Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 23. Apr. 2015 - L 1 AL 66/13

bei uns veröffentlicht am23.04.2015

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 06.05.2013 - S 17 AL 28/12 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Gewährung eines Gründungszuschusses (GZ) zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab dem 31.12.2011.

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Der 1951 geborene Kläger ist gelernter Dachdecker und Bauklempner. Nach 18jähriger Betriebszugehörigkeit war ihm wegen der Schließung des Betriebes von der Firma K gekündigt worden. Sein anschließendes Beschäftigungsverhältnis bei der Firma A in P ist - gleichfalls wegen Betriebsaufgabe zum Ende des Jahres 2011 - zum 30.11.2011 beendet worden. Der Kläger meldete sich bei der Beklagten am 31.10.2011 zum 01.12.2011 arbeitsuchend und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Mit Bescheid vom 09.11.2011 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.12.2011 bis zum 30.05.2013 für 540 Tage Alg.

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Im Rahmen des Erstgespräch des Kläger bei der Beklagten am 08.11.2011 schlossen der Kläger und die Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung zielend auf die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers als Dachdecker durch regionale Stellensuche im Umkreis von 50 km ab dem 01.12.2011. Als Leistungen der Beklagten sind festgehalten die Zusendung - soweit vorhanden - passgenauer Vermittlungsvorschläge sowie die Förderung des Arbeitgebers bei Vorliegen der Voraussetzungen. Zu den Bemühungen des Klägers ist ausgeführt, er werde bis zum nächsten Termin bei seiner Arbeitsvermittlerin mindestens sechs Bewerbungen als Dachdecker schriftlich vornehmen sowie eine Liste über seine Bewerbungsaktivitäten zu diesem Termin mitbringen. Die Beklagte überreichte dem Kläger mit Datum vom 08.11.2011 drei Vermittlungsvorschläge - R G , Dach,- Wand- und Abdichtungstechnik, K ; G T GmbH, M ; M P Bedachungen, P . In dem über das Erstgespräch gefertigten Vermerk ist ua festgehalten: „Im Beratungsgespräch wurde folgendes Profiling für den Zielberuf Dachdecker, Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik erstellt: 1. Vermittlungsrelevante Handlungsbedarfe Person/Umfeld: Vermittlungsrelevante gesundheitliche Einschränkungen: Körperliche Minderbelastbarkeit aus Altersgründen. 2. Profillage und Fazit: Die Profillage wurde von N: Noch nicht festgelegt auf Förderprofil geändert. Fazit zur Standortbestimmung: Von einer Arbeitsaufnahme innerhalb von 6 Monaten ist auszugehen. Fachlich ist Herr B gut qualifiziert. Einzig der Umstand, da aus Altersgründen körperliche Minderbelastbarkeit besteht, könnte eine Förderung der AA (EGZ) erforderlich machen. 3. Als gemeinsames Ziel wurde festgelegt: Tätigkeit, lokal (TPB). Ein individueller Integrationsplan wurde festgelegt und im Rahmen der Eingliederungsvereinbarung mit dem Kunden vereinbart.“.

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Mit Veränderungsmitteilung vom 07.12.2011 zeigte der Kläger die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Dachdecker zum 31.12.2011 an. Bereits im August 2011 hatte der Kläger bei der Handwerkskammer Koblenz ein Beratungsgespräch zur Klärung der für die Eröffnung eines selbständigen Dachdeckergewerbes offenen Fragen geführt.

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Mit Schreiben vom 12.12.2011 - Eingang bei der Beklagten am 14.12.2011 - beantragte der Kläger die Gewährung eines GZ zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zum 31.12.2011 als Dachdecker unter Beifügung der positiven Stellungnahme der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung vom 12.12.2011 und seines Lebenslaufs. Nachgereicht wurden das Schreiben vom 30.12.2011 der V Bank Rhein-Mosel eG, P , welche unter Bezugnahme auf den Existenzgründungsbericht des Klägers vom 16.12.2011 die Bereitschaft, für das Vorhaben des Klägers ein Darlehen in Höhe von (iHv) 12.000,00 € aus dem „KIW-Startgeldprogramm“ - vorbehaltlich der Kreditzusage der KfW - zur Verfügung zu stellen, bekundete, sowie der Existenzgründungsbericht des Dipl.- Betriebswirts, Steuerberater Lebus vom 16.12.2011. In diesem ist zu dem Punkt 2.2.2 „Objektbeschreibung“ ua ausgeführt, bei dem geplanten Objekt handele es sich im Wesentlichen um die Übernahme bereits vom vorherigen Arbeitgeber vorhandener Kunden, der diese aufgrund einer Betriebsaufgabe nicht mehr weiter betreuen könne; die Geschäftsausstattung an Werkzeugen und Bestückung mit Verbrauchsmaterialien sei im Rahmen der Existenzgründung vorzunehmen und könne teilweise vom bisherigen Arbeitgeber übernommen werden. Zu Punkt 2.3 „Gründungskonzept und Marktchancen“ ist ua ausgeführt, im vorliegenden Fall handele es sich um eine Neugründung eines Gewerbebetriebs mit Aspekten einer Betriebsübernahme durch den bekannten Kundenstamm. Die Marktchancen seien als sehr gut zu bezeichnen, da sowohl eine sehr lange Berufserfahrung vorliege, als auch ein Kundenstamm quasi unentgeltlich übernommen werden könne. Das Unternehmerrisiko sei primär geprägt durch den Kapitalbedarf. Unter Punkt 3.2 „Kostenplan und Mindestumsatz“ wird von einem Gewinn vor Steuern von 32.320,00 € und einem monatlichen Gewinn von ca 2.708,00 € sowie einem Entnahmebedarf bzw einem kalkulatorischen Unternehmerlohn iHv 2.020,00 € ausgegangen. Die Handwerkskammer Koblenz bestätigte mit vorläufiger Bescheinigung vom 28.12.2011 die Eintragung des Betriebs des Klägers Betriebsstätte B straße 18, 5 M , bzgl des Handwerks Dachdecker und Klempner zum 31.12.2011. Die Gewerbeanmeldung bei der Verbandsgemeinde Maifeld bezüglich der Tätigkeit mit Schwerpunkt Dachdeckerhandwerk sowie Klempnerhandwerk, Betriebsstätte B straße 18, 5 M , mit Beginn datierte vom 02.01.2012.

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Die Beklagte hob die Bewilligung von Alg mit Bescheid vom 23.12.2011 ab dem unter Verweis auf die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit auf.

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Mit Stand 17.01.2012 waren in dem Stellenangebotssystem der Beklagten 15 Angebote im Bereich Dachdecker im regionalen Bereich geführt (Blatt 21 f der Verwaltungsakte), mit Stand 01.02.2012 18 Angebote (Blatt 35 f der Verwaltungsakte).

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Mit Bescheid vom 24.01.2012 lehnte die Beklagte die Gewährung eines GZ mit der Begründung ab, die Gewährung eines GZ sei eine Ermessensleistung der aktiven Arbeitsmarktförderung. Diese Leistungen dürften nur gewährt werden, wenn sie notwendig seien, um den Kläger dauerhaft in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Bevor eine Förderung mit einem GZ erfolgen könne, sei zunächst zu prüfen, ob der Kläger auch ohne Leistungen der aktiven Arbeitsförderung in den Arbeitsmarkt dauerhaft eingegliedert werden könne. In dem Beratungsgespräch vom 07.12.2011 mit Herrn A seien die Chancen des Klägers zur dauerhaften Eingliederung besprochen und geprüft worden. Herr A sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit möglich sei. Im Vorfeld der Arbeitssuche hätten dem Kläger sieben ihm zumutbare Vermittlungsvorschläge unterbreitet werden können. Es bestünden momentan 14 offene Stellen für seinen Tätigkeitsbereich. Mit Beginn der Saison Bau sei mit einer Erhöhung des Stellenangebots zu rechnen. Die Prognose der Arbeitsmarktchancen sei daher positiv. In seinem Tätigkeitsbereich komme es regelmäßig zu saisonalen Schwankungen. Es sei jedoch zu erwarten, dass er in absehbarer Zeit wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werde. Die Ablehnung des von ihm beantragten GZ bedeute, dass die Agentur für Arbeit seine Existenzgründung finanziell nicht fördern werde. Selbstverständlich könne er auch ohne die Gewährung des GZ seine selbständige Tätigkeit aufnehmen. Es seien auch keine Umstände vorgetragen und nachgewiesen worden, die so erheblich von denen anderer Arbeitnehmer abwichen, dass eine Besserstellung des Klägers naheliege.

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Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei im November auf die für die Gewährung eines GZ anstehende Gesetzesänderung hingewiesen worden. Er habe daraufhin ab dem 31.12.2011 ein Dachdecker- und Klempnergewerbe angemeldet. Er habe auf die Beratung der Handwerkskammer Koblenz für die Existenzgründung alle nötigen Schritte unternommen.

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Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2012 zurückgewiesen. § 57 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bestimmte, dass Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendeten, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen GZ erhalten könnten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 57 Abs 2 SGB III erfüllt, jedoch sei dies nicht ausreichend, um eine Förderung zu gewähren. Bei § 57 SGB III handele es sich um eine Ermessensleistung. Im Rahmen von Ermessensleistungen könne eine Leistung nur gewährt werden, wenn die Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte - insbesondere der Interessen der Beitragszahler - zu Gunsten des Antragstellers ausfalle. Bei dieser Abwägung sei der Vorrang der Vermittlung nach § 4 Abs 2 SGB III zu berücksichtigen. Gemäß § 7 Satz 1 SGB III habe die Agentur für Arbeit unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die für den Einzelfall am besten geeignete Leistung oder eine Kombination von Leistungen zu wählen, die einen dauerhaften Eingliederungserfolg erwarten ließen. Dabei sei grundsätzlich gemäß § 7 Satz 2 SGB III auf die Fähigkeiten der zu fördernden Person, die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und den anhand der Ergebnisse der Beratungs- und Vermittlungsgespräche ermittelten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf abzustellen. Mit dem Merkmal der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes werde auf die objektiven Erfolgsaussichten einer anschließenden Eingliederung Bezug genommen. Das Auswahlkriterium verweise dabei auf die nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zu erwartende Beschäftigungsnachfrage. Auf dem von dem Kläger fachlich und persönlich in Betracht kommenden Arbeitsmarkt bestünden ausreichende Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. So seien der Arbeitsagentur ca 20 offene Stellen für Dachdecker/Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik gemeldet. Stellenangebote in diesem Umfang bestünden bereits seit Eintritt der Arbeitslosigkeit des Klägers; es sei davon auszugehen, dass sich dieses Volumen in absehbarer Zeit, nämlich mit zunehmender Wetterbesserung, positiv nennenswert ändere. Darüber hinaus bestünden weitere Beschäftigungsmöglichkeiten, da bekanntermaßen viele Stellen den Arbeitsagenturen nicht gemeldet seien. Die Erfolgsaussichten der Vermittlungsaktivität der Agentur für Arbeit Mayen und der anzustrengenden Eigenbemühungen des Klägers zur Erlangung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seien prognostisch als günstig zu bewerten. Im Falle des Klägers bestehe ein Vermittlungsvorrang. Im Ergebnis einer im Rahmen der Ermessensausübung sorgfältigen Abwägung der unterschiedlichen Gesichtspunkte müssten vorliegend die persönlichen Interessen des Klägers gegenüber denen der Beitragszahler zurücktreten.

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Mit seiner am 14.02.2012 vor dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er machte geltend, seine Nachfrage bei einigen der Firmen, die nach den Angaben der Beklagten einen Dachdecker oder Klempner suchen würden, habe ergeben, dass einige Firmen gar keine Einstellungen beabsichtigten, einige Firmen im vergangenen Jahr Mitarbeiter gesucht hätten, einige Firmen nur vorübergehend eine Einstellung hätten vornehmen wollen sowie einige Firmen ein Hindernis in seinem Alter gesehen hätten. Er habe alle notwendigen Schritte unternommen, um sich selbständig zu machen. Er habe sich bereits im August 2011 bei der Handwerkskammer über die Möglichkeit der Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit erkundigt. Es sei ihm widersinnig erschienen, dass er vor Erhalt einer Förderung arbeitslos sein müsse. Mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, Herrn Albert Arnold, habe er zu diesem Zeitpunkt bereits besprochen, dass er bei Schließung des Geschäfts Ende des Jahres 2011 den Kundenstamm übernehmen könne. Er habe, da er nur bis zum 30.12.2011 Alg erhalten habe, notgedrungen seine selbständige Tätigkeit zum 02.01.2012 aufgenommen.

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Die Beklagte verwies nochmals auf den Vorrang der Vermittlung in Arbeit, die aufgrund der dokumentierten offenen Stellen im regionalen Umfeld prognostisch realistisch sei. Zudem sei, wie sich aus Stellungnahme des Existenzgründungsbüros H /S vom 13.03.2012 ergebe, der Kläger zur Sicherung seines Lebensunterhalts und der sozialen Sicherheit in der Anlaufphase auf die Förderung nicht angewiesen, so dass die Förderung nicht erforderlich sei. In der Stellungnahme sei ua ausgeführt, gemäß Gründungskonzept handele es sich im Wesentlichen um die Übernahme bereits beim vorherigen Arbeitgeber vorhandener Kunden. Es sei daher davon auszugehen, dass bereits mit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ein gewisser Grundumsatz zu generieren sei. Dies werde auch im Gründungskonzept entsprechend dargelegt. Aus den vorliegenden wirtschaftlichen Berechnungen des Klägers, respektive des Steuerberaters, gehe hervor, dass die privaten Lebenshaltungskosten mit rund 2.020,00 € monatlich, jährlich mit 24.240,00 € beziffert würden. Dem gegenüber stehe ein prognostischer Gewinn iHv 32.320,00 €. Dies würde einen monatlichen Überschuss von rund 2.693,00 € entsprechen und somit ausreichen, die privaten Lebenshaltungskosten auch ohne den GZ zu decken. Es sei davon auszugehen, dass der Gewinn voraussichtlich sogar höher ausfallen könnte, da der Berechnung eine monatliche abrechenbare Stundenanzahl von lediglich ca 71 Stunden zugrunde gelegt sei. Im Konzept heiße es, dass zukünftig von einer Mindeststundenzahl von 140 weiterberechenbaren Stunden ausgegangen werden könne. Unberücksichtigt bei der Berechnung seien auch branchenübliche Aufschläge auf den Wareneinsatz. Die im Gründungskonzept angegebenen Investitionskosten von rund 11.300,00 € spielten hinsichtlich der Bewertung der Eigenleistungsfähigkeit keine Rolle, da hierfür ein Darlehen iHv 12.000,00 € aus dem KfW Startgeldprogramm zur Verfügung stehe. Die notwendigen Investitionen müssten demnach nicht aus dem laufenden Geschäft finanziert werden. Bereits mit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bestehe eine Eigenleistungsfähigkeit und somit kein Bedarf an zusätzlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung. Zur Stützung ihres Vorbringens legte die Beklagte Auszüge ihres Stellenangebotssystems vom 24.02.2012 und 14.03.2012 vor, welche im Bereich Dachdecker 26 bzw 29 offene Stellen im regionalen Bereich auswiesen (vgl Blatt 10-13 sowie Blatt 14-17 der Gerichtsakte).

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Das SG hat nach persönlicher Anhörung des Klägers der Klage durch Urteil vom 06.05.2013 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 24.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2012 verpflichtet, dem Kläger ab dem 31.12.2011 einen GZ nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Der Kläger habe mit der Errichtung der selbständigen Tätigkeit am 31.12.2011 alle Tatbestandsmerkmale des § 57 Abs 1 und Abs 2 SGB III erfüllt. Die Beklagte habe zu Unrecht die Gewährung des GZ im Rahmen des von ihr ausgeübten Ermessens abgelehnt. Der Vermittlungsvorrang, den sie letztlich als einzig entscheidendes Kriterium herangezogen habe, sei nicht geeignet, die Ablehnung des GZ zu begründen. Auch wenn im Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung offensichtlich zwischen 15 bis 20 Arbeitsangebote im Bereich Dachdeckerhandwerk und Zimmerer im Umkreis von 50 km zum Wohnort des Klägers im System der Beklagten gespeichert gewesen seien, habe der Kläger mit diesen Angeboten nicht in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden können. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass er die Liste der Dachdecker, die vermeintlich Arbeitnehmer gesucht hätten und die er von seinem Vermittler erhalten habe, zeitnah - vor der Errichtung der selbständigen Tätigkeit - abtelefoniert habe. Hierbei habe er von den meisten Unternehmen die Rückmeldung erhalten, es werde - angesichts der im November bzw Dezember für eine Neueinstellung schlechten Wetter- und Auftragslage - gegebenenfalls ab März jemand zur Einstellung gesucht. Andere hätten mitgeteilt, die Stellen seien bereits besetzt. Zwei Unternehmen habe er nicht erreichen können, weitere hätten ihm mitgeteilt, dass sie die Einstellung jüngerer Arbeitnehmer präferierten. Es bestehe kein Zweifel, dass der Kläger die Dachdeckerunternehmen mit den angegebenen Rückmeldungen angerufen habe. Der Kläger habe die Telefonate glaubhaft und zum Teil sehr lebendig geschildert. Auf Nachfrage, warum er die Unternehmen angesichts der beabsichtigten Selbständigmachung angerufen habe, habe er erklärt, sein Vermittler habe auf die Notwendigkeit der Bemühung um Arbeit als Voraussetzung für den von ihm begehrten Bezug von Alg verwiesen. Die Arbeitsangebote, die nach Mitteilung der Beklagten im Dezember 2011 und Januar 2012 zur Vermittlung des Klägers in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis in ihrem System abgelegt gewesen seien, seien somit nicht geeignet gewesen, den Kläger tatsächlich zu vermitteln. Die Beklagte habe nicht nachweisen können, dass sie dem Kläger tatsächlich eine entsprechende Beschäftigung habe vermitteln können. Ein konkretes Arbeitsangebot habe die Beklagte dem Kläger nicht vorgelegt. Die Beklagte sei mithin von Ermessenserwägungen ausgegangen, die tatsächlich nicht vorgelegen hätten. Unter Berücksichtigung aller Kriterien des Einzelfalls komme nach Ansicht der Kammer nur die Gewährung des GZ in Betracht. Das Ermessen der Beklagten sei daher auf Null reduziert gewesen. Der Kläger sei zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits 60 Jahre alt gewesen. Gerichtsbekannt sei, dass insbesondere ältere Arbeitnehmer im Handwerk und dort in den Tätigkeitsbereichen, in denen körperlich schwere Arbeit zu leisten sei, schwerer in Arbeit zu vermitteln seien. Aus der Verwaltungsakte ergebe sich, dass dem Arbeitsvermittler durchaus bewusst gewesen sei, dass gegebenenfalls gesundheitliche Einschränkungen mit einer Eingliederungshilfe kompensiert werden müssten. Bei ihrer Ermessensentscheidung habe die Beklagte weder das rentennahe Alter des Klägers, noch mögliche gesundheitsbedingte Einschränkungen berücksichtigt. Insoweit sei es unwahrscheinlich, dass die Beklagte den Kläger hätte zeitnah in den Arbeitsmarkt integrieren können. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger mit zunehmender Zeit im Hinblick auf sein Alter immer schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werde, sei fraglich, ob überhaupt die Chance bestanden habe, ihn in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass der Kläger gerade im Hinblick auf die anstehende Gesetzesänderung mit der Handwerkskammer und dem Steuerberater zügig die Errichtung einer selbständigen Tätigkeit vorangetrieben habe. Die Beklagte habe ihn auf diese Gesetzesänderung hingewiesen und eine entsprechende Beratung vorgenommen. Letztlich sei es lediglich Zufall, dass das Gesetz am 28.12.2011 verkündet worden und bereits am gleichen Tag und nicht erst am 01.01.2012 in Kraft getreten sei. Die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit und die Gewährung des GZ seien nach Auffassung der Kammer geeignet und erforderlich, die Arbeitslosigkeit des Klägers zu beenden und die Sicherung des Lebensunterhalts zu gewährleisten.

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Die Beklagte hat am 19.06.2013 gegen das ihr am 24.05.2013 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Entgegen der Ansicht des SG könne die Selbständigkeit, auch wenn der erste Versuch einer Integration des Klägers in den Arbeitsmarkt noch nicht erfolgreich gewesen sei, nicht als einzige mögliche Alternative gesehen werden. Es hätte weiterer Vermittlungsbemühungen bedurft. Der Kläger habe am 01.12.2011 einen Anspruch auf Alg von 540 Tagen gehabt. Die Vermittlungsbemühungen hätten daher, ohne den für die Gewährung des GZ erforderlichen Restanspruch von 150 Tagen zu gefährden, noch eine Zeitlang fortgesetzt werden können. Die Aufnahme einer Selbständigkeit sei im gegebenen Zeitpunkt schnell zu realisieren gewesen aufgrund der relativen kurzen Zeitspanne zwischen Arbeitslosigkeit und Aufnahme der selbständigen Tätigkeit (01.12.2011 - 31.12.2011), der für die Vermittlung in eine Beschäftigung als Dachdecker ungünstigen Jahreszeit und der Tatsache, dass die Selbständigkeit wegen der Möglichkeit der Übernahme der Kunden und von Betriebsmaterial des ehemaligen Arbeitgebers vorrangiges Ziel des Klägers gewesen sei. Es sei auch davon auszugehen, dass die von dem Kläger geführten Telefonate mit möglichen Arbeitgebern von der eigentlichen Zielsetzung geprägt gewesen seien. Zudem habe der Kläger nicht zu allen in der Liste geführten potentiellen Arbeitgebern Kontakt aufgenommen bzw seinerseits bei Arbeitgebern, die einen Rückruf angekündigt hätten, nicht weiter nachgefragt. Auch seien eventuell vorhandene Einschränkungen wegen Alters und möglicher gesundheitlicher Risiken nicht allein bei der Vermittlung hemmend. Diese gälten gleichermaßen bei der selbständigen Tätigkeit. Zudem könne eine Förderung unter Berücksichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nur dann erfolgen, wenn sie zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung tatsächlich erforderlich sei. Der Kläger habe zwar einen neuen Betrieb gegründet, habe aber auf einen bereits vorhandenen Kundenstamm und auf vorhandene Betriebsmittel zurückgreifen können. In dem Existenzgründungsbericht werde von einer Neugründung eines Gewerbebetriebs mit Aspekten einer Betriebsübernahme durch einen bekannten Kundenstamm gesprochen. Wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, ergebe sich aus der Stellungnahme des Existenzgründungsbüros vom 13.03.2012, dass bereits mit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit eine Eigenleistungsfähigkeit gegeben gewesen sei und somit ein Bedarf an zusätzlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung nicht bestanden habe. Diesen Aspekt habe das SG unberücksichtigt gelassen.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 06.05.2013 - S 17 AL 28/12 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Kläger hält das Urteil des SG für zutreffend und nimmt auf dessen Ausführungen Bezug. Ergänzend trägt er vor, er habe die in den von der Beklagten vorgelegten Listen geführten Dachdeckerbetriebe angesprochen. Der Dachdecker F habe einen Mitarbeiter für auswärtige Montagearbeiten gesucht, was für ihn nicht in Betracht gekommen sei. Gleichfalls hätten das Unternehmen L , der Dachdecker G und die Holzbau H GmbH, die Firma F , die H Bedachung, die Z GmbH wie auch die Firma S Arbeitnehmer für auswärtige Montagearbeiten gesucht. Die N GmbH, die K L , die W GmbH, die Firma G hätten einen Schieferdachdecker gesucht.

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Hierauf sei er nicht spezialisiert. Die Holzbau W GmbH habe einen Holzbauarbeitnehmer, keinen Dachdecker gesucht. Bei der A und der T Bedachungen T B sei die Stelle jeweils bereits besetzt gewesen. G habe wie auch die Firma A L Bedachungen sowie die Firma W und die Firma K keine freie Stelle gehabt. Die Firma L S und die Firma M hätten einen Zimmermann, nicht jedoch einen Dachdecker gesucht. Die Firma W -Bedachungen habe ihre Ankündigung, sich im Januar erneut zu melden, nicht umgesetzt. H H & Söhne hätten für Dezember keinen Arbeitnehmer gesucht. Die R habe ihm im Dezember mitgeteilt, keinen Arbeitnehmer zu suchen. Die T Bedachungs-GbR habe gegebenenfalls im Frühjahr eine Einstellung vornehmen wollen. Der Dachdecker N sei im Dezember nicht erreichbar gewesen. Auch die Firma D habe er nicht erreichen können. Zu den Vermittlungsvorschlägen vom 08.11.2011 sei anzumerken, dass die Firma R G ihre Ankündigung, sich bei ihm zu melden, gleichfalls nicht umgesetzt habe. Herr T von der G T GmbH habe ihm nach erneuter Kontaktaufnahme im Januar, mitgeteilt, dass er zu alt sei. Gleiches gelte für die M P Bedachungen.

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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger ab dem 31.12.2011 einen GZ zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 24.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz). Er hat keinen Anspruch auf Gewährung des von ihm begehrten GZ. Entgegen der Ansicht des SG ist ein Ermessensfehlgebrauch nicht gegeben, insbesondere liegt keine Ermessensreduzierung auf Null vor.

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Nach § 57 Abs 1 SGB III in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes der Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 27.12.2011 (BGBl I, Seite 2854, nachfolgend alte Fassung ), in Kraft seit dem 28.12.2011, können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen GZ erhalten. Ein GZ kann nach § 57 Abs 2 Satz 1 SGB III aF geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Alg hat, 2. bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit dessen Dauer noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 127 Abs 3 idF des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderen Gesetzen vom 15.07.2009 (BGBl I, Seite 1939 ) beruht, 3. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 4. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt. Nach § 57 Abs 2 Satz 2 SGB III aF ist zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. Gemäß § 57 Abs 3 SGB III aF wird der GZ nicht geleistet, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 142 bis 144 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung (aF) vorliegen oder vorgelegen hätten. Die Förderung ist ausgeschlossen (§ 57 Abs 4 SGB III aF), wenn nach Beendigung einer Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach dem SGB III noch nicht 24 Monate vergangen sind; von dieser Frist kann wegen besonderer in der Person der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers liegender Gründe abgesehen werden.

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Die ermessenseröffnenden Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt. Er hatte bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Dachdecker einen durch bestandskräftigen Bescheid begründeten Anspruch auf Alg. Die Anspruchsdauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 31.12.2011 betrug noch mindestens 150 Tage und der Anspruch beruhte nicht allein auf § 127 Abs 3 SGB III aF. Der Kläger hat auch die Tragfähigkeit der Existenzgründung durch die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle nachgewiesen und seine Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt. Ruhenstatbestände nach den §§ 142 bis 144 SGB III aF oder ein Ausschlusstatbestand lagen nicht vor. Die Beklagte ist in den streitgegenständlichen Bescheiden vom Vorliegen der tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des begehrten GZ auch ausgegangen.

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Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 57 Abs 1 und Abs 2 SGB III aF vor, so hat die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 39 Abs 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) zu entscheiden. Zwar war der GZ gemäß § 57 Abs 1 SGB III in der bis 27.12.2011 geltenden Fassung zunächst als Anspruchsleistung ausgestaltet. Jedoch hat der Gesetzgeber § 57 SGB III in der hier ab dem 28.12.2011 geltenden Fassung in eine reine Ermessensleistung überführt.

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Der Kläger hat einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Das Gericht darf jedoch bei der Ermessensprüfung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Nur im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null besteht tatsächlich ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung.

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Bei Ermessensleistungen ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung über die Leistung bekanntgegeben wird, es sei denn, dass in der Entscheidung ein anderer Zeitpunkt bestimmt ist (§ 40 Abs 2 SGB I). Dabei hatte die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Aus § 39 Abs 1 Satz 1 SGB I und § 54 Abs 2 Satz 2 SGG ergeben sich zwei Schranken der Ermessensausübung. Das Ermessen ist entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Hieraus haben Rechtsprechung und Literatur verschiedene Kategorien von Ermessensfehlern (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung, Ermessensfehlgebrauch) entwickelt, wobei die Begrifflichkeiten und Unterteilung in die einzelnen Fallgruppen zT nicht einheitlich sind (vgl insoweit Bundessozialgericht , Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 1/07 R -, juris; Gutzler, in BeckOK SozR, SGB I, § 39, Rn 7).

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Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung einzig auf die beantragte Bewilligung eines GZ ("Ermessensreduzierung auf Null”) liegen nicht vor. Weder hat sich die Beklagte gegenüber dem Kläger, etwa durch eine Zusage oder eine dahingehende Eingliederungsvereinbarung, gebunden, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit alternativlos war, es sich bei ihr also um die einzige Maßnahme gehandelt hat, mit der eine dauerhafte Eingliederung des Klägers in den Arbeitsmarkt erreicht werden konnte.

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Ein Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensausfall ist nicht gegeben. Die Beklagte hat ihr Ermessen ausweislich der Begründung der angefochtenen Bescheide tatsächlich ausgeübt und sich nicht nur mit formelhaften Erwägungen begnügt.

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Ebenso wenig liegt eine Ermessensunter- oder -überschreitung vor. Die Beklagte hat keine Rechtsfolge gesetzt, die im Gesetz nicht vorgesehen ist. Sie war sich auch dessen bewusst, dass sie den GZ hätte bewilligen können und hat ihr Ermessen folglich auch nicht zu eng ausgelegt.

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Der Beklagten kann schließlich auch kein Ermessensfehlgebrauch vorgeworfen werden (zum Ermessensfehlgebrauch siehe BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 10/10 R -, juris).

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Indem die Beklagte darauf abgestellt hat, ob der Kläger voraussichtlich auch ohne die Förderung einer selbstständigen Tätigkeit in absehbarer Zeit in den Arbeitsmarkt eingegliedert worden wäre, hat sie einen legitimen, der Teleologie des § 57 SGB III aF entsprechenden Zweck verfolgt und damit ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung ausgeübt (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.11.2013 - L 9 AL 81/13 -, juris). Der GZ dient der möglichst frühzeitigen Reintegration des Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt (vgl BT-Drs 17/6277, Seite 86). Insoweit ist aber der allgemeine Vorrang der Vermittlung zu beachten, so dass der GZ als Ermessensleistung nur dann gewährt werden kann, wenn er für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist (§ 4 Abs 2 SGB III), dh wenn die Vermittlung voraussichtlich nicht zu einer dauerhaften Eingliederung in den Arbeitsmarkt führt (vgl zum Überbrückungsgeld nach der früheren Rechtslage als "Kann-Leistung BSG, Urteil vom 25.10.1990 - 7 RAr 14/90 -, juris). Diesen normativen Vorgaben entspricht es, wenn die Beklagte, wie im Falle des Klägers geschehen, im Rahmen ihres Ermessens entscheidend darauf abstellt, ob eine möglichst nachhaltige Integration innerhalb des Alg-Bezugszeitraums realistisch ist, ob sofort oder in absehbarer Zeit Stellenangebote unterbreitet werden können oder ob Hemmnisse bestehen, die den Integrationserfolg behindern können (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.11.2013 - L 9 AL 81/13 -, juris).

33

Die Beklagte ist auch nicht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Vielmehr ist ihre - als Teil einer Ermessensentscheidung nur eingeschränkt überprüfbare - Prognose, dass der Kläger bei Inanspruchnahme der Vermittlungsbemühungen der Beklagten in absehbarer Zeit in den Arbeitsmarkt integriert worden wäre, ohne dass hierfür die Förderung der Selbstständigkeit notwendig gewesen wäre, nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat in ihrem System im Rahmen des in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarten Umkreises von 50 km zu seinem Wohnort Stellenangebote im Tätigkeitsbereich Dachdecker geführt und dem Kläger bereits am 08.11.2011 drei konkrete Vermittlungsvorschläge unterbreitet. Angesichts dessen und der sehr kurzen Zeitspanne (frühestens am 08.11.2011 bis spätestens 30.12.2011), in der der Kläger die Vermittlungsbemühungen der Beklagten in Anspruch genommen hat, durfte und musste die Beklagte davon ausgehen, dass für den Kläger gute Vermittlungschancen bestanden. Für die offenen gemeldeten Stellen war der Kläger nach seinem bisherigen beruflichen Werdegang hinreichend qualifiziert. Auch die von dem Kläger erhobenen Einwände bedingen keine andere Bewertung. Dem Kläger ist entgegen zu halten, dass er nach seinen Angaben lediglich telefonisch Kontakt zu den Betrieben aufgenommen hat. An diejenigen Betriebe, die er telefonisch nicht erreicht hatte, hat er keine schriftliche Bewerbung gerichtet. Auch hat er bei unterbliebener Rückmeldung nicht erneut Kontakt zu den Firmen aufgenommen. Des Weiteren hat der Kläger entgegen der Eingliederungsvereinbarung vom 08.11.2011 keine schriftlichen Bewerbungen versandt. Die Ansicht des Klägers und ihm folgend des SG, dass er wegen seines Alters schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat, ist bislang nicht durch mangelnden Bewerbungserfolg dokumentiert. Soweit er angegeben hat, potentielle, auf der Liste der Beklagten geführte Arbeitgeber hätten angesichts seines Alters kein Interesse bekundet, ist dies nicht ausgeschlossen, jedoch hat der Kläger insoweit Nachweise nicht vorgelegt. Auch ist nicht auszuschließen, dass eine entsprechende aussagefähige schriftliche Bewerbung des Klägers das Meinungsbild eines Arbeitgebers positiv hätte beeinflussen können. Zudem hat der Kläger selbst angegeben, die H H & Söhne GmbH habe für Dezember keinen Arbeitnehmer gesucht. Eine generelle Absage ist hieraus nicht herleitbar. Nach den weiteren Angaben des Klägers hat die Firma T Bedachungs-GbR gegebenenfalls im Frühjahr eine Einstellung vornehmen wollen. Angesichts dieser Gesamtumstände ist die Annahme, der Kläger sei in den in den Arbeitsmarkt nicht integrierbar, nicht belegt.

34

Eine belastbare negative Vermittlungsprognose kann zudem erst getroffen werden, wenn bereits eine gewisse Zeit vergebliche Vermittlungsbemühungen der Beklagten stattgefunden haben. Dies kann bei dem hier insoweit maximal zu berücksichtigenden Zeitraum von noch nicht einmal zwei Monaten vom 08.11.2011 bis zum 30.12.2011, der zudem hälftig vor Beginn der Arbeitslosigkeit des Klägers lag, nicht angenommen werden. § 57 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB III fordert bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch einen Restanspruch auf Alg für die Dauer von mindestens 150 Tagen. Dies spricht in Anbetracht der bereits nach zweijähriger Beschäftigung geltenden Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen (§ 127 Abs 2 SGB III aF, § 339 Abs 2 SGB III) dafür, dass von einer Erforderlichkeit des GZ erst ausgegangen werden kann, wenn nach Eintritt der Arbeitslosigkeit während eines längeren Zeitraumes keine erfolgreiche Vermittlung stattgefunden hat (LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 - L 9 AL 81/13 -, juris; zur Notwendigkeit einer Weiterbildung vgl BSG, Urteil vom 09.11.1989 - 11 RAr 83/88 -, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.08.2006 - L 6 AL 1161/05 -, juris).

35

Schließlich liegt auch kein Abwägungsfehler vor. Ein für die Bewilligung sprechender Gesichtspunkt, der mindestens ebenso gewichtig wäre wie der für die Ablehnung maßgebliche Gesichtspunkt der ausreichenden Vermittlungschancen des Klägers, ist nicht ersichtlich.

36

Soweit die Beklagte ergänzend im Klage- und Berufungsverfahren zur Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung auf die der Notwendigkeit der Förderung der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mittels GZ entgegenstehende Eigenleistungsfähigkeit verweist, kann dieser Vortrag keine Berücksichtigung finden; denn er hat ausweislich der Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden in die Ermessenentscheidung der Beklagten keinen Eingang gefunden. Eine nachträgliche Ergänzung der Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren scheidet mangels vergleichbarer Regelung zu § 114 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im SGG aus.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

38

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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Bundessozialgericht Urteil, 09. Nov. 2010 - B 2 U 10/10 R

bei uns veröffentlicht am 09.11.2010

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. April 2010 aufgehoben.

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(1) Eine Berufsausbildung ist förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seearbeitsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach Teil 2, auch in Verbindung mit Teil 5, des Pflegeberufegesetzes oder dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.

(2) Förderungsfähig ist die erste Berufsausbildung. Eine zweite Berufsausbildung kann gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird.

(3) Nach der vorzeitigen Lösung eines Berufsausbildungsverhältnisses darf erneut gefördert werden, wenn für die Lösung ein berechtigter Grund bestand.

(1) Die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit hat Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit.

(2) Der Vermittlungsvorrang gilt auch im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, es sei denn, die Leistung ist für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich. Von der Erforderlichkeit für die dauerhafte Eingliederung ist insbesondere auszugehen, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit fehlendem Berufsabschluss an einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung teilnehmen oder voraussichtlich teilnehmen werden. Der Vermittlungsvorrang gilt nicht im Verhältnis zur Förderung von Existenzgründungen mit einem Gründungszuschuss nach § 93.

Bei der Auswahl von Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung hat die Agentur für Arbeit unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die für den Einzelfall am besten geeignete Leistung oder Kombination von Leistungen zu wählen. Dabei ist grundsätzlich auf

1.
die Fähigkeiten der zu fördernden Personen,
2.
die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und
3.
den anhand der Ergebnisse der Beratungs- und Vermittlungsgespräche ermittelten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf
abzustellen.

(1) Eine Berufsausbildung ist förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seearbeitsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach Teil 2, auch in Verbindung mit Teil 5, des Pflegeberufegesetzes oder dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.

(2) Förderungsfähig ist die erste Berufsausbildung. Eine zweite Berufsausbildung kann gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird.

(3) Nach der vorzeitigen Lösung eines Berufsausbildungsverhältnisses darf erneut gefördert werden, wenn für die Lösung ein berechtigter Grund bestand.

(1) Teilnahmekosten bestimmen sich nach den §§ 49, 64, 73 und 74 des Neunten Buches. Sie beinhalten auch weitere Aufwendungen, die wegen Art und Schwere der Behinderung unvermeidbar entstehen, sowie Kosten für Unterkunft und Verpflegung bei anderweitiger auswärtiger Unterbringung.

(2) Die Teilnahmekosten nach Absatz 1 können Aufwendungen für erforderliche eingliederungsbegleitende Dienste während der und im Anschluss an die Maßnahme einschließen.

(1) Eine Berufsausbildung ist förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seearbeitsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach Teil 2, auch in Verbindung mit Teil 5, des Pflegeberufegesetzes oder dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.

(2) Förderungsfähig ist die erste Berufsausbildung. Eine zweite Berufsausbildung kann gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird.

(3) Nach der vorzeitigen Lösung eines Berufsausbildungsverhältnisses darf erneut gefördert werden, wenn für die Lösung ein berechtigter Grund bestand.

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.

(1) Eine Berufsausbildung ist förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seearbeitsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach Teil 2, auch in Verbindung mit Teil 5, des Pflegeberufegesetzes oder dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.

(2) Förderungsfähig ist die erste Berufsausbildung. Eine zweite Berufsausbildung kann gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird.

(3) Nach der vorzeitigen Lösung eines Berufsausbildungsverhältnisses darf erneut gefördert werden, wenn für die Lösung ein berechtigter Grund bestand.

(1) Ansprüche auf Sozialleistungen entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen.

(2) Bei Ermessensleistungen ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung über die Leistung bekanntgegeben wird, es sei denn, daß in der Entscheidung ein anderer Zeitpunkt bestimmt ist.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. April 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Abfindung einer so genannten kleinen Verletztenrente. Der im Jahre 1958 geborene Kläger erlitt am 4.10.2002 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen die Rechtsvorgängerin der beklagten Berufsgenossenschaft (BG; im Folgenden: Beklagte) ihm gegenüber ein Recht auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH auf unbestimmte Zeit feststellte (Bescheid vom 18.8.2005). Die vom Kläger Anfang Februar 2007 beantragte Abfindung seiner Rente lehnte die Beklagte unter Hinweis auf ein bei Dr. R. eingeholtes internistisches Gutachten ab, da die Lebenserwartung des Klägers aufgrund dessen Adipositas, Nikotin- und Alkoholkonsums erheblich herabgesetzt sei (Bescheid vom 20.4.2007, Widerspruchsbescheid vom 29.6.2007).

2

Das SG hat nach Einholung eines Gutachtens bei Privatdozent Dr. S. die Klage abgewiesen, weil die Beklagte ermessensfehlerfrei gehandelt habe (Urteil vom 27.5.2009). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers die Beklagte verurteilt, dessen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (Urteil vom 15.4.2010), und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 76 Abs 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) stehe die Entscheidung über einen Abfindungsantrag im Ermessen des Unfallversicherungsträgers. Eine Ablehnung komme in Betracht, wenn die Lebenserwartung des Antragstellers erheblich geringer sei als die altersübliche und die Zeit unterschreite, die dem für die Abfindung festgesetzten Kapitalwert entspreche. Sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, könne der Gesichtspunkt der Lebenserwartung des Versicherten das Interesse des Unfallversicherungsträgers an der Verweigerung einer Abfindung nicht begründen. Der Kapitalwert der Verletztenrente des Klägers betrage 14,5 Jahre nach der Anlage 1 der Verordnung über die Berechnung des Kapitalwertes bei Abfindung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung vom 17.8.1965 (BGBl I S 894, idF aufgrund von Art 21 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I S 1254, im Folgenden: Abfindungsverordnung), weil der Kläger bei Eintritt des Arbeitsunfalls zwischen 40 und 45 Jahre alt gewesen sei und zur Zeit der mündlichen Verhandlung mehr als sieben Jahre seit dem Arbeitsunfall vergangen seien. Welche genaue Lebenserwartung der Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung habe, könne dahingestellt bleiben, da sie zumindest nicht niedriger als 14,5 Jahre sei, auch wenn von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 29,75 Jahren bei einem Mann im Alter des Klägers und einer nikotinbedingten Verkürzung von 8 Jahren ausgegangen werde und die weiteren Risiken berücksichtigt würden. Die Beklagte sei folglich bei ihrer Ermessensentscheidung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen, sodass der angefochtene Bescheid aufzuheben und sie zur Neubescheidung zu verurteilen sei.

3

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des LSG müsse die Verkürzung der Lebenserwartung nicht den für die Abfindung festgesetzten Kapitalwert unterschreiten. Beim Vorliegen von gesundheitlichen Risikofaktoren und Krankheitsanlagen, die eine erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung bedingten, könne nur eine ablehnende Entscheidung ergehen und zwar nicht nur in klaren Missbrauchsfällen, wie zB nach dem Bekanntwerden einer Geschwulsterkrankung. Das LSG habe nicht festgestellt, zu welcher Verkürzung der Lebenserwartung in Jahren die neben dem Nikotinkonsum bestehenden anderen Risikofaktoren beim Kläger führen würden, und hätte hierzu weitere Ermittlungen anstellen müssen.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15. April 2010 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Ulm vom 27. Mai 2009 zurückzuweisen.

5

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Das Urteil des LSG ist aufzuheben, weil das LSG die Bescheide der Beklagten wegen fehlerhafter Ermessenausübung aufgehoben hat, ohne zuvor alle tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausübung festzustellen (dazu 1.). Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen hat der Senat beschlossen, Hinweise zu Inhalt und Grenzen der richterlichen Überprüfung der im Ermessen des Unfallversicherungsträgers stehenden Entscheidung nach § 76 SGB VII zu geben(dazu 2.).

7

1. Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Abfindung ist § 76 Abs 1 Satz 1 SGB VII, der lautet: Versicherte, die Anspruch auf eine Rente wegen einer MdE von weniger als 40 vH haben, können auf ihren Antrag mit einem dem Kapitalwert der Rente entsprechenden Betrag abgefunden werden. Die Berechnung des Kapitalwerts ist durch Rechtsverordnung zu bestimmen (Abs 1 Satz 3). Eine Abfindung darf nur bewilligt werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass die MdE wesentlich absinkt (Abs 2).

8

Dass der Beklagten im Hinblick auf die Gewährung einer Abfindung Ermessen eingeräumt ist, folgt zunächst aus dem Wortlaut des § 76 Abs 1 Satz 1 SGB VII mit dem Gebrauch des Wortes "können", das kein bloßes "Kompetenz-Kann" beinhaltet - so die Rechtsprechung des Senats(BSG vom 18.4.2000 - B 2 U 19/99 R - SozR 3-2700 § 76 Nr 2; BSG vom 28.4.2004 - B 2 U 10/03 R - SozR 4-2700 § 76 Nr 1 RdNr 8)sowie die Literatur (Burchardt in Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII-Komm, § 76 RdNr 10; Jung in Juris-PK SGB VII, § 76 RdNr 12; Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, § 76 RdNr 12; Mehrtens in Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 76 SGB VII RdNr 3.1; Ricke in Kasseler Komm, SGB VII, § 76 RdNr 4; Sacher in Lauterbach, Unfallversicherung - SGB VII, § 76 RdNr 19) und die Auslegung der im Wortlaut vergleichbaren Vorläufervorschrift des § 604 Reichsversicherungsordnung(vgl insofern BSG vom 24.6.1987 - 5a RKnU 2/86 - SozR 1200 § 40 Nr 3; Wiesner, BG 1985, 327).

9

Davon ist das LSG bei seiner Entscheidung auch ausgegangen. Denn es hat den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und sie zur Neubescheidung verurteilt, weil sie bei ihrer Ermessensentscheidung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen sei. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung eines Anspruchs auf eine Abfindung sind aber den Feststellungen des LSG nur zum Teil zu entnehmen: Nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von 20 vH, und er hat auch einen Abfindungsantrag gestellt. Hinsichtlich des negativen Tatbestandsmerkmals (so schon im Urteil des Senats vom 18.4.2000 - B 2 U 19/99 R - SozR 3-2700 § 76 Nr 2; ebenso: Sacher in Lauterbach, Unfallversicherung - SGB VII, § 76 RdNr 24), dass eine Abfindung nur bewilligt werden darf, wenn nicht zu erwarten ist, dass die MdE wesentlich sinkt (§ 76 Abs 2 SGB VII), hat das LSG keine Feststellungen getroffen.

10

Solange aber nicht feststeht, ob der Tatbestand der Rechtsgrundlage erfüllt ist, mangelt es an den Voraussetzungen der Ermessenseinräumung und damit auch für eine Ermessensausübung und an den Grundlagen für ein dem Kläger günstiges Bescheidungsurteil, das die Behörde verpflichtet, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Die Tatbestandserfüllung kann nicht durch - stets unzulässige - gerichtliche Ermessenserwägungen ersetzt werden. Dementsprechend ist das Urteil des LSG aufzuheben, damit das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zunächst klären kann, ob die genannte (negative) Tatbestandsvoraussetzung erfüllt ist. Erst wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 76 SGB VII gegeben sind, wird das LSG die Ermessensausübung der Beklagten auf Ermessensfehler überprüfen dürfen.

11

2. Im Hinblick auf das Gebot, einer überlangen Verfahrensdauer entgegenzuwirken (Art 19 Abs 4 Satz 1 Grundgesetz , Art 6 Abs 1 Satz 1 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten), hat der Senat beschlossen, Hinweise zu geben zu Inhalt und Grenzen der richterlichen Überprüfung einer im Ermessen des Unfallversicherungsträgers stehenden Entscheidung (dazu a) sowie zu den Ermessenszwecken des § 76 Abs 1 SGB VII und den deshalb von dem Träger jeweils abzuwägenden Ermessensgesichtspunkten(dazu b).

12

a) Soweit die Leistungsträger ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch). Der Versicherte hat Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I). Hingegen entsteht ein Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung nur aufgrund der Bewilligungsentscheidung (§ 40 Abs 2 SGB I). Darüber hinaus kann im Einzelfall ein Rechtsanspruch auf die Leistung ausnahmsweise bei einer "Ermessensreduzierung auf Null" bestehen, bei der es nur ein ermessensgerechtes Ergebnis gibt (vgl dazu nur Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 29). Feststellungen, die vorliegend für eine solche Ermessensreduzierung auf Null sprechen, hat das LSG nicht getroffen; der Kläger hat derartiges im Revisionsverfahren nicht behauptet und keine entsprechenden Rügen erhoben.

13

Zur Sicherung der Funktionentrennung (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG) und der Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers über die Zweckmäßigkeit seines Handelns ist die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch die Gerichte auf die Rechtmäßigkeitsprüfung begrenzt. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG; "Rechtmäßigkeit-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle").

14

Dass die Beklagte Ermessen ausgeübt hat, ist den Feststellungen des LSG hinsichtlich des Inhalts der angefochtenen Bescheide der Beklagten zu entnehmen. Denn sie hat nicht nur - was allein nicht ausreichend ist - auf das eingeräumte Ermessen hingewiesen, sondern auch (zumindest) einen Ermessensgesichtspunkt genannt. Ebenso ist ein Überschreiten der Grenzen des Ermessens zu verneinen, weil § 76 SGB VII nur zwei Rechtsfolgen zulässt, entweder den Anspruch auf die Abfindung zu gewähren oder nicht, und die Beklagte sich für Letzteres entschieden hat. Ferner hat das LSG keine Tatsachen festgestellt, die für eine Verletzung der objektiven verfassungsrechtlichen Schranken (Gleichheitsgebote, Übermaßverbot) jeder Ermessensausübung sprechen könnten.

15

Als Ermessensfehler kommt nur eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung in Betracht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn sie nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Diese beiden letztgenannten Arten des Ermessensfehlgebrauchs kommen hier nach den bisherigen Feststellungen des LSG in Betracht. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Deshalb haben die Tatsacheninstanzen in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Behörde die Tatsachen, die sie ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, zutreffend und vollständig ermittelt hat (Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 28b; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl 2009, § 114 RdNr 12 mwN).

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Wenn der eine Sozialleistung regelnde Verwaltungsakt wegen Ermessensnicht- oder -fehlgebrauchs rechtswidrig ist, darf das Gericht nur den Verwaltungsakt aufheben und den Träger zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilen, nicht aber eigene Ermessenserwägungen anstellen und sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Leistungsträgers setzen (vgl Urteil des Senats vom 18.3.2008 - B 2 U 1/07 R - BSGE 100, 124 = SozR 4-2700 § 101 Nr 1, jeweils RdNr 14 ff).

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b) Zur Konkretisierung der Ermessenszwecke des § 76 SGB VII ist von Folgendem auszugehen: Dem Wortlaut der Vorschrift selbst ist kein Ermessenszweck zu entnehmen und auch die Gesetzesmaterialien zum Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) sind insofern unergiebig (vgl zB Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2204 S 94 zu § 76). Eingeführt worden ist die Möglichkeit der Abfindung von Verletztenrenten schon mit dem Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 (RGBl 69) und später wurde die Regelung durch die nachfolgenden Gesetze ausgebaut.

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Zusammengefasst zeigt die Gesetzesgeschichte, dass bei der Ermessensausübung über die Bewilligung eines Abfindungsanspruchs neben den Interessen der Allgemeinheit folgende Zwecke abzuwägen sind. Auf Seiten des Versicherten besteht das Interesse, seine wirtschaftlichen Verhältnisse durch eine Verfügungsmacht über einen erheblichen Geldbetrag im Unterschied zu laufenden, ggf nicht allzu hohen monatlichen Rentenzahlungen zu verbessern. Auf Seiten der Verwaltung geht es um die Verringerung des Verwaltungsaufwandes, um eine Bemessung der Höhe des Kapitalbetrags nach der durch das Lebensalter und die körperliche Beschaffenheit des Berechtigten bedingten voraussichtlichen Dauer des Rentenbezugs - also der weiteren Lebenserwartung - des Versicherten sowie um die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unfallversicherungsträgers (vgl Reichstag, 10. Legislaturperiode, I. Session 1898/1900, Drucksache Nr 523 S 96 f; Reichstag, 12. Legislaturperiode, II. Session 1909/1910, Drucksache zu Nr 340 S 307, 300 ff; Reichstag, III. Wahlperiode 1924/25, Drucksache Nr 691 S 32; BT-Drucks IV/938 S 15 f zu § 601). Diese Zwecke werden auch heute noch in der Literatur angeführt (vgl Burchardt in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII-Komm, § 76 RdNr 10 f; Jung in Juris-PK SGB VII, § 76 RdNr 13 ff; Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, § 76 RdNr 13 ff; Mehrtens in Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 76 SGB VII RdNr 3.1 f; Ricke in Kasseler Komm, SGB VII, § 76 RdNr 4; Sacher in Lauterbach, Unfallversicherung SGB VII, § 76 RdNr 20 ff; Plagemann, NJW 1996, 3173, 3176; Wiesner, BG 1985, 327 f).

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Soweit in der Literatur weitere Zwecke genannt werden, sind diese zum Teil mit den gesetzgeberischen Zielen vereinbar, zB ob in absehbarer Zeit der Bezug anderer steuerfinanzierter Sozialleistungen droht, womit die Allgemeinheit belastet werden würde, der aber durch den Bezug einer Verletztenrente zumindest verringert würde, während es für andere genannte Zwecke, wie zB eine Berücksichtigung des von dem Versicherten beabsichtigten Verwendungszwecks der Abfindung bei einer so genannten kleinen Verletztenrente, keine erkennbare Begründung gibt.

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Inwieweit die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung die angeführten gesetzgeberischen Zwecke für die Einräumung des Ermessens richtig gewichtet abgewogen hat (vgl zu den Anforderungen an die Begründung einer solchen Entscheidung: BSG vom 18.4.2000 - B 2 U 19/99 R - SozR 3-2700 § 76 Nr 2), wird das LSG - nach Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen und der formellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides - in einem weiteren Schritt zu überprüfen haben. Dabei wird zu beachten sein, dass die den Interessen des Unfallversicherungsträgers dienenden Ermessensgesichtspunkte (anders als § 76 Abs 2 SGB VII)keine "negativen Tatbestandsmerkmale" sind, sondern gegen das Interesse des Versicherten abzuwägen sind und dass nur die Ermessensausübung der Beklagten im vorgezeigten Rahmen zu überprüfen ist, nicht aber eigene Ermessenserwägungen seitens des LSG zur Ausfüllung der aufgezeigten Zwecke anzustellen sind.

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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Eine Berufsausbildung ist förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seearbeitsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach Teil 2, auch in Verbindung mit Teil 5, des Pflegeberufegesetzes oder dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.

(2) Förderungsfähig ist die erste Berufsausbildung. Eine zweite Berufsausbildung kann gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird.

(3) Nach der vorzeitigen Lösung eines Berufsausbildungsverhältnisses darf erneut gefördert werden, wenn für die Lösung ein berechtigter Grund bestand.

(1) Die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit hat Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit.

(2) Der Vermittlungsvorrang gilt auch im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, es sei denn, die Leistung ist für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich. Von der Erforderlichkeit für die dauerhafte Eingliederung ist insbesondere auszugehen, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit fehlendem Berufsabschluss an einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung teilnehmen oder voraussichtlich teilnehmen werden. Der Vermittlungsvorrang gilt nicht im Verhältnis zur Förderung von Existenzgründungen mit einem Gründungszuschuss nach § 93.

(1) Eine Berufsausbildung ist förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seearbeitsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach Teil 2, auch in Verbindung mit Teil 5, des Pflegeberufegesetzes oder dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist.

(2) Förderungsfähig ist die erste Berufsausbildung. Eine zweite Berufsausbildung kann gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird.

(3) Nach der vorzeitigen Lösung eines Berufsausbildungsverhältnisses darf erneut gefördert werden, wenn für die Lösung ein berechtigter Grund bestand.

(1) Teilnahmekosten bestimmen sich nach den §§ 49, 64, 73 und 74 des Neunten Buches. Sie beinhalten auch weitere Aufwendungen, die wegen Art und Schwere der Behinderung unvermeidbar entstehen, sowie Kosten für Unterkunft und Verpflegung bei anderweitiger auswärtiger Unterbringung.

(2) Die Teilnahmekosten nach Absatz 1 können Aufwendungen für erforderliche eingliederungsbegleitende Dienste während der und im Anschluss an die Maßnahme einschließen.

Für die Berechnung von Leistungen wird ein Monat mit 30 Tagen und eine Woche mit sieben Tagen berechnet. Bei der Anwendung der Vorschriften über die Erfüllung der für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erforderlichen Anwartschaftszeit sowie der Vorschriften über die Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach dem Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels dieses Buches entspricht ein Monat 30 Kalendertagen. Satz 2 gilt entsprechend bei der Anwendung der Vorschriften über die Erfüllung der erforderlichen Vorbeschäftigungszeiten sowie der Vorschrift über die Dauer des Anspruchs auf Übergangsgeld im Anschluß an eine abgeschlossene Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.