Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 15. Juli 2015 - L 5 U 1/12

published on 15/07/2015 00:00
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 15. Juli 2015 - L 5 U 1/12
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Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 20. Oktober 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2007 aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers im Segment L3/4, L4/5 und L5/S1 seiner Lendenwirbelsäule gesundheitliche Folge einer Berufskrankheit der Ziffer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ab dem 19. Dezember 2004 ist.

3. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) der Ziffer 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (im Folgenden: BK 2108).

2

Der 1947 geborene schwerbehinderte (GdB 70, Merkzeichen G) Kläger absolvierte von September 1963 bis August 1966 eine Maurerlehre. Bis Juli 1967 war der Kläger in seinem Beruf tätig, danach leistete er von November 1967 bis April 1969 seinen Wehrdienst ab. Danach arbeitete er von Mai 1969 bis Juni 1971 erneut bei der L. in R. als Maurer. Von Juli 1971 bis Mai 1972 war der Kläger im V. B-Stadt und danach bis März 1990 im volkseigenen Gut A-Stadt weiterhin als Maurer beschäftigt, wobei er sich im Januar 1974 zum Meister qualifizierte. Als selbstständiger Maurermeister war der Kläger sodann von April 1990 bis Dezember 2004 tätig.

3

Mit Schreiben vom 18. Mai 2005 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er wegen Beschwerden seiner Lendenwirbelsäule (LWS) seit dem 2. Dezember 2004 arbeitsunfähig sei und die Anerkennung seiner LWS-Beschwerden als BK 2108 begehre.

4

Am 4. Juli 2005 ging bei der Beklagten die ärztliche Anzeige der Orthopädin Dr. S. über eine Berufskrankheit des Klägers ein. Beim Kläger bestehe ein schweres chronisches Lumbalsyndrom nach dreimaliger Operation, welches er auf seine langjährige berufliche Tätigkeit als Maurer verbunden mit schwerem Heben und Tragen zurückführe. Der Kläger klage seit Jahren über zunehmende Kreuzschmerzen, die erstmals im November 1995 aufgetreten seien. Der Kläger habe seine Arbeit am 19. Dezember 2004 eingestellt.

5

Die Beklagte zog zahlreiche medizinische Unterlagen über den Kläger bei, so u. a. Epikrisen des Prof. Dr. D. des Klinikums P.. Aus diesen ergab sich, dass der Kläger sich am 23. Dezember 2003 einer Bandscheibenoperation im Segment L4/5 unterzogen hatte und einer weiteren Operation am 19. Dezember 2004 im Segment L3/4 mit Reoperation am 28. Dezember 2004. Aus der Epikrise vom 3. Mai 2005 ging hervor, dass postoperativ am 20. Dezember 2004 beim Kläger eine komplette Fußheber- und Großzehenheberparese aufgetreten sei sowie eine Quadricepsschwäche, die bis heute persistiere und sich trotz des Re-Eingriffs nicht wesentlich gebessert habe. Eine Gefühlsstörung im Nervenwurzelbereich bestehe nicht. Des Weiteren zog die Beklagte den Bericht über die Kernspintomographie (MRT) der LWS des Klägers vom 5. Juni 2002 bei. Hierin wurde eine bisegmentale absolute Spinalkanalstenose in den LWS-Segmenten 3/4 und 4/5 mit Kompression der intradural verlaufenden Caudafasern beschrieben. In den drei unteren LWS-Segmenten bestünden hochgradige Foramenstenosen mit möglicher intraforaminaler Wurzelalteration L3 rechts, L4 und L5 beidseits. In einem weiteren MRT-Bericht vom 14. Dezember 2004 hieß es, dass neu aufgetreten zu den Voraufnahmen von Juni 2002 ein links mediolateraler/ links intraforaminaler nach cranial sequestrierter NPP im Sepment L3/4 mit Kompression der linken L3-Wurzel im intraforaminaler Abschnitt sowie Pelottierung der linken Wurzeltasche L4 sei. Bei L4/5 finde sich der Nachweis eines großen rechts mediolateralen NPP. Der Befund bei L5/S1 sei unverändert zu den Voraufnahmen von Juni 2002. Des Weiteren zog die Beklagte den Bericht über die MRT der LWS des Klägers vom 5. April 2005 bei.

6

Nachdem die Beklagte den Rehaentlassungsbericht des Dr. J. vom Rehazentrum B-Stadt vom 2. März 2005 sowie den Sozialversicherungsausweis des Klägers in Kopie zu den Akten genommen hatte, führte sie die Stellungnahme des Orthopäden Dr. N. (beratender Arzt) vom 20. August 2005 herbei. Dieser führte aus, obwohl ihm Nativ-Aufnahmen der LWS nicht vorlägen, ergebe die Auswertung der MRT-Aufnahmen, dass sich im Segment L5/S1 eine deutliche Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes zeige. Die darüber liegenden Bandscheiben L4/5 und L3/4 seien leicht verschmälert und beide noch recht gut hydriert. Die darüber liegenden Etagen L1/2 und L2/3 seien - soweit beurteilbar - radiologisch unauffällig. In der Etage L5/S1 lasse sich eine Osteochondrose sicher diagnostizieren, in den darüber liegenden Etagen bestehe lediglich eine deutliche Chondrose. Nicht beurteilt werden könne das Vorliegen einer Spondylose in den oberen LWS-Abschnitten. Das Vorliegen einer solchen „belastungsadaptiven Reaktion" wäre jedoch auch nur als Positivkriterium für das Vorliegen einer BK 2108 zu werten, das Fehlen würde eine BK 2108 nicht ausschließen. Die dargestellten Verschleißveränderungen wiesen eine Belastungskonformität auf (L5/S1 am stärksten betroffen, die darüber liegenden Etagen weniger). Zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit (Ende 2004) sowie auch noch Mitte 2005 seien die Verschleißveränderungen bei L4/5 und L3/4 nur gering ausgeprägt. Insgesamt überschritten die Verschleißveränderungen jedoch nicht das altersübliche Maß. Deshalb lasse sich eine BK 2108 nicht wahrscheinlich machen.

7

Die Beklagte führte sodann den Bericht ihres technischen Aufsichtsbeamten (TAB) S. vom 31. Oktober 2005 herbei. Dieser führte aus, dass der Kläger in seinen Tätigkeiten von Juli 1971 bis Mai 1972 und von April 1990 bis Dezember 2004 eine Gesamtbelastungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) von 12,35 MNh aufweisen, der unter dem Grenzwert von 25 MNh liege.

8

Sodann ließ die Beklagte den Kläger durch den Orthopäden DM M. untersuchen. Auf der Grundlage einer ambulanten und röntgenologischen Untersuchung des Klägers vom 7. Dezember 2005 führte DM M. in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2005 zusammenfassend aus, beim Kläger bestehe eine mehrsegmentale lumbale bandscheibenbedingte Erkrankung. Besonders betroffen seien die Segmente L3/4, L4/5 und L5/S1. Das klinische Bild entspreche einer bandscheibenbedingten Erkrankung mit frustranem Verlauf nach mehrfacher Operation und verbleibenden erheblichen neurogenen Defiziten. Die klinisch relevante Höhe sei das Segment L3/4. Der Röntgenbefund lasse jedoch auf eine außerberufliche Ursache der Erkrankung schließen. Es finde sich kein belastungskonformes Röntgenbild. Die Veränderungen seien nach distal zunehmend, jedoch besonders im mittleren Segment L3/4 klinisch relevant. Es hätten sich ausgeprägte degenerative Veränderungen der BWS gezeigt, die HWS sei nicht betroffen. Es fehlten belastungsadaptive knöcherne Zeichen an der LWS. Eine außerberufliche Hauptursache sei unter spezieller Wertung des Röntgenbefundes anzunehmen. Insbesondere das Fehlen belastungsadaptiver Zeichen als auch die deutliche Mitbeteiligung der BWS im Röntgenbild sprächen für eine schicksalhafte Minderbelastbarkeit des Achsenorgans.

9

Die Beklagte zog zudem den Bericht des TAB T. der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vom 17. Februar 2006 bei. Dieser führte aus, dass für den Zeitraum 1966 bis 1973 eine Belastungsdosis in Höhe von 18 % des Dosisrichtwertes (4,457 MNh) habe ermittelt werden können.

10

Mit Bescheid vom 20. April 2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 ab. Die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers sei weder eine Berufskrankheit noch wie eine Berufskrankheit zu entschädigen. Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS im Sinne einer BK 2108 seien dadurch gekennzeichnet, dass entsprechend dem beruflichen Belastungsprofil ein medizinisch charakteristisches Verteilungsmuster der röntgenologischen Veränderungen gegeben sein müsse. Dieses sei u. a. gekennzeichnet durch Umformungsreaktionen an den knöchernen Strukturen der Lendenwirbelköper (belastungsadaptive Reaktionen). Die Verschleißschäden gingen über das altersübliche Maß hinaus und nähmen vom oberen zum unteren Segment der LWS hin zu. Ein entsprechendes Schadensbild an der LWS liege beim Kläger nach den medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Gutachten des DM M. vom 19. Dezember 2005, nicht vor.

11

Hiergegen legte der Kläger am 8. Mai 2006 Widerspruch ein. Bei ihm bestehe ein adäquates Krankheitsbild seiner LWS zur Anerkennung einer BK 2108, hervorgerufen durch seine berufliche Tätigkeit.

12

Im Schreiben vom 16. Juni 2006 führte die staatliche Gewerbeärztin L. aus, die Anerkennung einer BK 2108 werde nicht empfohlen, da sowohl die arbeitstechnischen als auch die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

13

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch den Chirurgen Dr. K.. In seinem Gutachten vom 1. November 2006 führte dieser Arzt aus, beim Kläger fänden sich zusammenfassend folgende Befunde:

14

Bandscheibendegeneration der unteren Lendenwirbelsäule L3 bis S1 mit mehrfachen Operationen, Chondrose Grad L5/S1 III Bandscheibenhöhe laut Konsensempfehlung 6 Bildmillimeter Chondrose Grad Bandscheibenfach L4/5 II Höhe des Faches laut Konsensempfehlung 1 Bildzentimeter, Chondrose Grad L3/4 II, Bandscheibenhöhe 1 Bildzentimeter

15

- Entfernung des Wirbelbogens L4,

16

- Mehrsegmentale degenerative Veränderungen der unteren Brustwirbelsäule,

17

- Nervenausfallerscheinungen mit Fußheberschwäche und Quadrizepsschwäche des linken Beines, Beeinträchtigung des Geh- und Sehvermögens,

18

- Großzehenheberschwäche rechts

19

Beim Kläger liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor. Bandscheibenoperationen seien in den Segmenten L3/4 und L4/5 erfolgt. An der LWS lägen keine anatomischen Aufbaustörungen in der Form vor, als dass dadurch die Statik oder die Funktion der Zwischenwirbelgelenke beeinträchtigt wäre. Im unteren Bereich der BWS bestünden mehrsegmentale degenerative Veränderungen. An der HWS seien auffällige Befunde nicht nachzuweisen.

20

Aus dem Verlauf der beruflichen Exposition gebe es vom Kläger ärztliche Berichte aus dem Jahr 2002. Röntgenaufnahmen lägen erst ab 2004 vor. Damit habe man das Problem, dass für den gesamten zurückliegenden Zeitraum der Ausbildungsweg der Bandscheibendegeneration nicht bestimmt werden könne. Für eine mechanisch verursachte, zumindest wesentlich mitverursachte Bandscheibenschädigung würde sprechen, wenn die Befunde im unteren Bereich bei L5/S1 begonnen hätten und sich dann langsam kopfwärts ausgebildet hätten. Gegen eine mechanische Verursachung würde ein entgegengesetzter Verlauf sprechen. Die Röntgenaufnahmen, die man am Ende eines Krankheitsbildes kurz vor Aufgabe der beruflichen Belastung anfertige, lösten diese Fragestellung nicht und hinterließen somit ein nicht unerhebliches Ausmaß einer unsicheren Zuordnung.

21

Aus epidemiologischer Sicht sei die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem 55-jährigen Mann eine Bandscheibensymptomatik aufgrund degenerativer Veränderungen entstehe, erheblich höher als in jungen Jahren zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr. Nach KRÄMER nehme die Häufigkeit bandscheibenbedingter Erkrankungen mit dem 40. Lebensjahr zu, um zwischen dem 45. Und 50. Lebensjahr nach einem sog. Häufigkeitsgipfel wieder abzunehmen. Wenn man die Auswirkungen langjähriger beruflicher Belastungen als schädigend postuliere, hätte man im Fall des Klägers einen anderen Krankheitsverlauf erwartet. Es hätte dann bereits vor dem 40. Lebensjahr eine erheblich ausgeprägte klinische Symptomatik vorgelegen mit einem entsprechenden Verschleißbefund in den am höchsten belasteten Bewegungssegmenten. Eine Aufgabe der beruflichen Tätigkeit nach dem 55. Lebensjahr bei dem gleichzeitigen Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung stelle kein plausibles Ergebnis einer wesentlich beruflich verursachten Bandscheibenerkrankung dar. Auch die Tatsache, dass an der unteren BWS mehrsegmentale degenerative Veränderungen vorlägen, die sich in diesem Ausmaß selbst an der oberen LWS nicht wiederfänden, kennzeichne ein Bild einer im Wesentlichen schicksalhaft bestimmten Verschleißumformung, die jedoch nicht äußeren schädigenden Einflüssen gefolgt sei. Belastungen wirkten sich demnach auf die gesamte Wirbelsäule aus und übersprängen nicht einzelne Bewegungssegmente.

22

Den Ausführungen von DM M. sei hinzuzufügen, dass die röntgenmorphologische Ausbildung der Schadensbilder in der Tat zwischen L3 und S1 keine auffällige Zunahme erkennen lasse. Die alleinige Höhenminderung des Bandscheibenfaches könne dieses Kriterium nicht erfüllen, sondern hier seien auch entsprechende mechanisch indizierte Auseinandersetzungen zwischen Bandscheibe und Wirbelkörper zu fordern, die nicht vorlägen. Aus seiner Sicht sei das Krankheitsbild beim Kläger als sog. arbeitsbedingte Erkrankung aufzufassen. Auf dem Boden einer konstitutionellen Rückenmarkkanalenge bei L4/5 hätten sich altersgemäße Veränderungen der LWS frühzeitig mit einer sehr starken klinischen Symptomatik und entsprechenden Folgeerscheinungen nach mehreren operativen Eingriffen ausgewirkt. Damit sei ein schwerwiegendes Krankheitsbild entstanden, das in seiner Ursächlichkeit jedoch im Wesentlichen konstitutionelle Merkmale und keine durch eine berufliche Belastung hervorgerufenen Veränderungen aufweise. Aus diesem Grunde sei die Ablehnung eines kausalen Zusammenhangs entsprechend zu begründen.

23

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. Februar 2007 hat Dr. K. ausgeführt, dass der von ihm verwendete Begriff „arbeitsbedingte Erkrankung“ bedeute, dass die Beschwerden bei der Arbeit, aber nicht durch die Arbeit aufgetreten seien. Arbeitsbedingt meine die konstitutionelle, d. h. schicksalhaft entstandene Verschleißumformung.

24

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es seien weder die medizinischen noch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 erfüllt. Die nach dem Mainz-Dortmunder-Modell (MDD- Modell) errechnete Lebensbelastungsdosis liege bei 16,81 MNh (12,35 + 4,46) und unterschreite somit den geforderten Richtwert von 25 MNh.

25

Auch die medizinischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, was die Ausführungen in den Gutachten des DM M. und Dr. K. ergäben. Belastungstypische Schäden seien dann anzunehmen, wenn sie auch in den Bereichen der Wirbelsäule angetroffen würden, die besonderen Belastungen ausgesetzt gewesen seien. Sie müssten als belastungsadaptiv, d. h. als Reaktion auf eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit beurteilt werden können, während anlagebedingte Erkrankungen zwar gleichartig aussehen könnten, aber im Verteilungsmuster nicht mit einer Wirbelsäulenbelastung, wie sie durch eine entsprechende Tätigkeit zu erwarten sei, in Einklang zu bringen sei. Hierdurch könnten anlagebedingte von durch berufliche Belastung bedingte Ursachen für Wirbelsäulenschäden unterschieden werden. Diese besonderen Veränderungen hätten vom Gutachter aber nicht beim Kläger nachgewiesen werden können. Auch Dr. K., wie bereits zuvor DM M., habe in seinem Gutachten bestätigt, dass beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliege. Auch er führe in Übereinstimmung mit DM M. aus, dass Höhenminderungen der Bandscheiben des Klägers im Bereich L 5/S1, L4/5 und L3/4 messtechnisch nachzuweisen seien, knöcherne Umbauvorgänge als Reaktion auf eine erhöhte Belastung aber nicht gesichert werden könnten. Insgesamt überschritten die festgestellten Veränderungen auch nicht das altersübliche Maß. Bei einer durch erhöhte Beanspruchung verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung werde aber als Zeichen einer schädigenden äußeren Einwirkung ein entsprechendes einwirkungskonformes Schadensbild mit einer Osteochondrose der unteren LWS- Segmente und einer Spondylose der oberen LWS-Segmente unter Einbeziehung der unteren BWS-Segmente erwartet. Beim Kläger bestünden mehrsegmentale anlagebedingte Veränderungen der unteren BWS, die sich in diesem Ausmaß nicht an der oberen LWS wiederfänden. Dieses Schadensbild spreche im Wesentlichen für eine schicksalhaft bestimmte Verschleißerscheinung, da sich Belastungen auf die gesamte Wirbelsäule auswirkten und nicht einzelne Bewegungssegmente übersprängen.

26

Der Kläger hat am 19. Juli 2007 Klage beim Sozialgericht (SG) Schwerin erhoben, mit der er die Anerkennung einer BK 2108 weiterverfolgt. Die Verwaltungsgutachter hätten bei ihm eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS festgestellt, die seiner Ansicht nach auch berufsbedingt entstanden sei. In diesem Zusammenhang weise er darauf hin, dass die von der Beklagten angenommene Belastungsdosis von 4,46 MNh als zu niedrig angesetzt bemängelt werde. Er habe seinerzeit eine Bautätigkeit in einer Baubrigade eines volkseigenen Gutes ausgeübt. Alle Bauarbeiten seien nur manuell, d. h. ohne jegliche technische Hilfsmittel ausgeführt worden. Er habe eine Bautätigkeit ausgeübt, die von ihm eine körperliche Höchstbelastung abverlangt habe.

27

Der Kläger hat beantragt,

28

ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2007 Entschädigungsansprüche wegen einer Berufskrankheit anzuerkennen.

29

Die Beklagte hat beantragt,

30

die Klage abzuweisen.

31

Sie hat die Stellungnahme des TAB F. der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vom 23. Juni 2008 zu den Akten gereicht, wonach die Dosisberechnung auf der Grundlage des Urteils des BSG, mit dem die Tagesmindestbelastungsdosis aufgehoben worden sei, erneut durchgeführt worden sei. Es habe sich nunmehr eine Gesamtbelastungsdosis von 21,746 MNh (entsprechend 87 % des Dosisrichtwertes) ergeben.

32

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat das SG das Gutachten des Neurochirurgen Dr. B./Prof. S. vom 17. November 2008 eingeholt. Auf seinem Fachgebiet hat dieser Sachverständige beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:

33

- chronische Lumbago

34

- Verdacht auf Postdiskotomiesyndrom bei Zustand nach mehrfachen Bandscheibenoperationen in Höhe LWK 4/5 rechts 2003, in Höhe LWK 3/4 links im Dezember 2004 mit Revisionsoperation in gleicher Höhe

35

- Zustand nach Bandscheibenoperation in Höhe LWK 5/SWK 1 11/2006

36

- Zustand nach Operation eines Rezidiv-Bandscheibenvorfalls in Höhe LWK 3/4 links 05/2008

37

Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, beim Kläger liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor. Es seien eindeutig mehrsegmentale Schädigungen in absteigender Weise von LWK3 bis SWK1 zu erkennen Die größten Höhenminderungen fänden sich bei LWK3/4 und 4/5. Ob es sich um eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS handele, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Folge der beruflichen Tätigkeit des Klägers entstanden sei, könne nur schwer beurteilt werden. Für das Vorliegen einer berufsbedingten Erkrankung spreche, dass eine mehrsegmentale Schädigung im Bereich der LWS zu verzeichnen sei, welches für eine biomechanische Beanspruchung der Wirbelsäule durch den Maurerberuf spreche. Typisch für eine berufsbedingte Belastung sei, dass insbesondere die unteren Lendenwirbelsäulensegmente L3/4, L4/5 und L5/S1 betroffen seien. Weiter spreche dafür, dass bildmorphologische Veränderungen, wie z. B. Osteochondrosen, Spondylosen oder Spondylarthrosen eher im unteren Lendenwirbelsäulenabschnitt zu sehen seien. Des Weiteren spreche dafür, dass der Kläger über einen altersentsprechenden Body-Mass- Index (BMI) von 24 verfüge. Dies würde einen der wichtigsten Einflussfaktoren, der aus der Literatur bekannt sei, ausschließen. Hier sei eine direkte Korrelation zwischen BMI und dem Auftreten einer Spondylosis deformans als auch Spondylarthrosen bekannt.

38

Gegen eine berufsbedingte Erkrankung spreche eine direkte Korrelation des Auftretens einer Spondylosis deformans und Spondylarthrosis bei einer Altersgruppe von über 50 Jahren. Des Weiteren könnten die neurologischen Ausfallserscheinungen (Lähmungen der Fußmuskulatur als auch Gefühlsstörungen) nicht allein direkt auf die degenerativen Schädigungen der Bandscheiben, sondern auch auf operative Folgen zurückgeführt werden. Ein deutliches Übergewicht bei der Aufgliederung in das Für und Wider einer berufsbedingten Erkrankung könne so nicht einfach erfolgen. Allerdings sprächen einige Punkte eher dafür, dass es sich hierbei um eine Verschlechterung eines Wirbelsäulenleidens durch eine spezifische berufliche Belastung handeln könne.

39

Eine eindeutige Zuordnung der bildmorphologischen und klinischen Befunde bezüglich einer Berufskrankheit könne nicht sicher erfolgen. Gegebenenfalls könnten die teilweise entstandenen degenerativen Veränderungen mit Spondylosis deformans, Osteochondrosis intervertebralis, Spondylarthrosen als auch Bandscheibenraumverschmälerungen durch den Beruf des Maurers negativ beeinflusst worden sein. Ob es sich hier sicher um Veränderungen handele, die ausschließlich auf den Beruf des Klägers zurückzuführen seien, könne so einfach nicht bestätigt werden. Tatsache sei, dass durch den Beruf des Maurers arbeitsbedingte Belastungen der LWS aufträten. Im herausgegebenen Merkblatt werde darauf verwiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Heben und Tragen schwerer Lasten und der Häufigkeit von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule beim Maurer bestehe. Dafür spreche weiterhin, dass der Kläger über weit mehr als 10 Berufsjahre (ca. 38 Jahre) eine belastende Tätigkeit als Maurer ausgeführt habe.

40

In Zusammenschau aller Befunde, insbesondere der Bildgebung aus dem Jahr 2002 sowie der chronischen Rückenschmerzen sei eine berufsbedingte Schädigung der Lendenwirbelsäulendegeneration nicht auszuschließen. Obwohl die degenerativen Veränderungen (Spondylosis deformans, Spondylarthrose, Bandscheibenraumverschmälerung) altersbedingt sein könnten, gebe es doch Argumente dafür, die für eine berufsbedingte Verschlechterung der Lendenwirbelsäulendegeneration sprächen. So gesehen und in Anlehnung an das Merkblatt vom 1. September 2006 (BK 2108) könne im Fall des Klägers durchaus eine Berufskrankheit angenommen werden.

41

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) könne mit mindestens 50 % (und höher) eingeschätzt werden. Dies ergebe sich daraus, dass es sich hier einerseits um ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom und andererseits um schwere motorische Störungen in Folge von Bandscheibenvorfällen/Operationen handele. Dies werde unterstützt, dass vom Kläger regelmäßig Analgetika eingenommen werden müssten. Zudem bestehe eine deutliche Geh- und Stehbehinderung aufgrund der hochgradigen Paresen.

42

Zu diesem Gutachten hat die Beklagte ausgeführt, dieses entspreche nicht der Kausalitätslehre in der gesetzlichen Unfallversicherung. Voraussetzung für die Anerkennung als BK sei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung. Allein die Möglichkeit, dass die LWS durch die berufliche Belastung geschädigt worden sei, genüge nicht. Die Schlussfolgerung, eine BK sei „durchaus anzunehmen“ sei weder schlüssig noch nachvollziehbar.

43

Die Beklagte hat sodann die Stellungnahmen ihrer beratenden Ärztin, der Chirurgin Dr. H. vom 23. Februar 2009 und vom 13. Mai 2009 zu den Gerichtsakten gereicht. Zur Höhe der MdE hat Dr. H. ausgeführt, eine MdE von 50 werde nicht erreicht, weil beispielsweise ein gravierendes Cauda-Syndrom mit Lähmung der Beine und allerschwersten Funktionsbeeinträchtigungen hier nicht vorlägen. Träten motorische Defizite auf wie beim Kläger, so sei ein schweres LWS-Syndrom mit schwergradiger Leistungseinschränkung mit einer MdE von 30 bis 40 zu versehen. Zu verstehen sei darunter ein lumbales Wurzelkompressionssyndrom mit starken belastungsabhängigen Beschwerden und motorischen Störungen funktionell wichtiger Muskel, eine starke Funktionseinschränkung und Beschwerden nach Operation. Vorliegend würde sie die MdE mit 40 v. h. einschätzen, auch wenn eine MdE von 40 bereits eine sehr hohe Bemessungsgrundlage sei. Normalerweise sei bei einer Fußheberschwäche eine MdE von 30 angemessen. Da hier praktisch vier Operationen durchgeführt worden seien mit Narbenzügen und schwerergradiger Funktionsbeeinträchtigung (Fußheberparese, schweres motorisches Defizit, Ruheschmerz, Einschränkung der Wegefähigkeit) sei die MdE mit 40 zu veranschlagen.

44

Zusammenfassend ist diese Ärztin zu der Beurteilung gelangt, dass beim Kläger die Konstellation B 2 nach den Konsensempfehlungen bestehe. In Auswertung der kernspintomographischen Aufnahmen vom 27. Dezember 2004 bestehe eine Dehydratation der Bandscheibenfächer L3/4 und L 4/5 und eine hochgradige Osteochondrose und Dehydratation des Bandscheibenfaches L5/S1. Es bestehe eine „black-disc“ im Segment L5/S1, aber keine black-disc in den Segmenten L3/4 und L4/5. Da im Jahr 2004 drei Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L3/4, L4/5 und L5S1 vorgelegen hätten, bestehe damit überhaupt kein Zweifel, dass es sich um einen altersüberschreitenden Befund handele. Es seien somit drei Segmente betroffen und es lägen in drei Segmenten ein Vorfall vor. Die Veränderungen an der HWS und BWS seien dem gegenüber eindeutig nachgeschaltet.

45

Hierzu hat die Beklagte ausgeführt, der Einschätzung der Dr. H. werde nicht gefolgt. Das Krankheitsbild des Klägers sei nicht der Konsenskonstellation B 2 eindeutig zuzuordnen, es entspreche aus ihrer Sicht eher der Konstellation C 2. Unter Berücksichtigung der hohen Belastung insbesondere in den Zeiträumen von September 1963 bis Oktober 1967, vom Mai 1969 bis Juni 1971, von Mai 1972 bis August 1987 und vom Juli 1988 bis März 1990, in denen der frühere Tagesrichtwert von 5,5 kN fast durchgehend bei allen Belastungen überschritten worden sei und der radiologisch völlig intakten und von Begleitspondylose freien oberen Segmente L1/2 und 2/3 spreche das Gesamtbild gegen das Vorliegen einer BK 2108. Da weder das Gutachten des Dr. B. noch die Stellungnahme der Dr. H. zu überzeugen vermöchten, rege sie an, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.

46

Das SG hat ein Gutachten nach Aktenlage von dem Orthopäden Dr. S. (einen Mitverfasser der Konsensempfehlungen) eingeholt. In seinem Gutachten vom 30. Dezember 2010 ist Dr. S. zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, dass sich bei vollständiger Anwendung der Konsensempfehlungen eine Kausalitätsbeziehung nicht wahrscheinlich machen lasse.

47

Beim Kläger bestehe in allen drei unteren LWS-Segmenten eine bandscheibenbedingte Erkrankung. Hiermit spreche die Wahrscheinlichkeit in Anwendung des Konsensarbeitspapieres prima vista für einen Ursachenzusammenhang mit den beruflichen Tätigkeiten, sofern diese mit einer genügend großen Gesamt - Lebensbelastungsdosis verknüpft seien, wovon im vorliegenden Fall aufgrund der TAB- Ermittlungen vom Juni 2008 auszugehen sei. Mit diesen wenigen Ausführungen sei - zumindest scheinbar - die Kausalitätsfrage bereits entschieden, wie dies mit einer sehr ähnlichen Begründung von der Beratungsärztin vorgetragen worden sei.

48

Würde man so verfahren, müsste man allerdings auch in Kauf nehmen, dass damit der Inhalt des äußerst umfangreichen Konsenspapieres - an dessen Erarbeitung er habe mitwirken dürfen - gewissermaßen in einer etwas verkürzten Art und Weise angewandt würde, nämlich mit Ausblendung der vielen anderweitigen Überlegungen, die in dem Abwägungsprozess bei einer solchen Kausalitätsprüfung mit berücksichtigt werden sollten.

49

In den Konsensempfehlungen sei nachzulesen, dass grundsätzlich immer die Frage mit zu prüfen sei, ob einer solchen Anerkennungsempfehlung ggf. gewichtige konkurrierende Ursachenmöglichkeiten entgegenstünden und zwar auch dann, wenn eine solche sog. „Basisannahme“ erfüllt sei, wie in diesem Fall die Beteiligung der drei unteren LWS-Segmente am Krankheitsbild.

50

Beim Kläger bestünden folgende Gesundheitsstörungen der Wirbelsäule:

51

- Fehlstatik der LWS durch eine aufrechte Beckenstellung und weitestgehend Verlust der Lendenlordose („Flachrücken“)

52

- anatomische Aufbaustörung der unteren LWS mit einer erheblichen anatomischen Spinalkanalenge („Spinalkanalstenose“) und damit nicht vorhandenem Reserveraum für Bandscheibenvorwölbungen

53

- operativ behandelte 3-etagige „bandscheibenbedingte“ Erkrankung der unteren LWS (L3-S1)

54

- verbliebenes lumboischialgieformes Schmerzsyndrom in Folge narbiger Operationsfolgen mit fortbestehenden Raumforderungen gegenüber neurogenen Strukturen

55

Gehe man bei der bandscheibenbedingten Erkrankung der drei unteren LWS-Segmente von einer konstitutionell bedingt erhöhten Krankheitsbereitschaft der Bandscheiben aus, würde man auch erwarten, dass in den weiteren Bewegungssegmenten der LWS bis hinein zur unteren LWS die krankmachende Einwirkung der Tätigkeit ebenfalls Spuren hinterlassen hätte, die mindestens in Form eines sog. black-disc in der Kernspintomographie nachweisbar sein müssten, sehr viel eher schon mit dem Anfangsbild einer Osteochondrose mit Sklerosierung der Abschlussplatten und spondylotischen Reaktionen an den Kanten der Wirbelkörper, was als sog. „belastungsinduzierte Phänomene" bezeichnet werde. Vorliegend fehle es gänzlich an solchen Indizien, die für eine Kausalität sprächen, wie sie z. B. die sog. B 2-Konstellation prägten. Hier ergäben sich nachhaltige Zweifel an der Relevanz der beruflichen Einwirkungen, da es schlicht unlogisch erscheine, dass bei einer erhöhten Erkrankungsbereitschaft der Bandscheiben dennoch oberhalb der drei erkrankten Etagen nicht die Spur einer Einwirkungsreaktion zu erkennen sei. Bei einer gleich 3-etagigen bandscheibenbedingten Erkrankung der unteren LWS mit gänzlich fehlenden belastungsinduzierten Befundaspekten oberhalb dieser Erkrankungsstrecke müsse man sich ernsthaft Gedanken darüber machen, welche schicksalhaften, also konkurrierenden Faktoren unter Umständen ein solches bizarres Befundbild an diesen Bandscheiben erklären könnten. Wie sich aus der Analyse des Bildmaterials ergebe, bestehe beim Kläger eine übermäßig aufrechte Beckenstellung und damit verknüpft eine weitestgehend entlordosierte Formgebung der LWS in der seitlichen Sicht, also eine sog. „Steilstellung" der LWS, die in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden dürfe. Während die normale S- förmige Krümmung der Rumpfwirbelsäule eine wesentliche Voraussetzung für ein normales Abfederungsverhalten darstelle, könne beim Flachrücken die Abmilderung des Stoßes ausschließlich über die Bandscheibenräume verlaufen, wobei die untersten Bandscheiben naturgemäß mehr belastet würden als die oberen Bandscheiben. Bei einer solch veränderten Statik der LWS unterlägen nur die unteren LWS - Etagen einer anderen nämlich unphysiologischen Belastung, z. B. beim Auftritt des Fußes mit jedem Schritt, während die oberen LWS-Etagen, die ohnehin von Natur aus in einem senkrecht angeordneten Verbund dieses Wirbelsäulenabschnittes stünden, hiervon nicht betroffen seien. So werde auch in der medizinischen Literatur auf ein verändertes Verschleißverhalten der unteren LWS beim Flachrücken hingewiesen. Die Relevanz dieser Fehlstatik der LWS werde im konkreten Einzelfall noch mit einem weiteren Befundaspekt nachhaltig beleuchtet, nämlich den zusätzlich bestehenden Bandscheibenvorfällen zum Bauchraum hin, wie sie sich aus der Bildbeschreibung herauslesen lasse. Derartiges werde von einer normal lordotisch ausgeformten LWS so gut wie nie beobachtet.

56

Zusammenfassend sei festzustellen, dass eine gewichtige konkurrierende Ursächlichkeit, sogar ganz speziell bezogen auf dieses Krankheitsbild der unteren drei LWS-Segmente zu erkennen sei, was auch zu erklären vermöge, warum die Segmente oberhalb L3/4 noch nicht einmal geringe Spuren einer Belastungseinwirkung aufzeigten, was eigentlich einer B 10 - Konstellation entspreche (Verneinung des Kausalzusammenhangs). Ob nun lediglich die Tatsache, dass nicht nur zwei Bewegungssegmente der unteren LWS sondern deren drei am Erkrankungsbild beteiligt seien, automatisch - dennoch - zu einer Anerkennungsempfehlung führen müsse, wie dies von der Beratungsärztin vorgetragen werde, erscheine ihm problematisch und in dieser apodiktischen Form keine angemessene, sondern nur eine verkürzte Anwendung des Konsenspapieres, sodass er weiter dazu neige, den Ursachenzusammenhang zu verneinen. Allerdings weise er darauf hin, dass es sich vorliegend um eine ganz außergewöhnliche Beurteilungssituation handele, bei der man auch der Auffassung der Beratungsärztin folgen könnte, aber eben nur dann, wenn man andere Aspekte, die aus seiner Sicht nicht zu vernachlässigen seien, gewissermaßen der Einfachheit halber außen vor lasse. Folge man seiner Auffassung, dürfte den beruflichen Belastungen die Bedeutung der rechtlich wesentlichen Bedingung nicht zuerkannt werden, weil in den Segmenten oberhalb L3 nicht die geringsten belastungsinduzierten Reaktionen - noch nicht einmal ein black-disc, geschweige denn die notwendigen zwei black-discs - anzutreffen sein.

57

Im Fall der Anerkennung einer BK 2108 sei die MdE im Minimum mit 30 % zu beziffern, im Maximum mit 40 %.

58

Durch Urteil vom 20. Oktober 2011 hat das SG Schwerin die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2108 erfüllt seien, da nur eine Gesamtbelastungsdosis von 16,81 MNh durch den TAD belegt sei. Zur Überzeugung des Gerichts seien jedenfalls die medizinischen Voraussetzungen für die BK 2108 nicht gegeben. Zwar liege beim Kläger eine mehrsegmentale bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren LWS in den Segmenten L4/5, L3/4 und L5/S1 und Bandscheibenvorfälle im LWS-Bereich vor. Diese Erkrankungen seien allerdings nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die berufliche Belastung zurückzuführen. Nach dem Merkblatt zur BK 2108 sei zu berücksichtigen, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS eine multifaktorielle Ätiologie hätten. Wirbelsäulenerkrankungen seien weit verbreitet und kämen in allen Alters-, Berufs- und Bevölkerungsgruppen sowie sozialen Schichten vor. Bei der Kausalitätsbetrachtung seien bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS von konkurrierenden Ursachen abzugrenzen, wobei im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung eine Gesamtschau aller möglichen Faktoren anzustellen sei. Neben dem Merkblatt des zuständigen Bundesministeriums und der wissenschaftlichen Begründung der BK durch den ärztlichen Sachverständigenbeirat, Sektion Berufskrankheiten, könnten auch die sog. Konsensempfehlungen zur BK 2108 (in Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.) herangezogen werden. Diese gäben den derzeit aktuell medizinischen Erkenntnisstand zu dieser BK wieder. Anhaltspunkte für eine beruflich bedingte Verursachung seien unter anderem die belastungsadäquate zeitliche Erstmanifestation der Erkrankung, ein bildtechnisch nachweisbarer altersvorauseilender Verschleiß und ein belastungskonformes Schadensbild mit von oben nach unten zunehmendem Befund/Bandscheibenschaden. Gegen eine beruflich bedingte Verursachung spreche eine polysegmentale Verteilung der Erkrankung mit Beteiligung von zwei oder drei Wirbelsäulenabschnitten, ein Schadensbild überwiegend an belastungsfernen Wirbelsäulenabschnitten, konkurrierende Erkrankungen des vertebralen oder extravertebralen Bereichs oder konkurrierende Einwirkungen aus dem privaten Bereich.

59

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben spreche vorliegend unter Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte mehr gegen als für eine Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS des Klägers durch berufliche Einwirkungen, so dass der für den Kausalzusammenhang zu fordernde Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht erfüllt sei. Das Gericht folge insoweit den Beurteilungen im Gutachten des Dr. S.. Dieser habe unter Berücksichtigung der medizinischen Unterlagen, insbesondere der vorliegenden Aufnahmen aus bildgebenden Verfahren in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass zwar die Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der LWS des Klägers grundsätzlich für einen Ursachenzusammenhang mit der beruflichen Belastung spreche. Dagegen spreche allerdings, dass beim Kläger oberhalb der 3-etagigen bandscheibenbedingten Erkrankung jegliche belastungsinduzierte Befundaspekte fehlten. Daraus ergäben sich erhebliche Zweifel an der Relevanz der beruflichen Belastung. Denn es sei nicht plausibel, dass ausschließlich an den drei unteren und keinen weiteren LWS-Segmenten sich Spuren einer Einwirkungsreaktion fänden. Als konkurrierende Ursache für die Bandscheibenschäden an der unteren LWS komme beim Kläger zudem noch eine Fehlstatik der LWS in Form einer sog. „Steilstellung“ der LWS in Betracht. Entgegen der Beurteilung der Beratungsärztin Dr. H. habe Dr. S. in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die Befunde im Falle des Klägers nach den Konsensempfehlungen der Fallkonstellation B 10 und nicht B 2 entspreche. Diese Konstellation spreche gegen einen Ursachenzusammenhang (Konsensempfehlungen, S. 218). Der Beurteilung der Dr. H. habe das Gericht im Übrigen auch deshalb nicht zu folgen vermocht, weil sie ihre Anerkennungsempfehlung lediglich auf eine einzige Basisannahme gestützt habe und damit gewichtige konkurrierende Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen habe. Dem Gutachten des Dr. B./Prof. S. habe nicht gefolgt werden können, weil dieser Sachverständige sich nicht an den Konsensempfehlungen zur BK 2108 orientiert und damit auch nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand berücksichtigt habe.

60

Gegen das am 22. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Januar 2012 (Montag) Berufung eingelegt, mit der er die Anerkennung einer BK 2108 weiterverfolgt. Er ist der Auffassung, dass wegen der widersprüchlichen Aussagen der Gutachter ein weiteres Gutachten eingeholt werden müsse.

61

Der Kläger beantragt,

62

das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 20. Oktober 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2007 aufzuheben und festzustellen, dass seine bandscheibenbedingte Erkrankung im Segment L3/4, L4/5 und L5/S1 seiner Lendenwirbelsäule gesundheitliche Folge einer Berufskrankheit der Ziffer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ab dem 19. Dezember 2004 ist.

63

Die Beklagte beantragt,

64

die Berufung zurückzuweisen.

65

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

66

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Gutachtens des Dr. S. vom 4. März 2012. Dieser Sachverständige ist zusammengefasst zu der Beurteilung gelangt, dass beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren drei Lendenwirbelsäulensegmente L3/4, L4/5 und L5/S1 vorliege, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden sei, wobei auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen würden, da der hälftige Grenzwert nach dem MDD von 25 x 106 Nh überschritten sei. Dem Unterlassungszwang sei der Kläger nach Durchführung der Reoperation im Dezember 2004 nachgekommen, die berufskrankheitenbedingte MdE sei mit 40 v. H. einzuschätzen.

67

Im Einzelnen hat Dr. S. ausgeführt, dass hinsichtlich der bandscheibenbedingten Erkrankung der unteren drei Lendenwirbelsegmente in der Bewertung der Chondrose (Bandscheibenraumminderung) festzustellen sei, dass lediglich im Bandscheibenfach L5/S1 eine altersuntypische Ausprägung mit Höhenminderung von mehr als der Hälfte entsprechend Chondrosegrad III festzustellen sei. In Bewertung der MRT-Aufnahmen aus dem Jahr 2002 und 2004 und der radiologischen Bewertung der Erstaufnahmen von 12/2005 sei nur eine grenzwertige Ausprägung für das Segment L4/5 mit Chondrosegrad I bis II und das Segment L3/4 ohne relevante Ausprägung mit Chondrosegrad I festzustellen. Ein Chondrosegrad altersuntypischer Ausprägung finde sich damit nur in einem Segment im unteren Bandscheibenfach L5/S1. Eine altersuntypische Ausprägung einer Osteose mit Strukturverdichtung der Grund- und Deckplatten finde sich ebenfalls nur im untersten Bandscheibenfall L5/S1 (mehr als 2 Bildmillimeter). Eine relevante Ausprägung von Spondylophyten in altersübergemäßer Ausprägung von mehr als 5 Bildmillimeter sei ebenfalls nur im Segment L5/S1 festzustellen. Eine sog. black-disc zeige sich nur im Segment L5/S1, nicht jedoch in Vollausprägung für die Segmente L3/4 und L4/5. Die darüber liegenden Bandscheiben ab L2/3 nach kopfwärts seien vollständig unbetroffen.

68

Eine altersuntypische Ausprägung in MRT-Befundung in Bewertung der Bandscheibenprolapsbildung zeigten die Bandscheibenfächer L3/4 und L4/5, mit nachgewiesenem Bandscheibenprolaps. Bei gesicherter bandscheibenbedingter Erkrankung in der Lokalisation L5/S1 und L4/5 mit Ausprägung des Bandscheibenschadens Chondrose Grad II oder höher bzw. Bandscheibenvorfall erfolge nach den Konsensempfehlungen die Klassifikation nach Konstellationstyp B.

69

Der Konstellationstyp B 1 sei der positiven Korrelation der Zusammenhangsbewertung nicht wahrscheinlich zu machen, da eine Begleitspondylose oberhalb der durch Bandscheibendegeneration betroffenen Segmente, also L2/3 oder höheren Segmente nicht festzustellen sei.

70

Konstellationstyp B 2 setze voraus, dass eine wesentliche konkurrierende Verursachung nicht erkennbar sei. Liege in diesem Konstellationstyp keine Begleitspondylose vor, müsse mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:

71

- Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben.

72

Dieses sei im vorliegenden Fall in eindrücklicher Weise für die drei unteren Segmente L3/4, L4/5 und L5/S1 als gegeben anzusehen. In diesem Fall werde der Zusammenhang als wahrscheinlich erachtet.

73

Das weitere Zusatzkriterium der sog. black-disc-Darstellung komme nur zum Tragen bei monosegmentaler Chondrose durch Vorfall im Segment L5/S1 oder L4/5, sodass hier im MRT zwei angrenzende Segmente mindestens durch die black-disc betroffen sein müssten. Dies entfalle in der Beurteilung im vorliegenden Fall, da bereits der dreisegmentale Ausprägungsgrad durch Chondrose und Bandscheibenprolaps nachgewiesen sei.

74

Auch bezüglich der Verteilung der bandscheibenbedingten Verschleißveränderung sei festzustellen, dass hier durchaus eine belastungskonforme Ausprägung anzunehmen sei, da in vorauseilender Wirkung eine schwerwiegende Chondrose des untersten Bandscheibenfaches L5/S1 nachzuweisen sei und in den darüber liegenden Segmenten eine nachlaufende Bandscheibenveränderung durch Prolapsbildung eingetreten sei, die noch keine so schwerwiegende sekundär degenerative Veränderung mit Höhenminderung der Segmente im zeitlichen Verlauf ausgewiesen habe.

75

Bezüglich der Einschätzung der medizinischen Voraussetzungen in Beurteilung der positiven Zusammenhänge nach den Konsensempfehlungen entsprechend Konstellationstyp B 2 bestehe eine Übereinstimmung mit den Bewertungen sowohl durch Dr. H. als auch durch Dr. S..

76

Streitig sei die Bewertung von einzuschätzenden konkurrierenden Verursachungen für das bandscheibenbedingte Erkrankungsbild der unteren Lendenwirbelsäule. Hierzu sei in den Konsensempfehlungen eine ausführliche Diskussion geführt worden, die eine Vielzahl von möglichen konkurrierenden Ursachen betreffe. Diese seien in den Konsensempfehlungen ausführlich dargelegt worden und hätten ihren Eingang in weiteren Konstellationstypbeschreibung B 3 bis B 10 gefunden.

77

Mögliche konkurrierende Verursachungen seien im Befall auch belastungsferner Wirbelsäulenabschnitte durch bandscheibenbedingte Verschleißerkrankungen zu bewerten. Entsprechend der radiologischen Befunde von 1995 sei ein vorzeitiger bandscheibenbedingter Verschleißbefund im Bereich der HWS nicht festzustellen. Im Bereich der BWS seien mäßige segmentale bandscheibenbedingte Verschleißveränderungen im Sinne einer Spondylchondrose der mittleren und unteren BWS-Segmente festzustellen, so dass keine konkurrierende Verursachung anzunehmen sei.

78

In den radiologischen Befunden hätten sich Hinweise auf eine durchgemachte Scheuermannsche Erkrankung mit typischen Knötchenbildung der Grund- und Deckplatten in den Segmenten TH 12/L1 und L1/2 gezeigt. Eine statisch wirksame Veränderung der Wirbelkörper durch Keilwirbelbildung habe sich hierdurch nicht ergeben. In der Konsensempfehlung werde zur juvenilen Aufbaustörung einschließlich des Morbus Scheuermann ausgeführt, dass diese in der Regel nicht als konkurrierende Verursachung anzusehen sei. Allenfalls eine mehrsegmentale fixierte Kyphose könnte eine hyperlordotische Ausgleit-/Fehlhaltung resultieren lassen, die dann im Bereich der LWS zu einer entsprechenden konkurrierenden Verursachung führen könnte. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben.

79

Weiterhin liege eine leichte doppel-s-förmige, harmonisch ausgeprägte thorakolumbale Skoliose sowohl im radiologischen Bild als auch klinisch vor. Dies betreffe in der Lendenwirbelsäulenausprägung der Ausmessung des Skoliosegrades nach Cobb 8°. Der Scheitelpunkt liege hoch lumbal bei L1/2. Hierzu werde in den Konsensempfehlungen ausgeführt, dass eine strukturelle Lumbalskoliose in der Ausprägung von 10° bis unter 25° nach Cobb nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als Prädisposition im Sinne der grundsätzlichen wesentlichen Ursache einer Bandscheibenschädigung anzusehen sei. Somit ergebe sich kein Hinwies auf eine wesentliche konkurrierende Verursachung, als sich hieraus eine abweichende Bewertung zum positiven Ursachenzusammenhang entsprechend Konstellationstyp B2 ergäbe. Hierin bestehe vollständige Übereinstimmung mit Dr. H. und Dr. S..

80

Durch Dr. S. werde als zusätzliches, gegen den Zusammenhang sprechendes Argument angeführt, dass in den oberhalb der betroffenen drei Lendenwirbelsäulensegmenten anschließenden Lendenwirbelsäulensegmenten keinerlei belastungsadaptive Veränderungen im Sinne der Spondylose festzustellen seien noch der Nachweis einer hier sich abzeichnenden aufsteigenden Bandscheibenverschleißveränderung im Sinne der black-disc bestehe. Hierzu sei auszuführen, dass nach seiner gutachterlichen Sicht diese Zusatzbefunde nach eingehender Kenntnisnahme der Konsensempfehlungen nicht als negatives Argument zu werten sei, da diese Befunde der black-disc und Begleitspondylose nur in positiver Korrelation zu bewerten seien, wenn eine altersuntypische Ausprägung durch Chondrose oder Bandscheibenvorfall in den unteren LWS-Etagen von nur ein oder zwei Segmenten vorliege. Vorliegend bestehe ein fortgeschrittener dreisegmentaler altersuntypisch ausgeprägter Verschleißbefund, sodass hier die Zusatzbewertung nicht entsprechend der Konsensempfehlungen erfolgen müsse. Der Konstellationstyp B 2 sei eindeutig erfüllt, sodass hier in dem Expertengremium die Zusammenhangsbewertung als wahrscheinlich erachtet worden sei.

81

Dr. S. führe als wesentliches, gegen den Ursachenzusammenhang sprechendes Argument eine konkurrierende Verursachung durch Wirbelsäulenfehlstatik in die Diskussion ein. Dieser konkurrierende Ursachenfaktor werde in einer abgeflachten Lendenlordose bei steiler Sacrumstellung gesehen. Diese Normvariante der sog. Flachrückenbildung sei ohne Frage beim Kläger gegeben. Die bestehende veränderte Statik der unteren LWS werde durch Dr. S. in der Auswirkung auf die Belastungssituation der unteren Lendenwirbelsäulenbandscheiben diskutiert. Hierzu würden die Überlegungen der physiologischen Pufferbildung der doppel-s-förmigen Federstabwirkung, basierend auf den biomechanischen Aspekten der Wirbelsäulenbelastung von Junghans und weiteren Folgepublikationen ausgeführt. Eine abschließende Bewertung in dieser Diskussion sei hier sicherlich nicht zum heutigen Zeitpunkt abzugeben, da gesicherte wissenschaftliche Grundlagen hierfür durch Dr. S. nicht angeführt würden. Dr. S. bringe eine konkurrierende Verursachung in die Diskussion ein, die in der breit angelegten Expertenkommission, die den Konsensempfehlungen zugrunde gelegen habe, nicht berücksichtigt worden sei. Die Expertenkommission habe jedoch eine sicherlich nicht abschließende Auflistung von einer Vielzahl von konkurrierende Ursachenfaktoren vorgenommen, die in der Diskussion dann bezüglich der Einschätzung des Ursachenzusammenhangs bewertet worden sei. Wenn im vorliegenden Fall die abgeflachte Lendenlordose im Sinne einer fehlstatischen Belastung nicht in die Bewertung der mannigfaltigen konkurrierenden Ursachenfaktoren Eingang gefunden habe, sei dies zwar kein Beweis dafür, dass diese normabweichende Fehlstatik kein konkurrierender Ursachenfaktor sein könne. Andererseits wäre zu erwarten gewesen, dass bei entsprechender klinischer Relevanz dieser Faktor in der Konsensempfehlung berücksichtigt worden wäre. Immerhin würden mögliche weitere fehlstatische Beeinflussungen der LWS im Sinne der gegenläufigen Hohlkreuzbildung (Hyperlordose) als auch Seitausbiegung (Skoliose) in der Ursachenbewertung berücksichtigt und diskutiert. Weiterhin werde in den Ausführungen in der Bewertung des Ursachenzusammenhanges deutlich, dass bei den jeweiligen statischen Veränderungen nur hochgradige Befundausprägungen, z. B. bei Skoliosegraden von mehr als 25°, als konkurrierender Ursachenfaktor anerkannt würden und selbst eine hyperlordotische Fehlhaltung sowie auch eine pathologische Lendenlordose in der Regel als konkurrierende Ursache nicht anzusehen seien. In der Expertenkommission seien ablehnende Bewertungen dann erfolgt, wenn keine ausreichend wissenschaftlichen Grundlagen für die Zusammenhangsbewertung vorgelegen hätten. Insofern sei festzustellen, dass durch Dr. S. keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorgelegt worden seien, die in einer ausreichenden Anzahl von Fällen eine positive Korrelation der entlordosierenden Statik der LWS mit vorzeitigen bandscheibenbedingten degenerativen Verschleißveränderungen nachwiesen. Selbstverständlich bedürfe es einer Weiterentwicklung der medizinischen Beurteilungskriterien zu den bandscheibenbedingten Berufserkrankungen der LWS. Diese sollten jedoch dann auf der Grundlage von eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Konsens von Expertengremien erfolgen. Auf Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, insbesondere im Rahmen der Konsensempfehlungen, sei aus hiesiger Sicht der Argumentation des Dr. S. bezüglich der konkurrierenden wesentlichen Ursache der Flachrückenbildung mit Aufhebung der Lendenlordose nicht zu folgen.

82

Wenn damit jedoch eine wesentliche konkurrierende Verursachung nicht vorliege, sei der positive Ursachenzusammenhang entsprechend Konstellationstyp B 2 gegeben.

83

Als Folge einer BK 2108 bestehe beim Kläger ein Zustand nach Mehrfachbandscheibenoperation L3/4, L4/5, L5/S1 mit MRT-gesicherter ausgedehnter epiduraler Narbenbildung, betont L3/4, L4/5 mit resultierender ausgeprägter schmerzhafter lumbaler Funktionseinschränkung und Belastungsminderung, fortdauernden neurologischen motorischen Ausfällen beider Beine, links betont mit Gehstreckeneinschränkung, Stand- und Gangunsicherheit.

84

Dem Unterlassungszwang sei der Kläger ab Aufgabe der belastenden Tätigkeit im Dezember 2004 nachgekommen.

85

Die berufskrankheitsbedingte MdE werde mit 40 % eingeschätzt. Nach dem Standardwerk von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall- und Berufskrankheit, 8. Auflage, werde entsprechend des Schweregrades III eine schwere Leistungseinschränkung mit einem MdE-Bewertungsmaßstab von 30 % bis 40 % angegeben. Hierbei werde ein lumbales Wurzelkompressionssyndrom mit starken belastungsabhängigen Beschwerden und motorischen Störungen funktionell wichtiger Muskeln, starken Funktionseinschränkungen und Beschwerden nach Operationen angegeben. Dem entspreche der festgestellte Funktionszustand der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers. Da ausgeprägte motorische Störungen des gesamten linken Beines, in Anteilen auch des rechten Beines bestünden mit ausgeprägter funktioneller Beeinträchtigung und Notwendigkeit zum regelmäßigen Gebrauch von orthopädischen Schienen, sei hier der obere Bewertungsmaßstab einer MdE von 40 anzusetzen.

86

Mit der Beurteilung der Dr. H. bestehe volle Übereinstimmung. In wesentlichen Teilen bestehe auch Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr. S.. Lediglich der Einschätzung von weiteren konkurrierenden Ursachen im Sinne der Lendenwirbelsäulenfehlstatik durch Flachrückenbildung werde Dr. S. nicht zugestimmt.

87

Die übrigen Gutachten bzw. Stellungnahmen entsprächen in weiten Teilen nicht den aktuellen Bewertungsmaßstäben nach den Konsensempfehlungen, sodass insoweit keine Übereinstimmung bestehe.

88

Während der Kläger der Beurteilung im Gutachten des Dr. S. zustimmt, verbleiben für die Beklagte ernsthafte Zweifel an einem Ursachenzusammenhang, wenn Dr. S. im Gegensatz zu Dr. S. die Fallkonstellation B 2 der Konsensempfehlungen als erfüllt ansehe. Dr. S. habe überzeugend in seinem Gutachten dargelegt, weshalb er die Konstellation B 10 der Konsensempfehlung aufgrund der konkurrierenden Ursachen im Sinne der Lendenwirbelsäulenfehlstatik durch Flachrückenbildung als gegeben ansehe. Die Fehlstatik der LWS erkläre die Tatsache, dass beim Kläger oberhalb der 3-etagigen bandscheibenbedingten Erkrankung jegliche belastungsinduzierte Befundaspekte fehlten. Nach ihrer Überzeugung sei eine Konkurrenzursache gegeben, die auch eine bedeutende Auswirkung auf die LWS habe. Somit sei eine Einstufung in die Kategorie B 10 sachgerecht. In der Gesamtbetrachtung der Gutachten von Dr. S. und Dr. S. halte sie die gutachterlichen Ausführungen des Dr. S. auch unter Berücksichtigung der für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden Beweisanforderungen für überzeugender. Auch nach dem Gutachten des Dr. S. verblieben ernste Zweifel an einem Ursachenzusammenhang.

89

Hinzu komme die Tatsache, dass die geforderte Gesamtbelastungsdosis von mindestens 25 MNh nicht erreicht werde. Die Gesamtbelastungsdosis betrage lediglich 16,81 MNh. Dieser Richtwert sei zwar nach der Entscheidung des BSG keine starre Grenze. Werde der Richtwert unterschritten, sei, wenn die Gesamtbelastungsdosis den Richtwert mindestens zur Hälfte erreiche, aber eine besonders gründliche Prüfung der medizinischen Voraussetzungen vorzunehmen. Es dürften keine ernsthaften Zweifel an einem Ursachenzusammenhang mehr bestehen.

90

Falls der Senat eine Anerkennung der BK 2108 ins Auge fassen sollte, werde darauf hingewiesen, dass das Unternehmen des Klägers noch bestehe und die Unternehmerversicherung mit Wirkung zum 1. Januar 2012 gekündigt worden sei. Ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt eine Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit erfolgt sei, wäre von Klägerseite noch zu erklären. Erforderlich sei auch die Abgabe einer Unterlassungserklärung des Klägers dahingehend, dass dieser erkläre, auch zukünftig keine gefährdenden Tätigkeiten mehr auszuüben.

91

Hierzu hat der Kläger vorgetragen, sein Unternehmen bestehe noch, die Unternehmensversicherung sei gekündigt worden. Die gefährdende Tätigkeit übe er seit Januar 2004 nicht mehr aus. Seit diesem Zeitpunkt sei er gesundheitlich nicht mehr in der Lage, bauliche Tätigkeiten zu verrichten. Derzeit nehme er, da er stark in seinem Bewegungsapparat eingeschränkt sei, lediglich Schreibtischtätigkeiten in seinem Betrieb wahr. Eine Unternehmensfortführung sei nur aufgrund familiärer Unterstützung durch seine Tochter und seinen Bruder in bauleitender Funktion möglich. Weiter hat der Kläger erklärt, dass die erste offizielle Krankschreibung mit dem 19. Dezember 2004 erfolgt sei. Er hat sodann die von ihm unterzeichnete Unterlassungserklärung vom 16. Dezember 2013 zu den Akten gereicht.

92

Auf Befragen des Senates hat der Kläger im Termin angegeben, vor seiner Operation vom 19. Dezember 2004 alle tatsächlich auf dem Bau anfallenden Arbeiten mit erledigt zu haben, er sei auch LKW gefahren und habe die Aufträge organisiert. Mit der Operation am 19. Dezember 2004 sei die körperliche Tätigkeit beendet gewesen. Seit dieser Zeit habe er nicht mehr auf dem Bau mitgearbeitet und nicht mehr schwer gehoben oder getragen.

93

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (S 5 U 84/07 - L 5 U 1/12) sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

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Das angefochtene Urteil des SG Schwerin vom 20. Oktober 2011 war aufzuheben, weil der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2007 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Beim Kläger besteht nämlich eine Berufskrankheit der Ziffer 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung.

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Die nach § 7 Abs. 1 SGB VII als Versicherungsfälle definierten Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Dazu zählen nach Ziffer 2108 bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die Erkrankung erwiesen sein, hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhanges eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSGE 45, 285, 286).

97

Beim Kläger liegen sowohl die arbeitstechnischen als auch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 vor. Das BSG hat im Urteil vom 30. Oktober 2007 (B 2 U 4/06 R, zitiert nach Juris, Randnummer 25) entschieden, dass der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh herabzusetzen ist. Diesen Grenzwert von 12,5 MNh überschreitet der Kläger deutlich, da nach der letzten Stellungnahme des TAB Förster vom 23. Juni 2008 die Gesamtbelastungsdosis beim Kläger 21,746 MNh (entsprechend 87 % des Dosisrichtwertes) ergibt.

98

Auch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 sind erfüllt. Die Anerkennung der streitigen BK 2108 setzt den Nachweis voraus, dass der Kläger an einer „bandscheibenbedingten Erkrankung" im Sinne der BK 2108 leidet bzw. ein solches Erkrankungsbild vorliegt. Dass beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung seiner Lendenwirbelsäule besteht, haben schon die Verwaltungsgutachter DM M. und Dr. K. bestätigt, ihnen stimmen die Gerichtssachverständigen Dr. B./Prof. S., Dr. S. sowie Dr. S. und auch die beratende Ärztin der Beklagten Dr. H. zu. Dass die bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule des Klägers durch seine berufliche Tätigkeit mit Wahrscheinlichkeit verursacht worden ist und somit als BK 2108 anerkannt werden kann, hat Dr. S. in seinem Gutachten vom 4. März 2012 bestätigt. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. an, weil er dessen Begründung für schlüssig und überzeugend hält und Dr. S. bei seiner Begutachtung sich insbesondere an den „Konsensempfehlungen" (in: Trauma und Berufskrankheit 2005, Seite 211 ff.) orientiert hat, die den aktuellen medizinischwissenschaftlichen Stand der Beurteilung berufsbedingt entstandener bandscheibenbedingter Erkrankungen der Wirbelsäule wiedergeben (vgl. Urteil des BSG vom 27. Oktober 2009 - B 2 U 16/08 R -; zuletzt bestätigt beispielsweise im Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R -). Grundvoraussetzungen für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhanges sind (vgl. Konsensempfehlungen, aaO, Seite 216) eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, wobei der bildgebend darstellbare Bandscheibenschaden seiner Ausprägung nach altersuntypisch sein muss und eine ausreichende berufliche Belastung, wobei diese eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung aufweisen muss. Nach den Konsensempfehlungen erfordern die mit dem Buchstaben „B“ beginnenden Konstellationen hinsichtlich der Lokalisation, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung das Bandscheibenfach L5/S1 und/oder L4/5 betrifft und dass es sich bei der Ausprägung des Bandscheibenschadens um einen Chondrosegrad II oder höher und/oder einen Vorfall handeln muss (vgl. Konsensempfehlungen, Seite 217).

99

Ein derartiger Bandscheibenschaden findet sich an den drei unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule des Klägers. Insoweit bewerten sowohl Dr. K. als auch Dr. S. die bildgebenden Befunde dahingehend, dass im Bandscheibenfach L5/S1 eine altersuntypische Ausprägung mit Höhenminderung von mehr als der Hälfte entsprechend Chondrosegrad III festzustellen ist. Ein Bandscheibenvorfall besteht nach übereinstimmender Einschätzung der Mediziner sowohl im Segment L4/5 als auch im Segment L3/4.

100

Dieses Erkrankungsbild entspricht nicht der Konstellation B1, da eine Begleitspondylose oberhalb der durch Bandscheibendegeneration betroffenen Segmente, mithin L2/3 oder höher nach der Beurteilung des Dr. S. nicht festzustellen ist.

101

Beim Kläger besteht der Konstellationstyp B2. Dieser setzt voraus, dass wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren nicht erkennbar sind und keine Begleitspondylose besteht. Zusätzlich muss mindestens eins der folgenden Kriterien erfüllt sein:

102

- Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben

103

- bei monosegmentaler/m-Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 „black disc“ im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten

104

- Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren

105

- Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD - Tagesdosis - Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 % kN; Männer ab 6 kN).

106

Beim Kläger besteht die erforderliche Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben, wie dies der Konstellationstyp B2 voraussetzt. Denn beim Kläger sind die untersten drei Segmente L3/4, L4/5 und L5/S1 geschädigt. Auf das weitere Zusatzkriterium der sog. black-disc-Darstellung kommt es nach den Ausführungen des Dr. S. nicht an, da bereits der dreisegmentale Ausprägungsgrad durch Chondrose und Bandscheibenprolaps beim Kläger nachgewiesen ist. Nach den weiteren Ausführungen des Dr. S. ist bzgl. der Verteilung der bandscheibenbedingten Verschleißveränderung festzustellen, dass eine belastungskonforme Ausprägung anzunehmen ist, da in vorauseilender Wirkung eine schwerwiegende Chondrose des untersten Bandscheibenfaches L5/S1 nachzuweisen ist und in den darüber liegenden Segmenten eine nachlaufende Bandscheibenveränderung durch Prolapsbildung eingetreten ist, die noch keine so schwerwiegende sekundär degenerative Veränderung mit Höhenminderung der Segmente im zeitlichen Verlauf zeigt.

107

Hinsichtlich der dreisegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung an den untersten drei Segmenten der Lendenwirbelsäule des Klägers bestehen auch keine wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren. Insoweit schließt sich der Senat vollumfänglich den Ausführungen im Gutachten des Dr. S. an, weil er dessen Beurteilung für schlüssig und überzeugend sowie in Einklang mit den Konsensempfehlungen stehend ansieht.

108

Als mögliche konkurrierende Verursachungen sind der Befall auch belastungsferner Wirbelsäulenabschnitte durch bandscheibenbedingte Verschleißerkrankungen zu bewerten. Nach den Ausführungen im Gutachten des Dr. S. ist beim Kläger ein vorzeitiger bandscheibenbedingter Verschleißbefund im Bereich der HWS (vergleichbar Konstellation B5 oder B6) in Auswertung der radiologischen Befunde nicht festzustellen. Im Bereich der BWS fanden sich bildgebend mäßige segmentale bandscheibenbedingte Verschleißveränderungen im Sinne einer Spondylchondrose der mittleren und unteren BWS-Segmente, so dass keine konkurrierende Verursachung anzunehmen ist.

109

Eine juvenile Aufbaustörung/Morbus Scheuermann stellt vorliegend keinen wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktor dar. Nach den Ausführungen im Gutachten des Dr. S. haben sich in den radiologischen Befunden Hinweise auf eine durchgemachte Scheuermannsche Erkrankung des Klägers mit typischen Knötchenbildungen der Grund- und Deckplatten in den Segmenten TH12/L1 und L1/2 gezeigt. Eine statisch wirksame Veränderung der Wirbelkörper durch Keilwirbelbildung hat sich hierdurch jedoch nicht ergeben. Soweit hierin Dr. S. keine konkurrierende Verursachung für die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers in den drei untersten Segmenten seiner Lendenwirbelsäule sieht, befindet sich Dr. S. in Übereinstimmung mit den Konsensempfehlungen. Dort heißt es zu den juvenilen Aufbaustörungen (2.1.9 der Konsenempfehlungen, Seite 239 ff.) im Resümee auf Seite 244, dass für den seltenen Fall einer lumbalen Lokalisation des Morbus Scheuermann mit Keilwirbelbildung und Abweichung von mindestens 10 Grad es nach der Expertenmeinung plausibel ist, dass bei Vorliegen der genannten Faktoren anlagenbedingte biomechanische Belastungen der unteren LWS an deren Bandscheiben wirksam werden, sodass eine individuelle Bewertung erforderlich ist. Ein derartiges Erkrankungsbild besteht beim Kläger nach den Ausführungen des Dr. S. jedoch nicht. Auch die beim Kläger sowohl radiologisch als auch klinisch durch Dr. S. festgestellte leichte doppel-s-förmige harmonisch ausgeprägte thorakolumbale Skoliose stellt keinen wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktor dar. Dr. S. hat beim Kläger den Skoliosewinkel nach Cobb mit acht Grad ermittelt, womit es sich allenfalls um eine leichtgradige Skoliose (Winkel 10 bis 19 Grad, vgl. Konsensempfehlungen Seite 233) handelt. Soweit Dr. S. die leichtgradige Skoliose des Klägers nicht als konkurrierenden Ursachenfaktor wertet, befindet er sich in Übereinstimmung mit den Konsensempfehlungen, in denen es auf Seite 237 heißt, dass Skoliosen leichteren Grades nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als Prädisposition im Sinne grundsätzlich wesentlicher Ursache eines Bandscheibenschadens anzusehen sind.

110

Soweit Dr. S. als gegen den Zusammenhang sprechendes Argument anführt, dass in den oberhalb der betroffenen drei Lendenwirbelsäulensegmenten anschließenden Lendenwirbelsäulensegmenten keinerlei belastungsadaptive Veränderungen im Sinne der Spondylose festzustellen seien noch der Nachweis einer sich abzeichnenden aufsteigenden Bandscheibenverschleißveränderung im Sinne der „black disc“ bestehe, weist Dr. S. in seinem Gutachten darauf hin, dass diese Zusatzbefunde unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen nicht als negatives Argument zu werten sind, da die Befunde der „black disc“ und Begleitspondylose nur in positiver Korrelation zu bewerten sind, wenn eine altersuntypische Ausprägung durch Chondrose oder Bandscheibenvorfall in den unteren LWS-Etagen von nur ein oder zwei Segmenten vorliegt. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an, da das fehlende Vorliegen einer Begleitspondylose kein Argument gegen die Anerkennung einer BK 2108 ist, wie gerade der Konstellationstyp B2 (fehlende Begleitspondylose) beweist.

111

Auch in der abgeflachten Lendenlordose bei steiler Sacrumstellung sieht der Senat keinen konkurrierenden Ursachenfaktor. Wie sowohl Dr. S. als auch Dr. S. ausgeführt haben, ist die Normvariante der sog. Flachrückenbildung beim Kläger gegeben. Die Flachrückenbildung wird in den Konsensempfehlungen nicht als konkurrierender Ursachenfaktor diskutiert. Auch wenn die Expertenkommission, die die Konsensempfehlungen erarbeitet hat, auch nach Auffassung des Dr. S. eine sicherlich nicht abschließende Auflistung von einer Vielzahl von konkurrierenden Ursachenfaktoren vorgenommen hat, so dass es zwar keinen Beweis dafür darstellt, dass die normabweichende Fehlstatik im Fall der abgeflachten Lendenlordose kein konkurrierender Ursachenfaktor sein könne, geht der Senat jedoch auch mit Dr. S. insofern konform, dass, wenn zu erwarten gewesen wäre, dass die Flachrückenbildung ein entsprechend klinisch relevanter Faktor gewesen wäre, er auch als konkurrierender Ursachenfaktor in den Konsensempfehlungen berücksichtigt worden wäre, denn insoweit sind mögliche weitere fehlstatische Beeinflussungen der LWS im Sinne der gegenläufigen Hohlkreuzbildung (Hyperlordose) als auch Seitausbiegung (Skoliose) in der Ursachenbewertung in den Konsensempfehlungen berücksichtigt und diskutiert worden. Dies schließt sogar die Auswirkungen von Diabetes mellitus, Nikotinabusus und Adipositas mit ein (vgl. Seite 248 ff der Konsensempfehlungen).

112

Hieraus wird für den Senat ersichtlich, dass eine Vielzahl von Faktoren als konkurrierende Ursachenfaktoren in der breit angelegten Expertenkommission diskutiert worden sind. Wenn die Flachrückenbildung als ein möglicher konkurrierender Ursachenfaktor in den Konsensempfehlungen nicht diskutiert wird, spricht dies dafür, dass die Expertenkommission diesem Faktor insofern keine oder nur eine ganz geringe Relevanz beimisst. Dies wird für den Senat auch darin deutlich, dass auch bei den statischen Veränderungen nur hochgradige Befundausprägungen, wie z. B. bei Skoliosegraden von mehr als 25 Grad als konkurrierender Ursachenfaktor anerkannt werden und selbst eine hyperlordotische Fehlhaltung sowie auch eine pathologische Lendenlordose in der Regel nicht als konkurrierender Ursachenfaktor anzusehen sind (vgl. Seite 238, 239 sowie die Tabelle von Seite 251 der Konsensempfehlungen), worauf auch Dr. S. zutreffend hingewiesen hat. Insoweit hat sich Dr. S. nicht auf wissenschaftliche Studien gestützt bzw. stützen können, die seine Auffassung bestätigt hätten. Auf der Grundlage der Konsensempfehlungen vermag der Senat daher die Flachrückenbildung des Klägers nicht als maßgeblichen konkurrierenden Ursachenfaktor zu bewerten.

113

Soweit die Ärzte Dr. N., DM M. sowie Dr. K. in ihren Stellungnahmen bzw. Gutachten zu dem Ergebnis gelangt sind, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen des Klägers und seiner bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule besteht, folgt der Senat den Beurteilungen dieser Ärzte und auch des Dr. B./Prof. S. im Gutachten vom 17. November 2008 nicht, weil sich diese Ärzte nicht an den Konsensempfehlungen orientiert haben. Dem Gutachten des Dr. S. vom 30. Dezember 2010, der zwar die Konsensempfehlungen seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, folgt der Senat ebenfalls nicht, da er konkurrierende Ursachenfaktoren zugrunde gelegt hat, die nach Ansicht des Senates nicht geeignet sind, den vorliegend zu bejahenden Kausalzusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen des Klägers und dem Entstehen seiner bandscheibenbedingten Erkrankung im Bereich seiner Lendenwirbelsäule als BK 2108 in Zweifel zu ziehen.

114

Liegen damit die Voraussetzungen der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen in Form eines dreisegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankungsbildes der LWS in den Segmenten L3/4, L4/5 und L5/S1 beim Kläger vor, steht der Anerkennung einer BK 2108 nicht entgegen, dass es am sog. Unterlassungszwang mangelt. Zwar hat der Kläger sowohl schriftlich im Berufungsverfahren als auch im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sein Maurerunternehmen auch bis zum heutigen Tage noch besteht. Er hat aber für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass er nach der am 19. Dezember 2004 durchgeführten Bandscheibenoperation keine körperliche Tätigkeit auf den Baustellen mehr ausgeübt und auch nicht mehr schwer gehoben oder getragen hat. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Unterlassungszwang am 19. Dezember 2004 eingetreten ist und ab diesem Zeitpunkt auch der Versicherungsfall einer BK 2108 besteht, da sämtliche Voraussetzungen dieser Berufskrankheit erfüllt sind.

115

Inwieweit aus der BK 2108 Ansprüche des Klägers auf Leistungen gegenüber der Beklagten resultieren, hatte der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden, da der Kläger im Berufungsverfahren lediglich den Antrag auf Anerkennung einer BK 2108 gestellt hat.

116

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

117

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Gründe hierfür nicht ersichtlich sind (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß
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Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 20. Oktober 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2007 aufgehoben. 2. Es wird festgest
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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
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Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 20. Oktober 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2007 aufgehoben. 2. Es wird festgest
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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.