die Gewalttätigkeit ihres Vaters gespürt und Angst vor ihm gehabt hätten. Insgesamt ist die aufbrausende und zur Gewalt neigende Wesensart des Vaters, die die Klägerin dargestellt hat, durch keine(n) der Zeug(inn)en bestätigt worden. So haben sowohl die früheren Kolleginnen des Zeugen Hb. L., die Zeuginnen Dr. Ja. und Sd., als auch seine früheren Schüler(innen), die Zeug(inn)en He., Da. und T. den Zeugen als ruhig und besonnen wirkenden Menschen geschildert. Der Zeuge T. hat geschildert, dass der Zeuge Hb. L. zwar der strengste Lehrer der Schule gewesen sei, jedoch nur in dem Sinne, dass man bei ihm am meisten Angst hatte, schlechte Noten zu bekommen. Er habe sie aber nicht im Unterricht angeschrien, sondern sei eher ein ruhiger Typ gewesen. Eine von der Klägerin geschilderte und ihm vorgehaltene Situation nach der Beendigung der Beziehung mit ihr, in der er versucht haben solle, die Beziehung zu der Klägerin fortzusetzen und in diesem Zusammenhang von dem Vater aus einer Wohnung herausgeworfen worden sei, erinnerte der Zeuge nicht. Insgesamt gab er an, dass der Zeuge L. im familiären Bereich sehr nett zu ihm gewesen sei. Die Zeugin Dr. Ja. konnte eine von der Klägerin geschilderte Situation in der Schule, in der die Klägerin Angst vor ihrem Vater gehabt und dies auch geäußert habe, nicht erinnern.
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Auch der von der Klägerin geschilderte Umstand, dass sie mit Anfang 20, d. h. 1989, als sie einen Freund gehabt habe, festgestellt habe, dass sie nicht mehr Jungfrau sei und dass sie das alles schon kenne mit der Sexualität, was sie selbst als Indiz für sexuellen Missbrauch durch ihren Vater wertet (vgl. Bl. 207 Verwaltungsakte), spricht nicht für, sondern gegen die Richtigkeit ihrer Angaben, weil sie nach der glaubhaften Aussage des Zeugen T. mit diesem bereits 1985 Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Sie selbst hat in ihrer Anhörung ebenfalls Sexualität mit dem Zeugen T. bestätigt.
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Auch für die Richtigkeit der Angabe der Klägerin, ihr Vater sei Alkoholiker gewesen, hat sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere nach der Beweisaufnahme durch den Senat, kein Hinweis ergeben.
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Der im Termin zur mündlichen Verhandlung von dem Vater der Klägerin vorgelegte, an ihn gerichtete Brief der Klägerin aus dem Jahr 2002 und auch sein Antwortschreiben darauf geben ebenfalls keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit. Vielmehr bedankt sich die Klägerin ausdrücklich bei ihrem Vater. Soweit sie dies im Rahmen der Anhörung damit erklärt hat, dass sie sich Ende 1999 sehr mit dem buddhistischen Glauben befasst und im Zusammenhang damit versucht habe, ihren Frieden zu finden, auch mit ihrem Vater, den sie immer sehr geliebt habe, bedarf dies keiner weiteren Würdigung. Jedenfalls bietet der Inhalt des Briefs der Klägerin, ebenso wie der Antwortbrief des Zeugen Lassen, keine Hinweise darauf, dass es sexuellen Missbrauch gegeben hat.
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Auch die umfangreichen Befundunterlagen können die gute Möglichkeit der Richtigkeit der Angaben der Klägerin nicht begründen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich Angaben über sexuellen Missbrauch in den ausführlichen Berichten über die stationären Behandlungen 1984/1985 und damit zeitnah zu dem behaupteten Geschehen nicht finden. Soweit darin festgestellt wird, die Klägerin neige zur positiven wie negativen Überbewertung der Eltern, insbesondere des Vaters, den sie früher als stark und fehlerlos erlebt habe, jetzt fürchte, und dass sie angegeben habe, sich vor den Eltern zu ekeln, kann hieraus kein hinreichendes Indiz für sexuellen Missbrauch der Klägerin durch ihren Vater abgeleitet werden. Die Klinik ordnete dies, dem ausführlichen Entlassungsbericht über die beiden stationären Behandlungen 1984 zufolge, als Adoleszentenkrise bei narzisstischer Neurose ein. Während der Behandlung habe die Klägerin sich psychisch stabilisiert und auch die Beziehung zu den Eltern habe sich harmonisiert, obgleich sie gelegentlich noch von Ekelgefühlen ihnen gegenüber gesprochen habe. In dem Bericht über die weitere stationäre Behandlung 1985 heißt es, die Klägerin sei sehr anspruchsvoll gewesen, habe den Eltern ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Toleranz abverlangt. Die Eltern hätten sich auch alle Mühe gegeben, diesen Anforderungen gerecht zu werden und ihr viel Abwechslung und Kontakt mit Gleichaltrigen zu bieten. Demnach bietet dieser Bericht unter Berücksichtigung auch der Würdigung durch die behandelnden Psychotherapeuten der Klinik keine konkreten Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch. Die von ihr angegebenen an sie gerichteten Drohbriefe ihres Vaters während der Therapie hat die Klägerin nach eigenen Angaben vernichtet. Gegen die Behauptung der Klägerin, ihr Vater habe eine Therapie damals verhindern wollen, spricht allerdings die Angabe der Zeugin Dr. Ja., wonach der Zeuge L. sie damals ermuntert habe, nach einem ersten Besuch der Klägerin in der Klinik weitere Besuche dort zu machen. Das Gespräch zwischen ihr und den Eltern der Klägerin sei auch von diesen gesucht worden. Demnach ergeben sich im Zusammenhang mit den Klinikaufenthalten 1984/1985 keine Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin. Erstmals die Psychotherapeutin Ra. beschreibt in ihren Berichten, vor allem in demjenigen aus Februar 2006, über die dortige Behandlung von 1990 bis 1992 den Verdacht auf stattgehabten sexuellen Missbrauch angesichts des extrem ambivalenten Verhältnisses zu dem Vater, schwankend zwischen Angst und Abwehr, bei gleichzeitiger „Grenzenlosigkeit“ zwischen der Klägerin und ihm. Gelegentlich seien Bilder von dem Vater in einem dunklen Raum aufgetaucht, die so verstörend gewesen seien, dass sie sich nicht weiter darauf habe einlassen wollen. Konkretere Angaben finden sich erstmals in dem Bericht der Klinik G. über den dortigen Aufenthalt von März 1993 bis Januar 1994, wo die Klägerin angab, von ihrem Vater sexuell missbraucht worden zu sein und sich an entsprechende Erlebnisse vom dritten Lebensjahr an erinnern zu können. Die sexuellen Übergriffe des Vaters hätten bis zu ihrem 10. Lebensjahr gedauert. Dass konkrete Erinnerungen an sexuellen Missbrauch bei der Klägerin erst Anfang der Neunzigerjahre auftraten, entspricht dem Inhalt der handschriftlichen Aufzeichnungen aus 1986, 1989 sowie aus dem Zeitraum seit 1990 und auch den eigenen Angaben der Klägerin im Rahmen dieses Verfahrens. Auf Nachfrage des Senats, warum sie zu keinem Zeitpunkt während des mehrjährigen sexuellen Missbrauchs mit einer Freundin oder dem Zeugen T. über den Missbrauch gesprochen oder diesen zumindest angedeutet habe, hat die Klägerin erklärt, das alles sei völlig weggeschlossen gewesen; sie habe sich zu dieser Zeit selbst nicht an Missbrauch erinnern können. Handelt es sich nach den eigenen Erklärungen der Klägerin demnach um Erinnerungen, die erst deutlich nach dem Tatzeitraum im Laufe von Psychotherapien entstanden sind bzw. konkrete Form angenommen haben, so kann aus ärztlichen Berichten hierüber nichts weiteres gefolgert werden, als dass die Klägerin selbst zu dem jeweiligen Zeitpunkt das geschilderte Geschehen als real angenommen hat, was der Senat auch nicht bezweifelt. Dabei ist allerdings weiter zu berücksichtigen, dass die Erinnerungen von dem Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens an nicht vollständig und konstant vorhanden waren, sondern dass sie erst im Laufe eines längeren Zeitraumes entstanden sind, wobei es offenbar auch Erinnerungsschwankungen gab. So heißt es etwa in dem Bericht der Dr. Sa. (Pro Familia) aus September 1999 zur Vorlage bei der Fachklinik Ha. über die bei ihr seit März 1994 durchgeführte ambulante Psychotherapie, dass „nun langsam die lange Zeit völlig abgespaltene Thematik des sexuellen und emotionalen Missbrauchs durch den Vater an die Oberfläche“ komme, die Klägerin habe wenig bewusste Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch, eher Flashbacks, während die Klägerin im Rahmen der vorangegangenen stationären Therapie in der Klinik G. 1993 bereits konkrete Angaben zu sexuellem Missbrauch gemacht und zuvor in handschriftlichen Aufzeichnungen ebenfalls Details geschildert hatte. Gegenüber der Zeugin Da. gab sie wiederum noch im Jahr 1995 oder 1996 an, es könne sein, sie wisse es selbst nicht, ob und von wem sie missbraucht worden sei. Der Senat hat keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser Schilderung der Zeugin Da., die sich noch genau an die Situation, in der das Gespräch stattfand, und an die Äußerungen der Klägerin erinnern konnte. Dies erscheint auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstandes von mehreren Jahren nachvollziehbar, weil die Zeugin die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nach langer Zeit wiedergesehen hatte und die ihr von der Klägerin bei dieser Gelegenheit mitgeteilten Umstände sie schockierten. Im Übrigen hat auch der Zeuge Ba. L. bekundet, die Zeugin Da. habe ihm gegenüber gesagt, dass seine Schwester Mc. geäußert habe, dass sie selbst nicht benennen könne, wer sie sexuell missbraucht habe. Soweit die Klägerin auf Vorhalt des Senats angegeben hat, dass sie die Äußerung, die Frau D. wiedergegeben habe, nicht getan habe, ist dies demnach für den Senat nicht glaubhaft.
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Soweit die Befundunterlagen nicht nur die Angaben der Klägerin wiedergeben, sondern eigene Wertungen enthalten, geben sie zwar gewisse Hinweise auf sexuellen Missbrauch insoweit, als die behandelnden Ärzte nach der geschilderten Symptomatik und dem Gesamteindruck von einer Traumatisierung der Klägerin durch sexuellen Missbrauch ausgegangen sind und diesen als Hypothese für die jeweilige Therapie zugrunde gelegt haben. Gleiches gilt, soweit die Sachverständigen Dr. O./Hb.-D. im Jahr 2007 bei der Klägerin das typische Bild einer schwer sexuell traumatisierten Frau erkannt haben. Angesichts der genannten gegen die Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin sprechenden Umstände kann aber allein daraus, dass Therapeuten die Angaben der Klägerin aufgrund eines dazu passenden klinischen Bildes als zutreffend zugrunde gelegt haben, nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Richtigkeit dieser Hypothese geschlossen werden. Dies gilt umso mehr, als die Sachverständigen selbst auf Seite 2 ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 13. Dezember 2007 mit näherer Erläuterung auf die Schwierigkeit hinweisen, bei der Bewertung von Erinnerungen zu entscheiden, ob es um reale Erlebnisse gehe oder nicht.
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Auch aus dem Gespräch mit der Zeugin Sd. kann nichts Weiteres für die Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin abgeleitet werden. Denn dieses Gespräch, in dem die Klägerin – ohne Schilderung von Details - sexuellen Missbrauch durch ihren Vater angab, fand erst etwa 1998 statt und damit zu einem Zeitpunkt, als die Erinnerung der Klägerin bereits in dem genannten Sinne aktiviert worden war. Soweit die Klägerin der Meinung ist, das Gespräch mit der Zeugin Sd. müsse viel früher stattgefunden haben, steht dem die Angabe der Zeugin entgegen. Die Frage des Zeitpunktes des genannten Gesprächs ist in der mündlichen Verhandlung mit der Zeugin erörtert worden. Diese war sich sicher, dass der beschriebene Spaziergang sehr viel später als etwa fünf Jahre nach den Selbstmordversuchen stattgefunden gefunden habe. Die Zeitangabe 1998 sei eine – allerdings eher konkrete - Schätzung. Im Jahr 2000 sei es mit Sicherheit nicht gewesen, weil sie zu diesem Zeitpunkt krank gewesen sei.
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Nach alledem vermag der Senat nach den Gesamtumständen nicht im Sinne der oben definierten guten Möglichkeit und erst recht nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater geworden ist.
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Weitere Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung, die sich im Rahmen der Amtsermittlungspflicht aufdrängen würden, sieht der Senat nicht. Die insoweit gestellten Beweisanträge der Klägerin sind abzulehnen. Es kann unterstellt werden, dass die Erhebung der Beweise das von der Klägerin behauptete Ergebnis erbrächte, ohne dass dies Einfluss auf das Ergebnis des Rechtsstreits haben würde. Im Einzelnen: Soweit die Klägerin mehrere weitere Zeug(inn)en benannt hat, denen sie über die Missbrauchshandlungen berichtet habe, handelt es sich sämtlich nicht um Zeug(inn)en, die sie im Zeitraum des angegebenen Tatgeschehen(s) gekannt hat und denen sie während dieses Zeitraumes oder zeitnah dazu davon berichtet hat, sondern die Schilderungen stammen ebenfalls erst aus dem Zeitraum nach der Erinnerungsaktivierung ab etwa 1991. Zeugen, denen die Klägerin in der Zeit seit dem Auftreten der Erinnerung an sexuellen Missbrauch hiervon berichtet hat, vermögen aus den genannten Gründen zur Beweisführung nicht mehr beizutragen als die wiederholten Schilderungen der Klägerin im Rahmen von Therapien sowie in diesem Verfahren. Hinsichtlich Tagebuchaufzeichnungen, die Hinweise auf sexuellen Missbrauch enthalten und deren Beibringung sie angeboten hat, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nochmals erklärt, dass diese erst aus der Zeit seit etwa 1989 vorliegen. Damit geben sie nicht Eindrücke der Klägerin aus der Zeit der behaupteten Missbrauchshandlungen wieder, sondern aus der Zeit der therapeutischen Aufarbeitung des nach und nach erinnerten Geschehens. Damit gilt dasselbe wie hinsichtlich Schilderungen gegenüber Zeugen aus diesem Zeitraum. Gleiches gilt hinsichtlich der beantragten Vernehmung von Ärzten/Psychotherapeuten (Dr. H., Frau C., Frau E., Frau Ga.), denen die Klägerin über ihre Ängste vor ihren Eltern, Panikattacken, Körpererinnerungen, Flashbacks berichtet habe. Auch diese Schilderungen stammen erst aus dem Zeitraum nach der Erinnerungsaktivierung. Im Übrigen haben die von der Klägerin insoweit benannten Therapeutinnen/Ärzte ihre Wahrnehmungen bereits in ärztlichen Berichten niedergelegt. Die Vernehmung des Dr. O. und der Dipl. Psychologin Hb.-D. ist abzulehnen, weil unterstellt werden kann, dass die Sachverständigen die Gesundheitsstörungen der Klägerin auf sexuellen Missbrauch der Klägerin in deren Kindheit/Jugend zurückführen. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus deren im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme hierzu. Konkrete weitere Fragen, die Anlass zur Vernehmung der Sachverständigen zur Erläuterung ihres Gutachtens geben könnten, hat die Klägerin nicht formuliert. Die Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen ist dagegen ausschließlich Aufgabe des Senats, der der Auffassung der Sachverständigen aus den bereits ausführlich dargelegten Gründen nicht zu folgen vermag. Anlass zur Vernehmung eines anderen ärztlichen Sachverständigen besteht aus der Sicht des Senats nicht, weil aus den ebenfalls bereits dargelegten Gründen die Voraussetzung für die Einholung eines Gutachtens, nämlich der Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs nicht gegeben ist und ein solcher nicht aus einem Gutachten abgeleitet werden kann. Gleiches wie hinsichtlich der Vernehmung des Dr. O./der Frau Hb-D. gilt, soweit die Klägerin zu dem genannten Beweisthema auch die Vernehmung der Psychotherapeutinnen Ra., C., E. und Ga. beantragt. Dass diese Psychotherapeutinnen die psychische Störung der Klägerin auf sexuellen Missbrauch durch den Vater zurückführen, ergibt sich aus deren jeweiligen Berichten und kann auch unabhängig davon unterstellt werden, ändert jedoch nichts an der Problematik des fehlenden Nachweises/der fehlenden Glaubhaftmachung des sexuellen Missbrauches. Auch der Antrag, Zeugen zu der Behauptung der Klägerin zu vernehmen, dass ihr Vater während der Therapie 1984 in die Klinik gestürmt und einen Mitarbeiter beiseite gestoßen habe und dass sie sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert habe, ist abzulehnen. Dies kann als wahr unterstellt werden, ohne dass sich daraus Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch der Klägerin ergeben. Insbesondere würde, ein solches Verhalten in einer Ausnahmesituation unterstellt, die es auch für die Eltern der Klägerin gewesen ist, nicht für die behauptete generelle Gewalttätigkeit des Vaters der Klägerin sprechen, die, wie dargelegt, durch die übrigen Beweisergebnisse nicht belegt, sondern widerlegt ist. Die Vernehmung der Ärztin Dr. Hc. ist abzulehnen, weil diese bereits durch ausführliche von ihr mitunterschriebene Entlassungsberichte die aus ärztlicher Sicht wesentlichen Einzelheiten der Klinikaufenthalte 1984/1985 dargestellt hat. Hierauf hat sie zudem in einer zur Vorlage bei dem Rentenversicherungsträger bestimmten Stellungnahme vom 4. August 1998 Bezug genommen und darin nochmals die wesentlichen Gesichtspunkte zusammengefasst. Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch den Vater der Klägerin finden sich darin nicht. Dies schließt nicht aus - und kann insoweit als wahr unterstellt werden -,dass die Klägerin der Ärztin im Rahmen der Behandlung darüber berichtete, dass ihr Vater mit ihr geschlafen habe, wobei ihr diese Erinnerung in einer Aufwachphase gekommen sei, wie es die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 7. Januar 2010 schilderte. Nach der weiteren Schilderung der Klägerin wurde dies jedoch nicht weiter vertieft und von der Ärztin als ein mit der erwachenden Sexualität der Klägerin zusammenhängender Traum gedeutet. Dies wiederum passt ohne Weiteres zu dem Inhalt der von Dr. Hc. (mit-)verfassten ärztlichen Berichte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
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Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.
(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich
- 1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift, - 2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.
(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.
(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.
(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.
(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.
(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.
(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.
(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.
(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.
(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.
(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich
- 1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift, - 2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.
(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.
(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.
(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.
(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.
(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.
(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.
(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.
(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.
(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.